Kulturkritik-Sendung vom 14. 12. 2007 auf Radio Lora


Globalisierung und Verschuldungskapitalismus

Zeitdauer: 60 Minuten - Datenumfang ca. 50 MB

Der Inhalt der Sendung ist oft eine Kürzung des entsprechenden Artikels (siehe unten).
Dort sind zudem auch die verwendeten Begriffe nachzuschlagen.


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Script zur Radio Lora-Sendung

 

Globalisierung und Verschuldungskapitalismus

-  die Politik des fiktiven Kapitals

 

Wir waren in den Diskussionen bei der Sendung „am runden Tisch einer Widerstandskultur“ an eine Stelle gekommen, wo die Frage anstand, woher denn die hohe Staatsverschuldung  von über 1,48 Billionen Euro komme und was sie überhaupt  für uns bedeutet (siehe http://kulturkritik.net/stat.php?statex=staatsverschuldung&pg=8). Es war klar, dass sie nicht mehr wirklich getilgt werden kann und dass diese Summe auch in hundert Jahren eher größer als kleiner sein wird. Denn selbst wenn der Staat aus der jährlichen Neuverschuldung herauskäme, wie er es ab 2010 verspricht, so müsste er hundert Jahre lang 14,8 Milliarden Euro übrig haben und außerdem auch noch die Zinsen von jährlich 65 Milliarden Euro drauflegen, nach jetzigem Stand jährlich 78,8 Milliarden Euro beglichen. Schon seit spätestens 2002 ist der Deutsche Staat durch und durch bankrott.

Auch in den Regierungsgremien wurden schon im Jahr 2005 vom Wirtschaftsrat Alarm geschlagen, den Dr. Michael Meister MdB und Stellv. Vorsitzender der

CDU/CSU-Bundestagsfraktion wie folgt formulierte:

„Die öffentlichen Haushalte aller staatlichen Ebenen befinden sich in einer tiefen Strukturkrise. Die Staatsverschuldung läuft immer stärker aus dem Ruder. Zum Jahresende 2004 waren Bund, Länder und Kommunen mit insgesamt 1.394,7 Mrd. € verschuldet. Der Anteil des Bundes belief sich auf gut 60 %, der von Ländern und Gemeinden auf knapp 40 %. Der Schuldenstand pro Kopf der Bevölkerung lag Ende 2004 bei 16.900 €. Er ist in 2004 insgesamt um 69 Mrd. € gestiegen. In diesem Jahr wird die negative Entwicklung ungebremst weiter gehen.

Das ökonomisch sinnvolle und mit Blick auf die Generationengerechtigkeit dringliche Ziel eines annähernd ausgeglichenen Staatshaushalts ist in weite Ferne gerückt. Die Folge dieser Politik sind steigende Zinsausgaben und immer weniger Raum für Zukunftsinvestitionen. Schon heute muss jeder fünfte Steuer-Euro für Zinsausgaben aufgewendet werden, jeder siebte Euro aus dem Bundeshaushalt wird für Zinsen verausgabt und dies bei einem historisch niedrigen Zinsniveau.

Seit 2002 verstößt die Bundesregierung sowohl gegen nationales als auch gegen inter-nationales Recht. Die verfassungsrechtliche Verschuldungsgrenze des Art. 115 Abs. 1 GG wurde in diesen Jahren spätestens im Haushaltsvollzug verletzt, 2004 bereits bei der Verabschiedung des Haushalts im Deutschen Bundestag. In allen Jahren überstieg die Nettokreditaufnahme die Ausgaben für Investitionen.“

(http://www.wirtschaftsrat.de/steuersymposion/dokumente/sta_meister.pdf)

Daher hat die Bundesregierung zum ersten Mal in der deutschen Geschichte auf die Darstellung einer vorgesehenen Dahrlehenstilgung verzichtet. Sie wäre in aller Öffentlichkeit zu einem schlechten Witz geworden. Aber dennoch wird von denselben Leuten, die das wissen, damit argumentiert, dass es der Politik um den Schuldenausgleich ginge, und dass  deshalb die Sozialausgaben gekürzt, die Renten beschnitten und die Lebensarbeitszeit verlängert werden müsse und vieles andere mehr, 35 Milliarden Euro sollten damit schon mal von 2005 bis 2007 eingespart werden. Immer noch erhofft man die große Wende durch die Kapitalwirtschaft. Doch die scheint irgendwo anders hin zu laufen. Obwohl wir Exportweltmeister sind und die Wirtschaft wieder boomt, wie man sagt, merkt niemand was davon. Nach einer jüngsten Umfrage von Allensbach meinen 80 % der Bevölkerung, dass der Aufschwung an ihnen vorbei ginge. Auch das ist neu in der Geschichte. Solche Umfragen nach einem sogenannten Aufschwung hatten früher immer andere Resulte. Aber die Wirtschaft erreicht die Bevölkerung nicht mehr wirklich. Die Geschichte ist nur zugunsten des Kapitals ausgegangen. Auch wenn ihm sein Wertwachstum aus der Produktion nicht mehr geling, so bleibt ihm noch für eine Weile die bloße Spekulation auf Wachstum. Und die liegt auf der Seite eines eigenständigen Kapitalmarktes.

Das ist eine lange Geschichte. Um den Umfang des ganzen Prozesses zu schildern, reicht diese Sendung nicht aus. Ich werde ihn daher auf zwei Sendungen verteilen und heute nur über das spekulative Kapital selbst  reden.

Zunächst mal die Frage, wie konnte es zu dieser hohen Verschuldung kommen, wo doch das Kapital immer die leichtere Steuerlast zu tragen hatte. Sie hatte sich schlagartig von 1982, wo es gerade mal 250 Milliarden Euro waren (wenn man die DM umrechnet), explosionsartig hochgeschaukelt, also gerade in der Zeit entwickelt, in der die Globalisierung zur Blüte kam.

Der Kapitalmarkt hat sich wild am Geld begeistert und unglaubliche Mengen „freies Geld“ angezogen. Die Krise, die man in der Wirtschaft wahrnahm, war ansonsten fast unmerklich, denn das Geld musste nicht zurück in die Geldzirkulation und so blieb der Geldwert stabil. Man erwartete sich von dem Kapitaleinsatz auf dem Aktienmarkt, dass die neue Ökonomie der IT-Produkte die Wertsumme bringen werde, die alle Krisen und Verwertungsprobleme wegfegen kann. Das lag vielleicht auch an dem Glauben der politischen Ökonomie,  dass das Problem der Ökonomie nurmehr die Marktbeschränkung der Massen sei. Aber das Problem war das, was sie als ihren Vorteil ansah: Die zunehmende Automatisierung der Arbeit. Sie steht der Wertschöpfung entgegen, denn automatisierte Maschinen produzieren mit weniger Arbeitskräfte in einem Umfang, worin die produktiven Werte verschwinden. Bleibt der Preis der Produkte gleich, so müssen sie von den Löhnen der Leute bezahlt werden, von denen immer weniger zur produktiven Arbeit zählten und immer mehr zu Dienstleistern wurden, deren Lohn als Unkosten des Kapitals zu verstehen ist. Der Absatz hätte nur gewährleistet sein können, wenn die Löhne aller Konsumenten angestiegen  wären und sich das Kapital dahin verausgabt hätte. Doch das steht seit mindestens 200 Jahren ganz im Widerspruch zu den Interessen des Kapitals. Es hätte sich selbst aufgeben müssen.

Es gab und gibt ja viel Geld. Und wenn es nicht zur Anwendung kommt, dann kann man damit spekulieren. In der Spekulation auf den Aktienmärkten war und ist tatsächlich viel Geld zu machen. Doch welche Werte sind das, die damit erworben werden? Wie funktioniert so ein Aktienmarkt, der Geld beibringt, ohne dass die Produktion dessen Wert in Form von Produkten realisiert, also auch als reale Güter und Lebensmittel auf dem Markt absetzt? Ich bin diesen Fragen in meinem Text „Globalisierung und Verschuldungskapitalsimus – die Politik des fiktiven Kapitals“ nachgegangen, den ihr auf der Website Kulturkritik.net nachlesen könnt,  will hier aber gerne die grundlegenden Gedanken  einbringen, sofern sie zur Beantwortung der Ausgangsfrage nach den Gründen der Staatsverschuldung helfen. 

Der Aktienmarkt

Aktien sind Wertpapiere, die an der Börse gehandelt werden.  Die Börse ist eine Institution, in welcher der Handel mit Geld und Wertpapieren mehr oder weniger kontrolliert vonstatten ging. Sie ist weit älter als die Aktie. Im 14. Jahrhundert berichtet die Geschichte bereits von einem ausgeprägtem Börsenwesen in Pisa, Venedig, Florenz oder Genua. Im Jahr 1409 entstand der erste nordeuropäische Handelsplatz in Brügge. Auf diesen Handelsplatz soll auch der Name "Börse" zurückgehen, da sich der Ort des Zusammentreffens der Händler nach der Überlieferung in der Nähe des Hauses der Patrizierfamilie "van der Beurse" befand. Um das Jahr 1500 enstanden dann in Augsburg und Nürnberg die ersten deutschen Börsen. Weitere in Köln, Hamburg und Frankfurt folgten einige Jahrzehnte später.

Die Aktie ist ein Wertpapier, eine Urkunde für Besitzanteile an einem Unternehmen.  Bereits im Jahr 1407 wurde die genuesische Staatsbank Casa di San Giorgo als Aktiengesellschaft erwähnt. Insbesondere von den Unternehmen, die aufgrund des hohen Investitionsbedarfs nur schwer durch wenige Betreiber finanziert werden konnten - wie Banken, Bergwerke, Reedereien oder Mühlen - wurden in den folgenden Jahrhunderten vermehrt Anteilsscheine herausgegeben.  Bei Rückkauf der Anteilscheine durch das ausgebende Unternehmen bekam der Eigentümer der Aktie den Anteilsbetrag am Betriebsvermögen, den er finanziert hatte – jetzt aber anteilig an allen Wertsteigerungen, die das Unternehmen in dieser Zeit erlangt hatte.

Wie so vieles wurde der Aktienhandel aber erst so richtig zum Zweck der Kriegsführung staatlich aufgerollt, erstmals von Kaiserin Maria Theresia in Wien nach dem Siebenjährigen Krieg 1761 und dann auch von Napoleon in Paris. Nach Beendigung des Siebenjährigen Krieges befand sich die österreichische Monarchie in einer wirtschaftlichen Krise. Um den stark gestiegenen Finanzbedarf zu decken, wurden vom Staat Anleihen, also Kreditgesuche, ausgegeben. Im Zuge ihrer Finanzreformpläne beschloss dann die Kaiserin 1761 auch die Errichtung einer Wertpapierbörse in Wien.

Gegenstand des Börsenverkehrs waren Anleihen, Wechsel, Valuten und Devisen. Nach Tagesabschluss setzten die Börsenadvokate, die Sensale, unter Aufsicht des Börsekommissärs die Tagesmittelkursejener Börsewerte fest, in denen Abschlüsse zustande gekommen waren. Die Geschäftsabschlüsse wurden von den Sensalen in ihre Journale eingetragen. Am darauf folgenden Tag wurden sämtliche Kurse auf einem Kurszettel vor dem Börselokal angeschlagen.

Aktien waren ursprünglich nichts anderes als Kredite in Form von Anteilszertifikaten, die sich am Risiko eines Betriebs wie am Wert seines Besitzes beteiligten. Im Unterschied zum Kredit begründeten sie sich statt durch Zins und Bürgschaft durch Risikoerwartung und Gewinnausschüttung. Der sichere Zins aus der Kreditwirtschaft beruht auf der durchschnittlichen Profitrate aller Unternehmungen, aber auch auf dem Leitzins, der den Geldbedarf für neue Produktionsanschübe  reflektiert.  Niedriger Zins zeigt also an, dass Geldbedarf herrscht und Investitionen staatlich gefördert werden, also durch Geldeinlagen auch neue Werte entstehen müssten. Er steht  daher dem Aktienkurs  meist in einem reziproken Verhältni gegenüber: Sinkt der Zins, dann steigen die Aktienwerte und umgekehrt. Der Aktionär schätzt den Gewinn seiner Geldeinlage höher ein  als die Verzinsung seines Geldes ihm durch Sparen, also durch reale Schatzbildung  erbringen kann. Seine Einschätzungsfähigkeit ist für ihn sein eigentliches Kapital.

Wer mit Aktien handelt, der glaubt an einen Wert, den die Risiken des Geldmarktes hervorbringen. Und der Sachverstand des Käufers erscheint als die Grundlage, das Wagnis zu mindern und also den eigentlichen Wertgewinn zu begründen. Also sieht jeder Aktionär seinen Verstand als seine Geschäftsgrundlage für einen Gewinn, der ohne sonstiges Zutun entsteht – oder auch nicht. Sicher weiß er auch, dass der Wert irgendwie aus der Produktion kommt, aber der Gewinn selbst erscheint nur durch geschicktes Positionieren von Geld auf dem Geldmarkt „verdient“ zu werden. Und tatsächlich gelingt das auch noch. Die Geldelite selbst kann auf die für Geld arbeitenden Menschen locker herabschauen, solange der Geldmarkt den Mehrwert abschöpft, den sie dann in ihren Papieren stehen haben. Aber der Aktienwert, wie er gehandelt wird, ist zugleich noch etwas ganz anderes, nämlich eine reine Erwartung, eine Spekulation auf einen Wert, der noch gar nicht besteht, auf Wertwachstum.

Die Aktionäre erwerben ihre Papiere zu einem Anteilspreis, und verkaufen sie, wenn ihnen jemand mehr als diesen bietet und sich auch mehr Gewinn davon verspricht, als es der bisherige Eigner dies noch erwartet. Sie handeln also mit Wechsel und Anteilscheinen wie mit Waren, die für den einen brauchbar, für den anderen unbrauchbar sind, eben so wie beide unterschiedlicher Auffassung von der Wertentwicklung der Aktie sich im Handel konfrontieren. Der effektive Besitzanteil an einem Betrieb war zwar die Grundlage dieses Handels, aber der Handel mit den Papieren beruht allein darauf, dass sie eine bestimmte Verwertungsperspektive bieten. Das ausgebende Unternehmen hatte ursprünglich eine feste Summe ihres Kreditbedarfs verlangt, die auf entsprechend vielen Anteilsscheine  verteilt war. Beim Handel mit diesen Scheinen steht aber nicht der reale Anteilswert, sondern die Begierde auf die Kursentwicklung im Zentrum der Aufmerksamkeit, die ihrerWertschätzung entspricht.

Aus dem Verhältnis dieser Einschätzungen  ergibt sich nach vollzogenem Handel der neue Spekulationswert der Aktie, nämlich ihr letzter Einkaufspreis. Dieser Börsenwert  geht durch die inzwischen eingebrachten Gewinne des ausgebenden Unternehmens meist weit über den Ausgabewert hinaus -  das war ja schließlich der Zweck des Handels. Aber er beruht nicht unbedingt auf  realen Werten, sondern mehr oder weniger auf der Selbsteinschätzung der Handelspartner - wie sicher sie sich also in ihren Zukunftsprognosen sind. Das hat einen eigen Dienstleistungsmarkt im Aktienhandel hervorgebracht, das Angebot von Fachwissen durch Broker, die entweder für Banken oder auch selbständig arbeiten oder auch eigene Fonds gründen. Die meisten Aktionäre  überlassen daher die Markteinschätzungen den Fonds oder den Banken und erhofften sich Sondereinnahmen oder einen Grundkapitalausgleich  für alle Fälle, wo ein Rückhalt gegen die Unsicherheiten der eigenen Existenz benötigt wird. Diese Sicherheit gründet paradoxerweise gerade nur auf diesem Spekulationswert.

Wer mit Aktien Geld gewinnen will, muss sich eigentlich auf seine Risikoeinschätzung verlassen können. Immer größere Geldsummen wurden aufgrund von erwarteten Kurssteigerungen bewegt, je weniger Mehrwert unmittelbar durch Investitionen zu erzielen war. Der Aktienhandel wurde zu einer Existenzgrundlage für Geldbesitzer, eine Art Grundsicherung, ein Rückhalt für unsichere Zeiten – auch wenn er selbst nicht unbedingt sicherer war, als es die Realwirtschaft sein konnte. Aber man konnte darin gegenläufige Wertbewegungen und Verwertungbedingungen der Wirtschaft auffangen und ausgleichen – z.B. die Erträge aus dem Devisenhandel in Relation zum Maschinenexport oder Immobilienwerte bringen usw., wodurch das Gesamtrisiko sich auf den Märkten verteilen und ausgleichen konnte.

Bald waren Banken und Broker die Hauptakteure auf "dem Parkett", über dem ein Aktienauktionar tronte. Der Werthintergrund der Banken selbst besteht von daher nicht nur aus Immobilien oder Goldschätzen oder dergleichen, sondern zunehmend auch aus solchen Wertpapieren, die aber - von ihrem realen Anteilswert abgesehen - rein fiktives Kapital darstellen. Immer größere Geldsummen wurden aufgrund von erwarteten Kurssteigerungen bewegt, je weniger die Einzelunternehmen sich über ihre Einzelerträge sicher waren.  Sie benutzten die Aktien als Deckung ihrer eigenen Verwertungsgrundlagen.

Der Aktienhandel wurde  auf diese Weise eine Art Rückhalt in unsicheren Zeiten – auch wenn er selbst nicht unbedingt sicherer war, als es die Realwirtschaft sein konnte. Aber man konnte darin gegenläufige Bewegungen der Wirtschaft auffangen und ausgleichen – z.B. die Erträge aus dem Devisenhandel in Relation zum Maschinenexport oder Immobilienwerten bringen usw., wodurch das Gesamtrisiko sich auf den Märkten verteilen und ausgleichen konnte.

Aber der Welthandel bewegt sich nicht immer so, wie zu erwarten ist und vor allem nicht die Verwertungslage an den Produktionsstätten. Hoch bewertete Aktien fallen daher doppelt, wenn die Kapitalverwertung durch Produktion und Handel nicht gut läuft: Ihr Eigentumsanteil stellt dann weniger dar und gehandelt werden sie auch nur mit Verlust. Die Finanzbewegung kehrt sich dann um: Viele wollen ihre Papiere auch unter ihrem eingezahlten Wert loswerden und von den Aktiengesellschaften wird Rückzahlung der Beteiligung gefordert, wenn sich kein Aktienkäufer mehr findet. Der Niedergang von Aktienkapital und Betrieben geht rasant. Die erste Weltwirtschaftskrise geschah auf der Basis einer Aktieneuphorie und war ein Schock für den ganzen Weltmarkt. Die Krise der deutschen Wirtschaft und daraufhin auch der Hitlerfaschismus  war eine Folge hiervon.

Die Verwertungskrise und die Umkehr der Verwertungslage

Wert stellt nach wie vor nur die im Produkt veräußerten durchschnittlichen menschlichen Arbeitskraft dar, gleich, ob die schon z.B. in Maschinen oder Häusern oder Lebensmitteln oder Dienstleistungen eingebracht ist oder deren Anwendung noch erwartet wird. Wert hat letztlich nur, was die arbeitenden Menschen früher oder später auch wirklich kaufen oder mieten, weil sie es zum Leben brauchen. Der Wert stellt also immer ein wirkliches Vermögen in wirklichen Lebensverhältnissen dar. Er ist nur Wert in wirklichen Produkte oder Verkehrsmittel, Produktionsanlagen. Er beruht also auf wirklicher  menschlicher Arbeit , der Anwendung von  Arbeitskraft und dem Verkauf von Produkten als Waren, mit welchen sich arbeitende Menschen ernähren müssen, weil und solange sie keine  andere gesellschaftliche Beziehungsform haben. Nur soweit Geldbesitzer solchen Produkten Wert entziehen und auch im Entzug realisieren können, funktioniert Finanzkapital. Dessen Wert schatzt sich zwar auf, wenn er kurzzeitig oder auch dauerhaft als politische Verfügungsmacht selbst wertbestimmend wird. Aber wenn Menschen ihre Mieten nicht mehr bezahlen, ihre Autos nicht mehr mit Benzin befüllen, ihre Energiekosten nicht mehr tragen können usw., hört jedes Kapital auf, Wert darzustellen.

Die Krisen der kapitalistischen Länder entstehen daher zunächst erst  mal als Absatzkrisen, weil die Wert-Produktion einen Absatzbedarf hat, den die Löhne nicht finanzieren können. Wenn das variable Kapital, das sie auszahlt, stockt, gibt es eine Kettenreaktion: Der Warenumsatz schwidet und stockender Absatz wird bald zur Krise des Geldes, weil es nicht hinreichend zirkulieren kann. Und Krisen der Geldwerte entstehen, wenn Geld schließlich nicht mehr hinreichend gedeckt ist, weil zu viele Werte und Realisierungsversprechen zerstört wurden. Dann werden auch die politischen Verwertungsmöglichkeiten des fiktiven Kapitals knapp , auch wenn der Finanzmarkt des erst an letzter Stelle zu spüren bekommt.

Gegen die Krise verhält sich das Kapital durch Bemühung um verstärkten Absatz, durch Werbung und Marktausdehnung oder auch durch Einsatz neuer, also hochwertiger Technologie. Auch der Staat beschäftigt sich damit, denn ohne Kapital scheint ihm kein Weg aus der Krise möglich, die ja schnell auch zu einer sozialen Krise wird. Geldkrisen werden erst mal von der Zinspolitik der nationalen Währung abgefangen, indem Geld billiger gemacht wird (Niedriger Leitzins). Hinzu kommt eine Steuerpolitik, die dem Kapital Steuern erleichtert und ihm damit einen Teil seiner Reproduktionsbedingungen, eine funktionale Infrastruktur, schenkt und dieses Geschenk als gesellschaftlichen Wertentzug an die übrigen Steuerzahler weitergibt oder Staatsschulden macht (was letztlich dasselbe ist). Es wird alles getan, damit sich das Kapital in seinen Krisen wieder fängt, und irgendwie gelingt das oft auch. Aber die Krisen der Kapitalwerte insgesamt haben einen finalen Charakter: Sie müssten sich immer weiter vermehren, doch die reale Masse des Marktes reicht irgendwann nicht mehr aus, um die Masse der kapitalnotwendigen Überproduktion zu kompensieren, um also auch die Schatzbildungen des Finanzkapitals noch wertmäßig zu erhalten.

Staatsverschuldung

Das Kapitalismus wäre bald ohne Investoren, würde nicht der Staat dem Kapital immer wieder zu Hilfe eilen. Besorgt um das Gesamtsystem der Verwertungslage reagiert er zunächst mit den ökonomischen Werkzeugen des Steuerrechts, den Mitteln der Daseins-Vorsorge (Sozialkasse) und der Beschäftigungspolitik (Kündigungsrecht und -schutz, Ausländerpolitik, lohnpolitische Gesetze). Er selbst ist interessiert, die Löhne soweit unten zu halten, wie es geht, damit das Kapital "wieder zum Laufen" kommt. Denn darin sieht der Staat zwangläufig die Sicherheit für "den Wirtschaftsaufschwung", der ihm als Grundlage gesellschaftlicher Wohlfahrt gilt. Deshalb reduziert er ja auch die Kapitalsteuer und belastet mit dem Steuerausfall die Bevölkerung, die ihm als Faustpfand der allgemeinen Werterhaltung dient. Indem die Gesetze dahin entwickelt werden, dass Menschen wieder mehr arbeiten müssen, weniger Lohn erhalten oder auch in den Sozialleistungen beschnitten werden, versucht der Staat nicht nur Werte rückzusichern (siehe Negativverwertung), sondern auch Druck auf die Bevölkerung zu machen, damit sie sich im Zweck der gesamten Wertproduktion einordnet und dienstbar hält.

Als letztes Mittel der Kapitalförderung bleibt allerdings nur die Staatsverschuldung. Das heißt: Der Staat entlastet das Kapital weitgehend von seinen nationalen Pflichten, sich am Erhalt der Reproduktionsbedingungen und des Sozialwesens entsprechend zu beteiligen, auch um es im Land zu halten. Die Geldpolitik richtet sich ganz auf den Weltmarkt aus und überträgt eigene Wertverluste durch das Drucken von Geldmengen, die erst noch durch Arbeitsprodukte zu decken sind. Schließlich nimmt der Staat Geld auch durch Kredite beim Kapital auf, wenn sich die Staats- und Landesbanken nicht anders halten können. Auch sie sind je an den anderen Banken beteiligt . So hat z.B. die Bundesbank, die an der IKB-Bank beteiligt ist, den Verlustausgleich in Folge der amerikanischen Hypothekenkrise auch aus eigenem Interesse zu tragen. Wie auch immer, das Kapital ist sein wichtigster Gläubiger, soweit der Staat nicht selbst als Finanzkapital fungiert. Denn er ist in vielen Wirtschaftsbereichen ein Großaktionär und vertraut sehr wohl dem Finanzmarkt. Die Steuergelder werden immer einseitiger von den Lohnempfängern einbezahlt und dienen unter anderem sowohl  dem Werteintrag zur Minderung der Staatsverschuldung und werden zugleich auf dem Finanzmarkt eingesetzt, um damit große Finanzsummen zu bewegen. Doch beides ist eigentlich identisch: Der Schatzbildung des Finanzkapitals steht eine Staatsverschuldung als Verpflichtung gegenüber, die einzulösen identisch ist mit einer erfolglosen Finanzmarktspekulation. Bleibt also auch für den Staat nur Positives, wenn er spekuliert und wenn er sich auf diese Weise vom Kapital noch einen Ausgleich durch bessere Entwicklungen erhofft. Das hat er ja schließlich auch von seinen Bürgern verlangt, als er ihnen die Riesterrente als Rentenausgleich empfahl, eine Rente, die mit der Entwicklung des Finanzmarktes korreliert. Der Staat handelt also von vielen Seiten her selbst wie ein Großanleger und ist dies natürlich auch.

Und so ist er auch als Ganzes mit dem Kapital verschworen. Nicht durch die handelnden Personen, sondern durch die Geldinstitute selbst, die Notenbank, Landesbanken und Bundesbank und andere Beteiligungen. Er muss schon von daher das Kapital im Land halten. Um weiterreichende Krisen zu bekämpfen wird er daher auch zu Mitteln und Methoden greifen, die der Bevölkerung nicht ganz geheuer sind und die sie nur durch absonderlichste Begründungen akzeptieren können. Der Staat muss sich zum einen den Weltmärkten unterwerfen, und beteiligt sich von daher konjunkturpolitisch an der Preispolitik der nationalen Kapitale, z.B. durch Produktionskostensenkung und Steuergeschenke. Aber er holt sich auch Devisenwerte durch die Währungspolitik der Nationalbank, d.h. er importiert Wert durch Ausplünderung der Märkte der Schwächeren und ist daran interessiert, sich dort auch selbst einzumischen und Preise zu bestimmen. Er muss daher also auch seine außenpolitische Macht verstärken und kriegsbedrohlich sein, um sich in die Politik ganzer Regionen einzumischen, wodurch Druck auf die Rohstoffpreise anderer Länder möglich ist. Und ein großer Absatzmarkt für die Waffenproduktion wird hierbei so ganz nebenbei auch wieder erweitert und die nationale Waffenindustrie gefördert.

Das war bisher alles, was Kapitalismus ausmachte. Die Schatzbildung des Kapitals hat sich aber inzwischen in ungeheuere Summen aufgebläht und stellt nun schon weit  über 95% der aufgehäuften Wertmasse dar, die nicht mehr in die Warenzirkulation zurückkommen kann. Es ist zum größten Teil Kapital in der Form von Krediten  aber vor allem  eine Masse rein fiktives Kapital, das sich nurmehr zwischen der Kreditwirtschaft im Aktienhandel und Geldverwertungsgeschäften auf dem Weltmarkt bewegt.  Geldverwertungsgeschäfte realisieren ihre Gewinne sowohl aus Wertsteigerungen durch die Produkt- und Technologiemärkte  wie auch aus dem Niedergang von Wert in Betrieben und Produktionsanlagen, die verdrängt werden.  Geld ist im Grunde  mit allem zu machen, solange die Geldbesitzer einen braven Staat als Rückhalt haben. Wer ganze Betriebe und Anlagen zu einem Schleuderpreis einkauft, der kann  damit an einer anderen Ecke des Weltmarkts durch deren Verkauf Wert allein schon über die Devisenverhältnisse einbringen und macht wohl auch mit dem Schrott der Supermächte noch mächtig Gewinn. Wesentlich aber ist nicht der momenthafte Gewinn oder Verlust, sondern das allgemeine Bewegen von Werten. Das fiktive Kapital zehrt allein von dieser Bewegung, denn es steht als Wertmasse in relativer Erwartung zu Aufgang oder Niedergang von Wirklichkeiten, woraus es aus dem Wechsel selbst nur sich Wertschöpfung verspricht. Kredite und Aktienfonds stellen diese Bewegung auf dem Finanzmarkt dar.

Wenn das Wirtschaftswachstum  das angelegte Kapital  belohnt, dann realisiert es in gleicher Weise Mehrwert, wie wenn wirtschaftlichem Niedergang durch Aktienverkäufe  vorausgeeilt und „bessere Aktien“ erworben werden. Wenn die Wirtschaft niedergeht und Infrastrukturen, Technologie und Staatseigentum unter Wert gehandelt werden, dann blüht der Finanzmarkt auf. Grundlage hierfür ist ein Wertverhältnis, das selbst nur durch Wechsel, also durch Schuldverschreibungen und Kredite zirkuliert. Und dieses Verhältnis hat ein hohes Niveau der Wertzirkulation überhaupt zur Grundlage. Entsprechend dieser Höhe ist auch schon wieder die Angst vor dem Totalabsturz - einer Weltmarktkrise. Doch diese Angst konzentriert sich  im Wesentlichen auf den Staat. Dort findet sich beides zusammen: Wachstum und Niedergang. Und er muss auch den Rückhalt für beides liefern. Sein Rückhalt ist alleine die Arbeitsfähigkeit seiner Bevölkerung.

Erst wenn er gar nichts mehr ausgleichen kann, weil auch aus der Bevölkerung nichts mehr zu holen ist, ist die totale Krise da. Diese ist keine Absatzkrise mehr, sondern ein Zusammenbruch der Geldwerte, welche ins Unendliche spekuliert hatten und Kredite evozierten, die völlig deckungslos geworden sind, deren Geldwert also nicht einlösbar ist. Wenn das zirkulierende Kapital keinen Kreditrückfluss hat, weil das spekulative Kapital seinen kreditierten Wert in großem Ausmaß nicht einbringen kann, so verliert es seinen Wert überhaupt und muss die Deckungslosigkeit seines  Geldes offenbaren. In solchen Zeiten greifen die Insolvenzen durch. Und das ist dann ein Sturz ins Bodenlose, wie die Weltwirtschaftskrise von 1929 mit dem anschließenden Bankencrash eindrücklich gezeigt hat, weil sich der Geldfluss schlagartig umkehrt und die verbleibenden Kreditgeber, die Aktionäre, so schnell wie möglich ihr noch verbliebenes Kapital abziehen. Die ganze Wirtschaft ist dann ohne Geldfluss. Geldwerte sind praktisch beliebig. Die Inflation steigt ins Absurde.

 

Damit will ich jetzt den ersten Teil dieser Sendung zum Thema „ Globalisierung und Verschuldungskapitalismus“ abschließen. Beim nächsten Mal soll genauer der Aktienmarkt in seinen Ausgleich- und Verlustgeschäften bearbeitet werden, vor alldem die Möglichkeit, durch Zerstörung von Produktivvermögen Kapital zu machen. Es soll auch die Frage weiterverfolgt werden, wie dies zwangläufig zu einer Entsubstantivierung der Lebensgrundlagen führt und wie der Staat dies zu bewältigen sucht.  Es geht dann das nächste Mal also weiter mit dem Thema „Das Verschuldungsprinzip des fiktiven Kapitals“. Wer jetzt schon mehr wissen will, kann ja auf der Website  Kulturkritik.net für sich weiterlesen und den Zusammenhang noch mal im Ganzen rekapitulieren.

Wer einzelne Zahlen, die hier genannt wurden, nachschlagen will, findet diese und ihre Quellen unter Statistik auf der Kulturkritik-Website. Außerdem möchte ich noch mal auf underen Veranstaltungskalender hinweisen, wo alle bei der Kulturkritik eingegangen Terminmeldungen für Veranstaltungen aus  ganz Deutschland nachzulesen und auch speziell nach Ort oder Stichwort gesucht werden kann.



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