Kulturkritik-Sendung vom 12. 09. 2008 auf Radio Lora


Das Heilsprinzip im Moralismus und Rassismus - oder: Die Esoterik einer unheilen Welt

Zeitdauer: 60 Minuten - Datenumfang ca. 50 MB

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Das Heilsprinzip im Moralismus und Rassismus oder: Die Esoterik einer unheilen Welt

Wir hatten in der letzten Sendung die Logik der kapitalistischen Krise besprochen und darin das Phänomen eines absurd gewordenen gesellschaftlichen Produktionsverhältnisses erläutert. Nach Phasen der Prosperität gerät der Kapitalismus durch die Logik der Geldaufhäufung immer wieder in Krisen, weil diese Aufhäufung der tatsächlichen nötigen Güterzirkulation bei wachsender Produktivität der Arbeit widerspricht. Es geht bei diesen Krisen aber nicht nur um ein Auf und Ab der kapitalistischen Konjunktur, sondern um eine geschichtliche Tendenz, welche die Produktivität der Arbeit im Kapitalismus birgt und die insgesamt darauf hinausläuft, dass der Kapitalismus seine eigenen Existenzbedingungen und damit sich selbst immer wieder zerstört, um sich darin wieder neu zu gründen. Diese Krisenphasen sind von daher auch extremer geworden und haben schon einige Weltwirtschaftskrisen ausgelöst, in deren Gefolge heftige soziale Krisen und entsprechende Staatseingriffe entstanden, die sich nicht gegen das Kapital richteten, sondern vor allem zum Erhalt des Kapitalismus gegen die Menschen. Darin zeigt sich die Verrücktheit der kapitalistischen Gesellschaft besonders deutlich: Diese Gesellschaftsform ist nicht für die Menschen, sondern die Menschen werden für diese Gesellschaftsform bestimmt. Der Produktionsprozess, nicht aber der Kapitalismus ist eine Existenzbedingung für die Menschen. Umgekehrt sind die Existenzbedingungen des Kapitalismus Menschen, die seine Produkte herstellen und kaufen können und eine Natur, deren Rohstoffe das Material seiner Naturausbeutung darstellt. Als Waren sind diese Produkte nur vermittelt für die Menschen da, unmittelbar vor allem für den Markt und seine Geldvermittlung. So wird in dieser Gesellschaftsform ein Quantum an Gütern erzeugt, das sich in den Wertformen des Marktes begründet und bestimmt und nicht aus den wirklichen menschlichen Verhältnissen. Der Kapitalismus hat mit diesem Quantum daher auch so seine Probleme, nämlich dann, wenn die Produkte nicht mehr konsumiert werden, also wenn die Möglichkeiten der Konsumtion dieser Waren ihrem Produktsein widerspricht. Das ist der Fall, wenn die Arbeitskräfte, die zu ihrer Erzeugung nötig waren, sie nicht konsumieren können, weil sie zu wenig verdienen, um all dass, was das Kapital so produzieren muss, um sich zu verwerten, auch erstehen zu können. Indem der Kapitalismus in seinem Verwertungstrieb letztlich Überproduktion betreiben muss, kann er diese Krisen nicht mehr auflösen. Denn aus demselben Trieb heraus muss er die Zahl der Arbeitskräfte möglichst drosseln und erzeugt von daher Arbeitslosigkeit, also relative Überbevölkerung. Die Absurdität der Kapitalverwertung gipfelt in der Absurdität einer Gleichzeitigkeit von Überproduktion und Überbevölkerung. Die Krise dieser Gesellschaftsform wäre leicht behoben, wenn die überzähligen Produkte auch für die überzähligen Menschen, bzw. alle Produkte für alle Menschen da wären. So aber macht eine gesellschaftliche Absurdität die Menschen und ihre Produkte immer wieder mal überflüssig, um sie neu zu bewerten, denn es ist nur der Wert ihrer Arbeit und ihrer Produkte, der diese Absurdität betreibt. Es ist dies ein gesellschaftliches Verhältnis, das insgesamt keinen wirklichen Sinn für die Menschen hat, das sie voneinander zu privaten Existenzen isoliert und sie zugleich durch Geld bindet. Von daher ist dieses Verhältnis eine Kultur der Selbstbezogenheiten und widersinnigen Lebenserfüllungen.

In den kapitalistischen Krisenzeiten kommt diese Kultur besonders zum Tragen, denn sie stellt inmitten des allgemeinen Aufkommens von Verödungen und Zerstörungen der menschlichen Lebensgrundlagen eine Insel von Glückseligkeiten dar, die als Zerrbild der Verhältnisse diese befrieden sollen. Brot und Spiele, Mitmachen und Mitgewinnen, Reizen und Erleben sind deren Credo, das Prinzip Hoffnung auf Lebenserfüllung, auf Befriedigung durch Befriedung, auf Anerkennung durch Selbstinszenierung. Das darin ersehnte Glück soll die Ängste vor der gesellschaftlichen Entwicklung vertreiben, soll deren Wirklichkeit zumindest zeitweise verdrängen. Die Spannungen, welche sich mit zunehmenden Unterwerfungen in den Arbeits- und Reproduktionsverhältnissen verstärken, sollen in einer Welt des Erlebens aufgelöst werden, eine Alternative haben, die zumindest durch zwischenmenschlichen Begegnungen aufgefüllt werden können. Die Kultur wird zur Erlebniswelt des Überlebens und entzieht sich so durch ihre eigenen Reize dem Grauen, das die weltlichen Katastrophen vermitteln. Überdies verschafft das Miterleben von Menschen darin zumindest in der Freizeit einen Sinn, den die Arbeit selbst nicht mehr haben kann. Was man erlebt, macht das Leben wenigstens erträglich, das man ohne dies nicht wirklich leben kann. Und was eigentlich eine Reflexionsform dieses Lebens war, das Er-Leben, wird so zu seinem abstrakten Inhalt. Die wirklichen Lebenszusammenhänge entschwinden auf diese Weise der Wahrnehmung und werden durch Selbstwahrnehmung ersetzt – zumindest in den Hintergrund gedrängt. Die Bedrängnis der alltäglich nötigen Selbstentfremdung macht eine Befriedung nötig, die durch Anteilnahme zumindest im Ereignis des Selbsterlebens kulturelle Brücken verschafft und die darin gewonnen Selbstgefühle als Kulturereignissen adelt. Solche Erlebniskultur ist daher eine Kultur der Selbstveredelung, in welcher sich die Reize versammeln, durch welche zwischenmenschliche Beziehungen erzeugt werden können. Wo menschliche Beziehungen sich nicht mehr verwirklichen können weil ihr gesellschaftlicher Inhalt selbst unwirklich ist, weil er eben selbst nur aus Geld und Kapital besteht, da verschaffen zwischenmenschliche Beziehungen die Befriedigungen in den Löchern der bürgerlichen Existenz und bestärken von daher auch kulturell ihre Selbstbezogenheit. Wer hierfür reizvoll ist, wer also die Anreize hierfür vergeben kann, erfährt sich daher auch selbst gesellschaftliche mächtig, auch wenn er oder sie hierfür den eigenen Körper oft vollständig veräußern muss. Die Medien selbst werden zu Trägern einer allgemeinen Befriedung für gesellschaftliche Erregungen, indem sie sich zunehmend dem zwischenmenschlichen Erleben im Zweck einer veredelten Selbstwahrnehmung widmen und vorwiegend diese befördern.

Das Dilemma des bürgerlichen Staats und der Untergangsmythos

Eine Krise ist eigentlich so etwas wie ein Problem, das behoben werden sollte. Doch die kapitalistische Krise ist nicht nur ein Problem, sondern das Resultat eines komplexen Verwertungsverhältnisses, das nicht so einfach aufzulösen ist, ohne dass es zu einem Zusammenbruch des ganzen Geldsystems und damit der kapitalistischen Wirtschaft überhaupt kommen wird. Und darauf ist noch niemand so richtig vorbereitet. Das allen sichtbare Phänomen ist eine völlig absurd gewordenen Staatsverschuldung, die auf Jahrhunderte nicht bezahlbar ist und jährlich über 72 Milliarden Euro Zinsen kostet. Und nur dieses Phänomen hält den Zusammensturz auf. Ohne dass die Menschen ihre Reproduktion und Produktion durch kapitalunabhängige Produktionsformen sicher stellen, wird sich nichts daran ändern und ohne solche Formen müssen die Menschen auch allgemein einen solchen Zusammensturz fürchten. Im Grunde kann der Staat in solchen Krisenzeiten lediglich durch aggressive Politik nach innen und nach außen eine Absicherung seiner Wirtschaft erreichen. Aber das widerspricht den Interessen seiner Wähler. Die Krisenspirale bewegt sich über einem tiefen Abgrund, den das fiktive Kapital nicht nur erzeugt hat, sondern auch überbrückt. Aber den Staatsbürgern zu vermitteln, dass die Staatspolitik sich zwischen Leben und Tod bewegt, ist dem Staat praktisch unmöglich, ohne dass er dabei seinen Offenbarungseid leistet. So stehen die Staatsinteressen in vielfacher Hinsicht im Widerspruch zu denen der Bevölkerung. Der Staat muss lügen. Er muss seine kapitalaffirmativen Notwendigkeiten als existenzielle Naturnotwendigkeiten seiner Bevölkerung darstellen, um überhaupt noch glaubwürdig zu erscheinen. Und hierzu nutzt er die Kultur der allgemeinen Egozentrik um seine allgemeine Notwendigkeit des Systemerhalts als menschliche Not zu personifizieren. Es sind die Gefühle und Selbstgefühle der Menschen, die hierfür anzusprechen sind. Das isolierte Lebensgefühl bestimmt sich ja von selbst schon in der Unwirklichkeit von Geldverhältnissen zwischen Kapital und Geldentwertung und kennt von daher auch die Fiktion, die Ungewissheit in einem Prozess, worin die Geschichte um das Gewordene nur noch kreist. Es ist ja auch nicht zu übersehen: Was bisher noch den gesellschaftlichen Zusammenhang ausgemacht hatte, was als Daseinsfürsorge des Staates, als Gesundheitswesen, als Finanzpolitik usw. dem Ganzen des im Staat abstrakt zusammengefassten Gemeinwesens diente, erscheint nun in einem Auflösungsprozess. Es wird allerorten die Verminderung der Existenzmöglichkeiten und Lebensabsicherungen in der Zersetzung und Nichtung der bisher gewohnten Formen erfahren – als allumfassende Macht eines Geldüberflusses, der sich im Staat als Geldmangel vollzieht, als ein Trieb des Geldes, welcher Strukturvernichtungen betreibt, die sich selbst eher noch verstärken, als dass sie von selbst aufhören könnten. Das Gefühl hierzu beschreibt zwar diesen Trieb, diese alles bestimmende Abstraktionsmacht; aber es mythologisiert sie zugleich und dient daher ihrer Verewigung. Der Untergangsmythos ist eine Kapitulation des Geistes als bloße Reaktion auf die Ohnmacht gegen die Gewalt der Abstraktion. Not tut eine Analyse von dem, was hier in Wirklichkeit geschieht.

Die Moral als politisches Medium der Selbstgefühle

Die Verschärfung der Verhältnisse, besonders der Geldentwertung und der sozialen Krisen, verlangt nach Änderung, nach einem reflektierten Handeln. Es wird immer nötiger, dass „etwas getan werden muss“ gegen die zunehmende Prekarisierung der Lebensverhältnisse. Aber ohne deren kritische Analyse bleibt dieses Etwas vor allem durch das Gefühl bestimmt, das die Menschen allgemein darin haben. Dieses ist nicht unbedingt falsch, aber es ist verkehrt, wenn es die Verhältnisse nur nimmt, wie sie erscheinen, wenn es diese nicht als menschliche Verhältnisse reflektiert, sondern als bloße Gegebenheiten von Lebensnotwendigkeiten. Da wird dann über die vielen einzelnen Wirkungen des Ganzen geraunt und gemunkelt, werden die Monster und Gespenster herbei gesponnen, die für das Gute und das Böse verantwortlich gemacht werden. Wenn solche Gefühle ohne Reflexion über das Ganze des gesellschaftlichen Verhältnisses bleiben, werden sie selbst zu Verallgemeinerungen der einzelnen Wahrnehmungen, zu einem Allgemeingefühl, das nach einer allgemeinen Reaktion, nach der Macht des Allgemeinen, nach dem Handeln des Staates verlangt. Es stellt sich aus solchem Rumoren wie von selbst ein Bewusstsein der notwendigen Reaktion durch höhere Gewalt ein, ein reaktionäres Bewusstsein. Und dieses breitet sich epidemisch aus, wenn sich dabei Masse bildet, Masse einer gefühlten Bedrohung durch eine ungewisse Gefahr. An den Stammtischen, in den Vereinen, in der Gemeinde, in den Medien und in der Nation wird sie ausgebreitet und vor allem bewertet, an der Not der Menschen bemessen und durch Neid und Missgunst durchsetzt.

Wenn die Masse der Gefühle zu einem Gefühl der Masse werden, so wird sich die Masse in der bloßen Empörung selbst schon gerecht. Die Allgemeingefühle kommen darin zur Selbstgerechtigkeit eines allgemeinen Selbstgefühls, zu einem Massengefühl der Gerechten, das sich allein aus der Masse ergibt und sich darin auch geborgen fühlt. Dieses verleiht dem sich selbst unklaren Bewusstsein, das zu einem Wissen des Seins werden könnte, eine Identität der Selbstgeborgenheit, macht es selbst zu einer Persönlichkeit, die aus ihrer Selbstgerechtigkeit in einer unheilen Welt zehrt. Ihr Lebensmittel ist die Moral. Eine Moral ist an und für sich eine Beschreibung und ein Gebot zum richtigen Handeln, welches ursprünglich als sittliches Handeln verstanden wurde. Das ist noch aus dem lateinischen Wortstamm Moralis als die Sitte betreffend ersichtlich. Was an diesem Handeln als richtig zu verstehen ist, entscheidet die Ethik, die sich aus dem Zusammenleben und Zusammenwirken der Menschen ergeben soll. Das allerdings ist so komplex wie eine Gesellschaft selbst komplex ist. Man versteht als ethisch, was die Kultur der jeweils gegebenen Verhältnisse bewahrt, aber auch, was Kultur überhaupt bewahren soll. Moral kann von daher nichts überwinden oder emanzipativ sein; sie kann nur ein bestehendes Verhaltensgebot, einen Imperativ des Guten Seins als Gutsein bestärken.

So wird man heute das als ethisches Verhalten begreifen, was z.B. dem Marktgeschehen allgemein entspricht, aber auch, was Zerstörung, Mord und Totschlag verhindert. Vor allem die Rechtsprechung gründet ja auf nichts anderem als auf dem, was Ethik sein will: das System „regulierender Urteile und geregelter Verhaltensweisen“ (Luhmann). Und schon mit den 10 Geboten wurden die Regeln einer Sittlichkeit aufgeboten, die sich über die alten Stammesgesellschaften und Leibeigenschaften hinaus entwickeln wollte und die Grenzen individueller Willkür in der Notwendigkeit einer christlichen, jüdischen (z.B. 5. Buch Mose Dtn 5,6-21) und moslimischen (Sure 17,22–39) Gottesherrschaft beschrieb. Ethische Gebote haben daher für sich durch ihre aparte Selbstbegründung schon eine Selbständigkeit, wodurch sie wie aus dem Jenseits der wirklichen Verhältnisse begründet erscheinen können. Im Massengefühl beherrscht die allgemeine Abstraktion die Selbstwahrnehmung. Und damit kehrt sich der systemerhaltende Zweck moralischer Gebote vollständig zur Selbstbegründung eines Massenverhaltens der Menschen um, zu einem politischen Verhalten, das sich aus der guten Gesinnung bestimmen will, aus einem übergeordneten Glauben, einem Übermenschen oder einem Gott. Durch Moral in solcher Gefühlswelt wird Politik wie von selbst totalitär. Sie wird dadurch quasi religiös, sei es als Religionsersatz oder als politische Religion, als Politik eines Weltenheils. Solche Gesinnungspolitik ergibt nicht nur im Islam oder im Judentum oder im Christentum die Selbstbegründung einer übermenschlichen Staatsmacht. Auch im Krisenstaat selbst neigen die Staatsträger zu einer übermenschlichen Staatsräson, die sich aus einer persönlichen Güte inmitten der Stürme eines für die Menschen absurd gewordenen Staatshaushalts hervortut, als das Gute, das Heil, das hierdurch wieder möglich sei. Zwar haben Politik und Gefühle völlig gegensinnige Ursprünge, aber als Heilsversprechen versöhnen sie sich monumental zum Heilsprinzip einer Politik, welche sich gerne dem Verlangen zuneigt, die unendlich gewordene Ohnmacht der Menschen zu einer Machtpolitik der besonderen Art zu wenden. Sie verlangt lediglich die Hingabe an das große Ganze, worin alle Menschen die Überwindungsmacht finden und als etwas ganz Großes empfinden können sollen. Es ist eine Politik, welche die Masse der Selbstgefühle zu einer massenhaften Selbstaufgabe der Menschen verkehren will, wie sie auch in Sekten betrieben wird. Die Gewalt einer Gesinnungspolitik ist ein Moralismus, der auf den Vernichtungsgefühlen der Menschen selbst gründet, in welchem sie sich verloren glauben. Er bestimmt sich aus der Totalisierung der Ohnmacht, die massenhaft empfunden wird. Aber eine solche Gesinnung will zugleich schon deren Wendung sein. Sie muss sich aus dem begründen, wogegen sie sich wendet, muss nichtig machen, woraus sie selbst entstanden ist. Und so macht damit sich zugleich selbst nichtig, weil sie sich in der Selbstbehauptung gegen andere wesentlich selbst bekämpft. Sie wird zum Don Quichotte einer übermächtigen Ohnmacht.

So wird dieses Ohnmachtsgefühl in eine schlechte Unendlichkeit getrieben: Um dem Gefühl der Vernichtung zu entgehen, muss es an ihr Teil haben, sich gegen sich und andere im Zweck der Auflösung seiner eigenen Grundlagen über sich selbst erheben. Es muss sich durch Moralismus veredeln und sein latentes Wissen den wirklichen Grundlagen entziehen und in eine Vermehrung solcher Gefühle wandeln. Das Maß dieser endlos werdenden Selbstbehauptung ist der bloße Wille der Veränderung, der ohne wirkliches Anderswerden auskommen kann. Die Welt wird selbst zu einer bloßen Gestaltung des Willens, zur „Welt als Wille und Vorstellung“, wie es Schopenhauer abgehandelt hat. Und das verlangt daher auch die Verselbständigung von Kraft, Härte gegen sich und andere. Man muss dahin drängen, dorthin ziehen, und erziehen, was dem nicht entspricht. Solche Selbstveredelung ist ein schrecklicher Teufelskreis, der die Spirale eines Selbstaufhebungsprozesses in den Menschen betreibt und der es jederzeit ermöglicht, die Einsicht in ihre Lebensverhältnisse den herrschende Allgemeingefühlen zu unterstellen und aus ihrer Meinungsbildung eine Manipulation mit populären Vorstellungen werden zu lassen. Wenn politischer Populismus diese nutzt – und der breitet sich in solchen Verhältnissen natürlich auch schnell aus - so kann aus einer repräsentativen Demokratie leicht die Diktatur eines Massengefühls werden, ohne dass sie hierbei ihre politische Gestalt verändern müsste. Es ist der Kreislauf einer kulturell notwendig scheinenden Selbstaufhebung des praktischen Lebensinteresses der Bevölkerung, der nur einem Zweck dient: Der Erzeugung einer allgemeinen Staatshörigkeit durch eine allgemeine Heilsbotschaft, durch die Erzeugung der Illusion von einer Nation, welche sich als das allgemeine Überlebensprinzip einer völkischen Staatskultur ausgibt, damit die Menschen sich ihrer wirklichen Kultur entziehen. Der bürgerliche Staat selbst war ja schon die abstrakte Form eines Gattungswesens, die sich als Gemeinwesen ausgab. Indem die Staatsbürger dem Ganzen dienen, so soll es scheinen, dienen sie nun ihrem eigenen Gattungswesen und verhelfen diesem aus der Bedrängnis.

Der Teufelskreis der Heilserwartung als Staatskultur

Als Stifter einer Staatskultur bekommt der Staat seine Bestimmung durch Gesinnung. Diese mag im Moralismus entstanden sein - in der Staatsform einer darin begründeten demokratischen Repräsentanz wird sie zum Selbsterzeugnis der Staatsgewalt. Durch sie vermittelt sich der Staat selbst als Kulturträger, als Garanten der Zivilisation und von daher Träger und Bewahrer einer formalisierten Humanität. Seine polizeiliche und militärische Gewalt dient der Erziehung des Menschen schlechthin, wodurch ihm die Ruhigstellung und Gefügigmachung seiner Bevölkerung möglich wird. Durch die soziale Krise, die der wirtschaftlichen folgt, ist dort ja auch tatsächlich einiges im Argen. Was den Menschen zur Selbstveredlung taugt, taugt ihm zum wirtschaftlichen Kalkül zur Verbesserung der Staatsfinanzen durch die Heranbildung einer Bevölkerung, die sich auf ihn fixiert.

Und um sich in diesem Zweck auch wirklich absolut verhalten zu können, muss der Staat seine Bevölkerung spalten, die Guten von den Schlechten trennen, Vermischungen auflösen und das Reine zu einem Wesen erster Güte zu totalisieren, um dann das Schlechte auch wirklich total bekämpfen zu können. Mit der Totalisierung des Staats zum guten Staat wird er kulturell bestimmend, Kulturstaat. Doch seine Kultur begründet sich nicht in der Lebensweise der Menschen; sie besteht nur aus der Funktionalität der Menschen für seine Ordnung, seine Disziplin. Er hat die Macht der Güte, also die Macht gegen das Schlechte. Und gut sein heißt daher artig sein. Nur die Vorstellungen der Staatskultur werden realisierbar und die Menschen sollen daran gewöhnt werden. Die Konsequenz solcher Disziplinierung ist die Hervorkehrung eines Stallgeruchs, der das Bündnis mit dem Nestbauer ausmachen soll, um die Nestbeschmutzer vom derart kultivierten Gemeinwesen fern zu halten. Die Gefühle der Menschen werden damit selbst diszipliniert. Sie werden in ihrer ästhetischen Wirkung auf das Ganze bewertet, das sich nun auch als Ästhetik des Allgemeinen herausstellt. Wie ängstliche Schüler einem strengen Lehrer gerne schmeicheln, so verhalten sich dann auch viele Bürger zum Staat, dem Leithammel der Nation, der sich zugleich als ihr Hirte aufführt. Der Nationalismus vereinigt das Schutzbedürfnis der vereinzelten, sich ohnmächtig fühlenden Menschen mit dem ästhetischen Willen des Ganzen. Darin gedeiht dann auch ein allgemeiner autoritärer Charakter vortrefflich. Was versammelte einzelne Bürger an den Biertischen schon als Großtaten in ihrer Selbstverlorenheit ausgegoren hatten, wird nun zu einem wirklich sozialpolitischen Projekt, welches Staatskultur und Bürgerkultur vereint: Gemeinsam gegen das Schlechte, Abartige und Böse, gegen das Kranke und Schwache. So abstrakt solche Allgemeinheit auch ist, sie versammelt auch das, was es ausschließt: die in der Abstraktion nichtig gemachten Menschen, indem sie nun auch gesellschaftlich der Größe und Macht des Allgemeinen unterstellt werden. Hierüber verschafft sich solche Abstraktionsmacht dann auch die nötige Willkür im Durchsatz gegen den Feind des Großen und Ganzen. Um dieses zu bestärken, bestärken die nun persönlich gewordenen, weil angepassten Staatsbürger ihre allgemeinen Selbstgerechtigkeiten durch Ausschluss des Fremden, des Unangepassten. Und um dies zu erfassen, muss es als etwas ganz Anderes, als ein anders bestimmtes Wesen, eben als ein Wesen der Unart, der Abart, des Fremden schon in der Wahrnehmung geächtet und kenntlich gemacht werden. Eben weil es nun ums Ganze geht, muss das ganz Andere auch Allgemein erkennbar sein. Es bietet sich hierfür das Objekt eines allgemeinen Ressentiments, also das, was schon in der Wahrnehmung als etwas ganz anderes begriffen wird. Und dies ist dann das, was der heilen Welt absolut zuwider ist.

Rassismus

Zuwider ist das Unheil und das Unheile, das eben, was stört, wenn es ums Heil geht, was eben nicht zur eigenen Art gehört und von daher auch nicht artig sein muss. Die Welt selbst liefert ja der Vorstellung vom Anderssein genügend Eindrücke von anderen Sitten und Gebräuchen und schon das Vermögen anderer Kulturen kann das Vermögen der eigenen in Frage stellen und also auch bedrohen. Ebenso findet sich das Fremde auch in der eigenen Kultur als das, was sich nicht einfügen lässt. Je weniger es in der eigene Kultur vergegenwärtigt ist, desto unerkennbarer wird auch sein Wesen. So findet die eigene Vorstellung von fremdem Wesen vor allem in der Unart wirklicher Eigenheiten auch die Vorlagen, die Bilder und die Metaphern der Klassifikationen, die Figuren des Abgegrenzten für die Absonderung und Aussonderung der Träger des eigenen Übels, das damit zu einem fremden Übel wird. Das Geraune unheilvoller Strömungen wird schlagartig damit beendet, dass der Übeltäter gefunden ist. Dabei ist es relativ gleichgültig, was er wirklich ist. Meist kann er in dieser Form gar nicht wirklich sein, weil die Formalisierung selbst nur die willkürliche Kategorialisierung verschiedenster Phänomene ist. So werden Juden, Moslems, Kommunisten, Homosexuelle, Zigeuner, Behinderte, Schwarzhäutige, Gelbhäutige usw. schlagartig zu etwas, was sie selbst niemals gewesen sein können: Träger eines Unheils für eine Gemeinschaft, die sich als aparte Insel einer heilen Welt zu besondern sucht, um ihr eigenes Heil einzurichten. Eine bürgerliche Identität ist ja auch so schon zerissen genug, weil ihre Egozentrik aus vielerlei Kraftakten der Selbstfindung genährt werden muss, sich selbst permanent durch oft absurde Selbstwerte bestärken muss, um sich in der Konkurrenz der bürgerlichen Persönlichkeiten zu erhalten. Durch eine hochwertige Selbstdarstellung in dieser Welt wird dieses Wertverhältnis im Allgemeinen betrieben und die Welt ist vor daher auch ein ästhetischer Maßstab für sie. Erscheint nun aber auch die Welt selbst zerstört, so steht es um eine solche Selbstbildung besonders schlecht, schließlich handelt es sich ja um ihre Welt, an der sich fest macht, was Wert haben soll. Wo nur der Sinn des Habens ausgeprägt ist, besteht eben wenig Sinn für sich und andere. Nichts ist da besser als ein wirklicher Gegner, der nicht nur als Grund des Unheils hergenommen wird, sondern zugleich das Loch in der eigenen Identität auffüllt. Der Hass auf das Andersartige hat eben diesen doppelten Boden: Die eigene Identitätslosigkeit und die Abhängigkeit von den Aneignungsformen dieser Welt, in der nur der etwas ist, der auch einen anständigen Besitz hat, vor allem Geldbesitz. Ihr Niedergang verschärft die Notwendigkeit der Selbstbehauptung einer leeren Identität. Und wo nichts ist, kann es nur eine Identität der Nichtigkeit sein: Rasse. Es ist der Mensch als Tier, der immer noch Klasse als Rasse hat, der sich über alles stellen kann, wenn er allem unterworfen ist. Solche Klasse ist die schlichte Totalisierung einer Leere, der Totalvollzug einer Selbstentfremdung, die sich nicht mehr aus sich begründet, sondern aus ihrer Totalität selbst. Von daher besteht sie aus einer Gier nach Fremdidentität, und gewinnt sich durch die Kennzeichnung des fremdartigen. Ihre darin begründete Selbstveredlung erhebt sich nicht nur über die Arten des Menschseins, sondern zugleich über das gewöhnliche und zerrissene und niedergehende Bürgertum insgesamt. Für das Geschäft der Rassisten genügt im Grunde jedes Phänomen, das sich als fremdartig verallgemeinern lässt und damit eine andersartigen Gemeinschaft derer Eigenschaften beschreiben kann. Aus der Sammlung dieser Eigenschaften wird ein illusorisches Wesen der Fremde, ein Wesen der Entfremdung, wie ausgesucht, um mit sich endlich übereinzustimmen, die Güte der eigenen Art zu finden und der eigenen Leere einen höheren Sinn zu verleihen. Etwas anderes wird somit zum total Anderen, indem es das Wesen einer Andersartigkeit bekommt. Die Eigenschaften an ihm werden zu einer Substanz, welche selbst den Grund ihrer Eigenartigkeit abgeben muss, zur eigentlichen Eigenschaft des Andersartigen wird. Durch solche Substantivierung des Eigenschaftlichen am Fremdsein wird das Eigene, das Subjektive, wenigstens objektiv ergattert. Was an einem Menschen die Hautfarbe oder Überzeugung oder sexuelle Gewohnheit oder dergleichen ist, wird zum Wesen einer anderen Art des Menschseins, zu einer unguten Art, zu einer Unart des Menschseins. So wird jedes damit identifizierbare Subjekt zu einem Objekt der Ausgrenzung, zu einem ausgegrenzten menschlichen Wesen, im Prinzip zum Unwesen. Solches Vorgehen gibt es schon in den Alltagsformen des phänomenologischen Bewusstseins. Hier aber wird es unmittelbar politisiert, weil die Ausgrenzung als kulturpolitische Notwendigkeit unterstellt ist.

Die letztliche menschliche Identität ist das Dasein der Menschen in ihrem Gattungsleben als menschliche Kultur. Der Rekurs hierauf kann auch gesellschaftlich nötig werden, wenn alle gesellschaftlichen Fortschritte diese Grundlage in Frage stellen und sich eine Barbarisierung der Lebensverhältnisse ausbreitet. Die Politisierung der Kultur entsteht nicht durch die bloße Wahrnehmung und auch nicht durch das bloße Bewusstsein, sondern durch das soziale Verhältnis im Kampf um die Existenz angesichts der zunehmenden Entwertung des menschlichen Lebens durch die kapitalistische Krisenspirale. Daher wird dieser Kampf selbst kulturalisiert, um die Lebenswerte zu bestimmen, um das eigenene Leben mit der Bewertung bestimmter Kulturmerkmalen einem anderen Leben zu überordnen, es als unwertiger als das eigene zu klassifizieren. Allgemein genommen ist Rassismus also die Formalisierung eines Überlebenskampf in einem unsinnig gewordenen gesellschaftlichen Verhältnis, durch welche sich die herrschende Kultur als Machtstruktur allgemeiner Kultureigenschaften zu verfestigen sucht. Dabei ist es nicht unbedingt entscheidend, mit welchen Argumenten und Behauptungen dieser Kampf betrieben wird. Es ist eine schlimme Unterschätzung des Rassismus, wenn man meint, es ginge hierbei um einen bloßen Bewusstseinsakt. Die Energie des Rassismus speist sich selbst aus einem Vernichtungsgefühl, auch wenn dies vor allem aus dem Gefühl der eigenen Nichtigkeit entspringt. Aber durch die Herabsetzung einer fremden Kultur wird die eigene zur Zivilisation schlechthin, die fremde zur Barbarei. Es geht also mit der Hervorkehrung einer abstrakten Eigenheit um das Heil der menschlichen Zivilisation schlechthin, die als eine herrschenden Kulturform gegen das abstrakt andere, das Fremde gewonnen werden muss, um politische Identität in einem Selbstauflösungsprozess durch die Bekämpfung der Barbaren zu erlangen.

Es geht im Kleinen wie im Großen um eine Art Weltordnungskrieg, der seine Ziele über die Politisierung von Kultureigenschaften bestimmt. Es ist der politische Kampf um die Kulturhoheit, also um die Güte eines Kulturwesens. Rassismus lässt sich sozial nicht hinterfragen. Er findet in den Naturbestimmungen seine scheinbare Objektivität - Naturmythologie als Sortierungskriterium der Arten: z.B. die arische Rasse als Herrenmenschentum, die Brutalität der schwarzen Haut der „Wilden“, die Kapitalverschworenheit der Juden als Rassenbegierde, die Bedrohung des Gattungsverhältnisses durch Homosexuelle und anderes mehr. Indem solche als Natureigenschaft aufgefassten Merkmale zu sozialen Wertungen werden, lässt sich die Artigkeit von Eigenarten sortieren und isolieren, also auch jede Eigenschaft zur Artigkeit zwingen, indem ihr jeder Lebenszusammenhang abgesprochen wird. „Hausmaus zu Hausmaus“ war ein Spruch Adolf Hitlers und meinte das Prinzip der Isolierung: Jedem das Seine, und das Seine vergibt der Herr des allgemeinen Zusammenhangs. Es ist das Prinzip der Führung und der sublime Zweck eines Kulturstaats, der eine allgemeine Kulturmacht als notwendige Täuschung der Menschen zur Verleugnung seiner wirklichen Interessen nötig hat. Er will als Sinngeber eines abstrakt notwendigen Staatsgebildes die Ausbeutung seiner Bürger in „ihrem eigenen Interesse“ ausweiten. Von daher ist ein rassistisches Bewertungsschema geboten, das am besten wissenschaftlich unterlegt wird, sowohl zur Objektivierung einer Mythologie des Subjekts, als auch zur Subjektivierung der Natur zur Rasse.

Die Sophistik des Heilsgedankens

Schon früh in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts waren die Wissenschaften bereit, für einen starken Kulturstaat einzutreten. Der nationalsozialistische "Mythos des 20. Jahrhunderts" von der Rasse und dem unwerten Leben wurde nicht in der Bevölkerung, sondern in den Laboren der Naturwissenschaften und an den Schreibtischen der Geisteswissenschaften entwickelt. Diese sahen sich in den Unlösbarkeiten ihrer Aufgabenstellungen selbst gezwungen, nach übermenschlichen Lösungen zu drängen. Je mehr sie in der Alltagswirklichkeit sich nicht mehr bewähren und bewahrheiten konnten, setzten sie an die Stelle der wirklichen Auseinandersetzungen den biologischen Kampf auf Leben und Tod und suchten nach jenem alles bedrohenden Virus des unreinen Bluts und Geistes, um der arischen Rasse und den deutschen Idealen zu einer Großmacht zu Verhelfen. Die Rassemythen hatten eine klare kulturpolitische Funktion, die in den Arrangements der staatspolitischen Kultureliten dann auch wirklich aufging. Aber sie waren nicht unmittelbar aus staatspolitischen Interessen heraus entstanden. In den Aulen der Universitäten wurde über die Eigenschaften der reinen Rasse und der Vererbungstypologien und dem ursprünglichen Deutschtum aus eigenem Antrieb nachgedacht. Nicht durch nationalsozialistische Proleten wurden diese Arenen des Wissens gestürmt. Die Nazis selbst waren nur Ausdruck einer sozialen, also einer wirtschafts- und kulturpolitischen Bewegung jener Zeit. Nicht Göbbels hatte die Bücherverbrennungen kraft seines Amtes veranlasst. Es waren die Studenten und Professoren an den Hochschulen, die sich dazu getrieben sahen, so dass Göbbels als Staatsvertreter einfach nur hinzutreten musste, um Wissenschaft und Kulturstaat zu vereinen. Und damit erst war radikaler Nationalismus als geschlossenes völkisches Lebensverständnis möglich, in welchem Moralismus, Gesinnungskultur und Heilsversprechen sich zu einem nationalsozialistischen Terrorregime verschmelzen konnte. Sowohl die Naturwissenschaften als auch die Geisteswissenschaften fügten sich beflissen in den kulturkämpferischen Zeitgeist des Nationalsozialismus bruchlos ein. Die deutsche Geistesgeschichte ist ein hervorragender Nährboden für selbstgerechte Werturteile, Moralismen und Größenwahnsinn. „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“ hieß es und gemeint war damit vor allem die Geistesgeschichte der Dichter und Denker. Diese wollten sich in einer Neubegründung des deutschen Wesens selbst verewigen. Sie waren in einer Aufbruchstimmung der deutschen Wissenschaft schlechthin.

Martin Heidegger war deren offensiver Verfechter und Begründer einer neuen deutschen Phänomenologie, einem phänomenologischen Existenzialismus. Er verstand es, den Sophismus eines phänomenologischen Wesens mit der Lebenshärte einer Existenz zu verbinden, die als „Sein zum Tode“ zu begreifen sei. Der erkennende Mensch galt ihm als Avantgardist in diesem Sein, als Vorläufer des Willens, der die Bedingung der Überwindung des Todes sein soll. Der notwendige Wille zur Macht habe seinen Ursprung in der Metaphysik, die über das Seiende herrschaftlich verfüge, indem sie es als Idee vorstellt und somit das Sein nicht es selbst sein lasse. Er fühlte sich darob auch als geistige Inkarnation deutscher Gründlichkeit, dem Schürfen am Wesentlichen und dem Sehnen und Verlangen im Eigentlichen, einem Wesen der Erkenntnis, das sich lichten müsse, in die Lichtungen des Seienden einzutreten habe, um die Überwindung der Seinsvergessenheit flüchtiger Lebensfreuden und Produktionstechniken zu vollziehen. In seiner Rektoratsrede 1933 sieht er sich aus den "vulgären" gesellschaftlichen und geschichtlichen Zusammenhängen herausgehoben und sieht die "Macht des Anfangs" dieses Zeitabschnitts in der "Selbstbehauptung" der deutschen Nation und der Universität, dem aristokratischen Ständestaat im Sinne Platos mit einem eindeutigen Führer-Gefolgschafts-Prinzip. Auch wenn er nach dem letzten Weltkrieg seine Begriffe weniger mythologisch sondern existenzialer vortrug, sich von einer eher esoterischen Phänologie zu einer positivistischen gewandelt hat, so haben sich deren Grundlagen doch nicht wesentlich verändert, wie er von sich behauptet. Das Sein zum Tode bleibt als Sein in der Zeit ausschließliche Entschiedenheit und durch solche Selbstbegrenzung im Hier und Jetzt wesentlich Ereignis, im Großen und Ganzen also geschichtslos, ohne wirklichen Zusammenhang. Das gilt bis heute noch als ein grundlegender Gedanke des phänomenologischen Denkens und passt von daher auch nicht schlecht in die Eventkultur der Jetztzeit.

Das Heil der Selbstveredelung: Die Esoterik

Um sich als Weltenheiler vorzustellen, muss man aber nicht unbedingt Rassist oder Nationalist sein. Die moderneren Besteller des Guten, Heilen, Großen, Ganzen oder Gesunden vermitteln es direkt und unmittelbar über Esoterik im Wissen um die Geheimkräfte der Natur und des Kosmos. Das Unheil wird als Deformation der Urkräfte aufgefasst. Unglück sei also nichts anderes als eine Verfälschung der eigentlichen Natur. Das ist gleichbedeutend mit der Behauptung, dass es das Unglück eigentlich gar nicht gebe.

Daraus resultiert das Pochen auf eine Renaturierung, die Rekursion auf eine ursprüngliche Natürlichkeit, die Wiederherstellung einer eigentlichen Natur durch Auflösung der verfälschten Natur. Im Grunde ist es das esoterische Prinzip: Zeige mir woran Du leidest und ich zeige Dir die Tat oder den Stoff, der Dir hilft. Der ganze Kosmos dient als Hintergrund solcher Heilskultur und sie wird nicht nur in bestimmten Bereichen der Medizin betrieben, sondern auch in der Psychologie, Psychiatrie oder in diversen Sekten zur besonderen Animation des Seelenlebens. Und sie war schließlich das Medium, worin dereinst Adolf Hitler die Menschen an sich gebunden hatte, womit er seinen Führerkult, seine Sendung zur Erlösung der Menschen aufgebaut hatte. Man kann das auch heute noch in dieser Form bei vielen Heilsbotschaftern studieren - z.B. bei Bert Hellinger, bei Rudolf Steiner oder in der Scientology Church. Wesentlich für den Heilungserfolg ist die Auflösung eines einzelnen Unheils durch die Unterwerfung des einzelnen Leidens unter den Kosmos der Güte eines abstrakten Lebenszusammenhangs, der alle Leiden durch sich selbst auflöst. Es ist ein Prinzip, das sich aus dem übermenschlichen Subjekt einer höheren Erkenntnis bestimmt und dem man nur vertrauen muss. Bei Hellinger z.B. ist es die Ordnung der Liebe, die durch Demut vor der kosmischen Herkunft zurückgewonnen wird. Bei der Scientology Church ist es das Trauma des Thetan, dem hochintelligente Urmenschen, das in jedem Menschen überwunden werden muss, weil er als eine Reinkarnation dieses Thetan lebt. Und bei Rudolf Steiner ist es die Selbstverwirklichung durch Theosophie, durch die übersinnliche Welterkenntnis und okkulte Menschenbestimmung. Die Heilsbotschaft besteht hier aus Naturmythologie, welche die Naturgeister beschwört, die aus sich heraus, also in eigener Logik, die Entwicklung von all dem übernehmen, was dem einzelnen für sich nicht lösbar ist oder was ihm noch zu seinem Glück gebrechen soll. Diese Naturmythologen zeigen ihre politische Wirkung allerdings meist nicht mehr direkt und öffentlich wahrnehmbar. Oft werden sie nur noch in den psychischen Folgen und ihren besonderen Wirkungen auf zwischenmenschliche Beziehungen wahrgenommen. Nicht desto trotz haben auch sie meist eine mächtige Position in der Weltwahrnehmung und befördern auch für sich schon die Überwindung der gesellschaftlichen Wirklichkeit durch ihr Heilsprinzip.

Ihr höheres Wissen wird aber wohl eher das Bewusstsein einer höheren Gesellschaftsschicht sein, die darin ihre Herkunft aus dem bloßen Geldbesitz überwunden, wissen will und das heißt hier: vergeistigt. Es sind die Prinzipien ihrer Hausgeister, durch die sie den Rest der Welt in die Niederungen unsensibler Realitätsunterwerfungen bannen. In Wahrheit bereinigt solches Geheimwissen über außerwirkliche Wesenheiten lediglich das geheim verbliebene Wesen des Unglücks einer Wirklichkeit, die keine Fragen mehr aufwerfen soll. Sie vertreiben das unglückliche Bewusstsein der allgemeinen Befindlichkeiten aus der Wahrnehmung des Unglücks überhaupt, von dem es nicht nur nichts mehr wissen will, sondern von dem es kein Bewusstsein mehr geben soll.

Das absolute Befriedungsprinzip ist der Menschenpark einer Staatskultur

Das Heilsprinzip eines kulturpolitischen Engagements hat zum wesentlichen Ziel die Kontrolle einer Gesellschaft über ihre kulturellen Verhältnisse selbst. Ihr Zweck ist die Aufhebung der politischen Selbstbestimmung der Menschen. Haben die Menschen ihr Verhalten zu ihren wirklichen Lebenszusammenhängen erst einmal aufgegeben, weil sich ihnen ihre Kultur selbst als höheres Wesen vermittelt, so kann es auch genügen, sie durch ein Subjekt anzuleiten, das sich als Bewahrer einer heilen Gesellschaft selbst zu ihnen verhält, nicht mal als Prophet, sondern auch als der Begabte, der Primus, der große Bruder oder dergleichen. Wenn dieser als Verteilungsmacht über die Mittel der Existenz verfügt, so muss er keine andere Heilsbotschaft mehr auftischen. Es reicht dann, wenn der Staat sich als der einziger Funktionär des allgemein Nötigen, als einzige gesellschaftliche Bestimmung dessen betätigt, was die Menschen in einer vollständig entäußerten und ihnen entfremdeten Gesellschaft noch zusammenhält. Auch hierzu gibt es längst positiv gemeinte Vorstellungen vom Tittytainment der Neoliberalen bis hin zu Sloterdijks Menschenpark.

Eine wirklich heile Welt des Kapitalismus wird es zwar nicht geben können, weil das Kapital sich selbst zerstört, wenn es nur noch in Geldform stagniert. Aber die Blasen der Selbstillusionierung werden ihn noch eine Weile erhalten können, wenn die sinnnentleerten Lebenswelten der Gesellschaft in der psychischen Anpassung an die menschenverachtenden Abstraktionen einer bloßen Reizkultur eine Einheit finden, worin sich die in ihrer Gesellschaftsform entsinnlichten Menschen im Gleichklang und Gleichbild der Anreizungen harmonisieren, sie an den Bildschirmen durch Computerspiele, Sex and Crime das Erleben lässt, was sie in Wirklichkeit nicht mehr leben können. Der Kapitalismus besteht nicht nur aus einer rein äußerlichen Kapitalverwertung mit ihren Kämpfen um die „gerechten Geldanteile“. Er ist ein ganzes, ein totales Lebensverhältnis der Menschen, das die stringente Geschichte einer anachronistischen Realabstraktion fortschreibt und nur dadurch geändert werden kann, dass sich die Menschen hiervon durch die Verwirklichung ihrer konkreten Lebenszusammenhänge weltweit emanzipieren, durch die Erkämpfung der ihnen entsprechenden Lebensform in Kommunen und Regionen und Länder, und sich im Austausch von Erfahrung und Mittel für ein menschliches Leben hierbei ergänzen.

So, das wars mal wieder für heute. Wie immer, wird diese Sendung ab morgen auf de Website Kulturkritik.net noch weiterhin zu hören und zu lesen sein. Die nächste Sendung der Kulturkritik ist am 10. Oktober um 19 Uhr mit dem Titel: Wie und warum die Einfalt des Verwertungsverhältnisses die Vielfalt von Kultur und Natur verschlingt Wäre schön, Euch wieder dabei zu haben. Bis dahin also Tschüss.



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