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Rubrik Ökonomie: Globalisierung und die Krise des Sozialstaats

von Leo Mayer

Erschienen: 24.10.2003
Wie Heiner Geißler richtig bemerkt hat, ist der Kapitalismus am Ende. Mit einem Rekord-Schuldenbberg von 43,4 Milliarden Euro ist nicht nur Eichels Lebenswerk, die 'Verantwortung für unsere Nachkommen umzusetzen', gescheitert, sondern auch die Finanzierbarkeit von all dem, was den Kapitalismus erträglich machen wollte: Der sogenannte Sozialstaat.
Weil Kapitalismus nur bei Wertwachstum funktioniert und dieses sich wiederum nur bei einer der Produktivitätssteigerung entsprechenden Konsumerweiterung realisiert, kommt diese Gesellschafts- und Produktionsform immer wieder an ihre Grenze: Die Löhne reichen nicht aus, um zu finanzieren, was für das Kapital wachsen muss, weil das Kapital nur dadurch wächst, dass es Arbeit kassiert, die nicht finanziert wird. Linksliberale Politik hatte immer versucht, nach den Vorschlägen von Keynes eine Ballance zwischen dem Wachstum des Lebensstandards und dem Ausbeutungsgrad der Arbeit zu finden; doch diese ist am ungeheuren Verwertungsbedarf einer hochdimensionierten Technologie, am Widerspruch des Konstanten Kapitals zwangsläufig gescheitert. Obwohl es in den 80ger und 90ger Jahre noch das 'Glück gehabt hatte', dass der Technologieschub der Computerindustrie mit einer Ausdehnung der Märkte (Annexion des Ostens an den Weltmarkt) zusammenkam und durch Transnationale Konzerne seinen Ausbeutungsgrad unter Hinzunahme verarmter Arbeitskräfte aus der Dritten Welt noch ungeheuerlich steigern konnte, hatte das Kapital als Ganzes auf Dauer natürlich nicht die hinreichende Permanenz. Diese kann es, wie Marx bewiesen hatte, auch gar nicht geben, weil der Kapitalisierungsbedarf immer an der Grenze der Ausbeutbarkeit scheitern muss (siehe tendenzieller Fall der Profitrate) und die Krise des Kapitals erzeugt, die sich im Stocken der Warenzirkulation auswirkt.
Wo diese stockt, hat nicht nur das Kapital ein Problem, sondern auch der kapitalistische Staat: Einerseits muss er das Kapital von Steuern entlasten, um ihm eine erneute Ankurbelung einer 'konsumierbaren Produktivität' zu ermöglichen, andererseits versagen ihm die Quellen durch Minderung der Steuereinnahmen (Mehrwertsteuer und Lohnsteuer) bei Veringerung der Warenzirkulation und wachsender Arbeitslosigkeit. Die Ausgaben werden dann zum wesentlichen Krisenmanagement: Die unmittelbar nicht rentablen Ausgabe, die Sozialausgaben. Der Irrsinn wird transparent. Es geht jetzt auch für 'den einfachen Bürger' ums Ganze, um sein Gesellschaftsverständnis. Leicht werden jetzt die finalen Theorien von der Notwendigkeit der Gesellschaftsentwicklung durch Staatsgewalt wieder wach. Der Niedergang des Sozialstaats ist daher immer auch eine allgemeine Krise des gewohnten Lebensverständnisses - die Wesensfrage bürgerlicher Kultur.
Von der Seite des Weltmarktes kommt hier der Zusammenhang von der Entwicklung in der Wachstumsphase der Globalisierung und dem Abbau der darin überholten nationalstatlichen Sicherungssysteme hinzu, der das Wachstumsproblem des Kapitals nicht verringert, sondern in unübersehbare Dimensionen verschleppt. Der Internationalisierung des Kapitals steht (noch) keine internationale Weltbevölkerung entgegen. Der staatspolitisch auch von Rot-Grün erwünschten Nationalisierung und Indivisualisierung der Bevölkerung muss daher mit aller Kraft entgegen gearbeitet werden. Dieser Aufsatz von den ISW-Autoren Leo Mayer und Fred Schmid vom Januar 2003 soll hierfür behilflich sein.

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