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Rubrik Kultur: Die Massenkultur und ihre Eliten

von W. Pfreundschuh

Erschienen: 2004/06
Weltmeisterschaften hatten wir schon öfters und in aller Regelmäßigkeit alle 4 Jahre. Aber keine war so wie diese. Noch nie gab es so viel Veranstaltungs- und Spielkultur wie diesmal, noch nie eine so geschlossene Propagandadecke und noch nie ein so blödes und dummdreistes Logo. Fussball war das Leitbild für alles, was ankommen sollte, ob Reisewerbung oder Hausordnung. Fussball hier und Fussball da, mal als Musikstück, mal als Fernseh-Show und mal als Sahnetörtchen. Fussball dekorierte und garnierte bald alles, was im Land zu präsentieren war. Von ihm ließ sich jeder Bezug einfach und praktisch herstellen und er stellte alles in eine Reihe, in eine einzigartige Sportkultur. Deutschland war im Fussball endlich gleichgeschaltet.
Es scheint, dass wir große Veranstaltungen auf Dauer nötig haben. Aber es war auch etwas herbeigeordert, was man überhaupt gut brauchen kann: Der deutsche Teamgeist. Der besteht daraus, dass alles und jeder beklatscht wird, wenn er nur etwas tut. Wichtig ist eben, dass alle Zusammenhalten, auf Biegen und Brechen, komme was da mag. Das hat Jürgen Klinsmann seiner Mannschaft beigebracht - mit einem ganzen Stab von Trainern für Körper, Psyche, Kommunikation und Gruppendynamik. Man hat sich durchgekämpft, hat im gemeinsamen Urschrei Bruderschaft entdeckt und in der Selbstkritik sich einordnen gelernt. Ein bisschen chinesisch zwar, zumindest fernöstlich, dafür aber eine einzige Aufmunterung für alle und das Team. Und die hat es auch gebraucht, denn ein Team mit Geist ist nicht selbstverständlich unter hochbezahlten Leistungsträgern.
Und das Team hat’s dann auch gebracht. Es hat sich gut ausgerichtet und voll funktionsfähig gezeigt – nicht einfach und glatt gewonnen, aber seine Sache gut gemacht. Jetzt sind wir alle dran. „Danke Deutschland!“ Du hast zwar ein Problem. Aber wir haben begriffen, dass es nur im Team gelöst werden kann, und zwar in unserem Team, also durch uns. Es ist wohl unser Problem. Teamgeist heißt jetzt die Mission für alle und ist daher eine Aufgabe für alle, die einen deutschem Pass haben. Es heißt jetzt Teamgeist 82: 82 Millionen Deutsche brachten den Erfolg, so wird behauptet – zumindest auf dem T-Shirt, das Klinsmann in Berlin beim großen „Danke“-Auftritt der Nationalelf verteilen ließ. We are the champions – auch wenn wir nicht die ersten sind. Aber wir sind die Besten, die Tüchtigen. Wir sind die, welche die beste Meisterschaft aller Zeiten veranstaltet haben und wir werden auch alle anderen Probleme lösen. Wir, das ist jetzt ein geografischer und politischer Begriff, eine Gemeinschaft von Menschen in einem bestimmten Raum und auf einem bestimmten Fleckchen Erde, das Deutschland heißt. Wir, das sind wir Deutsche und wir sind die Veranstalter einer großen Show, welche die ganze Welt gesehen hat.
Spätestens seit der „Du bist Deutschland“-Kampagne war eine Besorgnis um den Geisteszustand der Deutschen manifest geworden. Hatten sich die Medien damals noch um eine „deutsche Depression“ bemüht und die deutschen Bürgerinnen und Bürger dazu aufgerufen, Deutschland zu sein, so war jetzt jeder Deutschland, weil er Teil einer Fussballweltmeisterschaft, weil er oder sie also Mitveranstalter war. Das war nun auch seitens der Bundesregierung ein psychologischer Coup: Alle waren in den Dienst dieser großen Aufgabe gestellt und also auch auf andere Aufgaben vorbereitet worden. Deshalb war auch jeder Politiker von der Regierungschefin persönlich aufgerufen, an den Spielen teilzuhaben und sich zu zeigen. Jetzt müssen eben alle ran. Und die sonst eher prüde Angela ließ es sich dann auch nicht nehmen, den neuen Nationalhelden Jürgen Klinsmann, der kürzlich noch eher als kalifornischer Fremdgänger angemutet worden war, denn als deutscher Steuerzahler, jetzt höchstselbst nach dem Schlusspfiff in den Arm zu nehmen. Sie waren alle selig – wenigstens zeigten sie sich so. Das Motto mal wieder: Alles muss man positiv sehen, dann wird es auch positiv.

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