Wolfram Pfreundschuh (09.7.10)

Interview zur Ankündigung der Sendung auf Radio Lora München 

 

Gefühle der Masse als Massengefühl: Ideologie oder Kulturphänomen?

Erläuterungen zur Kritik der politischen Kultur

Wieder wollten die Deutschen ihr Sommermärchen haben. Wieder das Meer der Deutschlandfarben auf Fahnen, Kleidern, Hüten, in Gesichtern oder in den diversen Assesoirs ihrer Kulturevents. Und wieder dieses Deutschland-Geschrei in Permanenz: „Deutschland vorn“. Wir kennen das noch von 2006. Deutsche Märchen kommen immer gut. Aber diesmal ist es um einiges pervertierter. Diesmal haben wir es noch nötiger. Zuviel ist daneben, zuviel im Aus, zuviel Hoffnung verpufft, zuviel Zukunftsangst entstanden. Stagnation ist da schwer auszuhalten. Es muss was geschehen!

Den Frohsinn einer Verbrüderung, die aus dem Geschick einer Fußballmannschaft entsteht, hat nun auch die Politiker-Szene aufgegriffen und in die Substanzlosigkeit ihrer Politik verfüllt. Vielleicht geht’s damit besser. Aber so peinlich war’s dann doch noch nie: Da schwebt Frau Merkel mit ihrem Regierungsflieger extra noch mal nach Kapstadt und freut sich und freut sich und juchzt und juchzt und umarmt alle die um sie rum sind, wenn ein deutsches Tor fällt. Und extra war sie zuvor ja auch noch mal kurz durch einen Slum gezogen, wo die Deutschen ein Sportstipendium finanziert haben – natürlich für afrikanische Waisenkinder, das kommt immer gut, jedenfalls besser als Bomben auf einen afghanischen Tanklaster, die 140 Menschen töteten... Arm und Reich – jetzt alle gleich. Und ihre kindische Freude ist auch leicht zu verstehen. Es steht ihr auf die Stirn geschrieben, dass auch sie nicht weiter weiß und dass zumindest das Weltmeister-Image in der Fußball-Technik Pluspunkte für den Technologiehandel des Exportweltmeisters Deutschland erbringen könnte. Der Sieg der deutschen Fußballer gegen Argentinien sei daher auch eine “ganz, ganz große Tat für Deutschland“, verkündet sie. Mein Gott Merkel!

Und dann musste auch noch der deutsche Bundespräsident abgehen, weil er sein Amt nicht mehr verantworten konnte. Das baut auch nicht gerade auf. Und so wird auch das höchste deutsche politische Plenum, der deutsche Bundestag, langsam kindisch. Weltmeisterliche Gefühligkeit wurde auch dort schon fällig. Mann und Frau müssen sich Mut machen, um noh Beschlüsse fassen zu können. Die Ratlosigkeit angesichts der Geldverknappung des Kindergelds wendet die Familienministerin Christina Schröder in ihrer Rede positiv dahin, dass sich mit der Fußball-WM ja auch schon was tut zur Verbesserung der Lage, denn schon neun Monate nach der letzten WM habe es ein sprunghaftes Ansteigen der Geburtenrate gegeben. Nein wie süß! Ist das nicht auch ein echt hoffnungsfrohes Thema für das hochkarätiges Entscheidungs-Plenum der Politik, wenigstens mal eines, was Hand und Fuß hat, nein, sogar viele Hände und viele Füße? Lass dich umarmen, Land der Millionen! Es wird schon was bei raus kommen.(1)

In der wabernden allgemeinen Gefühligkeit lässt sich vieles ins Gegenteil verkehren, was sonst stutzig machen würde. Der Abgang des alten und die Wahl des neuen Bundespräsidenten haben zu viele Ahnungen geweckt. Schon fragen einige Presseleute und Politiker, was denn den Abgang wirklich nötig gemacht hatte. War es vielleicht doch die Unterschrift zur Blindsicherung des Euro? Schon reicht Gauweiler eine regelrechte Anfrage hierzu ein. Die Akzeptanz der deutschen Politik und des Parteienstaates steht auf der Kippe.(2)

Die Vorstellung soll die Abgehobenheit deutscher Politik und Wirtschaft verbrämen, der Bevölkerung Ansprache vermitteln und im Gemeingefühl Beziehung versprechen. Die Beziehung der Gefühle ist immer die einfachste und auch die populärste. Sie soll den Schein der Verbundenheit bestärken und als „Wir-Gefühl“ sowohl Solidarität, als auch Verpflichtung abverlangen. Alle ziehen an einem Strang! Das sei die Botschaft der Weltmeisterschaft des Fußballs für den Weltmeister des Exports. Das ist allerdings etwas dreist für einen Staat, der nicht mehr in der Lage ist, auch nur eine sinnvolle politische Regelung einzubringen, ein Gesetz zu gestalten, das – so verlangt es das Grundgesetz – Schaden von der Bevölkerung abwendet. Die bürgerliche Gesellschaft ist mit ihrer Politik und Ökonomie am Ende. Und da kommt sie dann auch immer auf, die Ideologie von der Notgemeinschaft: Wir alle sitzen in einem Boot. Das war schon bei Hitler so.

Ideologie soll diese Welt zusammen halten, und das tut sie zunächst auch, indem sie Gefühle zusammenhält. Doch Gefühle haben ihren Gehalt aus der Wahrnehmung, resultieren aus Empfindungen. Ideologie ist substanziell Sprache, der Logos der Ideale. Vermengt man beides ineinander, so hat man eine Nebelwolke für alles, was möglichst unsichtbar bleiben soll. Der gefühlige Schleier für absurden Begründungen für politisches Handeln lässt sich daher am besten mit einer kultivierten Ideologie aufziehen. Und die schleiert um so heftiger und dichter, je schwerer dieses Handeln plausibel zu machen und zu legitimieren ist.

Krise und Kultur

Eine Wirtschaftskrise wird schnell zu einer kulturellen Krise, wenn der Lebensstandard sinkt, wenn Armut kulturelle Beziehungen und Einrichtungen beherrscht und soziale Krisen virulent werden. Wenn die zunehmend heftiger werdenden wirtschaftlichen, politischen und sozialen Konflikte nicht auflösbar sind, kommt eine grundlegende Verunsicherung auf, in welcher sich die Sinnfrage nach den Grundlagen der Gesellschaft stellt. Der Halt, den Gesellschaft noch den Menschen geboten hatte, ist am Zusammenbrechen und es entsteht massive Existenzangst, die sich nicht nur an den wirtschaftlichen Grundlagen festmacht, sondern sich auch überhaupt auf die Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft bezieht.

Kulturell bewirkt die wirtschaftliche Krise eine Erschütterung des ganzen gesellschaftlichen Verhältnisses, der Rechte und Pflichten und Sitten und Gebräuche und Religionen und Beziehungen. Sie könnte noch als gesellschaftliche Krise begriffen und beantwortet werden, wenn die kleinen Konflikte in den großen noch wieder zu erkennen wären, wenn Gesellschaft wenigstens kulturell noch auszumachen wäre. Doch im Reichtum einer modernen Dienstleitungsgesellschaft, die ihre Geldwerte zum großen Teil durch Exporte erwirbt und auf den Finanzmärkten zirkulieren lässt, ist auch der gesellschaftliche Zusammenhalt exportiert, in bloße Geldwerte einer schwebenden Finanzwirtschaft verwandelt.

Dienstleistungsgesellschaften setzen Mehrwertproduktion voraus, beruhen jedoch auf den Verhältnissen des Geldes selbst, dessen Wert sie importieren. An diesen Verhältnissen müssen alle Menschen teilhaben, um gesellschaftlich existieren zu können, - teilhaben in jeder Hinsicht: Sie sind einerseits Nutznießer einer weltweiten Auspressung von Arbeitskraft und Rohstoffen, und zugleich Objekt einer allgemeinen Tendenz zur Reduktion ihres Arbeitswerts bis hin zu den Billiglöhnen und Hartz-IV-Perspektiven. Das Kapital ist in seiner Geldform lediglich bestimmt durch die Geschwindigkeit aller Transaktion, durch die Eilfertigkeit der Bediensteten. Die Macht des Kapitals steht hier nicht mehr unmittelbar den Beschäftigten gegenüber als Ausbeutungsinteresse an produktiver Arbeit, sondern als Interesse an Dienstbeflissenheit und Kostenminderung der Reproduktionsleistungen. Von daher gibt es hier zwar auch eine Kluft zwischen Arm und Reich, zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Lohnarbeiter und Arbeitslosem, aber keine wirkliche Konfrontation gegensinniger Klasseninteressen, die sich als gegensinnige Macht gegenüberstehen. Es gibt hier nur den Gegensatz quantitativer unterschiedlicher Teilhabe in qualitativ gleicher Interessenslage: Geld. Die Mehrwert bildende Arbeit wird importiert und durch die hochwertigen Exporte ausgeglichen und seine Wertsteigerung noch durch Beschleunigung der Umschlagzeiten der Geldzirkulation, durch Hochleistung von Transportarbeit, Kommunikation, Regeneration und Werbung betrieben. Arbeit hat hier keinen wirklich gesellschaftlichen Sinn mehr außer dem, Wert aus fremder Arbeit zu importieren und seine Verwertung in der Geldzirkulation zu beschleunigen.

Das vorhandene Geld in dieser Gesellschaft will natürlich jeder haben und es gibt ja auch genug davon. Aber um Dienstleistung sicher zu stellen, dürfen die Dienstleister nicht wirklich reich werden. Wer würde sonst noch arbeiten? Geld ist genug vorhanden, wird aber zugleich durch Kostenminderung einseitig aufgehäuft, indem es den Bediensteten soweit wie möglich per Abgaben (z.B. Mieten, Steuer, Sozialgelder usw.) entzogen wird. Die arbeitenden Menschen stehen hier als massenhafte vereinzelte Einzelwesen nackt vor der Position des Kapitals: „Friß oder stirb“. Die Positionierung und Vermittlung eigener Macht ist sehr beschränkt, weil die Macht des Kapitals reine Weltmacht ist. Gewerkschaftliche Forderungen werden oft zur bloßen Camouflage. In ihrer Arbeit sind die Menschen als Mensch verlassen, wenn sie in ihren Verhältnissen sich nicht als Mensch anwesend machen können, wenn sie ihre Verlassenheit nicht dadurch befrieden, dass sie mit anderen menschlichen Umgang pflegen, sich als Mensch unter Menschen erleben.

Eine solche Gesellschaft erscheint den wirklichen Lebensverhältnissen der produzierenden Menschen vollständig enthoben und bietet sich selbst nur als Sphäre einer Konsumtion, welche von der Produktion ihrer Gegenstände völlig abgetrennt ist, eigene Konsumkultur darstellt. Immerhin kann sich als Konsument jeder Mensch wieder als Subjekt fühlen, was immer er auch erbringen muss, um konsumieren zu können. Aber es sind keine subjektiven Beziehungen zur Welt seiner Arbeit möglich, weil deren Zweck völlig abgetrennt von dieser Kultur ist. Subjektive Beziehungen gibt es daher vorwiegend in den zwischenmenschlichen Verhältnissen oder als zwischenmenschliche Verhältnisse bei der Arbeit - und die erscheinen wiederum frei von jeglicher Gesellschaftlichkeit, sind reine Privatform des Lebens als Lebensform individueller Selbstverwirklichung, als reines Erleben für sich.

Solche Kultur betreibt die Unterwerfung der Menschen unter die Maxime einer geschichtslosen Erlebnisformation, welche die Kultur des Kapitals mit sich bringt, weil sie Wert vermittelt, indem sie die Menschen entwertet. Kulturkonsum ist das Medium der Selbstaufwertung der Menschen in einer an sich selbst reflektierten Individualität, die sich aus der Einverleibung zwischenmenschlicher Lebensverhältnisse im Reiz des Selbsterlebens ergibt. In der kulturellen Idealisierung werden individuelle Selbstwertigkeiten zum Trieb gesellschaftlicher Selbstüberhebung, Selbstveredelung zu einer gesellschaftlichen Macht, die sich ganz allgemein zum Selbstgefühl der Menschen politisiert. Hierin steckt das Wesen der Reaktion. Die gesellschaftliche Lähmung und Blockade wird zum Material einer Selbstvergötterung.

Entleerte Kulturzusammenhänge idealisieren sich im Kult der Masse

Indem Kultur zum Mittel des Selbsterlebens, zum Medium der Befriedung einer tief empfundenen Verlassenheit geworden ist, vermittelt sich auch in den Kulturevents die Leere und Ohnmacht der Menschen, die in der Ungewissheit ihrer sinnlichen Verstrickungen nach Idealen und Idolen suchen, um sich Sinn zu machen, um zu verspüren, wofür man steht und lebt. In ihren existenziellen Verhältnissen gelten sie nichts, sind sie bloße Wertträger. Gesellschaftlich verfallen sie in die bloße Nichtigkeit eines unmöglich gewordenen Lebenszusammenhangs und suchen Auswege aus dem Vakuum eines Lebens, das sie nur noch als zwischenmenschliches Erleben kennen. Ihre Isolation scheint darin überwunden, wenn sich darin Selbstwert bildet, Selbstbestätigung erfahren wird und so die Minderwertigkeit des nichtig gesetzten Menschen aufgehoben erscheinen kann.

In der Idealisierung ihres Erlebens verdichten sie ihr Erleben zur Selbstbestärkung in ihren Selbstgefühlen, in welchen sich die Kehrseite ihrer existenziellen Erfahrungen auflädt. Kulturveranstaltungen werden zu einem Kult, zu einer eigenständigen Welt des Erlebens, worin das „Zu-kurz-gekommene“ zu einer überlebensgroßen Imagination wird, worin die Aufreizung und Selbstveredelung immer wieder neu inszeniert wird – immer wieder, weil sie für sich keine wirkliche Substanz hat. Musikkonzerte, Rockevents, Sportveranstaltungen oder Schlagerfestivals bewegen diese Kehrseite und befrieden eine an und für sich erregte Ohnmacht, die einer Welt entstammt, die im Kult beherrscht wird.

Kult gibt es nur durch Masse. Das Idol wird zum Träger einer ungeheueren Sehnsucht, die als ein massenhaftes Phänomen auch wirklich erlebbar wird. Aber in der Masse verändern sich die Menschen, die hierin zusammentreffen. Aus massenhaften Gefühlen wird ein Gefühl der Masse, in welchem der Verstand implodiert, Bewusstsein absurd wird, ein Rausch, der jede Gewissheit überwältigt, weil er als ein Rausch aus der Masse, aus der leeren Anhäufung von Körperlichkeit geladen ist. Das Massengefühl enthält daher übermächtige Gefühle, die eine Erregung enthalten, deren Ursprung verschüttet ist und die sich auch nicht immer nur zielgerichtet entladen, sondern auch oft gegen andere Menschen gehen, die alleine dadurch zu Gegnern werden, dass sie andere Verhältnisse oder Lebensformen verkörpern, z.B. andere Nationalitäten, andere Verhaltensweisen, andere Vereine oder auch nur irgendein anderes Zuhause. Die Masse ist nichts Eigenes und hat nichts Eigenes, auch keine wirkliche eigene Nationalität. Im Gegenteil: Um als Masse sich zu errichten, setzt sie nicht nur Eigentumslosigkeit voraus, sondern auch den Verlust von Eigenem. Die Masse ist ein Gemenge des Enteigneten. Sie enthält von daher auch den Trieb, sich in der Masse der Eigentumslosen als reine Körpergestalt zu bereichern, durch sie Körper - und damit auch körperliche Macht - zu erwerben, zumindest als Körpermacht zu erscheinen. Masse bietet nur das Material übermenschlichen Selbsterlebens.

Das ist alles und ziemlich schlicht. Aber es kann alles aufladen, was sich darin formalisieren lässt; es kann die Liebessehnsucht von Teenagern in Tränen für ihr Idol zerfließen lassen oder auch brutal sein, wenn es z.B. zu Rassismus und Nationalismus wird oder es kann Menschen politisch hörig machen, wenn ein Idol politisch agiert. Es kann dazu führen, dass sich in dem Übermenschlichkeitsrausch politische Inhalte einfinden, wenn sie von entsprechender „Begleitmusik“ im wahrsten Sinne des Wortes aufgerichtet werden und Ziele bekommen, die sich dem Verstand entzogen haben (ich denke da z.B. an die Nazi-Rocker).

Da wird es wirklich gefährlich für die Geschichte der Menschen, weil sich da politische Zielsetzungen aufladen, die durchaus um sich greifen können, alleine im Medium des Massenrauschs, in welchem das formalisiert ist, was ein „höheres Leben“ verspricht, und worin gerade das zerstört wird, was die Identitätskrise einer Gesellschaft aufheben könnte. Das gabs ja schon mal. Antikapitalismus hatte es von allen Seiten gegeben, sozialistsiche Projekte auch. Aber nur eine Seite hat sich dann wirklich massenhaft durchgesetzt, die Täuschung durch ein völlig abstruses Sozialismusversprechen: Der Nationalsozialismus. Darin war der Kult Methode und Kultur wurde zur Staatsform, zum Kulturstaat, zum Prinzip Herrenmensch.

Es entsteht im Massenrausch ein übermenschliches Selbstgefühl, das unüberwindbar ist, weil es alleine aus Massenpsyche besteht, in welcher die tausend Verlust- und Nichtigkeitserfahrungen aufgespeichert sind. Sie waren nicht begriffen worden, weil ihr Massenkult das Begreifen unnötig gemacht hatte. Das hat nichts mehr mit Ideologie zu tun; nichts mit einer idealisierten Idee. Das ist praktisches Erleben einer durch Masse pervertierten Abstraktion der Selbstveredelung, Wirklichkeit absoluten Selbsterlebens als ein ästhetischer Wille und von daher totalisierte Selbstbehauptung der Kraft der Vielen im Prinzip des Einen, dem ästhetischen Maßstab der Welt und ihrer Bewohner.

Es ist unübersehbar, dass sich auch heute wieder populistische Tendenzen breit machen, die Politik durch Gefühle begründen, und auch solche, die Gewalt mit Politik und Kultur verbinden und die sich auch in Massenbewegungen wie z.B. den Hooligans oder in rechten Veranstaltungen - und manchmal auch in linken - austoben. Man muss sich wieder damit beschäftigen, will man nicht von der Entwicklung überrascht werden. Deshalb muss auch eine Unklarheit in der linken Diskussion zwischen Ideologiekritik und Kulturkritik aufgelöst werden: Wie beziehen sich solche Massengefühle überhaupt auf kapitalistische Wirklichkeit?

Massenpsychologie und politische Kultur

Das in der Massenpsyche vorherrschende Phänomen ist eine sich darin freisetzende Gewalt, die sich fast schrankenlos gestaltet und zu einem regelrechten Vernichtungskoller ausarten kann, der Unterwerfung bis zur Vernichtung sucht, um die eigene Unterworfenheit zu eigener Macht zu wenden. Die Krisen des Kapitalismus werden immer totaler und in dieser Gesellschaft gibt es eine immer größere Menge Menschen, die aus der gesellschaftlichen Wirklichkeit ausgegrenzt werden und sich ihre Ohnmachtserfahrung totalisiert. Menschliches Leben findet aber immer in Gesellschaft statt und der von ihr ausgegrenzte, von allen gesellschaftlichen Beziehungen verlassene Mensch ist immer auf seinen menschlichen Ursprung verwiesen, wie auch seine Ausgrenzung nur durch gesellschaftliche Gewalt möglich ist. Ohne Bewusstsein über diese Macht befolgt er sie in ihrem Jenseits und ersehnt gesellschaftliche Lebensformen, die in der Vorstellung einer Gemeinschaft aufgehen, die sich „um jeden kümmert“, die ihn versorgt, wenn er sich ihr dafür auch unterwirft. Es ist die Vorstellung eine totalen gesellschaftlichen Macht, mit der sich der verlassene Mensch identifiziert. Gesellschaft ist jedoch nicht eine Gemeinschaft und ausgrenzen kann sie in Wahrheit niemanden, weil auch die Unterwerfung der Menschen ihrer Form entspringt, weil sie selbst gesellschaftlich Macht darstellt, die politische Macht einer realen Abstraktion, worin sich Menschen in einer ihnen fremden Lebensform und Lebensmacht aufeinander beziehen, sich in ihrer Beziehung als Mensch negieren, während sie sich durch sie erhalten müssen.

In der Sehnsucht nach eigener Ursprünglichkeit im gemeinschaftlichen Wesen einer heilen Welt suchen die Menschen sich eine Alternative, die ihnen in einem Gemeinschaftswesen, einer Volksgemeinschaft, Totalität übereignet, die abstrakter nicht sein kann und die daher alles nichtig setzt, was ihr nicht entspricht. Was nicht ihrer Art zukommt, gilt als unartig, stört das Nest, wird zum Nestbeschmutzer. Ein postuliertes Gemeinschaftswesen enthält daher schon immer ein Vernichtungsprinzip, das sich auch entsprechend mit Vernichtungswut aufladen kann. (3)

Die massenpsychologischen Phänomene einer kollektiven Ursprungssehnsucht schreckten schon seit Beginn des letzten Jahrhunderts die Kritikerinnen und Kritiker der bürgerlichen Gesellschaft auf, da sie antikapitalistische Kritik kassierten und in eine politischen Gewalt zu wenden verstanden, die sich aus der Gewalt unterworfener Menschen speiste und sich als Volksaufstand aufführte. Die bloße Ideologiekritik war hiergegen machtlos, setzte sie doch immer noch auf die Ideale der Aufklärung, also darauf, dass die Menschen sich gegen die Unvernunft des Kapitalismus aufrichten und ihren gesellschaftlichen Zusammenhang in einer „vernünftigen Gesellschaft“ begründen wollen, sich also lediglich von der „selbstverschuldeten Unmündigkeit“ (Immanuel Kant) emanzipieren und sich eine vernünftige Lebens- und Arbeitsform schaffen wollten als Menschen, die schon in ihrer Individualität sich auch unmittelbar gesellschaftlich begreifen. Im Pathos der Aufklärung erscheint die radikale Selbstverwirklichung als Emanzipation schlechthin, als Keimform gesellschaftlicher Verhältnisse, die sich hieraus ergeben sollen.

Doch dieses Selbstverständnis war als politische Kultur der aus sich selbst heraus freien Persönlichkeit auch schon die Grundlage der bürgerlichen Gesellschaft, ihre grundlegende Ideologie, die von der Unfreiheit der anderen lebt. Und hierin steckt das Problem: Wer wollte sie nicht, diese „freie Persönlichkeit“, die als Gleichnis des befreiten Menschen gilt, wer wollte nicht in der Verwirklichung des freien Individuums Gesellschaft gebildet sehen, eben als gebildete Gesellschaft, als allgemein menschliche Kultur, die schon durch sich selbst geklärt wäre? Wenn Menschen nicht als freie Persönlichkeit sich emanzipieren können, wie können sie dann ihr gesellschaftliches Leben frei gestalten? Woran ist das Konzept der bürgerliche Gesellschaft gescheitert? War es nur ihre Ökonomie, nur ihre Ideologie oder war es selbst ein Kulturproblem, das bisher nicht aufgelöst wurde, das bisher überhaupt nur als Vorstellung einer definierten und sich auch definierenden Gesellschaft bestand, als Diktatur der Definition?

Schein und Sein

Politik kann Geld nicht beherrschen, denn Geld beherrscht die Politik, bevor sie überhaupt zur Entscheidung ansteht. Deshalb herrscht hier immer noch die repräsentative Politik, und die muss repräsentieren, was präsent ist, ohne einen politischen Zusammenhang umzusetzen und ohne die politischen Interessen zu vertreten, die in der konkreten Lebenswelt der Bevölkerung entstehen. Repräsentative Demokratie besteht aus einer sogenannten Parteindemokratie, in welcher bestimmte Meinungstendenzen zur Wahl gestellt werden. Praktisch begründet sie sich aus einem Kreuz im Vierjahreszyklus, das neben eine der Meinungstendenzen der politischen Parteien oder Personen anzubringen ist.

Diese Tendenzen bestehen aus Entwicklungsvorstellungen, die sie fokusieren, aus Ideologien, die jeweils für sich eine mögliche Vorstellung zur Entscheidungsfindung enthalten. Und sie implizieren, dass ihre Grundlage nur repräsentierbar ist, also nicht wirklich über sie entschieden werden kann. An diese Grundlagen muss man glauben, um überhaupt wählen zu können. Wer z.B. nicht an das Wertwachstum glaubt, der wird nichts wählen können, was aus ihm hervorgeht. Und wer Wirtschaftswachstum, also die Fortentwicklung des menschlichen Lebensstandards will, dem wird nur das Hüh und Hot des Wertwachstums zur Wahl geboten. Durch die Vermengung mit Gefühlen werden Ideologien erst zu populistischen Standards, wie sie auch über die Boulevard-Presse vermittelt werden. Erst durch diese können sie überhaupt etwas repräsentieren, was für sich leere Phrase bliebe. Und hierdurch werden sie wahlentscheidend. (4)

Für den Populismus der Parteien sind Massengefühle tragend, weil sich damit überhaupt Ideologie transportieren lässt. Aber die Ideologie kann vollkommen im Gegensatz zu diesen Gefühlen stehen, besonders wenn sie auch ästhetisch verbrämt werden. Man kann das gut an der Propaganda der Nazis in der Produktion von Massengefühlen, besonders in den Nazifilmen von Leni Riefenstahl studieren. Dort ist die Ideologie, die sie transportieren, fast nicht mehr erkennbar. Das macht die Kunst der Riefenstahl aus. Ihr Hauptwerk, der „Triumph des Willens“, ist ein beispielloses Epos der Machtinstallation, das praktisch nur über ästhetische Bravour getragen wird. Um zur Diskussion solcher Gefühle den Ideologietransport zu untersuchen, will ich erst mal Ideologie für sich besprechen, um dann darauf zu kommen, wie ihre Kultivation zu Gefühlen verläuft.

Was ist Ideologie?

Ideologie ist die Logik einer Idee, die der Wirklichkeit entnommen wird. Für sich ist solche Idee nicht einfach ein Fehler, nur besagt sie für sich auch nichts, ist bloßer Schein, in welchem sich die wirklichen Verhältnisse spiegeln, sich darin idealisieren. Einigkeit und Recht und Freiheit sind Vorstellung über ein trautes Zuhause, worin noch nicht behauptet ist, dass es dieses auch wirklich gibt. Erst als Maß für die Wirklichkeit werden Ideen zur Ideologie, zur Vorstellung eines Ziels, einer Tendenz, wonach die gegenwärtigen Ereignisse auch wahrgenommen und politisch entschieden werden, soweit sie nicht schon unmittelbar sachlich entschieden sind. Aber als Vorstellung sind sie nicht sachlich, unterstellen also, dass die Sache nur durch Vorstellungen zu behandeln ist. Von daher sind Ideologien schon selbst von der Wirklichkeit getrennt und verfolgen ein Ziel, das als Ideal gegen diese gerichtet ist.

Ideologie ist im engeren Wortsinn das Prinzip einer Idee, also der Systemzusammenhang einer Idealisierung. Sie ist von daher völlig unstofflich und setzt eine Gedankenabstraktion voraus, welche einen Verhalt - die Erscheinung eines Verhältnisses - idealisiert hat und von daher das Verhalten einer Interpretation ist, die als Zielbestimmung desselben hergenommen wird. Ideologie bestimmt daher die Interpretation eines Verhältnisses zum Verhalten einer Idee, die für sich nichts sein könnte, wäre sie nicht das Ideal eines wirklichen Verhältnisses. Von daher hat sie eine ideelle Abstraktion wahr, aber eben nur als die Wahrheit einer Abstraktion im Gedanken. Als Ideal wirklicher Verhältnisse wäre sie eine Realabstraktion, aber als Gedankenabstraktion spiegelt sie diese als überwundene Realität, als eine Vorstellung, in welcher die Realabstraktion schon überwunden erscheint.

Was soll z.B. Freiheit an sich sein, wenn sie nicht eine bestimmte Befreiuung bezeichnet. Beliebigkeit? Was macht die Gleichheit der Menschen aus, die doch aus so unterschiedlichen Lebensbedingungen heraus Mensch sind. Ist es lediglich ihr Dasein als solches, in dem sie auch gleich geschaltet werden sollen? Und Brüderlichkeit: Was kann das sein, wo nur durch Konkurrenz ihre Existenz gesichert werden kann? (5)

In ihrem gemeinsamen Werk zur deutschen Ideologie hatten Marx und Engels Ideologie als einen falschen Denkansatz im Selbstverständnis politischer Haltungen dargestellt. Darin wurden besonders die Haltungen der Frühsozialisten - der „Heiligen Familie“ des guten Glaubens - aufs Korn genommen und als Vorstellungen herausgearbeitet, welche die Legitimation der bürgerlichen Gesellschaft, die zu kritisieren sie vorgaben, in höchstem Maße bestärkten. Ideologien waren demnach falsche gedankliche Positionen, falsch, weil sie ihrem eigenen Anspruch widersprachen. Aber falsch auch im Denken selbst, weil Ideologie sich nicht aus einem Gegenstand heraus begründet und diesen herausarbeitet, sondern ihm lediglich Vorstellungen hinzufügt. Engels schrieb hierzu:

„Die Ideologie ist ein Prozess, der zwar mit Bewusstsein vom so genannten Denker vollzogen wird, aber mit einem falschen Bewusstsein. ... Weil es ein Denkprozess ist, leitet er seinen Inhalt wie seine Form aus dem reinen Denken ab, entweder seinem eignen oder dem seiner Vorgänger. Er arbeitet mit bloßem Gedankenmaterial, das er unbesehen als durchs Denken erzeugt hinnimmt und sonst nicht weiter auf einen entfernteren, vom Denken unabhängigen Ursprung untersucht, und zwar ist ihm dies selbstverständlich, da ihm alles Handeln, weil durchs Denken vermittelt, auch in letzter Instanz im Denken begründet erscheint.“ (Friedrich Engels, MEW 39, S. 97)

Von daher war Ideologie noch die verselbständigte Vorstellung, die im Himmel des Bürgertums aufblühte und ihr politische Handeln bestimmen sollte, In der Arbeiterbewegung sprach man auch lange Zeit von einen politischen Überbau, der sich in der bürgerlichen Demokratie, in der Parteiendemokratie darstelle und der zugleich so etwas wie eine ideologische Negativform der bürgerlichen Verhältnisse sei, ein Widerschein der Verhältnisse, in welchem sie anders begriffen wurden, als sie waren – eben um deren eigentlichen Zweck zu vertuschen, über ihn hinwegzutäuschen. Die bürgerlichen Ideale sollten die Realität in einem positiven Schein verklären, um die reale Ausbeutung der Menschen der Kritik zu entziehen, sie also zu legitimieren. Für die Arbeiterbewegung war Ideologie bloße Lüge und schon durch den Kampf der Arbeiterinnen und Arbeiter für ihre Klasseninteressen gegen ihren Klassenfeind aufgelöst.

Doch die Arbeiterbewegung, welche ihrem Klassenfeind falsches Denken vorwarf, hatte selbst einen entscheidenden Fehler in ihrem Selbstverständnis: Sie zielte auf eine Welt der Arbeit, worin die Arbeiter und Arbeiterinnen endlich wirklich einig, gleich und frei sind, weil sie die Wahrheit der Verhältnisse seien, weil sie die Verhältnisse produzieren. Die Arbeiterbewegung kehrte die bürgerliche Ideologie vom Menschsein in eine Ideologie der Arbeit, nach welcher lediglich die „Müßiggänger“ und „Geldhaie“ abgeschafft werden müssten, um eine einträchtige Gemeinschaft als „Diktatur des Proletariats“ zu stiften. Hiergegen hatte sich der alte Marx noch heftig aufgebäumt und mit seiner Kritik des Gothaer Programms sich gegen dessen Urheber Ferdinand Lassalle gewandt. Der jedoch konnte sich bei der Gründung der Arbeiterpartei durchsetzen (auch, weil Engels die ihm anvertraute Kritik von Marx nicht weitergab) und eine Gesellschaft der Arbeit als ihr ideologisches Ziel in den Statuten der SPD festmachen. Es war der furchtbarste Fehler in der Geschichte des Marxismus, der Fehler einer verkehrten Verkehrung, der auch in die Arbeiterbewegung der Weimarer Zeit und die Deutsche Arbeiterpartei bis in die NSDAP hinein eingegriffen und sich in die Sowjetrepublik und den chinesischen Kommunismus fortgesetzt hatte. Ideologiekritik war selbst zur Ideologie de Arbeit verkommen, zu einer absoluten Ideologie, zu einer „ewigen Wahrheit des Marxismus-Leninismus“.

Karl Marx verstand Ideologie als eine Gedankenabstraktion von dem, was in der Sache selbst schon abstrakt bestimmt ist, verstand sie als geistige Form einer Verkehrung, wie sie durch die Wirklichkeit eines verkehrten gesellschaftlichen Verhältnisses schon gegeben ist, solange über dessen wesentlichen Fehler kein Bewusstsein gebildet ist.

„Auch die Nebelbildungen im Gehirn der Menschen sind notwendige Sublimate ihres materiellen, empirisch konstatierbaren und an materielle Voraussetzungen geknüpften Lebensprozesses. Die Moral, Religion, Metaphysik und sonstige Ideologie und die ihnen entsprechenden Bewußtseinsformen behalten hiermit nicht länger den Schein der Selbständigkeit. Sie haben keine Geschichte, sie haben keine Entwicklung, sondern die ihre materielle Produktion und ihren materiellen Verkehr entwickelnden Menschen ändern mit dieser ihrer Wirklichkeit auch ihr Denken und die Produkte ihres Denkens. Nicht das Bewußtsein bestimmt das Leben, sondern das Leben bestimmt das Bewusstsein.“(Marx-Engels-Werke Bd.3, S. 27)

Dieser Text ist oft falsch dahingehend verstanden worden, als ob Marx Bewusstsein lediglich als Reflex aufgefasst habe. Aber Bestimmung ist keine Reflexion, sondern der Inhalt und Grund. Marx sagt in dem Zitat, dass die Menschen sich mit ihrem Sein verändern, dass eine eigenständige Vorstellung hiergegen nichtig ist, dass die Veränderung ihrer Sachwelt auch Selbstveränderung der Menschen ist, dass die Aufhebung ihrer sachlichen Widersprüche zugleich Aufhebung der Widersprüche des Denkens sind – nicht, wie Adorno dies zu verstehen gab, als ein und das Selbe, als wirklich seiende Denkform, sondern als Bewustseinsform ihre Seins. Kritik ist daher selbst subjektiv wie objektiv gefasst als geschichtliches Verhalten, als praktischer Aufhebungsakt der Widersprüche der bürgerlichen Gesellschaft. Sie hat keinen von ihrer Welt unterschiednen Inhalt. (6

Ideologie wäre nicht erfolgreich, wenn sie nur verkehrtes Denken wäre, wenn sie nicht von irgendwem erwünscht ist und befolgt wird, wenn also ihre Tendenz nicht auch gewollt wäre. Natürlich hat die Klasse, welche in einer Gesellschaft herrschen kann, auch das Interesse, ihre Herrschaft zu sichern und entsprechende Vorstellungen auszubreiten. Die Frage ist nur, warum man ihr das auch glaubt, warum ihre Vorstellungen zu Glaubensinhalte der Bevölkerung werden können, warum sie tatsächlich den weitaus größeren Teil der Menschen auch geistig beherrschen. Liegt das nur an mangelndem Wissen, an mangelnder Aufklärung – oder daran, dass die Medien der Aufklärung den Herrschenden gehören und sie damit Volksverdummung betreiben? Oder liegt es vielleicht daran, dass die Menschen sich selbst was vormachen wollen, um ihre Verhältnisse überhaupt auszuhalten? An dieser Frage ist die Ideologiekritik an ihre Grenzen gestoßen.

Gerade angesichts der Propaganda-Maschinerie des Faschismus schien es nahe liegend, die Macht der faschistischen Staatskultur auch in einer Macht der Kulturindustrie fortgesetzt zu sehen. Theodor W. Adorno entwarf eine Theorie des Verblendungszusammenhangs der bürgerlichen Gesellschaft, der sich über ihre Denkformen selbst verdichten würde. Die Menschen seien nicht in der Lage, Abstraktionen überhaupt zu denken, weil Abstraktionen selbst undenkbar seien. Abstrakte Lebensverhältnisse seien daher selbst auch abstrakte Denkform und ihre Widersprüchlichkeit unmittelbar identisch mit der Widersprüchlichkeit des Denkens selbst. Weil die Wertformen in ihrer Abstraktion nicht denkbar seien, würden sich die Menschen ihnen beugen und sie reproduzieren, sich im Denken selbst „verdinglichen“, wie er das nannte. Nicht die Verkehrungen der gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen zu einer gesellschaftlichen Beziehung ihrer Sachen, wie sie von Marx als Formverwandlungen der Wirklichkeit nachgewiesen wurde, waren Adornos Gegenstand, sondern das in sich verkehrte Denken, das sich am Undenkbaren der abstrakten Beziehungen selbst zum Totalitarismus treiben und Undenkbares betreiben würde. Seine Ideologiekritik wollte unmittelbar als Kulturkritik Gedankenlosigkeit als Produkt einer Verdummungsmacht begreifen, die sich im Fetischismus der Verdinglichung in den Menschen auch psychisch fixiere.

Das allerdings kehrte seine philosophisch gemeinte Kulturkritik schnell zu einer psychologisch begründeten Philosophie: Ähnlich wie schon Nietzsche sah er keine weltliche Auflösung der Widersprüche der bürgerlichen Gesellschaft, sondern ihre Aufhebung nur in der Lebensform der Kultursphären selbst, besonders der Kunst und Ästhetik. In der praktischen Negation der Denkform durch seine „Negative Dialektik“ sollte die Wahrnehmung des verwundeten Lebens hervorgekehrt werden, sein Leiden der Empfindung überhaupt erst zugänglich werden - ähnlich wie in einer psychoanalytischen Katharsis. Von daher wandte sich seine Theorie selbst in die Ursprünglichkeit der Empfindung, in die Wahrnehmung des beschädigten Lebens, und wollte darin das Undenkbare zur wahren Empfindung als Empfindung der Wahrheit aufbrechen. Das falsche Leben müsse sich in einem richtigen aufheben, sich selbst als anderes finden. Damit wäre die Sensibilisierung selbst das Medium einer reinen Ästhetik, und wurde von ihm tatsächlich auch wieder zu klassischer Ästhetik entwickelt.

Doch Kultur ist denkbar und Verblendung wird nicht unbedingt kulturindustriell angestiftet. Sie vollzieht sich in der Selbsttäuschung, welcher die Menschen in ihrer Vereinzelung unterliegen, um in ihrer Getrenntheit von menschlicher Wirklichkeit und Gesellschaft zu überleben. Indem sie ihre Kultur in ihren zwischenmenschlichen Beziehungen idealisieren, indem sie ihre Liebe als Hochform ihrer Gefühle abfeiern, ihr Geschlecht als Hochform ihres Körpers erleben, die Befriedigung ihrer Bedürfnisse als Hochform einer Einverleibung wahrnehmen, überantworten sie sich der abstrakten Sinnesform ihrer Selbstbezogenheit, existieren sie als bloße Kulturkonsumenten. Hochkultur wird so zum Medium einer Avantgarde, die sich in alle Lebensbereiche einbringt, indem sie alle gleichsetzt und sich als Prominenz der gleichgeschalteten Kultur unter die Leute mischen kann. Das Medium betreibt auf diese Weise selbst eine Idealisierung, die ohne Ideologie auskommt.

Ideologie oder Kultivierung des Ideals?

Was noch in der Ideologieproduktion als himmlische Vorstellungen die Wirklichkeit umnebelte und die Sicht auf die wirklichen Verhältnisse verstellte, verwirklicht sich heute als Notwendigkeit, Sinn für sich zu finden. Von daher ist Ideologiekritik zwar immer noch nötig, um Sprache zu klären, z.B. um der "freien Persönlichkeit" vorzuhalten, dass sie nicht frei sein kann, wenn sie von der Ausbeutung der anderen lebt, davon abhängig ist; oder um die Gleichsetzung von Wirtschaftswachstum mit Wertwachstum zu kritisieren; oder um von den angeblich „ewigen“ Notwendigkeiten der Demografie und Arbeitswelt auf konkrete Interessen zu verweisen, die sprachlich idealisiert werden. Aber sie verbleibt bei relativ theoretischen Erkenntnissen, wenn sie kein praktisches Subjekt wach machen kann, in kein praktisches Bewusstsein übergehen kann. Im Streit um das Bestehende wird der Gegner lediglich als Monster aufgebaut, zur Superideologie des Bösen, das endlich auszurotten wäre. Das mag dem Selbstgefühl der Kritik schmeicheln. Aber im Moralismus des Guten schwindet jede Möglichkeit einer wirklichen Veränderung, bliebt sie doch einfach nur Selbstbehauptung und Edelmut. Wer will schon gerne begreifen, dass er selbst an anderer Stelle nicht anders wäre, dass das Problem das seines einzigen Überlebensmittel selbst ist: Geld. Der Neid auf das Bestehende führt immer in es selbst zurück, idealisiert selbst, was er bestreitet. In vielerlei Beziehung ist Ideologiekritik obsolet geworden und endet in einem Schulterzucken, wenn sie nicht mehr die wirklichen Lebensgrundlagen erkennen kann, worin die Gegebenheiten entstehen.

Es herrscht hier die Kultur einer Zwischenmenschlichkeit, in welcher sich die Menschen als Einzelwesen erleben, als Mensch unter Menschen, die keinen Gegenstand mehr haben außer sich selbst. Das hat nichts mehr mit Ideologie zu tun, denn es handelt sich hier nicht um eine Vorstellung, sondern um eine eigene Substanz, um einen Sinn, der nur abstrakt zwischen den Menschen in Beziehung steht, ohne sich in ihren Bedürfnissen auch zu gestalten, ohne gesellschaftlich bewirtschaftet zu werden. Das Individuum scheint hier eine allseitige Beziehung zu leben, weil es sich aus einem allseitigen Verhältnis begründet: auf Geld. Geld ist die Lebensgrundlage einer bürgerlichen Kultur, die ihre Krisen um so mehr durch Erlebnisproduktion auffüllen muss, wie sich ihr Geldbesitz entwertet. In der Kultur spielt sich die Krise als Entwirklichung zwischenmenschlicher Beziehungen ab. Das beweist immerhin, dass diese Kulturform nicht einfach auf der „Entfaltung der freien Persönlichkeit“ gründet, sondern tatsächlich Gesellschaftsform ist. Wird darin die Entgegenwärtigung menschlicher Lebensverhältnisse aufgespürt, so wird darin auch ein Sinn für die eigene Gesellschaft frei gemacht.

Gesellschaft ist nicht die Gemeinschaft von Individuen, sondern ihre wesentliche Beziehung selbst. Sie ist nicht die Aufsummierung von Menschen, die darin nur eine Menge darstellen. Im Gegenteil: Gesellschaft ist ihre wirkliche Allgemeinheit, in welcher sie unmittelbar auch ihr Leben gestalten als Zusammenwirken der Menschen, als menschliche Wirklichkeit. Wenn man sich Gesellschaft nur als äußere Form vorstellt, die sich über die Individuen stellt, verharrt man zwangsläufig in der Form der bürgerlichen Gesellschaft, welche die Individuen als einzelne unabhängige Persönlichkeiten bestimmt.

Es ist vielleicht noch schwer, sich Gesellschaft auch anders vorzustellen. Das Problem liegt darin, dass sie sich beständig neu gestaltet, dass die Menschen nicht nur sich, sondern eine ganze Geschichte nachvollziehen und vollziehen, dass sie die Geschichte ihrer Lebensproduktion, ihrer Produktionsmittel und Lebensmittel als Kulturgut schon haben und fortentwickeln. Sie werden nicht in die Beliebigkeit freier Entfaltungsmöglichkeiten hineingeboren und können auch schon von Geburt an nicht beliebig sein, nicht als freie Individualität sich begründen und gleiche Perspektiven wie jeder Mensch auf dieser Welt haben. Sie kommen auf die Welt, wo sie geboren werden, und erfahren hier die primären Grundlagen und Bedingungen ihres Lebens. Sie werden schon bei ihrer Geburt von ihrer Gesellschaft gebettet und auch bestimmt durch den Entwicklungsstand ihrs Lebensstandards. Ihre gesellschaftliche Wirklichkeit erscheint ihnen erst mal als ihr „Schicksal“, bis sie sich schließlich selbst dazu verhalten und erkennen, dass es das Geschick der widersprüchlichen Beziehungen einer Abstraktionsmacht ist, die sie bestimmt. Gesellschaft kann man also nicht erfinden, man kann aber ihre Formbestimmungen begreifen und die Bedingungen entdecken, unter der die Individuen sich konkret gesellschaftlich verhalten können, ihre Auseinandersetzungen sich nicht unaufgelöst als unendlicher Klassenkampf aufzehren müssen, nicht in ihrer Besitzlosigkeit durch die Besitzer ihrer Lebensbedingungen schon aufgehoben sind. Solange die gesellschaftliche Form jeden Inhalt bestimmt, wird es nur ihr unterworfene Menschen geben können. Um sich individuell wie gesellschaftlich zu verwirklichen müssen sie streitbar existieren können, so dass ihr Streit auch in die Geschichte eingehen, in ihrer Lebensproduktion auch gesellschaftliche Geschichte werden kann.

Die Kritik der politischen Kultur ist die Kritik einer Gesellschaftsform, in welcher die wirtschaftlichen und kulturellen Formationen die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen schon politisch bestimmen, bevor diese überhaupt wahr werden können. Die Formation des Privateigentums kassiert jede gesellschaftliche Entwicklung und bestimmt, was sie dem bringt, der sie schon besitzt. Die Formation des Selbsterlebens beruht auf der Einverleibung zwischenmenschlicher Beziehungen und bestimmt, was Kultur sein soll durch den, der sich in ihr schon verwirklicht sieht.

Die Kritik der politischen Kultur ist so praktisch und nötig wie die Kritik der politischen Ökonomie. Während diese sich formatiert durch repräsentativen Parlamentarismus, Ideologie und Staatsgewalt, betreibt die politische Kultur ihre Formbestimmung durch Tittytainment, Eventkultur und Kulturstaatlichkeit (sittliche Gewalt über Religion, Patriarchat, Familienpolitik). Um gegen sie anzugehen, muss man auch hiergegen arbeiten.

Es muss das praktische Problem der Menschen begriffen sein, warum und wiefern sie die Möglichkeit ihrer Emanzipation, wie sie durch den Stand der Technik und des Reichtums gegeben ist, aufgeben und sich einem Allgemeingefühl, einer Hochkultur, einem Kulturstaat unterwerfen, nur um sich ihrer bornierten Existenz als reine Wertträger zu versichern, als die sie niemals sich ihrer selbst sicher sein können, sich eher sicher sein können, dass der Wert ihnen in zunehmendem Ausmaß ihre Lebensgrundlagen zerstören wird.

Wolfram Pfreundschuh

Siehe zu diesem Thema auch Emanuel Kapfiner 2006: "Masse und Machtgefühl"
und Wolfram Pfreundschuh: "Die Massenkultur und ihre Eliten (2006/07)"

Fußnoten:

(1) Auch der Bundestagspräsident wusste die hohen Gefühle des hohen Hauses noch dadurch zu steigern, dass er die Wahl des neuen Bundespräsidenten wie ein Sportreporter moderierte. Dritter Wahlgang, kennen wir: Das ist dann das Elfmeterschießen. Und schließlich entlässt er die mit ihrem Wunschpräsidenten beglückte Politik-Szene mit dem großartigen Hinweis, dass jetzt nur noch ein gutes Ende im Viertelfinale fällig ist, um das Glück der Deutschen perfekt zu machen. Ei wie lustig, ei wie spannend. Tralala die Post geht ab! Da kann man auch mal so ganz nebenbei eine „Gesundheitsreform“ durchwinken, die lediglich eine Abzocke ist. Merkt vielleicht doch keiner. Ach hätten "wir" doch nur gegen Spanien gesiegt!

(2) Und da wird die Wahl des neuen Bundespräsident brisant: Nicht die altehrwürdige Vergangenheit eines anerkannten Humanisten kann da weiterhelfen, sondern ein gefühliger Polit-Mensch, dessen Lieblingslektüre „Der kleine Prinz“ ist, und der in der Lage ist, es jedem Recht zu machen, auch wenn er das Gegenteil betreibt: Ein Weichspüler mit hintan gehaltener Konsequenz der Sachlogik, die dann auch einfach durchgesetzt werden muss, - weil muss, das muss. Er war Merkels Wunschkandidat, weil er nicht mehr allgemein als Persönlichkeit des öffentlichen Lebens fungiert, wie etwa Gauck, der von der Bevölkerung favorisiert war, sondern weil er für ihre Politik auch die kulturpolitische Unterlagen mitbringt, durch welche ihre politischen Notwendigkeiten noch ohne großen Bruch mit der Geschichte umgesetzt werden können. Eben weil er Sachzwang hervorragend vertreten und sogar anpreisen und aufpreisen kann.

Dringend nötig hierfür ist die Beanspruchung staatspolitischer Werte um die Forderungen des Staates an die Bürger zu legitimieren. Also sprach sich Wulff auch als erstes gegen ein angebliches Anspruchsdenken der Deutschen aus, illustrierte die Bedrohung der Altersversorgung mit dem so genannten demografischen Faktor, um Rentenkürzungen vorzubereiten und sah die so genannte Integration der Ausländer als seine inständigste Aufgabe, die Aufforstung der deutschen Leitkultur zur Anpassung der noch vorhandenen Arbeiterklasse in Deutschland. Es geht also mit dem neuen Präsidenten um eine kulturpolitische Unterlegung der Staatsräson. Und das ist der eigentliche Ermächtigungsprozess, der sich jetzt abgespielt hat. Und in dieser Richtung wird sich alles Weitere ergeben. Es hat sich tatsächlich etwas Neues ergeben, was in der allgemeinen Gefühligkeit durchgesetzt worden ist.

Die Präsidentschaftswahl brachte zumindest auf den Bühnen der politischen Kultur im Einklang mit einer Fußballweltmeisterschaft Bewegung in das triste Einerlei einer stagnierenden Gesellschaft, die nicht mal mehr ihre eigene Reproduktion adäquat zu finanzieren weiß, dafür aber alles abverlangt, damit für die Exporte, die alleine Kapital einbringen, möglichst billig gearbeitet wird. Das Auf und Ab der Nöte, Ängste und Ärgernisse, der Niedergang des gewohnten Lebensstandards sollte sich wenden in große Perspektiven. Wenn das nun mal keine gelungene Veranstaltung ist, eine Vorstellung der Vorstellungen, wie alles wieder zum Guten kommen soll!

(3) Es hatte schon 1920 Sigmund Freud erschreckt, als er bei Analysen im Verlauf des ersten Weltkriegs eine darin virulente Vernichtungswut erkannte. Er konnte sich diese nicht mehr mit seinem Lustprinzip erklären, das auf eine lebensbejahende Triebbefriedigung zielte, und musste diesem in seinem Aufsatz „Jenseits des Lustprinzips“ einen Todestrieb entgegenstellen, der den Untergang von Leben zum Ziel hatte. Wilhelm Reich hatte 1933 in seinem Buch „Massenpsychologe des Faschismus“ die Überantwortung der eigenen Belange an den Staat als die Formation einer Massenführerschaft als Ausdruck einer Aufhäufung masochistischer Bedürfnisse der autoritätshörigen Charaktere beschrieben. Er nannte es die „emotionale Pest“, einen Hass auf alles Lebendige, der sich aus den Selbsterhaltungsfunktionen von in sich gepanzerten Charakteren ergebe und perpetuiere.

Aber solche Erkenntnisse reduzierten sich auf Beobachtungen an den Individuen und stellten keinen psychischen Zusammenhang einer Gesellschaft her, fügten diesen bestenfalls soziologisch hinzu. Um diesen Zusammenhang kann es einer Individualpsychologie eben auch nicht gehen. Sie behauptet Prinzipien, die in den einzelnen Menschen vorliegen würden und sich in der Masse lediglich aufsummieren, z.B. Triebe oder Lustprinzipien oder Hormone usw. Doch genau das ist die Frage, deren Beantwortung eigentlich noch aussteht: Gibt es eine Massenpsyche, die sich von der sozialen und ökonomischen Wirklichkeit abheben kann, so dass sich hieraus erklären ließ, was die Vernichtungswut der Menschen bis zum Lynchmord und zur staatsverwalteten Tötungsmaschinerie wie Auschwitz treibt? Adorno hat sich der Fragestellung entzogen, indem er von einem Undenkbaren sprach, dem man im Denken nicht entsprechen kann und auch nicht darf, weil man sich damit selbst in das Undenkbare, das totale Vernichtungsinteresse einlasse und auch in der Reflexion es nur vermenschlichen könne. Doch wer es nicht denken will, wird immer nur vor einem Unmensch stehen bleiben, der er als Mensch nicht denken kann, wird vor ihm erzittern, weil er ihm fremd bleibt, und sich ihm immer wieder auch beugen müssen, sobald dieser die Mittel seiner Macht erworben hat. Nein: Faschismus muss bis in seine letzte Faser hinein gedacht werden, also auch immer wieder denkbar sein.

(4) In der Parteiendemokratie standen schon immer nur die unterschiedlichen Tendenzen zur Wahl, die sich auch in den Ideologien der bürgerlichen Gesellschaft wieder finden: Unionsparteien (CDU/CSU), Gleichheitspartei (SPD) und Freiheitspartei (FDP). Solange die bürgerliche Gesellschaft noch als solche funktionierte, konnte auf dieser Grundlage eine jeweilige Tendenz per Wahl je nach aktueller Problemlage bevorzugt werden.

(5) Und außerdem widersprechen sich auch die bürgerlichen Ideologien selbst: Freiheit widerspricht schon der Idee nach der Gleichheit und kann ebenso jede Solidarität aufheben, wenn sie als individuelle Beliebigkeit der freien Persönlichkeit verfasst wird. Ideologien sich Gedankenabstraktionen, die für sich wenig besagen, aber in der politischen Entscheidung viel bewirken können, wenn sie durch Emotionalisierungen gut bebildert werden. Die Auseinandersetzung hierüber hat daher auch schon Geschichte. Und die beginnt mir dem reinen Denken, dem philosophischen Gedanken.

(6) Die Menschen vergleichen in der bürgerlichen Gesellschaft ihr Leben tatsächlich, setzen es tatsächlich gleich, wenn sie im Warentausch ihre unterschiedlichen Produkte aus ihren gegensinnigen Lebensbedingungen heraus tauschen müssen. Und sie sind tatsächlich frei und einig, wenn sie Waren besitzen, besonders, wenn sie Geld besitzen. Einigkeit und Recht und Freiheit sind die Ideologien der bürgerlichen Gesellschaft, wie sie schon im Warentausch als realer Schein ihrer Verhältnisse angelegt sind, notwendiger Schein einer Gesellschaft, worin die Produkte von ihren Produzenten getrennt existieren. Als Ideologien sind sie aber verselbständigt, selbständige Ideen, die den Realitäten dieser Gesellschaft himmlische Ziele beigeben, ihre Mängel durch Idealitäten auflösen sollen, die ihnen höheren Sinn verleihen, weil sie versprechen, zu einer höheren Entwicklungsstufe des gesellschaftlichen Lebens zu geleiten. Reales wird daran bemessen, was es für diese Idealität ist und soweit sich die Idee im Faktischen bestätigen lässt, belegt sich auf dem Weg zu ihrer reinen Verwirklichung auch die Möglichkeit ihres Seins. Ideologie ist von daher immer eine Teleologie, die Logik einer Zielvorstellung die als Idee formuliert ist, welche die Entwicklung der Märkte idealisiert hat, dazu verhilft, dass sich die Menschen ihnen unterwerfen, z.B. Wertwachstum als höchstes Ziel ihrer politischen Entscheidungen ansehen, weil Kapital ihnen als einzige Möglichkeit erscheint, die Probleme ihrer Krisen zu beheben, der Verursacher also selbst als ihr Retter gelten kann.

Zweck der Ideologiekritik ist, das ideologisch beherrschte bzw. verschleierte Verhältnis in seiner Wirklichkeit aufzuklären, also darüber aufzuklären, was die Wirklichkeit in Wahrheit ist, was sie also ist, wenn sie aus ihrer verkehrten Gestalt befreit ist. Von da her kann Ideologiekritik nur darin sich verwirklichen, dass sie zur Kritik verkehrter Verhältnisse wird, dass sie also in der wissenschaftlichen Erklärung einer verkehrten Welt aufgeht und deren Form als Herrschaftsform einer dem Menschen fremden Macht bestimmt erkennt. Durch diese Erkenntnis wird die Überwindung ihrer Formbestimmung durch die Befreiung ihres wirklichen Inhalts auch erst praktisch möglich.

Doch in Wirklichkeit steht Ideologie nicht für sich und auch nicht die Wirklichkeit, auf die sie sich bezieht. Wäre Ideologie nur so etwas wie blauer Dunst, so wäre Ideologiekritik auch nur Aufklärung durch besseres Wissen und Wirklichkeit wäre einfache Wirkung, also nicht auch selbst unwirklich, nicht selbst abstrakt bestimmt. Das Verkehrte ist nicht einfach nur verkehrt, sondern selbst schon in der Verkehrung auch verkehrtes Bewusstsein, das sich selbst aus seiner theoretischen Objektivität zu einer menschlichen Positionierung erst selbst bilden, wirklich subjektiv werden muss, um seine Objektivität zu begreifen, sich also selbst auch von entfremdeter Wissensbildung emanzipieren muss. So einfach ist das also nicht.