Wolfram Pfreundschuh (07. 06. 2016)

Im Folgenden ist die Einleitung des gleichnamigen Buches, das Ende August 2016 erscheint, als Leseprobe veröffentlicht.

(==> Verlagsinformationen hierzu <==)

Skizzen zur politischen Kultur des Kapitals

"Hegel bemerkte irgendwo, dass alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce." (MEW 8, S. 115)

Hatten wir das nicht schon mal? Die "goldenen Jahre" und dann der Absturz? Den Überfluss auf der einen Seite und Elend auf der anderen? Eine Edelwelt der Kultureliten und die Sprachlosigkeit der Geisteswissenschaften? Die Ohnmacht der Bevölkerung und den Zynismus der politischen Klasse? Wenn man etwas eigentlich schon gut kennt und dann so tut, als sei das alles ganz neu und unerwartet, so ist das in der Tat eine Farce.

Weder ist die Phase des Kulturkonsums in einer kulturellen Erlebens- und Konsumgesellschaft neu, noch ihre Kluft zur Armut, die sich mit ihrer Entfaltung vertieft. In der Zeit zwischen der Einführung der Rentenmark (15.10.1923) nach einer Hyperinflation und dem Zusammenbruch der Börse am "Schwarzen Freitag" (25.10.1929), in den "Goldenen Zwanzigern" war der Kulturoptimismus in voller Blüte und stand in krassem Gegensatz zum Lebensalltag der arbeitenden Bevölkerung, im Widerspruch zu ihrer Armut. Immer schon lebte eine Klasse im Luxus, wenn und indem eine andere in Armut verwiesen wurde. Die Mode entwickelte überall im Land einen Trend zu Aufbruch und Liberalismus. Und Kunst und Industrie fühlten sich berufen, den Menschen die Botschaft des Fortschritts zu übermitteln. Es war das Hochgefühl der Moderne. Die Bauhaus-Zeit wollte die Moderne mit dem "Volk" versöhnen. Die coole Ästhetik der kühnen Entwürfe der Architektur und das Indus­triedesign animierte auch Grafik und Typografie zur Botschaft funktionaler Schönheit, die alle Klassenschranken überwinden wollte. Unter dem Leitgedanken "Volksbedarf statt Luxusbedarf" sollten vorbildliche Gegenstände für die bessere Gesellschaft eines fortschrittlichen Lebensstandards produziert werden, in dem die Armen am Luxus der Reichen teilhaben sollten.

Es herrschte das Hochgefühl einer Kultur, das zugleich durch ein allgemeines Wirtschaftswachstum und durch die weltweit aufkommenden "Gewinne" der Spekulation getragen wurde. In den "goldenen zwanziger Jahren" stieg der Dow Jones ununterbrochen. Viele Anleger träumten vom großen Geld und nahmen sogar Kredite aus dem Vermögen der Realwirtschaft auf, um Aktien zur Spekulation in die Finanzwirtschaft zu kaufen. Die Stahl- und Waffenindustrie boomte, Automobil- und Schiffsbau wurden beispielhaft für deutsche Exporte unter dem Siegel "Made in Germany", die erste Autobahn wurde schon in dieser Zeit gebaut - nicht erst "von Hitler" - und deutsche Aktien brachten unerwartet hohe Gewinne. Obwohl die deutsche Finanzwirtschaft durch die Last der Reparationsverpflichtungen aus dem Versailler Vertrag seit dem Ende des ersten Weltkriegs gebeutelt war, ließ sich das mit solchen Prognosen auch über Kredite bei der Bank von England finanzieren. Durch das Vertrauen der Spekulation in die Perspektiven der Wirtschaft lief diese wie auch die Hochkultur auf Hochtouren. Man hatte die schlimme Zeit der Wirtschaftskrise überstanden! Der wiederentdeckte Liberalismus berauschte sowohl das Kleinbürgertum wie die Finanzaristokratie (1).

In Berlin hatten UFA, Mode und Kunst ein Lebensgefühl befördert, das sich an den Theken, in den Casinos, den Arenen, den Kinos und auf den Bühnen der Theater feierte. Die Angebote der Kulturszenen und Medien waren überwältigend. Doch mittendrin zerplatzten jäh die fröhlichen Hoffnungen und Perspektiven durch eine Weltwirtschaftskrise, die nicht nur Deutschland schlagartig zahlungsunfähig machte und die ganze Welt in den Abgrund riss, schließlich einen zweiten Weltkrieg auslöste und Millionen von Menschen in die Flucht trieb. Die Spekulationsblasen des Finanzkapitals waren über Nacht zerplatzt. Am 25.10.1929, am "Schwarzen Freitag" (in den USA war es der "Schwarze Donnerstag") reagierten die Anleger panisch, der Handel brach gleich mehrmals zusammen. Endgültig stürzten die Kurse am darauffolgenden Dienstag ab. In allen Industrienationen brach die Wirtschaft ein: Massive Deflationen machten viele Menschen arbeitslos und konnte das Anwachsen der Arbeitslosigkeit nicht mehr kompensieren. In ganz Europa wurden ganze Industrien und Vermögen zerstört, viele Unternehmen mussten aufgeben und fielen aus dem Mittelstand in das Präkariat. Die hohe Staatsverschuldungen, vor allem von Deutschland, waren nicht mehr gedeckt, weil das englische Bankensystem zusammengebrochen war. Die meisten Länder hatten auch noch Schulden in den USA aus der Zeit des Ersten Weltkrieges, die nun ihr Geld zurückzogen. Nichts ging mehr, weil große Geldmengen abgezogen und Geldaufnahme unmöglich geworden war.

Die Regierung Heinrich Brünings setzte auf Sparpolitik. Und das war fatal. Investitionen fehlten, die Produktion stockte, das Arbeitsvolumen schwand, Geld wurde knapp, die Nachfrage brach zusammen. Es herrschte Deflation. Die Arbeitslosigkeit stieg bis 1933 weiter auf über 30%. Der Staat war nicht mehr in der Lage, den primitiv­sten Lebensunterhalt der Bevölkerung zu tragen und ließ sie durch freiwillige Einsätze, besonders der Heilsarmee durch Suppenküchen füttern. Was gerade noch Hochkultur und ausgekostete Lebensfreude war, zerfiel fast über Nacht in Belanglosigkeit und Kitsch.

Es ist eine alte Logik: Was in den Märkten der Realwirtschaft nicht als Wert verwirklicht oder aus ihr entfernt oder zerstört wird, das wird auf den Finanzmärkten weiterhin als fiktives Kapital, als Geldwert unbezahlter Arbeit, bewegt und durch Spekulation in Wert gehalten. Wo diese diese aber zwecklos, also erfolglos wird, weil sie nicht mal ihren Wert halten kann, stürzt sie nicht nur den Finanzmarkt ins Chaos, sondern die ganze Wirtschaft, die durch das wertlos werdende Geld aus dem Tritt gerät.

Auch das realwirtschaftliche Kreditsystem, das von Banken durch Zins bewirtschaftet wird, unterliegt dann den Verwerfungen des spekulativen Finanzkapitals, das sich durch seine Dividenden aus dem Wert unbezahlter Arbeit bezahlt machen sollte. Es zerbrechen die Sicherheiten der Zahlungsversprechen und damit auch die Lebensverhältnisse, die darauf gegründet sind. Und das sind praktisch alle. Lediglich über die Preise auf Eigentumstitel, die Verpreisung der Lebensumstände (Miete, Energie, Ressourcen, Steuern) kann noch Wert durch deren Negativverwertung abgeschöpft werden. Und während die real wirtschaftlich abhängigen Menschen durch ihre Lebensbedingungen auf dem Boden der Marktwirtschaft existieren müssen, wetten die anderen auf fallende Kurse auf dem Hochseil eines wirtschaftlichen Glaubensbekenntnisses.

Wirtschaft ist letztlich immer ein unmittelbar menschliches und also organisches Verhältnis, an dem Gesellschaft insgesamt zerbrechen kann. Von daher reißt ein Sturz aus dem Seil nicht nur den Finanzartisten, sondern das Leben vieler Menschen jäh in den Abgrund - und die bemerken das am Zustand der politischen Klasse zuerst, an den Wirrungen politischer Entscheidungen und dem Verhalten der verantwortlichen Politiker. Was sie als Repräsentanten einer Demokratie zu sein behaupten, wird immer deutlicher als Täuschung erkennbar.

Mit dem Zusammenbruch der Finanzwirtschaft zum Ende der 20er Jahre wurde auch deutlich, dass die ökonomischen Verwerfungen zugleich kulturelle waren, dass die Gesellschaft als Ganzes desolat geworden war, im Kreislauf ihrer Verwahrlosungen zwischen Wirtschaft und Kultur durchdrehte. Die Gründe der Krisen waren nicht mehr unterscheidbar. Die Meinungsbildung der Wähler spaltete sich auf zwischen ökonomischen und kulturellen Interessen, die sich zugleich in ihrem Antikapitalismus einig sein konnten.

Es war nicht nur die Kultur in ihrer zunehmenden Dekadenz, nicht nur die Ökonomie in ihren realwirtschaftlichen und finanzwirtschaftliche Krisen und nicht nur die Politik in ihrem Unvermögen, einen politischen Willen zur Entscheidung zu bringen, der sich als sinnvoll erweisen konnte. Der Kapitalismus als Ganzes.war an seine Grenze gekommen. Und wenn darüber sich kein Wissen bilden und darstellen kann, bleibt das Bewusstsein hierüber persönlich, emotional und entwickelt sich Ressentiments, die sich aus den kulturellen Gewohnheiten der allgemeinen Selbstwahrnehmung herausbilden, die sich bedroht fühlt. In der außerparlamentarischen Arbeiterbewegung waren mit dem Zusammenbruch der Finanzwirtschaft linke wie rechte Parolen oft unterschiedslos zur Attacke gegen die politischen Vertreter der Weimarer Demokratie und das repräsentative System als Volksherrschaft des Kapitalismus überhaupt zu hören. Dessen parlamentarische Linke, die bislang unentwegt ihr Potenzial für den Fortschritt der Menschheit proklamierte, zerfiel in Rechtfertigungen. Die liberalen bis konservativen Parteien wurden bedeutungsloser, weil der Mittelstand schrumpfte, weil ein großer Teil mittellos geworden war. Das Elend wurde immer öffentlicher und sichtbarer. Und immer mehr "kleine Leute" aus subordinierten Lebenswelten und auch viele Arbeiter befürchteten ihren persönlichen Niedergang. Sie zeigten sich im Chaos der politischen Optionen und ihrer Ausweglosigkeit ordnungssüchtig, begehrten nach "ihrem Recht" auf Sauberkeit und Ordnung und wurden zunehmend rassistisch und gläubig in die Staatsgewalt der Ordnungsmacht. (2)

Die Rechtsparteien konzentrierten in den 30er Jahren ihre Positionen auf ein altgewohntes Feindbild der bürgerlichen Gesellschaften, auf den Feind aus einer fremden, einer internationalen Kultur, der sowohl ökonomisch wie kulturell nur als Randerscheinung ihrer Verhältnisse erscheinen sollte. Das Judentum, das oft im Finanzhandel tätig war, weil es vom Handel mit Lebensmittel gering geschätzt wurde, eurde immer wieder mal als personifizierte Ursache allen Übels hergenommen und ästhetisch ausgestattet. In einem allgemeinen Ressentiment lässt sich daraus leicht eine Personifikation der Entfremdung, machen, ein Subjekt der Zerstörung, durch das die biederen Persönlichkeiten einer hiervon unterschiedenen "Volkskultur" auch ohne Ansehen ihres realen politischen Vermögens wählbar gemacht wurden. Im noch versteckten Totalitarismus des reaktionären Bewusstseins vermengten sich ganz gezielt kulturelle und ökonomische Argumentationen, die ihre Politik selbst totalisieren sollten. Es ist die Taktik eines Totalitarismus, die gerade deshalb explosiv ist, weil sich damit wirtschaftliche und kulturelle Verwerfungen in einer Weise instrumentalisieren lassen, die kaum noch politisch zu reflektieren ist, weil sie die Wählermeinung nur noch als psychische Sentimentalitäten und Sensationen erreicht. Politische Kultur wird somit wahlentscheidend und die politische Macht bestimmend. Repräsentative Demokratie erweist sich darin schließlich kraft- und sinnlos.

Ihre originäre Funktion besteht ja darin, aus der Ansammlung von Wählermeinungen einen politischen Willen zu bilden, der die Klassengegensätze in einer Nation zu versöhnen, bzw. aneinander zu relativieren hätte. Mit der Bindung der Meinungen an die Gesinnung von Ressentiments wird Totalitarismus wählbar und lässt sich populistisch auf den Willen eines faschistischen Staates einschwören, der diese Gesinnung walten lässt und willkürlich ermächtigen kann.

Mit politischer Willkür wird eine Bevölkerung gespalten in Widerstand und Gefolgschaft. Die Arbeiterschaft formierte sich in einen kommunistischen und einen völkischen Flügel und beide bekämpften sich auch außerparlamentarisch auf der Straße und auf ihren Veranstaltungen. Eine beispiellose Welle politischer Gewalt setzte ein. Sowohl rechte wie auch linke Bürgerwehren verfassten sich als Kampftruppen ihrer politischen Haltung und hatten begonnen, sich hierfür zu bewaffnen. Der Kreislauf der Gewalt verstärkte sich im Kreislauf der Angst und verdoppelte, was sie bekämpfte. (3)

Hitler kam an die Macht, weil er das Zerwürfnis der parlamentarischen Diskussion außerparlamentarisch zu seiner Repräsentation brachte und deren Widerhall parlamentarisch umsetzte. Widerwillig musste er von dem nationalistischen Reichspräsident Hindenburg als politische Persönlichkeit anerkannt werden und wurde zunächst als Kanzler eingesetzt und dann auch zum politischen Führer gewählt, um die parlamentarische Gewalten wieder für "das Volk" glaubhaft zu machen.

Während sich die Parteien im Parlament zerrieben, weil die parlamentarische Diskussion über die enorme Staatsverschuldung und die Krisen in der Arbeitswelt keine Antworten mehr fanden, während weite Kreise des Kleinbürgertums - bzw. der "Mittelschicht" - ins Bodenlose stürzten, hatte eine rechte außerparlamentarische Bewegung Zuspruch mit Positionen erfahren, die sich gegen die politischen Ausrichtungen und Illusionen der politisch noch repräsentierten Klasse mächtig darzustellen verstand. Der Staat war funktionalisiert von einer zunächst kleinen Gruppe, die aber über die mediale Überlieferung zu einer "hohen Meinung", zu einer massenhaften Wählermeinung wurde, die besonders gedeiht, wo sich die Menschen minder bewertet sehen und minderwertig fühlen, wo sie ihre Meinung durch Sinnbilder von Macht und Stärke bilden, um ihrer Ohnmacht Auswege durch die Veredelung ihres Selbstwerts, durch Selbstveredelung und Edelmut zu suggerieren, der sich in den Massengefühlen einer heilen Welt und ihrer Heilsbotschaft bestärkt und sich zum Gemeingefühl einer Volksgemeinschaft zusammen geschlossen hat. Die Kehrseite der repräsentativen Demokratie hatte sich durch die Meinungsbildung aus Ressentiments in ihrem Gegenteil erwiesen: Die Diktatur einer Staatsgewalt des Gefolges und seines Führers. Damit waren die Lebenszusammenhänge der Gesellschaft aufgelöst und als Kollektiv unter den Vereinszweck der Heilserwartung gestellt. Der politische Größenwahn war ausgebrochen, seine Gesinnung unschlagbar. Die Selbstzerstörung konnte gesellschaftlich vollzogen werden.

Überblick über eine Kritik der politischen Kultur

Nach dem zweiten Weltkrieg sollte die Welt besser werden. Sie hat seitdem auch enorme Fort­schritte gemacht. Für die Menschen ist sie aber nicht wesentlich anders geworden. Die restaurierte Marktwirtschaft sorgte dafür, dass sie von Neuem mit dem wieder beginnen konnte, was ihre Krisen bewirkt hatte - jetzt nicht mehr klassisch liberal, sondern neoliberal als ein "Wirtschaftswunder", das aus der Vernichtung nach den Weltkriegen durch die Finanzeinschwemme des Marshallplans (4) ein ungeheures Wachstum erzeugte. Durch Investitionen in den Wiederaufbau und den darin begründeten wirtschaftlichen Fortschritt rentierte sich die Realwirtschaft in kürzester Zeit wieder. Investitionen in die Armut erbringen dem Kapitalvorschuss immer höchste Erträge, weil die Mehrwertrate dann am höchsten ist, wenn die Löhne sehr niedrig, die Ressourcen sehr billig und die Märkte für Lebens- und Produktionsmittel sehr ungesättigt sind. So konnte sich das Wertwachstum sowohl in den USA als auch in den betroffenen westeuropäischen Ländern tatsächlich schnell wieder als Wirtschaftswachstum verwirklichen.

Im Lauf der Zeit hat sich die Marktwirtschaft jedoch immer mehr von den Interessen des Finanzkapitals abhängig gemacht und seitdem sukzessive ihren Boden aufgegeben, den sie noch mit dem Wirtschaftswachstum durch Investitionen in die Industrie hatte. Mit ihrer wirtschaftlichen Entwicklung, mit der Fortbildung der Produktivkraft der Arbeit, kam ihr die Zwangsläufigkeit des Wertwachstum in die Quere. Ihr eigener Fortschritt, ihre Rationalität und Rationalisierung, der Fortschritt der Automation, lässt die Profitrate fallen, das Wertwachstum im Einzelnen schrumpfen Mit der internationalen wirtschaftlichen und produktiven Effizienz, mit der Industrialisierung, der Systematisierung des Produktionsablaufs, sinken die Lohnstückkosten, weil sich der Anteil an menschlicher Arbeit pro Produkt und seinem Wert verringert. Das kapitalnotwendige Wertwachstum konnte nur durch Massenproduktion die Produktentwertung mit Überproduktion ausgleichen. Aber auf Dauer ließ sich auch durch Billigprodukte kein adäquater Mehrwert mehr realisieren. Die allgemeine, die durchschnittliche Profitrate war nicht mehr in der realen Marktwirtschaft darstellbar, sondern lediglich im Geldumlauf der immer größer werdenden Geldmenge eines Zahlungsmittels, das als Kaufmittel desolat wurde und eine neue Anwendung nötig hatte, um sich in Wert zu halten. Das Kreditwesen trennte sich deshalb von der Realwirtschaft ab, wurde als fiktives Kapital selbständig und globalisierte sich zum Weltkapital einer gigantischen Fiktion.

Damit hatte der Verwertungsprozess eine abstrakte, von menschlichen Lebensverhältnissen völlig abgetrennte Form erreicht: Zur Mehrwertbildung war die Verwertung der Geldzirkulation als "Finanzindustrie" hinzugekommen, die sich zu einem globalen Schuldgeldsystem entwickelte. Das schoss zwar eine Unmenge von Kapital in die Löcher der Kassen unproduktiver Infrastrukturen vor, die real nicht mehr gefüllt werden konnten. Aber die Vorteile ihres Wertwachstums spielen sich seitdem nicht mehr in der Bewirtschaftung der Verhältnisse dort, sondern vor allem im Handel mit Wertpapieren ab. Indem Geldbesitzer ihre Fiktionen von der Macht der Zukunft des Wertwachstums über Wetten in den Casinos des Finanzkapitals mit fiktivem Kapital verhandeln, spekulieren sie jetzt auf einen Wert, der vom Rest der Welt eingetrieben werden muss, soweit dieser noch über Grund und Boden und Menschen durch bürgerliches Recht, oder auch durch die Korruption nationalstaatlicher Administrationen und Steuern verfügen kann. Zum größten Teil wird dies durch Anleihen mit anschließender Austeritätspolitik erreicht, die Armut erzeugt und über die Nutzung von Titel und Staatszugehörigkeit Mehrwert eintreibt.

Verallgemeinert wird dabei nicht mehr der Wert, den das einbringt, sondern die Bodenlosigkeit seiner Verwertung durch bloße Staatsgewalt, durch die rein politische Macht der Staatsagenturen und den Eigentumstitel des bürgerlichen Rechts, das Mehrwert aus dem Lohn abkassiert und von daher Lebenszeit aus Arbeitszeit aufbraucht. Der Arbeitslohn, der die Kosten der Lebensmittel als Preis für die Arbeitskraft ausmacht, wurde darüber hinaus durch Lohnabzug als Preis für Lebensumstände der Staatsbürger bestimmt. Der reale Mehrwert aus unbezahlter Arbeit rentiert sich in der Produktion der Realwirtschaft immer weniger, der Mehrwert durch das Schuldgeldsystem in der Geldzirkulation der Finanzwirtschaft immer mehr. Und diese versetzt zunehmend jene in eine negative Beziehung durch ihre Wertabzüge, durch eine Negativverwertung, welche die Realwirtschaft zu einem irrealen Wertverhalten, zu einem immer bodenloseren Wachstum zwingt.

Das internationale Schuldgeldsystem

Durch den systematisch in die Armut importierten Kapitalvorschuss entsteht ein Verwertungszwang, der unerbittlich und total ist. Er zehrt am Geldwert und den Preisen, weil alles im Risiko steht, also davon abhängig ist, inwieweit Produktion überhaupt so profitabel ist, dass sie Profite zur Schuldentilgung einbringt. Durch das Risiko der Geldverwertung ist die Stabilität der ganzen Weltwirtschaft gefährdet und muss von den Nationalstaaten immer wieder gesichert und hergestellt werden. Und weil hiermit die Konkurrenzverhältnisse über alle Ebenen hinweg entschieden vertieft werden ist die ökonomische Zukunft der Nationalstaaten und ihrer Bewohner durch die politischen Agenturen der Kreditwirtschaft bestimmt. Dies um so mehr, je größer die Wertmasse des Gläubigervolumens ist, also je gefährlicher die Verschuldungsmengen der Staaten im Verhältnis zu ihrer Produktivität für diese werden. Deren Deckungslücken werden immer größer, je mehr realwirtschaftliche Substanzen durch Wertexporte abgetragen und durch Kriege und ihre Folgen vernichtet werden. Immer mehr Schulden müssen aufgenommen werden, nur um Schulden zu bezahlen. Das zu diesem Zweck installierte Schuldgeldsystem überzieht inzwischen den ganzen Globus und erzwingt weltweit eine ungeheuerliche Negativverwertung durch eine immer radikalere Austeritätspolitik.

Wo Schuld die Verhältnisse bestimmt, stehen sie immer als Ganzes auf der Kippe. Wo Schuld die Verhältnisse der Nationalstaaten bestimmt, erzeugt sie finale Konfrontation, in denen auch der Gläubiger zum Schuldner wird, wenn er durch seinen Glauben seinen Niedergang kommen sieht, weil die Produktion und Zirkulation des Geldwerts zur Schuldentilgung auf Dauer nicht mehr hinreichen kann. Krieg entsteht aus der Ausweglosigkeit von politischen und ökonomischen Krisen.

Das Ziel ist nicht mehr die Ausweitung nationalstaatlicher Grenzen und Lebensräume, sondern die politische Herrschaft über Ressourcen und Märkte. Und die Ressourcen und Märkte werden von zwei Ursachen verknappt: durch die organische Zerstörung (z.B. Wasserverschmutzung, Naturvernichtung) infolge des politische Versagen der Staaten, die durch Konkurrenzverhältnisse zu einer Monokultivation gezwungen sind, und durch die finanzielle Ausbeutung, durch welche die Menschen nicht mehr ihre eigenen Produkte erstehen und nutzen können. Der Grund für beides ist ein und derselbe: Die Grenze des Wertwachstums setzt sich in Gewalt um, solange das Wertwachstum nicht durch ein politisches Wirtschaftswachstum, durch eine wirtschaftliche Politik für alle ersetzt wird. Heute ist seine innere Gewalt, die wie eine Naturgewalt alle Verhältnisse bestimmt, der wesentliche Grund und zugleich die Folge der Kriege auf der ganzen Welt. Diese Kriege sind daher schon in ihrer Begründung totalitär. Es sind immer Kriege um Wert- und Bewertungsverhältnisse - sei es durch die Aneignung von Kapital, politischem Einfluss, Landschaften und Bodenschätze, durch politische Einflussnahme oder durch die Ausbeutung ganzer Bevölkerungsgruppen. Sie finden nicht nur zwischen den Kontinenten oder Nationen statt, sondern auch in und zwischen den Menschen, ihren politischen Systemen und Kulturen, die sich inzwischen auch in ihren Religionen und durch sie begründet offen zutragen. Inzwischen ist von einem "Kampf der Kulturen" die Rede, die eine eigenständige Form der nationalen Selbstbezüglichkeiten zum Ausdruck bringt, die bisher nur von rechten Populisten positiv bemüht worden war, als Bedrohung, als Gefahr eines "Untergangs des Abendlandes" (Oswald Spengler, 1918) und deren begriffliche Aufklärung von der marxistischen Linken weitgehend versäumt wurde.

Der "Blinde Fleck" des bisherigen Marxismus

Die ursprüngliche Grundlage des Marxismus war eine fundamentale Kulturkritik, die Marx als Kritik an der Hegelschen Rechtsphilosophie und Phänomenologie und der bürgerlichen Philosophie - auch der so genannten Frühsozialisten - entwickelte und von da her erst zur Kritik der politischen Ökonomie kam. Marx erkannte darin den Begriff, die Logik einer allgemeinen Entfremdungsmacht, durch den die gesellschaftlichen Mystifikationen der bürgerlichen Gesellschaft aufzuklären waren. Doch es war dies keine neue Ökonomie, sondern allein die Konsequenz seiner Kulturkritik, die sich darin von selbst aufklärte, indem sie die Form dieser Gesellschaft in ihren Bestimmungen, also in ihrer gesellschaftliche Formbestimmtheit an ihrem Gegenstand, also gegenständlich erklären konnte.

Die bürgerliche Kultur als solche war von Marx und Hegel - von der Ökonomie unterschieden - als ein "System der Bedürfnisse" verstanden worden (5), das sich mit der Geschichte der modernen Gesellschaft und ihrer Produktivkräfte erst wirtschaftlich ausgestaltet hat. Der Kapitalismus selbst ist eine Wirtschaftsform der gesellschaftlichen Sinnzuammenhänge, die sich zwischen den Bedürfnissen der Menschen und ihrer Arbeit entfaltet hat, also Wirtschaftsform ihrer Kultur ist (6).

Jede Kultur war immer schon die Kultur der Lebensverhältnisse im Ganzen - nicht nur im politischen Verhalten einer Ökonomie, sondern als gesellschaftliches Verhältnis der Sinnbildung menschlicher Geschichte. Aber schon in den Grundfragen der Kulturkritik herrscht immer noch Unklarheit darüber, ob es Kultur auch als ein eigenständiges Verhältnis wirklich gibt, ob sie als etwas in sich Ganzes zu verstehen ist, oder ob sie nur Überbau von anderem, Erscheinungswelt ökonomischer Verhältnisse, deren bloße Widerspiegelung, falscher Schein einer getäuschten Wahrnehmung, Abklatsch einer Gesellschaftlichkeit ist, die nicht wahr sein kann. Als eine in sich geschlossene Ganzheit von eigener Wirklichkeit hätte sie eine eigene Sub­stanz, die sich von der ökonomischen unterscheidet und eine eigene Begrifflichkeit nötig hat, auch wenn sie durch jene begründet, als Teil derselben Gesellschaftsform verbunden ist.

In der bisherigen Diskussion war mit dem Begriff des Gebrauchswerts der Waren schon alles damit abgetan, dass er den Nutzen der Dinge darstelle und somit den Inhalt des gesellschaftlichen Reichtums nicht nur darstelle, sondern auch verkörpern würde, substanziell schon Reichtum sei. Die bisherige Diskussion war hierdurch durch eine Totalisierung der politischen Ökonomie bestimmt, die ihr eine völlig undialektische Ganzheit zuwies und von daher nicht in der Lage war, darin auch andere Verhältnisse in der Beziehung von eigenständigen Ganzheiten zu erkennen. Nicht nur die Strukturalisten, selbst Adorno befand die Kultur als eine der Verschleierung dienende Erscheinung, deren gesellschaftliche Vermittlung Dinge darstelle und somit einen gesellschaftlichen Reichtum verkörpern würde, dessen Inhalte als "falsches Leben" aufzuklären sei (7). Damit war Kulturkritik schon im Vorhinein qualitativ aufgehoben und bediente lediglich, was ihr äußerlich schon vorbestimmt war - Kulturindustrie, weil sie eben auch als Ware gehandelt wird und "unwahr" so wie diese sei.

Was soll daran kulturkritisch sein? Was macht Kultur aus, selbst wenn sie nicht ist, wie sie sein sollte? Gibt es eine falsche und eine richtige Kultur? Kultur kann nur durch ihren Sinn bestimmt sein, auch wenn dieser in einer ihm fremden Form veräußert ist. Kultur ist sinnlicher Reichtum und kann daher nicht quantitativ bestimmt sein. Wer viele Flöhe hat, wird sich nicht reich fühlen. Eine bloße Menge an Gütern, die "als Warensammlung erscheint" (Marx), muss vor allem Sinn für die Menschen haben, weil sie in seine Erzeugung ihren Sinn veräußert haben. Der Gebrauchswert der Waren ist lediglich die Form seines Nutzens, die nützliche Eigenschaft von Dingen, durch welche sich eine Gesellschaft erhält und entwickelt.

Der strukturalistische Marxismus sieht darin Gesellschaft in ihrem ganzen Zweck, in ihrem Keim, ihrer Substanz schon vollständig dargestellt. Aber Nutzen ist lediglich ein Begriff der Wirtschaft, einer zweckhaften Effizienz, eine der vielen Eigenschaften von Sachen, die gesellschaftlich weit mehr darstellen, als ihre bloßen Zwecke und Konsumierbarkeiten. Sinnfällig wird die Infragestellung dieser simplen Begrifflichkeit daher schon, wenn man einerseits die Wirtschaftlichkeit eines Verhältnisses aus seinem objektiven Nutzen, die Kultur aber aus seinem Sinn, also subjektiv begründet versteht. Beides kann nicht dasselbe sein, ohne einander aufzulösen, ohne einander nichtig zu machen. Im Nutzen vernutzt sich der Sinn und ohne Sinn für den Nutzen gibt es weder Kultur noch Wirtschaft. Denn wenn Kultur zu vernutzen wäre, so bliebe nur Unsinn übrig. (8) Und schon diese Feststellung eröffnet eine gedanklich Beziehung von Sinn und Nutzen, wodurch sowohl die Ökonomie als System der Effizienz im Nutzen des Produkts und seiner Produktion (9), als auch die Kultur als Sinnbildung einer gesellschaftlichen Subjektivität herausgestellt und bewusst gemacht ist. (10)

Unter Marxisten war Kultur durch die so genannte Widerspiegelungstheorie meist nur als Phänomen, bestenfalls als bürgerlich verselbständigte Sphäre, als "Überbau" von Ökonomie aufgefasst worden, für die es nur bedeutend sein könne, sie auf ihre Basis, auf ihre ökonomischen Bedingtheit zurückzuführen. Kultur sollte sich demnach bedingt aus den Produkten der Wirtschaft erklären lassen, wenn sie sich gegen ihren Nutzen verselbständigen, etwa wie eine Mythologie der Sache, die dadurch unnütz würde, dass ihr "höhere Werte" eingehaucht, quasi religiös beigegeben wird.

Kultur sei demnach nur als Klassenkultur durch das Klassenverhältnis bestimmt, könne also keine kulturellen Klassen haben, Normalität kein Herrschaftsbegriff, Psyche lediglich die Formation eines unzulänglichen, bzw. falschen Bewusstseins sein und Klassenkämpfe nur in der realökonomischen Industrie stattfinden. Wenn aber Kultur allein durch die ökonomische Bedingtheit eines politischen Klassenverhältnisses der Ökonomie erklärt sein soll, dann wäre sie auch nur aus einem politischen Gegensatz von nützlicher Arbeit und ökonomischem Profit bestimmt, und das ökonomische Verhältnis wäre nur noch als eine rein monetäre Ungerechtigkeit zu verstehen, die durch eine politisch herzustellende Verteilungsgerechtigkeit aufzuheben sei. Kultur könnte sich demnach erst aus dem Resultat der Produktion einstellen, nicht also schon sinngebend in sie eingehen. Sie sollte sich bedingt aus den Produkten der Wirtschaft erklären lassen, als bloßer Schein eines verblendeten Bewusstseins wie eine Mythologie der Sache. Aber gerade dies hatte den Marxismus auf ein Bewusstsein reduziert, das die Erscheinungsformen der kulturellen Verhältnisse - besonders der zwischenmenschlichen, seelischen und massenpsychologischen - nicht mehr hinreichend erklären oder auf sie eingehen konnte.

Das Unvermögen, Faschismus, Rassismus und Antisemitismus gegenständlich als Phänomen der bürgerlichen Kultur und ihrer Staatsform zu begreifen, belegt das ebenso, wie die völkische Begrifflichkeit, der sich auch Marxisten in der Arbeiterbewegung kritiklos zugewandt hatten und die auch oft ein geradezu verächtliches Verhältnis zur kulturellen Tradition der Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft hervorgebracht hatte, durch das ihre wesentlich subjektiven Widersprüche völlig verkannt und Kulturkritik obsolet geworden war (11). Dies hatte den Marxismus auf ein Bewusstsein reduziert, das menschliche Emanzipation durch den Kampf um gerechte Arbeit ersetzte und als Heldenepos der Arbeit sich kaum von den Gerechtigkeitsidealen der Nationalsozialisten unterscheiden konnte, die durch die Gleichschaltung der Bürger jeden zum Arbeiter machen und vor allem ihren Staat ermächtigen und zu einem Kulturstaat totalisieren wollten. Dem wurden schließlich auch die Erscheinungsformen der kulturellen Verhältnisse - besonders der zwischenmenschlichen, seelischen und massenpsychologischen - unterworfen und schließlich durch die Gesinnung einer Volksgesundheit in jeder Phase des Lebens beherrscht.

Hiergegen entstand das philosophische Emanzipationsverständnis der "Frankfurter Schule" (um Adorno, Horkheimer, Marcuse, Fromm, Löwenthal, Benjamin und andere), die aus der Kritik der Aufklärung eine Kritik des ökonomistischen Totalitarismus und der Kulturindustrie der Moderne entwickelte: Weil die technische Vernunft der Produktivkraft des Kapitals selbst schon die menschlichen Subjekte unter Kontrolle bringen würde, hebe sich das Subjekt auch selbst schon auf und es sei von daher auch kein revolutionäres Subjekt mehr auszumachen.

"Denn weil in der gegenwärtigen Phase der geschichtlichen Bewegung deren überwältigende Objektivität einzig erst in der Auflösung des Subjekts besteht, ohne daß ein neues schon aus ihr entsprungen wäre, stützt die individuelle Erfahrung notwendig sich auf das alte Subjekt, das historisch verurteilte, das für sich noch ist, aber nicht mehr an sich. Es meint seiner Autonomie noch sicher zu sein, aber die Nichtigkeit, die das Konzentrationslager den Subjekten demonstrierte, ereilt bereits die Form von Subjektivität selber." (Theodor W. Adorno: Gesammelte Schriften, Band 4: Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1980, S. 14 (Zueignung)

Dementsprechend wurde das Verständnis des Marxismus in der Interpretation des Warenfetischismus durch Adorno zur Metapher einer philosophischen Psychologie gewendet: Die Fetischisierung der Geldform, wie sie Marx im "Kapital" und anderen Schriften verstanden hat, wurde von Adorno nicht mehr aus der realen Verkehrung ihrer Sachform begriffen (12), sondern zu einem "fetischierten" Bewusstsein, das seine Verhältnisse verkehrt verstehen müsse, weil es objektiv verblendet und von daher auch subjektiv falsch sei. Adorno machte aus der Verkehrung des Warenfetischs ein "Falsches Leben", gegen das er die Bekämpfung der Falschheit, also sich gegen die Verfälschung des Lebens überhaupt stellte.

Bewusstsein, das sich in diesem Sinn als wahres Bewusstsein selbst schon objektiv versteht, indem es sich gegen das falsche stellt, sich als negative Wahrheit schon "dialektisch", also als dessen lebendige Antithese verhalten will, entzieht sich seinem Sein, kann es nicht wirklich wissen, weil es dessen Dasein leugnet, sich körperlos macht und als Theorie der Praxis einer Negation rein theoretisch bleibt (13). Es ist eine olle Kamelle der Philosophie, ihr theologischer Kern, dass sie sich schon immer um eine isolierte Wesenslogik rankte, um das "menschliche Wesen" auch persönlich verstehen zu können. Ihr stellt sich Adorno entgehen, indem sein Denken selbst schon revolutionär sein, sich als ästhetische Negation der Welt verstehen will. Sein Wahrheitsverständnis verbleibt damit allerdings selbst nur innerhalb der Philosophie. Es gründet aber auf der Behauptung, dass Auschwitz das Undenkbare schlechthin sei, dass Totalitarismus nicht aus den Widersprüchen menschlicher Verhältnissen entstehen würde, sondern einem falschen Leben selbst entspräche, das Falsche schon die Unwahrheit eines Ganzen selbst sei. Die Analyse ganzer Lebensverhältnisse ist damit selbst schon falsch, weil es die ja gar nicht geben könne. Adorno sieht sich in einer Negativen Dialektik hiergegen selbst im Widerspruch begriffen und behauptet, dass er nur dadurch lebendig sei - eben weil er den Widerspruch nicht im Leben selbst, widersprüchliches Leben nicht verstehen will, sondern sich selbst als widersprechender Philosoph zum Leben erklärt (14).

Im Narzissmus solcher Selbstwahrnehmung gibt es keinen wirklichen Grund mehr, herrschende Wirklichkeit zu kritisieren, weil sie jedem existenziellen Verhältnis durch bloße Assoziationen schon enthoben, jeder körperlichen Relation - und damit jeder Substanz - entzogen ist. Aber durch die psychologische Verwendung von Philosophie wird sie zu einer quasi übermenschlichen Moral und so bekommt jeder moralische Imperativ eine übermenschliche Dimension, die ihren Verstand und dessen Selbstbeschränkung durch die Kraft der Negation, die hier schon als Kritik verstanden wird, entwickeln, kundtun und bestärken kann.

Es war eine sonderbare Dialektik, die sich auf die einfache Widerspruchsform reduzierte und weder Inhalt noch Substanz (15) erkennen ließ. Als ästhetische Philosophie ließen sich mit ihr die Widerspruchsformen der Warenverhältnisse allerdings nur assoziativ beziehen, aber nicht die Widersprüche des bürgerliches Subjekts, die Verhältnisse seiner Wahrnehmung in seiner Kultur, die notwendigen Beziehungsformen seiner Egozentrik, der allgemeine Narzissmus seiner Zwischenmenschlichkeit als eigene Wirklichkeit begreifen. Seine negative Dialektik konnte nur den Anschein einer marxistischen Kulturkritik vorstellen, die aus der materialistischen Dialektik eine Psychologie ein Bewusstseins ohne Sein machte. Die Folge dieser Art von Dialektik war eine fast vollständige Lähmung der Marx-Rezeption bis hin zur Jahrtausendwende, weil sie die Philosophie als "kritische Denkform" wiederbelebte und durch eine Ästhetik erneuerte, die das totalitäre Bewusstsein der Nationalsozialisten wie einen massenpsychologischen Fehler ihrer Wahrnehmungen behandelte. Dem Sein entwunden war Kulturkritik auf eine Ideologiekritik reduziert und eröffnete damit selbst wieder nur die Forderung nach einem richtigen Bewusstsein. Es war eine schöne Übung, doch letztlich blieb dabei alles, wie es schon immer war:

"Die Forderung, das Bewußtsein zu verändern, läuft auf die Forderung hinaus, das Bestehende anders zu interpretieren, d.h. es vermittels einer anderen Interpretation anzuerkennen." (Karl Marx, MEW 3 S.20)

Für einen großen Teil der "postmarxistischen" Intellektuellen war die Eitelkeit ihrer "Erkenntnisse" der philosophische Kitzel der Kritischen Theorie so exklusiv geworden, weil damit ihre Ideologiekritik selbst zur systematisierten Ideologie einer Denkmethode, der Negativen Dialektik werden konnte, durch die sie unerreichbar für die wurden, auf die sie gerne herabschauten. Schließlich mussten sie sich auch nicht mehr mit dem befassen, was dort alltägliche Bedrängnis ist, was die wirklichen Verhältnisse für die Menschen praktisch bedeuteten. Im Gegenteil: Durch die aparte Kritik an ihnen konnte der immer wieder zur Verzweiflung treibende Narzissmus der bürgerlichen Subjekte sich in ein theoretisches Subjekt verwandeln, das ob seines theoretischen Vermögens leicht über alles hinwegkommt, was ihm an praktischem Vermögen abging. Im Szenarium der Kritischen Theorie war es von seinem Dasein als bloßer Bürger ja schon vor jeder Bewahrheitung seines Selbstverständnisses freigesprochen.

Marxismus verkam zu einer ungeheuerlichen Gleichgültigkeit gegen die Wirklichkeit, die ihn begründet hatte. Man verstand sie als Vergangenheit und bemühte das Wortfragment "Post" als hinreichende Begründung für eine "Neufassung", mit der die alte nicht mal mehr begriffen sein musste. Marx wurde dabei dennoch fleißig zitiert; seine analytische Arbeit aber nur zum Beleg für strukturelle oder monetäre Auffassungen hergenommen. Der "Wertkritik" genügte die Beschreibung der Bewegungsformen der Marktwirtschaft und ihrer überflüssig gewordenen Arbeit, um das "Ende der Arbeit" aus der kapitalistischen Krise abzuleiten und sich als Freiraum zu feiern. Zur Kulturkritik waren schon die Abweisungen des "Massenkonsums" für das Wertwachstum (alias Wirtschaftswachstum) hinreichend, die leicht mit Vorstellungen zur "Entschleunigung" und "Nachhaltigkeit" zu flankieren und in das allgemeine Verständnis von "gesellschaftlichem Fortschritt" durch "neue" Arbeitsformen, durch die Schaffung einer alternativen Gesellschaft zu integrieren war, die auch ohne den mühsamen Aufhebungsprozess der alten wie eine neue Saat durch Keimformen einer freiwilligen Arbeit in einem "Verein freier Menschen" aufgehen könne. Dagegen wurde linke Staatstheorie von der so genannten Marxistische Gruppe (heute Gegenstandpunkt) auf bloße Willensformationen der bürgerlichen Administrationen reduziert, die auf den "bewussten politischen Willen" einer "revolutionären Staatstheorie" verwiesen wurden, den durch berufsmäßige Beteiligung eine ganze Schicht exklusiver linker Intellektuellen gerade auch mit ihrer "gut bürgerlichen" Existenz zu betreiben verstand.

So ging die wirkliche Geschichte von Wirtschaft und Staat wie von selbst an der marxistischen Linken vorbei, die sich angesichts ihres neoliberalen Gegenübers in ihren politischen Appellen erschöpfte, weil ihre Argumentationen nicht einmal das Feld betraten, auf dem die politischen Diskussionen ihre Sache, das Ende der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer demokratischen Formationen und deren Übergang in das Schuldgeldsystem des Feudalkapitalismus zu behandeln hätten. Ihre Argumente reduzierten sich auf den Bürger als psychisches Subjekt, das sich politisch in seiner einzelnen Persönlichkeit als kritischer Staatsbürger adäquat zum Selbstverständnis der Aufklärung dargestellt sehen will.

Weil das subjektive Bewusstsein sich somit dem Liberalismus der Weltwirtschaft übergeben hatte und ihm mit viel Fleiß in den Parlamenten auch als linke Parteien zu Diensten war, blieben ihm die wirklichen gesellschaftlichen Bedingungen entzogen. Der Niedergang ganzer Gesellschaften, der ursprünglich noch aus nationaler Erfahrung von Staatsgewalt und Volkswirtschaft zu beschreiben war, kann sich inzwischen international überall unbeschadet entwickeln, weil der Freihandel der Kapitalwirtschaft die Schranken der bürgerlichen Gesellschaft, ihre immanenten politischen Schutzmechanismen, zugunsten der totalen Kapitalverwertung in den Casinos einer Weltwirtschaft auflösen konnte. Weil die Verwertungsprobleme des Kapitals zu einer Auflösung seiner Substanz in der Realwirtschaft trieben, wurden daher praktisch kritiklos die organischen Lebenszusammenhänge der Menschen weltweit zerstört. Die bürgerliche Gesellschaft war abgelöst, die bürgerliche Politik war geblieben und wurde gerade auch von denen vorangetrieben, die sich medial und parteipolitisch über ihre Verantwortung für Natur und Soziales popularisierten.

Nachdem die Globalisierung des Kapitals sich die Nationalstaaten und deren Regularien zu unterwerfen begonnen hatte, verwandelte sie die bisherigen internationalen Strukturen aus den Zeiten des Kolonialismus und Imperialismus in Finanzkapital auf der einen Seite und Betriebswirtschaften unproduktiver Zulieferstätten auf der anderen. Der Staat wurde hierbei selbst zum Mittler der Finanzwirtschaft und musste sich von den nationalen Wirtschaftsverhältnissen lösen, in denen der allgemeine Schwund der Realökonomie durch Wetten auf die Verwertungschancen von politischem Privateigentum ausgeglichen und als fiktives Kapital perpetuiert wurden. Darin lassen sich keine menschlichen Verhältnisse mehr darstellen oder entwickeln und so wird hierdurch auch jede Form von Demokratie zunehmend unwirksam und obsolet.

Das Unvermögen der repräsentativen Demokratie

In den 90er Jahren hatte sich die Kultur der Konsumgesellschaft und der hippen Kulturbürger noch als selbstbewusste Gewinner gezeigt. "No risk, no fun" hieß es da. Wertpapiere, also Schuldverschreibungen, wurden als "Produkte" angeboten, Schuldenmachen also als Produktionsprozess dargestellt. Die "Gewinne" an der Börse wurden zur Gewohnheit und man sprach von einer Finanzindustrie die "Geld schöpfen" könne so viel sie wolle. Doch immer deutlicher werden die Konsequenzen eines solchen Geldsegens, der nicht nur Land und Leute ausgeraubt hat, sondern das Geldsystem selbst in eine chronische Krise zwingt: die Macht und Gewalt eines panischen Wettlaufs um den Selbsterhalt - vor allem auch auf der Seite des Kapitals, das immer brutaler um die Sicherheiten seines Geldwerts und seine Ressourcen kämpft und diese gnadenlos ausschöpft, nur um nicht in das Loch zu fallen, dass es sich durch sein Schöpfen gegraben hatte.

Heute erinnert wieder einiges an das Ende der Weimarer Republik, der Zeit, in der es keine Wahl mehr gab bei den Wahlen. Zwar geht nach heutiger Lesart die Arbeitslosigkeit zurück, aber die Armut nimmt zu, weil Arbeit neu definiert wurde (16). Arbeit kann jetzt nämlich fast jeder haben, wenn er einfach nur auf Lohn verzichtet. Die Arbeit der Armut nennt man jetzt "Aufstocken". Prekär ist normal. Politische Apathie, Fremdenfeindlichkeit, Kollektivismus, Gesinnungsschnüffelei usw. häufen sich wieder. Koalitionen zerbrechen an inneren Zerwürfnissen. Die so genannten Volksparteien verlieren ihre Attraktivität für den Mittelstand. Splitterparteien werben mit Interessenbündnissen und untergraben politische Zusammenhänge. Inzwischen ist die repräsentative Politik wieder mal durch die politische Lethargie ihrer Wähler erschöpft, weil sie nicht mehr glaubwürdig erscheinen kann, weil die ökonomischen Zwänge der Austeritätspolitik (heute: "Die schwarze Null") sie an der Verwirklichung notwendiger Aufgaben zur Erhaltung der Lebensverhältnisse der Menschen und ihrer Infrastrukturen hindern. Durch die Verwerfungen der so genannten "Parteienlandschaft" werden Parteienbündnisse nahezu handlungsunfähig, weil ihre Grundideen, ihr Liberalismus sich wieder mal als ein offenkundiges Täuschungsmanöver des Geldbesitzes gegen die Bevölkerung zeigt und Kapitalismus sich wieder mal in seinem letztendlich totalitären Zweck entblößt hat. Seine Geschichte hat den Teufelskreis der Geldverwertung mit der stetigen Steigerung des gesellschaftlichen Elends bewiesen, das nichts anderes als die Folge des tendenziellen Falls der Profitrate ist: Noch nie war so viel Geld für so viele Menschen so sinnlos, noch nie die Kluft zwischen arm und reich so tief.

Aber noch nie war Deutschland eben auch der mächtigste Gläubigerstaat der Welt, insgesamt so reich, reich an papiernen Werten, an Wertpapieren, noch nie die Machtzentrale eines Schuldgeldsystems, noch nie so unerbittlich gegen die Armut der Schuldner und noch nie so gönnerhaft in der politischen Gestik, wo Menschen um ihren Lebenserhalt flehen. Man weiß ja inzwischen auch, dass Kapitalismus seine Krisen nur noch durch die Vernutzung der Armut überstehen kann, dass er sich als Benefizsystem aufführen muss, um sein Kapital noch in Wert zu halten. Länder müssen nicht mehr erobert werden, um Mehrwert aus Land und Leute zu beziehen, weil ihre Märkte schon angeeignet sind, um deren Armut politisch in die Schuldpflichtigkeit für das Bankensystem der Finanzmärkte einzunehmen. Kriege konzentrieren sich daher auf die politischen und militärischen Stützpunkte der Gläubigermächte auf dem Boden der Schuldnerstaaten. Und die Banken verwalten zunehmend die feudale Macht und Gewalt des Weltkapitals. Dass hierfür unentwegt die klassischen Sicherungssysteme des bürgerlichen Rechts, die Sicherheiten der Geldverwertung und der bürgerlicher Demokratie durchbrochen werden müssen, zeigt sich bereits in den Tagesnachrichten weltweit und in der schrägen Mimik der Politiker, die alle modernen Stellschrauben des Systems (ESM (17), TTIP, CETA, usw.) ihrer Bevölkerung als mehr oder weniger "gut für die Wirtschaft" auftischen müssen.

Die glaubt das aber immer weniger, weil auch schon die "schwäbische Hausfrau" in ihrem kleinen Haushalt den Unterschied von Geldverwertung und Wirtschaften kennenlernen musste. Was ihr und ihrer Familie an Lebensaufwand abverlangt wird, zählt nirgendwo wirklich. Täuschungen machen die Enttäuschten wütend. Die repräsentative Demokratie bewegt sich immer schon zwischen Ideologie und Wirklichkeit als Kompromiss, den die Politiker in der Realisierung eines politischen Willens durch die Entscheidungen ihres "freien Gewissens" betreiben. Und das demaskiert sich nun schon wie von selbst, wenn sie sich zu den Menschen verhalten, die auf der Flucht aus ihrer zerstörten Gesellschaft auch wirklich hier ankommen. Allein schon die Tatsache einer solch gewaltigen gesellschaftlichen Zerstörung macht Angst - besonders im Gemüt einer heilen Welt. Viele Wähler wenden sich daher von den linken und den bürgerlichen Parteien ab und dem Wutbürgertum auf der Straße zu. Die Illusionen, dass ihre Meinungen als politischer Wille der Regierenden adäquat repräsentiert und über den Fortschritt ihres Nationalstaats in ihrem Sinne entschieden wird, ist spätestens seit der Agenda 2010 spürbar enttäuscht. Das Gegenteil hat sich vor aller Augen mit den Resultaten des daraufhin einsetzenden Geldreichtums und seinen Konsequenzen in der Weltwirtschaftskrise gezeigt. Damit ist eben auch kein Staat mehr zu machen.

Und damit wurde die Täuschung der politischen Repräsentation in allen Richtungen virulent. Die Positionen der Parteien streben auseinander und einigen sich zunehmend nur noch im abgehobenen Interesse einer politischen Klasse, der es wesentlich auch nur um ihren Selbsterhalt geht. Damit steht sie zwangsläufig auf der Seite des Kapitals, welches das allgemeine ökonomische und politische Subjekt ihrer Verhältnisse ist. Es handelt sich daher nicht einfach nur um eine politische Krise, nicht nur um die Fehler der handelnden politischen Persönlichkeiten des Parlaments, sondern um die Wahrheit einer Ohnmacht des politischen Willens, der in der repräsentativen Demokratie letztendlich nur illusorisch verwirklicht werden kann. (18)

Und zu dieser Illusion gehört auch der Kampf um die Meinungsbildung, die ideologische Abgrenzung und die praktischen Bündnisse der politischen Klasse. In Wirklichkeit ist diese Form der Demokratie an ihrem Siedepunkt gelähmt. Und aus der Lähmung der politischen Entscheidungen erfolgt eine Kultur der Unentschlossenheit, die sich durch die Behauptung ihrer Alternativ­losigkeit an der Macht hält, um die Konkurrenzen zu verstärken, welche eine absterbende Wertschöpfung überhaupt noch bis zum Untergang der einzelnen Existenzen in Gang halten kann. Das macht die Bildung eines politischen Willens aus den Wählermeinungen der Bevölkerung immer beliebiger und den Kampf um sie, den Populismus der politischen Repräsentanten immer massiver. Wo aus der Vielfalt des Meinens und Dafürhaltens ein politischer Wille entstehen sollte, wird dieser durch die politische Klasse und ihrem Lobbyismus als objektive Notwendigkeit durchgesetzt und somit schließlich von selbst selbst demaskiert. Mit ihren immer hilfloseren Versprechungen zeigt sie offen, dass die nationale Politik praktisch nur noch das Interesses eines internationalen Wertwachstums befolgt. Daher glaubt in dieser Situation auch fast niemand mehr an die Güte einer repräsentativen Politik, die sich dafür praktisch nur noch gegen die Interessen der Bevölkerung durchsetzen kann.

Doch gewählt muss werden und dazu hat sich dann auch, was den Anteil der Kultur betrifft, einiges geändert. Sie wird nicht mehr völkisch interpretiert und als entsprechende Gesinnung abverlangt, sondern als Glücksbringer der Konsumtion. Sie muss wie ein Gütesiegel für die Genießbarkeit der Politik herhalten und wird bis in ihre feinsten Posen und Poren hierfür antrainiert, animiert, genutzt und verfälscht. Die Suchtmittel des Tittytainments gehen bruchlos in die politische Propaganda und die Kommunikationstechniken der Medien, der politischen Unterhaltung und der Kommunikationsindustrie des Internet ein und beschaffen eine allgemeine Unterwerfung unter die Gegebenheiten einer Welt und Umwelt, die eigentlich selbstbewusste Menschen nötig hätte, um ihren Teufelskreis der Verwertung und ihrer Krisen zwischen Inflation und Deflation zu durchbrechen und das Schuldgeld so unwertig zu machen, wie es de facto längst ist. Doch die permanenten Funktionsstörungen ermuntern zu eigenen Lebenswelten in einer Kultur des Narzissmus, in der das Funktionieren wie ein persönliches Glück empfunden wird, weil damit die Gefühle unsäglichen Scheiterns, die chronischen Minderwertigkeitsgefühle der Selbstverwertung mit den Angeboten der Kommunikationsindustrie (Internet, Computerspiele, Facebook, Google) immerhin wieder Sinn bekommen, wenn auch nur den Unsinn einer schlechten Unendlichkeit (19). Das Meinen und Dafürhalten, die Grundlagen der Meinungsbildung der repräsentativen Demokratie und ihrer politischen Willensbildung werden durch das Erleben der sozialen Ereignisse mit den Gewohnheiten eines unmittelbaren und somit nicht mehr vermittelbaren und zudem anonymen Arrangements entwickelt und bestärkt.

Der Springpunkt bei der politischen Rolle dieser Kultur ist die Frage, wie es sein kann, dass aufgeklärte Menschen gerade dann, wenn Widerstand gegen die politischen Gewalten, gegen die Sachzwänge der kapitalistischen Krisen, nötig wäre, ihre Mündigkeit verlieren, dass ihre Stimme gerade dann versagt, wo sie am nötigsten wäre. Wird das dann zu schwer, zu bedrohlich? Lassen sie sich dann lieber von dieser vorgestellten Objektivität bestimmen, als sie zu bezweifeln? Verliert sich ihre Subjektivität in ihrer Enttäuschung durch Gewöhnung von selbst, sind sie dann eher gegen sich selbst eingestellt, als gegen eine Politik, die sie nur verraten kann, oder werden sie durch den kulturellen "Verblendungszusammenhang" einer Kulturindustrie bewusst getäuscht?

Wie kommt es, dass sie anstelle einer Kritik und Veränderung ihrer Lebensverhältnisse eine Gegnerschaft untereinander entwickeln, sich gegenseitig zu einer allgemeinen Selbstlosigkeit zwingen und sich zu Komplizen einer ihnen fremden Objektivität machen. Was macht sie so eigenschaftslos, dass sie sich gegen ihre objektiven Interessen verhalten und stattdessen deren Notwendigkeiten als die persönliche Not einer abstrakten Gemeinschaft auf sich nehmen? Müssen sie sich deshalb gegen Menschen richten, die ihnen nicht vertraut sind, ihnen fremd erscheinen können, nur weil sie in die Fremde versetzt wurden? Was macht sie unfähig, das wirklich Eigene gegen das wirklich Fremde, die Entfremdung ihrer eigenen Lebensverhältnisse überhaupt zu erkennen? Und was lässt sie im Glauben, dass der Staat dennoch und überhaupt ihre Interessen vertreten kann? Was macht sie zu Nationalisten, die unter der Fahne ihrer Nation ein absurdes Selbstbewusstsein errichten und sich gegen jene stark machen, die um ihr eigenes Leben kämpfen, ihre wirkliche Ohnmacht gegen mächtige Verhältnisse wenden müssen?

Es ist eine alte Geschichte. Die entsteht aber immer wieder neu dadurch, dass die politischen Entscheidungszwänge des Staates seine politische Position verstärkt, weil sie sich in Krisenzeiten doppelt begründet. Weil er kulturell als einzige wirkliche Allgemeinheit des politischen Bürgers erscheinen kann, als kultureller Verbund eines Gemeinwesens, kann er sich als politischer Nothelfer zugleich gegen die einzelnen Interessen der Bevölkerung richten, sobald sich Kapital durch ein Schuldgeldsystem mit Austeritätspolitik in Wert halten und verwerten muss. Es ist daher nicht mehr nur die ökonomische, sondern zunehmend die kulturelle Wirklichkeit der Gesellschaft, die ausschließliche und abschließende Wirkung für seine Politik bekommen hat.

Ökonomische Krisen sind soziale Krisen

Das Chaos der sozialen Verwerfungen, der offensichtlichen Bodenlosigkeit ihrer anwachsenden Ausbreitung, revitalisiert in den Gemäuern der heilen Welten deren zugrunde liegende Lebens­ängste. Was in ihren Lebensburgen noch gesichert erscheinen mag, ist durch gesellschaftliche Anforderungen an Bildung und Vermögen und durch die Verknappung der Ressourcen und der Entwertung der Löhne immer schwerer zu beherrschen. Ihre Vereinzelung nimmt im Konkurrenzkampf um ihre wirtschaftliche und soziale Reputation zu und das damit entfachte Geltungsstreben erzeugt Misstrauen und Argwohn in einer Welt, in der ein Schein von Menschlichkeit nur noch unmittelbar zwischen den Menschen aufleuchtet. Was das Zwischenmenschliche noch an gesellschaftlicher Verbundenheit darstellen konnte, wird selbst zum Objekt der zunehmend isolierten Existenzen, zum Material ihrer bloßen Selbstdarstellung und Selbstbehauptung. Die Medien versammeln hierfür "große Gefühle" der Verbundenheit in dem Maß, wie die Empfindungen ihrer Wirklichkeit untergehen und ihre Gefühle mit dem Live-Style modischer Lebenswerte befeuert werden. In der allgemeinen Egozentrik unendlich bestimmter Selbstgefühle können sich vor allem narzisstische Persönlichkeiten veredeln und sich in einer Kultur ausbreiten, die ihre Prothesen in einer Scheinwelt zwischenmenschlicher Wahrnehmungen anschafft und sich vor allem mit sich selbst befasst. So wird Selbstwahrnehmung zu einem allgemein selbstverständlichen Gefühl, zum objektiven Selbstgefühl einer Ästhetik, die wie von selbst die Wahrnehmungen einer Wirklichkeit ausblendet, die nur noch belastend auf sie wirkt. So werden mit dieser auch die Menschen ausgeblendet, die darin leben müssen, und als fremdes Leben abgespalten, während die veredelte Gefühlswelt durch ihre mediale Prominenz zum Material für Avantgardisten und Populisten wird.

In den Mittelschichten des Kleinbürgertums herrscht eine gesellschaftliche Mitte ohne Vermittlung, das Einerseits und Andererseits der kulturellen und ökonomischen Existenz. Dort werden die inneren Widersprüche der Selbstwahrnehmung und Selbstverwertung besonders eklatant, ihre Verunsicherung in zwischenmenschlichen Verhältnissen und Lebensburgen total, ihre Selbstachtung schwindend, ihr Geltungsstreben nach einem irgendwie funktionalen Selbstwert endlos. Und so kommt ein himmelschreiendes Bedürfnis nach Selbstvergewisserung in den verbliebenen Lebensräumen, besonders als Glücksversprechen ihrer Familien auf, das sich in einem allgemeinen Geltungsbedürfnis der Geschlechtsrollen äußert und sich gegen die Außenwelten ihres Wahrnehmungsspektrums richtet, sich ursprünglicher als die Empfindung ihrer gegenständlichen Wirklichkeit behauptet, die es kaum mehr kennt, weil es darin nichts mehr finden kann.

In der Abstraktion isolierter Beziehungen wird das, was hierdurch fremd bleibt, zum Fremden schlechthin. Nicht hierdurch entsteht Fremdenfeindlichkeit, sondern durch die Identitätslosigkeit zwischenmenschlicher Beziehungen, in denen die Menschen sich ihr Leben wechselseitig aberkennen, um es sich einzuverleiben und dabei in ihrem allgemeinen Geltungsstreben befürchten müssen, dass sie sich selbst schon zu gleichgültig geworden sind, dass sie sich in ihrem Konsumverhalten schon allzu sehr gleichen, in ihrer Selbstbezogenheit und Leere mit sich schon allzu vertraut geworden sind, sich selbst schon hassen, weil die zwischenmenschlichen Verhältnisse ihrer Selbstverwertung ihnen ihre Selbstachtung längst vernichtet haben. So kommt das Fremde "wie gerufen", wird zu einem negativen Sinnstifter. Und je abstrakter und allgemeiner die Verhältnisse sind, desto entschiedener kann Fremdenfeindlichkeit sich allgemein durchsetzen - eben weil sie der Identitätsfindung in einer sinnentleerten Welt dient. Aber mit ihr vertrauen die Menschen einander nurmehr in der Abweisung der Fremden und werden sich als Menschen selbst immer fremder, weil sie sich in solchen Verhältnissen nur außer sich beziehen und bestärken und ihr Vertrauen immer mehr enttäuschen müssen, in der inneren Isolation ihrer Psyche totalisieren.

Darin entwickelt sich der Kreislauf einer Kränkung, die nicht wirklich stattgefunden hat, die aber den Identitätsverlust dadurch verstärkt, das sie die Selbstwahrnehmung abzieht, ihren Selbstwert nichtet. Je fremder man sich wird, desto intensiver wird das Verlangen nach eigenem Grund und treibt zu einer Ursprungssehnsucht, durch die der private Lebensraum als originärer Grund eigener Existenz verfestigt wird und selbst zu einer Schutzverpflichtung wird, als Lebenspflicht erscheint, die allgegenwärtig zu erfüllen ist. Das Private wird damit unmittelbar allgemein und treibt politische Haltungen für eine Kultur von Volk und Heimat und Vaterland zusammen, die durch ihren Narzissmus eine weltliche Art von Religiosität entstehen lassen, die sich als bloßes und von da her "reines" Wesen vorkommt, das sich gegen die äußerlichen "Gemeinheiten", gegen den Schmutz der Welt wendet. Und die soll nicht nur die Politik, sondern zugleich die Lebens­ängste beantworten, die in ihren Lebensburgen eingeschlossen und in ihrer Isolation allgemein weltlich geworden sind.

Schon aus ihrer Angst um sich müssen sie in dieser Welt schon als bloße Raumgestalt ihres Lebens rein für sich und umso fremder für andere sein. Aber nicht ihre Lebensangst gestaltet sich in ihren Lebensräumen, sondern ihre Selbstentfremdung (20). In der wechselseitigen Selbstentfremdung ihrer heilen Welten mit ihren Heilsgestalten und Glücksbringer entstehen eigentümliche Kulturräume, die eine Logik eigenständiger Kulturwelten in der Gemeinschaftlichkeit von Parallelkulturen entwickeln, die sich im Nationalismus der jeweiligen Staatsverständnisse allgemein machen. Es ist zwar paradox aber durchaus verständlich: Weil die persönlichen Verhältnisse in beliebig vielen Parallelkulturen aufgegangen sind, wird der Staat zum Mittel einer Verbundenheit, die sich im Hinterhalt der Masse ziemlich gesichtslos findet und die sich daher ebenso hinterhältig angreifen oder verteidigen lässt. Immerhin vereint der Staat alles, was die Nation ökonomisch und kulturell darzustellen hat.

Der bürgerliche Staat gibt sich zwar demokratisch und muss von daher auch von den Eitelkeiten des Glaubens und Sehnens absehen. Aber im Grunde entspricht ihm das Verlangen nach populären Heilsgestalten ganz gehörig. Er begründet sich ja als bloßer "Repräsentant des Volkes" eigentlich weder politisch, noch ökonomisch, sondern aus einer himmlischen Vorstellung, dem Begriff eines "natürlichen", eines allgemein menschlichen Willens, der verfüllt ist mit dem Glauben an eine unendlich umfassenden Volksverbundenheit der Burg­herr­lich­kei­ten, in der die ökonomischen und kulturellen Wirklichkeiten der Nation aufgehen soll. Die bestärken sich in ihren Glauben allerdings nur negativ in der bornierten Form der Einzelinteressen ihrer Privat­exis­ten­zen. Aber mit ihrer Bürgschaft für das Nationalwesen ihrer Gesellschaft halten sie die ökonomischen und kulturellen Qualitäten des Staatswesens hoch. Von daher leben sie schon vor aller Erfahrung in der Unterwerfung unter die Systematik einer völlig theoretischen Staatsverbindlichkeit, deren Politik sich als frei gewählter Wille begründet, auch wenn er in Wahrheit "nur das Wollen der ökonomischen Verhältnisse" protokollieren kann (K. Marx, Elend der Philosophie, MEW 4, 109).

Der Staat soll daher mehr sein (21): die Einheit seiner Bürger als eine hohe Gemeinschaft darstellen, die der Souverän der Repräsentation wären und in deren Namen Politik gemacht und Recht geschaffen und gesprochen wird. Er will daher das ganze Leben der Menschen vor allem kulturell vereinen, aus ihren persönlichen Haltungen und Meinungen einen illusorischen Willen schöpfen, der ihnen einen sozialen Frieden sichert, aus dem er seine politischen Entscheidungen begründet.

Doch ihre wirklichen Verhältnisse können dem nicht entsprechen. Nach wie vor verhalten sich ihre Bedürfnisse und ihre Arbeit in gegensätzlichen Lebensbedingungen, im Widerspruch der Klassen zwischen Lohnarbeit und Kapital. Doch dieser Widerspruch ist inzwischen auch ein kultureller geworden. Ein großer Teil der Arbeitskräfte arbeitet an den Werkbänken der Dritten Welt oder als Migranten. Ihre Entlohnung und Mitsprache ist im Ausland katastrophal und auch in Deutschland schon im Ansatz sehr beschränkt. (22) Sie arbeiten nur, um überhaupt existieren zu können, sind meist vollständig an den gesellschaftlichen Rand gedrängt, in die Armut und dekultiviert. Kein Wunder, dass sie auf die Kultur ihrer Herkunftsländer zurückgreifen und deren Rituale besonders innig empfinden und sich damit identifizieren.

Was ökonomisch zu heftigen Konflikten führen müsste wird durch kulturelle Diskrepanzen stark gedämpft und oft vollständig verdrängt. Für den Fremdarbeiter ist ein Widerstand oder Protest durch kulturelle, soziale und rechtliche Machtpositionen sehr viel folgenschwerer. Die Solidarität der arbeitenden Bevölkerung ist schon von daher kaum gegeben, weil es den kulturell Integrierten ermöglicht, sich auch in der Konkurrenz um die Löhne zum eigenen Vorteil zu behaupten. So hat sich die Klassentrennung verdoppelt in eine ökonomische und eine kulturelle. Die Lebenswelten sind daher zwischen den Klassen tiefer gespalten denn je, ihre gesellschaftliche Beziehung weder kulturell noch politisch real. Selbst wenn sie sich sprachlih gut verständigen können, sich in ihren unterschiedlichen Kulturen frei begegnen könne, so ist doch in der Einheit ihrer ökonomischen Klassenlage ein tiefer Sprung in der Rationalität ihres Bewusstseins, der nur kulturell begründet ist. Nicht dieser kulturelle Gegensatz ist entscheidend, sondern dessen gegensinnige Perspektiven, deren Zukunft.

Von daher hat sich vor allem die Reaktion auf diese Trennung verändert. Der deutsche Reaktionär ist als Nationaldeutscher ein anderer als der Migrant, der in einem reaktionären Islamismus sein Heil erwartet. Nicht mehr die vergemeinschaftete Heilserwartung einer Staatsreligion des Nationalsozialismus bringt die Menschen gegen die herrschenden Verhältnisse auf und auch nicht eine Religion des Islam muss sie fanatisieren. Es ist ihre gegensinnige Bewegung, die auf der einen Seite gegen die Fremden auf der anderen Seite hetzt, im Hass sich verselbständigt und sich nur hieraus versteht. In der Reaktion auf die soziale Krise sind die einander Fremden gespalten im Glauben an ihre Kulturen, an ihre Lebenswerte. Erst in der Enge der ökonomischen und sozialen Verwerfungen entsteht ein "Kampf der Kulturen", der auf der einen Seite den aufgeklärten Nationalstaat vertritt, auf der anderen Seite einen islamischen Staat, der sich im Widerstand gegen die Dekadenz des Westens und für eine Gesellschaft des Kalifats und der Scharia versteht (23). Von daher hat sich auch der Nationalismus verdoppelt und wird inzwischen auch entsprechend zweiseitig betrieben.

Während Fremdenfeindlichkeit mit völkischem Gehabe politisch sich vor allem bei reaktionären Deutschen stark macht, bietet der reaktionäre Islam das Glaubensfundament eines "wahren Menschseins" gegen die Ungläubigen, klare Kanten gegen deren Dekadenz und Gottlosigkeit. Der Antikapitalismus, in dem sich beide einig sind, pervertiert ihr Klassenverständnis zu einem Glaubenskrieg, durch welchem sie ihre Not in Vorstellungen des Heils verkehren, das als Heilserwartung eines ihnen unmöglichen Glücks zu einem Versprechen auf eine gute Zukunft wird. Durch den Anspruch auf den "eigenen Staat" auf der einen Seite und dem Anspruch auf "höhere Wahrheit und Weisheit" auf der anderen (24) verhärtet sich der Klassengegensatz in den Verhältnissen der Besitzlosen selbst. Darin verschwinden alle Verbundenheiten und sie bekämpfen sich dort, wo sie sich zu einem wirklichen Fortschritt emanzipieren könnten, wenn sie ihre Kultur nicht politisieren und nicht einem nationalistischen Kalkül überantworten würden (25).

Obwohl es in dem Glaubenskrieg um Nationalismus schlechthin geht, sind diese Kriege keine Kriege die aus wirklich nationalistischen Interessen entstanden sind. Sie sind Kriege gegen die sozialen Konsequenzen einer feudalistischen Glaubensmacht, dem Glauben der Spekulation mit fiktivem Kapital, der durch den Glauben an einen Kulturstaat entgegnet wird. Wo ausweglose Zerstörung herrscht, wird die Welt verrückt. Was die Finanzindustrie an Geldwerten zerstört, muss durch die Intensivierung der Ausbeutung von Mensch und Natur "eingeholt" werden; was das gesellschaftliche Unglück den Menschen an Lebenszusammenhang entzieht, scheint als Glück eines Bewusstseins auf, das die Welt verlassen hat. Der logische Ursprung der Weltzerstörung liegt bei der Negativverwertung des Schuldgeldsystems, die durch das internationalen Finanzkapitals eingetrieben wird und dessen Gläubiger auf Dauer nur noch Verschuldung und sozialen Niedergang produzieren und einer chancenlosen Jugend das Vertrauen in eine sinnvolle Zukunft nehmen können.

Die politische Klasse der Geldbesitzer, lebt nur zu einem kleinen Teil in dem Land, in dem sie ihre Aktionsbasis haben. Aber ihre Wirkung zeigt sich in den Randbereichen der internationalen Gesellschaft überdeutlich, den Gettos und Siedlungen, der Staaten der Dritten Welt und des Islams. Der Islamistische Terror erwächst aus einem ebenso pervertierten Klassenverständnis in religiöser Form, wie der Nationalismus der Fremdenfeinde. Doch es ist in Wahrheit das unglückliche Bewusstsein einer Lebensform, die keine Perspektive, keine Zukunft für sich erkennen kann. Solange kein Bewusstsein ihres Unglücks entwickelt ist, bleibt ihr Glaube als Formulierung einer Ursprungssehnsucht in einer antikapitalistischen Massenbewegung virulent, durch die das internationale Prekariat sich gegen die Kultur des Kapitals begründet - die einen gegen die kulturelle Verfremdung durch andere Sitten und Gebräuche, und die anderen gegen die "Kultur des Westens", indem sie sich selbst durch die Lehre des "wahren und reinen Menschen" im Kampf gegen Täuschung, Verwahrlosung und Dekadenz bestimmt verstehen.

Und damit hat sich schließlich auch im Geistigen der Kreis von Ökonomie und Kultur geschlossen. Wir sind wieder am Anfang eines Teufelskreises der Geschichte und ihrer Agonie: Austeritätspolitik ist das Kalkül eines Kreditsystems, das letztlich nur mit Gewalt durchgesetzt werden kann, weil es als Schuldgeldsystem darauf beruht, dass produktive Arbeit nicht mehr lohnt, Kapitalismus nicht mehr funktioniert, bzw. nur wie ein Feudalsystem, eben als Feudalkapitalismus fortbestehen kann. Die Frage ist daher jetzt, was dieses System ausmacht, wodurch es besteht und sich erhält.

Die allgemeine Entwertung des Lebens

Kapitalismus ist eigentlich nichts anderes als ein Kreditsystem, ein Vorschuss in eine Produktion, durch die ein Geldbesitzer sich nach Vollzug eine Rückgewinnung von mehr Geld erhofft, das für ihn einen Mehrwert darstellt. Es handelt sich dabei aber nicht um eine "wunderbare Geldvermehrung", sondern um die Verfügung über die Anwendungsdauer einer produktiven Arbeit, einen Entzug von Wert aus der Mehrarbeit der Menschen in allen Arbeitsbereichen, deren Produkt dem vorschießenden Kapitalisten Mehrwert einbringt, ganz gleich, ob dieser in der Industrie der Sachproduktion, der Dienstleistungen oder der Ereignisproduktion gewonnen wird.

Aber der Kapitalismus erweist sich immer wieder als ein unwirtschaftliches gesellschaftliches Verhältnis, weil der Fortschritt seiner Produktivkraft die menschliche Arbeit entwertet (26), sodass deren Mehrwert von den Menschen nicht endlos bezahlt werden kann und deshalb Geld als Kaufmittel vom Geld als Zahlungsmittel bedrängt und entwertet wird. Die Produktivkraft, die auch im Dienst des Kapitals eigentlich menschliche Naturmacht darstellt, stellt sich selbst als die Ausschlag gebende Kraft heraus, die dessen Untergang betreibt. Indem sie nur die Geldbesitzer mächtig macht, durch die Besitzlose zur Ohnmacht getrieben werden, erzeugt sie zugleich die Bedingungen für eine Gesellschaft, die immer weniger menschliche Arbeit nötig hat und denen Macht verleiht, die durch ihre gesellschaftlichen Verbundenheit sich wirklich auch ergänzen und in einer Ergänzungswirtschaft die Teilung der Arbeit aufheben können.

Doch solange nicht die wirklichen Verhältnisse der Menschen, ihre gesellschaftliche Kraft und Wirklichkeit, die politische Auseinandersetzung ihrer Geschichte entscheidet, solange das Geld den Markt bestimmt, wird sich das Kapital immer als mächtiger erweisen und jeden Menschen an sich ketten, weil es sein Leben in seiner abstrakten Gesellschaftlichkeit beherrscht. Die Möglichkeit hierfür bietet die einfache Tatsache, dass Geld als Kaufmittel zur Bezahlung der Kosten des Selbsterhalts etwas gänzlich anderes ist, als das Geld, das als Zahlungsmittel zur Bezahlung der Produktionsmittel und der Löhne für die Arbeitskräfte verwendet wird. Es ist hierbei völlig gleichgültig, ob der Mehrwert, den der Zeitaufwand der Mehrarbeit darstellt, aus realen Produkten bezogen wird, die einen Fortschritt des Lebensstandards mit sich bringen, oder aus einem umlaufenden Geldwert, der den Löhnen durch die Nutzungsgebühren von Eigentumstitel, Mieten und Lizenzen usw. entzogen wird. Immer ist es Mehrarbeit in Geldform, die hierbei zur Geldverwertung eingenommen wird.

Jeder Widerstand gegen die Ausbeutung von Mensch und Natur, der diesen Widerspruch des Geldes nicht angeht, verbraucht sich im Moralismus eines politischen Appells, einer Donqichotterie der finalen Kämpfe, als ob sie mit dem Untergang eines persönlichen Gegners, eines mächtigen Feindes zu beenden wären. Das hat seinen Grund darin, dass man es dem Geld nicht ansieht, dass es die Menschen schon ohne irgendein politisches Verhalten in gegensinnige Beziehungen versetzt, die sie zur Verwertung ihres Lebens schon existenziell antreibt, bevor sie sich überhaupt Rechenschaft über die Gründe ihrer Tätigkeit geben (27). Was sie tun müssen, um auf den Märkten der Welt existieren zu können, das ist auch das, was ihre Ohnmacht fortbestimmt. Es ist ihr eigens Streben nach Geld, nach dem gesellschaftlichen Subjekt der Märkte, das sie zugleich zum Verkauf ihrer Natur und Lebenskraft zwingt. Es gibt zwar Charaktermasken, die den Widerstreit vollziehen, das sind aber keine wirklichen Subjekte, die um "ein wahres Wesen" kämpfen gegen den "Lug und Trug" der gesellschaftlichen Verhältnisse, gegen das "falsche Leben" in dieser Gesellschaft, das endlich ein "richtiges" werden solle.

Doch es gibt tatsächlich einen Kampf gegen die Unwirklichkeit des Kapitalismus, der sich im praktischen Leben der Menschen, in allen Sinnen ihre Erkenntnisvermögens vollzieht, in ihrer Kultur wie in ihrer Ökonomie sich als die wirkliche gesellschaftliche Kraft beweisen und erweisen lässt und durch Wissen und Erkenntnis bewusst und dadurch praktisch werden kann. Man sieht es dem Kapital eben nicht an, dass es selbst schon unmittelbar ein Verhältnis der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, das Verhältnis von toter zu lebender Arbeit darstellt, dass durch die Formationen seines Verwertungstriebs das Leben von Mensch und Natur zugrunde gerichtet wird, dass darin die Wesensnot der modernen Gesellschaft verborgen ist. Dies ist schon im Verwertungsstreben des Geldbesitzes angelegt.

"Mit der Verwertung der Sachenwelt nimmt die Entwertung der Menschenwelt in direktem Verhältnis zu." (Marx in MEW 40, S. 511)

Mit der Globalisierung des Kapitals wurde kein reelles Kapital, sondern vor allem die Armut globalisiert und das Kapital für sich immer gelassener, weil seine Macht sich in der Verschuldung der Nationalstaaten politisch totalisiert, deren Bürger zu Bürgen für das immer größer werdende Loch einer Negativverwertung bestimmt wurden und deren Subjekt durch die Kreditierung eines Schuldgeldsystems unerreichbar geworden war - fast friedfertig und befriedend erscheinen konnte, eben neoliberal.

Aber in der Erkenntnis der Lebenszusammenhänge, die darin veräußert und entäußert sind, der Verhältnisse, worin sich die Bestimmungsmacht des Geldbesitzes zur Ohnmacht von lebenden Menschen verhält, wird kenntlich, dass die Menschen sich hiergegen nur emanzipieren können, wenn sie in den abstrakten Formationen der Gesellschaft ihre substanziellen Lebenszusammenhänge finden und vollziehen, um sie zu empfinden und in der Subversion gegen deren politische Formbestimmtheit in ihrem Wirtschafts- und Staatssystem durch konkretes Verhalten deren abstrakte Allgemeinheit unnötig machen, und ihre überkommene Rechtsform bekämpfen und abrüsten. Und das ist Klassenkampf nicht einfach nur gegen eine andere Klasse, sondern als Aufhebungsprozess der Klassenverhältnisse überhaupt. Er geht aus den herrschenden Klassenkämpfen hervor, betreibt nicht aber deren Verewigung im endlosen Streit um bloß quantitative Anteile am Kuchen der Weltproduktion, um eine Verteilungsgerechtigkeit, deren qualitative Ursprünge damit unerkennbr werden. Klassenkampf ist das wirkliche Verhältnis des Geldes wie schon immer seit anbeginn der Marktwirtschaft, der Widerspruch der Geldform im Dasein der Menschen, die gesellschaftlich existenzielle und also politische Macht einer Klasse über den Nutzen der anderen.

Wer das Leben der anderen für sich sachlich, räumlich oder zeitlich nutzt und einverleibt, der bekämpft es, auch wenn dieser Kampf nurmehr sehr einseitig bestimmt ist und in seinen Formationen zwischen den Kulturen und Produktionsstätten und Ressourcenbeschaffung sich fast bis zur Unkenntlichkeit verzweigt und sich auch noch mit dem Erlösungsglauben von Religionen durchmischt hat. Aber weil sich darin die Menschen auch immer noch wirklich über ihre gesellschaftlichen Mittel zum Leben von Menschen verhalten, weil ihre Gesellschaften immer noch Verhältnisse ihres Gattungswesens sind, werden diese Verhältnisse auch durch Menschen zu verändern sein, wenn sie sich darin endlich als gesellschaftliche Menschen verwirklichen, die gesellschaftliche Form finden, die ihrem Wesen entspricht, wenn sie ihre individuellen Lebensinhalte auch in Gesellschaft leben können, wenn sie nicht mehr dem Sachzwang der Geldverwertung und des Wertwachstums folgen müssen, sondern ihre Geschichte endlich auch so gesellschaftlich begreifen, wie sie ist, ihre politischen Entscheidungen auch wirtschaftlich vollziehen und ihre Zukunft so gestalten können, dass die Generationen nicht ertragen müssen, was die Älteren, die Eltern versäumt und ihnen schon als gesellschaftliches Eigentum vorenthalten haben.

Doch immer noch unterliegt, was gesellschaftlich nötig ist, den Notwendigkeiten des Verwertungszwangs, gerade also dem, was menschliches Leben negiert, indem es dieses privatisiert, zum Eigennutzen aneignet und darin die gesellschaftlichen Wirkkräfte, die Geschichte ihrer Bildung und Fortbildung aufzehrt. Das ist nicht einfach nur ein Sachproblem und auch nicht nur ein politisches. Es ist ein Problem der Selbsterkenntnis des Menschen in seiner wirklichen Gesellschaftlichkeit, das Problem seiner allgemeinen wie einzelnen Selbstachtung. Wo ein Wesen sich nicht erkennt und daher seiner Negation unterliegt, nichtet es sich selbst und macht seine Not total. Es kann sich nicht mehr in seiner gesellschaftliche Wirklichkeit finden und also auch nicht in seiner gegenständichen Welt empfinden. Es macht seine inneren Wirklichkeiten zur Grundlage seiner Urteile.

Die Klassenverhältnisse stellen sich daher auch in einer verkehrten Form gesellschaftlicher Wirklichkeiten dar. Religion ersetzt wieder zunehmend das Bewusstein. Aber so richtig es ist, seine Wesensnot im wirklichen Verhältnis der gesellschaftlichen Klassen zu begreifen, so falsch ist es, eine Klasse als ein notwendiges "gesellschaftliches Subjekt" gegen die andere zu halten und daraus z.B. eine "Diktatur des Proletariats" als das Ziel ihrer Emanzipation zu schlussfolgern.

Eine Klassengesellschaft kann nicht im Verlauf sich abwechselnder Klassendiktaturen aufgehoben werden. Ihre wirkliche Aufhebung kann sich nur in der unmittelbaren und mittelbaren Aufhebung aller Klassen in der praktischen Entwicklung einer Ergänzungswirtschaft, in der Einheit einer Sub­sistenz­wirt­schaft mit ihrer Lebenserzeugung, der Bildung des gesellschaftlichen Reichtums vollziehen. Was im politischen Appell nur als Moral auftreten kann, muss zu einem Bewusstsein werden, das auf den Menschen zurückkommt, sodass er durch dieses auch praktisch wirksam werden kann (28).

Das verlangt politische Wissenschaft, die sich in den wirklichen Kämpfen der Menschen einlässt - nicht als Beratung für politisches Handeln, sondern als Arbeit an den wirklichen Problemen der Menschen, die im Nichts einer abstrakten Welt verschwinden, wenn sie nicht als menschliche Fragestellung und Infragestellung, also durch wissenschaftliche Kritik beantwortet werden. Karl Marx war der erste Wissenschaftler, der nachgewiesen hat, dass mit der Verwertung des Geldes die Entwertung des Lebens überhaupt betrieben und die Lebenswelt aller Lebewesen ihrer Eigenheiten beraubt, entfremdet und enteignet und letztlich zugrunde gerichtet wird, sobald das kapitalistische System an seine Schranken gelangt (29). Viele haben sich in ihren politischen Aktionen auf ihn berufen, ohne diesen Nachweis überhaupt wirklich nachvollzogen zu haben. Auch in ihrem Ansatz waren diese Aktionen durch ihren Formalismus oft schon falsch begründet. Das gilt es aufzuarbeiten und mit einer tieferen Einsicht in die politische Ökonomie und Kultur fortzubilden und mit neueren Analysen ihrer herrschenden Institutionen und ihres Niedergangs zu bedenken.

Die Grenzen des Kapitalismus zeigen sich inzwischen sowohl ökonomisch als auch kulturell auf jeder Ebene des Systems. Schon das Versagen der Kreditwirtschaft der Weltbank ist durch die Potenzierung der Armut der Menschen und die Zerstörung ganzer Gesellschaften infolge ihrer Politik offensichtlich. Innerhalb Europas sind es die Diktate der Eurobank und die Regulierungsverhältnisse des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), die nurmehr die Spiralen einer gigantischen Wertvernichtung umsetzen können und deutlich machen, dass es immer die Gläubiger sind, die ihre Schuldner bis zum Untergang treiben. Und außerhalb des Kreditwesens wird die Ausbeutung von Land und Leute durch die Wertverhältnisse der Währungen und der Kriege um ihren politischen Wert und Markt betrieben. Sie setzen sich in den sozialen Kulturen auch privat ungebrochen bis in die intimsten Ecken ihrer zwischenmenschlichen Verhältnisse und Lebensformen fort und schließen dort den Kreislauf von Ökonomie und Kultur in der Verwertung des menschlichen Lebens und seiner Natur, der menschlichen Kultur überhaupt ab.

Deshalb kommt eine Kritik des kapitalistischen Weltsystems der politischen Ökonomie nicht ohne die Kritik der politischen Kultur aus. Die Grundlage der Kritik ist die begriffene Logik ihrer bisherige Geschichte, die zwar immer schon die Geschichte der Menschwerdung, noch niemals aber die Geschichte einer menschlichen Gesellschaft war. Aus der Erkenntnis ihrer Wesensnot kann sich ihr Rätsel für die Zukunft auflösen, wenn es nur wirklich wahr genommen und als herrschende Wirklichkeit erkannt ist und mit einem in sich schlüssigen politischen Bewusstsein beantwortet wird. Das mag noch eine bloße Vision sein, aber ohne diese lässt sich der Knoten der Geschichte nicht erkennen. Denn der lässt sich nicht aus den Verhältnissen der Personen und Sachen eröffnen, sondern nur aus und in ihrer Geschichte gerade dort, wo sie im Untergang begriffen ist und darin auch begriffen werden muss:

"Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen. Die Tradition der toten Geschlechter lastet wie ein Alp auf den Gehirnen der Lebenden. Und wenn sie eben damit beschäftigt scheinen, sich und die Dinge umzuwälzen, noch nicht Dagewesenes zu schaffen, gerade in solchen Epochen revolutionärer Krise beschwören sie ängstlich die Geister der Vergangenheit zu ihrem Dienste herauf, entlehnen ihnen Namen, Schlachtparole, Kostüm, um in dieser altehrwürdigen Verkleidung und mit dieser erborgten Sprache die neuen Weltgeschichtsszene aufzuführen.Die soziale Revolution (…) kann ihre Poesie nicht aus der Vergangenheit schöpfen, sondern nur aus der Zukunft. Sie kann nicht mit sich selbst beginnen, bevor sie allen Aberglauben an die Vergangenheit abgestreift hat. Die früheren Revolutionen bedurften der weltgeschichtlichen Rückerinnerung um sich über ihren eigenen Inhalt zu betäuben. Die Revolution (…) muss die Toten begraben lassen, um bei ihrem eigenen Inhalt anzukommen." (MEW 8, S. 115)

Hieraus folgt, dass eine grundlegende Veränderung dieser Gesellschaft, die hier als Weltgesellschaft zu verstehen ist, nicht einfach nur objektiv und formell durch nationale politische oder militärische Gewalt bewirkt werden kann. Der "Alp der Traditionen" lastet nicht nur objektiv, sonder auch subjektiv auf "den Gehirnen der Lebenden". Das verlangt eine leibhaftige Vermittlung und Beziehung subjektiver Lebensnot zu den Gegebenheiten der objektiven Lebensformen. Notwendig hierfür ist, deren Grundlagen in der Entfremdung ihrer Kultur als politische Kultur der Lebensverwertung zu erkennen und sich gegen das Verwertungssystem des Geldes zu emanzipieren, seine Rechtsform politisch mit dem Recht der Menschen auf ihre Gesellschaft anzugreifen und seine institutionelle Macht für alle Zukunft aufzulösen.

Und das geht nur durch die Umkehrung der Gewaltverhältnisse in konkreten Lebensverhältnissen im Wissen und Bewusstsein ihrer allgemeinen Lebenszusammenhänge, ausgehend von ihren einzelnen Lebensumständen in den Kommunen, Regionen und Länder bis hin zu einem weltweiten Vermittlungsverhältnis menschlicher Lebensproduktion (z.B. in einer internationalen Kommunalwirtschaft). Dies muss im einzeln und allgemein in den Lebensproblemen der Menschen entwickelt und vermittelt werden, ganz gleich, von welchem Scharmützel es im Einzelnen begleitet wird. Das ist an der Lebensbasis selbst vonnöten, wo die politischen Institutionen versagen, wo sie gezwungen werden können, die Subsistenz der Menschen zu sichern und ihre Delegationen qualifiziert zu beantworten und ihnen die Mittel zu überantworten, die durch qualifizierte Delegation kommunal, regional und landesweit verwaltet und verteilt werden. Sie selbst werden davon subversiv belebt und unnötig gemacht und - wo nötig - auch bekämpfbar.

Nicht ein massiv bestückter politischer Wille kann eine neue Gesellschaft begründen, weil diese Gesellschaft als politische Ökonomie des bürgerlichen Rechts schon längst existiert. Sie ist daher nicht einfach "falsch für die Menschen" und nicht durch eine bessere Alternative von Grund auf abzulösen. Sie ist für die Menschen lediglich verkehrt, also in verkehrter Form, in einer Form, in der Abstraktionen ihre konkreten Zusammenhänge bestimmen und sie von dem abziehen, worum es ihnen in Wirklichkeit geht. Es geht also nach wie vor um das Wissen ihrer Unwirklichkeit, um diese Wesensnot, die gesellschaftlich in allen Widersprüchen des Kapitalismus durch ihren realen und gedanklichen Abstraktionsprozess durchbricht. Eine Revolution muss daher wesentlich subversiv sein, was immer dabei auch sonst noch zu tun ist.

"Es wird sich dann zeigen, daß die Welt längst den Traum von einer Sache besitzt, von der sie nur das Bewußtsein besitzen muß, um sie wirklich zu besitzen. Es wird sich zeigen, daß es sich nicht um einen großen Gedankenstrich zwischen Vergangenheit und Zukunft handelt, sondern um die Vollziehung der Gedanken der Vergangenheit. Es wird sich endlich zeigen, daß die Menschheit keine neue Arbeit beginnt, sondern mit Bewußtsein ihre alte Arbeit zustande bringt." (MEW 1, S. 346)

Aber dazu kommen wir erst am Ende dieser Ausführungen. Kehren wir nach diesem Überblick daher jetzt erst mal wieder an den Ausgang der Überlegungen zurück, deren Zusammenhang hier dargestellt wurde und kommen nun zur analytischen Ausführung der konkreteren Details, zu all dem, was bisher nur im Allgemeinen behauptet wurde.

Die Globalisierung der Armut

"Die bürgerlichen Produktions- und Verkehrsverhältnisse, die bürgerlichen Eigentumsverhältnisse, die moderne bürgerliche Gesellschaft, die so gewaltige Produktions- und Verkehrsmittel hervorgezaubert hat, gleicht dem Hexenmeister, der die unterirdischen Gewalten nicht mehr zu beherrschen vermag, die er heraufbeschwor. Seit Dezennien ist die Geschichte der Industrie und des Handels nur die Geschichte der Empörung der modernen Produktivkräfte gegen die modernen Produktionsverhältnisse, gegen die Eigentumsverhältnisse, welche die Lebensbedingungen der Bourgeoisie und ihrer Herrschaft sind. Es genügt, die Handelskrisen zu nennen, welche in ihrer periodischen Wiederkehr immer drohender die Existenz der ganzen bürgerlichen Gesellschaft in Frage stellen. In den Handelskrisen wird ein großer Teil nicht nur der erzeugten Produkte, sondern der bereits geschaffenen Produktivkräfte regelmäßig vernichtet. In den Krisen bricht eine gesellschaftliche Epidemie aus, welche allen früheren Epochen als ein Widersinn erschienen wäre – die Epidemie der Überproduktion. Die Gesellschaft findet sich plötzlich in einen Zustand momentaner Barbarei zurückversetzt; eine Hungersnot, ein allgemeiner Vernichtungskrieg scheinen ihr alle Lebensmittel abgeschnitten zu haben; die Industrie, der Handel scheinen vernichtet, und warum? Weil sie zuviel Zivilisation, zuviel Lebensmittel, zuviel Industrie, zuviel Handel besitzt. Die Produktivkräfte, die ihr zur Verfügung stehen, dienen nicht mehr zur Beförderung der bürgerlichen Eigentumsverhältnisse; im Gegenteil, sie sind zu gewaltig für diese Verhältnisse geworden, sie werden von ihnen gehemmt; und sobald sie dies Hemmnis überwinden, bringen sie die ganze bürgerliche Gesellschaft in Unordnung, gefährden sie die Existenz des bürgerlichen Eigentums. Die bürgerlichen Verhältnisse sind zu eng geworden, um den von ihnen erzeugten Reichtum zu fassen. - Wodurch überwindet die Bourgeoisie die Krisen? Einerseits durch die erzwungene Vernichtung einer Masse von Produktivkräften; anderseits durch die Eroberung neuer Märkte und die gründlichere Ausbeutung alter Märkte. Wodurch also? Dadurch, daß sie allseitigere und gewaltigere Krisen vorbereitet und die Mittel, den Krisen vorzubeugen, vermindert." (Manifest der Kommunistischen Partei, 1847/48, Karl Marx und Friedrich Engels in MEW Bd. 4, S. 467f).

Dass die "Gesellschaft im Zustand momentaner Barbarei" unter den weiterhin herrschenden Bedingungen des Kapitals in einen "allgemeinen Vernichtungskrieg" zurückversetzt werden wird, war schon im Januar 1848 abzusehen, weil sie schon da in ihren ökonomischen Krisen unterzugehen drohte und sich ihre Logik zeigte, nämlich dass die Produktion eines irrsinnigen Überflusses durch die kapitalistische Entwicklung der Produktivkräfte und ihrer Wirkung auf das kapitalnotwendige Wertwachstum schon in ihrem Ansatz durch die Methode der historischen Dialektik in ihren verheerenden Kreisläufen zu begreifen war. Und so war auch da schon abzusehen, welche kulturellen Folgen dies haben muss. Die Wissenschaft, die Karl Marx mit seiner Kritik der politischen Ökonomie begründet hatte, war daher auch immer schon kulturkritisch.

Die Geschichte des 20. Jahrhunderts war durch die bis dahin furchtbarsten Kriege bestimmt, die aus den ökonomischen Krisen der bürgerlichen Gesellschaft und dem Zusammenbruch ihrer Geldwerte und den Institutionen der repräsentativen Demokratie erwachsen waren. Sie haben in ihrer letzten Konsequenz die Unfähigkeit bürgerlicher Politik aufgezeigt, die Geldverhältnisse so zu regeln, dass sich der Lebensstandard der Menschen mit dem Fortschritt ihrer Produktivität dauerhaft verbessern könnte. Politik, wie sie sich in der Begründung der Marktwirtschaft noch als Instrument des Wohlstands durch die Minderung ihrer Krisenhaftigkeit zum Schutz der gesellschaftlichen Verhältnisse verstand, zeigte sich mit dem Anwachsen der Produktivkraft und ihrer Verwertung immer wieder ganz schlagartig nicht mehr in der Lage, die Verhältnisse zwischen Produktion und Konsumtion durch ihre Finanzpolitik so zu regeln, wie es ihre Ökonomen versichern, dass nämlich deren Entwicklung auf Dauer gesehen ein Gewinn für alle sei. Und deren Beteuerungen, dass es sich bei ihren Krisen um eine temporär notwendige "schöpferische Zerstörung" (30) handeln würde, weist schließlich über die Zeit nur deren Zynismus aus. Es hatten sich hiergegen schlussendlich die realwirtschaftlichen Schranken des bürgerlichen Kapitalismus in der Kapitalakkumulation für sein Wertwachstum als Grenzen ihres Wachstums erwiesen, durch die das Wachstum der gesellschaftlichen Produktivkräfte, das Wirtschaftswachstum zunehmend blockiert wurde. Das Kapital konnte zwar immer wieder eine Masse an Produkten aufhäufen, nicht aber ihren werthaltigen Absatz, also eine substanzielle Verbesserung des allgemeinen Lebensstandards der Menschen durch entsprechende Löhne und Arbeitszeiten bewirken.

Die Geldverhältnisse waren realwirtschaftlich an ihrem eigenen Verwertungstrieb gescheitert, (31) dem weder die sachlichen Bedingungen der Nationalstaaten, noch deren Bevölkerungsdichte hinreichte, um sich noch marktwirtschaftlich ausdehnen und rentieren zu können. Die begrenzten Lebensverhältnisse der Bürgerinnen und Bürger dieser Staaten reichten nicht mehr aus, um die Geldwerte ihrer Währungen in der Zirkulation einer vervielfachten Wertmasse weltweit nutzen und realwirtschaftlich abdecken zu können. Die Probleme der nationalen Kapitalverwertung globalisierten sich auf den Weltmärkten und wurden schließlich durch die Globalisierung des Kapitals überwunden, durch die das Siechtum der nationalstaatlichen Marktwirtschaften seit den 1970er Jahren dadurch aufgehalten wurde, dass der Kapitalismus in eine neue Ära eines global bestimmenden Finanzkapitals eingetreten ist.

Diese Entwicklung hat aber das gesamte Verhältnis zwischen der Produktion und der Zirkulationen der Waren auf den Kopf gestellt und zum Niedergang der Realwirtschaft geführt. Sie hat das Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital den Spekulanten auf Schuldtitel unterworfen und einem Wert die Kontrolle überantwortet, der sich weder sachlich noch wirtschaftlich adäquat darstellen lässt. Wesentlich für die gesellschaftliche Entwicklung ist nicht mehr der Umschlag des produktiven Kapitals, sondern das Verhältnis von Wertpapieren, also von Schuldverschreibungen.

Womit wir es da zu tun haben, muss zuerst geklärt werden, um zu verstehen, was die Verhältnisse in diesem Jahrhundert bestimmt und was die Menschen gegen die Herrschaft eines allgemein geworden Schuldgeldsystem machen können, das schon weitgehend die Preisbildung bestimmt - nur um ein Wertwachstum anzutreiben, dem seine Sache entschwunden ist.

Geschäfte mit dem Preisverhältnis der Währungen und ihrem Wert

Das internationale Finanzkapital hatte schon zur Mitte des 20. Jahrhunderts ein Vermögen angereichert, das die Vermögen der Nationalstaaten weit übertraf. Über die Weltbank und die Goldvorräte der USA war es hoch besichert und der US-Dollar zum allgemeinen Verwertungshintergrund aller Währungen geworden. Diese Kapitalformation konnte sich so das politische und wirtschaftliche Potenzial der Nationalstaaten subsumieren und Gold als Deckung der Nationalwährungen mit der Auflösung der Verträge von Bretton-Woods (15.8.1971) abschaffen - zugleich auch "produktiv anwenden", indem mit der Abschaffung der Golddeckung der Goldpreis schlagartig zum Stürzen gebracht wurde. (32) Der Preiszerfall des Goldes durch die damit freigesetzte Goldschwemme hatte in den Ländern, die von ihrem Goldschatz abhängig waren oder selbst Gold abbauten eine ziemlich inflationäre Wirkung. Dahinter stand wohl auch das Kalkül von Richard Nixons Regierung, die Wirtschaft der damaligen UdSSR zu ruinieren, die mit dem Zusammenbruch ihrer Agrarwirtschaft von ihren Goldvorräten und auch von ihrem Goldabbau völlig vom Goldpreis abhängig war, um ihre Wirtschaft in Gang zu halten. Von ihrer Finanzkraft war zugleich fast der ganze Ostblock abhängig. Was damals über den Goldpreis geschah, wird heute über den Ölpreis betrieben: Weil sein Wert, also der Wert seines Grund und Bodens, nicht mehr reale, sondern nur noch politische Beziehungen aufweist und daher eine Preissenkung ihrer elementaren Schätze und Ressourcen ganze Länder im Handumdrehen ruinieren kann. Entscheidend ist hierbei die rein politische Formation des Grundbesitzes und damit die politische oder militärische Gewalt der Nationalstaaten, die dafür stehen muss.

Mit dem Ruin des Ostblocks kam es zu einem schleichenden Systemwechsel, dem Übergang von einem realwirtschaftlichen Marktverhältnis zu einem politischen Diktat über die ökonomischen Ressourcen: Die Golddeckung des Weltgeldes wurde großenteils durch einen Petrodollar, einem "ölgedeckten" Dollar abgelöst, den man auch praktisch brauchen konnte. Es war eine Raffinesse der Nationalökonomen, die damit sowohl den Wertabgleich der Währungen, als auch die Preisbildungsmacht des Öls durch die Preissummen des Finanzhandels zusammenbrachten. Sie konnten damit die politischen Grenzziehungen der unterschiedlichen Wirtschaftsverhältnisse mit einem Handel über Wertpapiere von Schuldverschreibungen verrechnen. Damit wurde der Kapitalverkehr schlagartig zu einem politischen Werkzeug eines Wertwachstums, das Mehrwert nicht mehr nur realökonomisch, sondern durch die Geldbewertung aus der Preisbestimmung von Schuldverschreibungen, aus den Derivaten des Kredithandels weltweit beziehen konnte. Hierfür wurden die bis dahin gültigen Kapitalverkehrskontrollen durch die USA, Kanada, die Bundesrepublik Deutschland und die Schweiz endgültig aufgegeben.

Auf diese Weise wurde der Dollar zu einem Weltgeld, das einerseits den Wert einer Weltwährung als Zahlungsmittel simulieren konnte und zudem für die Deckung des Kreditwesens einen doppelten Gebrauchswert durch seine weltweite Zirkulation als Kaufmittel bekam. (33) Öl war eine realwirtschaftlich aufbrauchbare Währung und zugleich für die USA billig und nützlich, weil die Petro-Währung weltweit nur durch den Einkauf im Land der Dollars gedeckt war. Der Ölpreis wurde wie die Energieform des Öls zur Bestimmungsmacht der weltweiten Produktivität und die USA konnten sich hierdurch ihre Absatzgarantien schon alleine durch ihre Währung beschaffen. Sie bezogen damit vor allem Wertimporte aus den Währungen, die sich im Welthandel hierüber aufeinander beziehen mussten und ihren Wertabgleich nur relativ zum Handel mit den USA betreiben konnten. Die US-Währung wurde mit dieser Vereinigung von Nationalpolitik und internationaler Wert­deckung zur ökonomischen und politischen Weltmacht schlechthin und deshalb letztlich auch zum Weltpolizisten, der besonders auf die ölfördernden Länder seine "Schutzmacht" richtete und seine Militärs dort zunehmend installierte - freilich vorerst nur als "Militärberater". Sie behielt diese Macht sogar auch dann noch, als China zu einer der produktivsten Weltmächte und zum größten Gläubiger der US-Wirtschaft geworden war, diese realökonomisch also von sich abhängig gemacht hatte.

Die Weltwährung ist immer die stärkste aller Währungen, weil sich an ihr alle messen müssen, sich also am Weltmaßstab der Preise relativieren. Seit dieser "Verweltlichung" der Dollarwährung sind die Staaten der Welt wie Betriebswirtschaften bestrebt, gegeneinander um den Wert ihrer Währungen zu konkurrieren und ihre Wertverhältnisse durch massive Kreditaufnahmen bei der Weltbank zu halten. Ihre nationalen Währungen stellen international zirkulierenden Mehrwert und eigenen Wert in einem dar. Es könnte ungeheuer wertvoll sein, doch es handelte sich bei diesem Geld ja nicht nur um den Wertbetrag einer internationalen Selbsterhaltung, sondern auch um einen Mehrwert, der von den Gläubigerstaaten dem nationalen Kapital der Schuldnerstaaten über die Weltbank entnommen wird und international ein Vorschuss ist, eine Beziehung von Schuldverhältnissen, von Krediten in einem weltweiten Schuldgeldsystem.

Das durch Kredit inszenierte Wertwachstum gehört aber schon deshalb zur Hälfte der Weltbank, weil es außer dem Wert des dafür investierten Kapitals zugleich Schuldforderungen darstellt, welche die Mehrwertrate, also die Ausbeutungsrate der nationalen Wirtschaftspotenziale anschwellen ließ. Was sie nicht mehr realwirtschaftlich einlösen konnten, mussten sie über Kredite eintreiben. Die von daher jetzt betriebswirtschaftlich kalkulierten Volkswirtschaften benötigten schon bald zu ihrem Selbsterhalt eine stetig wachsende Staatsverschuldung bei der Weltbank. Und die Kreditsicherheit der Nationalstaaten wurde über selbst privat betriebene Ratingagenturen berechnet und wurden damit zum Schiedsgericht über das Wohl und Wehe ganzer Volkswirtschaften. Wer ihren Maßstäben nicht genügen konnte, fiel heraus. Das Risiko des Wertwachstums wurde den Menschen überlassen, der Mehrwert ging an das Finanzkapital. Und das machte die Klasse, die davon wusste, glücklich und inkompetent.

Die Schuldentilgung war daher jetzt zur Aufgabe eines jeden Staatsbürgers geworden und wurde fortan zur Bürgerpflicht, zur Belastung der Bürger durch die nationale Politik zur Bedienung des Weltgelds. Sie waren also letztlich die Schuldner, die sich in ihrer nationalen Wirtschaft in einem Umfang verausgeben mussten, der bis dahin unbekannt war. Sie wurden in die Pflicht genommen - und zwar nicht nur ihre Arbeit zur Produktion von Waren und Geld, sondern nun auch noch ihre realen Einkommen durch anwachsende Preise ihrer Lebenshaltungskosten, der Dienstleistungen und Gebühren (Steuern und Abgaben), die zur Kreditfinanzierung und Schuldentilgung aus der Geldzirkulation - also nach der abgeschlossenen Produktion - in zunehmenden Maß vereinnahmt werden.

Der Kreislauf einer gedoppelten Ausbeutungsrate, der weltweiten Mehrwertrate, hat sich damit geschlossen. Und er wurde zu einer teuflischen Spirale. Bald konnten nur noch durch anwachsende Staatsverschuldungen die Ausgaben der Staaten zur Finanzierung ihrer Aufgaben und Leistungen mehr oder weniger gut sicher gestellt werden. Was nicht mehr als Mehrwert aus der Produktion von Warenwerten zu ziehen war, wurde über die Zirkulation des Geldes durch eine expansive Verpreisung von bloßen Eigentums­titel, also aus rein politischen Ansprüchen gezogen, die zum weltweiten Maßstab der Preise geworden sind. Solche Titel haben ihren Wert in einem trinitarischen Verhältnis der Geldrente, als reiner Mehrwert, der sich in den nationalen Profiten, Grundrenten und Profiten selbständig darstellt. (34) Sie stellen die Preissumme her, die das Weltgeld als das Weltmaß der Werte zu decken hat.

Aber zwischen den Werten, die dieses Geld verkörpert, und den Preisen, die es bezahlt, besteht ein unauflösbarer Widerspruch zwischen nationalen Realwirtschaften und internationaler Finanzwirtschaft (35), der von einem produktiven Kapital nur durch ein stetig verschärftes Wertwachstum aufzulösen wäre, wenn es dieses noch geben könnte. Doch in diesem Widerspruch hat die Realwirtschaft eine materielle Grenze, die nicht mehr unter internationalen Marktbedingungen zu überwinden ist, weil keine Konkurrenz hierin mehr möglich ist, keine Verwertung sich mehr rentiert, außer der in der Preisbildung selbst. Mit zunehmender Produktivität wird die menschliche Arbeit zur Wertschöpfung relativ bedeutungsloser und die Preissumme des Weltgeldes auf den Finanzmärkten immer größer. Die Preise müssen mit fortschreitender Produktivität selbst jenseits ihrer Erzeugung und jenseits der Geld- und Warenzirkulation Wert darstellen und Mehrwert beziehen, um sich in Wert zu halten. Und das können sie nur über Produkte, die wirtschaftlich amortisiert und nur noch politisch vorhanden sind: bloße Eigentumstitel (36), die schon aus der Produktion enthoben und aus der Zirkulation keinen Wert mehr beziehen können, weil sie sich nur als reine Wertmenge des Geldes über Preise in ihrer Dreiheit, ihrer "trinitarischen Form" verhalten können, die keinem sachlichen Marktverhältnis mehr zukommen können. Ihr Wert ist immobil und nur noch politisch existent. Mieten, Steuern, Sozialabgaben, Lizenzen und sonstige Gebühren schnellen in die Höhe, während zugleich die Lebensarbeitszeit durch das Produktivitätswachstum einer zunehmend automatisierten Arbeit nicht abnehmen kann, sondern durch die anwachsende Konkurrenz um die Arbeitsplätze überhaupt zunimmt, die Lohnarbeit immer wertloser macht und sie im großen Maßstab prekarisiert. Deren Quellen der Ausbeutung haben sich hierdurch verdoppelt und wurden zu einer Verwertungszange, die jede Wirtschaft in den Griff bekommt, weil sie sowohl die Produktion wie die Zirkulation ihrer Waren, sowohl ihre Produktivität, als auch ihre Währung über den Welthandel mit einem mehr oder weniger fiktiven Weltgeld für das Wertwachstum des internationalisierten Finanzkapitals nutzen muss. Die Wertverhältnisse dieses Wachstums sind nicht mehr durch menschliche Arbeit zu bezahlen.

Um zu begreifen, was mit der unbezahlten Arbeit dann geschieht, ist hier erst noch auf das zu reflektieren, was ihr Verhältnis zur bezahlten Arbeit überhaupt ausmacht. Dadurch soll sich erklären, was die bürgerliche Gesellschaft wesentlich verändert hat.

Das Verhältnis von bezahlter und unbezahlter Arbeit

Die bürgerliche Gesellschaft gilt als der Auftakt einer Geschichte, die durch die gesellschaftliche Entwicklung der Arbeit und Industrie immer mehr Bedürfnisse befriedigen kann und durch die Verbesserung ihrer Produktivkraft ungeahnte Möglichkeiten der Reichtumsbildung für die Menschheit schafft. Und es gibt auf dieser Grundlage tatsächlich große Entwicklungen, technische Revolutionen, die durchaus in der Lage wären, den Aufwand der Menschen zur Bewältigung ihrer Lebensgrundlagen, ihrer Arbeit und Arbeitszeit zu verringern, ihren Lebensstandard zu verbessern und ihre Beziehungen zu vertiefen, das Bedürfnis des Menschen nach dem Menschen zu verweltlichen und die Mühen und Beschwerlichkeiten des Alltagslebens deutlich zu mindern.

Doch Kapitalismus ist ein Pakt zwischen Himmel und Hölle. Und so hatte ihn schon im Jahr 1805 der ehemalige Finanz- und Wirtschaftsminister am Weimarer Hof, der Geheimrat Johann Wolfgang von Goethe in seinem "Faust" beschrieben und die Logik des Kapitalismus als poetische Dialektik einer teuflischen Finsternis bestens verfasst. (37) Sein Mephisto weiß um das Nichtigkeitsprinzip der Verwertung des Lebens. Die Grundlage von jedem Fortschritt, den die Menschheit darin macht, folgt seinem Prinzip: "denn alles, was entsteht, ist wert, daß es zugrunde geht". Die Menschen müssen sich dem Teufel verschreiben, um in der Hast ihres Erlebens Glück zu finden (38). Der gewinnt ihre Seele in dem Augenblick, in dem sie aus der Momenthaftigkeit solcher Ereignisse heraustreten und es unendlich erleben wollen.

Doch das stetige Glück tritt nur als Glücksversprechen des Finanzkapitals auf. Im zweiten Teil sind seine fürstlichen Sphären mit einem Mephisto anzutreffen, der Geld aus ungeborgenen Schatzfunden, aus der Spekulation auf Bodenschätze schöpft. Das verschafft dem sinnenfrohen Panoptikum einer höfischen Gesellschaft einen Mehrwert an Verbindlichkeiten, die Angst, Hoffnung und Klugheit zu einem Konstrukt der Macht vereinen, die im Mummenschanz höfischer Maskeraden dem Unglück der Menschen ein Himmelreich hoher Persönlichkeiten vorspielt. Es sind die Masken der Geldschöpfung, die als ordnende Elemente des Lebens auftreten. Durch sie erwächst aus dem Unglück der Menschen die Macht der Edlen und Schönen, ihre "Morgensonne" und Sitten. Aber Faust erkennt darin die Tyrannei des Edelmuts, der jeden Besitzer von Schatzverbriefungen zum Fürsten macht: "Erst haben wir ihn reich gemacht, Nun sollen wir ihn amüsieren". Schließlich richten die Geldsorgen des maskierten Kaisers ein flammendes Inferno an.

Tatsächlich hat schon ein Geldbesitzer weit mehr Macht als der Besitzer seiner bloßen Arbeitskraft, der durch seine Arbeit sich veräußernde Mensch, denn letzterer ist nur ein Verkäufer auf dem Markt der unbeschränkten Möglichkeiten. Wer Geld hat ist dagegen ein Marktsubjekt, ein Käufer, der alles kaufen kann was angeboten und auch speziell für seine Bedürfnisse produziert wird. Er ist Eigentümer von allem, was ihm durch die Wertmasse erschwinglich ist, die er oder sie in der Tasche hat, ganz gleich, ob er es nötig hat, um existieren zu können, oder damit auch mehr bekommen kann, als das, was ihn bloß am Leben hält. Entscheidend ist, wie er oder sie zu Geld gekommen ist, was er verkaufen musste um Geld zu haben, mit dem er bezahlen kann.

Wer seine Sachen oder seine Arbeitskraft verkaufen muss, weil er nichts anderes zum Verkauf besitzt, ist das Objekt der Begierden, der Marktsubjekte, die dafür natürlich so wenig bezahlen wollen, wie irgend möglich. Käufer und Verkäufer stellen auf dem Markt die gegensinnigen Positionen einer Macht dar, die über ihr Wohl und Wehe entscheidet und schon in ihrer Logik durch ihr Wachstum an Macht gewinnt, indem sie die Ohnmacht bestärkt, die den Verkäufer arm und den Käufer reich macht. Denn das Geld als Zahlungsmittel ist weit mächtiger als es Geld als bloßes Kaufmittel überhaupt sein kann.

Andererseits hatte Geld in der bürgerlichen Gesellschaft aber auch nur so viel Mehr an Wert, wie es auch ein Mehr an menschlichem Arbeitsaufwand - in der durchschnittlich nötigen Zeit gemessen - transportiert. Während die Menschen für ihren Lebensunterhalt arbeiten müssen und dafür bezahlt werden, um ihren gesellschaftlich bestimmten Lebensstandard durch das Kaufmittel zu erhalten, indem sie eben als Verkäufer ihrer Arbeitskraft auftreten, erwerben die Einkäufer dieser Kraft eine Verfügungsmacht über diese. Sie können sie durch Verträge ihres Preises und einem entsprechend vereinbarten Zeitraum arbeiten lassen, was immer sie wollen. Und dieser Zeitraum ist nicht ökonomisch bestimmt, sondern Resultat politischer Aushandlungen. Ökonomisch bestimmt ist nur das Verhältnis des Aufwands für die Reproduktion des arbeitenden Menschen im Rahmen seiner Belastungen für Bildung, Vorsorge und Familie. Politisch bestimmt ist die Zeit, die ihm darüber hinaus als Freizeit verbleibt. Und weil sowohl die Arbeitskraft wie das Produkt der Arbeit nur privatrechtlich auf den Märkten gehandelt wird, wird dort im Durchschnitt der Preis bezahlt, der handelbar ist und der sich aus den Konkurrenzen der Anbieter und Käufer jeweils ergibt. Der Käufer kann das damit erworbene Privateigentum benutzen, wie er will. Politisch, also in seinen gesellschaftlichen Bezogenheiten, verfügt der Verkäufer seiner Arbeitskraft aber nur über das, was ihm mit seinem Arbeitslohn zur Nutzung überlassen ist, also das, was in den komplexen Lebenszusammenhängen einer Gesellschaft entstanden ist, um privat genutzt zu werden. Das eben macht Privateigentum aus. Und das macht auch den Unterschied in der Wirtschaftlichkeit der Nutzung aus, wenn der eine nur einen Lohn für seine Lebensmittel durch die Veräußerung seiner Lebenskraft erwerben, der andere aber dessen ganze Lebensverhältnisse durch die private Aneignung der gesellschaftlichen Arbeit bestimmen kann. Von daher können die Menschen sich nur in gegensätzlichen Klassen zueinander verhalten.

Als Verkäufer seiner Kraft und Energie erarbeitet der Lohnarbeiter seine Lebensmittel, also den Wert, mit dem er sie bezahlen kann. Wer sie nutzt, kauft ein Vermögen ein, durch das er politischen Vorteil erhofft. Im Arbeitstag stellt sich diese unterschiedliche Position so dar, dass der arbeitende Mensch sehen muss, dass er möglichst nur soviel Zeit arbeitet, wie sein Lohn zur Bezahlung der Preise für seinen Unterhalt betragen muss. Und der Anwender seiner Arbeitskraft sieht zu, dass er über die hierfür bezahlte Arbeit und sein eigenes Einkommen zum Selbsterhalt hinaus arbeiten lässt, um einen Wert zu beziehen, der seine Konkurrenzlage auf den Märkten stabilisiert und erweitert. Er lässt also über die Länge eines durchschnittlichen Arbeitstags für den gesellschaftlich durchschnittlichen Lebensunterhalt hinaus länger arbeiten. Während der arbeitende Mensch im Durchschnitt durch die Produkte auf den Märkten nur den Wert seiner Reproduktion zurückbekommt, erhält der Geldbesitzer, der die Nutzungszeit seiner Kraft erstanden hat, zugleich einen Mehrwert, den er in dem Maße einnehmen kann, wie er durch unbezahlte Arbeit aus der politischen Vereinbarungen für sein privates Kaufmittel einhandeln, nutzen und wieder verkaufen kann. Er muss natürlich auch zusehen, dass sich seine Produktionsbedingungen von seinen Erträgen erhalten lassen. Er kann sich aber je nach der Marktposition seiner politischen Macht bei diesem Deal Sicherheit für seine Markt­risiken einhandeln und auch für das Wachstumspotenzial seiner Verwertungschancen der Arbeit und seiner Wirtschaft möglichst viel unbezahlte Arbeit einhandeln.

Was die Arbeit unter diesen Bedingungen an Wert hat und was Arbeit an Wert schafft, ist somit zweierlei. Das Verhältnis beider wird je nach Anteil an einer verfügbaren Geldmenge zwischen Angebot und Nachfrage ausgepreist. Der produzierte Wert kann dabei nicht an irgendwelchen formellen oder strukturellen Maßstäben bemessen werden, weil alles sich zwischen Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft abspielt, weil es also nur geschichtlich existiert. Es kann daher auch nicht in der Verteilung der Arbeit und ihrer Produkte gerecht zugehen, solange das Privateigentum diese Verhältnisse bestimmt, weil es nicht ihre wirtschaftliche, sondern ihre politische Form ist (39). Der Markt selbst regelt das Bewertungsverhältnis objektiv, also durch seine Formbestimmung ökonomisch aus, während die handelnden Personen sich möglichst günstige Preise für ihre Einkäufe und Verkäufe und den entsprechenden vertraglichen Verbindlichkeiten einhandeln müssen. Das ist die einzige "Freiheit", die sie haben. Die Verkäufer sind von der Geldmenge bestimmt, welche die Käufer zu Händen haben. Und das ist eine Menge, die sich nach dem erzeugten Mehrwert, also nach der unbezahlten Arbeit richtet und sich als Verwertungszwang des Wertwachstums gegen sie richtet, ganz gleich, wie bescheiden oder gierig die Kapitalisten sich hierbei verhalten. (40)

Wie aber sollen die Menschen einen Mehrwert aus unbezahlter Arbeit für Produkte bezahlen können, die auf den Märkten zusammen mit ihren Lebensmitteln angeboten werden, die sie bezahlen müssen? Warum gehen die Mehrprodukte aus der Mehrarbeit nicht auch in ihren Lebensstandard über? Es mag zeitweise kleine Verbesserungen ihres Lebensstandards durch Lohnerhöhungen geben. Entscheidend jedoch ist das politische Verhältnis des Privateigentums, das sich aus den Konkurrenzverhältnissen der Verwertung ergibt.Denn durch die Erhöhung der Preise und Gebühren werden diese schnell wieder aufgehoben, "bessere Löhne" durch höhere Lebenshaltungskosten ausgeschmiert. Nicht das Wachstum an Lebensstandard bestimmt die Warenmärkte, sondern das Wachstum an Geldmasse, welche die Preise bestimmt - also durch das Wertwachstum schlechthin, das aus der politischen Position der Geldbesitzer ergeht.

Das Wertwachstum und seine Krisen

Geld stellt den Wert jedweder nützlichen Arbeit dar, nicht nur der körperlich existenten Produkte, sondern auch nicht reell existenter oder unverkäuflich gewordener Produkte, die keinen Preis finden können, die zwar zum Nutzen für Menschen hergestellt, nicht aber mit einem rentablen Preis veräußert werden konnten. (41) Geld stellt im Maßstab der Preise ihren Wert in dem Anteil an der gesamten Preissumme dar, auch wenn sie nichts kosten, aber durch die Preise anderer Waren in der Preisdarstellung auf dem Markt relativiert und verdurchschnittlicht sind. Geld ist aber zugleich das Maß der Werte und als solches ist es die Wertdarstellung der bezahlten wie der unbezahlten Arbeit überhaupt.

Angebote von Gütern aller Art gibt's im Überfluss, weil hier das Kapital vor allem das Problem hat, seine Wert-Produktion in Gang zu halten und schon deshalb immer mehr produzieren muss, als es absetzen kann. Von der Mehrheit der Bevölkerung kann aber nur mit Geld bezahlt werden, das auch bezahlte Arbeit darstellt. Zwar können auch Kapitaleigner und Kleinbürger einen Teil eines mehrwerthaltigen Geldes zur Bezahlung eines "besseren" Lebens ausgeben oder in die Investition von Produktions- und Verkehrsmittel einzahlen, wenn sie mehr davon haben, als sie zum Leben brauchen. Aber die Wertmasse der Produktmasse lässt sich durch das Warenhandelskapital nicht in Wert halten, weil ihr Mehrwert nicht zur Reproduktion der Menschen und der Kapitalanlagen bezahlt wird,sondern in die Verwertung des Kapitals wieder eingeht. Dieser Wertüberschuss für einen besseren Lebensstandard resultiert ja auch aus dem Arbeitsteil des Arbeitstags, der darüber hinausgeht. Aber er ist dennoch abhängig von der Produktivität der Arbeit, weil die fortschreitende Automation immer mehr Produktquanta erzeugt und immer weniger produktiv arbeitende Menschen beschäftigt und deren Arbeit relativ zum Gesamtprozess immer wertloser macht. Das Wertwachstum kann sich nicht analog zum Wachstum der Produktivität, also zum Wirtschaftswachstum entwickeln. Es hinkt ihm immer hinterher, wie auch die Einzelkapitale dem technologischen Fortschritten hinterherhinken, die sie leicht vom Markt abdrängen können. Die Wertverhältnisse geraten tendenziell in immer tiefere Krisen.

"Der letzte Grund aller wirklichen Krisen bleibt immer die Armut und Konsumtionsbeschränkung der Massen gegenüber dem Trieb der kapitalistischen Produktion, die Produktivkräfte so zu entwickeln, als ob nur die absolute Konsumtionsfähigkeit der Gesellschaft ihre Grenze bilde." (Karl Marx, MEW, Bd. 25, S. 501).

Alleine schon für seine Existenzsicherung auf den Märkten muss das Kapital immer sehr viel mehr Wert besitzen, als es für die Existenz­erhaltung der Menschen und seiner Anlagen in Umlauf bringt, nicht nur um neu zu investieren und die Entwicklung der Produktion zu bestimmen, sondern vor allem um seine Risiken, welche die Märkte darstellen, zu beherrschen. Aus dem Unvermögen, den Wert des Geld­über­schusses in den Preisen ermitteln zu können, weil dieser immer erst im Nachhinein aus der Konkurrenz der Verkäufe als Ausgleich für die Kosten und für Profit ergeht, ist es getrieben, überall so viel Geld einzuhandeln, wie es nur kann. Solange Waren auf den Märkten gehandelt und mit Geld bezahlt werden besteht daher eine stete Unsicherheit darüber, was überhaupt Geld in Wert halten kann. Der Markt treibt bei seiner Wertrealisierung zu einer Verwertung der Produktion, durch die immer mehr Mehrwert angeeignet werden muss und es muss immer mehr Wert produziert werden, je dichter die Konkurrenzen fluktuieren. Und es würde jeder Wert sich schnell verflüchtigen, wenn ihm nicht immer wieder Mehrwert durch "frisches Geld" zugefügt würde, also Geld, das durch menschliche Arbeit nur für deren Selbsterhalt entstehen muss. Und diesem Verwertungstrieb folgend muss immer mehr Wert produziert werden, um seinen Wert überhaupt zu erhalten und abzusichern. (42)

Um wirkliche Bedürfnisse geht es dabei ja längst nicht mehr, wo vor allem nur noch Geld - und inzwischen auch Mehrwert - den Zusammenhang der Menschen stiftet. Im Konsum sind für den Geldbesitzer alle Bedürfnisse gleich, weil sie alles kaufen können, was ihnen beliebt. Doch die Verkäufer, die Arbeitskräfte und Lieferanten, die ihnen durch ihre Angebote erst den Reichtum ermöglichen, die sie für das Wertwachstum nützen, müssen sich an den Preisen ihrer Selbsterhaltung orientieren und können nicht ein unendlich nötiges Wertwachstum bedienen, also einer systemnotwendigen Profitrate nicht wirklich dauerhaft entsprechen. Denn je intensiver die Produktion durch ihre Technologie und Automation wird, desto wertloser wird menschliche Arbeit pro Produkt. Das allgemeine Prinzip der Entwicklung ihrer Verwertung widerspricht der einzelnen Realisierbarkeit in ihren Preisen. Der Arbeitsaufwand zum einzelnen Selbsterhalt der Menschen wird immer geringer, so dass der allgemeine Mehrwert, der aus dem Existenzdruck der arbeitenden Menschen zehrt, immer größer werden müsste, um den Geldwert auch in Wert zu halten. Denn je mehr produziert wird, desto größer wird bei gleichbleibendem Wert auch die zirkulierende Geldmenge. Und je fortgeschrittener das Wertwachstum ist, desto dringender ist der Absatz von Produkten, die sonst unverkäuflich werden. Was die Verwertungsrate, die Mehrwertrate verlangt, lässt auf Dauer die Profitrate fallen. (43)

Was zunächst nur als Absatzkrise in Erscheinung tritt, wird zu einer elementaren und stetig wachsenden Verwertungskrise des Kapitalismus schlechthin. Denn das Kapital hat seine Krisen durch den Geldwert überhaupt. Es würde sich sukzessive erschöpfen, wenn die Geldbesitzer ihr Geld nicht in eine eigene Welt abführen würden, um über die Finanzwelt auf den Märkten der Wertpapiere und ihrer Derivate ihr fiktiv werdendes Kapitals in Wert zu halten. Das fiktive Kapital, also das Kapital, das keine Anwendung findet wiewohl es aus Arbeit entstanden und für irgendeinen Markt gedacht war, erzeugt eine ganz eigene Art der Anwendung des Geldbesitzes: Die Spekulation auf Schuldgeldverhältnisse, auf den Wert von "Derivaten" aus Wertpapieren.

Von der Marktwirtschaft zum Finanzkapitalismus

Mit der Globalisierung und also dem Freihandel von Geld wurden die Grenzen der bürgerlichen Produktion überschritten und über die Geldzirkulation die Ausbeutung der Menschen und ihrer Lebensgrundlagen verdoppelt. Der ungeheuerlich auswachsende Geld­markt wurde schließlich durch die Ideologie des Neoliberalismus verschleiert, indem der Geldreichtum der Wenigen als potenzielle Bereicherung der Weltbevölkerung ausgegeben wurde (44). Und diese Theorie sollte die für den Geldmarkt erweiterte Theorie des Liberalismus sein, wie sie schon im 18. Jahrhundert von Adam Smith für die Marktwirtschaft überhaupt formuliert war. Und die war ebenso falsch wie das von ihm begründete Verständnis des Liberalismus:

"Es ist die große Vermehrung der Produktion in allen möglichen Sparten als Folge der Arbeitsteilung, die in einer gut regierten Gesellschaft jenen universellen Reichtum verursacht, der sich bis zu den niedrigsten Bevölkerungsständen verbreitet." (Adam Smith: Wealth of Nations)

Richtig davon ist lediglich, dass die Teilung und Zersplitterung der Arbeit in isolierte Einzelarbeiten Wertwachstum dadurch erzeugt, dass deren ökonomischer Zusammenhang den Menschen entzogen wird und einen Geldwert als eigenständige Macht über die Produktion hervorzaubert, mit der es dann so scheint, als ob Geld mehr Geld erzeugen könnte. Aber es bleibt immer noch das konkrete organische Verhältnis der Produktion und der Verteilung ihrer Produkte, was die wahren Abhängigkeiten der Welt ausmacht und bestimmt. Und der Verhältnisschwachsinn des Liberalismus und seines "Freihandels" dient lediglich der Täuschung über die wirklichen wirtschaftlichen Abhängigkeiten, die in der Teilung der Arbeit zerfallen sind, der Aufspaltung von Käufer und Verkäufer, von Geldbesitzer, welche die Preise bestimmen, und den Lieferanten, welche die Werte beibringen. Nur deshalb können sich Verwertungsverhältnisse weltweit entwickeln, welche zur Existenzbedingung gegensinniger Abhängigkeiten werden: Die wirtschaftliche Macht, welche die Produktivität und Kaufkraft entscheidet, darüber was Menschen erbringen müssen, um an einem Verhältnis teilzunehmen, in dem sie ihren Lebensunterhalt nur dadurch halten können, wenn sie andere bereichern. Organisch bewirkt dieses Verhältnis auf Dauer eine Geschichte der Bereicherung der Reichen, die im Grunde nur noch an der Verarmung der Armen interessiert sein kann. Doch wie und warum kann sich ein so unsinniges Verhältnis überhaupt entwickeln und warum konnte es bisher noch nicht aufgehoben werden?

Seit es den Kapitalismus gibt, gibt es den Kapitalvorschuss, also das Geld, das vorgeschossen wird, um daraus mehr Geld zu machen. Schon auf dieser Ebene herrscht ein Sollen, die Notwendigkeit, den Wert des ausgegebenen Geldes einzulösen und zugleich mehr Wert zu schaffen, welcher der einzige Grund sein kann, dass Geld vorgestreckt wird. Der Kapitalismus beruht von daher immer schon auf einer Verpflichtung zu Profit, die der Geldbesitzer in der Regel allerdings nicht wirklich einzulösen hat, wenn und solange es ihm gelingt, durch die Aneignung fremder Arbeit einen Mehrwert zu erzeugen, der das ausgegebene Geld nicht nur reproduziert, sondern auch den Vorschuss durch unbezahlte Arbeit befriedigt, also den Grund einlöst, für den Geld vorgeschossen wird. Insofern kann man sagen, dass der Kapitalismus selbst schon auf einem Verschuldungsprinzip beruht, wie es durch das Kreditsystem auch auf der Ebene des Finanzsystems fortgetrieben wird.

Was das Geld als selbständiges Kaufmittel durch seinen Trieb zum Wertwachstum bewirkt, ist für den Produzenten von Wert der Verlust an Kraft, Ressource und Selbstbestimmung. Seine Verarmung entsteht aus dem Treiben der Geldverwertung, die unentwegt Geld als Kaufmittel beischaffen muss - allein schon um den Geldwert zu erhalten. Es ergibt sich hierdurch eine sich potenzierende Verarmungsspirale für die Objekte des Handels, die nicht nur die Verhältnisse in Europa zerstört, sondern auch weltweit Hunger und Elend produziert. Der Zusammenschluss der EU-Länder hat ja schon auf einer rein ökonomischer Basis der Geldverhältnisse zur Genüge gezeigt, dass damit die Gläubigerstaaten die Schuldnerstaaten ruinieren, weil sie organisch durch ihre Produktivkräfte beherrschen, was ihnen schon Mehrwert verschafft, wenn über den entsprechenden Werteintrag ihr Geld zumindest bleiben kann, was es für sie ist und durch den Geldhandel zu mehr Geld wird.

Kapitalismus ist eben in seinem Ursprung schon nichts anderes als ein marktwirtschaftliches System von vorgeschossenem Geld, das zu mehr Geld werden soll, indem es produktiv, also durch die Mehrwertproduktion der Arbeit verwertet und als Wertwachstum realisiert wird. Dieser Vorschuss kann für Investitionen in die Produktion direkt oder z.B. als Aktie eingegeben werden, die sich am Produktionsrisiko beteiligt und deshalb Dividenden ausschüttet, oder als Kredit, der aus dem Umlauf des Geldes unter den Bedingungen der durchschnittlichen Profitrate entnommen wird, um damit Ex­­tra­profite zu machen.

Diese können sich in zwei unterschiedlichen Kreditformen einbringen. Der Wert des Kapitalvorschusses erbringt außer seinem Geldwert den Zins, dessen Ertrag der Profit, den das Einzelkapital damit machen muss. Der Zins stellt den Wert des Geldvorschusses dar, ist also der Preis dafür, dass man damit auch mehr Geld machen kann. (45) Im Unterschied hierzu ergeht der Wert von Wertpapieren aus der Geldzirkulation, durch den fiktiv gewordenes Kapital sich einen Anteil am Wertwachstum aus dem Verhältnis der konkurrierenden Mehrwertraten, also der Ausbeutungsraten der konkurrierenden Einzelkapitale erhofft, das als Dividende ausgeschüttet wird. Von daher lässt sich überhaupt der Handel mit Wertpapieren per se schon in Wetten auf ihren Erfolg oder Misserfolg abwickeln.

Doch auf dem Geldmarkt für sich genommen ist Kapital zunächst mal nur ein Mehrwert, der nicht real ist, der also nur in der Vorstellung existiert, weil er einem Zahlungsversprechen bei der Kreditvergabe entnommen ist. In dieser Einfachheit ist es ein Rechtstitel auf einen bestimmten Geldbetrag, der zwar politisch, nicht aber wirklich ökonomisch im Geldwert existiert. Im Kredit ist er nicht realisiert, obwohl darin durchaus produzierter Mehrwert, der Wert einer wirklichen Mehrarbeit enthalten sein muss. Er zirkuliert im Kredit zunächst noch als Geldbetrag, als Teil der Preissumme, die als Maßstab der Preise fungiert, und kann im Zins auch Ertrag nur deshalb realisieren, weil er aus dem Produktionsprozess heraus als Wertmaß in den Warentausch geraten war und als Gebrauchswert des Geldes durch seinen Profit verkauft wird. Jeder Kredit zielt daher vor allem darauf, Geld als Zahlungsmittel zu verwerten, indem er Geld als Kaufmittel vorstreckt.

Geld wird durch Kredite in einer Wertmasse gehalten, wodurch Geld als Kaufmittel für eine potenzielle Produktivität angeboten und eingesetzt wird. Und durch den Kredit wird eine Art von Geldbesitz geschaffen, durch den ein Kreditnehmer in die Lage versetzt wird, Geld als Zahlungsmittel für einen Mehrwert auf einem höheren Niveau jenseits der Realwirtschaft einzunehmen. Die Wirkung des für den Kredit angewandten Geldes ist damit verdoppelt und verselbständigt durch die Verpflichtungen, die Schulden mit sich bringen: Sie müssen sowohl den Umsatz von Geld erst verdienen, der zugleich eine Mehrarbeit für den Preis des Geldes verlangt.

Die damit eingegangene Zahlungsverpflichtung stellt daher auch selbst schon einen gedoppelten Wert dar: nämlich den, der damit erstandenen Waren oder Produktionsmittel einerseits und zugleich den Wert des kreditierten Geldes, das sich der Gläubiger gutschreibt. Und diese Doppelbuchung muss durch die intensivierte Belastung auch durch doppelten Aufwand aus der Lebenswelt der Menschen eingebracht werden, einmal als Kaufmittel für den Verbrauch an Gebrauchswerten und zum anderen als Mehrarbeit für eine Entwicklung des Kapitals, die bereits durch den Geldbetrag des Kredits finanziert, und also Vergangenheit ist, obwohl sie erst noch erbracht werden muss.

Die Marktwirtschaft hat mit der Kapitalbildung selbst schon ein Kreditsystem hervorgebracht, das seinen eigenen Trieb zur Geldvermehrung zu einem Wertwachstum fortgebildet hat, das seine eigenen Nöte aus seinen Risiken heraus auch dort produziert, wo es sie lösen soll. Wer auf den Handel mit Wertpapieren spekuliert, der sucht aus dem Verhältnis von Krediten im "Derivatenhandel" selbst nochmal Mehrwert zu erwerben, ohne dass sein Geld hierfür in reale Produktion vorgeschossen wird. Es ist lediglich ein Vorschuss in das Kreditsystem höchstselbst. Und es geht hierbei um die Verwertung einer Geldzirkulation, die ihre Produktion kommandiert. Das von einem Gläubiger verliehene Geld unterscheidet sich dabei grundsätzlich von dem des Aktionärs. Während jener mehr Geld durch Zinsen verspricht, beteiligt sich dieser am Risiko der Produktion und der Realisierung ihres Absatzes, also an der Produktion und der Zirkulation der Waren, die hierbei entstehen. Indem die aus dem fiktiven Kapital entwickelte Finanzindustrie selbst auf den Wert des Kredites als Buchgeld spekuliert, geht es ihr nurmehr um die Verwertung des Geldwerts und seiner Fiktionen, um die "Derivate" seiner Verwertung mit "Hedgefonds" (46) und Termingeschäften. Darin bewegt sich der Geldwert nur noch zwischen den Devisenwerten von Krediten in die Produktion und den Vorschüssen in Wertpapieren auf den Finanzmärkten. Eine Seite gewinnt dabei immer, solange es Geld und Kredite in verschiedenen Währungen gibt. Denn mit dem einfachen Kredit aus einer im Wertverfall befindlichen Wirtschaft werden Devisenwerte entliehen, um sie nach dem Fall zu einer schlechter gewordene Währung zurück zu bezahlen.

In Termingeschäften. (47) und Hedgegfonds "arbeitet" das Geld in einer prosperierenden Währung mit Schuldverschreibungen, während es der schwächelnden Währung Wert entzieht, die zudem noch mehr geschwächt und also noch billiger wird. Im Lauf der Zeit rentiert sich das immer, solange sich keine Finanzblasen entwickeln. Es verlangt lediglich die Aufmerksamkeit auf die Geldbewegungen, die zunehmend von Computern auch überwacht und schließlich selbsttätig von ihnen entschieden werden. Inzwischen entscheidet oft schon die Leistung und Geschwindigkeit der Computerchips und der angewandten Programme, ob einzelne Betriebe oder ganze Branchen sich am Markt halten können.

Auf den Börsen tummeln sich die Geldbesitzer, die ihr Geld verkaufen, bzw. "anlegen", um durch Spekulation, durch Wetten auf die mögliche Zukunft einer positiven Geldverwertung "Gewinne" auf dem Kapitalmarkt zu machen. Ursprünglich war jede Anlage ein Kredit in die Investition von Produktionsmitteln, durch die eine gesteigerte Produktivität Konkurrenzvorteile und Wachstum beibringen konnten. Doch dieses Wachstum geht jetzt immer schneller wieder unter, weil die Investitionen sich relativ zum Produkt immer schneller verbilligen und das Geld immer schneller zirkuliert und daher auch solche Mittel immer schneller zum Durchschnitt werden. Und sie werden ganz schnell durchschnittlich, wann immer die Produktion sich automatisieren lässt.

Das große Problem des Kapitalismus ist, dass mit einem reellen Wirtschaftswachstum, also mit verbesserter Technologie der Marktwert der Arbeit pro Arbeitskraft immer geringer wird und deshalb ihre Produktmasse immer größer werden muss, um dagegen zu halten. Jeder technische Fortschritt geht relativ schnell in den durchschnittlichen Standard des Lebens und der Arbeit über. Und so kann sich auch die Spekulation auf die Konkurrenzverhältnisse der Realökonomie auf Dauer nicht halten, obwohl sie letztlich die einzige reelle Basis der Gesellschaft ist. Aber mehr Geld entsteht inzwischen am ehesten, wenn man sich an Fiktionen beteiligt, wenn man das fiktive Kapital als "Spielgeld", als eine Geldmenge für eine Wette einsetzt, mit der die Verhältnisse zwischen Verwertungslage und Preisbildung eingeschätzt wird und damit Geld im wahrsten Sinne des Wortes "gewinnen" kann, auch wenn man auf realökonomische Verluste setzt. Man kann ebenso gut auf Wachstum wie auf Niedergang wetten, denn je nach dem, wie dies eingeschätzt wird, kann der eine gewinnen, was ein anderer verliert. Jeder Hedgefond-Broker weiß das und macht seine "Gewinne" nur noch durch den Wechsel zwischen Wertveränderungen und Preisveränderungen in kürzesten Zeitabständen - und zwar danach, wann von den produzierenden Einzelkapitalisten unter Wert produziert oder unter Preis verkauft werden muss, um sich auf dem Markt halten zu können, oder ob über Wert produziert werden kann, weil der Produktivitätsfortschritt das einbringen kann. Doch das Letztere wird immer seltener. So werden die Unternehmungen und Arbeitsplätze in einer teuflischen Abwärtsspirale zunichte gemacht, die ihre Preise immer mehr verbilligen müssen, nur um für den Kapitalmarkt noch "interessant" zu sein - interessant bis zum Untergang oder durch den Untergang.

Die Produktivität der Staatsverschuldung

Produktiv ist im Kapitalismus alles, was Mehrwert erzeugt, gleich, ob es Menschen, Maschinen oder Geldanlagen sind, die das in Gang setzen. Aber real ist Produktivität nur durch die unbezahlte Arbeit von Menschen. Die Spekulation hat sich aber von der realen Mehrwertbildung abgelöst und ist zu einem System der Schuldpflichtigkeiten geworden, das im Grunde nur noch als Spekulation auf die Verwertungschancen von Eigentumstiteln, also auf die Verwertbarkeit eines bloßen Rechtsverhältnisses funktioniert. Aus den Eigentumstitel der den Menschen notwendigen Lebensumstände wird somit eine zweite, eine rein politische Form der Ausbeutung genutzt, die sich nicht mehr um ihre Wirtschaftlichkeit bemühen muss, weil sie nur noch politische Gewalt verwertet. Sie betreibt ihren Mehrwert durch einen Lohnabzug, also eine unbezahlte Arbeit, den sie dadurch erwirbt, dass mit den Privatformen des Lebensraums der Menschen, durch Eigentumstitel, die von ihrer Produktion her längst amortisiert sind, der Raum ihres Wohnens und die Mittel ihres Verkehrens, Kommunizierens usw., per Pflichtschuldigkeit nicht des Schuldners sondern der arbeitenden Menschen eingezogen wird (48). Es werden somit stetige Einnahmen aus Lizenzen, Gebühren und Steuern bezogen, also als Lohnabzug zurückgewonnen, die durch unmittelbar produktive Arbeit nicht mehr erbracht werden, weil diese sich realökonomisch immer weniger rentiert. In diesem Lohnabzug verschwindet die Herkunft jeder bestimmte Arbeit als Reproduktion eines Lebens, das weniger von seinen Lebensmitteln, sondern vor allem von der politischen Formation seiner Lebensbedingungen abhängig ist und macht alle Arbeiten zur Mehrwertbildung tauglich, besonders eben auch die Arbeit als Dienstleistung. Solche Arbeit muss nicht mehr als Tätigkeit produktiv für das Wertwachstum sein; sie ist es schon durch den politisch bestimmten Lebensraum, in welchem sie angewendet und vermittelt wird.

Es ist hierdurch auch eine neue Qualität der Ausbeutung von Menschen entstanden, da das über Eigentumstitel kreditierte Kapitalverhältnis keine Beschränkung durch reale Produktion und realen Konsum mehr erfahren muss. Im Grunde bestimmt lediglich die Bewertung von Eigentum durch die Agenten des Finanzkapitals über den Grad der Ausbeutung von Menschen und ihrer Lebensstrukturen und Natur, und lediglich deren Erpressbarkeit durch solche Titel macht die Schranke eines an sich unendlichen Verhältnisses aus, das am besten mit Feudalkapitalismus zu bezeichnen ist. (49)

Die Eigentumsrechte verschaffen darin die verbleibende Wertsicherheit eines Produktionsverhältnisses, das durch die Entwicklung seiner realen Produktivkraft schon weit über sich hinausgewachsen, anachronistisch geworden ist. Ihr Wert besteht nach wie vor aus einer Mehrarbeit, die zwar bezahlt zu sein scheint, weil sie die Reproduktionskosten der Menschen (Miete, Steuern, Gebühren) abdecken muss. Aber diese Reproduktionskosten werden nicht für Waren bezahlt, die im gesellschaftlichen Stoffwechsel von Arbeit und Bedürfnis gebraucht und verbraucht werden, sondern lediglich eine Rechtsform bedienen, die als Lohnabzug teils durch Privatbesitz, teils durch den Staat eingetrieben wird, der damit seine Verschuldung beim Weltkapital unterhält. Im Großen und Ganzen spielen Staat und Kapitalbesitz hierbei eine einvernehmliche Rolle, die weit über ihr reales Vermögen hinausgreift, weil das vorwiegend werthaltige Reservefond der Gesellschaft nurmehr fiktives Kapital ist.

In der Geldzirkulation zwischen Wertproduktion und Wert­reali­sierung existiert jetzt ein fiktives Kapital, das als wirklich handelbare Vorstellung einer Verwertungsoption auftritt, indem es als Wertpapier auch den Gläubiger beliebig wechseln kann, als Zahlungsverpflichtung des Geldumlaufs, die unter bestimmten Umständen einen höheren Preis im Verkauf des Wertpapiers einbringen kann, als der staatlich gesicherte Zinsfuß für einen Kredit. Während dieser im Maß der Durchschnittsprofitrate, also im Maßstab der Realwirtschaft bemessen ist, verkörpert jener alleine die Differenzerträge aus dem Geldumlauf, der Zirkulation von Werten, die sich unter den Gläubigern getrennt von allen realen Schuldverhältnissen rentieren muss und Profite dann abwirft, wenn aus dem Eigentumstitel als Wertpapier ein intensiverer Geldumlauf betrieben werden kann, als er durch den Kredit für produktive Kapitalinvestitionen per Zins zu erreichen ist. Dann steigt die Nachfrage nach dem Wertpapier, das wie eine Zahlungssicherheit zur Minderung des Marktrisikos (z.B. als Staatsverschuldung) gehandelt wird, weil und wenn Geld als Kredit in realökonomische Investitionen keinen dem entsprechenden Mehrwert realisieren kann. Der Mehrwert, der sich im Zinsfuß darstellt, bezieht sich auf eine realwirtschaftliche Ausbeutung der menschlichen Arbeit. Der Kapitalertrag an den Börsen rentiert sich aus dem Handel mit Wertpapieren. Der nationale Mehrwert bezieht sich unterschiedslos aus dem Wechsel zwischen nationalen Zinsverhältnissen und internationalen Börsenerträge, also aus den nationalen Werterträgen und den Dividenden auf den internationalen Geldmärkten. Mit der Globalisierung des internationalen Börsenhandels wurden diese zum Taktgeber der Preisbildung und damit der Wertstabilität der nationalen Währungen. Der Staat muss deshalb jetzt eine Zinspolitik machen, die sich an den internationalen Finanzmärkten ausrichtet.

Je größer das Handelsvolumen der Börsenmärkte, also das weltweit in den Handel mit Obligationen, mit Schuldpflichtigkeiten ist, desto geringer muss der Zinsfuß sein, um den Geldwert stabil zu halten. Und je billiger die realwirtschaftliche Kreditaufnahme daher wird, desto höher ist dann auch die Wahrscheinlichkeit einer Finanzblase, weil die realen Erfolge dieser Kredite gegen ihre inflationäre Anwendung konkurrieren. Auch die nationale Finanzpolitik bewegt sich daher auch zwischen der Geldverwertung der Nationalbanken und der Kapitalverwertung an den Börsen.

Die Haftung für die damit verbundenen Risiken - also die Risiken der Werthaltigkeit, die Verwertung - werden damit verallgemeinert und somit der Gesellschaft übertragen, um ihren Mehrwert als Papier privat zu verhandeln und gegebenenfalls auch noch aus einer dem entsprechend intensivierten Preisbildung real zu erbeuten. Die öffentliche, also die vom Privateigentum abgelöste Schuld kann durch ihre Akkumulation dann einige Wunder bewirken, wie sie schon der gewöhnlichen Staatsverschuldung gegeben war, inzwischen aber über diese weit hinausgewachsen ist:

"Die öffentliche Schuld wird einer der energischsten Hebel der ... Akkumulation. Wie mit dem Schlag der Wünschelrute begabt sie das unproduktive Geld mit Zeugungskraft und verwandelt es so in Kapital, ohne dass es dazu nötig hätte, sich der von industrieller und selbst wucherischer Anlage unzertrennlichen Mühwaltung und Gefahr auszusetzen." (K. Marx, Kapital I, MEW 23, 782f.)

Man könnte auch sagen, dass der Geldwert durch Schulden jetzt nicht mehr nur "kaltgestellt" wird, sondern durch reinen Geldtransfer eine eigens durch sich bestimmte Preisbildung in Gang setzt. Geld das hier eingebracht wird und sogar Geld, das der Geldzirkulation entzogen wird, sichert eine Preisbildung, die durch ihr Absicherung in Hedgefonds völlig unabhängig von realen Produkten bestimmt ist und eine bloße Bewegung der Geldmenge bewirkt, die sich nur noch am Finanzmarkt, z.B. am Zustand seiner Wettverhältnissen in den Casinos der Geldspekulanten orientiert. Selbst wo Geld in Steueroasen oder in Betrug und Korruption verschwindet, ist das für diese Art von Wertversicherung günstig, weil sich die zirkulierende Geldmenge nicht ihrer fehlenden Werthaltigkeit entblößen muss, wenn nur die Preissumme der Papiere gehalten wird. Doch die existiert immer und total nur durch die Gläubigkeit an die Verwertungsversprechen und vermeintlichen Wertsicherheiten durch Kreditversicherungen in Hedgefonds, die in Wahrheit in ihrer Allgemeinheit nicht dauerhaft eingehalten werden können. Daher gewinnt hiergegen meist der Börsenhandel, der aus den Währungssystemen im Devisenhandel zusätzlichen Mehrwert einnimmt und somit alle Defizite ausgleichen kann. (50) Das haben inzwischen die Banker der Eurobank und der Weltbank bestens verstanden und zur Anwendung in ihrer Finanzpolitik und als Eingriffe in die Politik der Nationalstaaten gebracht.

Das in dieser Funktion transferierte Geld entstammt eben nicht mehr der Produktion von Waren, sondern der Zirkulation des Geldes durch seinen Gebrauchswert, aus Geld mehr Geld zu machen, ganz gleich was und ob dafür überhaupt etwas produziert wird. Dieser Geldmarkt zielt lediglich auf den Erwerb von Eigentumstitel und wird inzwischen gehandhabt wie eine Geldindustrie, die ihre "Produkte" als Wertpapiere anbietet, die ihren Rohstoff aus den Währungssystemen der Welt bezieht. Die Wertpapiere bzw. Aktien haben die Raffinessen der absurd gewordenen Wertsicherheiten systematisiert und durch so genannte Derivate, also durch zusätzliche Werteinnahmen aus der Kalkulation der Verwertbarkeiten, aus den Währungsverhältnissen und Kreditversicherungen und Absatzgarantien über Future-Bunds "heraushebelt", wie sagt man dort sagt. Und die wirken sich massenhaft in der Preisbildung der Produkte aus, die Menschen auch verhungern lässt, um ihre Abhängigkeiten auszuschöpfen und die Finanzmacht der "systemnotwendigen" Banken zu bestärken (51). Nicht die Produkte der reellen Industrie machen ihren Wert aus, sondern die internationalen Wertverhältnisse in den Unterschieden der nationalen Produktivität, also dem Wertmaß der Währungsverhältnisse, - selbst wo diese durch nominell gleiche Bezeichnungen (z.B. als Euro auf der Basis unterschiedlichster Produktivitätsentwicklungen) verschleiert sind.

Die Verwertung ist eben höchst abstrakt und weit vermittelt. Der Bewertungslevel hat keinerlei Rückhalt durch Eigenschaften ihrer Produktion, sondern alleine durch ihre Vermarktung im Börsenhandel. Weder komplexe Arbeitszusammenhänge noch eine besondere produktive Intelligenz spielen dabei eine bedeutende Rolle. Dergleichen verdurchschnittlicht sich schnell, verschafft Marktvorteile, die über die Konkurrenz bald auch wieder durch Marktnachteile "geschluckt" werden. Wert wird hier vor allem durch bloßes Geld transportiert und durch die Beschaffung des Kaufmittels als "Frischgeld" aus einer Lohnabgabe verwertet. Und dabei werden im großen Stil auch die Produktivitätsunterschiede durch Ausbeutung der Währungen genutzt, in denen schließlich auch noch unbezahlte Arbeit aus dem Wertverhältnis zwischen den Nationen vermittelt wird.

Das Ende der "freien und sozialen Marktwirtschaft"

Marktwirtschaft funktioniert nur, solange Geld als Maß der Werte zugleich Maßstab der Preise sein kann - ganz gleich, ob die Arbeit, die hierfür aufgewendet wird und Wert bildet, bezahlt oder unbezahlt ist. Doch dies hat sich mit der Verselbständigung des Kreditwesens zu einem Schuldgeldsystem wesentlich geändert. Alles Geld, das als Kaufmittel in den Warenhandel eingeht, wird in dem Maße, wie es lediglich zum Wert des kreditierten Geldes gehandelt wird, wertlos, weil es nur dessen Fiktionen bedient und also nicht mehr in die Wirtschaft zurückkommt. Es besteht aber als Zahlungsmittel fort, bezahlt aber vorwiegend nur das Zahlungsversprechen, eine mit dem Kredit erzeugte Wertvorstellung, nicht aber einen realen Wert, den der Kredit schon eingebracht hätte. Durch die Systematisierung des Derivatenhandels wird solche Scheinwirtschaft zu einer eigenen Form der Weltwirtschaft, die sukzessive die Marktwirtschaft ablöst. Es entstehen hierbei seltsame Umkehrungen, die immerhin ihren Widerspruch zwischen Wertwachstum und Wirtschaftswachstum auflösen, damit aber zugleich das wirkliche Geld als gesellschaftliches Tauschmittel zerstören.

Allein das Wertwachstum zur Geldwertsicherung zählt. Es muss hierfür immer mehr produziert werden, was auf dem Warenmarkt wertlos ist und zugleich das verdrängt, was für die Menschen noch erschwinglich wäre. Es werden Häuser gebaut, die unbewohnbar sind, weil ihre Mieten nur noch ein immer kleiner werdender Teil der Bevölkerung bezahlen kann; zugleich werden immer mehr Billigprodukte auf den Markt gebracht, die einen immer schlechteren oder sogar schädlichen Gebrauchswert für die Menschen haben. Weil Geld fast nur noch im Maßstab seiner Erträge für das Kreditwesen gehandelt wird, muss an allen Ecken und Enden gespart werden, wo noch mit realen Waren gehandelt wird. Was diese für die Menschen und ihre Gesellschaft darstellen, wird substanziell immer bedeutungsloser. Fortschritte der Produktion entstehen nicht mehr durch Verbesserung von Gebrauchseigenschaften, sondern von Geldeinträgen zur Finanzierung der Aktienbewertungen (52).

Es wandeln sich die Warenmärkte zu Zulieferern der Finanzwirtschaft, die selbst in der Lage ist, aus Entwertungen von Waren und Arbeitsplätzen dadurch Mehrwert zu schaffen, dass Verbilligung und Zerstörung den Anteil von unbezahlter Arbeit vergrößert, immer mehr Menschen in die Armut treibt, um ihre Abhängigkeit von billigen Warenangeboten zu vertiefen. Vor allem werden die Ressourcen ihrer Lebensräume hierfür geplündert und zu eigenen Warenmärkten der Armut, z.B. als Ausbeutung ihrer Wasserquellen und dem Verkauf von Wasser in Flaschen als "Pure life" (Nestlé-Produkt), weil die bisherigen Quellen hierfür versiegen.

Was die Marktwirtschaft noch frei und sozial erscheinen lassen konnte - wenn man wollte - hat sich ins Gegenteil verkehrt. Was für die Geschichte der Politik als ihr größter Fortschritt galt, war zu ihrem Verhängnis geworden. Ihr Liberalismus ist glanzlos verschwunden. "Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit" war ursprünglich die Ideo­lo­gie der Emanzipation gegen den Feudalismus, den die Bürgerliche Gesellschaft überhaupt mit der Durchsetzung einer "freien Marktwirtschaft" beansprucht hatte.

Liberalismus wurde in dieser Gedankenwelt zum Glaubensbekenntnis der "freien und sozialen Marktwirtschaft", der Idealform einer Gesellschaft, die im Warentausch ihren Lebenszusammenhang durch dessen Entäußerung in Geldform frei und für alle gleich veräußert. Die deutsche Nationalhymne besingt die Einigkeit als Recht der Freiheit, als "Glanz des Glückes" (53). "Liberté, Égalité, Fraternité" waren auch die Ideale der Französischen Revolution, "Unity, Freedom, Justice" die der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, Diese Begriffe, die der französische Erzbischof Fénelon zu Beginn des 17. Jahrhunderts miteinander in Verbindung gebracht hatte, waren schließlich auch die Ideale der Aufklärung.

Und tatsächlich sprechen sie für den Idealfall, dem Glücksmoment des Warentauschs, den die Geldbesitzer unentwegt erleben und der allen anderen verwehrt ist, die Lohnarbeit leisten müssen: Gleichheit der Menschen durch den Vergleich ihrer Besitzstände beim Tauschen; Freiheit durch die allgemeine Macht des selbstverständlichen Tauschmittels Geld; und Solidarität durch die Wechselseitigkeit der Tauschbeziehungen, die ihre Allseitigkeit zu höchster Schaffenskraft unter schärfster Konkurrenz treibt. Denn die ist der wirkliche Aufhebungsprozess des Vergleichens in Freiheit, der unentwegten Erzeugung eines Wertmaßes mit ständig wechselnder Wertgröße: Das zum Erhalt des Geldwerts notwendige Wertwachstum. Die Ideologie hält ideell zusammen, was in der Wirklichkeit auseinanderstrebt, auch wenn Freiheit und Gleichheit einen gedanklichen Widerspruch darstellen. Sie beschreibt aber auch, wie es wirklich für sich zu sein scheint, wenn und wo es gerade in idealer Form anwesend ist (54).

Der Liberalismus versprach eine blind wirkende Vernunft, die "unsichtbare Hand des Marktes" (A. Smith), die alles zum Guten wenden würde - etwa wie die List einer hintergründigen Vernunft des Warentauschs, an dem alle gewinnen (55). Der Neoliberalismus segnete die Globalisierung mit der Vorstellung von einer unendlichen Glücksgeschichte des Wirtschaftswachstums durch den Internationalismus der Märkte über ihr Wertwachstum ab (56). Während das Finanzkapital längst schon durch seine imperialistischen Eroberungen, durch seine politischen wie wirtschaftlichen Feldzüge ganze Kontinente in Monokulturen von isolierten Abhängigkeiten verwandelt hatte, sollte sich das politische Verhältnis zu einem weltweiten Schuldverhältnis umgestalten lassen, das sich als "Entwicklungshilfe" nicht nur anbiedern, sondern zugleich die abhängigen Länder an den Risiken des Finanzhandelskapitals beteiligen konnte.

Was sich mit der Globalisierung des Wertwachstums in Wirklichkeit durchsetzte, war die Vervielfachung des Verwertungszwang, der inzwischen alles aufzehrt, was die Menschen in ihren Gesellschaften verbunden sein lässt. Das internationale Kapital hat das nationale vollständig in seine Pflicht genommen, in die Schuldverpflichtungen seines Schuldgeldsystems, das sich zunehmend nurmehr in der Spirale seiner Negativverwertung entwickeln konnte. Was demnach das Glück moderner Wirtschaften sein soll ist die Einverleibung ihrer Ressourcen und Arbeitsaufwendungen in die Kozentration einer Geldmacht, die ihre Abhängigkeit und Unterwerfung vereint und somit die darin aufgehäufte Masse des Finanzkapitals zur absoluten Bestimmungsmacht seiner Eigentumstitel, zum Maßstab der Preise auf der ganzen Welt werden ließ, das nicht mehr als Maß der Werte präsent ist.

Am Ende der bürgerlichen Gesellschaft

Die Spekulation auf Schuldtitel durch den Derivatenhandel ist im Prinzip grenzenlos, weil sie sich insgesamt nur auf dem Glauben an die Realisierbarkeit von Zahlungsversprechen bezieht und sich ihr Wert im einzelnen nur in den Schwankungen bestimmter Geldanlagen in den Bewertungen ihrer Realisierungschancen zwischen dem Wert und der verfügbaren Preissumme des Geldes darstellt. Das Verhältnis des Geldes zur Produktion ist darin geradezu umgekehrt, als es als Vorschuss in eine reelle Produktion war. War es ursprünglich eins Kaufmittel für Investitionen in den Arbeitsprozess und dessen Produktivkraft, das al Zahlungsmittel der arbeitenden Menschen und Lieferanten zurückkam und Mehrwert aus unbezahlter Arbeit erwarb, so wird es jetzt als Zahlungsmittel angeboten, um aus Erwartungen in die Anwendung von Kapital den Schuldnern die Pflicht aufzuerlegen, unbezahlte Arbeit durch Lohnabgaben beizuschaffen, um durch Geld "Frischgeld", also ein reales Kaufmittel aus den Erlösen zukünftiger Arbeit beizuschaffen. Dieses wird also weder aus der Produktivität der Arbeit, noch für ihre Fortentwicklung benötigt, sondern nur für die Wertsicherheit des Geldumlaufs, für seine Zirkulation, in der sich Mehrwert wie eine käufliche Ware verhält, ohne real produziert zu sein.

Das Verhältnis von Produktion und Zirkulation der Werte und damit auch der Preisbildung kehrt sich um, verkehrt sich gegen ihre realen Grundlagen. Dafür gibt es keinerlei realen Wert außer den Bewertungen eines Glaubens an die Zukunft in bestimmten Verwertungslagen und dem Potenzial politischer Gewalt, durch die Schulden eingetrieben werden können - also durch eine Staatsgewalt, die selbst durch ihre Staatsverschuldungen an diese Spekulation gebunden ist. Und das macht den Staat zu einem besonders gearteten Schuldenträger, denn er selbst kann Kapital nicht verwerten, zugleich aber die Geldzirkulation politisch und wirtschaftlich kontrollieren. Er steht deshalb an erster Stelle einer Politik, die der Verschuldung zum Vorteil gereicht.

Mit der Spekulation auf Verwertung des Kreditsystems ist somit ein gegenläufiges Verhältnis von Wertschöpfung und Preisbildung entstanden, das schon aus der Verselbständigung der Spekulation, also durch die Spekulation auf den Geldverleih Mehrwert extrahiert, auch wenn es insgesamt wie ein "Nullsummenspiel" mit Wertpapieren im Casino des Kapitals erscheint. In einer weltweiten Finanzwirtschaft wird an den Börsen die Spekulation zu einer Wertsteigerung durch Eigentumstitel jedweder Art in unterschiedlichsten Währungen getrieben, die zwar auch erst nach vollzogenem Kapitalumschlag, also nach der Wertrealisation der Produkte als Wertanteile ausgeschüttet werden, die aber zugleich die Devisenwerte der Löhne, also der Kaufkraft der Schuldnerstaaten transferieren. Es wird dort eben nicht nur auf die Entwicklungschancen einzelner Kapitalformationen gewettet, sondern zugleich auf die Wertverhältnisse der Devisen, also der unterschiedlichsten Produktivitätspotenziale ganzer Nationen.

Die Wirkung solcher Kreditformen sind gegenläufig. Während die Spekulation auf Devisen die Ausbeutung der Menschen und ihrer Lebensverhältnisse dort vertieft wo produktive Arbeit am billigsten ist und immer weniger Kapital in die Produktivität investiert wird, kann mit der Spekulation auf Wertpapieren überschüssiges Geld gesichert werden, das ihre Besitzer am Wertwachstum auch dort teilhaben lässt, wo immer weniger produktive Arbeit zu verwerten ist, die realökonomische Ausbeutung der Menschen sich immer weniger rentiert, wohl aber die Produktion von Technologie und Dienstleistungen mit relativ geringem Anteil an produktiver Arbeit. Der Weltmarkt spaltet die Welt in Gesellschaften von unproduktiver Arbeit in den reicheren Nationen und produktiver Arbeit in den ärmeren Nationen, deren Wertwachstum sich gegeneinander entwickelt (57).

Von daher ist zwar kein Nationalstaat an einem Gewinn aus Verschuldungen interessiert - wohl aber das internationale Finanzkapital, das sich mit den zunehmenden Realisierungsproblemen der produktiven Realwirtschaft auf den Weltmärkten angehäuft hat. Und diese Spekulation auf Schuldgeld hat daher die Globalisierung des Kapitals durch den gewaltigen Umfang seines fiktiv gewordenen Vermögens erst richtig abgehoben. Das hieraus begründete Schuldgeldsystem sichert sich hierbei selbst auch noch in einer Kette von fiktiven Finanzverbindlichkeiten, z.B. über Kreditversicherungen ab, um über die Bewertung von Eigentumstitel und Lizenzen zu einem Vielfachen des real produktiven Kapitals anzuwachsen. (58) Allein aus der bloßen Rechtsform solcher Titel soll es das abdecken, was an fiktivem Kapital in Wert gehalten und zur Mehrwertbildung verwendbar sein kann. Geld wird auf diese Weise durch die Preisverhältnisse der Geldzirkulation und ihrer Verwertbarkeit durch Werteinträge aus Devisen gehalten und wird zugleich in großem Stil in Eigentumstitel investiert, die nur noch wenig mit Produktion zu tun haben und sich von ihr auch entziehen, um sich ihrer Kosten zu entledigen (59).

Weil es dem Kapital bei hochentwickelter Industrialisierung und dem enormen Wachstum seiner Produktivkraft eben nicht mehr möglich war, die produzierte Wertmasse realwirtschaftlich umzusetzen und ihren Wert durch eine marktgerechte Preisbildung zu realisieren, konnte es sich immer weniger in produktiven Investitionen und Ausweitung des Lebensstandards der Menschen und des nationalen Bankensystems in Wert und als Mehrwert stabil halten. Die Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft, das Zusammenwirken von Nationalstaat und Wirtschaft war am Ende. Das Weltkapital griff immer mehr in die nationale Finanzpolitik der Staaten ein und unterwies sie in die Regularien eines Bankensystems, das ein Schuldgeldsystem entwickelte, um durch die Wettverhältnisse in den Kasinos des Finanzkapitals das immer fiktiver werdende Kapital weltweit in Wert zu halten und zu bewegen.

Doch die Krisen des Kapitalismus waren damit nicht überwunden. Im Gegenteil. Jede Verschuldung erzeugt eine Zahlungsverpflichtung, die über das aktuelle Vermögen hinausreicht und das nur durch ein Wertwachstum beglichen werden kann, das immer mehr nur noch aus der Spekulation auf zukünftige Verwertungen zehren sollte. Wer diese bedienen konnte wurde immer reicher und selbst zum Gläubiger - während der ihm Unterlegene immer ärmer und zum Dauerschuldner wurde. Unter der Hand war von daher eine weltweite Konkurrenz der Nationalstaaten entstanden, bei der es um die Existenz ihrer Kreditfähigkeit und Bewertung durch die Agenturen der Kreditsicherheiten ging. Mangels Deckung entstanden hierfür zugleich Versicherungen der Schulden und Wertpapiere durch ihre "Derivate" aus Swaps und Termingeschäften, welche indirekt die Währungssicherheiten und Zinssätze der Nationalstaaten durch die Versicherungsmathematik des außerbörslichen Freihandels von fast beliebiger Natur mit bestimmten und ihre Liquidität durch ihre damit erworbenen "Zahlungssicherheiten" hochtreiben oder abstürzen lassen konnten (60). Damit geriet die gesamte Finanzpolitik der Nationalbanken ins Trudeln, denn sie waren selbst zu Konkurrenten auf den Finanzmärkten geworden und unterwarfen die Leitzinsen, also die Grundlage ihrer Währungssicherheit und der Renten- und Spareinlagen durch die Konkurrenz zu den gehandelten Börsenwerten.

Das Diktat der Fiktionen

Fiktives Kapital ist im ursprünglichen Sinn ein Kapital, das sich in seinem Wert nicht verwirklicht hat, also in den Vorstellungen seiner Verwirklichung verharrt. (61) Es wurde aber jetzt durch die spekulativen Tauschverhältnisse von Schuldverschreibungen quasi selbsttätig zu einem allgemeinen Subjekt der Spekulation und entwickelte seine eigene Finanzierungslogik über die anwachsenden Staatsverschuldungen und dem Handel mit Kapitalversicherungen, einem quasi metaphysischen Kreditsystem, das durch seine bloße Versicherungsstatistik die Wetten um Geldwerte absichert und ins bodenlose treibt. Zum Ende des Jahrhunderts der Weltkriege waren die Infrastrukturen der Staaten selbst in ihrer Produktivität geschwächt und drohten durch ihre Verschuldung in diesem System enorme Verwertungsprobleme ihres Kapitals nach sich zu ziehen. Nicht nur die Kreisläufe von Produktion und Konsumtion durch die nun weltweite Trennung und Verselbständigung der Finanzwirtschaft vom Warenhandelskapital war völlig aufgelöst. Ihre Kapitalformation an den Börsen selbst, ihre Wettverhältnisse wurden zum Gegenstand von Wetten über die Stabilität von Währungen und Nationalwirtschaften. Das eigentlich aufwendige Geschäft ihrer Bewertungen haben nämlich nicht Wissenschaftler zur Arbeit gerufen, sondern ist selbst von privaten Bewertungsagenturen übernommen worden, die den Status einer unkontrollierbaren Weltmacht eingenommen haben. So ist das fiktive Kapital selbst fiktiv geworden und hat seine Fiktionen verdoppelt (62).

Die immer offensichtlicher werdende Kluft zwischen Armut und Reichtum zerteilt die Möglichkeiten der Schuldentilgung nach Maßgabe der Ressourcen von Wertsicherheiten, also von Bodenschätzen und Prognosen auf Zahlunsgsströme, welche die armen Länder zu Objekten der Austeritätspolitik der reichen macht und damit schließlich der Welthandel selbst disfunktional für ihre Wirtschaft wird. Wo nicht mehr gekauft werden kann, deflationiert der Geldwert und die Produktion gerät mangels Kaufkraft ins Stocken, in eine Rezession. Die ärmeren Länder vertieften ihre Armut und Monokulturen, während die reicheren ihre Geldwerte stabilisierten und vermehrten. Armut konnte auch keine hektisch eingebrachten Millenniumsziele mehr abwenden. Es fehlte nicht an "Entwicklungshilfe", sondern an Geld für den realen alltäglichen Konsum und eine dem entsprechende Produktionsweise, eine Industrie, welche die Armen in die Lage versetzen würde, ihr eigenes Leben in die Hand zu nehmen. Durch das als Entwicklungshilfe kaschierte Geld, das im Grunde nur ein Kredit auf Abgaben war, konnten sie nur die kapitalnotwendige Produktion der Reichen als eine realwirtschaftliche Geldverwertung ihrer Armut in Gang halten, während die Spekulation auf ihre Preise die neuen Verwertungsstrategien eines Derivatenhandels und Terminhandels entwickelten, die gigantische Profite einzogen. Die Krisen des Kapitals traten jetzt nicht mehr als Absatzkrisen auf, sondern als Krisen der Schuldverhältnisse, die nicht mehr bedient wurden, wenn die darauf gründenden Finanzblasen zerplatzten. Und wenn diese bis zur Grenze ihrer weltweiten Absicherung gelangten, dann platzte auch das weltweite Kreditsystem und wurde zu einer Weltwirtschaftskrisen des ganzen Geldsystems und seiner Banken. Das kann bei einem Poker mit dem 10fachen Wert fiktiver Geldwerte über den weltweiten Warenhandel hinaus schnell geschehen. Es führte zur Verelendung ganzer Nationen durch Austeritätspolitik, also durch die monetäre Beschneidung und Nutzung der Sozialsysteme und Investitionen durch "politisch ermächtigte Sparpläne". Nur in den reichen Ländern konnten diese noch durch Disziplinierungsgesetze der Binnenwirtschaft abgewehrt werden (z.B. Agenda 2010). Die Versprechen der "freien und sozialen Marktwirtschaft" waren damit obsolet geworden und eine eigenständige Politik der weltweiten Finanzmärkte über die internationale und nationale Banken notwendig.

Der Kapitalismus wandelte sich in ein Benefizsystem der Geldschöpfung durch Geldproduktion ohne Wert. Er wurde feudal, also zum System einer Finanzaristoraktie, die durch ihren Einsatz von Geldmitteln aus den Quellen einer "Opimatenherrschaft" des Devisen- und Derivatenhandels das Kreditwesen über weltweite Freihandelsverträge bestimmt und hieraus eine vertiefte Form der Ausbeutung selbst der Armut der Ärmsten über ihre Geldzirkulation an den Börsen betreibt. Die beruht darauf, dass die internationale Finanzwirtschaft ihre Geldmengen durch Vorschüsse in geringere Produktivität "auffrischt", um den in fiktivem Kapital "schwebenden" Mehrwert in einem abgehobenen Kreditwesen in Schuldtiteln, also in vollständiger Abhängigkeit zu halten und sich die Produktivitätssteigerung der ärmeren Wirtschaftsstrukturen als Wertwachstum des Geldes anzueignen und durch daraus bezogene Rechtstitel, durch Austeritätspolitik politisch zu beherrschen. (63) Feudalkapital betreibt Kapitalherrschaft durch Vergabe von Darlehen, die als Existenzmittel fungieren, bevor diese erzeugt sind, sie also per Schulden verpflichten.

Nicht mehr die Gebrauchswerte der Waren und nicht mehr ihre Produktion und nicht mal mehr ihr Geldwert sind die allgemeinen Grundlagen des Wertwachstums, sondern die Verwertungssysteme ihrer Bezahlung, wenn sie schon mal existieren und von ihrer Erzeugung her amortisiert sind. Es ist die Produktivität des Zahlungsmittels els Geld, das schon aus seiner Zirkulation vermittelt der bloßen Rechtstitel schon Wert in der Form des Kaufmitt Geld aneignen kann, ganz gleich, was sie wert sind, wenn sie nur einen existenziellen Zwang auf ihre Preisbildung ausüben können. Der Geldwert des Eigentums ist darin zu einer Rechtsform verselbständigt und wird alleine durch den Preis bestimmt, den Geld dann auch beibringt und soviel Wert einbringt, wie es Wert hat, bzw. Wert trägt, so wie er national oder international durch menschliche Arbeit geworden ist (64).

Die Entwicklung des Feudalkapitals ging schleichend mit der Subsumierung der Nationalstaaten unter das fiktive Kapital einher, wodurch jede politische Kontrolle der Realwirtschaft, die Rücksicht auf die organischen und strukturellen Wirtschaftsverhältnisse ausgeschaltet wurde und damit die fiktiven Wertverhältnisse die Welt bestimmten. Wo keine Zölle mehr erhoben werden müsste die Produktivität gleich sein, um keinen Schaden für die Wirtschaft der Schwächeren zu produzieren, der zwangsläufig zum Niedergang ihrer Konkurrenzfähigkeit führt. Ohne den Schutz der wirtschaftlichen Strukturen vor dem Übergriffen einer Verwertungsmacht betreibt der so genannte Freihandel immer Ausplünderung, Vernichtung der organischen Grundlagen seiner realen Verhältnisse, potenzierung seiner Fiktionen. Schon innerhalb der Europäischen Union ist dieser Schutz trotz ausgleichende Subventionierungen misslungen, weil es nicht um Geldverluste geht, sondern um den Verlust an wirtschaftlicher Integrität.

Für den Gebrauchswert der Güter, die als Eigentumstitel Geldwert eintreiben, waren zuvor natürlich auch schon Investitionen als Kredit in die Realwirtschaft gegeben worden, doch diese sind in dem Maß bedeutungslos, wie ihre existenzielle Macht für die Lebensverhältnisse der Menschen bestimmend wird. Solche Kredite werden daher schon fast unentgeltlich vergeben oder als Subventionen bereit gestellt, nur um damit den Kreditgeber an dieser politischen Existenzmacht zu beteiligen. Entweder durch die beteiligten Staaten oder ihrem Verbund (z.B. als EU) oder durch Banken besteht daher das höchste Interesse an dieser Teilhabe. Selbst völlig mittellose Personen oder Staaten werden damit ausgestattet, wenn dafür die Gebrauchswerte dieser politischen Macht übereignet werden. Denn schließlich bleibt dabei die werttreibende Finanzmacht der Gläubigerbanken oder der Wertpapiere oder der Gläubigerstaaten und ihrer Agenturen gegen Schuldnerstaaten, die zunehmend das einzig noch mögliche Wertwachstum einbringen. So kann nicht mehr verwundern, warum das Geschäft mit der Armut immer lukrativer wird, auch wenn es diese nur verstärkt, ganze Regionen, Kommunen oder Branchen (z.B. Landwirtschaft, Fischerei) in den Abgrund treibt. (65) Die Macht im Handel mit Eigentumstitel, also dem Handel und der Spekulation mit Aktien, also insgesamt mit Papieren, die Schuldverschreibungen und Anspruch auf zukünftige Gewinne darstellen, wird zum Prinzip einer weltweiten Finanzmacht, die ihre Optionen in den Finanzarenen auf einem Hochseil von geltungssüchtigen Finanzjongleuren vorführen und betreiben lässt. Sie entzieht in einer berechenbaren Stetigkeit überall ihre Wertsubstanzen aus den schwächeren Teilnehmern an den Finanzdeals, denn sie lebt von ihren existenziellen Notlagen. Wo nicht mehr das Finanzniveau für Investitionen zur Verbesserung ihrer Produktivität erreicht wird, weil der Schuldendienst selbst schon alles Vermögen einnimmt, das sie erwirtschaften können, da wird mächtig der den Handel mit Schuldverschreibungen Geld verdient. Und das ist entscheidend. (66) Die Bewegung von Geld und Waren ist für das Wertwachstum nur noch von Bedeutung, wo sie durch den Finanzmarkt durch den Handel mit Wertpapieren und deren Derivate betrieben wird. Aber der Geldwert muss durch nationale Märkte erhalten bleiben und also auch in Verhältnissen zwischen Arbeit und Konsum sich bewegen.

 

Leseproben:

Skizzen zur Globalisierung der Armut

Skizzen zum Feudalkapitalismus

Skizzen zum "Kampf der Kulturen"


(1) Ein optimistisches Lebensgefühl herrschte zwischen den Jahren 1923 und 1929 vor, das einherging mit einer positiven wirtschaftlichen Entwicklung - besonders bezogen auf Politik, Mode, Kunst und auch fortentwickelt durch neue mediale Möglichkeiten der Kommunikationsindustrie per Film und Musik. Die Politik der Goldenen Zwanziger war zwar weiterhin von heftigen Konflikten der gegnerischen Lager geprägt, doch verloren Links- und Rechtsradikale zumindest zeitweise zugunsten von Sozialdemokratie, liberalen und gemäßigt-konservativen Kräften an Bedeutung. Der politische Diskurs verlagerte sich zum Teil von der Straße in die Parlamente und außenpolitisch gelang der Weimarer Republik die Rückgewinnung verlorengegangener internationaler Reputation.

(2) Viele Menschen aus der Arbeiterschaft und dem Mittelstand verbündeten sich zunehmend mit den rechten Positionen, die sich an einer Broschüre des rechtskonservativen Publizisten Walther Schotte mit seinem nationalistischen Plädoyer "Der neue Staat" orientierten. Dem stimmten auch verschiedene Rechtsintellektuelle wie Arthur Moeller van den Bruck, Carl Schmitt, Edgar Jung und von Papen zu und forderten eine Verfassungsänderung von einer parlamentarischen zu einer autoritär-präsidialen Republik. An den Universitäten, in den Wissenschaften und den Medien setzten sich deterministische Welt­an­schau­ungen und Ursprungssehnsüchte durch. Und dem entsprechende Visionen vom "Untergang des Abendlandes" wurden zu Bestsellern und bestärkten die Angst vor einer gesellschaftlichen Vernichtung. Um dies aufzuhalten verstärkten sich die Tendenzen zu einem "starken Staat" durch den Glauben und die Heilserwartung, dass dieser durch Verordnungen und Reglementierungen und vor allem Verteilungsgerechtigkeit erreichen könne, wenn er durch einen autokratischen politischen Willen stark gemacht werde.

(3) Im Parlament reproduzierten sich die Gegensätze in immer totalitärer werdenden Positionen. Die seit 1920 regierenden Parteien der Regierungskoalition (bestehend aus SPD, DStP und Zentrum) hatten bei den preußischen Landtagswahlen vom 24. April 1932 durch den hohen Wahlsieg der NSDAP ihre parlamentarische Mehrheit verloren. Die Parteien der Mitte fanden keine Zustimmung mehr und mussten im Zerfall ihrer Entscheidungsfähigkeit ihre Unterordnung unter den alternden Reichspräsidenten Hindenburg dulden. Der Parlamentarismus verschwand in einer Art Präsidialdemokratie, durch die Hindenburg den Reichskanzler bestimmen konnte. Er setzte zunächst Brüning wegen seiner selbstzerstörerischen Sparpolitik ab und von Papen ein, den der Reichswehrminister Schleicher vorgeschlagenen hatte, weil dieser versprach, die Macht Hitlers eindämmen zu können. Aber ohne den konnte keine Regierungskoalition mehr zustande kommen. Als Bedingung für eine Regierungskoalition verlangte die NSDAP die Auflösung des Reichstags mit anschließenden Neuwahlen und die Aufhebung des unter Brüning verhängten Verbots der SA und der SS. Zum Bruch der Nationalsozialisten mit von Papen kam es nach dem Wahlsieg der NSDAP mit der Reichstagswahl vom 31. Juli 1932. Die Partei verdoppelte ihre Sitze und verdrängte die SPD als stärkste Kraft im Parlament. Zusammen mit der KPD verfügte diese nun über eine "negative Mehrheit", die jede sinnvolle Arbeit des Parlaments illusorisch machte. Adolf Hitler, den man eigentlich meiden wollte, ging als die solchen Verhältnissen einzig angemessene Persönlichkeit hervor und wurde schließlich durch Hindenburg zum Reichskanzler ernannt. Als Vertreter der nunmehr stärksten Partei wurde Hermann Göring auch von der demokratischen Mitte zum Reichstagspräsidenten gewählt.

(4) In den Jahren 1948 - 1952 leisteten die USA für westeuropäische Staaten, welche die Folgen des zweiten Weltkrieges nicht alleine bewältigen konnten, einen Beitrag von 13,12 Milliarden Dollar (entspräche heute 129 Milliarden Dollar) an Krediten und Waren, um sie gegen russische Einflüsse für eine kapitalistiche Erneuerung und Absatzmärkte für Überproduktionen der US-Wirtschaft zu gewinnen. Der Plan war von dem US-Außenminister George C. Marshall entwickelt und von Staatssekretären des US-Außenministeriums ausgeführt worden.

(6) Kultur ist die Subjektivität einer Gesellschaft, der Sinn, den die Menschen bilden und gestalten, der gesellschaftlich von und für Menschen aus ihrer Geschichte, aus ihrer Sinnbildung entsteht. Nur dadurch, dass der Mensch sich gesellschaftlich gestaltet, ein Verhältnis zu seiner eigenen Lebensgestaltung in seiner Gesellschaft hat, nur dadurch, dass er in seinen gesellschaftlichen Verhältnissen seine Kultur bildet und wahr hat, ist er zu einem Subjekt der Natur geworden. Schon an den ersten Zeugnissen seiner gesellschaftlichen Verbundenheit, in den Höhlenmalereien und Begräbnisfunden, in denen sich die frühesten Naturreligionen dargestellt haben, offenbart sich ein über die naturstofflichen Notwendigkeiten und Bedürfnisse weit hinausreichende Fähigkeit zu einer gesellschaftlichen Selbsterkenntnis. Seine Kultur beinhaltet die Anerkenntnis seiner Macht über die Natur und seiner Ohnmacht in der Form seiner Furcht, die sich z.B. in den Naturreligionen offenbart und seine Produktivkraft entwickelt hat. Diese Religionen beweisen die genuine Naturfürchtigkeit eines Wesens, das sich aus der Natur zwar herausgesetzt hat, zugleich aber nur durch sie sein kann, eines Wesens, dessen natürliche Intelligenz nicht in den bloßen Funktionalitäten der Lebenserhaltung befangen geblieben war, sondern sich in dieser Natur auch um sich selbst wissen kann und Selbstgewissheit nötig hat, je umgreifender es zu ihrem Subjekt, zu einer Naturmacht wurde.

(7) Adorno verstand seine Kulturkritik als Philosophie, als Prozess eines widersprüchlichen Harmoniebegriffs, der in seiner philosophischen Wahrheit für ein "richtiges Leben" aufzuklären sei:

"Gerade weil Kultur das Prinzip von Harmonie in der antagonistischen Gesellschaft zu deren Verklärung als geltend behauptet, kann sie die Konfrontation der Gesellschaft mit ihrem eigenen Harmoniebegriff nicht vermeiden und stößt dabei auf Disharmonie." (Kulturkritik und Gesellschaft. Frankfurt 1976, S.17)

(8) Ähnlich hierzu:

"Kunst kann nicht nützlich sein." (Oscar Wilde)

(9) Karl Marx hatte darauf hingewiesen, dass im Nutzen eine Herrschaft über die Sache, eine objektive Macht unterstellt ist, ganz gleich, wie sie subjektiv entstanden sein mag:

"Herrschaft und Benutzung ist ein Begriff" (Marx in MEW 1, S. 339)

(10) Die Diskussion um Ökonomie und Kultur, wie sie schon auf einer allgemeineren Ebene um den Gebrauchswert geführt wurde, unterstellt also eine gesellschaftliche Beziehung von beidem, von Produkt und Kulturgut, die nicht in den Gegenständen der bürgerlichen Gesellschaft selbst, nicht in den isoliert entstehenden Sachen, über die sich Menschen beziehen, ins Verhältnis gesetzt werden kann. Die Diskussion muss also um das Auseinanderfallen von Sinn und Nutzen im Kapitalismus gehen.

(11) Es war daher ein wesentliches Anliegen der Studentenbewegung der sechziger und siebziger Jahre den "subjektiven Faktor" des Marxismus, seine implizite Kulturkritik heraus zu arbeiten und sie in ihrer antikapitalistischen Implikation wieder öffentlich in der Verarbeitung der deutschen Geschichte wirksam zu machen. Leider ist gerade dies noch nicht wirklich vollständig begriffen. Ohne einen kulturtheoretisch begründeten Antifaschismus lässt sich die Barbarei des kapitalistischen Weltsystems nicht vollständig bewusst machen. Ohne dies werden die Kulturkämpfer als Kriegsparteien populär bleiben.

(12) Es ist die Wertform der Waren selbst, durch welche die physische Formen der Arbeitsprodukte, also die Naturalform des Warenkörpers, zum Träger ihres Gegenteils bestimmt werden. Marx entwickelt schon in der Darstellung dieses Gegenteils, also der Äquivalentform oder Geldform, die Grundlagen, welche die Vertauschung der Seinsweisen der Ware (relative Wertform und Äquivalentform) als Grund der Verkehrung gesellschaftlichen Wirklichkeit und ihrer Täuschung erklären:

"Die erste Eigentümlichkeit, die bei Betrachtung der Äquivalentform auffällt, ist diese: Gebrauchswert wird zur Erscheinungsform seines Gegenteils, des Werts. Die Naturalform der Ware wird zur Wertform."

"Es ist also eine zweite Eigentümlichkeit der Äquivalentform, daß konkrete Arbeit zur Erscheinungsform ihres Gegenteils, abstrakt menschlicher Arbeit wird."

"Es ist also eine dritte Eigentümlichkeit der Äquivalentform, daß Privatarbeit zur Form ihres Gegenteils wird, zu Arbeit in unmittelbar gesellschaftlicher Form." (MEW 23, S. 70f)

(13) Siehe hierzu die 8. Feuerbachthese:

"Alles gesellschaftliche Leben ist wesentlich praktisch. Alle Mysterien, welche die Theorie zum Mystizismus veranlassen, finden ihre rationelle Lösung in der menschlichen Praxis und in dem Begreifen dieser Praxis." (MEW 3, Seite 5)

(14) Mit der Identifizierung eines Gegners durch die Totalisierung eines "Falschen Lebens", das keinerlei Recht enthalten kann, weil es nichts "Richtiges" darin gebe, lässt sich nichts wirklich verändern. Es kann also nur in einer unendlichen Zukunft wahr sein, allerdings nur in der Unendlichkeit des Denkens schlechthin. Wenn das Leben in der Wirklichkeit als Ganzes schon die Unwahrheit schlechthin, also in und durch sich schon eine ganze Täuschung wäre, so bliebe nur die Bewegung des Denkers, der gegen das Ganze stehen will, sich gegen Totalitarismus verhalte. Doch dies ist ein nicht minder totalitäres Denken. Es betreibt eine fundamentale Umdeutung des marxistischen Entfremdungsbegriffs, indem es die ganze Analyse das Kapitals auf den Kopf stellt und ohne wirklichen Warenkörper, - ja, überhaupt nur im Jenseits des körperlichen Lebens - begreifen kann. Die Kritik der politischen Ökonomie wird dadurch nur noch zu einem Beispiel für die idealistische Interpretation einer unendliche Wahrheit.

(15) Und das geht heute sehr viel einfacher als zu den Zeiten Spinonza's, der politisches Handeln noch aus jeder isolierten Begriffssubstanz begründen wollte ("Unter Substanz verstehe ich das, was in sich ist, und durch sich begriffen wird, das heißt das, dessen Begriff, um gebildet werden zu können, den Begriff eines anderen Dinges nicht bedarf." (Die Ethik nach geometrischer Methode dargestellt. Band I, 1976, Def. 3, S. 3.). Bei Adorno hatte diese "Substanz" durch Psychologie einen hervorragenden Umgang mit der Philosophie bekommen. Sie konnte sich mit einem hohen Imperativ gegen die Monster der Psyche und der allseits wohlfeilen Aufforderung bescheiden, alles Handeln darauf abzustellen, "dass Auschwitz sich nicht wiederhole". Eine Aussage, der fast alle Menschen zustimmen können, wurde so zu einem Wahrheitskriterium für eine linke politische Avantgarde, die sich mit Größe und Umfang ihrer Moral in ihrer Selbstgerechtigkeit und vor allem "antideutsch" recht bequem eingerichtet hatte - so, als müsse man das nicht weiter bedenken, weil es ja selbst schon "Undenkbar" (Adorno) - sprich: ungeheuerlich - sei. Aber ungeheuerlich war auch die monströse Anmaßung einer kulturkritischen Philosophie, die das Klavierspielen im KZ als Perversion befand und Jazz als Ausfluss der Kulturindustrie nieder machte. Damit blieb weiterhin der Wahnsinn alltäglicher Lebensverachtung, die "Banalität des Bösen" (Hannah Ahrendt), durch die großartige Gestik einer "Negativen Dialektik" abgedrängt, unerkannt und unverstanden.

(16) Während z.B. im Jahr 2014 in Deutschland die Arbeitslosenquote auf 6,7% gesunken ist hat der Anteil der Armen sich auf 15% erhöht (Quelle: Der paritätische Gesamtverband, zitiert nach ISW-Wirtschaftsinfo 50, München 2015, S. 36).

(17) Der ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus) trat am 27. 9. 2012 in Kraft - mitten in der Krise der EU, in der sich mit der Zahlungsunfähigkeit einiger Teilnehmerstaaten trotz der Regelungen des EFSF (Europäische Finanzstabilisierungsfazilität) ein Niedergang der Wertsicherheit des Euro abzeichnete. Er umfasst eine zusätzliche Verleihkapazität von ca. 440 Milliarden Euro und ist theoretisch durch Garantien der Euro-Staaten in Höhe von 750 Milliarden Euro abgesichert. Deutschland haftet hierbei mit 190,02 Milliarden Euro für überschuldete Mitgliedsstaaten durch Kredite und Bürgschaften für die EU-Mitgliedsländer, welche die bestehende Kreditvereinbarungen nicht halten können. Diese Bürgschaften können von den Bürgern und Parlamenten der haftenden Länder nicht beeinflusst werden und stellen daher ein Diktat gegen deren Haushaltsautonomie dar, die hiermit dem allgemeinen politischen Finanzgebahren der EU-Politik und der Europäischen Zentralbank (EZB) unterworfen sind.

(18) Das war zwar immer schon so, wird nun aber wieder mal offensichtlich:

"In der Tat, man muss jeder historischen Kenntnis ermangeln, um nicht zu wissen, dass es die Regierungen sind, die zu allen Zeiten sich den wirtschaftlichen Verhältnissen fügen mussten, aber niemals die Regierungen es gewesen sind, welche den wirtschaftlichen Verhältnissen das Gesetz diktiert haben. Sowohl die politische wie die zivile Gesetzgebung proklamieren, protokollieren nur das Wollen der ökonomischen Verhältnisse." (K. Marx, Elend der Philosophie, MEW 4, 109)

(19) Die Anpassung an diese Gegebenheiten werden auch schon theoretisch von den Systemtheorien zur Anwendung aufbereitet, die sich auf die Funktion des Ganzen als System zu dessen Erhalt fokussiert. Seine Funktionalität wurde begrifflich zu einer "sozialen Natur" umgedeutet und soziologisch mit entsprechendem Regularium bedacht, die in einem Gemeinsinn der Kultur ihre "Natur" bewahrheitet sein soll. Die Naturmythologie des Nationalsozialismus,, die mit der Ästhetik des gemeinen Naturmenschen schlechthin seine Vergemeinschaftung begründet und zum Volkskörper verwesentlicht hat, tritt nun mit der Konstruktion einer Funktionalität der Einhegung der Menschen in einen Menschenpark auf, der quasi "wesensgerecht" strukturiert sein muss und die diversen menschlichen Dysfunktionen einregeln können soll. Das würde genügen, um eine Hochkultur des Staates zu affirmieren, der als Kulturstaat eine Politik in seiner Selbstreferenz verfasst und über die Ästhetik der Selbstbezogenheiten seine Machtpolitik ganz allgemein so betreiben kann, dass dabei alle Staatsgewalt unkenntlich und jede Form der Entfremdung vertraut gemacht werden kann.

(20) Angst frisst schon vor aller Beziehung auf anderes alles Eigene auf. Und so richtet sich dann gegen die Welt der Entfremdung die Vorstellung von Eigenem, die Eigentlichkeit des eigenen Lebens und die Hausmacht des Heimes und seiner Heimlichkeiten. So wird das eigentlich Eigene, die eigene Familie schnell zur großen Heimat der kleinen Lebensburg des hierbei aktiv gewordenen Spießers, der zu einer Autorität für sich selbst wird, weil er sich nur noch vor Fremdem zu fürchten hat und seinen autoritären Charakter als Hausmacht in seinem kleinen Reich ganz groß ausleben kann. In seiner Fremdenfeindlichkeit macht er sich gerne in seinem Schutzraum mit allen gemein, wird allgemeiner Burgherr, damit er selbst nicht sein muss, was er ist. Seine Ängste mögen damit zwar aufgehoben sein wenn an ihrem Horizont das soziale Leben bereinigt erscheint. Aber er muss sich vor allem aus seiner gesellschaftlichen Wirklichkeit heraushalten, um für sich noch wesentlich und für seine sozialen Beziehungen gegen deren Verwirrungen einfach, ordentlich und rein zu sein.

(21) Der bürgerliche Staat ist nicht unmittelbarer Ausdruck des "Wollens der ökonomischen Verhältnisse" sondern zugleich ihr Mittel, ihr Korrektiv. Aus den Verhältnissen der Konkurrenz herausgesetzt kümmert er sich um deren Mangelhaftigkeiten, schafft Ausgleich ihrer substanziellen gesellschaftlichen Schäden, um das gesellschaftliche Ganze sowohl ökonomisch wie kulturell zu erhalten. Er folgt daher nicht nur den ökonomischen Verhältnissen, sondern verschafft ihnen immer wieder auch die substanziellen Bedingungen, unter denen sie funktionieren, d.h. sich in ihrer gegeben Form selbst auch reproduzieren und entwickeln können.

(22) Schon für die Gesamtgruppe der Migranten und ihrer Nachkommen, zusammen 16,4 Millionen Menschen (von 83 Millionen Deutschen sind das 20%), weist ein Datenreport, den das Wissenschaftszentrum Berlin zusammen mit dem Statistischen Bundesamt veröffentlicht hat, eine beachtliche Armutsrisikoquote bei 24 Prozent der Erwachsenen aus. Unter den 2,9 Millionen Einwohnern mit türkischen Wurzeln liegt der Anteil bei 36 Prozent. Umgekehrt verhält es sich mit dem Anteil derer, die ein Einkommen über dem gesellschaftlichen Mittelwert haben. Das schaffen nur 26 Prozent der Türken. In der Gesamtgruppe der Migranten sind es 41 und unter den Bürgern mit deutschen Wurzeln 53 Prozent. Der durchschnittliche deutsche Haushalt mit 1,9 Personen und 59 qm Wohnraum pro Kopf hat netto 1730 Euro im Monat, der entsprechende Migrantenhaushalt 1482 Euro und der türkische Durchschnittshaushalt mit 3,2 Personen und 32 qm pro Kopf nur 1242 Euro. Hinzu kommen Nachteile im sozialen Umgang. Die ermittelten monatlichen Mietausgaben türkischer Haushalte sind z.B. mit 530 Euro im Monat sehr viel höher als der Durchschnitt (Quelle FAZ vom 19.5.2016).

(23) Nach einer Umfrage der Universität Münster am 16. Juni 2016 bei 1.200 Türken, die in Deutschland leben, hatten sich 47% dazu bekannt, die "Gebote ihrer Religion" höher zu achten als "die Gesetze des Staates, in dem ich lebe". Und 32% unterstützen die Forderung nach "einer Gesellschaftsordnung, wie sie zu Zeiten des Propheten Mohammeds" geherrscht habe: Das Kalifat.

(24) Bereits am 9. September 2005 schrieb die türkische Zeitung Milli Gazete, die der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüş (IGMG) sehr nahe steht, auf Seite 4:

"Der islamische Glaube braucht keine Reformen, Veränderungen und Erneuerungen. … Die Thesen einiger Radikaler, Konvertiten und Reformer sind komplett falsch. Im Islam gibt es keine Reformen. … Reformen und Veränderungen können nur in verdorbenen Religionen, in menschlichen Ideologien und Lehren durchgeführt werden."

Die meisten Muslime im Westen lehnen die humanistischen Begründungsversuche einer Islamaufklärung ab. Interessant ist in diesem Kontext die Verwendung des Terminus "verdorbene Religionen". Anscheinend handelt es sich um eine Anspielung auf das Judentum und das Christentum, wie sie auch im Koran öfter zu finden ist.

(25) Die Zeitung "Oberösterreichische Nachrichten" vom 11.5.2015:

"KARLSRUHE. "Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat den Türken in Deutschland eine wichtige Rolle in der Außenpolitik seines Landes zugewiesen. Er sehe die Auslandstürken als ,,unsere Macht außerhalb des Landes", sagte Erdogan gestern in einer Rede vor tausenden Anhängern in Karlsruhe. Die Türken in Deutschland seien "die Stimme der Nation".

Auf seine Aufforderung hin skandierte die Menge die Formel "Eine Nation - eine Fahne - ein Vaterland - ein Staat". Die vom türkischen Fernsehen live übertragene Ansprache stand im Zeichen des Wahlkampfs für die Parlamentswahl am 7. Juni. In Österreich sind 90.000 Personen wahlberechtigt."

(26) Die Verkehrung im Verhältnis vom Wert der Arbeit und ihrer Produktivkraft entspringt dem Verwertungstrieb der kapitalistischen Produktion:

"Der Wert der Waren steht in umgekehrtem Verhältnis zur Produktivkraft der Arbeit. Ebenso, weil durch Warenwerte bestimmt, der Wert der Arbeitskraft. Dagegen steht der relative Mehrwert in direktem Verhältnis zur Produktivkraft der Arbeit. Er steigt mit steigender und fällt mit fallender Produktivkraft. ... Es ist daher der innere Trieb und die beständige Tendenz des Kapitals, die Produktivkraft der Arbeit zu steigern, um die Ware und durch die Verbilligung der Ware den Arbeiter selbst zu verbilligen." (K. Marx, MEW 23, 338).

(27) Marx hat immer wieder darauf hingewiesen, dass nur in der Substanz ihrer abstrakten Verhältnisse deren Aufhebung angelegt sein kann:

"Die Formen, welche Arbeitsprodukte zu Waren stempeln und daher der Warenzirkulation vorausgesetzt sind, besitzen bereits die Festigkeit von Naturformen des gesellschaftlichen Lebens, bevor die Menschen sich Rechenschaft zu geben suchen nicht über den historischen Charakter dieser Formen, die ihnen vielmehr bereits als unwandelbar gelten, sondern über deren Gehalt." (MEW 23, Seite 89)

(28) "Die Theorie ist fähig, die Massen zu ergreifen, sobald sie ad hominem >am Menschen< demonstriert, und sie demonstriert ad hominem, sobald sie radikal wird. Radikal sein ist die Sache an der Wurzel fassen. Die Wurzel für den Menschen ist aber der Mensch selbst. Der evidente Beweis für den Radikalismus der deutschen Theorie, also für ihre praktische Energie, ist ihr Ausgang von der entschiedenen positiven Aufhebung der Religion. Die Kritik der Religion endet mit der Lehre, daß der Mensch das höchste Wesen für den Menschen sei, also mit dem kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist." (Karl Marx, »Deutsch-Französische Jahrbücher«, Paris 1844). (MEW 1, Seite 385)

(29) Marx beschreibt den historischen Widerspruch des Kapitalismus als Widerspruch des ganzen Systems der Verwertung seiner produktiven Arbeit:

"Die wahre Schranke der kapitalistischen Produktion ist das Kapital selbst, ist dies: dass das Kapital und seine Selbstverwertung als Ausgangspunkt und Endpunkt, als Motiv und Zweck der Produktion erscheint, dass die Produktion nur Produktion für das Kapital ist, und nicht umgekehrt die Produktionsmittel bloße Mittel für eine stets sich erweiternde Gestaltung des Lebensprozesses für die Gesellschaft der Produzenten sind.

Die Schranken, in denen sich die Erhaltung und Verwertung des Kapitalwerts, die auf der Enteignung und Verarmung der großen Masse der Produzenten beruht, allein bewegen kann, diese Schranken treten daher beständig in Widerspruch mit den Produktionsmethoden, die das Kapital zu seinem Zweck anwenden muss und die auf unbeschränkte Vermehrung der Produktion, auf die Produktion als Selbstzweck, auf unbedingte Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte der Arbeit lossteuern.

Das Mittel - unbedingte Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte - gerät in fortwährenden Konflikt mit dem beschränkten Zweck, der Verwertung des vorhandenen Kapitals. Wenn daher die kapitalistische Produktionsweise ein historisches Mittel ist, um die materielle Produktivkraft zu entwickeln und den ihr entsprechenden Weltmarkt zu schaffen, ist sie zugleich der beständige Widerspruch zwischen dieser ihrer historischen Aufgabe und den ihr entsprechenden gesellschaftlichen Produktionsverhältnissen." (MEW 25, Seite 260)

(30) "Die Theorie einer nietzscheanischen politischen Ökonomie ist in allen ihren aggressiven Potenzen in Schumpeters Begriff des innovativen Unternehmers als Herr eines Prozesses "schöpferischer Zerstörung" verkörpert. ... Sein grundlegendes Werk, die 1911 erschienene "Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung" setzt die Akzente der Akkumulationstheorie unmißverständlich auf Zwang und Gewalt. Sie stellt die soziale Aggressivität der Unternehmerfunktion derart radikal ins Zentrum kapitalistischer Akkumulationsdynamik, daß man geradezu von einer politischen Ökonomie unternehmerischer Gewalt und zerstörerischer Aggressivität sprechen kann. Als "Führer" und "Feldherr" im "Kraftüberschuß" seines "Siegerwillens" und im Ausbau seiner "Herrenstellung" setzt der Unternehmer Innovationen gegen den sozialen Widerstand und Gegendruck durch." (zit. nach Detlef Hartmann 1999 "Die Philosophie rüstet auf")

(31) Die Anarchie der bürgerlich funktionalen Märkte hatte die Erwartung an einen durch Vorschuss finanzierbare Verwertung menschlicher Arbeit, entweder enttäuscht oder angereichert, je nach dem, wieviele "Verluste" oder "Gewinne" auf den Geldmärkten entstanden. Dem entsprechend gab es auch immer einen Wechsel zwischen Phasen der Hochkonjunktur und der Krise, die einander etwa im Zeitabstand von 7 Jahren abgelöst hatten. Solange das Geld von den nationalen Notenbanken darauf angepasst wurde und die umlaufende Geldmenge als Kreditvolumen entsprechend bereitgestellt oder durch Staatsverschuldung entzogen und durch Steuern bezahlt werden konnte, konnte sich der Kapitalismus in diesen Schwankungen soweit erhalten, wie seine Produktivität - das technische Niveau seiner Produktion - noch ein entsprechendes Wertwachstum entweder durch vermehrte Arbeit oder vermehrten Produkten auf vergrößerten Absatzmärkte ermöglichen konnte. Mit zunehmender Automation der Arbeit war dieses Wertwachstum aber immer mehr von den Absatzmärkten abhängig, weil Maschinen relativ wertlos produzieren, weil sie ihren Entstehungswert nur weitergeben und ihren Wert immer weniger durch menschliche Arbeit bewähren und vermehren können.

(32) Mit dem Auseinanderfallen des Bretton-Woods-Systems endete das Gold gebundene Geldsystem. In der Geschichte hat ein auf Papiergeld aufgebautes Währungssystem ohne Goldbindung noch nie überlebt. Allerdings konnte die disponierbare Wertmasse nicht mehr durch das vorhandene Goldquantum gedeckt werden und die USA, die mit ihrem Goldlager in Fort Knox die Weltwährung sichern sollte, konnte den Goldabkauf in der Krise der 70er Jahre z.B. schon 1966 auf Anforderung Frankreichs nicht mehr bedienen. Die Wertdeckung war nur noch durch einen amtlich verordneten Goldpreis zu halten. Aber vor allem war das Kapital daran interessiert, seine Wertmasse von dem monetären System abzulösen, um die Spekulation für ein Wertwachstum frei zu machen, das weit über die Potenziale der realen Geldströme hinausreicht.

(33) Jeder Kredit zielt vor allem darauf, Geld als Zahlungsmittel zu verwerten, indem er Geld als Kaufmittel vorstreckt. Aber die damit eingegangene Zahlungsverpflichtung stellt einen gedoppelten Wert dar: nämlich den der damit erstandenen Waren oder Produktionsmittel einerseits und zugleich den Wert des kreditierten Geldes, das sich der Gläubiger gutschreibt. Und diese Doppelbuchung muss durch die intensivierte Belastung auch durch doppelten Aufwand aus der Lebenswelt der Menschen eingebracht werden, einmal als Kaufmitt für den Verbrauch an Gebrauchswerten und zum anderen als Mehrarbeit für die Entwicklung, die bereits durch den Geldbetrag des Kredits finanziert, und also Vergangenheit ist, obwohl sie erst noch erbracht werden muss.

(34) Die Trinitarische Formel der Gesamtreproduktion des Kapitalverhältnisses ist eine Zusammenfassung der durch die bürgerliche Volkswirtschaftslehre behaupteten "Quellen des Reichtums", die Marx als Glaubenslehre an eine Dreifaltigkeit der stofflichen Grundlagen der kapitalistischen Produktion belächelt. Er schreibt dazu:

"Kapital - Profit, oder noch besser Kapital - Zins, Boden - Grundrente, Arbeit - Arbeitslohn, in dieser ökonomischen Trinität als dem Zusammenhang der Bestandteile des Werts und des Reichtums überhaupt mit seinen Quellen ist die Mystifikation der kapitalistischen Produktionsweise, die Verdinglichung der gesellschaftlichen Verhältnisse, das unmittelbare Zusammenwachsen der stofflichen Produktionsverhältnisse mit ihrer geschichtlich-sozialen Bestimmtheit vollendet: die verzauberte, verkehrte und auf den Kopf gestellte Welt, wo Monsieur le Capital und Madame la Terre als soziale Charaktere und zugleich unmittelbar als bloße Dinge ihren Spuk treiben. Es ist das große Verdienst der klassischen Ökonomie, diesen falschen Schein und Trug, diese Verselbständigung und Verknöcherung der verschiednen gesellschaftlichen Elemente des Reichtums gegeneinander, diese Personifizierung der Sachen und Versachlichung der Produktionsverhältnisse, diese Religion des Alltagslebens aufgelöst zu haben, indem sie den Zins auf einen Teil des Profits und die Rente auf den Überschuß über den Durchschnittsprofit reduziert, so daß beide im Mehrwert zusammenfallen; indem sie den Zirkulationsprozeß als bloße Metamorphose der Formen darstellt und endlich im unmittelbaren Produktionsprozeß Wert und Mehrwert der Waren auf die Arbeit reduziert." (K. Marx, Kapital III, MEW 25, 838.)

(35) Nur menschliche Arbeit kann Wert erzeugen, weil nur Menschen auch Produkte kaufen und also durch Geld ihre Lebensmittel erstehen müssen, die ihr Leben vermitteln. "Autos kaufen keine Autos" hatte Henry Ford dazu bemerkt. Produktionsmittel, also Maschinen und Automaten stellen zwar einen temporären Wert nach ihrer Herstellung dar. Der geht jedoch unabhängig von dieser Stück um Stück in die Produkte ein und wird über den Preis bezahlt, der ihre Kosten nicht nur aufhebt, sondern auch durch menschliche Arbeit verwertet wird. Um diese in Wert zu halten müsste aber mit fortschreitender Automation immer mehr menschliche Arbeit eingebracht werden, was aber dem Rationalisierungsinteresse des Kapitals widerspricht. Der Widerspruch zwischen dem wirtschaftlichen Wachstum und seiner Verwertbarkeit für das Kapital macht den grundätzlichen Widerspruch des Kapitals über alle Grenzen hinweg zu seinem unauflösbaren Problem. Es wäre nur auflösbar dadurch, dass immer weniger menschliche Arbeit bei gleichbleibender Bezahlung eingebracht würde. Aber dies ist in diesem Verhältnis unmöglich, weil ihr sinkender Wert nicht durch relativ hohe Löhne bezahlt werden kann, ohne dass Geld selbst zunehmend wertlos würde.

(36) Ein Eigentumstitel ist jenseits des körperlichen Daseins von Eigentum die politische Form des Besitzstandes, des Privateigentums, mit dem Menschen über die Nutzung von Sachen verfügen. Er ist die Grundlage des bürgerlichen Rechts und bezieht sich auf jede Ware, ganz gleich, wie sie entstanden ist und übereignet wurde. Bei Waren, die keinen Sachwert mehr darstellen, weil deren Arbeitsaufwand schon ausgeglichen ist (z.B. Immobilien) oder die nicht produziert wurden und nur in einem Vertragsverhältnis politisch verhandelt werden (z.B. Lizenzen, Grundeigentum und Gebühren) oder deren Produktionswert keine Anwendung mehr findet oder die einen Wert haben, der während der Produktion schon verbraucht wird (z.B. Transport, Werbung und andere Dienstleistungen), kann kein sachlich existenter Gegenwert in Rechnung gestellt werden. Solche Anwendung von Eigentumstitel in einem Nutzungsverhältnis, dessen Wert sich weder aus dem Abverkauf der Produkte noch aus ihrem Potenzial als Produktionsbedingung erschließen lässt, realisieren ihren Wert nicht im Warenhandel, sondern in der Preisbestimmung, also in der Gunst der Verwertbarkeit einer besonderen Marktlage ihrer Konsumtion, bzw. Nutzung. Soweit sie in ihrer Preisbildung selbständig und also frei durch ihren Besitzer verfügt werden, stellen sie unbezahlte Arbeit dar, die nicht im Warenhandel realisiert wird, sondern ihren Wert aus dem Finanzhandelskapital, aus der Geld- und Grundrente bezieht und ihr Preis von da her ermittelt und dort auch verwertet wird.

(37) "Mephisto:/ Bescheidne Wahrheit sprech' ich dir./ Wenn sich der Mensch, die kleine Narrenwelt,/ Gewöhnlich für ein Ganzes hält –/ Ich bin ein Teil des Teils, der anfangs alles war,/ Ein Teil der Finsternis, die sich das Licht gebar."

(38) Der unglückliche Doktor Faust der immer "strebend sich bemüht" hat, das "innerste der Welt" zu erkennen, ist deprimiert und lebensmüde. Und so verspricht er dem Teufel, dem Mephisto, seine Seele, wenn es ihm gelingt, seiner Unrast zu einem irdischen Glück zu verhelfen. In einem Pakt mit dem Teufel, der ihm die Erfüllung dieser Sehnsucht verspricht, überantwortet er sein Leben und verschreibt ihm seine Seele, wenn er dabei mit dem unermüdlichen Hasten nach den Ereignissen irdischer Belebungen innehalten sollte in einem Augenblick, in dem er verweilen würde, weil er sich darin belügen lassen könnte, dass dieser wirklich schön ist und er sich in diesem Leben "gefallen mag".

"Faust: Zeig mir die Frucht, die fault, eh man sie bricht,/ Und Bäume, die sich täglich neu begrünen!/

Mephisto: Ein solcher Auftrag schreckt mich nicht,/ Mit solchen Schätzen kann ich dienen./ Doch, guter Freund, die Zeit kommt auch heran,/ Wo wir was Guts in Ruhe schmausen mögen./

Faust: Werd' ich beruhigt je mich auf ein Faulbett legen,/ So sei es gleich um mich getan!/ Kannst du mich schmeichelnd je belügen,/ Daß ich mir selbst gefallen mag,/ Kannst du mich mit Genuß betrügen,/ Das sei für mich der letzte Tag!/ Die Wette biet' ich!/

Mephisto: Topp!/

Faust: Und Schlag auf Schlag!/ Werd' ich zum Augenblicke sagen:/ Verweile doch! du bist so schön!/ Dann magst du mich in Fesseln schlagen,/ Dann will ich gern zugrunde gehn!"

Gretchen, das Objekt des flüchtigen Glücks, verzweifelt daran, wird aber in der Verrücktheit eines dem entsprechenden Lebensverhältnisses mit Faust in ihrer zum Wahnsinn verdichteten Erkenntis gerettet, als sie ihre wahre Lage erkennt: "Stumm liegt die Welt wie das Grab!" - Der lebende Tod hat sie besiegt. Doch im Grauen ihrer Sinne, in ihrer Morgendämmerung ist sie gerettet: "Gretchen: Heinrich! Mir graut's vor dir./ Mephisto: Sie ist gerichtet!/ Stimme von oben: Ist gerettet!"

(39) Der "Kampf um gerechten Lohn" hat schon seine unendliche Geschichte im Habitus eines "Klassenkampfs" hinter sich, soweit er im Glauben an eine Verteilungsgerechtigkeit des Geldes durch Androhung einer Arbeitsverweigerung geführt wurde. Doch Lohnerhöhungen sind schon immer Bestandteil einer notwendigen Anpassung des Konsums an die verfügbare Geldmenge, um welche die Arbeitsleute zwar wie um einen Tagespreis ihrer Arbeitskraft kämpfen müssen, aber niemals den Mehrwert ihrer Arbeit einhandeln können. Denn dieser wird ihnen existenziell durch die Preiserhöhung der Lebenshaltungskosten wieder umgehend entzogen. Geld kann nicht gerecht sein, weil der Markt immer vom Geldbesitz - und somit von der vorhandenen Geldmenge als Maßstab der Preise - bestimmt ist, dem der einzelne Preis unterworfen ist, der um sein Dasein als Wertmaß zu konkurrieren hat.

(40) Marx wusste schon um das Problem, dass mit Bezug auf die Persönlichkeit der Kapitalisten gerne schon jeder Begriff für ihr Verhalten im bürgerlichen Verhältnis der Personen, das letztlich nur ein Verhältnis ihrer Sachen ist, wieder untergeht:

"Zur Vermeidung möglicher Mißverständnisse ein Wort. Die Gestalten von Kapitalist und Grundeigentümer zeichne ich keineswegs in rosigem Licht. Aber es handelt sich hier um die Personen nur, soweit sie die Personifikation ökonomischer Kategorien sind, Träger von bestimmten Klassenverhältnissen und Interessen. Weniger als jeder andere kann mein Standpunkt, der die Entwicklung der ökonomischen Gesellschaftsformation als einen naturgeschichtlichen Prozeß auffaßt, den einzelnen verantwortlich machen für Verhältnisse, deren Geschöpf er sozial bleibt, sosehr er sich auch subjektiv über sie erheben mag." (MEW 23, Seite 16)

(41) Solche Waren sind erzeugt worden, weil sie einen Gebrauchswert haben und damit auch einen Tauschwert relativ zu anderen Waren darstellen, selbst wenn sie keinen Preis erzielen. Im Tauschwert reflektieren sie ihren Erzeugerwert. Ihr Preis jedoch ist ihnen äußerlich allein durch die Warenzirkulation gegeben.

"Die Ware ist Tauschwert, aber sie hat einen Preis." (Karl Marx, MEW 42, 121).

Der Tauschwert drückt zwar immer einen Wert aus, den er aber nicht für sich verwirklichen kann, wenn die Ware als Produkt einen Preis bekommt, der sich auf dem Warenmarkt nicht realisieren kann. Sie können Preise haben, die sowohl unter ihrem Wert wie auch darüber liegen oder überhaupt nicht verpreist werden können. In der Zirkulation der produzierten Waren verhält sich ihr quantitatives Dasein ihrer Geldform als Preissumme und wird zum Kriterium ihrer durchschnittlichen Realisation als Tauschwerte, also der Werte, die sie darstellen. Denn letztlich ergibt sich der Preis als reelle Wertgröße erst aus der Preissumme aller im Tausch gehandelten Waren. Und nur darin erfährt der Tauschwert seine reelle Größe, seine Wertgröße als Maß der Werte, - und nur darin wird er schließlich auch in der Geldform selbst zum Maßstab der Preise.

(42) Das Problem des Wertwachstums ist nicht die Grenze der Ausbeutbarkeit von Mensch und Natur und deren Ressourcen. Da ist es ganz obenauf, denn alles muss sich nach ihm richten, das nicht untergehen will. Sein Problem ist die Grenze des Konsums. Nichts wäre dem "Trieb des Kapitals" lieber, als eine allgemeine Sucht der Menschen nach unendlich vielen Produkten, die durch eine immer selbstlosere und geringerwertige Arbeit verdient werden müssten, also eine hohe Abhängigkeit enthalten. Massenkonsum ist so auch zum Hauptmerkmal des Kapitalismus geworden, der sich durch den Wertimport aus armen Ländern dahin gewendet hat, den Konsum in den reichen Ländern anzufachen, auch wenn dieser dort keine gesellschaftliche Substanz hat, nicht unbedingt jene Bedürfnisse befriedigt, die in diesen Ländern aus dem gesellschaftlichen Sein und seinen inneren Notwendigkeiten entstehen.

(43) Der tendenzielle Fall der Profitrate ist nach Marx das zwingende Resultat der Logik des Kapitals, das daraus besteht, dass die Profitrate, die für das Wertwachstum eigentlich stetig wachsen müsste, in der Tendenz stattdessen aber immer wieder zunehmend fällt, weil das Wirtschaftswachstum der Realökonomie am Wertwachstum an seine natürliche Schranke gelangt, an die Beschränktheit des Konsumvermögens der Bevölkerung gegen den Trieb der kapitalistischen Produktion, seinen Wert unentwegt zu verwerten.

"Es ist dies in jeder Beziehung das wichtigste Gesetz der modernen politischen Ökonomie und das wesentlichste, um die schwierigsten Verhältnisse zu verstehn. Es ist vom historischen Standpunkt aus das wichtigste Gesetz. Es ist ein Gesetz, das trotz seiner Einfachheit bisher nie begriffen und noch weniger bewußt ausgesprochen worden ist." Karl Marx: MEW 42, Grundrisse, S. 641

Darin erweist sich, dass im Kapitalismus Produktion und Reproduktion nicht gleichförmig wachsen können, weil die erzeugten Produkte zum einen den Wert aus bezahlter Arbeit darstellen, der als Lohn ausbezahlt wird, der aber andererseits auf Dauer nicht das kapitalnotwendige Wertwachstum aus unbezahlter Arbeit finanzieren kann. Weil der Wert der Produktion von Kapital sich durch den erwirtschafteten Mehrwert nicht in der Zirkulation der Waren verwirklichen kann, also an der Preisbildung der Waren zum Erhalt der durchschnittlichen Profitrate daran scheitern muss, dass Kapital mehr Wert nötig hat, als die existenziellen Mittel der Menschen, ihr wirklicher Lebensstandard in der Form aller nutzbaren Produktions- und Lebensmittel darstellen kann.

Der Wert der Lebensmittel, also der im Arbeitslohn dargestellte Wert, das so genannte variable Kapital, mindert sich relativ zur angewandten Wertmasse des konstanten Kapitals, die sich als Mehrwert in dessen organischen und strukturellen Verhältnissen (besonders der Produktionsmittel, der Organisation und Verwaltung, der Verkehrsmittel und der Geldanlagen u.a.) zum Produktionsprozess verhält, so dass die organische Entwicklung der produktiven Kapitalmasse sich in einem umgekehrten Verhältnis zur Wertmasse der damit produzierten Lebensmittel, zum variablen Kapital entwickeln muss.

Dies macht das Grunddilemma der kapitalistischen Produktion aus, die ihre für sich selbst notwendige organische Entwicklung, die wirtschaftliche Steigerung der Produktivität der Arbeit durch Intensivierung ihrer Produktivkräfte, durch die Rationalisierung der Arbeit, also durch ihr Wirtschaftswachstum, nicht in der Lage sein kann, ein dem entsprechendes Wertwachstum zu erwirtschaften, auch wenn sie dies mit aller Gewalt durch Verschärfung der Ausbeutung von Mensch und Natur zu betreiben sucht. Auf Dauer kann die Mehrwertrate sich nicht in einer ihr entsprechenden Profitrate halten, sich also nicht in ihr entsprechenden Preisen verwirklichen und muss daher bei zunehmender Automation - und also Entwertung menschlicher Arbeit - immer wieder ihre Preisbildung an eine stetig geringer werdenden Wertgröße anpassen. Die Verwertung der anwachsenden Produktivkraft in der Produktion von Waren scheitert notwendig an der Zirkulation der Warenwerte, also im Warentausch der Produkte selbst und führt innerhalb des Warenhandels immer wieder zu einer Überproduktion, also zu einer Wertvernichtung, in einer ungedeckten Geldschwemme, die regelmäßig eine Wirtschaftskrise zur Folge hat und fiktiv gewordenes Kapital zum Abwandern in das Kreditwesen (siehe Finanzkapital) zwingt.

(44) Mit der Trickle-down-Theorie von David Stockman sollte glaubhaft gemacht werden, dass Wirtschaftswachstum und allgemeiner Wohlstand der Reichen nach und nach durch deren Konsum und Investitionen in die unteren Schichten der Gesellschaft durchsickern würden. Diese Theorie hat sich längst schon im Vergleich der Länder als falsch erwiesen, die durch neoliberale Politik die Reichtumskonzentration in der Hand der Wenigen gefördert hatten (z.B. USA) und denen, die noch auf eine Art Ausgleich der Nachteile im Geldbesitz bestanden (z.B. Dänemark).

(45) Zins stellt den realisierbaren Mehrwert für einen Kreditbetrag dar, den die Profitrate in ihrem Durchschnitt mit seiner Anwendung pro bestimmter Laufzeit bewirkt. Zinsen sind daher umgekehrt auch der Preis für den Gebrauch von Geld in dieser Zeit.

"Sein Gebrauchswert besteht hier eben in dem Profit, den es, in Kapital verwandelt, produziert. In dieser Eigenschaft als mögliches Kapital, als Mittel zur Produktion des Profits, wird es Ware, aber eine Ware sui generis. Oder was auf dasselbe herauskommt, Kapital als Kapital wird zur Ware." (Marx MEW 25, S. 350 f.)

Zinsen stellen also den aus dem Preis des Geldes zu erwartenden Wert eines noch entstehenden Geldes dar, den Anteil eines zu produzierenden Mehrwerts aus einem bereits vorhandenen Mehrwert, der sich nicht im Warenhandel, sondern im Geldhandel realisiert und zwischen Verleihern und Borgen zerteilt - für den einen als real anwendbares Kapital, für den anderen als Profit aus seinem Geldbesitz.

"Der Wert des Geldkapitals ist eben der Zinsfuß und nichts andres."
(Marx MEW 25, S. 437)

(46) Durch Kreditversicherungen, so genannte Swaps (engl. Austausch), wird die Austauschbarkeit von Krediten im Derivatenhandel aus der Wahrscheinlichkeit zukünftiger Zahlungsströme (Cash Flows) berechnet und als "derivates Finanzinstrument" international wie reales Geld verfügbar gemacht. Dabei wird eine stabile - oder besser noch eine hoch konkurrierende - Währung als Wertträger genutzt, um damit Kredite auf fallende Kurse zu nehmen und nach dem Fall wieder durch diese Währung einzutauschen, also billig zurückzuzahlen. Niemand kann sich dagegen wehren. Es gibt unzählige Arten von Derivaten zur Spekulation: Asset-Swap, Credit Default Swap (CDS; dt. auch Kreditausfall-Swap), Devisenswap (auch FX-Swap), Equity Swap, Subordinated Risk Swap, "Total Return Swap" bzw. "Total Rate of Return Swap" (TRS bzw. TRORS), Währungsswap, Zinsswap, Constant Maturity Swaps, Derivate auf Wettergeschehen oder Rohstoffswaps.

(47) Das Termingeschäft war ursprünglich eine nicht standardisierte, direkte Vereinbarung zwischen Rohstoffverkäufer (Produzent) und Rohstoffkäufer (Konsument). Diese Terminkontrakte entstanden aus der Überlegung, dass sich ein Importeur bei Verschiffung von Waren oder Rohstoffen in Übersee die Schiffsladung frühzeitig zu einem festen Preis sichern konnte und bei Warenankunft nach mehreren Wochen oder Monaten keine Preisrisiken trug. Die Spekulation auf diese Sicherheiten pervertierete sie zu einem Handel durch kapitalbestimmte Lagerhaltung, welche die Preise der Lebensmittel in den produzierenden Ländern gegen ihre Nachfrage abhob, bis sie von deren Bevölkerung nicht mehr bezahlbar waren (siehe hierzu auch die Broschüre "Die Hungermacher" von Harald Schumann, 10/2012).

(48) In der bürgerlichen Gesellschaft waren Eigentumstitel immer noch auf Produktivität bezogen, ihr Wertverhältnis und Wertwachstum also hiervon abhängig. Marx erläuterte den Wert von Eigentumstitel an der Grundrente, z.B. an einem Grundstück mit Wasser und Mühle, das mit der Produktivität des Mahlens auch wertvoller - beziehungsweise wertloser - wurde, weil es durch die Konkurrenz der Müller und ihrer Preisbildung noch deren Mehrwert transportierte. Dies geht seit der Globalisierung in der Konkurrenz der Nationalstaaten und der Umkehrung der Produktivität in Finanzkapital zunehmend unter. Die Profitrate fällt nun eben vorwiegend auf den Geldmärkten und Börsen. Und dort kann Mehrwert nur durch "Frischgeld", durch Geld als Zahlungsmittel eines Schuldgeldsystems erhalten, eingetrieben und transportiert werden.

(49) Feudal (feudum = "Lehen", Schuldpflichtigkeit, Benefizialwesen) ist eine Finanzaristoraktie, die durch ihren Einsatz von Geldmitteln aus den Quellen einer "Opimatenherrschaft", dem Derivatenhandel, das Kreditwesen bestimmt und hieraus eine vertiefte Form der Ausbeutung der Armut über ihre Geldzirkulation betreibt. Die beruht darauf, dass die internationale Finanzwirtschaft ihre Geldmengen durch Vorschüsse in geringere Produktivität "auffrischt", um den in fiktivem Kapital "schwebenden" Mehrwert in einem abgehobenen Kreditwesen in Schuldtiteln zu halten und Produktivitätssteigerung der ärmeren Wirtschaftsstrukturen als Wertwachstum des Geldes anzueignen und durch daraus bezogene Rechtstitel politisch zu beherrschen (Austeritätspolitik). Feudalkapital betreibt Kapitalherrschaft durch die Verfügung über die Existenz der Menschen mit der Bereitstellung ihres Unterhalts, durch Vergabe von Darlehen, die als Lebensmittel fungieren, und deshalb auch wie eine Benefizium verstanden werden sollen.

(50) Im Devisenhandel wird aus Wertunterschieden der Währungen Profit dadurch gezogen, dass die Werte der importierten Währung einem Produktivitätsniveau und damit auch einem Lebensstandard entsprechen, der weit unter denen der profitierenden Währung stehen. Wird die Währung der Nationen untereinander getauscht, so entscheiden deren Produktivitätsunterschiede im Verhältnis ihrer Mehrwertsraten, ob und wie viel unbezahlte Arbeit ein Land durch den Einkauf der Währung eines anderen Landes bezieht. Wenn für die Lebenshaltung, also zur Reproduktion des durchschnittlich arbeitenden Menschen eines Landes zum Beispiel 180 Arbeitsstunden pro Monat nötig sind, in einem anderen nur 140 Stunden, dann stellt die Währung des schlechter gestellten Landes auch nur einen Teil des Wertes der Währung des besser gestellten Landes dar, wenn damit beide Länder Geld oder Waren miteinander tauschen. In unsrem Beispiel würde das besser gestellte Land einen Währungsgewinn von 28,5% einnehmen, durch den es seine Ressourcen, sein Kapital, seinen Finanzplatz oder auch seine Löhne aufbessern oder seine Wertpapiere durch versteckten Werteintrag, also durch Derivate aufwerten kann.

(51) Im Jahr 2011 hat sich die barbarische Auswirkung der darauf spekulierenden Derivaterlöse durch Termingeschäfte in einer Hungerkatastrophe auch in den Medien gezeigt, als schätzungsweise 40 Millionen Afrikaner nicht mehr in der Lage waren, sich durch den Reis zu ernähren, den sie selbst anbauten, weil mit dessen Preisen auf den Weltmärkten spekuliert wurde. Die Deutsche Bank hatte damit alleine schon 4 Milliarden Euro Gewinn gemacht (siehe hierzu auch die Broschüre "Die Hungermacher" von Harald Schumann, 10/2012). Desgleichen bekannt wurde auch, wie die Preisbildung bei Hühnern den Märkten ihre Herkunftsländer entzogen wurden, indem sie durch eben diese Finanzierungspraktiken und entsprechenden Subventionierungen ihnen unerschwinglich gemacht wurde und der Preisbildung der Finanzmärkte überlassen werden musste.

(52) Die schleppenden Verhandlungen auf den Konferenzen der Wirtschafsmanager zum Klima, zur Armutsbekämpfung, zu Währungssicherheiten, zu Friedensbemühungen, zur Ressourcenschonung und so weiter, zeigen eine schier unauflösbare Angst ihrer Teilnehmer vor den Konkurrenzverhältnissen - nicht im Warenhandel sondern auf den Devisenmärkten. Hier zählt jeder Verlust doppelt: Er zerstört reales Geld und reale Chancen und kann jederzeit den in einen bodenlosen Abgrund stoßen, der nicht mehr mitkommt.

(53) "Einigkeit und Recht und Freiheit sind des Glückes Unterpfand", heißt es da. Als Freiheitsidee ist Liberalismus die verfänglichste Schleierwolke für das praktische Bewusstsein der Menschen, weil und solange diese ihr Verlangen nach Freiheit durch das Postulat einer Beliebigkeit in ihrer gleichgültigen Wertegemeinschaft beantwortet sehen. Hieraus bestimmt sich schließlich seine zentrale Funktion als Lebenswert der "westlichen Kulturen", denn weil im Liberalismus nur Freiheit an sich, die Freiheit des Beliebens reflektiert ist, sieht sich jeder Einzelne als Individuum bestärkt, auch wenn er objektiv gerade hierdurch zur Konkurrenz gegen alle anderen bis zum Untergang seiner Existenz gezwungen ist. Die Allgemeinheit des Liberalismus ist in Wirklichkeit eben die Verwertbarkeit eines jeden einzelnen Lebens, seiner Tätigkeit und seiner Frucht, die zum Verbrauch dargeboten werden muss, um sich für sich in diesem Sinne frei zu fühlen, um Geld zu verdienen und das zu bekommen was für das Lebensnotwendige gerade hinreicht. Es ist eben die Ideologie der Selbstbeziehung, die sich in einer absurden Vorstellung von Freiheit allgemein verwirklichen will und damit immer nur ihr Gegenteil bewirken kann. Und genau darin war sie in der Form des Neolibealismus bestens für die Expansionsinteressen des fiktiven Kapitals geeignet. Mit der so genanten Trickle-down-Theorie von David Stockman hatte man vorgaukeln können, dass Wertwachstum nach und nach alle Schichten der Gesellschaft bereichern würde, weil durch Investitionen in den Konsum ein allgemeiner Wohlstand bis in die unteren Schichten der Gesellschaft durchsickern würde. Doch gerade dieses Glücksversprechen des Neoliberalismus, hatte in seinen Resultaten das Gegenteil bewiesen.

(54) Durch Ideologien. wird ein vorherrschender Gedanke im Interesse des ganzen Verhältnisses einer Gesellschaftsform Zusammenhalt gestiftet. Die herrschenden Gedanken waren immer schon die Gedanken der Herrschenden, die über Gedankenabstraktionen sich ideell, also zu Ideologien verschmelzen ließen, um damit die widersprüchlichsten Lebensverhältnisse zu idealisieren, in ihnen durch hohe Begrifflichkeiten auch einen höheren Sinn zu interpretieren. Ideologien verstehen sich daher auch selbst schon als Glücksverheißung, in der sich das Nötige in alle Situationen des Lebens einfügen lässt. Sie wirken wie der politische Auftrag zum Erfolg derer, die sich durchsetzen können. Doch Ideologien sind bloße Vorstellungen, sind Keime aus der Vergangenheit, die Zukunft versprechen, indem sie die Wahrnehmung der Gegenwart danach ausrichten und verklären, was man in ihr allgemein schon verwirklicht sehen will, auch wenn es im Allgemeinen nur abstrakt sein kann. Sie geben als Realität aus, was bloße Versprechen sind, was darin gut sein soll und deren Güte darstellen können sollte.

(55) Dies hatte sich zwar anfangs noch von einer Seite her bestätigen lassen, solange mit den Fortschritten der Technologie sich auch mehr und bessere Produkte gesellschaftlich realisieren ließen, Verbesserungen des Konsums, also dem Konsumverhalten der besser gestellten gesellschaftlichen Schichten und Klassen von Nutzen war. Doch schon mit den Weberaufständen war auch ins Bewusstsein gelangt, dass diese Fortschritte eine Industrie entwickelten, die für die Arbeitsleute eine zunehmende Minderung wirtschaftlichen wie kulturellen Qualität ihrer gesellschaftlichen Verhältnisse mit sich brachte. Mit der Industrialisierung der Dampfkraft wurde das Einkommen von Geld als Zahlungsmittel im Gegensatz zum Geld als Kaufmittel dann auch erst vollständig polarisiert zu dem, was es schon seinem Begriff nach war: War erstres Objekt des Marktes, so letztres Subjekt der bürgerlichen Gesellschaft, das zwar das persönliche Subjekt von "Gottes Ganden", das Subjekt des Feudalismus ablösen konnte, dafür aber seine Herrschaftsrolle über das Leben der arbeitenden Bevölkerung gewann.

(56) Neoliberalismus reflektiert seine Postulate insgesamt hauptsächlich aus dem Krisenmanagement des modernen Kapitalismus und ist wesentlich am Absatz orientiert (Förderung des Freihandels). Da die kapitalistischen Krisen auf ihrer Oberfläche vor allem als Absatzkrisen erscheinen, will er preislich günstigere Produkte erzielen, die den Konsum anregen sollen. Hierfür ist vor allem die Senkung von Löhnen, der Lohnnebenkosten und der Unternehmenssteuern nötig. Gemäß der G-I-B-Formel wird erhofft, dass niedrigere Löhne zu höheren Gewinnen (G) führen, die zu höheren Investitionen (I) anregen, was mehr Beschäftigung (B) schaffen soll. In diesem Sinn vollzieht der Neoliberalismus das Wertprinzip auf vollkommenste Weise durch das Prinzip der grenzenlosen Quantifizierung der Märkte als Prinzip des Nutzens der produktiven Verwertung gegen die menschlichen Lebenszusammenhänge der Wirtschaft.

(57) Was von dort dann an Wert zum Lebensunterhalt der Menschen in die reichen Ländern kommt, entlastet ihr variables Kapital, das den Wert der Lebensmittel und ihrer Löhne darstellt. Was an Importen in die reicheren Länder eingebracht wird, vermittelt also auch schon in seiner organischen Gestalt einen Mehrwert, der über die Löhne und Geldwerte der Bevölkerung schon durch Ersparnisse für ihre Reproduktionskosten angeeignet wird, also über das, was sie zum Leben brauchen und was sie im Vergleich zu den Lieferländern billig einkaufen können: Kleider, Haushaltsgeräte, Computer, Spielzeug usw.. Dieser Mehrwert wird den Armen daher vor allem substanziell entzogen und den Reichen als Mehrwert zugeführt. Er macht schon von daher die Armen immer abhängiger und die Reichen immer beliebiger in diesen Verhältnissen, denn sie haben unter diesen Bedingungen keine Chance, wirklich aus ihren Belastungen herauszukommen und zu einem konkurrenzfähigen Marktsubjekt zu werden. Mehrwert wird daher jetzt global im Nachhinein der Produktion, also durch die Geldzirkulation aus den Kosten für Lebensunterhalt als Einsparung in den reichen Ländern eingezogen. Und deshalb lässt er sich schließlich auch in den Preisen der Gebühren, der Miete, Unterhaltung, Kommunikation usw. als reelles Zahlungsmittel in den Profiten so verwirklichen, dass sie aus den Nutzungspreisen der Eigentumstitel wie ein "Frischgeld" eingenommen werden können.

(58) Die Neukäufe von Wertpapieren hatten weltweit bereits 1999 ein Vielfaches der dem entsprechenden Warenexporte dargestellt:

"Die Emission von Anleihen auf internationalen Finanzmärkten hat sich seit 1980 etwa verzehnfacht. Die börsentäglichen Devisenumsätze belaufen sich mittlerweile auf 2 Bill. US-$. Das sind aufs Jahr hochgerechnet etwa 500 Billionen US-$, während die Warenexporte pro Jahr lediglich 7 Billionen US-$ betragen." (Ehrenfried Pausenberger "Globalisierung der Wirtschaft: Erscheinungsformen, Ursachen und Folgen", Vortrag im Rahmen des Collegium Gissenum der Justus-Liebig-Universität Gießen am 7. 7. 1999)

(59) Geld, das vorwiegend als reines Buchgeld fungiert, muss sich seinen Wert über seine Verfügungsmacht sichern, auch wenn sich dieser nicht mehr produktiv verwirklichen kann. In London gehören bereits 70% der Immobilien Investoren aus fremden Ländern, hauptsächlich Russland und China. Real bildet die zirkulierende Geldmenge von 700 Billionen USD nur noch 70 Billionen USD des Warenhandelkapitals ab. Die Nationalstaaten bewähren sich hierbei als Bürgschaftsverweser und zugleich Risikoträger durch die Trennung von Steuerpflicht und "Gewinn".

(60) Der Handel mit diesen "Derivaten" hing vor allem von der Geschwindigkeit der Entscheidungen über Annahme oder Abstoßung von Wertpapieren ab, die praktisch nur noch durch Computer zu berechnen und zu entscheiden waren. Schon der Einsatz schnellerer Chips konnten Milliardengewinne bringen.

(61) Fiktives Kapital ist ein Kapital, das keine wirkliche Beziehung zu seinem Wert realisiert, das also zunächst nur daraus besteht, dass es nominell als Geld existiert, weil es aus Geld abgeschöpft wird, durch das die produktive Nutzung eines Eigentums erwartet werden kann, weil es als Einkommenspotenzial eines Eigentumstitels existiert.

"Die Eigentumstitel auf Gesellschaftsgeschäfte, Eisenbahnen, Bergwerke etc. sind … zwar … Titel auf wirkliches Kapital. Indes geben sie keine Verfügung über dies Kapital. Es kann nicht entzogen werden. Sie geben nur Rechtsansprüche auf einen Teil des von demselben zu erwerbenden Mehrwerts. Aber diese Titel werden ebenfalls papierne Duplikate des wirklichen Kapitals, wie wenn der Ladungsschein einen Wert erhielte neben der Ladung und gleichzeitig mit ihr. Sie werden zu nominellen Repräsentanten nicht existierender Kapitale." (Marx, MEW 25, Seite 494)

(62) Weltweit war diese Fiktion zum Oktober 2015 bereits auf 700 Billionen Dollar angewachsen, dem über zehnfachen der weltweit real gehandelten und zirkulierenden Waren im Wert von etwa 65 Billionen Dollar), das somit zu einem Neunzehntel als reale Zahlungsverpflichtung, also als Schuld zu verbuchen ist, die keine realwirtschaftliche Entsprechung durch die Warenzirkulation hat. Ein solches Verhältnis würde für jede Betriebswirtschaft als ihren Bankrott erklären müssen.

(63) In dieser Logik, die von neoliberalen Wirtschaftswissenschaftlern und Politikern beschrieben wird, ist daher auch nicht zufällig die Idee eines Bedingungslosen Grundeinkommens entstanden. Eine Gesellschaft, die selbst nur noch um den Selbsterhalt und das Wachstum des Mehrwert, also um das Wertwachstum besorgt sei muss, könne so oder so ihre einfache Reproduktion aus den Werten zum Lebensunterhalt, also aus den Lebensmitteln beziehen, die sie überhaupt zu kaufen und zu bezahlen hat, und die daher vom Staat vorgeschossen wie eingenommen werden können. Über Steuerleistungen wäre auf diese Weise die "echte" Wertschöpfung unabhängig davon, wie Geld über Mehrproduktion zur Kapitalisierung kommt. Wertschöpfung wird vom Neoliberalismus ja auch so schon nur aus einer "Geldschöpfung" aus Geld durch Geldvorschuss verstanden.

(64) Inzwischen soll diese Rechtsform selbst zu einem Rechtsverhalten der Spekulation werden. Mit den neuen "Freihandelsverträgen" (CETA und TTIP) soll schon ein möglicher "Ausfall von Profiten" durch nationale Rechtsverhältnisse zu Schadensersatzforderungen an die Nationalstaaten führen. Das Rechtssystem würde damit selbst fiktiv werden. Und schon sind Anwaltskonzerne in Gründung, die auf solche "Rechtsprechung" wetten lassen, die also Wertpapiere verkaufen, die auf Profite an Anwaltskosten bei Prozessen um Milliardenbeträge spekulieren. Die Fiktion ist damit total, das Feudalkapital auch als Rechtsverhältnis totalitär.

(65) Spätestens mit dem Zusammenbruch Griechenlands war dieses Geschäft mit der Armut sinnfällig geworden und wird sich in Kroatien, Rumänien und andere fortsetzen. Wo Armut herrscht, wird Geld spendiert, um über die Ressourcen dieser Länder direkt verfügen zu können. In Rumänien wurde Landgrapping zu Schleuderpreien alltäglich. Griechenland muss seine Infrastrukturen (z.B. Flughäfen, Schiffsflotten oder Schiffshäfen) verkaufen, um das internationale Kapital zu bedienen. Allgemein herrscht Verschuldung nur um dessen "Wohlergehen" zu bestärken.

(66) Ganz unabhängig von der reellen Mehrwertproduktion ist die Geld- und Warenzirkulation allerdings nie, weil durch die Beschleunigung der Zirkulation von freien Geldwerten der Umsatz und damit auch die Produktivität, also auch die Zeit, in der Waren nachgefragt werden, beschleunigt, Arbeitszeit also verkürzt werden könnte und auch die Arbeitskosten durch Pflege und Wartung von Maschine und Mensch gesenkt werden können. Doch dies alles bleibt nur innerhalb des Warenumschlags und der darin herrschenden Konkurrenzverhältnisse.