Wolfram Pfreundschuh (12.2.2010)

Zum 1. Teil: Wissenschaft und Kultur – menschliche Selbstverständigung und die Macht pluraler Beliebigkeiten

2. Wissenschaft und Emanzipation -
Begriffsbildung einer kritischen Theorie

Über Emanzipation und Entfremdung - Subjekt – Objekt - Gedoppelte Objektivität - Wissenschaft und Gegenstand

In der Fortsetzung der letzten Sendung “Wissenschaft und Kultur - menschliche Selbstverständigung und die Macht pluraler Beliebigkeiten“ geht es heute um die kritische Begriffsbildung einer emanzipatorischen Wissenschaft. Wissenschaft und Emanzipation soll unser Thema sein, also auseinandergesetzt werden, wodurch Wissenschaft geeignet ist, gegen die herrschenden Gewalten sich zur Wehr zu setzen.

Aber braucht es hierfür überhaupt Wissenschaft? Kann nicht jedem Menschen schon durch bloße Anschauung klar sein, was diese Gewalt ist und dass die ganze Entwicklung des Kapitalismus gegen ihn geht und dass er hiergegen etwas tun muss und dass ein allgemeiner Protest wichtiger wäre, als jetzt über Wissenschaft nachzudenken? Warum soll da noch irgendein weitergehendes Wissen nötig sein, von dem man nicht weiß, in welchem Interesse es steht und "wes Lied es singt"? (1) Es ist alles so komplex geworden, dass man sich am liebsten auf reines Handeln verlassen wollte, auf die bloße Entgegenstellung, die nur das Bewusstsein verlangt, wogegen man sich wie verhalten kann.

Auch Wissenschaft wollte ursprünglich nichts anderes als Bewusstsein sein. Es wäre doch eigentlich trivial: Menschliche Wissenschaft muss vom Menschen ausgehen und auf den Menschen zurückkommen und alles tun, dass er nicht beherrscht oder bedroht wird. Hierfür wollte Wissenschaft aus den einzelnen zerteilten Phänomen des Daseins deren Zusammenhang erkennen und beschreiben und daraus ihre Rückschlüsse und Schlussfolgerungen für menschliches Sein und Handeln gewinnen, das Allgemeine als das Bestimmende in der Not des Einzelnen herausfinden. Sie wollte schon immer hilfreich und dem Fortschritt der Menschen dienlich sein. Wissenschaft wollte den Zusammenhang der existenten Formen der Gegenwart in ihrer Notwendigkeit erkennen, erkennen was Nötig ist und die Mittel hierfür bereitstellen, aber auch die Not beurteilen, ihre Folgen prognostizieren und hieraus Schlüsse auf ein bestimmtes Not wendendes Handeln ziehen. Sie hat Krisen gemeistert, Medizin erfunden, Technologie entwickelt und Allerlei Gutes getan.

Doch wenn wir über Emanzipation nachdenken, unterstellen wir eine Gewalt, die nicht offensichtlich und leicht erkennbar gegen uns gerichtet ist, die aber unsre Geschichte und Entwicklung bestimmt und die wir daher nicht einfach ignorieren, nicht einfach abschütteln können. Wodurch soll Wissenschaft geeignet sein, gegen herrschende Gewalten sich zur Wehr zu setzen?

Not macht nicht immer erfinderisch. Sie macht auch eng und grenzt ein und damit auch vieles aus, hätte am liebsten alle Mittel für sich. In der Ausgrenzung war Wissenschaft schon öfters besonders gut. Z.B. in der Definition der Abart, in der Rassenlehre, in der Definition des lebensunwerten Lebens usw. Sie hatte immer einen beträchtlichen Anteil an der Geschichte. Und sie hat auch ihre Beiträge hierfür geleistet. Z.B. bei der Bücherverbrennung, in der Sortierung vom Menschen in den Todeslagern oder auch bei der Entwicklung der Atombombe, der Gentechnik und anderes.

Was also hat Wissenschaft mit Emanzipation zu tun? Emanzipation geht von einem fremden Subjekt aus, das beherrschend ist, also eine Objektivität bestimmt, die eine fremde Macht darstellt und gegen die sich ein Subjekt wendet, das hierdurch selbst als Objekt bestimmt ist. Doch wer oder was heißt dann Subjekt? Und wer ist dieses wissenschaftliche Subjekt, das sich gegen diese Objektivität wendet. Soll es nicht gerade selbst objektiv sein, wenn es Wissenschaft betreibt? Soll sich Wissenschaft etwa selbst gegen objektive Bestimmungen wenden? Das erscheint erstmal absurd.

Aber eben darum geht es: um die Frage, wie ein Subjekt objektiv sein kann. Der Glaube an den Fortschritt der großen Industrie, an die Moderne, war durch die industrielle Vernichtung von Menschen schockiert, die schlichte Macht der hohen Positionen, der Parteienherrschaft und der großen Systeme wurde unglaubwürdig. Am Ende ging der Fortschritt nur noch gegen die Menschen und die Wissenschaft war seine erste Kraft.

Wenn man davon absieht, wodurch Wissenschaft allgemein in einer Gesellschaft begründet ist, so könnte man meinen, dass der Weltgeist der Modernen ein bloßer Denkfehler war, dass Wissenschaft nicht gemerkt hat, wie sich ihre Rolle in eine Magd der kapitalistischen Instrumentalisierung verkehrt hat, dass sie einfach das Falsche getan hatte und man müsse heute alles tun, um ihren Fehler nicht zu wiederholen. Es sei der Glaube an die großen Systeme gewesen, der die Welt ins Unglück gestürzt hatte, der Glaube an die Totalität der Macht. Die Menschen hätten ihre gestalterische Kraft nicht genutzt, sich dem falschen Fortschritt, dem Rückschrit ihrer Wesenskräfte gebeugt, ihre Individualität aufgegeben.

Der Glaube an den Fortschritt der großen Industrie, an die Moderne, war durch die industrielle Vernichtung von Menschen schockiert, die schlichte Macht des Systems wurde unglaubwürdig. Der Glaube an den Menschen, an die Menschenrechte und die Selbstbestimmung erschien als Möglichkeit, die Welt aus der Allgemeinheit der menschlichen Individuen als Menschenwelt zu bestimmen. Das Selbstverständnis des Westens, das zum Allgemeinmenschen erhobene Individuum, setzte sich gegen die Systematik der offenen Macht durch. Der Zeitgeist hatte sich von daher soweit individualisiert, dass nur noch das Individuum allgemeine Geltung und Aufmerksamkeit bekam, dass es aus sich selbst zugleich allgemein begründet erscheinen konnte, als Produkt einer bloßen Selbstverwirklichung und seiner Kreativität. Dies hat das Erkenntnisinteresses ins sogenannte postmoderne Denken gewendet, das sich als Emanzipation der Menschen gegen die klassischen Notwendigkeiten des Systems verstand, dem Begriff eines Ganzen und der Möglichkeit einer wahren Aussage hierzu sich entzog.

Die entzogene Ganzheit

Das disqualifizierte System bleibt systemantisch - Disqualifikation von Wissen qualifiziert den Glauben - Realität ist nur noch potenziell wirklich

Das System und seine Geschichte sollten damit disqualifiziert sein, dass es keine Not mehr darstellte und also nicht mehr Gegenstand von Wissenschaft war - eben so, wie diese nicht mehr zur Wahrheit fähig sein wollte. So wurde Wissenschaft in der Welt der ungeheuerlichen weltweiten Systematik der globalen Märkte selbstbezüglich. Sie reduzierte ihr Erkenntnisinteresse auf kreative Subjektivtät, auf die Konstruktion seiner selbst als Alternative zur Welt fremder Mächte und entzog sich auf diese Weise der Wissensbildung hierzu. Deshalb schien es in ihren Instituten eher, als ob ein zusammenhängender Gedanke zur Gegenwart nur noch stört. Wissen konnte keine Gegenwart mehr brauchen, wenn es belastend ist. Es sollte funktional sein, aufkommendes Unbehagen schon im Ansatz aus der Welt schaffen. So herrschte die Intuition der Freiheit und die ist eher eine Glaubensangelegenheit. Sie setzt auf die Potenziale der Zukunft, auf die Fügungen des Marktes und der Menschen und also auf das Funktionieren des vorhandenen Instrumentariums, das hierfür optimal wäre. - Das aber ist vor allem Geld.

Man glaubt daher an solche Instrumente, wenn man Geld besitzt und die dürfen nicht mehr hinterfragt werden, weil sie die ausschließlichen Mittel des Lebens - zumindest hierzulande - geworden waren, die Lebensmittel des Freigeistes, der sich immer erst in seiner Zukunft bewahrheiten kann, der Zukunft einer Produktion, die ihm dienlich ist. Das hat postmoderne Entwicklung gebracht und als Ideologie des Neoliberalismus umgesetzt – zumindest für die Finanzmärkte. Was der Liberalismus noch in positivistischer Wissenschaft zu beweisen suchte, was ihre instrumentelle Vernunft noch als Entwicklugsstrategie für den Wohlstand der Menschen bewahrheiten wollte, das hat sich durch den Neopositivismus, wie er im Neoliberalismus daherkommt, in den Glauben an die Möglichkeiten der Erfindungen und Konstruktionen, in einen Glauben an die Vernunft der Instrumente verkehrt – und zwar weltweit. Das Möglichkeitsdenken, das dem Geldbesitzer zu eigen ist, war zum Glauben an die bislang ungeahnten Möglichkeiten der Zukunft, und also implizit in das Vertrauen auf die Geldentwicklung verwandelt. (2)

Dass die Welt als Ganzes zu begreifen nötig wäre, das ahnte man schon aus der Wahrnehmung der ungeheuerlichen Kultur- und Naturzerstörungen heraus. Und dass sie als Ganzes einem System der Finanzmärkte unterworfen war, musste eigentlich nicht sonderlich bewiesen werden. Das sah und spürte man nicht nur auf den Handelsplätzen des Geldes sondern an jedem Ort der Welt. Das Ganze sollte lediglich als alternativlos verstanden werden, sich praktich von selbst verstehen lassen. Als Ganzes eines menschlichen Lebenszusammenhangs sollte es zugleich als die einzige Möglichkeit desselben fixierte werden. Es war das offene Eingeständnis, dass die Menschen keine Geschichte mehr haben sollten, - ein Verstand, der sich unabhängig vom konkreten Leben der Menschen als notwendige Vernunft, als Vernunft der bloßen Notwendigkeit der Sachgewalten gab. Der Kapitalismus hatte sich gegen die Systeme der offenen Staatsgewalt, die sich vormals sozialistisch nannten, mit seiner existenzielle Gewalt durchgesetzt. Diese wirkt individuell und treibt vielerlei Blüten und Blasen hervor.

Es wird daher auch vielerorts behauptet, dass Kapitalismus Wirtschaftswachstum bedeuten würde, also eine Effektivierung der Arbeit zum Wohle der Menschen sei. Aber er betreibt vor allem nur Wertwachstum und für die Menschen keine wirklichen Innovationen mehr, beruht inzwischen vor allem auf der Verschwendung von menschlicher Lebenszeit und natürlichen Ressourcen, damit sich Geldbesitzer mit Geld ermächtigen, versichern und schmücken können, ihre politische Macht verstärken, indem sie materielle Ohnmacht produzieren und vermehren. Ein wirkliches Wirtschaftswachstum, eine Bereicherung des menschlichen Lebens, müsste auf eben diesem weltweiten Zusammenhang der Menschen gründen, der durch die Globalisierung des Kapitals ausgeschlossen wurde, auf dem wirklichen Zusammenkommen ihrer Arbeit und ihrer Bedürfnisse. Das weiß man längst. Aber diese von der Wirklichkeit selbst herausgeforderte Erkenntnis lässt angepasste Wissenschaftler verstummen. Und solange die Wissenschaft keinen Fragen nachgeht, welche das praktische Leben der Menschen in ihren gesellschaftichen Zusammenhängen betrifft, kann sie die selben Phänomene immer wieder anders, eben nur verschieden interpretieren, je nachdem, aus welchem Interesse heraus sie diese zu belegen sucht. Postmoderne Wissenschaft dient vor allem sich selbst, der Beliebigkeit ihres Reflektierens und hat mit der Lebenspraxis der Menschen nur soweit zu tun, wie sie ihnen die Illusion der Selbstverwirklichung verschafft, während sie in Wahrheit deren Bedingungen bestärkt, ihre Gegebenheit wie naturgegeben, eben als Notwendigkeit ohne Alternative, ohne wirkliche Auflösbarkeit ihrer Not erscheinen lässt.

Solange das wissenschaftliche Interesse vom praktischen Wissen getrennt bleibt, bleibt theoretisches und praktisches Wissen gegeneinander verselbständigt, wird Wissenschaft vor allem nur ihren eigenen Bedingungen folgen, und das sind die Bedingungen objektiver Existenzmacht, die rein objektives Wissen hervorbringt, ein Wissen ohne Subjekt. Als rein objektives Wissen ermächtigt sich Wissenschaft als Subjekt des Wissens gegen die Menschen, gegen die wirklichen Subjekte der Geschichte. So objektiv sie sich gibt, so subjektiv dringt sie in diese ein. Letztlich bewahrheitet sich ihre Erkenntnistätigkeit nur noch in ihrer Funktionalität, in ihrer abstrakten Praxis als Problemlöser, gleichgültig gegen die Begründungen der Probleme, die ihr zum Gegenstand gemacht werden. Sie ist sich daher selbst nur noch ein Instrument des Wissens. (3)

Die Emanzipation der Wissenschaft und die Wissenschaft der Emanzipation

Das entäußerte Wissen als unendliche Beziehung (unbestimmte Beziehung auf den Gegenstand) - das Wissen der Entäußerung als bestimmte Beziehung zur Wissenschaft - Entfremdung des wissenschaftlichen Subjekts ist das Leiden der Wissenschaft - die Wissenschaft der Emanzipation ist die Erkenntnis der bestimmten Abstraktion

Würden die Wissenschaften sich aus der Reflexion menschlicher Lebensinteressen heraus entwickeln und gestalten, so würden sie an den Absurditäten, die das Leben der Menschen und der Natur verbrauchen und zerstören, ansetzen. Die großen Fragen der letzten Jahrhunderte, warum die Minderung des Arbeitsaufwands, die großen Erträge, welche moderne Technologie mit sich bringt, in Armut und Verelendung von Arbeitslosen münden muss, warum der Reichtum, den die Menschen gesellschaftlich herstellen, über das Privateigentum an Vermögen, Geld und Wertpapieren ihnen wieder entzogen werden kann, warum die Befreiung der Arbeit aus ihrer Naturgewalt zur Beherrschung der arbeitenden Menschen gelangt ist, zur Herrschaft vergangener, toter Arbeit über die Lebende, warum Geld einerseits in Massen aufgehortet und mächtig, und dann plötzlich wertlos und nichtig wird, warum die gewaltigen Potenzen menschlichen Erfindungsgeistes dahin gekommen sind, unseren Planeten nur auszuplündern anstatt seine Ressourcen auszuweiten und fortzubilden, - das alles blieb praktisch ungelöst. Es ist die große Frage der Geschichte, die dann aufhört zu sein, wenn das Vergangene die Gegenwart beherrscht, wenn das Leblose das Leben bestimmt.

Aber selbst wenn einzelne Wissenschaftler sich durchgerungen haben, ausdrücklich auf der Seite des Lebens von Natur und Mensch zu stehen, wird im Verlauf der Umsetzung und Anwendung ihrer Wissenschaft dies über kurz oder lang ins Gegenteil verkehrt, nämlich dann, wenn Wissen zu einer allgemeinen Lebenshaltung werden müsste, weil es existenzielle Konsequenzen hat, weil es also politisch ist. Nach den großen politischen Konferenzen, wie z.B. in Kyoto und Helsinki sind die Beteiligten zwar oft betreten über die Protokolle, die sie zustande gebracht hatten, aber ihre einzelnen Landesinteressen finden immer noch keinen wirklichen Zusammenhang und also auch keinen Zusammenschluss. Was die Welt im Ganzen weiterbringen könnte, wird von den jeweils einzelnen wirtschaftlichen Existenzinteressen in ihrem Widerspruch zerrieben. Jeder bleibt sich selbst der Nächste, selbst wenn seine Welt daran zugrunde ginge. Eine ungeheure Macht, die sich hinter ihrem Rücken formiert und durchgesetzt hat, treibt alles auseinander, was für das Leben der Menschen und der Natur vonnöten wäre. Gegen diese Macht, welche die wirklichen Beziehungen auftrennt und gegeneinander stellt, die Macht der allgemeinen Abstraktion von den wirklichen Interessen und Beziehungen der Menschen, haben sie sich bis heute noch nicht emanzipieren können. Die Macht der abstrakten Allgemeinheit, die Macht des Kapitals, scheint unüberwindbar zu sein.

Das Problem der Wissenschaften ist ein durchaus menschliches Problem, wenngleich auch nur in gedanklicher Form. Auch sie ist gebeugt vor der Macht der Abstraktion, welche die Lebenszusammenhänge der Menschen zerteilt und gegeneinander bestimmt. Nicht nur, weil sie von ebensolchen existenziellen Mitteln abhängt oder auch als Institution des Staates deren Notwendigkeiten befolgt, sondern weil sie als bürgerliche Wissenschaft in sich selbst gedanklich abstrakt begründet ist. Getrennt von ihrem Gegenstand nimmt sie diesen auch nur in dieser Trennung wahr. Wissenschaft findet in aparten Welten statt. Wenn sie nicht an der Produktentwicklung in den Laboren der Industrie tätig ist, trifft sie auf das wirkliche Leben der Menschen lediglich beratend in Form einer Expertise, die sie durch Grundannahmen unterlegt. Diese Annahmen machen letztlich ihr Urteil aus und bleiben bei ihrer Anwendung unhinterfragt. Sie selbst aber enthalten die abstrakte Beziehung zur Sache, da sie lediglich eine der möglichen Varianten ihrer Interpretationen darstellen.

So sind es z.B. Fundamentalannahmen der politischen Ökonomie, welche die wirtschaftlichen Probleme mit dem Finanzkapital klären sollen. Nicht wie und warum Menschen Geld erzeugen, sondern wie mit ihm umzugehen sei, wird durch hypothetische Annahmen begründet, wie sie z.B. in der Grenznutzentheorie vorkommen, oder in der Risikotheorie oder der Mehrwerttheorie, eben in den Geldtheorien der bürgerlichen Ökonomie, der Wissenschaft vom Geldbesitz. Weil sie mit dem Geld beginnt, kann sie auch nur über Interpretationen des Geldverhältnisses ein Verhalten hierzu begründen. Aber schon vor 150 Jahren hat Karl Marx ihre Grundannahmen zerlegt und deren Absurdität herausgearbeitet – im Wesentlichen bis heute unwidersprochen, weil er mit den Menschen begonnen hatte, die mit Geld hantieren, weil er von den Menschen ausging und auf die Menschen zurückgekommen ist, weil er also über ein menschliches Verhältnis nachgedacht hat. Ähnlich ergeht es auch anderen Theorien der bürgerlichen Wissenschaft wie z.B. der Psychologie: Weil Psychologie von einer Psyche im einzelnen Menschen ausgeht, kann sie diese auch nicht aus wirklichen menschlichen Beziehungen heraus ergründen, diese lediglich als „Niederschlag“ im Menschen ansehen. Umgekehrt kann sie daher auch nicht sagen, was Psyche überhaupt eindeutig sei, weil im Menschen als bloßes Individuum in einer vorgestellten Allgemeinheit, also dem Menschen in der Abtrennung von seinem Menschsein, dem allgemeinen Subjekt als Objekt der Wissenschaft, nur zirkuläre und also beliebige Grundannahmen möglich sind: Resultiert Psyche z.B. aus einem Befriedigungsstreben (wie bei Freud) oder aus archetypischen Grundmustern (C.G. Jung) oder aus den Verhältnissen des Verhaltens (Verhaltenstheorie) oder aus einem ästhetischen Gestaltungsprinzip (Gestaltpsychologie) oder aus einer systemischen Indoktrination oder, oder. So geht jede Geisteswissenschaft vor, wenn sie sich nicht als Naturwissenschaft geben will. Und so gibt jede Naturwissenschenschaft vor, ihr Erkenntnisinteresse lediglich aus ihrem Einzelinteresse an der Natur zu beziehen, weil und wenn sie nicht auch Geisteswissenschaft sein will. In der Trennung von ihrem Gegenstand kann Wissenschaft sich geben, wie sie will. Die Trennung von Geist und Sinn erscheint daher naturgegeben oder wird als "Leib-Seele-Problem" behandelt. Interpretieren kann man eben, was nicht gewiss ist und was nicht gewiss ist, kann man auch nur interpretieren, wenn man mit ihm nicht wirklich zu tun hat. Von daher ist die Interpretation selbst abstrakt, wie auch die Sache, die sich interpretieren lässt. Um solche Interpretationen von Grundannahmen, um solche Gedankenabstraktionen aufzulösen, genügt es nicht, Wissenschaft abstrakt zu kritisieren oder ganz einfach als Ideologie durch Ideologiekritik zu abzuweisen. Wissenschaftskritik kann nur die Kritik ihrer Abstraktion selbst sein - und die kann wesentlich nur konkret gehen.

Die Kritik der Gedankenabstraktion mündet daher zwangsläufig in die Kritik der Realabstraktion, die ihr vorausgesetzt ist. Sie wird in ihrer eigenen Konsequenz zu einer kritischen Theorie der gesellschaftlichen Lebensproduktion. Aus der Emanzipation der Wissenschaft wird also eine Wissenschaft der Emanzipation des Menschen von den abstrakten Mächten, die sein Leben bestimmen und beherrschen. Aus der Erkenntnis des sich selbst fremden Bewusstsein der Wissenschaft wird eine Bewusstsein der Entfremdung des Menschen von seinem Gegenstand und von sich selbst.

Abstraktion als notwendige Absicht des Kapitalismus

Die Erkenntnis der gedanklichen Abstraktion verlangt nach ihrer Begründung - die Abstraktion als erkannte Realabstraktion verlangt die Analyse des Subjekts der Abstraktion - die Systematik der Abstraktion ist die Erkenntnis des entfremdeten Subjekts in seiner Objektivität

Eine kritische Theorie beginnt mit der Erkenntnis, dass der Gegenstand von Interpretationen selbst ein Unding ist, ein Ding, das zugleich nicht nur Ding ist, ein Ding von zweideutiger Wirklichkeit, also ein Ding, das zugleich unwirklich ist, wo es Wirkung hat. Dies zwiespältige Ding, das so einfältig daherkommt, hat also ein Wesen, das nicht wirklich ist, das zwar Wirkung hat, aber nicht als das wirksam ist, was es ist, also als etwas anderes wirkt.

Um zu begreifen, dass etwas wirken kann, ohne wirklich zu sein, ist Philosophie nötig, die sich über gedankliche Beziehungen aufgeklärt hat, wie z.B. über die horizontale Beziehung von Ursache und Wirkung im Unterschied zu der vertikalen von Grund und Folge. Wenn etwas nicht als das wirkt, was es ist, hat dies einen Grund, der außer ihm ist, der es als etwas Äußeres, also Fremdes begründet, zu einem äußerlichen Gegenstand macht. Als dieser kann er nur Produkt einer Entäußerung sein, ein Ding, das zwar von den Menschen ist, aber nicht als dieses wirklich für die Menschen sein kann. Es ist doppelt bestimmt, hat zwei Seiten, die es in doppelter Weise erscheinen lassen.

Marx hat dies an der Ware explitiert, welche die Elementarform des Reichtums der kapitalistischen Gesellschaft ist. Sie existiert immer nur in zwiefältiger Beziehung, nicht nur als Gebrauchswert und Tauschwert, sondern als Wert selbst, als Wertmaß und Maßstab seiner Erscheinungsform zugleich, als Maßstab der Preise. Marx hat dies in seiner Werttheorie ausführlich dargelegt und gezeigt, dass Wert eine Abstraktion ist, die nicht als Wert, immer aber in Geldwerten, in den Preisen derselben Sache erscheint. Diese können mal diesen oder jenen Wert haben oder auch gar keinen Wert, können an selber Stelle aufgehen, wo sie auch untergehen, wenn Dinge ihren Wert verlieren und Geld wertlos wird und Kapital aufzehrt. Kapital und Geld sind darin leicht als Erscheinungsformen von etwas erkennbar, das nicht als dieses existiert, weil es lediglich im wirklichen Arbeitsprozess geschaffen werden kann. Das wissenschaftliche Allgemeinverständnis von einer wertvollen Wirklichkeit der Geldverhältnisse stand dem aber bisher entgegen, weil Wert selbst als wirkliche Lebensgrundlage anerkannt bleiben soll und Arbeit hiergegen relativ bleiben muss. So verstehen sich eben die Bürger, die vor allem Geldbesitzer sind.

Marx hatte sich gegen die bestehende Theorie vom Wert gewendet, wie sie von den Nationalökonomen seiner Zeit bereits ausgeführt war. Diese behandelten Wert als positive Grundlage der Ökonomie, das Wertgesetz also auch als ihr positives Maß und Maßstab, als Ausdruck menschlicher Wertschätzung und Bewertung. So wurde es ja auch noch in dem sich sozialistisch gebenden Bürgerstaat der DDR verstanden und ist immer noch bestimmend für die sozialen und gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen. Die Dinge haben hiernach Wert, weil sie per se wertvoll sind, weil sie eben die Menschen bereichern, egal, woher sie kommen und wodurch sie vergehen, für welche Klassen sie zum Vermögen werden und welchen sie entzogen bleiben. Weil man Geld einfach haben muss, erscheint es wertvoll, obwohl es nur dadurch Wert hat, dass ein Mensch durch Geld etwas ist, was er nicht wirklich sein kann. Marx wies gegen die bürgerlichen Werttheorien nach, dass Wert ein bestimmtes Lebensverhältnis darstellt und nicht einfach als Wert existiert, dass Wert also nur etwas hat, was zugleich nicht Wert für sich sein kann. Mit einem Seitenblick auf das deutsche Wertbewusstsein zitiert er den Mephisto aus Goethes Faust: „So ist denn alles, was entsteht, wert, dass es zugrunde geht“ und er will damit belegen, dass Wert sich selbst ausschließt, also ausschließlich in den gegensinnigen Existenzformen der Waren und des Geldes existieren kann. Wert ist etwas, das zugleich gegen sich negativ existiert, das Wert ist, wenn und solange es getauscht wird, wenn es die eine Hand verlässt, die es überschüssig hat, um in die andere zu gelangen, die es nötig hat, - eben solange, wie zwischen Überschuss und Not keine wirkliche Beziehung besteht. Dies doppelte Dasein von Wert im Tauschakt selbst, im Gebrauchswert einerseits und im Tauschwert andererseits, ist zwar auch als gesellschaftliches Verhältnisses zwischen Erzeugung und Konsum auszumachen, aber es verhält sich zueinander unvermittelt, also beziehungslos. Es existiert lediglich durch den Tausch wirklich als das Einzelne abstrakt in seinem allgemeinen Verhältnis, im Widerspruch seines einzelnen qualitativen und seines allgemeinen quantitativen Verhaltens im Warentausch,

Die widersprüchliche Bewegung der Waren zwischen diesen Polen hat durch Marx eine umfassende Erkenntnis befördert: Die Naturalform der Produkte in dieser Gesellschaft widerspricht ihrer ökonomischen Form als Erscheinungsform des Werts. Der Gebrauchswert selbst wird zur Erscheinungsform seines Gegenteils, des Werts, weil nur der Wert die Menschen in ihren Tauschbeziehungen wirklich gesellschaftlich vereint. Ihre Gesellschaft existiert also nur als Dasein von Wert und sieht ausdrücklich von allem ab, was die Dinge durch sich und für die Menschen, was sie als Produkte konkret nützlicher Arbeit und als Gegenstände ihrer konkreten Bedürfnisse sind. Zu Ende gedacht ist dies die Grundlage der Kritik der politischen Ökonomie, wie sie im Hauptwerk von Marx, im Kapital verfasst ist. Er beschreibt darin ein Produktionsverhältnis, das in einem permanenten Widerspruch zu seiner Produktivkraft steht, weil es als Verhältnis von Warenbesitzern existiert, als Verhältnis von Menschen, die nur über ihren Warenbesitz gesellschaftlich und nur durch ihren Warenbesitz privat sein können, die also im Widerspruch von gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung existieren.

Es war Philosophie also auch nötig, um in diesem gedanklichen Umfang sich auf die wirklichen gesellschaftlichen Verhältnisse zu beziehen, um ein sachlich scheinendes gesellschaftliches Verhältnis in seiner Konsequenz als Lebensverhältnis der Menschen aufzuweisen. Und es war dies daher auch die Grundlage einer Wissenschaft, die nicht von einer Sache, sondern von den Menschen selbst ausging, ohne rein subjektiv zu bleiben. Im Gegenteil: Im Wissen um die Entfremdung der Menschen die nicht als Subjekte ihrer Verhältnisse, nicht wirklich objektiv - und das heißt: gegenständlich - existieren können, entstand die Theorie objektiver Fremdbestimmtheit. Dies ist eine Theorie, welche die Formbestimmtheit gegen die Lebensinhalte der Menschen aus einem Abstraktionsprozess ihres gesellschaftlichen Verhältnisses selbst zu erklären sucht, die in der Lage ist, dem Verwertungsprinzip, der Grundlage des Wertwachstums, den vielgepriesenen Boden der Humanität des Geldes zu entziehen, wenn sie beweisen kann, dass hierbei nur menschliches Leben verwertet wird, dass also zu einem allgemeinen Wissen wird, dass menschliche Arbeit sich den Menschen entzieht und ihre Bedürfnisse nach Maßgabe ihrer Abstraktion befriedet werden. Der Beweis beruht darauf, dass die Beziehungen der Menschen als Ganzes sich in der Abstraktionskraft ihrer Verhältnisse verlieren, weil sie in ihrer Wirklichkeit dadurch negiert sind, dass sie in der Aufhäufung abstrakter Arbeit sich selbst aufheben. Von da kam Marx zu der Aussage, dass den Menschen nur die Entscheidung bleibt, zu einem wirklich sozialen Verhältnis zu gelangen oder in Barbarei zu verfallen.

Schon bei Hegel kommt dieses Prinzip der impliziten Negation als Gedanke vor und Marx bezieht sich auch ausdrücklich hierauf. Aber Hegel hatte dies lediglich als Gedanke, als Implikation allen Seins formuliert, als ideelle Negation eines Nichtseins, nicht als konkrete Bewegung von etwas, das durch seine Äußerlichkeit selbst Wirkung hat und dennoch nicht wirklich ist. Marx schreibt:

Das Große an der Hegelschen Phänomenologie und ihrem Endresultate - der Dialektik der Negativität als dem bewegenden und erzeugenden Prinzip - ist ... einmal, daß Hegel die Selbsterzeugung des Menschen als einen Prozeß faßt, die Vergegenständlichung als Entgegenständlichung, als Entäußerung und als Aufhebung dieser Entäußerung; daß er also das Wesen der Arbeit faßt und den gegenständlichen Menschen, wahren, weil wirklichen Menschen, als Resultat seiner eignen Arbeit begreift. Das wirkliche, tätige Verhalten des Menschen zu sich als Gattungswesen oder die Betätigung seiner als eines wirklichen Gattungswesens, d.h. als menschlichen Wesens, ist nur möglich dadurch, daß er wirklich alle seine Gattungskräfte - was wieder nur durch das Gesamtwirken der Menschen möglich ist, nur als Resultat der Geschichte - herausschafft, sich zu ihnen als Gegenständen verhält, was zunächst wieder nur in der Form der Entfremdung möglich ist." (Quelle: Karl Marx 1844 in MEW 40, S. 574)

Bei Hegel war der Grund der Negation ideel, reines Moment in der Vergegenständlichung des Menschen durch seine Arbeit. Marx hat diesen Grund zu einem Moment der Wirklichkeit aufgebrochen, hat ent-deckt, dass das Geäußerte in seiner Entäußerung verselbständigt ist, weil Arbeit von ihrem Produkt getrennt fixiert wird, weil sie nur in der Teilung von Einzelarbeiten für sich existiert. Und so war aus der Kritik an Hegel die Erkenntnis formulierbar geworden, dass der Kapitalismus selbst das negative Prinzip einer Getrenntheit ist, das zwischen seiner Naturalform und seiner Wertform sich entfaltet, worin in ihrer allgemeinen Elementarform eine abstrakte, den Menschen fremde Substanz zur Bestimmung aller Geschichte wird: abstrakt menschliche Arbeit. Diese Gewissheit war so umfassend, dass sie auch 150 Jahre später als Erkenntnis der bestehenden Geschichte Bestand hat. Sie mag in ihrer Einfachheit zunächst fast kleinlich erscheinen. In ihrer Konsequenz hat sich auf dem darin erkannten Prinzip ein ganzes Weltprinzip bis hin zum globalen Kapital entfaltet und lässt sich hierdurch auch weiterhin erklären, - wenigstens so lange es besteht.

Der Inhalt der Formbestimmung als Substanz des dialektischen Begriffs

Die abstrakte Substanz der Form als Bestimmtheit gegen die Form - der Widerspruch zwischen Formbestimmtheit und Inhalt - wird zum Widerspruch von Einzelheit und Allgemeinheit

Begrifflich verstanden ist Emanzipation, wie sie vorhin beschrieben worden war, die Aufhebung einer fremden Form, einer Form, die für sich bestimmt ist und als Formbestimmung sich gegen die Menschen verhält. Hegel hatte diese Form noch als Entäußerung einer inhaltlichen Bestimmtheit, also noch als notwendiges Moment der Entfaltung ihrer Bestimmung, also als eine notwendige Entfremdung angesehen. Emanzipation galt ihm daher als Not wendendes Entwicklungsmoment, woraus sich eine „höhere Stufe“ des Geistes ergebe als Resultat einer immer wieder neu bestimmten Entgegensetzung seiner Inhalte, das immer wieder neue Formen in der Verwirklichung ihrer Idee gestaltet. Er begriff jede Entwicklung nur in ihrem geistigen Gehalt und von daher als Fortschritt einer Dialektik, die sich zu einer Einheit im absoluten Geist entwickelt, worin die letztliche Wahrheit sich frei verhalten könne. Marx hat dieses Verständnis als Prinzip einer idealisierten Gläubiglkeit, als spekulativen Begriff gründlich umgekehrt und „auf die Beine“ ihrer materiellen Voraussetzung gestellt. Diese besteht in den sachlichen Lebensbedingungen, in denen die Form ihrer allgemeinen Beziehung, die Form des bürgerlichen Rechts, des Privateigentums, ihrer gesellschaftlichen Eigentümlichkeit als Produkt des Zusammenwirkens der Menschen widerspricht. Der dialektische Begriff ist nach ihm die Darstellungsform einer Entfremdung des Menschen von seiner Sache, die Formbestimmung also die Fortbestimmung eines Widerspruchs, der aus der einen Form in eine andere verschwindet, sie verdoppelt und schließlich in einer allgemein abstrakten Bestimmung untergeht. Diese kann für sich nichts mehr sein, weil sie als einzelnes nicht allem gemein und als Allgemeines nicht einzeln sein kann, also "weder das eine noch das andere" und doch beides ist. Solange die Gegensätze, die den Widerspruch bewegen, nicht von den Menschen in ihrer Wirklichkeit vereint werden, treten sie als Fremdbestimmung in abstrakter Einheit zutage. (4)

Ohne Wissen um die abstrakte Bestimmtheit ihrer Verhältnisse drehen sich die Menschen im Kreisel ihrer Nöte und Erfordernisse. Solange sie durch ihren Widerstand nur quantitative Verbesserungen erreichen, verschärfen sie die substanziellen Widersprüche, einer ihnen entfremdeten Gewalt. Ihre aufgebesserten Löhne verschwinden immer wieder in den Notwendigkeiten des Kapitals, seine Verwertungsprobleme und also den Wert ihrer Arbeit zu mindern; ihre verkürzten Arbeitszeiten werden durch die verschärfte Ausbeutungsrate im In- und Ausland kompensiert, ihre verbesserte Grundsicherung wird ihnen durch die Verteuerung ihres Lebensstandards wieder per Steuer vom Staat abgerungen. Die Kritik an diesen Verhältnissen resigniert, wenn sie sich nicht auf die Substanzen der Fremdherrschaft bezieht.

Der Wert ist substanziell abstrakte Arbeit, die im Warentausch als Reduktion der Güter auf ihr Quantum, auf ihre Wertgröße, wirksam ist. Die Wertgröße ist daher auch das Maß der durchschnittlich notwendigen gesellschaftlichen Arbeitszeit und wird wesentlich vom Kapital bestimmt, wiewohl sie nichts anderes darstellt als die durchschnittliche Anwendungszeit menschlicher Arbeitskraft. Die durchschnittliche Verkürzung dieser Zeit durch Steigerung der Produktivkraft muss das Kapital durch eine höhere Umsatzrate seiner Produkte ausgleichen und kommt hierdurch immer wieder selbst an seine Schranke, wenn das Umsatzwachstum für solchen Ausgleich nicht mehr hinreicht und dadurch die Mehrwertrate sinkt.

"Die wahre Schranke der kapitalistischen Produktion ist das Kapital selbst, ist dies: daß das Kapital und seine Selbstverwertung als Ausgangspunkt und Endpunkt, als Motiv und Zweck der Produktion erscheint; daß die Produktion nur Produktion für das Kapital ist und nicht umgekehrt die Produktionsmittel bloße Mittel für eine stets sich erweiternde Gestaltung des Lebensprozesses für die Gesellschaft der Produzenten sind. Die Schranken, in denen sich die Erhaltung und Verwertung des Kapitalwerts, die auf der Enteignung und Verarmung der großen Masse der Produzenten beruht, allein bewegen kann, diese Schranken treten daher beständig in Widerspruch mit den Produktionsmethoden, die das Kapital zu seinem Zweck anwenden muß und die auf unbeschränkte Vermehrung der Produktion, auf die Produktion als Selbstzweck, auf unbedingte Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte der Arbeit lossteuern. Das Mittel - unbedingte Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte - gerät in fortwährenden Konflikt mit dem beschränkten Zweck, der Verwertung des vorhandnen Kapitals." (Marx-Engels-Werke Bd.25, S. 260)

Marx hat in seinem Hauptwerk dargestellt, dass das System der abstrakten Arbeit nicht nur gegen die Menschen steht, sondern zwangsläufig auch gegen sich selbst. Die Probleme, die es mit sich selbst hat, sind eben diese Verwertungsprobleme, die immer wieder als Krise des Kapitals auftreten. In diesen Krisen verdoppelt sich die politische Gewalt gegen die Menschen, die schon durch das Recht des Privateigentums gedungen sind, durch die Staatsgewalt, die ihnen die Begleichung der Wertverluste in Form von Staatsschulden abverlangt. Durch diese allerding wird das Kapital selbst nur gedoppelt, seine Fiktion bestärkt und an den Staat abgegeben. Der wiederum kann nichts anderes tun, als die Schulden einzutreiben, den bereits erarbeiteten Geldwert nochmal den den Menschen abzuverlangen und vielleicht auch noch mehrere Male.

So treibt die Krise des Kapitalismus bis zur Verkehrung der kapitalistischen Verhältnisse überhaupt, bis in seine Ursprünge, den Feudalismus, in welchem die persönlichen Rechte der Menschen dem Feudalherrn übereignet sind. Denn der Verschuldungskapitalismus, der seine Bürger zum Bürgen seiner Potenzen macht, ist nichts anderes als ein Feudalkapitalismus, der nurmehr Schulden eintreibt, welche die Bürger nicht gemacht haben, aber persönlich dafür haften müssen. Faschismus ist dann früher oder später die angemessen Staatsform. Wie sie formuliert wird ist dabei nur eine Frage der politischen Kultur und ihrer Medien.

Emanzipation beginnt im Kopf

Reale Aufhebung abstrakter Beziehungen setzt emanzipatorisches Wissen voraus - und ist hierdurch Rückführung der menschlichen Verhältnisse auf den Menschen

Emanzipation begründet sich nicht einfach durch individuelle Selbstbestimmung, die ja nur Selbstbehauptung sein kann. Sie ist die wirkliche und tätige Position gegen Fremdbestimmung. Dies setzt die Kenntnis der den Menschen entfremdeten Position voraus, also auch die Erkenntnis eines fremden Menschseins und der Macht, welche sich allgemein aus dem in der Isolation abstrakt gewordenen Lebenszusammenhang der Menschen ergibt. Solche Macht hat ihre Gewalt wie eine Naturmacht, weil sie aus abstrakt gewordener Natur besteht, weil sie eben in ihrer Substanz isolierte Natur, aus ihrem Leben isolierte Naturalform ist und sich von daher als Verfügungsmacht über ihre Einzelheiten und Vereinzelungen erhebt. Weil die Menschen ihrer Natur folgen müssen, ihrem Stoffwechel und den Notwendigkeiten ihres Gattungslebens, ihrer Arbeit und ihren Bedürfnisse, hat der abstrakte Zusammenhang ihrer allgemeinen, also gesellschaftlichen Naturalform auch Gewalt über sie.

Wissenschaft ist die Voraussetzung, dass die Menschen über ihre vereinzelte Erfahrungswelt hinaussehen und auch in ihrer abstrakten Welt für ihr praktisches Leben Bewusstsein bilden können, allgemeines Wissen, das sich auch im Einzelnen bewahrheitet, und das die ausweglos scheinende Wirklichkeit durchsichtig und überwindbar werden lässt. Dies setzt voraus, dass Wissenschaft sich selbst als menschliche Tätigkeit, als eine Arbeit von und für Menschen begreift, als eine einfache Beziehung auf die Widersprüche menschlicher Verhältnisse. Sie beginnt daher bei der Emanzipation der Wissenschaften von ihrer eigenen Bestimmtheit, denn Wissenschaft muss sich selbst erst mal wirklich im Lebenszusammenhang der Menschen begreifen, also auch ihre Fremdbestimmung als Bedingung eigener Begriffsbildung erkennen. Erst dies wird ihre Inhalte und Horizonte verändern.

Eine Wissenschaft der Emanzipation befasst sich daher nicht einfach "voraussetzungslos" mit irgendeinem Gegenstand, sondern auch kritisch mit ihrem eigenen Daseinsgrund. Indem sie sich mit ihrem bestimmten Gegenstand auseinandersetzt, befasst sie sich zugleich mit sich selbst, mit ihrer eigenen Bestimmtheit. Aus ihrem Gegenstand erkennt sie sich, indem sie sich durch dessen Ungewissheit bestimmt weiß. Die Abstraktionen vom wirklichen Leben der Menschen erklären auch der Wissenschaft die Not ihrer Erkenntnis, den unendlichen Kreislauf ihrer Gedankenabstraktionen und Lebensvorstellungen. Wo Wissenschaft nicht selbst ein Moment der praktischen Reichtumsbildung ist, hat sie keinen anderen Grund, als den Grund zu erkennen, welcher Wirklichkeit unwirklich macht, den Grund für die Macht einer Form zu finden, welche die Inhalte menschlicher Lebensverhältnisse deformiert, ihre Wirklichkeit verrückt macht.

Aber die Wissenschaft, wie sie heute gelehrt wird, ist nicht nur selbst formell sondern auch rein instrumentell, also selbst schon zur Wissenschaft ihrer Instrumente geworden. Sie richtet sich danach aus, was hiermit unter bestehender Interessenslage zu erreichen und also opportun ist. Gentechnik kann die Naturprodukte bestimmen, Krankheiten ausrotten oder neue auf die Welt bringen und alle bisher geltenden Werte außer Kraft setzen. Computer erzeugen Bilder von physiologischen Daten, die zuvor nicht interpretierbar waren und fordern zur Neuinterpretation des Menschenbilds auf. Informelle und kommunikative Netzwerke lassen soziale Prozesse bestimmbar, aber auch durchsichtiger werden. Roboter ersetzen viele Arbeitsprozesse, erkunden den Weltraum und erweitern den Blick auf unsere Erde, können Kriege automatisieren und zum Krieg der Technologien machen und vieles andere mehr. Wieweit Wissenschaft den Menschen zu ihrer Fortentwicklung verhilft, hängt davon ab, welches Wissen die Menschen ihr entnehmen und wie sie über sie verfügen können. Weitgehend ist sie von den Verwertungsinteressen des Kapitals bestimmt und somit Werkzeug der Fremdbestimmung.

Solange Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sich lediglich im Auftrag isolierter Projekte verpflichten, um deren Probleme zu lösen und hierbei die Wirklichkeit ihrer Resultate ausblenden, wird sich an den herrschenden wissenschaftlichen Formationen und Institutionen nichts ändern. Solange die Forschung an beliebiger Stelle Mängel behebt, dient sie dem Heil des Ganzen, bleibt sie dem Wertwachstum verpflichtet. Solange die Sozialwissenschaftler und Rechtsexperten der bürgerlichen Existenz, Ärzte der Pharmazeutischen Industrie, Politologen dem repräsentativen Parlamentarismus usw. sich verpflichtet fühlen, solange wird von Emanzipation nicht die Rede sein können. Auch wenn die Menschen um ihre Löhne und Arbeitszeiten kämpfen müssen, so besteht ihre Emanzipation nicht aus Lohnerhöhungen und Arbeitszeitverkürzungen. Emanzipation bleibt nicht in der Verführung leerer Quantitäten stecken; sie ist qualitativ. Wenn es den Menschen in einer Branche oder einem Land oder einer Klasse besser geht, so hat das nichts mit Emanzipation zu tun. Oft bedeutet das sogar auch, dass es den Menschen anderswo schlechter gehen muss. Aber auch ohne dies: Es geht einer Emanzipation um politische Befreiung, um die Befreiung aus der politischen Bestimmung der Ökonomie, der Kultur, des Gemeinwesens, der Menschen überhaupt.

Das verlangt die Unterscheidung von Form und Inhalt, die politische Abweisung politisierter Inhalte, also Kritik der politischen Ökonomie, der politischen Kultur usw. Eine Wissenschaft der Emanzipation muss die allgemeine Deformation des menschlichen Lebens zu ihrem Gegenstand machen, den allgemeinen Grund der Reduktion dieses Lebens herausarbeiten, seine Bestimmtheit durch die Macht einer vergangenen, toten Geschichte bekämpfen. Es geht ihr um das Hervortreten eines gesellschaftlichen Subjekts, das sich von jeder Vorbestimmtheit frei wissen kann. Dies macht die Kritik der politische Formalisierung nötig, die Kritik der Formbestimmung der Ökonomie durch das bürgerliche Recht auf Privateigentum, der politischen Kultur durch die Bestärkung der persönlichen Egozentrik usw. Emanzipation verlangt Wissen über die Unterschiedenheit der vielfältigen Substanzen, konkretes Wissen.

Der dialektische Begriff des Kapitalismus beweist dessen Ausweglosigkeit. Doch die Menschen schrecken davor zurück, weil sie ihre Existenz darin verwurzelt sehen. Wissenschaft jedoch kann dies als Ausgang für ein Bewusstsein ansehen, durch welches die bestehenden Existenzformen als Formen eines ihnen fremden Seins überwindbar werden. Sie kann die vorhandenen Lebenszusammenhänge in ihren Konsequenzen und Chancen erkennen und ihre Abstraktionen aufklären, ihren Hinterhalt aufdecken. Wissenschaftlicher Sozialismus kann in allen Bereichen der Gesellschaft nachweisen, dass die inhaltliche Beziehungen in der bestehenden Gesellschaft zerteilt sind und gegen sich selbst beschränkt werden, dass sie längst über ihre herrschenden Existenzformen hinausreichen. Hierauf können sich Menschen und Bewegungen stützen, die nicht das Vermögen zu wissenschaftlicher Arbeit haben. Solche Wissenschaft kann die Menschen auf das konzentrieren, was ihre Ohnmacht bestimmt. Wenn dies in allen Lebensprozessen stattfindet, so verbindet das die Menschen im Bewusstsein ihrer Bedrängung durch die Mächte, von deren Kontrolle sie ausgeschlossen sind. Es verbindet sie überall auf dem Globus, in allen Ländern, Regionen und Kommunen, denn die Welt existiert längst als globaler Lebenszusammenhang der Menschen. Von daher eröffnet Wissenschaft als theoretisches Bewusstsein der menschlichen Emanzipation einen weltweiten Zusammenhang des Menschseins, der sich über die durch das Kapital verfügte Isoliertheit der einzelnen Existenzen und Nationalitäten, der Disziplinen und geteilten Arbeitswelten zu erheben weiß.

Die herrschende Politik gibt sich als politische Emanzipation in den Notwendigkeiten der bürgerlichen Ökonomie. Sie muss zu einer ökonomischen Emanzipation der Menschen mit einer durch sie selbst bestimmten Politik werden. So forderte es schon Marx vor langer Zeit. Er schrieb:

„Alle Emanzipation ist Zurückführung der menschlichen Welt, der Verhältnisse, auf den Menschen selbst. Die politische Emanzipation ist die Reduktion des Menschen, einerseits auf das Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft, auf das egoistische unabhängige Individuum, andererseits auf den Staatsbürger, auf die moralische Person. Erst wenn der wirkliche individuelle Mensch den abstrakten Staatsbürger in sich zurücknimmt und als individueller Mensch in seinem empirischen Leben, in seiner individuellen Arbeit, in seinen individuellen Verhältnissen, Gattungswesen geworden ist, erst wenn der Mensch seine "forces propres" (eigenen Kräfte - Verf.) als gesellschaftliche Kräfte erkannt und organisiert hat und daher die gesellschaftliche Kraft nicht mehr in der Gestalt der politischen Kraft von sich trennt, erst dann ist die menschliche Emanzipation vollbracht.“ Karl Marx in Zur Judenfrage (1843) (Marx-Engels-Werke Bd.1, S. 370)

In der Sprache ihrer Theorie bezieht sich das theoretische Bewusstsein auf praktisches. In der Selbstkritik der Wissenschaft begründet sie ihr Verhältnis zu ihrem praktischen Gegenstand: Sie selbst will im gegenständlichen Bewusstsein, also als bewusste Praxis aufgehen. Das Unwirkliche der Wirklichkeit ist der Ausgangspunkt ihrer Analyse, die das allmächtige Wesen einer dem Menschen fremden Substanz erschließt. Indem hieraus das Wesen des Unbestimmten, des Abstrakten, als Substanz einer Existenzform, als Bestimmung fremder Erscheinungen begriffen wird, versetzt Wissenschaft die Ungewissheit selbst in die Wirklichkeit und bereitet ihre wirkliche Leidensform als Lebensverhältnis der Menschen auf, das durch niemandem anderes als durch diese selbst geändert werden kann. Indem hierdurch aus den herrschenden Existenzformen der menschengemachten Welt die Wesensnot der Menschen bloßgelegt ist, eröffnet sich ihnen die Chance, endlich für sich selbst wesentlich zu werden. Die Not, welche allgemein herrscht, kehrt sich in die Notwendigkeit, die Herrschaft fremder Ungewissheiten durch eigene Wirklichkeit zu überwinden. Es wird die "Waffe der Kritik" (Marx) zur Grundlage einer menschlichen Emanzipation, die nötiger nicht sein kann, und die zugleich die "Kritik der Waffen" (Marx) zur notwendigen Folge hat. 

Zum 1. Teil: Wissenschaft und Kultur – menschliche Selbstverständigung und die Macht pluraler Beliebigkeiten

Fußnoten:

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1) War Wissenschaft nicht schon immer eher geneigt, der Macht des Allgemeinen zu dienen und die herrschenden Eliten zu stützen, als dass sie dem so genannten kleinen Mann irgendetwas genutzt hätte? Schließlich herrscht eine weltweite Krise des kapitalistischen Systems, damit verbunden die Krise des bürgerlichen Staates und seiner Politik, dem repräsentativen Parlamentarismus, die Krise der Kultur und ihrer Bildung und die Krise im Klimawandel. Und die Damen und Herren aus den Wissenschaften bestätigen in den Talk-Shows und ihren Textbeiträgen doch nur weitgehend die Haltung, dass man den Staatshaushalt retten müsse. Was soll da noch die Befassung mit Wissenschaft bringen? Es ist doch schon im allgemeinen Bewusstsein der Öffentlichkeit, dass das ganze System nicht mehr funktioniert.

Doch Bewusstsein ist so komplex wie die Wirklichkeit selbst. Wenn man der Politik und ihren Medien zuhört, so scheint die Krise plötzlich vom Himmel gefallen zu sein, höchstens ein paar gierigen Bankern geschuldet. Sie sei ein Fiasko, das uns ein paar schwarze Schafe des Finanzmarktes eingebrockt haben. Darüber nachzudenken lohnt sich nicht, wenn man die Leute in die Schranken weist, wenn man ihre Betrügereien und Hinterziehungen durch geeignete Gesetzesänderungen und Strafverfolgung ausschaltet. Das System müsse wieder funktionieren. Es sei der gewaltige Schaden an den Werten des Geldes und der Moral wieder gut zu machen. Daher seien Reformen nötig - Reformen des Finanzwesens, des Staatshaushaltes, des Steuersystems, der Sozialkasse, des Arbeitsmarktes usw. Man müsse vor allem etwas tun gegen die Staatsschulden, die auch nötig waren zur Rettung des Systems, zum Erhalt der Geldwerte, der Arbeitsplätze, der Bildung, der Rente, der Gesundheitsvorsorge usw. Schulden mindern die Entwicklungspotentiale und belasten die Zukunft. Es ginge deshalb schließlich weniger um die Gegenwart, sondern vor allem um „unsere Kinder“, um die Chancen der nächsten Generation, die nur durch einen funktionierenden Staat und einem gediegenen Wirtschaftswachstum gewährleistet sei und wofür alles, was möglich, zu erbringen sei. Und deshalb ginge es eben um die Wiederherstellung des ganzen Systemablaufs, der angeblich mal funktioniert habe. Es müsse also Sorge getragen werden für die Grundlagen für einen neuen Wirtschaftsboom, wie ihn Banker, Ökonomen, Politikerinnen und Politiker der Sozialdemokraten, der Union, den Freidemokraten und der Grünen, wieder erwarten, wenn hierfür nur genügend Opfer erbracht würden. Der Glaube an das ewige Wirtschaftswachstum ist nicht aufzulösen, solange es irgendwie – und wenn auch nur vereinzelt - weitergeht. Einzelheiten lassen sich eben gut und beliebig gegeneinander halten. Und die einzelnen Besserungen durch Zuschüsse, Abwrackprämien, Bankenbürgschaft usw. werden immer sogleich in den Rahmen einer großen „Erholung der deutschen Wirtschaft“ gestellt. Und die wird dann eben an Auslandsaufträgen gemessen, die ja in den Bereichen der Militärindustrie, Luftfahrt und Maschinentechnik Zuwachs in Aussicht stellen.

Politik wird durch die Eliten der Wissenschaft beraten und die müssten es doch eigentlich wissen. Sie sollten zumindest die allgemeinen Zusammenhänge kennen, weiß doch praktisch schon jeder Mensch, was da läuft und dass nach der Abwrackprämie ein Auftragsvakuum folgt, nach einer Steuersenkung eine weitergreifende Staatsverschuldung, nach der Verbürgung der Banken durch ungedeckte Gelder eine neue Finanzblase und so weiter. Wie kann Politik und Wissenschaft Glauben machen, dass es nun wieder aufwärts ginge? Ganz einfach: Weil sie es schon lange so tun und es bisher scheinbar geklappt hat.

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2) Geld kann ja oft tatsächlich die Entwicklungsprobleme der Wirtschaft durch Wachstum auflösen. Die großen Investitionen können große Probleme lösen, wenn sie im Leben der Menschen aufgehen. Aber Geld wird nur zu einem sehr kleinen Teil wirklich investiert, weil es nur momenthaft als wirkliches Zahlungsmittel dient. Der Glaube an die Wunderwirkungen des Geldes ist daher auch schnell wieder vorbei, wenn man seine Kehrseite erfahren hat, das reine Wertmaß, das darin endet, unbrauchbar gewordenes Geld zu vermehren. Es war selbst zu dem Problem geworden, das es eigentlich lösen sollte. Der Geldsegen, der sich auf den Märkten des fiktiven Kapitals auch in die Beutel der Kleinaktionäre ausbreitete, sich per Wetten auf einzelne zukünftige Entwicklungen verteilte, verlor schlagartige seine beglückende Wirkung, als Geld nichts mehr taugte, weil man damit nicht mehr das bekam, was erhofft war, nicht die tollen Mieten in amerikanischen Neubaugebieten, nicht mehr die Abgaben, die sich der spanische Tourismus erhofft hatte, nicht mehr die Renditen, die aus einem mehrfach verschuldeten Kreditsystem gezogen werden sollten. Wie aus der Geschichte des frühen 20. Jahrhunderts auch schon längst bekannt, brach der Finanzmarkt folgerichtig auch zu Beginn dieses Jahrhunderts zusammen und nach ihm auch die Wirtschaft.

Die allgemeine Frage könnte sein, wie und warum das Instrumentarium des Geldes versagt hat und wie es nach dem Zusammenbruch der bisherigen Weltwirtschaft weitergehen gehen kann. Es wäre die Frage danach, was Geld überhaupt ist. Hinzu käme die Frage nach dem, was Kapitalismus real erbringt, was er für die Menschen bringt, stellt sich doch im Nachhinein ganz offensichtlich heraus, dass Kapitalismus immer nur dort funktioniert, wo die Ausbeutung der Menschen auch real stattfindet, wo ihre Löhne und Arbeitszeiten auf unterstem Level bleiben und sie von jeder Zukunft ausgeschlossen sind. Die rigiden Ausbeutungsraten des Kapitalismus der ehemaligen Schwellenländer haben sich dem Kapitalismus der Staatsverschuldung überlegen gezeigt, eben weil nur die Ausbeutung von Menschen die Wachstumsraten der Wirtschaft einbringen können. Der Kapitalismus wächst im Maßstab des Geldes, und zwar durch die Arbeit von Menschen, die in ihre Abhängigkeit vom Kapitalbesitz nichts können, als für ihn zu arbeiten. Wirtschaftswachstum ist Kapitalwachstum - und das immer wieder solange, bis zuviel Geld auf die Finanzmärkte geschwemmt wird und es zur Finanzkrise kommt, weil es sinnlos wird.

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3) Je nach Geisteshaltung und Kultur bestimmt Wissenschaft ihre Tätigkeit nach ihrer eigenen Opportunität, nach den Erfordernissen ihres Selbsterhalts. Ihre Erkenntnisse haben und hatten von daher immer schon selbst unterschiedliche Inhalte und dennoch funktioniert. Im Idealismus erkennt sie vor allem auf Abweichung von ihren Idealen, hält den Menschen ihre Mangelhaftigkeit gegen die Güte des Ganzen, der Idee ihrer Verhältnisse vor, untersucht ihre Verfehlungen und Begehren und befördert die Rechtsmoral in das Reich der Unfehlbarkeit. Im Materialismus erkennt Wissenschaft dagegen auf Sinn und Notwendigkeit der materiellen Sache, auf die Aufwände, die für deren Dasein zu erbringen sind, wie für die Natur, der zufolge alles zu sein und ihr zu entsprechen hat. Wissenschaft hat eine einfache, eine boß abstrakte Wahrheit, wenn sie nur von sich ausgeht und hat ihre Beziehung auf anderes daher auch rein funktional.

Wissenschaft in einer rein funktionalen Beziehung auf ihren Gegenstand hat keine Beziehung mehr zu wirklichen Menschen, ist in ihren Erkenntnissen hiergegen substanzlos und richtet sich nach den allgemeinen Zwängen und Problemen des ganzen Funktionszusammenhangs. Ich hatte in der letzten Sendung gezeigt, dass eine reine Funktionslogik die wissenschaftlichen Bemühungen bestimmt und die herrschenden Gegebenheiten durch ihre Beliebigkeit mächtig macht, gleich, ob es die körperlichen, geistigen oder natürlichen Gegenstände betrifft. Ihre Erkenntnisse lassen sich hierbei substanziell gleichsetzen, also gegen die unterschiedlichsten Gegenstände gleichgültig machen. Hieraus ergeben sich sonderbare Konsequenzen, die sich in neueren „Forschungsresultaten“ auch schon wirklich darstellen. Ob z.B. der menschliche Wille sich politisch verstehen lässt, psychologisch oder als Ausgeburt einer neuronalen Verknüpfung, erscheint als unterschiedsloser Begriff in der wissenschaftlichen Diskussion, wiewohl jede dieser Positionierungen der anderen praktisch widerspricht. Als neuronales Produkt kann der Wille nicht politisch sein, als politische Substanz sollte er sich auf Gesellschaft beziehen und seine individuellen psychische Absichten überwunden haben und als Psyche müsste er sich auf das Gefühlsleben beziehen, könnte dem weder neurologisch vorausgesetzt noch politisch hiergegen gestellt sein. Im Begriff selbst wird nurmehr Substanzlosigkeit erzeugt, die auch nicht mehr instrumentell vernünftig sein kann. Die instrumentelle Vernunft des Positivismus hat sich in die Vernunft ihrer Instrumente verkehrt.

Ich hatte aber auch aus der Geschichte der Geisteswissenschaft zu zeigen versucht, dass der Ursprung der Wissenschaften alles andere als eine reine Funktionslogik war. Es war ihr immer um die Befreiung der Menschen aus Verhältnissen gegangen, in denen diese durch ihre Unmündigkeit zur Unterwerfung unter die herrschenden Gewalten - der natürlichen und politischen Mächte - gezwungen waren. Ursprung der Wissenschaft war das Bestreben nach menschlicher Emanzipation. Mit diesem Thema will ich heute fortfahren und so geht es in unserer Sendung jetzt darum, was wissenschaftliche Erkenntnis in diesem Sinn überhaupt ausmachen kann und was ihre Begriffe zu erklären haben. 

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4) Der dialektische Begriff ermöglicht demnach die Erkenntnis der Metamorphosen einer abstrakten Bestimmtheit in ihren eigenen Existenzformen. An sich haben diese Formen eine Bestimmung, die ihrem Inhalt nicht zukommt, eine Formbestimmung, die sie nicht zu sich kommen lässt. Diese Bestimmung wird daher selbst zum Inhalt ihrer Abstraktion, wodurch sie für sich sein können und schließlich über ihre Naturalform wie durch eine äußerliche Bezehung zu sich kommen, also an und für sich natürlich erscheinen können. In dieser Form erst lässt sich auch Widerspruch erklären, der mehr ist als ein bloßer Gegensatz: Im Widerspruch vereint sich eine doppelte Bestimmung. Er ist das Dasein zweier Inhalte in einem, gedoppelter Inhalt, der selbst nur in der Abstraktion sein kann, die ihm zugleich eine inhaltliche Selbstaufhebung zumutet. An ihm ist bestimmt, dass er für sich nicht sein kann, weil er für sich nur eine bestimmte Form haben kann, durch die er zu sich kommt. Im Wertbegriff von Marx ist dies umgesetzt und darin erwiesen, dass Dialektik selbst nur die theoretische Darstellungs- und Entwicklungsform einer widersprüchlichen Welt ist.

Der Wert hat in der Ware sein widersprüchliches Sein, indem er selbst aus dem Verhältnis der Waren hervorgeht. Er ist also kein Begriff an sich, der vor der Ware da wäre und in ihr aufginge, wie Hegel das beschreiben würde; er ist durch die widersprüchliche Bewegung der Waren gegeben, die durch den bloßen Wechsel der Warenbesitzer vom Besitzer ihrer Naturalform zum Besitzer ihrer Tauschform, also der gesellschaftlichen Form ihrer Beziehung bestimmt ist. Ihre gesellschaftliche Beziehung wird hierdurch lediglich durch den quantitativen Vergleich der Waren bestimmt, also durch eine gegen ihre bestimmte Qualität gleichgültige Beziehung. Anders formuliert bedeutet dies, dass die Menschen sich solange gleichgültig und also fremd aufeinander und auf ihre Sache beziehen, wie sie die Produkte ihrer Arbeit nicht wirklich und konkret auf ihre Bedürfnisse beziehen, solange also die gesellschaftliche Form ihrer Beziehung nicht qualitativ aus ihren ökonomischen Lebensverhältnissen hervorgeht.

Der dialektische Begriff erklärt also nicht eine positive Entwicklung, wie das die russischen Erfinder eines „dialektischen Materialismus“ - allen voran Stalin - behaupten, sondern die Wirklichkeit in ihrer nichtigen Bestimmtheit, also die nicht wirklich vorhandene Wirklichkeit. Hieraus ergeht das Bewusstsein der Notwendigkeit einer allgemeinen gesellschaftlichen Veränderung, die sich nicht wirklich aus dem Einzelnen ergeben kann, sondern aus dem gesellschaftlichen Zusammenwirken der einzelnen Menschen sich ergeben muss, die am Gegenstand ihrer Arbeit und ihrer Bedürfnisse, an ihrer Sache zusammentreten.

Zum anderen ist dies die Grundlage eines theoretischen Bewusstseins, das aus der Erkenntnis nötig ist, dass das konkrete Begreifen dieser Verhältnisse den Begriff ihrer Abstraktheit voraussetzt und ihrer Änderung vorausgeht. Die Kritik der politischen Ökonomie ist keine bloße Machtergreifung einer gegenläufigen Politik, sondern eine bewusste Selbstveränderung der Menschen in einem Änderungsprozess ihrer Gesellschaft, der subjektiv wie objektiv zugleich verläuft und sich auch als notwendig in beiderlei Bezogenheit erweisen lässt.