Wolfram Pfreundschuh (26.02.2015)

Sinnbildung als Kritik barbarischer Verhältnisse

Sinn sollte man nicht suchen. Man wird ihn nicht finden können. Die Natur hat soviel Sinn für uns, wie wir Sinn für sie haben. Nichts hält uns an, darin einen höheren Sinn zu sehen oder in der Natur erst Sinn zu finden. Und die Natur hat nicht deshalb Sinn für uns, weil sie für uns, für unseren Stoffwechsel oder unsere Beschaulichkeit nützlich ist, sondern weil wir uns selbst durch sie und in ihr erkennen, weil sie uns so gewahr ist, wie wir uns in ihr gewahr werden, weil wir selbst natürlich sind und Natur haben. So gesehen mag sie uns zwar nützlich sein, doch es ist nicht der Nutzen, den wir darin erkennen. Wir selbst sind es, die darin erkennen, was wir auch sinnlich sind, weil uns unsere eigene Natur begeistert, weil Natur durch uns selbst Geist hat. …

Es ist wie mit der Kunst. „Kunst kann nicht nützlich sein“, hatte Oskar Wilde geschrieben. Und das ist wohl deshalb wahr, weil nichts wahr sein kann, nur weil es nützlich ist, brauchbar und frei zur Vernutzung. Kunst kann nicht nützlich sein, weil sie mit Wahrheit zu tun  hat, weil sie selbst in ihrer Nutzbarkeit für das ihr Fremde bleibt, was sie ist. Umgekehrt kann es nichts nützen, wenn etwas schön ist, weil es das Schöne nicht wirklich ohne das Hässliche gibt, weil der Reiz des Schönen schnell Kitsch ist, in heiler Welt nur Unheil verbirgt und seinen Glanz aus ihm bezieht, ihre Unwirklichkeit glänzen lässt.

Das Hässliche braucht keine eigene Gestalt. Das gibt es überall. Das Schöne nicht minder. Es kann sehr anstrengend sein, es überhaupt für wahr zu nehmen, weil es nicht einfach da ist, weil es nur mit Aufwand ent-deckt wird in dem was wahr ist, was im Hässlichen auch schön sein kann.

Im Nutzen gilt alles irgendwie gleich, weil er die Grundlage eines jeden Tauschgeschäfts ist. Durch diese Gleichgültigkeit herrscht die Täuschung. Alles wird vertauscht, weil alles nur noch getauscht wird, weil alles irgendwie für irgend jemanden nützlich ist - austauschbar: Liebe und Hass, Verstand und Vernunft, Krieg und Frieden, Natur und Kultur, Mann und Frau … und so weiter. In der Täuschung herrscht Versöhnung, das Unvermögen der Menschen, mit allem, was ihre Sinne ausmacht, sich wirklich aufeinander zu beziehen, indem sie sich hierüber auseinander setzen. Sie macht alles gleich und lässt den Unterschied verschwinden, hindert die Menschen daran, sich zu sich und zu ihrer Natur natürlich zu verhalten, sich als Individuen zur Gesellschaft, als Ohnmächtige zur Macht, sich in dem Sinn mitzuteilen, den sie nicht nur gegen dieses, sondern auch für einander haben und empfinden, sich in dem zu finden, was sie in ihrem wirklichen Leben gerade in ihrer Unterschiedlichkeit füreinander und was sie in Wirklichkeit zugleich für sich selbst sind. Wirklichkeit ist vielleicht gerade deshalb das Schwerste überhaupt.

Harold Pinter sprach bei seiner Verleihung des Nobelpreises für Literatur im Jahr 2005:

„Es gibt keine klaren Unterschiede zwischen dem, was wirklich und dem was unwirklich ist, genauso wenig wie zwischen dem, was wahr und dem was unwahr ist. Etwas ist nicht unbedingt entweder wahr oder unwahr; es kann beides sein, wahr und unwahr.“

Wie kann man das noch entwirren in einer Zeit, in der Täuschung schon fast eine allgemeine Notwendigkeit ist, seinen Willen wahr zu machen, umzusetzen, was ihm nur schlicht notwendig erscheint? … In einer Zeit, in der Vernichtung und Barbarei in die allgemeine Wahrnehmung vordringt, nur Angst macht, weil sich darin alle Macht der Welt zusammenballt. Ihr Sinn scheint verloren, seine Bildung ins Gegenteil verkehrt.

In den Wissenschaften wird dieser Macht schnell ein Recht zuteil, weil an der Macht der Welt zu rütteln für sie gefährlich ist, weil man sie als Unheil nicht befinden darf, ohne selbst als Heilsbotschaft aufzutreten. In seiner Schrift „Das Unbehagen in der Kultur“ (1930 ) versuchte Sigmund Freud sich zu erklären, wie und warum Menschen ihrem Streben nach Glück und Lust nicht nachgehen können, warum sie fast fanatisch einem Trieb zum Tode folgen, wenn sie als Politiker oder Krieger in die Selbstzerfleischung unauflösbarer Kämpfe geraten, sich retten wollen, indem sie andere vernichten. Ganz in die Selbstwahrnehmung der Bürger seiner Zeit eingebunden unterstellte Freud den Menschen schließlich neben dem Lebenstrieb, der ihm bis dahin als Kraft menschlicher Emanzipation galt, einen Todestrieb stellte, den er als natürlichen Antagonisten dieser Kraft im Menschen selbst entdeckt haben wollte. Er stellte damit allerdings alles infrage, was er bis dahin als Aufhebung von Macht und Verdängung entwickelt hatte, was zur Befriedigung gelangt, indem es seine Täuschung überwindet und darin seinen Frieden findet. Im Grunde scheiterte er daran, dass er den Menschen nicht in seinen wirklichen Lebensverhältnissen begreifen, sondern aus sich selbst erklärt und aufgeklärt wissen wollte, dass er Triebe nicht selbst als Bestreben der Reize, als reizvolle Täuschung, nicht als Verkehrung ihrer Wirklichkeit im Menschen begreifen konnte, als Verselbständigung dessen, was nicht wirklich sein kann, weil nicht wirklich sein darf, dass sie ihm fremd geblieben ist. Er benutzte sie selbst, um Verdrängung als Form einer Getriebenheit zu beschreiben, die natürlich sein soll. Und er verdoppelte dadurch ihren Unsinn durch einen Sinn für das Unwirkliche, entnahm dem selbst einen Sinn für eine unsinnige Welt, einen Sinn, der damals wie heute Angst macht und Erlösung sucht. Das bestärkt schnell und leicht die nach politischer Macht strebenden Fantasien, die den „Untergang des Abendlandes“ zur legitimen Metapher der Ausgrenzung und Abschottung im politischen Alltag bürgerlicher Lebensverhältnisse werden ließ und vielleicht mehr oder weniger ungewollt dem politischen Rassismus zur Eroberung bürgerlicher Macht verhalf, der hierbei schnell und leicht zu einem Kulturrassismus geworden ist.

Ein Krieg beginnt im Kopf. Kriege gab es immer schon lange, bevor sie ausbrachen. Und ihr Ende ist weit schwieriger als ihr Anfang. In den Krieg ziehen die wirklichen Krieger, indem sie Frieden durch Gewalt herstellen wollen. Doch Krieg kann niemals eine Friedensmacht sein, weil Gewalt niemals eine wahre Macht darstellt. Wer gegen sie angeht, wird unweigerlich selbst zum Teil dessen, was ihn zerstört. Wer sich im Krieg sieht, muss schießen, um nicht erschossen zu werden. Im Krieg herrscht die Vernichtung als allgemeine Gewalt, - und wer seine Lebenszusammenhänge vernichtet auffindet, steht unter dem Zwang, Lebensmacht zu zerstören, um sich nicht selbst als zerstört erkennen zu müssen. Vernichtung ist Ursprung und Resultat der Kriege. Wo Gesellschaft zerstört ist, werden Menschen menschenlos, identitätslos, unmenschlich. Und wer als Mensch nicht leben kann, weil er seine Natur verloren hat, kann nicht mehr als Mensch handeln. Nichts entschuldigt ihn, nichts, weil es hier keine Schuldfrage geben kann.

Ein Krieger, ganz gleich ob er militärisch, politisch oder persönlich auftritt, hat jeden Sinn verloren, weil er sich selbst schon als Objekt sinnloser Gewalt verloren hat. Gewalt ist immer sinnlos, weil sie die Mächtigkeit des Lebens bedroht, seine Kultur als seine Naturmacht in ihr Gegenteil verkehrt. Krieger sind Menschen die den anderen Todesangst machen wollen. Die vernichten wollen, weil sie sich selbst in einem Prozess der Vernichtung erkennen müssen. Nicht als Menschen handeln sie. Aber auch nicht als Monster. Nicht als Verrückte, wohl aber als Entrückte, als Menschen, die sich an einem Leben rächen wollen, durch das sie sich auf die Seite des Todes gedrängt sehen.

Doch wie kann es zu einer so totalen Entrückung kommen? Wie können sich Menschen von der menschlichen Natur soweit entrücken, die doch die Basis ihres Lebens ist? Es ist nicht einfach nur objektiv. Wer Menschen tötet, kann nicht schuldlos sein. Wer mitmacht, macht sich schuldig. Schuldig ist nicht immer die Gewalt selbst. Meist entsteht sie nicht unmittelbar durch den Gewalttäter, der sie ausübt. Sie entsteht lange vor ihm durch einen langen Vernichtungsprozess unsinniger Verhältnisse, durch viele einzelne unauflösbare Widersprüche, die verwirklichen sollen, was nicht wirklich möglich ist und von daher wahr machen müssen, was keine Wahrheit haben kann. Gewalt entsteht aus den Teufelskreisen an Unvermögen, Spiralen der Selbstzerstörung, die ihre Lebenssubstanzen aufzehren und sich als aufgezehrtes Leben schließlich äußern, in ihrem Tod noch Leben suchen.

Gegen das Leben im Tode kann sich nur das Leben selbst wehren durch seine Lebensäußerungen mit Natur, Geist und Witz den es in Wirklichkeit schon hat, bevor es zur Verweltlichung von Scheinbarkeiten, zur Herstellung von Scheinwelten genutzt und vernutzt wurde. Kunst zeigt und macht, was in den Menschen steckt, was auf die Welt muss, weil es nicht wirklich in der Welt ist, vielleicht wirksam, jedoch nicht gewiss. Kunst kann dies zeigen, sichtbar, hörbar und fühlbar machen.

Natur ist das Material einer jeden Geschichte. Die Naturmacht der Menschen gründet auf ihrer gesellschaftlichen Fähigkeit, sich selbst durch ihre Sinnbildung zu gründen, in der Einheit des Verhältnisses von Arbeit und Bedürfnis ihre Selbstverwirklichung durch die Herstellung von Werkzeugen und Gegenstände für ihr Leben zu schaffen. Durch ihre Arbeit entstehen ihre Sachen, die für sie gleichermaßen nützlich wie sinnvoll sind. Wo ihre Arbeit ihnen aber äußerlich ist und bleibt, in einem ihnen fremden Nutzen aufgeht, vollzieht sich eine Trennung von Sinn und Nutzen, bleibt ihnen ihr eigener Lebensgrund fremd, im Allgemeinen sinnlos, doch für sich und für sie sinnlich zugleich.

Leben ist Sinnbildung und seine Natur ist für den Menschen im Wesentlichen seine Kultur. Doch gerade das macht Kunst auch anfällig für die Täuschung über das Leben selbst, wenn sie sich selbst in der Herausforderung sieht, Sinn zu bilden und zu bewahren, eigene Wahrheit zu haben und zu bestärken, der Macht zu einer Übermacht zu verhelfen, die auch gegen sie selbst mächtig wird. Der Bildungsbürger, der sich mit seiner Kultur zu veredeln versteht, wird dies nicht begreifen, weil er schon einen Begriff von sich hat, der ihm über die Institutionen politischer Kunstbetriebe vermittelt wird. Kunst verführt, wo Kunst Sinn bilden will. Und sie wird für sich selbst künstlich, wo sie eine höhere Wahrheit des Schönen und Guten einrichtet und sich an dieser ausrichtet, hierfür politisch tätig wird - ob das bewusst oder gewollt ist oder auch nicht.

Es ist der Vernunft in einer Welt der Sinnentleerung Sehen und Hören vergangen. Der Verstand kann das objektivieren, formulieren und benennen, wissenschaftlich untersuchen, analysieren und synthetisieren. Aber wo Menschen durch ihren Verstand als Aufklärer über das Leben schlechthin Sinn suchen, geraten sie entweder an das abstrakte Menschsein, an Gott, Geister, Magie, Mystik und Fetische jeder Art, oder sie finden in der Kunst wirkliche Menschenliebe. Wo Wissenschaft und Philosophie nur für sich tätig sein wollen, funktionieren sie auch nur für sich und sind dadurch politisch, dass sie sich ihrer Gesellschaft im Wesentlichen verweigern. Indem sie dem Erhalt der Gegebenheiten dienen, sind sie in einer Gesellschaft dadurch nützlich, dass sie ihrem Wesen fremd bleiben, - eben nur dienstbar sein wollen. Sie bleiben im Wesentlichen schal, Worthülse, "Gebälk von Begriffen" (Nietzsche). Und auch ihre Kunst, ihre politische Kunst wird dadurch widersinnig, ihrem gesellschaftlichen Wesen notwendig äußerlich, einer Allgemeinheit sinngebend, die nicht wirklich konkret sein kann, weil sie der Notwendigkeit entspringt, die Lebensverhältnisse in ein gesellschaftliches Lot zu bringen, sie einer ihnen fremden Allgemeinheit zu beugen, in der sie schon verloren haben, was sie dort finden sollen. All dies sind Formationen von Wille und Macht, letztlich politische Ökonomie.

Wo Kunst zu einer höheren Kultur, zur Hochkultur fixiert wird, sich selbst total macht, indem sie die Ganzheit eines Bildes vom kultivierten Menschen errichtet, dient sie dem illusionären Zusammenhalt einer übermenschlicher Güte, die alle Widersprüche des Lebens unter sich lässt. Und dies ist niemals ungewollt. Es ist die Benutzung von Kunst für eine Politik, die hierdurch ihre Gewalt begründet, ihre Kriege zur Praxis einer Heilserwartung, zur Sittlichkeit einer hohen Botschaft, zum Herrschaftsinstrument einer höheren Art, eines kulturellen Rassismus kürt. Totale Kultur konstituiert einen Kulturkampf bis zum Niedergang. Und das allerdings ist nicht wirklich neu.

Ihre finsterste Zeit hatte die Kunst, als sie artig war und von Abartigem sich abscheiden ließ. Da verblieb sie dann auch selbst für den Widersinn von gesellschaftlichen Verhältnissen vernünftig, weil sie in deren Logik Sinn vermitteln wollte, in Verhältnissen, die ihnen ihre eigene Natur zerstörte, sie von sich selbst entfremdete. Aber dadurch konnte sie sich eben für sich selbst bestärken, „gut leben“, indem sie großen Erwartungen diente, denn sie wurde schließlich dafür auch von den Heilsversprechern gut bewirtschaftet. Künstlerinnen und Künstler scharten sich um die Machthaber der Staatskultur und waren von der gewaltigen Ästhetik des herrschenden Willens fasziniert, weil sie darin ihre Kunst gewaltig machen durften. Sie waren der Ästhetik der Gewalt ohne Scheu dienstbar, solange es für sie Kunst blieb – für sie aber vor allem als Gewaltigkeit ihres Werkes, als Macht ihrer Kunst in einer Welt ohnmächtiger Menschen.

Sie hatten damit zugleich auch eine ganz besondere Funktion für ästhetische Selbstbehauptung: Kunst sollte den Blick auf die menschlichen Mängel eines Systems verstellen, weil es durch sie ein übermenschliches Ziel bekam, die heile Welt des Schönen und Guten. Nietzsche war ihr Prophet geworden. Kunst sollte Übermenschlichkeit vorstellen und praktizieren, Menschen vergöttern, die als göttliche Menschen herrschen wollten. Soweit Kultur politisch wurde, wurde Kunst zur zynischen Vorstellung eines übersinnlichen Glücks. Dafür musste dann politisch geworben, Größe vermittelt werden - nicht im Geist, sondern in Raum und Fläche, Blut und Boden, dem Mittelmaß dessen also, was man sich unter Größe vorstellen kann. Politik wollte sich damit schmücken und irgendwie auch Sinn vermitteln, eben den Übersinn, der sich gegen die Armseligkeit des Alltäglichen wendet, seine Not mit ihrem Anspruch verdeckt, seine Unnötigkeit behauptet, indem sie das Gewohnte zu einer übernatürlichen Notwendigkeit des guten Lebens verklärt und den kulturell isolierten, den ausgehungerten, den armen und begierigen Menschen als Wesen einer Unkultur, als Bosheit einer anderen Art ausgrenzt.

Kunst ist immer von dieser Welt. also nicht durch sich selbst schon wirklich menschlich und nicht einfach gesellschaftlich wirklich. Auch sie ist in den Formbestimmungen ihrer Zeit befangen und beherrscht, schmerzhafte Beziehung auf die Gegebenheiten bürgerlicher Existenz. Und diese darf sich nicht politischen Zwecken unterwerfen, denn sie kann weder durch Kultur, noch durch Kunst überwunden werden – im Gegenteil. Politische Kunst ist ein schlimmes Missverständnis, weil sie damit in den Zweck einer Politik gerät, die mit einer politischen Kultur Staat machen will. Politik darf Kunst nicht bestimmen. Es ist umgekehrt: Politische Kunst ist ein Widersinn in sich, Bezichtigung ihrer eigenen Freiheit. Aber dennoch ist Kunst politisch, wenn auch nicht als Kunst. Sie macht nicht Politik, aber sie wirkt in der Gesellschaft, ist Teil und Moment der Polis, nicht als wirkliche Gesellschaft und nicht als gesellschaftlicher Wille oder auch nur als nützliche Funktion, sondern als Moment des Menschseins, das nicht ohne Gesellschaft ist, ein Sinn und ein Gedanke darin, ein Licht im Nichts, im schwarzen Loch des Kapitals.

Kunst und Kultur stehen im Sinn des Augenblicks zugleich wie ein Gedächtnis der menschlichen Geschichte, wie ihr Mahnmal in Raum und Zeit. Und wo der Augenblick gegen die Geschichte seiner Sinnbildung übermächtig ist, kann Kunst ihren Sinn aus seinem Dunkel holen, ihn entdecken und deren Erkenntnis zu ihrer Tätigkeit verhelfen, zur Wendung ihrer Not, zur Subversion des allgemein Notwendigen, das nicht dem Menschen nötig ist, sondern seiner Beherrschung nützt. Die Geschichte der Sinnbildung überhaupt ist Naturgeschichte, die Menschwerdung der Natur, die auch als menschliche Naturmacht ihren Sinn bewahrt.

Und dieser Sinn ist immer intelligenter, als es Naturbeherrschung sein kann, weil er der Sinn der Lebensproduktion selbst ist, wie er schon im einfachsten Lebewesen angelegt ist und im Menschen zu einem gesellschaftichen Verhalten seiner Lebensproduktion geworden ist. Wo sich diese Produktion durch die politischen Verhältnisse der Menschen gegen sie selbst verkehrt hat, wo die Besitzverhältnisse ihr Leben beherrschen, bekommt Sinnbildung eine weitere Bedeutung: Sie bildet sich aus, indem sie ihre Intelligenz praktisch durchsetzt, sich zur Wehr setzt gegen die Barbarei des Alltags, der Medien, der Repräsentation, des Militärs, ... der politischen Kultur der herrschenden Lebensformationen schlechthin. Sie soll keine Politik machen, muss aber hierfür selbst politisch sein, ist inzwischen vielleicht das einzig mögliche Maß und Mittel, sich der Barbarei unmenschlicher Kulturen, sich der politischen Kultur des Kapitals und seiner Kriege zu widersetzen. Solche Kulturkritik setzt einzig voraus, dass sich der Widerstand selbst in seiner natürlichen Intelligenz begriffen hat und sich subversiv gegen die politische Gewalt der Naturbeherrschung verhält und sich ihrer Gewalten nicht nur entzieht, sondern sich ihr auch mit eigenem Grund und allgemein entgegenstellen. Das ist nicht länger eine Frage des Einkommens oder einer Klassenlage oder einer Religion. Das betrifft inzwischen alle Menschen - vor allem dort, wo sie in ihrem konkreten Lebensalltag, an ihrem Arbeitsplatz, auf dem Markt, in der Politik und in all ihren Lebensräumen, in ihren Kommunen und Regionen, Nationen und internationalen Beziehungen durch ihre Selbstgewissheit und ihren Witz gegen jeden politischen Unsinn einmischen und eingreifen, letztlich die Politik der Gewalt in deren Widersprüche verheddern und ihre Gesellschaft in ihrem Sinn neu ent-decken.

Wolfram Pfreundschuh