Emanuel Kapfinger (23.12.08)

Warum brauchen wir linke Medien?

Ich glaube, dass diese Frage für jeden wichtig ist, der als Linker politische Arbeit macht. Sei es, weil er Öffentlichkeit für seine Aktionen sucht, oder Unterstützung und Solidarität, wenn er Repression und Ausgrenzung ausgesetzt ist. Sei es, dass man Informationen und Gedanken sucht, die in den Medien der „bürgerliche Mitte“, also den bürgerlichen Medien, schlicht nicht zu finden sind. Von daher wird auch jeder, der system-oppositionell politisch tätig ist, mit linken Medien in Berührung gekommen sein, von denen es ein ganzes Spektrum in den verschiedensten Gattungen gibt. Da sind Radioprojekte, wie hier in München das Radio Lora, auf dem auch diese Sendung läuft, dann gibt es Zeitschriften: theoretische wie etwa die analyse+kritik oder der Gegenstandpunkt, praktische wie etwa die Contraste, die über ökonomische linke Projekte informiert. Die Zeitschrift wildcat bringt sehr anschauliche Berichte v.a. über die Bedingungen von Arbeitern. Es gibt sogar eine größere linke Tageszeitung, die junge Welt, die einen zwar etwas orthodoxen linken Ansatz – aber immerhin – hat, und z.B. auch ganz auf Werbung verzichtet. Vor allem im Internet gibt es ein unheimlich großes Angebot, wovon man vielleicht die indymedia, die telepolis, aber auch so etwas weniger Tagesaktuelles wie die Kulturkritik erwähnen kann. Was ich bei all dem wichtig finde, ist ein gruppenübergreifender Anspruch von Medienprojekten. Die gerade genannten Projekte lösen das auch ein. Es gibt etliche Zeitungen und Zeitschriftlein, die eher das Selbstdarstellungsorgan einer politischen Gruppe sind. Gerade in diesem Medien- und Öffentlichkeitsbereich ist es aber wichtig, dass eine Vernetzung und Verbindung der partikularen Gruppen stattfindet. Es gibt bei den Linken so eine Tendenz, sich zu besondern und abzusondern und sich gerade durch die Abgrenzung von andern linken Gruppen zu definieren. Zum Teil gibt es aber auch einfach unterschiedliche Gesellschaftsbereiche, in denen die Leute tätig sind. Linke Medien können es schaffen und schaffen es zum Teil, hier Verbindungen herzustellen und gegenseitige Befruchtungen und Unterstützungen zu organisieren.

Nun einige theoretischere Gedanken dazu, warum wir linke Medien brauchen, und was sie effektiv für uns leisten können.

Gegenöffentlichkeit

Zunächst ist es so, dass linke Medien so etwas wie eine Gegenöffentlichkeit schaffen. D.h., wenn man Öffentlichkeit als Medium für Informationsangebot und -austausch betrachtet, dann ist dieses Informationsangebot ja nicht allgemein, sondern es gibt grundsätzlich eine Auswahl, was „wichtig“ und veröffentlichungswürdig heißt und was nicht. Und das hat in der bürgerlichen Öffentlichkeit ja so eine gewisse Tendenz. Klar: Was veröffentlichungswürdig ist und was nicht, ist anders in der Süddeutschen und anders in der Bildzeitung. Allerdings fallen gewisse Ereignisse schon von vornherein aus deren Raster heraus, also sagen wir ein großer linker Kongress über Neoliberalismus, während eben so ziemlich alles was die Merkel sagt, für diese Medien von Relevanz ist. Die Tendenz ist die, dass in der bürgerlichen Öffentlichkeit gerade die Ereignisse, an denen sich eine Kritik und Gesellschaftskritik reflektieren und an denen sie auch erst entstehen kann, ausgeblendet werden. Wo nicht, so werden sie meistens mit negativer Wertung berichtet, man denke nur an die Berichterstattung über die Proteste in Heiligendamm. Für die bürgerlichen Medien war damals völlig klar, dass da nur Chaoten und Gewalttäter zugegen waren. Das wär auch das nächste: dass es eigentliche keine reine Information gibt, die einfach nur Fakten beinhaltet – wie es aber das Ideal des Journalismus ist, also die reine Objektivität zu erreichen. Objektivität entsteht aber nicht daraus, dass man sich an das pure Gegebene hält, sondern gerade indem man Gedanken und Theorien an das Gegebene heranbringt. Hier kommt deshalb auch eine theoretische Auseinandersetzung mit den Annahmen, die man über die Gesellschaft macht, herein. Und da werfe ich den Bürgerlichen vor, ideologisch zu sein. Sie haben die falschen Theorien und bekommen manchen Sachverhalt, den man aber unbedingt berücksichtigen muss, gar nicht in ihr Blickfeld. Also man kann zwar sagen, wie es die Journalisten dann tun: es gebe keine pure Objektivität und daher sei das Ideal des Journalisten gar nicht zu erreichen, und dies entspricht dem praktizierten Pluralismus der Medien. Der Punkt ist aber, dass dieses Ideal selbst nichtig ist. Es ist genau anders, und zwar kommen die bürgerlichen Medien und das bürgerliche Lager überhaupt, in den Wissenschaften usw., nicht einmal zur Wirklichkeit und wesentlichen Aussagen. Das merkt man z.B. wenn alle Naslang die Gier des Menschen an sich zur Ursache der Finanzkrise gemacht wird. Ideologisch sind die bürgerlichen Medien, weil sie ein Interpretationsmuster, das ihnen genehm ist, der Wirklichkeit überstülpen. Das ist letztlich, direkt oder indirekt, Ausdruck ihrer national orientierten, staatstragenden, wirtschaftsfördernden, bürgerlich-sittlichen Interessen, und anderer Interessen.

Einige Gründe für den Konformismus der Medien

Man muss aber auch sehen, dass es etliche Zwänge gibt, die in ihrer Gesamtheit dann, neben dem subjektiven Faktor eigener Interessen der Journalisten, zu der Berichterstattung der bürgerlichen Medien führen. Zu nennen ist etwa die Abhängigkeit der Medien von der Werbung, was sie zu freundlichen Beiträgen über die Werbekunden zwingt, oder die ökonomische Situation der Journalisten, die in kurzer Zeit möglichst viel produzieren müssen, was natürlich einen ernsthaften Journalismus, der der Sache auf den Grund geht, sehr erschwert. Oder es sind die Informationszuträger der Journalisten, Politiker und sowas, zu denen sie ein sozusagen freundschaftliches Verhältnis brauchen, damit die sie weiter mit Infos versorgen. Wovon man sich natürlich unbedingt lösen muss, ist die Illusion der sachlich neutralen Zeitung. Es ist vielmehr so, dass jede Medienorganisation auch ihre eigenen politischen, organisatorischen und wirtschaftlichen Interessen einbringt und voranbringen will.
Ich glaube, dass linke Medien gerade darin etwas bewirken können, indem sie ein kritisches Medienbewusstsein erzeugen, sei es durch direktes Aufzeigen ideologischer Berichterstattung, sei es durch ihre Beiträge, die überhaupt eine Gegenposition gegen den Medien-Mainstream einbringen und so gewissermaßen mit dem anderen Standpunkt auch den Schluss auf die Unwahrheit eines der beiden auferlegen.
Um die Kritik an den bürgerlichen Medien jetzt nochmals positiv gewandt zusammenzufassen: Linke Medien können Nachrichten bringen, die sonst unterbleiben: gerade etwa aus der Bewegung heraus, oder über kritische Bereiche – Randgruppen, Arbeitsbedingungen, Soziales und ähnliches. Sie vermitteln in ihren Urteilen eben auch reflektierte, wie soll man sagen: gesellschaftskritische Positionen. Ich weiß es ist schwierig, so platt zu sagen, dass es wahrer ist, was die linken Medien sagen. Aber sagen will ich es, wobei ich darauf verweise, dass dieser Aussage natürlich eine theoretische Auseinandersetzung und eine Kritik der bürgerlichen Standpunkte vorausgeht.

Gegenmacht durch Gegenöffentlichkeit

Wenn man die Medien unter dem Gesichtspunkt ihrer gesellschaftlichen Macht betrachtet, dann ist es natürlich klar, dass sozusagen das wahr ist und die öffentliche Meinung bildet, was die großen Medienkonzerne sagen. Kritische Stimmen haben dann da immer den Verdacht des Ideologischen, sie sind diejenigen, die die Fakten nicht zur Kenntnis nehmen, Fakten, die von den Medienkonzernen erst dazu gemacht werden. Umso wichtiger ist es, diese Deutungshoheit der Wirklichkeit, die die Medienkonzerne haben, durch linke Medien zu durchbrechen.

Die, die nur zuhören: das Publikum

Ein Grundproblem dabei ist die Zweiteilung der „Kommunikationsteilnehmer“, also all derer die an der Medienöffentlichkeit in irgendeiner Weise teilnehmen. Da sind auf der einen Seite eben die Journalisten, die Redakteure, die Moderatoren, auf der anderen Seite steht oder besser sitzt das Publikum. Und da kommen dann ein paar Sachen rein. Es ist erstmal ein gewisses Machtverhältnis. Das Publikum ist eben nur passiv an der Kommunikation beteiligt und kann seine eigenen Meinungen und Wünsche nicht artikulieren. Die Journalisten bilden wiederum eine eigene Gesellschaftsklasse mit eigenen Interessen, die sich mit den Interessen weiter Teile der Gesellschaft nicht decken, und offensichtlich gerade nicht mit denen der benachteiligten; außerdem haben viele Journalisten nur unzureichenden Einblick in gewisse Bereiche, sagen wir in Arbeitsverhältnisse oder eben in soziale Bewegungen, und von ihrer gesellschaftlichen Stellung her haben sie ja auch von vornherein wenig Bezug zu solchen Bereichen. Vielmehr bewegen sie sich in einer kulturell-geistigen Schicht. Viele linke Medien haben sich gerade zum Programm gemacht, dieses Ungleichgewicht aufzuheben, indem in ihnen quasi jeder publizieren kann und nicht bloß der Professionelle. Das hat genau den Vorteil, dass es eine basisdemokratische Berichterstattung gibt, dass die Leute aus den Bereichen selbst kommen, über die sie berichten, und von daher auch viel besser vertraut sind mit den Umständen und mit der Sache, um die es geht. Das gibt’s natürlich nicht in allen linken Medien, und es funktioniert auch nicht überall, wo der Anspruch oder die Möglichkeit da ist. Aber ich finde, es ist eine wichtige Sache, die man auf jeden Fall verfolgen und unterstützen sollte.

Aufhebung von Vereinzelung

Jetzt noch ein letzter Punkt, den ich als die Auflösung der Isoliertheit kritischen Bewusstseins durch linke Medien bezeichnen will. Zuerst ein Beispiel. Sagen wir, es gibt einen wilden Streik, der also ohne gewerkschaftliche Unterstützung und außerhalb des üblichen Rituals der Verhandlungen und streikrechtlichen Bestimmungen gemacht wird. In den bürgerlichen Medien, d.h. von der Öffentlichkeit, wird er durch die Bank befeindet – ebenso wie ganz handfest durch Polizei und Fabrikeigentümer. Linke Medien können diesem Streik eine eigene Öffentlichkeit verschaffen, in dem die Bedürfnisse der Streikenden als legitime wahrgenommen werden, und umgekehrt können durch linke Medien auch Solidaritätsbekundungen an den Streik weitergegeben werden. Das kann die streikenden Arbeiter stärken und ihnen ein Selbstbewusstsein geben, weil ihnen gesagt wird: ihr seid nicht allein, ihr habt ein Recht bei dem was ihr tut. Ganz ähnlich kann man sich das in anderen Situationen vorstellen, z.B. bei der Unterdrückung oder dem Ausschluss von Minderheiten wie Migranten.
Allgemein ist es für kritisches Bewusstsein so, dass ihm, wenn es im eigenen sozialen Umfeld auf kein Verständnis stößt, durch linke Medien ein Spiegel der eigenen Reflexion gegeben wird. Bisschen Hegelsch gesagt reflektiert es sich nicht bloß in sich sonderen eben auch an anderen. Das kritische Bewusstsein weiß sich damit über bloß subjektive Gedanken hinaus, von denen es ja auch nicht weiß, ob sie nur ihm richtig scheinen oder ob an ihnen auch wirklich etwas dran ist. Die Bestätigung durch andere über die linken Medien, andere also, denen man auch eine gewisse Kompetenz zugesteht, nimmt dem vereinzelten Bewusstsein seine Unsicherheit.
Wer Widersprüche erfährt und sie auch thematisiert, sie in seinem Umfeld äußert, und sich schon dadurch von herrschenden Vorgaben und Verfahrensweisen absetzt, wird schnell gerade wegen seiner Nonkonformität und seines Andersseins ausgegrenzt. Das macht natürlich Schwierigkeiten, an der Kritik und an dem diskursiven Bearbeiten von Widerspruchserfahrungen festzuhalten. Oder auch bloß an moralischer Kritik festzuhalten. Und hiergegen helfen linke Medien, diese Ausgrenzung aufzuheben bzw. der Ausgrenzung ihre Gewaltsamkeit zu nehmen.
In den meisten linken politischen Zusammenhängen ist Isoliertheit immer schon aufgehoben, eben gerade durch linke Medien. Aber erst durch deren Vermittlung kann das Bewusstsein einer Linken als einer sozialen Bewegung und dem Bewusstsein der Gesellschaftlichkeit entstehen.

Die Frage nach dem Grund der politisch-ideologischen Ausrichtung der Medien: „Strukturzwang“ oder Organisationstendenz?

Bis hierher wurden zur Bestimmung der Medien nur empirische Tendenzen angegeben, die der Öffentlichkeit konforme politische Positionen gibt und sie zu einer bürgerlichen Öffentlichkeit macht. Die Frage wäre, ob sich das auch erklären lässt. Wobei eine bewusste Manipulation der Menschen durch die Medien diese Erklärung nicht abgeben kann, weil sie in unserer „freiheitlichen“ Gesellschaft nicht vorliegt, in der sie vielmehr gerade durch ihre institutionelle Unabhängigkeit charakterisiert sind. Ein Erklärungsansatz könnte der sein, dass kritische Positionen in den Medien dysfunktional wären und das System von innen heraus sprengten. Durch diese Negation kristallisierten sich dann diejenigen Tendenzen heraus, die ein möglicherweise zunächst ambivalentes Medium auf Linie bringen, ohne aber dass eine solche Zurichtung von Staats wegen vorgenommen würde. Freilich gibt es kaum ein „zunächst ambivalentes Medium“. Die privaten Medien müssen eine Mitte erreichen, weil sie von Werbekunden abhängig sind; die öffentlichen Medien, weil sie unter der Fuchtel des Staates stehen.

Zur Radiosendung der Kulturkritik München

So, und wenn jetzt die Radiosendung der Kulturkritik München ihren dritten Geburtsstag feiert, dann will ich sie schon ein bisschen loben, dass sie in dieser linke-Medien-Landschaft dabei ist, und darin meine ich schon auch Sachen bringt, die man sonst nicht so hat. Dazu gehört auf jeden Fall der theoretische Anspruch der Sendung. Das macht es zwar manchmal sehr schwierig, zuzuhören, aber gegenüber tagesaktuellen Sendungen und Medien wird so überhaupt eine Ebene geschaffen, auf der größere Zusammenhänge diskutiert werden können, wo man dann gerade das Tagesgeschehen in größere Tendenzen einordnen kann und sieht, dass es bloß eine Konsequenz aus viel grundlegenderen Sachen ist, die eben genauso anzugreifen, zu thematisieren und zu bekämpfen sind. Toll habe ich zum Beispiel den Beitrag über das Versammlungsgesetz gefunden, der einerseits versucht hat konkret die Folgen für die betroffenen linken Gruppen nachzuvollziehen, auf der anderen Seite aber eine größere Perspektive eröffnet hat, gesagt hat, dass das Versammlungsgesetz nur ein Punkt ist in einer ganzen Reihe von Verschärfungen der Sicherheitsbestimmungen, und die eine Beziehung zu sozusagen gesamtgesellschaftlichen Tendenzen, vor allem hinsichtlich der Entwicklung der Wirtschaft in der nächsten Zeit, hergestellt hat. Der theoretische Ansatz der Kulturkritik hebt sie auch ab von Linken, die unter „politischer Tätigkeit“ bloß praktischen Einsatz, Infostand, Flyerverteilen, Demos organisieren, streiken, zivilen Ungehorsam usw. verstehen. Ich finde, dass da auch ganz viel Nachdenken dazugehört und dass dieses Nachdenken nicht letztlich die praktische Handlungsanweisung zum Ziel haben muss, so wie: man muss diese Partei wählen oder: man muss gegen dieses Gesetz protestieren usw.

Und besonders macht die Kulturkritik natürlich gerade ihre Verbindung von Ökonomie, Politik und Kultur, und das macht ihre Analysen auch ganz stark und interessant, weil wirklich vieles thematisiert werden kann, und der Blick nicht bloß auf Ökonomie und Politik verengt bleibt. Von so einem Ansatz aus kann man zum Beispiel den Faschismus auch in seinen subjektiven Ausprägungen begreifen und sehen, inwieweit die eine Basis für den Faschismus schaffen. Oder, was im September in der Sendung war, der Zusammenhang von Rassismus und Esoterik, und was das mit den kapitalistischen Krisen zu tun hat. Ich meine, wo erfährt man so etwas sonst? Von wem würde das sonst diskutiert? Ich finde, die Kulturkritik hat da eine gewisse Einzigartigkeit, und es ist daher ziemlich wichtig, was sie macht.

Emanuel Kapfinger