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Fühl’ den Führer!

Ein Münchner Gericht entschied, dass ein Buch über den Psychoguru Bert Hellinger nicht mehr ausgeliefert werden darf. Nun gibt es eine Neuauflage. Von Martin Bauer

»Es ist für mich auch ganz klar, wenn man auf unsere Soldaten vom letzten Krieg schaut, dass die Soldaten schon Helden waren.« Diesen Satz spricht kein Veteran der Waffen-SS, und er stammt auch nicht von Martin Hohmann. Vielmehr ist er Teil eines Interviews mit Bert Hellinger, dem weltweit bekanntesten Psychoguru der Gegenwart. Seine Methode des »Familienstellens« dominiert seit Jahren den Markt für Kurzzeittherapien, obwohl die akademische Psychologie und sämtliche seriösen Therapeutenvereinigungen vor den Risiken warnen.

Unzählige Anbieter, zumeist ohne psychotherapeutische Qualifikation und Befugnis, dilettieren nach der Methode Hellinger im Innenleben ihrer zahlenden Kundschaft herum. Hellingers Weltbild, das seiner Methode zugrundeliegt, ist ebenso einfältig wie autoritär. Es beruht auf der Vorstellung, dass jeder Mensch einen festen Platz in seiner Familie und in seinem »Volk« habe. Psychische, aber auch körperliche Leiden seien auf eine Störung dieser Ordnungen zurückzuführen: Wer »seinen« Platz verlasse, wer gegen sein »Schicksal« aufbegehre, riskiere eine Erkrankung. Wer sich der »höheren Ordnung« hingegen unterwerfe, was auch rückwirkend geschehen könne, schaffe die Grundlage für die Heilung seiner selbst und seiner Schicksalsgemeinschaft.

Viele Anhänger Hellingers fühlen sich nicht nur berufen, die persönlichen Probleme Hilfe suchender Klienten zu beheben; vielmehr glauben sie, den Schlüssel für das Verständnis der Geschichte an sich gefunden zu haben. Am Ende kommt indes meist nur Verständnis für die Täter heraus; diese hätten nur ausgeführt, was Schicksal oder Vorsehung für sie bereitgehalten hätten. Bei Hellinger gipfelt dieses Geschichtsbild in einer Art metaphysischer Verbrüderung mit Adolf Hitler, die alle Taten des »Führers« und seiner Helfershelfer in der Vorstellung einer umfassenden Schicksalsgebundenheit auflöst: »Manche betrachten dich als einen Unmenschen, als ob es je jemanden gegeben hätte, den man so nennen darf.« Und: »Wenn ich dich achte, achte ich auch mich. Wenn ich dich verabscheue, verabscheue ich auch mich. Darf ich dich dann lieben? Muss ich dich vielleicht lieben, weil ich sonst auch mich nicht lieben darf?«

Diese Aussagen passen zu früheren Versuchen Hellingers, die Mörder in Wehrmachtsuniform, die SS-Schergen, die Drahtzieher und Profiteure des Naziregimes von jeder Schuld freizusprechen: »Philosophisch oder theologisch gesehen ist es nicht denkbar, dass jemand durch sein Verhalten aus der Ordnung heraus fällt. Der Einzelne kann sich seine Rolle nicht aussuchen, und im Gesamten ist sein Verhalten sinnvoll.«

Insbesondere für den »Führer« findet Hellinger Worte der Entlastung: »Du stehst und fällst der gleichen Ursache wie ich. Ich verehre sie in dir wie in mir und unterwerfe mich ihr in allem, was sie in dir bewirkt hat und was sie sowohl in mir und als auch in jedem anderen Menschen bewirkt«, schreibt er in seinem neuen Buch »Gottesgedanken« in Bezug auf Hitler.

Den Widerstandskampf der »Weißen Rose« dagegen tut Hellinger verächtlich ab: »Die haben Glück gehabt, dass das Regime zusammengebrochen ist. Jetzt sind sie die großen Helden. Hätten die Nazis gesiegt, wären sie die Verbrecher geblieben. Das ist der ganze Unterschied von Gut und Böse.«

Als habe er letzte Zweifel an seiner Gesinnung ausräumen wollen, bezog Hellinger Anfang des Jahres die ehemalige »kleine Reichskanzlei« der Nazis bei Berchtesgaden, die während der Aufenthalte Hitlers auf dem Obersalzberg als politische Zentrale des Regimes diente.

Hitlers Leben als Schicksal zu achten, fordert auch einer, der von vielen als »Meisterschüler« Hellingers gesehen wird: Franz Ruppert, Professor für Psychologie an der Katholischen Stiftungsfachhochschule München. Doch Rupperts Auffassungen zu Hitler und zur jüngsten deutschen Geschichte blieben nicht unwidersprochen. Der Psychologieprofessor Klaus Weber kritisierte Rupperts Psychologisierung des Faschismus und warf ihm den »Missbrauch der Opfer« vor. Rupperts Behauptung in seinem Buch »Verwirrte Seelen« (2002), »Kriegsfolgen sind die schwersten Traumafolgen«, veranlasste Weber zu dem Vorwurf, sein Kollege habe die Leiden der Täter höher bewertet als die der Opfer. Denn, so Weber, Ruppert vergesse über die »Thematisierung des Krieges diejenigen, die gar nicht im Kriegszustand mit dem Deutschen Reich standen: die Juden«.

Das Schicksal, vom Geschichtsphilosophen zum Geschichtsrevisionisten zurechtgestutzt zu werden, mochte Ruppert nicht annehmen. Seit Ende 2003 bemüht er seinen Anwalt wegen jeder kritischen Äußerung: gegen den AStA der Universität München, der Anfang November eine Podiumsdiskussion zum Thema »Familienaufstellung« durchführte, gegen einen Internetnachrichtendienst, der darüber berichtete, und gegen Klaus Weber. Vor dem Landgericht München I fand im Mai 2004 das Verfahren gegen Webers Habilitationsschrift »Blinde Flecken« (Argument Verlag) sowie die im Alibri Verlag erschienene Dokumentation der Münchner Uni-Veranstaltung, auf der er seine Kritik an Ruppert wiederholt hatte, statt.

Seit kurzem liegt die Urteilsbegründung vor, die beiden Bücher liegen auf Eis. Denn: die Münchner Richter sahen in Rupperts Superlativ (»schwerste Traumafolgen«) keine Aussage über mögliche andere Traumafolgen. Da der von Weber weitergesponnene Gedanke Rupperts sich nicht wortwörtlich in dessen Buch wieder finde, sei die daraus hergeleitete Folgerung unzutreffend. Beide Bücher dürfen nicht weiter ausgeliefert werden.

Klaus Weber und beide Verlage haben angekündigt, in die Berufung zu gehen. In zumindest einem Punkt wird das Urteil ohnehin folgenlos bleiben. Der Alibri Verlag, der mit den Sprachfertigkeiten des Landgerichts München I bereits früher einschlägige Erfahrungen machen durfte, wartete das Urteil nicht erst ab, sondern produzierte umgehend eine Neuauflage. In sämtlichen Kernaussagen unverändert, wurde sie bereits kurz nach dem Prozess ausgeliefert.

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