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Themenabend der Kulturkritik München:
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Wer ist der Souverän?_ audioup1a2e1a1a2

Anmerkungen zum sogenannten Rede-Duell im deutschen Fernsehen

 

Es soll wieder mal gewählt werden. Der Souverän entscheidet. Zwischen Schröder und Merkel. Das bringt die Medien auf Tour. Nicht so sehr, weil man die beiden noch nicht genügend kennen würde, sondern weil man sie schon so gut kennt, dass es eine Show wird, sozusagen ein öffentlicher Schlagabtausch mit Perspektive, eine Show mit Leuten, die man täglich sieht, die praktisch längst zur Wohnzimmerausstattung gehören. 21 Millionen Zuschauer gab es, soviel wie sonst nur bei Fußballspielen der Bundesliga. Und so was ähnliches war es auch. Bester Unterhaltungswert – wenigstens für die Kampfsportliebhaber.

Aber zur Unterhaltung gehören auch Inhalte. Worum geht’s und was qualifiziert die beiden in ihrer jeweiligen Ausgangsposition? Was ist der Unterschied ihrer Politik, ihrer Staatsauffassung, ihres Gesellschaftsverständnisses, ihres Menschenbilds? Welche Visionen für die Zukunft haben sie, welche Notwendigkeiten sehen sie und was wollen sie wesentlich verändern? Das könnte ja eigentlich auch ganz wichtig sein für’s gewöhnliche Leben. Aber darum ging es nicht. Was Politik ausmacht, das blieb bei diesem sonderbaren "Duell" außen vor. Es ging nur um die Art und Weise, wie man es bringt. Es blieb ein Event, ein Ereignis ohne sonderlichen Zusammenhang. Die wichtigsten Subjekte der Gesellschaft, Menschen, Kapital, Arbeit, Staat und technischer Fortschritt blieben unerwähnt. Es ging lediglich ums Anschaffen, um Geld für den Staat, für die Rente und für die Sozialleistungen.

Das hat ja nun eigentlich nichts mehr mit einer Bundestagswahl zu tun. Warum sollen die Wähler auch noch auswählen, wer ihnen Geld abverlangt? Was ist daran souverän, wenn es nur darum geht, wie Geld in die Staatskasse kommt? Freilich würden sie einfach den wählen, der weniger verlangt und mehr gibt. Aber gegeben wird nichts. Es wird zudem auch noch was genommen, Freizeit zum Beispiel. Und genau das sollte ja nicht so deutlich werden. Dafür gibt es allerhand Ideologie, Beschuldigungen und sonstige Verklausulierungen. Das war der Zweck der ganzen Show. Politik ist, wie man an das Geld der Bürger kommt, vor allem wenn die meisten von ihnen keins haben, und ihnen dabei zugleich rüberbringt, dass sie auch noch auf Leistung verzichten müssen. Wer die Themen nicht schon kannte, war schnell überfordert. Kopfprämie gegen Bürgergeld, Ökosteuer kontra Mehrwertsteuererhöhung, Aufhebung aller Steuersubventionen oder arbeisspezifische Kürzung, gleiche Besteuerung von Einkommen oder größenspezifische Besteuerung usw.

Aber eigentlich ist es ganz einfach: Klar ist, dass die Sozialkasse derzeit viel ausgibt und wenig einnimmt. Und das liegt an der Arbeitslosigkeit. Also muss wieder mehr gearbeitet werden. Da war man sich einig. Auch wenn keine Arbeit da ist. Aber die kommt, darum werde man sich kümmern. Jedenfalls dürfe mit der Wochen- und Lebensarbeitszeit nicht mehr so rumgezimpert werden. Auch da herrschte Einigkeit. Die beiden unterschieden sich lediglich ein bisschen in der Klassifikation von Reichtum und den Armut und dem Begriff des Leistungsträgers: Ist der nun die Arbeit oder das Kapital? Na ja, letzlich meinen beide dasselbe: Geht es dem Kapital gut, dann geht es uns allen gut. Nur zu formulieren hat sich das der Schröder nimmer so krass getraut. Er will wieder Sozialdemokrat werden. Das hat er versprochen. Und dazu gehört, dass man das Kapital eben auch ein bisschen in die böse Ecke stellt. Jetzt gerade mal auch ein bisschen mehr – wegen der Bezinpreise.

Wenn er dem etwas ehrlicher nachginge, hätte er sicher auch noch viel zu erzählen. Und auch Frau Merkel müsste wissen, wie die großen Bankgeschäfte laufen, wie Kapital mit dem Leben der Menschen schachert, wie die Marktwerte des großen Gelds die Menschen beherrschen, die Immobilien, ihre Mietkosten ihre Lebensgrundlagen aufsaugen und wer damit sich bereichert und jede Lebenswirklichkeit pervertiert. Aber darum eben soll es ja gerade nicht gehen. Da erschrecken die Leute und stellen finstere Fragen. Da könnten sie auf die Idee kommen, dass die ganze repräsentative Demokratie zur Show gehört, das das Wahlspektakel selbst ihr Höhepunkt ist, dass es also in Wirklichkeit gar keine Wahl gibt. Da spielen wir dann also lieber mal Politik mit einem süßen Zeigefinger gegen das Kapital. Das finden beide gut. Das Kapital auch.

The Show must go on. Ja, sie haben sich gut vertreten. Nein, sie waren nicht verächtlich zu einander. Ja, sie sind auf Argumente eingegangen. Nein, sie haben nichts kaputt gemacht. Man spricht über sie wie über Kinder. Vielleicht ist das ja auch so, wenn es heute um Politik geht, vor allem um solche. Immerhin: Man sieht, was man von dort erwartet. Politik ist knallhart. Aber eben nicht vor der Wahl. Da sind Politiker handzahm. Da fühlen sie sich in den Wähler ein, in die Bürgerinnen und Bürger.

Denen muss natürlich auch was geboten werden: Das Leben ist ein Kampf und wir kämpfen um die Wahl. Frisch auf, es darf wieder gewählt werden! Der Souverän entscheidet. Gemeint ist das Volk. Ach nein, falsch. Es ist die Meinung der Bevölkerung. Der Souverän ist die Meinung, was zur gegenwärtigen wirtschaftlichen und kulturellen Lage der Gesellschaft politisch und staatlicherseits zu tun sei. Nein, auch falsch. Der Souverän ist die gebotene Meinung und die Gegenmeinung hierzu, Position und Opposition. Beide werden zur Wahl gestellt, weil es im Parlament um das Verhältnis von beidem geht. Denn die vorgestellte Meinung ist nicht die Meinung der Bevölkerung zu dem, was für sie nötig, es ist die Meinung über das, was für den Staat gut sei. Und der Staat, das seien sie. Und deshalb machen sich die Politiker und Politikerinnen und die Wirtschaft und die Wissenschaft und die Lobbyisten auch darüber her, vorzustellen, was nötig sei. Und weil das alles Geld kostet, muss es auch gewählt werden. Man muss damit irgendwie einverstanden sein, einwilligen. Der Souverän ist nicht das Bedürfnis der Wähler, sondern der Steuerzahler als gezwungener Staatsfinanzier, der auch einwilligen darf in das, was ihm unumgänglich erscheinen soll. Wenigstens soll er das glauben.

Und deshalb stehen sie da vor der Kamera in der "direkten Konfrontation". Sie sollen zeigen, wie hart ihr Geschäft ist und wie sie sich darin bemühen, sich streiten über das, was für den Staat, gemeint ist damit natürlich nicht die Politik sondern der Steuerzahler, was eben für diesen Staat gut sei. Und weil es offenbar nur noch Geld ist, muss man es anders formulieren. Man kramt in der guten alten bürgerliche Begrifflichkeit von Freiheit und Gerechtigkeit: Mit Freiheit meint man das, was man verteidigen und sichern will, also die Kriegsbereitschaft und die Datenarchivierung und die Lauschangriffe usw. Und mit Gerechtigkeit meint man die Ausnutzung der breiten und weit ärmeren Masse der Steuerzahler zugunsten einer relativen Steuerersparnis der Reichen. Und dann noch ein Portiönchen Frieden. Mit Friedenspolitik will man sagen, dass man nicht mitspielt bei den Schlachten, die für Deutschland nichts bringen zugunsten derer, die die Wirtschaft stärken - und schließlich geht es bei der EU-Erweiterung, welche die Arbeitslöhne weiter nach unten drückt, nicht um Weltwirtschaft. Bei Gott! Damit soll Weltfrieden geschaffen werden. Alles ist eigentlich eben doch ganz einfach. Das ist die Art der Interpretation und Veröffentlichung der politischen Wirklichkeit, die Ausblendung der wichtigsten Zusammenhänge und die Vertuschung der wahren Absichten. Gewählt wird, wer gut täuschen kann. Der Souverän ist der Meinungsmacher.

Und dafür war die Inszenierung des "Rede-Duells" als Schlacht von Polit-Matadoren ein beredtes Beispiel – im wahrsten Sinne des Wortes. Es war zu keinem Augenblick die Erläuterung von Politik, die Auseinandersetzung mit ihrer Funktion und ihren Varianten. Das scheint nicht mehr anzustehen. Das gibt es vielleicht auch gar nicht mehr. Es geht nur noch darum, Stimmung zu machen, um die Wirklichkeit zu übertönen, um Stimmen zu bekommen,- wo sich niemand mehr in der Lage sieht, zu bestimmen, wie etwas werden kann, soll er wenigstens glauben, die PolitekerInnen wüssten das. Und dann ist es eben auch einfach: Wer mehr Stimmen kriegt, der bekommt die Macht und wer die Macht hat, der kann die Politik bestimmen.

Das ist die Sache mit der politischen Ökonomie. Deshalb argumentiert die Politik mit Ökonomie, mit der Wissenschaft vom Wirtschaften, von der Arbeit mit geringstem Aufwand und höchsten Ertrag. Aber auch darum geht es schon lange nicht mehr wirklich. Es geht um möglichst viel Arbeit auch bei geringem Ertrag. Der Kapitalismus ist längst nicht mehr wirtschaftlich und verkehrt sich in völlig unsinnige Verhältnisse. Jetzt braucht man Arbeit, wo keine ist, um eine Wirtschaft in Gang zu halten, die nicht wirtschaftlich ist und um die Spekulanten zufrieden zu stellen die kein Risiko tragen wollen und die Finanzlöcher der Verwertungskrise zu stopfen, die dabei herauskommt. Rien ne va plus! Der Souverän, das ist das große Finanzloch.

 

Eigentlich müsste der Angst bekommen, der jetzt zum Staatenlenker gewählt wird. Er oder sie muss schließlich durchziehen, was er meint und sagt, müsste es eigentlich mit den Mitteln des Staats realisieren, die nicht vorhanden sind und Ausgaben für Soziales einsparen, das nicht mehr sozial bleiben kann. Eigentlich. Wer dagegen weniger Stimmen kriegt, ist fein raus. Er oder sie kann dann immerhin wirklich so weiter meinen, was er oder sie will, solange es nur dagegen ist, was der andere tut. Wer es aber "durchzieht", der muss doch glauben, er hätte die Geschicke einer durchgeknallten Volkswirtschaft noch in der Hand. Der muss verrückt sein. Es weiß doch jedes Kind: Der Staat hat gar keine Mittel mehr gegen die vorgestellten Probleme; er ist auf Generationen verschuldet und kann bald seine Zinsen und die Rente nicht mehr zahlen. Die Verrückheit wird sich bald erkennen lassen als eine bestimmte Form des Vampirismus. Saft und Kraft der einfachen Bevölkerung sollen "die Arbeit wieder in Gang setzen", indem sie die einfach wieder billig machen und mehr arbeiten. Ganz einfach, oder?

Irgendwie ist das Ganze eine bizarre Vorstellung. Die Vorstellung von einer Gesellschaft für eine Gesellschaft, die ihre Probleme nicht begreifen will. Es ist das Theater einer Scheinwelt, in der man sich vorstellt, wie es sein könnte, wenn es nur anders wäre, so oder auch so, nur damit es nicht ist, wie es ist. Der Staat ist bankrott und das Kapital funktioniert nicht mehr. Die Wertmasse des weltweiten Finanzkapitals bestimmt und überwuchert alles, was bisher noch irgendeinen Sinn für die Menschen hatte. Und da sind ein paar Leute aus der politischen Klasse und die tun so, als käme es nur auf den besseren Polit-Macker an.

Ja, da ist der Schröder wieder mal vorne, einfach der bessere Macker, die Figuration von politischem Kalkül, Medienstar der Politik. Aber alle wissen es schon: Der, der die beste Figur bei Wahlen macht, wird nicht mehr gewählt, weil er nichts geändert hat, und die Frau, die eine etwas schlechtere Figur macht, wird gewählt, weil sie noch nichts gemacht hat. Politik wird das nicht mehr sein. Es wird eine große Koalition. Da haben sich die beiden doch längst die Bälle zugeworfen: Weißt du noch, was wir alle schon gemeinsam geschafft haben? Ja, so ist das in der Politik. Da darf man nur nicht vorher drüber reden. Sonst bekommt man weniger Stimmen. Und man braucht viele, um in einer solchen Koalition viel durchzusetzen. Das wissen sie alle schon. Nur der Wähler noch nicht. Er wird einfach wieder mal für dumm verkauft.

Was die Politik dann treiben wird, das wird sich vollkommen aus den Notwendigkeiten des Staats begründen. Denn was nötig ist, das fügt sich. Es braut sich zusammen. Nicht gegen das Kapital, denn das braucht der kapitalistische Staat, um sein Geld zu verdienen und seine Kredite zu bekommen. Gegen die Bevölkerung natürlich, gegen den "Souverän". Sehr souverän, das Ganze.

Zur Wahl steht eben nichts, was der Wähler nötig hat. Zur Wahl steht, was der Staat nötig hat und was er zur Entscheidung mit der Behauptung vorbringt, es sei auch das, was für die Wähler nötig sei. Aber es geht bei alledem nur um Geld, um Steuern und Sozialabgaben und Sozialausgaben. Und es geht vor allem darum, wie die Produktionskosten minimal gehalten werden, damit Deutschland seinen Export noch steigern kann und den Binnenmarkt damit auch wieder aus der Krise ziehen soll. Das ist die Vorstellung, die man von der Zukunft hat. Erfüllen müssen das wie immer die kleinen Leute, die immer weniger vom Leben haben werden, um immer mehr an die Wertmasse von ihrer Zeit und ihren Bedürfnissen abzugeben. Und wenn es dabei angeblich um Arbeitsplätze geht, dann nicht um Arbeit, nicht um weniger Arbeit, gerechtere Verteilung von Arbeit usw. Dann geht es auch nur um die Verbilligung der Arbeit und Erhöhung des Werteintrags durch Arbeit, denn Wert ist geklaute Arbeitszeit. Das hat der gute alte Marx zur Genüge bewiesen.

Das ganze Sozialgeschwätz dabei ist nur noch peinlich. Es ist in Wirklichkeit knallhart: Es geht um die Senkung der Sozialkosten und der Sozialleistungen zugunsten eines Wertwachstums, das die Menschen nicht mehr erreicht und auch in Zukunft höchstens Aktionäre erreichen wird - und es geht hierfür um die Erhaltung eines breiten und also auch billigen Arbeitsmarkts, also um billige Produktionskosten, damit möglichst viele Menschen möglichst billig und möglichst viel arbeiten. Es ist alles ganz einfach. Und das Gerede der Politik vom Wohl der Bürgerinnen und Bürger ist einfach nur lächerlich, egal, ob Mann oder Frau es von sich gibt. Man lerne daraus und merke: Nur der politischen Klasse geht es gut, wenn es dem Kapital gut geht, denn Kapital ist nichts anderes als die Politik mit der Arbeit.

 

Und doch hat die "Rede-Schlacht" eines gezeigt: Politik wird heute durch die Medien der Kultur gefertigt. Es ging nämlich um Sieg und alle waren Sieger. Es ging um Wettkampf, und alle waren begeistert. Eigentlich gehört ein Verlierer zum Sieg. Aber es gab ja auch keine Tore. Die braucht man nicht mehr, wo nur noch Selbstbehauptung zählt. Und da kann sich dann auch jeder einfühlen. Es war deshalb nicht ganz richtig, wenn ich eingangs geschrieben hatte, dass sich die PolitikerInnen in den Wähler zu Wahlzeiten einfühlen würden. Nein, auch das ist inzwischen umgekehrt. Die Wähler und Wählerinnen fühlen sich in die Politik ein. Sie wissen, was Verlierer sein heißt und wählen den Sieger. Und deshalb ging es um Sieg, um Wettkampf, um Kampfsport. So siegt der wirkliche Verlierer der Wahl, der Wähler, denn wenigstens in der Vorstellung. Und die wird durch die Darbeitung eines Siegers erzeugt. Die ganze Show hat einen tiefen Sinn. So ist es denn endlich klar, warum und wie gewählt wird: Der Souverän ist die kultivierte Handhabung der Einfühlung derer, die nicht mehr verlieren wollen! Die Wahl ist nichts anderes, als ein Polit-Lotto-Totto.

 

Wolfram Pfreundschuh