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Thesen zu diesem Text: "Auf dem Weg in eine andere Gesellschaft."

 

Wolfram Pfreundschuh (11.8.2006)

Am Ende der bürgerlichen Gesellschaft:
Zwischen Feudalkapitalismus und internationalem Kommunalismus

Erster Teil:

Zwischen Feudalkapitalismus und internationalem Kommunalismus  

Irgendetwas muss geschehen sein, dass plötzlich vieles anders ist als zuvor: Der sogenannte Sozialstaat ist nicht mehr in der Lage, seinen eigenen Ansprüchen gerecht zu werden. Überall fehlt es an Geld. Die Steuereinnahmen reichen nicht mehr aus, um den Standard der Grundversorgung zu halten. Das gute Leben gehört einer immer kleineren Elite. Die Mehrheit der Bevölkerung wird immer ärmer und die Armen werden in vertiefte Armut getrieben. Die Arbeitslosen werden von Staats wegen schon arm gemacht, bevor sie dann durch die Minderung ihrer Chancen auf Arbeit in die Langzeitarbeitslosigkeit abstürzen. Wir befinden uns in einem grundlegenden gesellschaftlichen Wandel, der sich uns zunächst durch den Niedergang der Binnenwirtschaft und dem hierauf gründenden Unvermögen des Nationalstaates mitteilt, unseren Lebensstandard zu erhalten und die sozialen Zusammenhänge der Menschen überhaupt auch nur der Form nach zu bewahren.

Die Verschuldung pro Kopf der Bevölkerung beschränkt schon jetzt die Entwicklungsmöglichkeiten junger Menschen. Die Ausbildungsplätze werden rar, die Bildungsangebote schwächen ab und man muss inzwischen dafür zahlen. Nur noch Eliten können das Bildungsniveau erreichen, das früher jedem möglich war. Die Binnenwirtschaft geht in die Knie. Die Arbeitslosigkeit übersteigt alle Zahlen seit Kriegsende. Wer die geringste Belastung darstellt, wird entlassen. Das trifft natürlich wieder vor allem die Mütter. Die Geburten gehen zurück, die Kindergartenplätze auch.

Die Gewerkschaften haben nur noch wenig Einfluß auf die Tarife und Beschäftigungsverhältnisse. Arbeitszeiten werden wieder hochgefahren, obwohl es an Arbeit fehlt - auch die Lebensarbeitszeiten. Die Gesundheitsversorgung ist nicht mehr auf dem Niveau unseres Lebensstandards. Kommunen gehen bankrott, und müssen viele alt gewohnte Einrichtungen abbauen. Die Kulturangebote werden zunehmend nur noch auf die Medien beschränkt und von deren Massencharakter bestimmt, den Einschaltquoten der Gefälligkeiten. Massenkultur überhaupt wird zum Maß der Kulturzugehörigkeit. Die Eventkultur, also die Erlebniskultur, breitet sich aus wie eine Sucht des Erlebens, das Leben füllen muss, ohne es zu äußern, wie ein Stoff für entleerte menschliche Identitäten, die sich in ihrem Körperkult hiervon abzulenken verstehen. Die Gesellschaft als solche wird öde empfunden und sinnlos erfahren, die Politik vor allem als der Deal mit dem großen Krieg. Die Welt ist aus dem Ruder. Nicht mal mehr die Renten sind sicher sondern nur eins: Dem Kapital insgesamt geht es gut.

Das aber kann nicht das Kapital sein, das wir kennen. Auf den Binnenmärkten sieht es finster aus. Es ist ein Kapital, das offensichtlich nicht mehr in dem von uns überschaubaren nationalen Arbeitswelten entsteht, sondern sich auf den Kapitalmärkten, den Devisen- und Aktienmärkten bildet. Es sei das freie Kapital, meinen die Neoliberalen, das Kapital, das sich der Regulation durch die Nationalstaaten entzogen habe, das globale Kapital. Das eben sei die Globalisierung. Das Kapital tritt als Weltmacht auf, ohne dass die einzelnen Nationen hierauf noch einen nennenswerten Einfluss haben. Die Neocons der USA formulieren das platt und drastisch und richten ihr Konzept von Weltordnungskriegen hiernach aus.

Die Gesellschaften dieser Erde finden sich im Wandel. Aber gesellschaftliche Veränderung ist kein Kraftakt und auch kein Krieg, sondern ein Prozess, den man sowohl objektiv wie auch subjektiv verstehen muss. Wir befinden uns in einem Prozess der Veränderung, auch wenn wir hierzu gar nichts tun. Die objektive Veränderung aber richtet sich vor allem gegen uns, wenn wir uns hierzu nicht verhalten. Wir müssen also über beides reden. Heute soll es erst mal um diesen objektiven Prozess gehen. Die nächste Sendung soll dann das diskutieren, was sich als Verhaltensmöglichkeiten hieraus ergibt.

Die Verwertungsprinzipien des globalisierten Kapitals

Es geht zunächst also um eine Art Analyse von dem, was in der letzten Zeit geschehen ist, denn nur daraus kann sich ergeben, was überhaupt getan werden kann. Und diese Analyse kann nur bei uns beginnen.

Deutschland ist in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einer Dienstleistungsgesellschaft geworden. In Westdeutschland reduzierten sich die Arbeiten im produktiven Gewerbe und der Landwirtschaft vom Jahr 1950 mit 67,2 % bis 1997 zu 37,2 % Anteil an der Gesamtarbeit, die Arbeiten im Dienstleistungsbereich erhöhten sich anteilig von 18,4 % im Jahr 1950 auf 39,9 % im Jahr 1997. Handel und Verkehr wuchsen im selben Zeitraum von 14,4 % auf 22,9 % (Quelle: Statistisches Bundesamt). Der Abstand dürfte inzwischen noch stark gewachsen sein.

Eine Dienstleistungsgesellschaft in Reinform gründet auf einem Verhältnis, worin sich die Menschen wechselseitig zu Diensten sind, indem sie sich zum Beispiel die Haare schneiden, befördern, informieren, putzen und so weiter. Es ist ein Verhältnis jenseits der sogenannten produktiven Arbeit, also der Arbeit, woraus Güter entstehen, die im menschlichen und gesellschaftlichen Stoffwechsel verbraucht werden. Das Geld, das für Dienstleistungen ausgetauscht wird, entsteht zwar in der Produktion von Werten, bleibt aber bei der Dienstleistung wertmäßig unverändert. Es entspringt irgendeinem produktiven Vermögen, aus dem es seinen Wertanteil schöpft, aber es dient nicht einfach der Reproduktion der Menschen, sondern greift hierüber hinaus. Es ist also kein Geld, das die Reproduktion oder die Produktion überhaupt finanziert, sondern das Eigenleben einer Welt, die sich hiervon schon abgehoben hat, worin die Menschen sich gleichgestellt sind als Konsumenten eines Mehrwerts, der durch Dienstleistungen sich tauschen lässt. Auch wenn dies Arbeit bedeutet und der eine mehr, der andere weniger hiervon erhält, so zirkuliert darin dennoch nicht das Geld zwischen produktiver Arbeit und Konsum. Es ist aus diesem Prozess herausgenommen und dient als Wertmasse, also als Besitzanteil an Kapital zum Austausch von Dienstleistungen.

Wenn eine Gesellschaft keinerlei eigene Produktion mehr hätte, so müsste sie alle Werte importieren. Wir sind zwar nicht vollständig ohne produktive Arbeit, aber doch zu einem beträchtlichen Anteil unserer Wertverhältnisse. Wir leben zu einem Teil davon, dass wir die Werte, durch die wir uns reproduzieren, importieren. Unsere Produktion ist also um den Wert entlastet, den wir importieren und die Wertminderung des Reproduktionsaufwandes wird aus Wertimporten aus anderen Ländern gedeckt. Indem sich die Menschen gegenseitig zu Diensten sind, erzeugen sie keine Produkte, sondern verteilen in ihrer Arbeitswelt lediglich vorhandene Werte im Verhältnis des Zeitaufwands ihrer Arbeiten für andere Menschen. Diese Werte, die nicht in Dienstleistungen entstehen können, müssen also anderen Arbeitsverhältnissen entnommen sein. Wir leben also schon seit langem zu einem großen Anteil in reinen Geldverhältnissen, im festgehaltenen Besitz an Kapital, durch den wir in der Welt des Geldes auch befangen sind. Und diese Welt ist eine Welt unendlicher Möglichkeiten und von geringer Wirklichkeit - bis auf die eine eben: Geld muss man haben.

Wertunterschiede aus Kulturbestimmungen

Wie das möglich ist, dass eine Gesellschaft selbst schon auf Kapital gründet, kann man nicht mehr aus ihr selbst heraus verstehen, sondern nur in ihrem Bezug auf andere Gesellschaften, die dieses Kapital bilden. Dazu muss man wissen, dass Kapital Geld ist, das einem Arbeitsprozess entnommen ist, das also vergangene Arbeit darstellt, und zwar nicht einfach nur Maschinenarbeit, sondern menschliche Arbeit, also Arbeit, durch welche Menschen ihr Leben veräußern, die sie nötig haben, um leben zu können, um ihre Lebensmittel zu erzeugen. Nur unter dieser Bedingung kann Kapital entstehen, das die Menschen an sich bindet, weil es als gesellschaftliche Macht zugleich ihre gesellschaftliche Kraft, ihre Naturmächtigkeit darstellt. Maschinen alleine können nur Hilfsmittel sein und helfen immer dem, dem sie gehören. Wert haben sie nur soweit, wie sie selbst Produkt menschlicher Arbeit sind und diese noch nicht voll in Produkten reproduziert, also da hinein verausgabt haben und damit noch ein gültiges Mehrprodukt darstellen.

In einer bloßen Dienstleistungsgesellschaft gibt es vorwiegend Maschinenarbeit. Der Wert, der zu ihrer Erzeugung eingebracht wurde, amortisiert sich relativ schnell und überträgt sich zu einem relativ geringen Anteil in das Produkt. Sie haben ihren Arbeitswert also meist schon schnell erwirtschaftet und bilden nur Wert, soweit menschliche Arbeit noch bei ihrer Vernutzung in das Produkt eingeht. Eigentlich wird durch sie die Wertform tendenziell unnötig, damit allerdings auch das Geld als Kapital. Es ist nicht Arbeit überhaupt, die Wert bildet, sondern lediglich die Arbeit, mit welcher Menschen abhängig gemacht und abhängig gehalten werden, weil sie damit zu ihrem Lebenserhalt gezwungen werden.

Das Kapital hat seine Macht über die Arbeits- und Lebenszusammenhänge der Menschen also nicht einfach aus wirtschaftlichen Gründen. Wirtschaftlich wäre, die Arbeitseffizienz der Technologie möglichst zur Veringerung von Arbeitsaufwand zu nutzen, also die Arbeit der Menschen zu veringern und sie zielstrebig weltweit zu verbreiten und somit Wohlstand und Frieden für alle zu schaffen. Das Kapital hat aber seine Macht in der Verfügung über diese Technologie, also aus politischen Gründen, aus der Rechtsform des Maschinenbesitzes. Aber diese bringt nur Wert ein, soweit sie menschliche Arbeit einbringt, soweit also Menschen abhängig von den Besitzern der Produktionsanlagen sind.

Das ist innerhalb von den reichen Ländern nur noch zu einem geringeren Teil der Fall. Die Industrie geht hier deutlich zurück. Die Macht des Geldes dieser Länder beruht immer weniger auf produktiv tätigen Kapital und immer mehr auf der Weltmacht ihres Geldes, auf dem Einfluss, den es auf ärmere Länder hat, um deren Produkte als Werte seinem Kapitalvermögen als Grundwert einzuverleiben. Gleich, ob es auch noch im eigenen Land produziert, seinen Mehrwert kann es hier nur immer schwerer realisieren, weil die Anwendung hießiger Arbeit zu teuer geworden ist, sprich: der Lebensstandard der Reproduktion der Menschen zu wenig Kapitaldurchsatz zum Selbsterhalt des Kapitals und als Mehrwert entstehen lässt. Inländisches Kapital lohnt sich nicht mehr. Seinen Mehrwert erzielt solches Kapital daher inzwischen zum einen Teil direkt durch Produktionsanlagen in solchen armen Ländern, indem es dort mit seinem überwertigen Geld eine unterbewertete Arbeit vernutzt, zum anderen Teil durch die Währungsverhältnisse zu ihnen. Der größte Teil des Werteintrags verläuft daher inzwischen über den Finanzmarkt, also über den Handel mit Aktien und Devisen, in welchen aus Wertunterschieden Wert gewonnen wird. Wie aber kann der Wert übertragen, also menschlichen Arbeitsaufwand im Maß seines Zeitbedarfs auf diese Weise weitergegeben werden?

Wenn fünfköpfige Familien in den armen Ländern nur von 70 $ im Monat leben, obwohl alle Familienmitglieder hierfür arbeiten, so kann man dies nach hießigen Wertmaßstäben nicht für möglich halten, - nicht mal ein Penner könnte damit auskommen. Das Einkommen eines Hartz-IV-Empfängers stellt wertmäßig dort großen Reichtum dar. Bei unseren Arbeitsverhältnissen lässt sich ein solcher Zeitaufwand in keiner wertmäßigen Beziehung mehr begreifen. Der Wertunterschied liegt dabei nicht einfach nur im bloßen Quantum der Arbeit, in der Arbeitszeit, sondern auch in der Bewertung der Arbeit selbst, die im Unterschied des technologischen Standards und des Lebensstandards begründet ist. Im selben Zeitverbrauch kann die Arbeit der Armen nach den Maßstäben der Wertverhältnisse nicht denselben Wert haben, weil keine komplexe Arbeit, wie sie in Maschinen eingeht, dort vorgestreckt werden konnte. Auch wenn diese sich bei uns längst amortisiert hat, so wirkt sie dort als Herrschaftsmittel.

Ihre Produkte können wir brauchen, ihre Produktion betrifft uns nicht. Obwohl wir ihre Produkte in gleicher Weise gebrauchen, wie alle anderen, die z.B. in Europa entstehen, ihren Kaffee trinken, ihre Gewürze verwenden, ihr Gold zu unserer Wertsicherung verwenden, ihre Chips in unseren Rechnern haben, ihr Öl als unseren Kraftstoff verwenden usw., so haben wir mit ihren Produktionsverhältnissen nichts gemeinsam, worauf sich der Zeitaufwand ihrer Arbeit auf den unsrigen beziehen ließe oder der Kapitalwert ihrer Bodenschätze eine Entsprechung auf unseren Märkten hätte. Das hat nichts mehr damit zu tun, dass wir die Technologie hätten, die sie nicht haben. Die hätten sie ja durch ihre Arbeit erwerben können, hätten sie das entsprechende Geld für ihre Produkte bekommen, das ihnen nach unseren Wertverhältnissen wertmäßig auch entspricht. Aber bezahlt werden sie nach ihren Wertverhältnissen. Statt dass sie sich und ihre Produktion durch viel Arbeit unseren Verhältnissen hätten angleichen können, sind sie sogar noch hochverschuldet. Das ist irgendwie absurd. Auch als Grundeigentümer der wichtigsten Rohstoffe, also Gold und Erdöl, zählen sie zu den Armen, obwohl das die Stoffe sind, die unsere Wirtschaft antreiben. Das alles ließe sich nicht begreifen, wenn Geld gleich Geld wäre.

Entstanden sind ihre Schulden nicht durch geringe Arbeitsleistungen und teure Einkäufe, wie man vermuten müsste. Es arbeiten viele Menschen, meist immer ganze Familien für einen geringen Lohn. Ihre Arbeit vollzieht aber nur die Abhängigkeit von denen, die Geld haben und verstärkt diese, vergrößert ihre Macht und damit ihre eigene Ohnmact. „Arbeit kostet in China oder Indien nur ein Sechzigstel dessen, was in westlichen Industriestaaten bezahlt wird“ (Patrick Artus über Strategien in der Globalisierung). Und das sind Länder, die inzwischen zu den reicheren zählen. Die Schulden entstanden also nicht dadurch, dass sie etwa Technologie eingekauft hätten, um aus ihrer Misere herauszukommen und ihre Wertlage tendenziell zu verbessern, sondern dadurch, dass ihre Kulturen kapitalisiert wurden. Sie hatten das Geld der Reichen nötig und sich damit in ihre Abhängigkeit begeben und sich darauf einstellen müssen, um es zu bekommen. Ihre eigentlich vielfältige Lebens- und Arbeitswelt wurde durch die Einbringung des Geldes der Reichen vereinseitigt zu einer Produktion, die wesentlich für die Reichen war, und durch die sie zum Teil ihre kulturellen Lebensgrundlagen zerstören mussten, die Art und Weise, wie sie bis dahin mit ihrer Lebenserzeugung und ihrem Lebenserhalt umgegangen waren.

Geld kann zum Leben nichts beitragen. Es ermöglicht nur unter bestimmten Lebensbedingungen den Erwerb von Lebens- und Produktionsmitteln und erzeugt zugleich das Bedürfnis nach Geld, weil es ein allgemeines Faustpfand zur Befriedigung von Bedürfnissen ist, gleich, welcher Art sie sind, abstraktes Mittel jeglicher Befriedigung. Wer die Macht hat, den Preis zu bestimmen, der erzeugt die Armut, die er braucht, um mehr Geld zu erzielen, wenn er kann, wenn er also mit Geld seine Lebensbedingungen durchgesetzt hat. Kapital gründet auf der Erzeugung von Einseitigkeit und Armut. Es finanziert nur, was es finanzieren muss, um die Mittel für seinen Produktionsprozess einzubringen. Wenn es kann, dann entlohnt es für den bloßen Hunger. Und das betreibt einen schlechten Kreislauf, denn aus Hungerlohn entsteht Elend und aus Elend immer mehr Hunger. Das eingebrachte Geld war im Wertunterschied der Kulturen ein Hungerlohn, eine kulturbestimmte Wertdifferenz, die Wertgröße anderer Lebenswelten, die ihnen hohe Gegenleistung abverlangte, weil sie der Kulturwelt der kapitalistischen Ländern nicht entsprachen, weil sie also ihren Wert mit deren Bedingungen nicht gleichsetzen konnten aber damit verglichen wurden. Die Nutzung ihrer Arbeit ist daher höchst rentabel für das Kapital, selbst wenn es ihre Produkte extrem billig verkaufen würde. Es verkauft ja nicht einfach ein paar Sachen von anderswo her, sondern es erwirbt damit Lebensmittel für die eigenen Produktionsbedingungen und setzt Maßstäbe für alle weiteren Entwicklungen und gründet seine Produktion hierauf.

Das aus den reichen Ländern eingebrachte Geld brachte durch seine Wertgröße den Armen so gut wie nichts, es stellte ja die durchschnittliche Arbeitsmasse der reichen Länder pro Zeiteinheit dar. Das ließ sich mit dem Wert ihrer Arbeit in nichts vergleichen. Selbst in China, das inzwischen nicht mehr als Schwellenland gilt, macht sich hinter der viel zitierten „neuen Elite“ große Armut breit. Sein „Kapitalismus“ besteht vor allem aus dem Kapital der Armut, aus Menschen. Auch Peru z.B. erhält für seine Goldproduktion gerade so viel, wie es zur Abzahlung seiner Schulden bei der Weltbank benötigt, den „Rest“ kassieren Aktiengesellschaften aus USA und Kanada.

Das Leben und die Produktion der Armen wurde durch das Geld der Industriemächte nicht entwickelt, sondern ihre bestehende Produktion auf die Güter vereinseitig, welche die Reichen nötig haben und ihre zunehmende kulturelle Abhängigkeit zu ihrer Armutsfalle. Womit sich die Menschen in diesen Ländern reproduzieren müssen, hat nichts mit dem zu tun, was sie für ihre Produkte oder Rohstoffe bekommen. Es besteht damit also ein substanzieller Unterschied zwischen dem, was sie für ihre Arbeit und Bodenerträge bekommen, zu dem, womit ihre Produkte in der Welt der Reichen gehandelt werden. Der Wert, den diese kulturbestimmten Gewinne für die Reichen haben, ist für diese aber nicht Mehrwert, denn er stellt keine unbezahlte Arbeit innerhalb der eigenen Verwertungsverhältnisse dar, sondern ist de facto ein Wert, der die Kosten der Rohstoffe für die Produktion und die Ausgaben für Löhne mindert. Es ist also vorgeschossenes Kapital, das importiert wird, das zum Preis von Kulturausbeutung billig erpresste Lebensmittel und Rohstoffe darstellt. Hierfür ist die Verschuldung der Armen gerade recht, denn diese stellen das größte Reservoir an Menschen und Rohstoffen für das Kapital dar und nach ihrer Abhängigkeit von den Reichen bestimmt sich der Preis ihrer Produkte.

Verselbständigung des Wertverhältnisses gegen seine Produktion

Nach dem, was wir bisher festgestellt haben, müsste es uns ja eigentlich gut gehen. Wir müssen zwar erkennen, dass unsere Lebensverhältnisse auf der Ausbeutung von armen Ländern beruhen. Aber wie kann es dann sein, dass wir selbst nicht mehr all zu viel davon haben, dass also unser Wohlstand zur Neige geht? Das vorwiegend daran, dass die Werte über den Aktienmarkt vermittelt werden und von daher auch auf uns zurückschlagen.

Das ist nun etwas komplizierter, denn der Aktienmarkt selbst hat sich im Verlauf der Globalisierung weiter entwickelt. Er ist zum größten Teil kein Einsatz mehr für konkrete Gewinnerwartungen in bestimmte Produktionen, sondern eine Spekulation auf Geldwertdifferenzen, durch die sich Geld machen lässt, wenn man auf die richtige Seite setzt. Der Aktienmarkt erscheint daher eher wie ein Spielkasino, als dass darin brutale Wertentnahmen zu vermerken wären. Aber die Spekulation mit Geldwerten gründet auf dem Devisenhandel, also auf dem Handel mit Landeswährungen, dem Handel mit der Über- und Unterbewertung von Währungen.

Dass die Armen zu Schuldnern des Weltmarkts bestimmt wurden, liegt nicht an dem Geld, dass sie bekommen haben, sondern an der Abwertung ihrer Arbeitskultur als Ganzes, an der politischen Macht, die unsere Kultur als Geldvermögen gegen ihre Kultur als Kultur der Besitzlosen darstellt. Der Kulturunterschied stellt den Wertunterschied von einer kapitalmächtigen Multikultur gegen eine geldlose Monokultur dar. Arbeitszeit ist hiernach nicht gleich Arbeitszeit, sondern als Kulturwert schon unterschieden, unterschiedlicher Geldwert durch unterschiedliche Kultur, durch voneinander getrennten Stoffwechsel, also durch Wirtschaftskreisläufe, die nur über Kapital in die Beziehung treten – und zwar nicht in die von Geld und Lebensmittel, sondern in die von Gläubiger und Schuldner.

Ihren Ländern wird entnommen, was dort zu holen ist, indem ihre Schulden das Recht des Gläubigers auf das Vermögen des Schuldners erwirkt haben und damit ihre Produktion noch wertloser machen und der Zins für ihre Schuldenlast aus dem Produktivitätswert der Reichen errechnet wird, also selbst schon zur Erpressung ihrer Wertabhängigkeit hinreicht. Sie interessieren also nicht als Tauschpartner, sondern werden im Prinzip zahlungsunfähig gehalten und weiterhin zahlungsunfähig gemacht, als Schuldner gehalten, die den Zinsforderungen ihrer Gläubiger vollständig ausgeliefert sind. Die Weltbank kümmert sich daher seit den 70ger Jahren nicht mehr um den Erhalt ihrer Zahlungsmittel für den Devisenhandel, wodurch das Verhältnis als Wertverhältnis fortbestünde, sondern nurmehr um den Erhalt der Schuldner als potenzielle Wertproduzenten (z.B. im Ausverkauf ihrer Bodenschätze), auf den man immerhin setzen und spekulieren konnte.

Denn wer ihre Währung in Dollar oder Euro tauscht, entnimmt durch den Unterwert ihrer Währungen ihrem Land das Vermögen, das im Währungsverhältnis im Maß ihres kulturellen Vermögens bewertet ist. Dieser Handel mit Währungen ist daher äußerst „lukrativ“ für die Inhaber der Währungen reicher Kulturen. Er findet inzwischen vor allem auf dem Aktien- und Devisenmarkt statt und macht die gigantischen Erträge aus, welche die internationalen Banker und Konzerne nach Hause bringen. Es macht den sogenannten Hebeleffekt, den die Wertpapiere auf wundersame Weise mit sich bringen, auch wenn es unserer Wirtschaft nicht gut geht. Der Großaktionär Soros hatte z.B. in Thailand und den sogenannten Tigerstaaten komplett vorgeführt, wie wir durch Kredite auf ihre Währungen reich werden können, wenn wir sie mit Dollars bezahlen, und noch besser, wenn wir damit zugleich ihre Aktien kaufen.

Verabsolutierung des Imperialismus zum globalen Kapital

Auf der einen Seite bleiben damit ihre Güter wenig wert. Aber auch die Waren, die dorthin geliefert werden, müssen von ihnen überbezahlt werden, weil die erforderliche Weltwährung, der Dollar, selbst nicht mehr vollständig gedeckt ist. Der Dollar ist z.Z. nur noch zu 48 % seines Wertes durch Güter gedeckt, der Rest ist ein bloßes Versprechen auf „Deckung irgendwann“ durch die Machtpotenziale der Weltwirtschaft gegen die Armen Länder (siehe hierzu z.B. den Petrodollar). Wer seine Produkte damit tauscht, bekommt also wenige als die Hälfte von dem Wert, den sie eigentlich haben und er wird dies beim Einkauf in Dollarwährung ziemlich schnell zu spüren haben. Die abhängigen Länder sind in doppelter Weise unterbewertet: Einmal über den Dollar, mit dem ihre Produkte verrechnet werden, und einmal über das Preisdiktat durch den Zins, mit dem sie abhängig gehalten werden. So lässt sich das Geld, über das sie überhaupt verfügen können, niemals in ein ihnen entsprechendes Wertquantum an Produkten einlösen. Die Währungen selbst sind das wichtigste Erpressungsmittel, wodurch die armen Länder, die auf Produkte der reichen Länder angewiesen sind, ausgebeutet werden. Ihre Unterbewertung lässt die in ihren Krisen verfangenen großen Wirtschaftssysteme wieder dadurch erstarken, dass sie den schwachen nicht nur Wert, sondern auch Lebenssubstanz entnehmen. Das Kapital tritt wie ein Landbesitzer auf, dem alles gehört. Ein Gläubiger kann nämlich über den Besitz des Schuldners auch verfügen. So kann das Kapital Profite schon allein aus der Nutzung der Schuldkonserve machen und seine Probleme mit den eigenen Wertverhältnissen damit zumindest vorübergehend ausgleichen. Der Kapitalismus ist auf globaler Ebene zu einer Art Wertfeudalismus, zu einem Feudalkapitalismus geworden. Und das hat auch Folgen für die Binnenverhältnisse der reichen Länder.

In den reichen Ländern war bis dahin die Währungsstabilität tragend für wirtschaftlichen Erfolg. Ihre Krisen hatten in Geldentwertungen ihren Niederschlag. Durch die Auffüllung eigener Währung durch angeeignete Werte, schien das zunächst mal bewältigt zu sein. Trotz Krisen blieben ihre Währungen relativ stabil. Aber sie konnten diese nicht mehr durch eigene Produkte decken. Die bürgerliche Gesellschaft beruht jedoch darauf, dass alle Produkte darin im Warentausch gehandelt, also in ihrem Vergleich auch gleichgestellt werden. Ihr Geldwert stellt ihre Wertgröße dar, die den Maßstab der Preise bestimmt, die durchschnittliche gesellschaftliche Produktionszeit innerhalb eines Kulturkreis, worin die Arbeiten auch unter ähnlichen Produktionsbedingungen vergleichbar sind. Hierdurch waren bisher die Abhängigkeiten wechselseitig und die Waren darin als Teile eines Produktionszusammenhangs aufeinander bezogen und stellten als Arbeitsteile einen gesellschaftlichen Zusammenhang – wenn auch nur abstrakt - dar als ihren Wert. Nur hierdurch war eine Art von Gleichheit zu konstatieren, welcher der Wert der Waren als Produkte gleicher menschlicher Arbeit, abstrakt menschlicher Arbeit ausdrückte und das Willensverhältnis der Tauschenden bestimmte, also ihre Verträglichkeit ausmachte und die bürgerliche Gesellschaft zu der ihr eigentümlichen Blüte brachte.

Der Tausch selbst war eine Art Vertrag, nach welchem die Gleichheit der Güter unterstellt war. Wer keinen Besitz an Waren hatte, konnte zwar nichts anderes verkaufen als seine Arbeitskraft, aber er bekam dafür zumindest das, was er zum Leben brauchte, die Mittel seiner Reproduktion, die den Wert der vergangenen Arbeit darstellten, die gesellschaftlich durchschnittliche Arbeitszeit, die zu ihrer Herstellung benötigt wurde. Die nationalen Währungen waren auch bei Wertschwankungen auf größere Zeitspanne hin möglichst stabil zu halten und dies wurde am ehesten dadurch erreicht, dass besondere Waren, Gold oder Silber, zu ihrer Wertdeckung gehortet wurden. Das verlangte aber großen Reichtum, denn die Produkte wurden zugleich als Goldprodukte, der Wert also in fester und loser Form verhandelt. Weil nicht jedes Land hierfür reich genug war und seine Währung nicht derart besichern konte, wurde der Dollar als Weltwährung eingerichtet, mit dem Versprechen, dass jede Währung sich jederzeit darin eintauschen lasse. Damit wurde die USA zur Währungsmacht der Welt und musste hierfür auf Fort Knox ungeheuere Mengen von Gold als Währungssicherheit verfügbar halten. Hieraus bestanden die Verträge des Weltwährungsfonds, die Verträge von Bretton-Woods von 1946. Es war die Grundlage für eine relativ lange währende Friedensepoche, die aus den Erkenntnissen resultierte, welche aus der Weltwirtschaftskrise vor dem deutschen Faschismus gewonnen worden waren. Diese Krise war ja auch wesentlich durch die USA und die Aufhebung der Dollardeckung durch Präsident Roosevelt ausgelöst worden.

Aber das Währungsversprechen war nicht mehr zu halten, wenn es nicht auf eigenen Produkten gründete und wenn die Produktion nicht krisenfrei war. Die USA waren aber ein kapitalistisches Land und hatten ihre Krisen und die machten es immer wieder mal nötig, Werte zur Aufhebung von Kapitalentwertungen, zum Erhalt der eigenen Wirtschaft einzubringen.

Das Ende der bürgerlichen Gesellschaft

Mit dem Vietnamkrieg geriet die USA an ihre wirtschaftliche Grenze. Das führte dazu, dass die sie nicht mehr so ohne weiteres Gold für andere Währungen einlösen konnte. Als die Franzosen dies testeten, kam heraus, dass die USA hierfür nicht mehr in der Lage waren. Deshalb kündigten sie selbst durch Nixon im Jahr 1976 diese Verträge. Die USA verkauften danach ihr Gold, um ihre Kapitalkrise zu beheben, die Lasten des Vietnamkriegs zu finanzieren und den Goldmarkt zu verbilligen. Das bedeutete das Ende der „Realwirtschaft“ und es war damit auch das Ende der UDSSR eingeläutet, deren Währungssicherheit aus ihren ungeheueren Goldreserven bestand, die schlagartig nurmehr etwa zur Hälfte wertkompatibel waren. Der Coup der USA hatte vor allem dadurch weitreichende Folgen auf die Weltgeschichte, als er den Unterschied zwischen „Wohlfahrtskapitalismus“ und „Realsozialismus“ konkurrierenden Systeme de facto aufhob und der Macht des Geldbesitzes zu einer Endlösung verhalf. Ihr waren die Länder des Ostblocks zwar auch längst verfallen, weshalb sie auch an ihrem Goldwert scheiterten. Sie hatten sich aber noch von der Macht eines reinen Sachquantums politisch und ideologisch unterscheiden können.

Die Währungssicherheit war weltweit aufgehoben, denn es war gleich, ob der eine in Gold, der andere in Erdöl und der dritte in Profiterwartungen kalkulierte. Und das war die Grundlage der Globalisierung. Der Finanzspekulation waren alle Türen geöffnet, ihren unendlich viele Interessen eine grenzenlose Bewegungsmöglichkeit geboten. Der Wert des Kapitals geriet zu einer subjektiven Größe im Weltformat, zu einem Bewertungssystem der Kulturen, das seine Substanz nicht mehr unbedingt aus vergangener Arbeit bezog, sondern ebenso aus dem Kapitaleinsatz selbst, aus der Finanzspekulation. Die Globalisierung war die zur unbegrenzten, also zur totalen Macht gesteigerte Form des Imperialismus geworden, der sich als Handel mit fiktivem Kapital vom realen Güterhandel vollständig gelöst hat. Und das bedeutete zugleich das Ende aller bisherigen Einigkeit, alles bisherigen Rechts du aller bisherigen Gleichheit: Das Ende der bürgerlichen Gesellschaft. 

Das Kapital als Feudalmacht

Das fiktive Kapital war im Verhältnis zum produktiven bisher immer von diesem abhängig gewesen - das heißt: Es musste immer wieder in die Produktion zurück, um überhaupt seinen Wert zu realisieren. Wer mit Kapital spekulierte, konnte nur dann am Mehrwert Anteil haben, wenn es ihm gelungen war, dieses Kapital produktiv einzusetzen. Ähnlich erging es auch der Grundrente: Pacht und Mieten konnten nur in dem Maß bezahlt werden, wie sie sich auch erwirtschaften ließen. Gelang es dem fiktiven Kapital nicht, in der Produktion unterzukommen, so versuchte es, sich im Immobilienwert zu materialisieren. Dort bekam es einen Wert, der sich nicht mehr an Arbeitsprodukten bemaß, sondern am Grundbesitz, der räumlichen Bedingung von Produktion und Reproduktion überhaupt. Dieser Wert war praktisch nurmehr Recht, also Wert als Rechtsform eines Besitzstandes von etwas, das kein Produkt menschlicher Arbeit war, sondern eigentlich jedem Menschen zusteht, wo Besitz keine politische Form ist. Es kann auch Luft sein (z.B. die Wellenlänge für den UMTS-Betrieb der Handies, oder Wasser). Dieses Recht ermöglichte es der Klasse der Grundeigentümer, sich einen Anteil des Produktwertes anzueignen, indem es eine Nutzungsgebühr für ihren Besitz geltend machen konnte bei denen, die sie nutzen mussten, um z.B. überhaupt produzieren zu können.

Das Kapital hatte in seinen bisherigen Krisen mit der Masse an konstantem Kapital große Probleme, diese ihrem Wert gemäß zu verwerten. Der Kapitaldurchsatz, also die Verwertung von vorgestrecktem Geld bis hin zur Realisierung des Kapitals nach Abverkauf des Produkts, musste in immer kürzerer Zeit bei immer größerer Masse gelingen. Moderne Technologie schien das Problem zu lösen. Sie machte aber zu einem großen Teil die teuere Maschinerie wertlos und die industriellen Arbeitsstrukturen hinfällig. Die Intelligenz dieser Technologie reduzierte den Wertanteil des konstanten Kapital beträchtlich: Relativ wenig menschliche Arbeit erzielte große Fortschritte für die Produktion und diese selbst wurde sehr viel effizienter, also wirtschaftlicher. Der Kapitalismus stand sich selbst im Weg. Die moderne Technologie machte menschliche Arbeit immer geringer, die aber war Bedingung seiner Verwertung. Er kann die Dinge nicht mehr zu ihrem Wert verkaufen; er müsste sie verschleudern. Aber davon kann Kapital nicht existieren. Es war in dieser Form wesentlich und spürbar unwirtschaftlich geworden – für die Arbeit der Menschen selbst und auch für das Kapital.

Und das macht die Groteske aus: Der Kapitalismus hatte sich selbst schon überwunden, aber das globale Kapital hatte ihn auf eine Ebene des Weltbesitzes an Kapital gehoben, durch welche er als bloße politische Gewalt seines eigenen Rechts fortbestehen konnte. Produkte der Intelligenz konnten nur durch Patente und Lizenzen besessen werden. Nach relativ geringer Anwendungszeit war der Aufwand für die Intelligenzarbeit amortisiert. Danach war es wie mit der Grundrente und den Bodenschätzen: Allein der Besitz ihrer Nutzungsrechte war wertbestimmend – eben als rein politische Wertbestimmung, als Recht auf Nutzung. Das fiktive Kapital konnte sich immer weniger im produktiven Vermögen profitabel einbringen. Es machte sich daher zunehmend in Softwareanwendungen fest, in Immobilien und Engergielieferanten. Die große Masse des Kapitals, welches sich aus den Profiten der Devisenmärkte herausgeschält hatte, versuchte sich in der Grundrente. Darin wurde die Kapitalmasse weit umfänglicher als die der produktiven Kapitalinvestitionen. Allerdings kann sie nur wertbildend sein, wenn sie irgendwann wieder in Arbeitsprodukten abgeschöpft wird. Mehrwert kann nur wirklich sein, wo auch Mehrprodukte angeeignet werden. Als reiner Besitz kann dieses Kapital zwar viel bestimmen, aber wirklich werthaltig wird es nur, wo Arbeitsprodukte oder Rohstoffe ihren Wert realisieren können.

Diese Wertrealisation findet auf den Weltmärkten statt und entzieht sich den lokalen Wertkreisläufen zwischen Produktion und Konsumtion. Kapital realisiert sich zwar auch im Geldverkehr, aber nicht in der Beziehung von Produktion zu Konsumtion, sondern als Beziehung von Kulturunterschieden, die als Währungsunterschiede gehandelt werden, als Beziehung von Werten welche eine Kultur abgeben muss, um ihren Minderwert bei anderer auszugleichen, also ihrer Wertbedingung nach Maßgabe des Internationalen Währungsfonds Folge zu leisten. Dieses Verhältnis stellt sich auf den Devisenmärkten als Verhältnis der Währungen, als Bewertung ihrer Kulturdifferenzen dar, unter welche ihre unterschiedlichen Produktionsformen gestellt waren. Von daher wurde das Kapital in politischer Reinform als globales Kapital, das auf den Aktienmärkten gehandelt wurde, absolut selbständig. Sein Geld, das nun vor allem den Wert dieser Differenzen als weltweites Entwicklungspotenzial ausdrückt, besteht einerseits aus bloß abstrakter Wirtschaftsmacht, lässt sich aber vermittelst des Devisenmarktes nun doch materiell darstellen, als Wert tatsächlich verwirklichen, wenn auch als Wert im Nachinein der Produktion, als Wert einer Negativverwertung, als Produkt allgemeiner Erpressungsmacht eines Kulturkreises gegen einen anderen. Die Stetigkeit der Abwertung der Währungen versprach eine Konstanz der Währungsdifferenzen, die sich in Produktverhältnissen wieder materiell auftreten konnten. Das hierein investierte fiktive Kapital konnte so einerseits als pure Kapitalmacht fortbestehen, ohne auf eine bestimmte Produktion unmittelbar angewiesen zu sein, andererseits durch jeden beliebigen Handel mit unterbewerteter Währung realisieren. Die Unterbewertung trat ja nicht wirklich auf, sondern nur in der Produktform selbst, also durch das, was damit erst verwertbar wurde. Der wichtigste Stoff solcher Wertauffüllung war das Erdöl. Die Bezeichnung Petro-Dollar verrät seine Kapitalisierung durch die USA, die darin ihre vorwiegende Wertsicherheit gewann, solange sie über die Bergung des Erdöls verfügen konnte, um das Währungsversprechen hierauf einlösen zu können. Das allerdings verlangt auch bewehrte politische Macht, kriegerisches Auftreten zur Erhalt ihrer Weltwährung: Weltordungskriege.

Das Kapital als Weltbank

Die Formen des Kapitals, die durch die Banken als eigener Background gehalten, verwaltet und eingesetzt wurden, fassten sich mit der Ablösung von jeder Deckung des Geldes nun im globalen Kapital als rein politische Kapitalmacht zusammen, in welchem keinerlei spezifischer Kapitaleinsatz zur Wertproduktion mehr tragend war. Im Gegenteil: Das globale Kapital lebt geradezu davon, dass es sich nur einbringt, um sich sofort abzuziehen, wenn es aus der Gewinnzone herausfällt. Es hat keinerlei Verbindung zur Produktion, und sei diese auf lange Sicht auch vielversprechend. Es tritt bei hohen Spekulationserwartungen in die Finanzierung ein und ist in der Schwächephase sofort wieder weg. Es kassiert lediglich ab, was sich aus der gesellschaftlich notwendigen Produktivität ergibt, was die Länder und Menschen also aus der Notwendigkeit ihrer Reproduktion heraus erzeugen und was sich darin zugleich an Mehrwert erwirtschaften und abführen lässt. Das globale Kapital bringt sich nicht in Betriebe als Anteilseigner mit einem anteiligen Risiko ein, weil deren Ziel Mehrwertproduktion wäre, es schöpft lediglich den Mehrwert ab, der sich aus ihrem Kapitaleinsatz in diesen Betrieben ergibt. Das heißt: Das Kapital ist aus dem Risikobereich weitgehend herausgetreten. Es hantiert mit seiner reinen Kapitalmacht, die daraus besteht, Geld flüssig machen zu können, was immer damit auch geschieht. Das Kapital, soweit es die Produktion unmittelbar betrifft, das unmittelbar produktive Kapital, ist „unter die Leute gegangen“. Es breitet sich in als kleines Unternehmertum aus, das mit relativ geringem Mittelaufwand einem großen Kapitalvermögen verdingt ist, das sich unabhängig hiervon auf dem Weltmarkt ausbreitet und diesen bestimmt. Es fungiert als reines Finanzkapital und fällt daher mit dem Bankwesen zusammen.

Die Menschen müssen nach wie vor für ihre Reproduktion arbeiten. Aber sie können nur zu einem immer geringer werdenden Anteil eine Arbeit durch das Arrangement des Kapitals, also im industriell arbeitenden Unternehmen finden. Sie müssen selbst Kapital aufnehmen, um arbeiten zu können. Und sie müssen den Mehrwert, den sie dabei erzielen, an die Kapitalgeber versprechen, um an dieses Kapital zu kommen. Das Kapital tritt also zunehmend als Leasinggeber oder als Kapitalagentur auf. Die Arbeit der Menschen besteht im Aufbau und Erhalt von kleinen oder größeren Betrieben für die Binnenwirtschaft, die sofort zerstört werden, wenn sie nicht mehr hinreichend ergiebig sind – auch wenn sie sich zur Reproduktion der Menschen weiterhin eignen würden oder sich nach Schwächephasen wieder erholen könnten. Dem globalen Kapital bringt die Vernichtung solcher Anlagen mehr Gewinn als ihr Erhalt, denn ihr Markt ist damit wieder bereinigt und ihr Geld ist sofort in effektiveren Anlagen wieder flüssig.

Der Kapitalismus hat mit seiner absolut gewordenen Wertmächtigkeit sein Gesicht wesentlich verändert. Es ist ein Kapitalismus entstanden, der nicht mehr auf den Lebensverhältnissen der Menschen in der Wertform ihres Reichtums gründet, sondern Kapital bildet durch Kulturwerte, also durch Produkte, die durch Gewalt auf ihre Kultur Wert einbringen, also durch Erpressung der Besitzlosen, das Risiko der Produktion selbst zu übernehmen und hierfür die Werte, die über den untersten Selbsterhalt hinaus entstehen, abzugeben. Alle eigenen Arbeitszusammenhänge ihrer Kultur wenden dem geopfert, das Zusammentreffen von Menschen unter größeren Arbeitsarragements bis auf das nackte Individuum reduziert, das um sein Überleben kämpfen muss.

Zwar müssen diese kulturelle Auspressung weiterhin vor allem die Armen tragen, aber Armut bleibt nicht länger das ausschließliche Problem ferner Länder. Arm werden jetzt alle, die vollständig im Zusammenhang des Kapitals befangen und für sich in der Tat armselig geworden sind, ärmer als jeder Bauer es je gewesen war. Nicht einmal eine Arbeit ist ihnen gewiss, weil das industrielle Kapital weitgehend weggebrochen ist, die großen Arbeitszusammenhänge nicht mehr existieren und der gesellschaftlich Ort der Produktion fast nur noch durch sie selbst besteht, in ihrer Individualität, ihrem Durchsetzungvermögen in riskanten Lebenswelten, deren Kultur sich auf bloßes Geldeinkommen reduziert. Und was das Kapital hierdurch an Arbeitskosten einspart, das müssen sie durch Selbstausbeutung für sich einbringen. Wie den Monokulturen der Dritten Welt, so ergeht es inzwischen schon dem Großteil der Menschen in der ersten: Um überhaupt leben zu können, müssen sie Betriebe, Ich-AGs oder Genossenschaften gründen und um sich gründen zu können, müssen sie ihren Selbsterhalt auf Verwertungsversprechen setzen, meist auf Leasingverträge oder ähnlichem.

Der Kleinunternehmer wird zum modernen Individuum, das seine Persönlichkeit aus seinem Durchsetzungsvermögen bei hoher Anpassung an die Bedürfnisse seiner Kunden, also bei großer Selbstlosigkeit gewinnt. Als flexible Persönlichkeit muss er weitgehend auf eine eigene Persönlichkeitsbildung verzichten und hat von daher auch mehr Anspruch an sein Design, denn an Kultur. Auf Arbeitshierarchien kann weitgehend verzichtet werden, da die Notwendigkeit des Erhalts von Arbeitsplätzen und Kundschaft sich selbst regelt und Erfahrungsunterschiede durch Automatisierung immer bedeutungsloser werden. Die Risiken seiner Arbeit hat das Individuum selbst zu tragen, und der Leasingvertrag garantiert der Bank vollständige Rechtshoheit über sein Vermögen. Auch die konjunkturellen Schwächephasen der Kapitalverwertung müssen von den Menschen vor Ort, den Einzelkämpfern, dem Mittelstand oder den einzelnen Nationalstaaten, also von den Infrastrukturen getragen werden. Und die Erträge werden ihnen sofort genommen, sobald sie entstanden sind. Das Sagen haben die Banken, die direkt und unmittelbar am Weltmarkt hängen.

Die gesellschaftliche Funktion des Kapitals als Ort der Arbeit geht damit ihrem Ende entgegen und damit auch die Geschichte der Kapitalinvestition, die Entwicklung gesellschaftlicher Ressourcen in der Privatform des Kapitals. Die Kapitalerträge werden unmittelbar internationalisiert, die Verluste unmittelbar nationalisiert. Das globale Kapital zieht lediglich die Gewinne ab, um damit Kapitalerträge zu verhandeln und sie per Wertpapiere auf dem Devisenmarkt „hochzuschleudern“.

Das Kapital besteht nur zu einem kleineren Teil noch als Investition, hauptsächlich als Weltmacht, durch welche der Unterschied von fiktivem und produktiven Kapital aufgehoben und durch Devisendifferenzen abgegolten ist. Das konstante Kapital wird durch Rechtsformen ersetzt, durch Lizenzen und Grundrente. Gebühren, Pacht, Leasing und Miete sind die Grundlagen der Produktion. Die Arbeit selbst ist so partialisiert, dass sie fast nur noch als Moment des Weltkapitals über eine Leasingbank vermittelt ist. Diese bewirkt leicht auch einen Arbeitstag von 14 Stunden, ohne dass ihre Gewalt sonderlich erkennbar wird. Und bei alle dem wird die Arbeit selbst aus ihrem gesellschaftlichen Inhalt herausgehoben, sinnentleert.

Die Umkehrung des Verwertungsprinzips

Es hat sich aus der Weltgeschichte des Kapitals eine Umkehrung des Verwertungsprinzips ergeben: Nicht mehr die Wertproduktion bestimmt die Märkte und die entsprechenden Aktienkurse, sondern die Aktienmärkte bestimmen die Wertproduktion. Das globale Kapital ist das Aktienkapital, das auf den Geldmärkten der Nationen gehandelt wird. Sie selbst sind ihm damit gebeugt, weil sie sich aus dem internationalen Warenlager füllen und sich die Nationalstaaten somit in die Konkurrenz der Warenanbieter gestellt fanden. Was das Investitionskapital beschließt, hängt daher nicht mehr von den Notwendigkeiten der Wertproduktion eines Landes ab, sondern diese hängt davon ab, was die internationalisierten Warenwerte dem Investitionskapital einbringen. Von daher hängen sie vollständig von den globalen Wertverhältnissen ab, die sie nur mit globalem Kapital bewirtschaften können. Was das globale Kapital in das Investitionskapital einträgt, ist zugleich dessen Wertfalle, denn es entzieht sich ihm sogleich, wenn es keinen Gewinn damit macht. Die nationalen Substanzen der Arbeitsprozesse werden von ihm ausgesaugt, um die internationale Substanz einer Fiktion zu nähren. Die Auseinandersetzungen um Lohn und Arbeitszeit unterliegen damit der Drohung, dass das Kapital sich jederzeit anderswo besser verwerten kann. Die Billiglöhne werden zum Weltmaßstab der Arbeitspreise.

Mit den Gewinnen, die dem nationalen Kapital entzogen werden, wird auch der Nationalstaat seiner Einnahmen aus dem Mehrwert beraubt. Ihm geht das ab, was dem globalen Kapital zufließt. Seine Funktion als Gesamtkapitalist einer Nation ist damit beendet. So wie das Investitionskapital zum rein reproduktiven Kapital geworden ist, so kann auch der Staat nur noch anteilig zur Reproduktion der Menschen fungieren. Er kann sich zunehmend nur um das bemühen, was zur gesellschaftlichen Reproduktion, also für den voll kapitalisierten Arbeitsprozess tauglich ist. Seine Finanzierung ist hiervon bestimmt. Seine bisherigen Sozialfunktionen gehen in die Knie, soweit sie nicht für den Arbeitsmarkt förderlich sind. Für alles andere wird das Geld knapp: von der Sozialfürsorge über die Gesundheit bis zur Rente. Sein Haushalt verläuft solange in einer Abwärtsspirale, wie er sich noch sozial verhält. Sein Hauptproblem ist die Staatsverschuldung und ihre Verzinsung.

Die gedoppelte Verwertungslage

Damit ist nicht mehr die Reproduktion der Menschen und die Mehrproduktion ihrer Gesellschaft die Grundlage der nationalen Reichtumsbildung wie dereinst, sondern die Notwendigkeit einer Kapitalverwertung zur Krisenbewältigung, der Werteintrag zum Ausgleich der Wertverluste, die das nationale Kapital gegenüber dem globalen hinzunehmen hat. Die Verwertung ist nun doppelt: Zum einen als Produktion von Werten in meist kleineren Produktionseinheiten von hoher Zahl und geringer Wertmasse, zum anderen durch Schuldverpflichungen zum Wertausgleich. Die nationalen Verhältnisse sind also – wiewohl sie auf Kapital gründen – inzwischen zugleich von dessen Verlusten bestimmt, die aus den Gewinnen des globalen Kapitals ausgegrenzt wurden. Von daher richtet sich das Kapital, dem die Menschen eine zeitlang eine Spaßgesellschaft zu verdanken hatten, jetzt gegen sie ganz allgemein. Sie selbst sind nämlich als Steuerzahler vor allem als Schuldner ihres Staates bestimmt, schon wenn sie auf die Welt kommen, denn das Kapital lebt im Glauben, dass es unendliche Werte schon geschaffen hat, die nun von den Menschen realisiert werden müssen, die sie als Schulden, meist als Staatsverschuldungen bei ihm haben.

Schulden gelten als Verpflichtung. Aber als eingesetztes produktives Kapital wären sie lediglich nicht realisierter Mehrwert gewesen. Das Kapital hätte eine Krise gehabt und dafür gebüßt. Jetzt hat sich das gegen die Menschen gewendet. Im Grund kann es jeden Schwachsinn machen. Die Menschen müssen ihn austragen. Durch die Schuldenbilanzierung wird das Verwertungsproblem des Kapitals an die Bevölkerung eines Landes abgegeben. So sind Pflichten entstanden, die sich alleine aus den Krisen des Kapitals ergeben haben und die an die Menschen abgeschoben werden. Ihr Leben ist schon mit ihrer Geburt von einer Negativbilanz bestimmt, die Beischaffung von Wert in Auftrag gegeben, der in den Verwertungskrisen des Kapitals unrealisierbar war. Durch erneute Arbeitserbringung sollen die Schulden von denen gedeckt werden, die nichts dafür können. Der Krisenkapitalismus frisst seine Kinder. Die permanente Staatskrise begründet alle ihre Lebensmomente, ihre Zukunftserwartungen und Lebensstrukturen, ihre Ausbildung und ihr Dasein im Alter.

Die Ausbeutung des Gemeinwesens und der menschlichen Kultur schlechthin

Die politische Macht des globalen Kapitals ist auf diese Weise absolut geworden. Seine Ablösung vom Investitionskapital und der Produktion und seine Verselbständigung zum Taktgeber aller Lebensabläufe hat vor allem zur Folge, dass Nationalstaaten und Binnenmärkte selbst die Umstände der Kapitalentwertung zu tragen hat, die Aufbereitung der Reproduktionsmittel für Bildung, Verkehr, Gesundheit, Kommunikation usw. und die Finanzierung der Risiken der Produktion. Die wesentliche Konsequenz ist, dass in unauflösbarem Umfang die Arbeitslosigkeit in gleicher Weise bestimmend wird, wie der Mangel an Geld, um sie überhaupt sozial verträglich aufzufangen. Die Politik setzt auf die unermesslichen Potenzen des Kapitals, auf seine „wirtschaftlichen Erfolge“ irgendwann und irgendwo, die irgendwie durch Geschäfte mit anderen Staaten positiv auf den eigenen zurückwirken können sollen. Doch das ist ihr größter Irrtum: Nichts wird bleiben, was Bestand haben könnte, auch nicht der Handel mit China. Aber die nationale Politik richtet ihre ganzen Aktivitäten hierauf aus und ihre Sozialgesetze, die Renten, die infrastrukturelle Entwicklung überhaupt und vieles andere mehr werden den Interessen des globalen Kapitals unterordnet, bevor es irgendeine positive Wirkung für die Menschen zeigen muss.

Das nun macht das Selbstbewusstsein der Kapitalträger und ihrer Politik aus: Der Wertfeudalismus ist da angelangt, wo seine Fortbildung unendlich scheint, unendlich gelingen soll. Das Kapital richtet sich gegen jedes menschliche Gemeinwesen, indem es dessen Infrastruktur in seinem Verwertungsprozess verbraucht und alle Menschen letztlich in sein Schuldprinzip zwingt. Es macht ihnen ihr eigenes Leben zur Verpflichtung und verlangt von ihnen, alles zu geben, damit sie existieren dürfen. Es scheint, als seien wir in den Frühphasen des Kapitalismus zurückversetzt. Aber das stimmt nicht. Kapital ist im Grunde einfach bloßes Quantum, schlichte Masse, die politische Gewalt hat. Und diese Masse ist groß. Es hat inzwischen die Klassenunterschiede selbst aufgelöst in rein quantitative Unterschiede von Elite, Arbeitenden und Arbeitslosen. Produktiv ist alleine die Maschinenproduktion, denn diese stellt das eigentliche Mehrprodukt – wenn auch von kurzer Lebensdauer und im Wesentlichen auch nur als Fortschritt für das Kapital – dar. Immerhin verändern aber die Maschinen tatsächlich die ganzen Poduktionsverhältnisse, wenn auch nicht unmittelbar für die Geschichte der Menschen. Innerhalb des Kapitalismus besteht diese Veränderung eben vor allem quantitativ als Beschleunigung der Zeitdauer der Lebensabläufe und Verfallsdaten. Es wird aber immerhin auch der Unterschied von Dienstleistung und Arbeit zur Auflösung gebracht, denn wo Arbeit auf Knopfdruck stattfindet, da gerät der Knopfdruck selbst zu einer bloßen Dienstleistung. Für vieles gibt es schon Automaten oder wird es geben, gleich, ob damit Brot gebacken, Autos geschweißt oder Wäsche gewaschen wird. Alles wird nurmehr auf der Basis von Leasing und Kredit zur Verfügung stehen, der von den „Liquidationsfähigen“ aufgenommen werden kann, von den anderen nicht. Letzlich geht es nur noch um den Zugang zu einer Arbeit durch Schuldfähigkeit. Der Rest ist Arbeitslosigkeit, die aber für den Konsum verwertbar bleiben, also grundgesichert werden muss. Um eine Beziehung der Menschen über ihre Arbeit und Bedürfnisse geht es nicht mehr, sondern um bloße Vernutzung von beidem, was immer es auch zum Inhalt hat. Nicht mehr Lohnarbeit und Kapital stehen sich gegenüber, sondern das Kapital als Welteneigner der gesamten Menschheit, einer Elite von Arbeitsleuten, den Monokulturen der Armen, einer Masse von Konsumenten, Dienstleister und Arbeitslose. Die alle lässt es arbeiten und konsumieren, auch wenn es keinen menschlich begründeten Sinn mehr hat, keinen Sinn, der menschliche Geschichte ausmacht.

Und wenn Arbeit keinen Sinn mehr hat, dann kann es auch nicht mehr um ein sinnvolles Mehrprodukt gehen, sondern nur um leeren Mehrwert, einem Wert ohne Gemeinwesen und Natur. Fortschritt besteht nurmehr aus Beschleunigung, aus Quantifizierung der Arbeits- und Konsumtionsabläufe und die Ausmerzung aller Disfunktionen, Reibungen und Unangepasstheiten. Vor allem Technologie und Pharmakologie machen deshalb noch das Wertwachstum aus nach Maßgabe dessen, was zur Lebensbeherrschung der Menschen nötig ist. Die Gesellschaft wird für eine Wertpotenzierung hergerichtet, die über kein gesellschaftlich relevantes Mehrprodukt mehr verfügen kann. Es ist eine Produktion, die also nichts anderes mehr erreichen kann, als lediglich die politische Gewalt des Besitzes zu vermehren, und hierbei zugleich die Menschen in der Nutzung der ihnen zugewiesenen Lebensmittel zu unterweisen hat.

Die Probleme, welche die Menschen mit ihr haben, sind daher auch politisch gleichgültig geworden. Ob Arbeit und Konsum noch Sinn hat oder nicht, steht nicht mehr zur Frage. Die Neocons sprechen es aus. Politik hat ihren Grund in der Polis, im Gemeinwesen verloren und wird allein zu deren Disziplinierung entscheidend. Die Protagonisten dieser toten Welt, die Nekromanen der neuen Liberalität, nennen es Tittytainment, was den Selbsterhalt und die Selbstbestärkung dieses neuen, des absoluten Kapitalismus ausmacht: Das Nuckeln an der Brust des Kapitals. Eine Elite soll arbeiten und der Rest soll konsumieren. Das Glück soll das Gemüt eines Säuglings haben und hiernach süchtig sein. Das Kapital kalkuliert die Verdummung der Menschen als Maß seiner Entwicklung ein. Es soll eine Welt einer Elite werden, die alles in einem unendlicher Kreislauf der Selbstbezogenheit erhält und alles bezwingt, was ausschert. Der Kampf der Kulturen macht sich an den Konflikten fest, welche die Länder, welche durch das Kapital nur verbraucht werden, mit denen haben, die ihre Kultur als Wertmaß einsetzten. Der Kulturalismus wird zum Prinzip einer Weltherrschaft mit faschistoider Selbstbegründung.

Die Kultur der Selbstentfremdung

Kultur besteht aus dem Sinn, den die Menschen ihren Gegenständen gegeben haben und der Inhalt ihrer Bedürfnisse und Arbeit, also Sinn ihrer gesellschaftlichen Beziehung darin ist, die subjektive Substanz ihres gesellschaftlichen Verhältnisses. Kultur kann es daher auch nur gesellschaftlich geben. Kultur ist die gesellschaftliche Natur des Menschen, weil sich nur in Gesellschaft die menschlichen Sinne naturmächtig verhalten können und auch die natürliche Not ihrer Sinne, die Stofflichkeit ihrer Natur wenden und erfüllen können. Menschliche Bedürfnisse formulieren ein Verlangen, dessen Sinn notwendig ist, sowohl qualitativ als auch quantitativ. Sie bilden den Sinn einer jeden Kultur, sei er geistig oder körperlich, als Gewissheit der menschlichen Natur, des Stoffwechsels und der Gattungsbedürfnisse, als Selbstgewissheit des Menschen in seinem Gattungswesen. Jedes Bedürfnis ist daher dem Wesen nach ein Verlangen von Menschen nach Menschen, nach dem, was Menschen nötig ist, was sie äußern und wodurch sie leben, nach den Gegenständen ihrer Kultur, worin sie in Gesellschaft sind. Die Erzeugung menschlicher Gegenstände, die menschliche Arbeit, ist sowohl der Aufwand, der zu ihrer Befriedigung nötig ist, wie auch die Erzeugung und Entwicklung des Sinns, den diese Gegenstände haben.

„Die Menschlichkeit der Sinne wird erst durch das Dasein seines Gegenstandes, durch die vermenschlichte Natur. Die Bildung der fünf Sinne ist eine Arbeit der ganzen bisherigen Weltgeschichte. Der unter dem rohen praktischen Bedürfnis befangene Sinn hat auch nur einen bornierten Sinn. Für den ausgehungerten Menschen existiert nicht die menschliche Form der Speise, sondern nur ihr abstraktes Dasein als Speise; ebensogut könnte sie in rohster Form vorliegen, und es ist nicht zu sagen, wodurch sich diese Nahrungstätigkeit von der tierischen Nahrungstätigkeit unterscheide.“ (Karl Marx in MEW 40 S. 541f).

Bedürfnis und Arbeit hat einen identischen Sinn im gesellschaftlichen Zusammenwirken der Menschen, in der menschlichen Gesellschaft, worin die Menschen ihre Natur und Naturmächtigkeit als ihr Lebensverhältnis, als ihr kultiviertes Verhältnis zu ihrem Stoffwechsel, entfalten und sich darin zu einander als natürliche Wesen verhalten, ihre Kultur als Verhältnis zu sich wie zu ihrer Natur haben - mit all den Sitten und Gebräuchen, Glaubensmächte und Werte, die in der Geschichte dieses Verhältnisses, in ihrer Kulturentwicklung entstanden sind. Die Kultur ist die lebendige Substanz einer jeden menschlichen Gesellschaft, sowohl ihr Sinn als Not wendende Überwindung eines sinnlichen Mangels, als auch der Sinn ihrer Bildung, als Grund der Entwicklung dieser Kultur, als geschichtliche Tätigkeit der Gesellschaftsbildung, als Bildungsprozess neuer gesellschaftlicher Inhalte, welche alte aufheben, bisherige Gewohnheiten und Sitten unnötig machen und neue Sinnlichkeit entwickeln.

Die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse stiftet also nicht einfach Ruhe und Frieden in einer heilen Welt. Sie erzeugt zugleich immer auch neue Bedürfnisse und damit die Notwendigkeit der Herstellung eines Gegenstands, welcher eine Gesellschaft kulturell weiterbringt, eine Entwicklung menschlichen Reichtums, weil menschliche Sinne auch immer nach einer neuen Gegenständlichkeit verlangen. Menschliche Bedürfnisse machen also die Notwendigkeit ihrer Erhaltung wie ihrer Entwicklung aus, sind die Substanz ihrer gesellschaftlichen Geschichte, worin alle Tätigkeit sich als Sinnbildung bewahrheitet, wie sie darin auch wahr wird als Reichtum an menschlichem Leben und seiner Gegenständlichkeit, als Produkt und Mehrprodukt menschlicher Tätigkeit: gesellschaftliche Wirklichkeit.

Werden diese Bedürfnisse nicht befriedigt, so verbleiben sie als Not, die nicht gewendet ist, als Unfriede, der sich auch jenseits ihrer Sinne quantifiziert, wenn deren Identität nirgendwo mehr wahr werden kann, wenn sie keine Notwendung mehr erkennen, weil sie eine Kultur wahr haben, die sie nicht wirklich wahrnehmen können. Unverwirklichte Bedürfnisse sind als solche nicht erkennbar; sie bestehen als ein Mangelverhältnis der Menschen zu sich selbst, als bloße Mangelempfindung, als Not ihres Verlangens, das keinen Gegenstand mit Sinn mehr erkennen kann. Gegenstandslose Bedürfnisse sind abstrakt und treiben sich fort im Unfrieden ihrer menschlichen Not, in welcher ihre sinnliche Notwendigkeit und jede Sinnbildung aufgehoben ist. Das obsolete Bedürfnis als bloße Reduktion auf die vereinzelte Bedüftigkeit hat dann vielerlei Gestalten, worin sich ihre Isolation und Dürftigkeit zwischen Selbstverlorenheit und Selbstbehauptung ausdrückt.

Die Globalisierung hat das Verhältnis von menschlichen Bedürfnissen und menschlichen Aufwendungen nachhaltig verändert. Die Kulturen der armen Länder bluten aus. Sie sind von Geldwerten bestimmt, die sie in die Position eines Insolventen gebracht haben und müssen alles hergeben, was sie geschaffen haben. Ihr Reichtum an Bodenschätzen, Früchten und Kulturgütern war ihnen zum Verhängnis geworden. Ihre Gesellschaften sind durch Kulturentzug bestimmt. Die Kulturen der reichen Länder sind gekennzeichnet durch Überfüllung mit Sachmitteln und Stoffen fremder Kulturen, die unter dem Gebot eines Kapitals, das nurmehr das Quantum von Arbeit, Naturstoff und Lebensmittel quantifiziert, einverleibt wurden. Deren Aneignung macht Kultur zwar vielfältig, aber zugleich fadenscheinig. Sie ist einem Tourismus ähnlich, der sich vom Leben der Eingeborenen beeindruckt fühlt, aber in Wirklichkeit nichts damit anfangen kann, weil ihm die Bedingungen deren Lebens fremd sind. Es ist eine Kultur die auf Erleben gründet und die sich daher nicht mehr vertiefen kann, weil sie darin nicht wesentlich ist, kein eigenes Wesen hat.

Hier lebt man mehr von den Phänomenen angeeigneter Masse, fühlt sich vielleicht eher vollgestopft mit Eindrücken fremder Vermittellungen, Mitteln, die man nutzen und verbrauchen kann, die relativ billig und einfach zu haben sind, die Menschen aber nicht wirklich weiter bringen, weil sie nicht in ihrer Gesellschaft, im Zusammenwirken der Menschen entstehen, sondern vor allem Empfindungen anderer Kulturen einbringen, die beleben, bebildern, bunt machen, die aber nicht das Leben der reichen Länder ausdrücken, weil sie hier lediglich tote Geschichte wahr machen. Ohne die Verwirklichung menschlicher Bedürfnisse wird jeder Sinn zur bloßen Anschauung, zur reinen Reflektion eines Lebens, das nicht wirklich sinnlich ist. Die gesellschaftliche Geschichte der Menschen ist darin in einen Stillstand geraten und besteht aus der Wiederholung des Gewohnten, aus dem Wohnen inmitten von Gegebenheiten, die zwar Nutzen, aber keinen sonderlichen Sinn haben, Ereignisse, die erlebt werden, ohne dass sich darin Leben verwirklicht. Es ist die Geschichte einer Wahrnehmungswelt, die fremde Kulturen in Geldform wahrhat, die sie nicht kennt, durch die sie sich aber füllen lässt. Die Menschen werden sich darin selbst zum Umstand ihres Lebens, können sich nur lebend fühlen, indem sie ihr Leben zum Erleben machen, sich als Mittel des Erlebens zeigen und erweisen.

Ihre eigene Wirklichkeit bleibt unverändert, weil sie aus ein und demselben besteht und bestehen bleibt, aus den Erlebensmöglichkeiten des Geldbesitzes, die ihr zugrunde liegen und die kein Anfang und kein Ende, also keine Geschichte mehr haben. Zugleich besteht der Wert ihrer Möglichkeiten aber aus der Verpflichtung, diese durch Dienstleistung am Reichtum des Geldes zu erhalten. Es ist eine Welt, in der unendlich viele Möglichkeiten wahrnehmbar sind, in der aber wenig wirkliche Entwicklung wahrgemacht werden kann. Die Chancen hierfür sind eng begrenzt und immer weniger Menschen zugänglich.

Deshalb können auch immer weniger Menschen aus ihrem gesellschaftlichen Sein eine Gewissheit für sich erlangen, also auch kein gesellschaftliches Bewusstsein schöpfen. Sie müssen ihre persönliche Identität in ihren zwischenmenschlichen Beziehungen finden, die ihnen als einzige Gesellschaftsform verblieben sind. Doch diese ist nicht gegenständlich vermittelt, hat keine gesellschaftliche Vermittlung in Gegenständen ihres Lebens, in welchen sich die Geschichte der Menschen materialisiert und verwirklicht und hierdurch ihre gesellschaftliche Wirklichkeit in Beziehung auf ihre individuellen Möglichkeit trifft. Ihre Lebensäußerungen bestehen nicht wirklich, nicht in der Wirklichkeit ihrer sachlichen Gegenständlichkeit, sondern nurmehr durch sie selbst als Eigenschaften ihrer Persönlichkeiten. In dieser persönlichen Welt sind sich die Menschen ausschließlich selbst wechselseitiger Gegenstand ihrer Vermittlung. Ihre Beziehungen, die Ausdruck ihres Lebens und ihrer Liebe sind, bestehen zugleich als Mittel ihrer Identität, also auch in einer permanente Infragestellung derselben: Sie müssen sich ihrer eigenen Beziehung unterwerfen, um sich darin vermitteln zu können, müssen sich selbst gestalten, während sie ihre Gestalt schon als ihr Ausdrucksmittel einsetzen. Um ihre Beziehung zu verwirklichen, müssen sie um zwischenmenschliche Gegenwart und Selbstvergegenwärtigung besorgt sein, sich um die Anwesenheit und Bindung ihrer Partner bemühen. Die nämlich ist nicht selbstverständlich, weil ihr keine Notwendigkeit zugrunde liegt, kein nötiges Verlangen, keine Gewissheit einer Beziehung, kein wirkliches Bedürfnis. Ohne Bedürfnisse hat nichts wirklichen Sinn, - aber alles was ist, besteht als Prinzip seiner Nützlichkeit. So auch die Menschen selbst: Nur nützliche Menschen erscheinen darin gesellschaftlich und damit werden bedürftige Menschen per se als ungesellschaftlich wahrgenommen, als Außenseiter und Randgruppen, die sich nicht benutzen und vernutzen lassen. Der wechselseitige Nutzen, der Einfall zur Belebung des Toten, ist die Bedingung des Erlebens. Ihm entspringt das verbliebene Gefühl eigener Wirklickeit, der Ersatz von entwirklichter Gesellschaft. Das Erleben von sich selbst kann daher auch als äußerste Selbstverwirklichung erscheinen und dem Untoten Unendlichkeit vermitteln. Und das macht die Menschen in einer Kultur der Selbstverwirklichung auch wirklich zu Zwischenmenschen, zu objektiven Subjekten, zu Subjekten, die sich nur als Objekt verwirklichen, sich nur in der Fremdheit zu sich bewähren können, soweit sie als Mittel für ihre kulturelle Entwicklung taugen.

So werden zwischenmenschliche Beziehungen zum Träger der eigenen Geschichte, die keine Welt mehr hat, an keiner weltlichen Geschichte mehr teilnehmen kann - außer in Teilhabe oder Abweisung der Verwertungsprobleme der Geldagenturen und Politiker des Geldes. In ihren Beziehungen zählt keine Wahrnehmung ihrer wirklichen Welt mehr, sondern vor allem die Selbstwahrnehmung. Die Menschen empfinden einander so, wie sich zu ihrer Selbstwahrnehmung fühlen. Wie sie sich als körperlich existente Individuen erleben, so leben sie auch. Subjekte sind sie als Objekte ihres Erlebens, als besonders gerierende Persönlichkeiten, als dramatisierte Personen oder als personifizierte Körper einer Lebensdramaturgie der Vorstellung von sich selbst, der vorgestellten Selbstwahrnehmung in der Kulturmaske eines Zeitgeistes, in welchem die Sehnsüchte der Zeit in den Menschen selbst geronnen sind. Ihre Kultur erweist sich als Falle ihrer Ästhetik, die eine Identität darin verschafft, dass sie ihr Leben dieser opfert: Die Selbstentfremdung durch die Aneignung fremder Schönheit, Einverleibung des besseren Menschseins durch die Verbesserung des Wahrnehmbaren, durch Design und Güte, die ihre Öffentlichkeit reflektiert, um die Eitelkeit ihrer Selbstwahrnehmung zu befriedigen, ihre Selbstverliebtheit zu vergesellschaften. Die Medien der Kultur transportieren vorwiegend dies und bereiten das Selbstbild einer unmittelbaren Menschlichkeit, die sich gut vermitteln lässt. Und der gute Mensch ist der verbliebene Maßstab eines Bewusstseins, dessen Sein ihm ungewiss ist, der Maßstab des guten Gefühls von sich selbst. Es ist die Lebenswelt allgemeiner Egozentrik, die sich auch altruistisch geben kann, weil sie sich in der Wechselseitigkeit mit anderen zu Diensten ist. Wer ihr entspricht, kann sich Aufblähen mit großer Moral, an der er selbst nicht mal mehr scheitern muss. Sie hat je keine gegenständliche Wirklichkeit. Die öffentliche Medienkultur wird zu einer Welt von Moralisten, die gerne die menschliche Art als Lebensart vorführen. Der Rassismus des Gutmenschen ist das allgemeine Selbstbewusstsein der Identitätslosigkeit. Er ist die Basis des allgemein gebotenen Menschseins, der gewollten Anpassung an die Güte der allgemeinen Abstraktion, der Massenkultur des Menschenheils (siehe hierzu auch: „Die Massenkultur und ihre Eliten“).

Aber dieser lässt jeden Menschen menschlich verarmen. Was vermittelt wird, an dem lässt sich nur teilhaben, in dem kann sich niemand verwirklichen, niemand wirklich sein. Die Menschen können sich darin nicht menschlich wahrnehmen, weil in der öffentlichen Wahrnehmung Maßstäbe gesetzt werden, - Maßstäbe, die Identität stiften sollen, wo nichts identisch ist, wo das Eitle, das Unidentifierzierbare in Eins gesetzt werden muss, um menschlich zu erscheinen. Alle Menschen werden hierin zu Erlebniswelten gleichgeschaltet, in denen sie sich hervortun können, wenn sie auch andere tun lassen; die Taten sind nicht wirklich, sondern dienen alleine dem Erleben selbst, Action um des Lebens willen. In der Abstraktion von ihrem wirklich sinnlichen Sein sind sie zu einem wirklich abstrakten Sinn gezwungen, um zwischenmenschlich anerkannt zu sein. Sie werden in solcher Kultur zu einem abstrakten Sinnlichsein bestimmt, in welchem sie ihre Sinne, ihren Körper, ihre Wahrnehmung und ihre Selbstachtung in ihrem Erleben wahrmachen und wahrhaben und also bewahrheiten. Nur in der Absehung von sich als Wesen eigener Wirklichkeit und Wirkung können sie sich menschlich erscheinen, eine Sinnlichkeit betreiben, in der sie füreinander zu Diensten sind. Ihre Sinne werden von daher selbst zum Träger ihrer Beziehungen, der Körperkult zur Aufmerksamkeit einer Gesellschaft, die im Selbsterleben ihren Zusammenhang hat, in der Selbstwahrnehmung sich gesellschaftlich gestaltet, sich öffentlich wahrnehmbar macht. Jeder Sinn wird davon berührt, sei es im eigenen Bett, in der Talkshow, dem Musikkonzert oder der Kochstunde im Fernsehen oder sonst wo. Das einfache Erleben wird zur Form der gesellschaftlichen Selbstbezogenheit, zum Kult des besonders Allgemeinen einer Selbstwahrnehmung, zum Fetisch der Absonderlichkeit - zur politischen Ästhetik kultivierter Absonderungen. Darin wird jeder Mensch für sich zur Lebensart, zur Selbstkultur mit eigenem Kult, zum Subjekt seiner Individualität jenseits wirklicher Gesellschaft.

Es herrscht die politische Ästhetik. Die Täuschung ist darin das Prinzip der Selbstveräußerung. Fremde Identität wird zum Besitzstand an Lebensbedingung. Wahr kann darin nur Ent-Täuschung sein, der Schmerz entwirklichter Sehnsucht, das Leid am Leben, wie es in dieser Wahrnehmung erscheint. Wie in der Wissenschaft so ist nun auch in der Kultur einzig das Fakt, das in sich scheinbar Identische, auch der Stifter der persönlichen Identität. In einer Gesellschaft, worin kein gesellschaftlicher Ort eine Wahrheit hat, worin sich die Möglichkeiten der Menschen mit ihrer Wirklichkeit identifizieren lassen, herrscht eine entfremdete gesellschaftliche Identität. Es ist die Gesellschaft einer fremden Macht, die keinem Leben mehr dienlich ist, die aber vom Leben der Menschen bedient sein muss. Wer darin verkehren will, muss sich entsprechend vergegenwärtigen können, sich in seinen Äußerungen ihr anpassen, um darin Wirkung zu haben. So ist das Kapital nun auch in der Selbstwahrnehmung angelangt. Nichts kann mehr wahr sein.

Der gedoppelten Verwertung steht nun auch doppelte Armut gegenüber, materielle und immaterielle Armut, geistiges Elend. In diesem beiden bildet sich Identität aus dem bloßen Verlangen, aus einem Sein, in dem festgehalten werden muss, was nicht sicher ist, weil Unsicherheit einer Selbstzerstörung gleichkommt. Und fast nichts ist sicher, wenn sich Menschen ihm nicht beugen. Die Angst vor Bindungsverlust selbst macht schon Bindungsangst und Bindungsangst verscheucht jede wirkliche Liebe. Die Lebensängste sind massiv und die psychischen Erkrankungen auch. Über 10 % der deutschen Bevölkerung leidet beispielsweise an Depressionen, mehr noch an irgendeiner Sucht, und beträfe sie auch nur Jogging, das sich permanent steigern muss oder Computerspiel- oder Fernsehkonsum, der die Stille als Bote des Nichts vertreiben soll. Nichtigkeit und Nichtung erzeugt Bedürfnisse nach Illusionen des Überlebens, Vorstellungen des Anderssein durch die Vermittlung aus an deren Welten, aus Fiktionen des Übermenschlichen, die sich in den Medien als Vorstellung auch beliebig imaginieren und darstellen lassen.

 

An alles wurde gedacht auf jener Konferenz von 1997 in San Franzisko, als den Eliten klar geworden war, wie sie gegen die Probleme des traditionellen Kapitals ankommen können. Es war das Plädoyer der Weltstrategen gegen die ganze Menschheit, das die Neocons dort vorgetragen haben. „Man muss den Suchtbedarf der Konsumenten ausschöpfen“ – das war ihr Ziel. Aber eines haben sie vergessen: Die Erkenntnisfähigkeit der Menschen, die Kraft ihrer Bewusstseins und die Veränderbarkeit ihres Seins.

Die Menschen nämlich sind auf Dauer nicht krank zu machen. Auch sie befinden sich auf dem Weg in eine andere Gesellschaft. Aber dieser wird ein anderer sein müssen, denn bei dem ganzen Schwachsinn werden sie nicht mitmachen können und wollen.

 

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