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Zu den Thesen zu dem Text: "Auf dem Weg in eine andere Gesellschaft."

 

Wolfram Pfreundschuh (8.9.2006)

Am Ende der bürgerlichen Gesellschaft:
Zwischen Feudalkapitalismus und internationalem Kommunalismus

Zweiter Teil:

Die Verhältnisse der Kulturen als Formen gesellschaftlicher Beziehungen

Das Verhalten des Wertprinzips als Kulturmacht

Erst wenn der letzte Baum gerodet,
der letzte Fluss vergiftet,
der letzte Fisch gefangen ist,
werden die Menschen feststellen,
dass man Geld nicht essen kann.

Dieser Weissagung der Cree-Indianer sind wir offensichtlich näher gekommen. Das Kapital hat die Natur und die gesellschaftliche Entwicklung der Menschen im Lauf seiner Geschichte so weitgehend bestimmt, dass es unmöglich zu sein scheint, davon abzukommen. Trotz aller Warnungen vor den Zerstörungen, welche Kapitalverwertung mit sich bringt und trotz ihrer wirtschaftlichen Erfolglosigkeit, besteht sie weiter fort. Wenn man Wirtschaft als Effektivierung des Arbeitsprozesses versteht und mal von der Geldwirtschaft absieht, so muss man feststellen, dass Kapitalverwertung den Menschen keinen wesentlichen wirtschaftlichen Fortschritt, also keine für die Menschen vorteilhafte Effektivierung des Arbeitsprozesses erbringt, sondern im Gegenteil hierzu mehr Lebensarbeitszeit und Wochenarbeitszeit, verschlechterte Sozial- und Gesundheitsleistungen erfordert, um seine Krisen zu finanzieren. Jenseits der Geldbeziehung funktionieren die gesellschaftlichen Zusammenhänge, die es entwicklen soll, nicht mehr und gerade dies wird als Grund genommen noch mehr auf Geld und Kapital zu setzten. Das Kapital hat im Grunde abgewirtschaftet, aber es erscheint dennoch gerne als Motor jeder größeren Entwicklung und als Grundlage zur Schaffung menschlichen Reichtums. Und viele Menschen glauben das auch noch. (1)

Immer weniger trägt das Kapital zur Reproduktion und Entfaltung des Lebens bei, immer mehr betreibt es dessen Entleibung, das Ausbluten von Mensch und Natur. Die Ereignisse selbst, die zutage treten, sind absurd und zerstörerisch, ihre wirklichen Gründe nicht ohne weiteres erkennbar. Das macht, warum der Zerstörung nicht begegnet wird, warum viele Menschen eher hoffnungslos werden und sich eine Hoffnung konstruieren, indem sie auf Macht setzen, eben auf selbige Macht, welche zerstörerisch ist – die Hoffnung, dass sie den Menschen und der Natur irgendwann wieder irgendwie dienlich sein würde. Der Schein dieser Hoffnung ist immer noch stärker, als dass das Prinzip dieser Macht zur Disposition gestellt würde. Politik und Ökonomie sind zur Rettung dieses Prinzips in wahnwitzige Bündnisse eingetreten, die nicht mehr den Menschen nutzen, sondern nur noch einer verrückt gewordenen Systematik der Wertgewinnung. Zu ihrer Erhaltung werden Kriege geführt und Rohstoffe vernichtet, wird Vernichtung von Werten und die Totalisierung politischer Macht nötig, um Kapital in seiner Macht immer weiter auszubreiten und zu verabsolutieren. Es wird alles getan, um seine politische Gewalt immer totaler und unabdingbarer zu machen. Während das Kapital gigantische Ausmaße annimmt und die Weltpolitik bestimmt, bekommt ein Großteil der Menschen für ihre Arbeit nurmehr einen Hungerlohn.(2)

Das, was als die zentrale Idee der „freien Marktwirtschaft“ in der Zeit des Wiederaufbaus nach einem verheerenden Vernichtungskrieg verkauft wurde, hat sich nun ganz offensichtlich und allgemein spürbar als ihr Gegenteil verwirklicht: Kapital investiert immer weniger in Produktionsstätten und zieht sich in das Reich des „freien Geldes“ zurück. Dieses besteht als Aktienkapital und vergrößert sich als Aktienwert vor allem dadurch, dass Menschen ihre Arbeit verlieren, immer abhängiger von seinen Entscheidungen werden und der Realwert der Löhne stetig sinkt. Ein Kapital, das jenseits aller Zirkulations- und Produktionsprozesse, also nur auf sich selbst bezogen ist, ist ein Selbstzweck, der nur noch auf politischer Gewalt beruht, auf der Macht von wenigen gegen viele, als Kapital, das nurmehr von einer politischen und kulturellen Elite, von einer Elite der Macht getragen und in einer Gesellschaft von Abhängigen durchgesetzt wird. Diese Elite hat es sich inzwischen zur Aufgabe gemacht, eine Krankheit zu bewirtschaften, welche das Eigentum der Nationen und ihrer Bürger aussaugt, weil sie einen Staat zu vertreten haben, der seiner wichtigsten Steuereinnahmen entledigt ist und Schulden und Zinsen und Sozialgelder zu zahlen hat, die keiner nationalen Produktivität mehr entspricht.

Eine solche Gesellschaft funktioniert nicht mehr. Sie hungert substanziell aus und ist - wie ein Suchtkranker ohne Therapie - der Selbstvernichtung ausgesetzt. Und so wie er, kann sie auch nur Sucht vermitteln. Ihre Krisen sind innerhalb der Warenwirtschaft nicht mehr umkehrbar und erfahren im Massenkonsum lediglich ihre Linderung. Was das Kapital dem Leben entnimmt, kommt nicht mehr auf das Leben zurück. Das lässt sich nicht mit Geld ausgleichen, es ist Lebensentzug und Lebenszerstörung. Schon gar nicht kann man es durch Geld ändern, weder durch Geld aufhalten noch durch eine bessere Geldverteilung den Menschen zurückgeben. Den Wert des Geldes bestimmt das Kapital durch die Bewertung der menschlichen Arbeit im Maßstab seiner Wertmacht, die absolut geworden ist. Kapital war schon immer tote Arbeit, die zur Nutzung der lebenden Arbeit die bürgerlichen Lebensverhältnisse bestimmt hatte. Absolutes Kapital aber ist tote Arbeit ohne Wiederkehr, politische Macht über alles Leben, Geld als Lebensbedingung für sich und gegen alles andere.

Es lebt nicht davon, dass es einfach nur unbezahlte Arbeit wertmäßig kassiert, sondern davon, dass darin Kraft und Stoff entnommen und als Mittel einer gesellschaftlichen Macht festgehalten ist, die allein als strukturelle Gewalt über den Besitz von Lebensbedingungen besteht, als eine politische Macht, die als Rechtsanspruch des Kapitals auf alle Lebensbedingungen gegen die Menschen gewendet wird. Durch diese Erpressung ist das Kapital unabhängig und also absolut geworden. Darin wird seine Macht schrankenlos, jeder Arbeitskampf zum Eigentor und die Ohnmacht zur Selbstverständlichkeit. Es geht nicht mehr um die sachliche Entwicklung eines menschlichen Reichtums in der Wertform des Geldes, sondern vor allem darum, dass die Geschichte und Entwicklung der Menschen unmittelbar durch die Geldverhältnisse bestimmt wird. Dieses Kapital funktioniert selbst nur als Geldmacht, die Geld in Funktion hält, ohne Rücksicht auf seine Produktion, die Herstellung von Wertdingen. Die Menschen sind in dessen doppelter Bestimmung - soweit sie Geld besitzen oder von den Auswirkungen des Geldbesitzes leben – sowohl Anteilseigner fremder Werte ohne eigene Wertproduktion, als auch vollständig abhängig vom Geldverkehr ihrer Nation, Subjekt und Objekt entäußerter Werte.

Geld funktioniert nicht mehr so sehr als Zahlungsmittel, sondern immer mehr als bloßes Quantum, das gierig auf sich selbst ist, als Trieb einer ungeheuerlichen Entfremdungsmacht, als Prinzip der Einverleibung von allem, was lebt, um als Macht einer toten Gesellschaft die Menschen zu unterwerfen, sie zu formieren und ihre Abhängigkeit von ihm zu zementieren. Während der Konsum angefacht wird, werden ihre Löhne relativ weniger. Und das erzeugt ein doppelbödiges Verlangen: Das Verlangen nach Geld, die Unterwerfung unter den Zwang, es haben zu müssen ohne es verdienen zu können, und zugleich die Macht, alles haben zu können, was das herrschende Leben bietet, so man sich ihm entsprechend dienlich erweist, schön und gut sich zeigt.

Zugleich wird das gesellschaftliche Faustpfand Geld künstlich aufgewertet. Es ist hierzulande nicht nur Zahlungsmittel, um den Wert der Lebensmittel darzustellen. Es stellt inzwischen auch Kulturmacht dar, welche Lebenswerte bemisst, Lifestyle und Anpassung an eine Hochkultur des Geldbesitzes. Was es dem Leben an Vermögen entzieht und durch Massenkonsum und Massenkultur entleert, ersetzt es durch Selbstdarstellung. Das Design steht vor der Sache wie der Hüter ihrer Kulturwertigkeit, wie der Türvorsteher einer Qualität, die sie weniger als Sache, denn als Symbolik des Zeitgeistes hat, der hierdurch Kult wird. Er ist das Teuerste, weil Wertvollste an ihr, ihr Markenzeichen, Zeichen und Anschein einer besonderen Umfänglichkeit an Wertigkeit, einer besonderen Quantität, die über das Allgemeinmenschliche hinausgreift, der Einfältigkeit der Masse besondere Kulturwertigkeit als besondere Weise des Genusses, als Ästhetik für sich bietet. Die Kulturwertigkeit soll der Sache die Besonderheit eines Genusses vermitteln, die sie als sachliches Kulturgut, als Gegenstand menschlicher Bedürfnisse verloren hat. Die allgemeinen Wirkungen von Sachästhetik macht das Besondere zugleich allgemein, macht ihre geldwertige Ästhetik zum besseren Wert eines besonderen Bedürfnisses, was keine Befriedigung nötig hat, zu einem Ersatzwert der Wertverhältnisse eines Kapitals, das jede Kultur auflöst, aber sich selbst als Kultur des allgemeinen Zeitgeistes im Besonderen anpreist, sich als Kapital für jeden geriert, der so schmecken will wie Kapital und worin es sich auch als Kulturwert verwertet. (3).

Der allgemeine Lebensstandard richtet sich nach der Massenproduktion, d.h. dass die Löhne hiernach ermittelt und ausgefochten werden. Von daher müssen sich die Bedürfnisse umgekehrt auch nach den Gegebenheiten der Löhne richten, wie sie aus der Gesamtmasse des variablen Kapitals, also aus dem der eigenen Kultur und den Wertimporten aus fremder Kultur sich ergeben. Zwar ist der Lohn hierdurch relativ hoch im Verhältnis des inländischen Kapitals, so aber auch die Sozialkosten. Sie sind der teuerste Produktionsfaktor des Kapitals, der sich in der globalen Konkurrenz zunehmend als Hindernis herausstellt. Soll das Kapital eines Landes seinen Lebensstandard in Hinsicht der Sachmittel halten, so müssen die Sozialkosten und damit auch die Sozialleistungen gedrosselt werden. Derselbe Staat, der die Reproduktionsbedingungen zur Produktion bereitzustellen hat, muss sich gegen seine Selbstbegründung als Sozialstaat wenden. Er ist ja auch direkt abhängig vom Kapital, von dessen Steuern, dess Aktien, dessen Wertpapieren und den Staatsanleihen, die in seinem Besitz sind. Das Kapital stellt sich daher jetzt auch unmittelbar als Staatsinteresse und also auch als Staatsgewalt direkt dar.

Das Kapital steht nicht mehr als Besitzer der Lebens- und Produktionsmittel einer arbeitenden Klasse von Menschen gegenüber, die sich am Ort seiner Produktion zusammen tun müssen, um ihr Leben zu verdingen, sondern dem Leben der ganzen Menschheit als übermächtiges Kultursubjekt, indem es ihr Gemeinwesen bestimmt und das, was darin am Leben erhalten und was zum Überleben verlangt wird. Dieses Gemeinwesen selbst besteht weiterhin in der Form des bürgerlichen Staates, der lediglich um den Fortbestand der bürgerlichen Lebensverhältnisse besorgt ist und im Kapital seine eigene Basis hat, sowohl als Gläubiger wie auch als Auftraggeber. Von da her steht er den Verwertungsinteressen des Kapitals immer und vollständig zur Verfügung, auch wenn es sich hierfür gegen die Menschen wenden muss, die ihm ausgeliefert sind. Für ihn sind deren Probleme immer vergänglich, das Kapital immer unendlich wichtig zu seinem Selbsterhalt.

Indem der Staat selbst im Kapital den Träger seiner Kultur, und sich als bürgerlichen Nationalstaat versteht, ist er zum Kulturstaat des internationalen Kapitals geworden, zur nationalpolitischen Formation eines Kultursubjekts, das zunehmend internationalen Kapitalinteressen folgen und die nationale Kultur dem anpassen muss. Schauen wir uns dieses zwiespältige Kultursubjekt daher erst einmal genauer an, vor allem das, was das Kapital als solches unmittelbar betreibt. Ihm obliegt eben vor allem die Erhaltung der stofflichen allgemeinen Basis dieser Kultur und wie er sich hierbei auf das Leben der Menschen bezieht, so bezieht er sich als wichtigster Agent des Kapitals auf das menschliche Leben überhaupt. Er muss sich also auch darum kümmern, wie er hieraus Kraft und Arbeit für das Kapital schöpfen kann, um die Wertschöpfung weiterhin zu garantieren. Was die Menschen in ihrem Leben bilden, wird zu einem beträchtlichen Wertanteil sowohl in Geldform als auch in der Arbeitsstruktur und ihrer finanziellen Abhängigkeit, der absoluten Isolation der Arbeit zur „Ich-AG“ vom Staat genommen und im Zweck der Kapitalwirtschaft und ihrer Reproduktion verwendet. Von daher findet über Geld nicht nur Sozialversorgung, sondern zum großen Teil auch die Politik des Kapitals als Lebensentzug statt, als Organisation von Lebensstrukturen, die für die Kapitalverwertung und ihre Optimierung ausgerichtet werden, wie sie von der Bundesbank, dem Kreditwesen, der Energieversorgung, dem Wohnungsbau und dem Kommunikations- und Verkehrswesen und den Kultureinrichtungen und Bildungsinstitutionen betrieben werden. All dies ist dem gebeugt, wie die Existenz der Menschen für ein funktionales Kapitalverhältnis sein muss. Schauen wir deshalb auch auf die Art und Weise, wie sich solche Lebensstrukturen durch staatspolitische und kapitalpolitische Eingriffe gesellschaftspolitisch umgesetzt werden und wie hierüber das Kapital den Menschen Leben entziehen kann. Dabei geht es weniger um die Sozialform der politischen Institution des Staats, sondern um deren Gegenstand, um die Funktionalität der menschlichen Bedürfnisse für eine Produktform, die den Notwendigkeiten des globalen Kapitals entspricht. Es geht um die allgemeine Zurichtung der Bedürfnise und der Arbeit, die einer Kultur der Selbstverwertung entsprechen müssen, d.h. den Sinn für ihren Gegenstand verlieren müssen. Es geht der globalisierten Nation um die Zurichtung von Menschen, die weder in ihrer Arbeit noch in ihrem Verlangen Sinn finden können, die also nichts mehr für sich empfinden dürfen, die ihr Leben dem Kapital weihen und in der Lage sind, ihrer Erlebensgier ihr Leben zu opfern.

Bedürfnislosigkeit als Prinzip der Selbstausbeutung flexibler Persönlichkeiten

Der Lebensentzug findet nicht nur außerhalb der Menschen, sondern auch in ihnen selbst statt. Und das ist das eigentliche Problem der Menschen in unseren Breitengraden. Hier herrscht kein substanzieller Mangel. Angebote von Gütern aller Art gibt’s im Überfluss, weil hier das Kapital vor allem das Problem hat, seine Wert-Produktion in Gang zu halten und deren Krisen zu überwinden und von daher immer mehr produzieren muss, um seinen Wert überhaupt zu erhalten und abzusichern. Es ist nicht neu, was dann als Problem auf der Ebene der Konsumtion auftritt:

"Der letzte Grund aller wirklichen Krisen bleibt immer die Armut und Konsumtionsbeschränkung der Massen gegenüber dem Trieb der kapitalistischen Produktion, die Produktivkräfte so zu entwickeln, als ob nur die absolute Konsumtionsfähigkeit der Gesellschaft ihre Grenze bilde." (Karl Marx, MEW, Bd. 25, S. 501).

Nichts wäre dem Kapital lieber, als eine allgemeine Sucht der Menschen nach unendlich vielen Produkten, die durch eine immer selbstlosere und geringer wertige Arbeit verdient werden müssten, also eine hohe Abhängigkeit enthalten. Massenkonsum ist so auch zum Hauptmerkmal des globalen Kapitalismus geworden, der sich durch den Wertimport aus armen Ländern dahin gewendet hat, den Konsum in den reichen Ländern anzufachen, auch wenn dieser dort keine gesellschaftliche Substanz hat, nicht unbedingt die Bedürfnisse befriedigt, die in reichen Ländern entstehen. Der Vielfalt ihrer Beziehungen begegnen die erschwinglichen Produkte geradezu einfältig, oft nur noch virtuell. Die Absatzwerbung muss daher Reize wecken und hervortreiben, die den Absatzbedarf an Massenartikel fördern, auch wenn sie nicht gerade geistreich sind. Aber als Masse der Außergewöhnlichkeiten übertönen sie die Einförmigkeit aller Produktionszwänge, als Kultartikel genügt auch oft der Anschein von Befriedigung, die sie verheißen.

Doch auch in den Ländern, worin viel Kapital steckt, sind die Mittel für die Menschen knapp. Die Menschen sind in den Geldverhältnissen reicher Länder zu arm, um alles zu erstehen, was abgesetzt werden müsste, um jede Krise zu meistern. Außerdem leben sie inmitten der Technologie, welche die Massenproduktion antreibt und welche das Kapital immer mehr zur Kapitalentwertung zwingt, in eine beständige Rationalisierungsnot stürzt. Was den Menschen hier bleibt, ist bloße Masse sowohl als Arbeit, als auch als Gegenstände des Konsums. Sie schuften sich fast zu Tode für etwas, das sie nur dafür brauchen, um nicht zu empfinden, was ihnen fehlt. Sie können daher für diese Gegenstände keinen Sinn haben, aber es sind die Dinge, die ihnen erschwinglich bleiben. Die Masse muss also vor allem billig sein, auch wenn das knapp oder vollständig an der sinnlichen Substanz des wirklichen Bedarfs vorbei geht. Die Bedürfnisse der Menschen sind in dieser Bestimmung ziemlich gleichgültig, solange eben nichts anderes geboten wird. Hie und da wird dies durch alternative Märkte durchbrochen (vergl. z.B. die Ökomärkte), die aber zugleich durch Verteuerung und Geldentwertung auch wieder für einen großen Teil der Menschen unerschwinglich werden.

Der Prozess der Entwicklung von Bedürfnissen, der auf einem bestimmten Stand der Produktivität beruht, der Kulturprozess selbst gerät ins Stocken. Wo die Masse herrscht, kann Neues nicht entstehen, gibt es keine Geschichte. Es geht um die Quantifizierung bestehender Bedürfnisse, und damit um ihre Formierung, um die Formbestimmung von Bedürfnissen, die in die bestehende Massenproduktion eingebahnt werden müssen (4). Es scheint daher, als ob hier die Bedürfnisse der Menschen überhaupt nicht mehr entwickelt oder artikuliert werden müssen, keine Geschichte mehr haben, weil sie von vornherein dem Quantifizierungsbedürfnis des Kapitals entsprechen, dass sie selbst nur gierig geworden sind auf mehr, schneller, weiter und größer von dem, was schon da ist. Solche Bedürfnisse sind in der Tat Bestandteil einer tatenlosen Massenkultur, Formbestimmtheit eines Verlangens, das seine Notwendigkeit nicht erkennt, keinem Sinn folgt. Sie werden schon durch das Angebot befriedigt, durch den Reiz einer Sache, die schon verzehrt ist, bevor aus den Lebensverhältnissen der Menschen überhaupt ein Verlangen nach ihr richtig aufkommen kann. An den Mitteln zur Befriedigung mangelt es nicht, das ist hier kein gesellschaftliches Problem mehr. Es mangelt allgemein an wirklichen Lebensmitteln, an Mitteln, die zum Leben nötig sind, an erschwinglichen Wohnungen, guter Ernährung und natürlichen Lebensumständen, an Lebendigkeit, an Tiefe und Sinn im Leben der Menschen, für das sie auch tätig sein wollen. Stattdessen steht Masse im Angebot, unendlich viele und oft sinnlose Dinge, Gegenstände, die kein Verlangen befriedigen sondern nur ein Verlangen erwecken, das sich auf einen Reiz reduziert, der Erlebnisse verheißt, wo kein Leben mehr ist, der durch Erleben die Selbstwahrnehmung befriedigt, die sich in Selbsterregungen lebendig oder zumindest zu Hause fühlt. Das Verlangen bezieht sich dann auf Anreize, welche es auslösen, um es in Erlebnisse aufzulösen, in welchen Aufregungen verpuffen. Bedürfnisse verflüchtigen ihre Regungen zur Form von Erregung, die ihre Beziehungen aufgehoben haben und beständig erneut aufheben, in der Flüchtigkeit eines Befriedigungsstrebens, das in Erlebnissen aufgelöst wird, welche Erregungen tilgen. In diesem Streben werden alle Gegebenheiten einverleibt, ohne dass sich ein Mensch wirklich auf sie bezieht. Das Erleben von Befriedigung hat nurmehr Reize zum Anlass und sich wirklichem Verlangen enthoben. Durch das expandierende Selbsterleben werden wirkliche Bedürfnisse zerstört.

Aber diese machen das menschliche Leben aus. Das Bedürfnis ist das notwendige Verlangen des Lebens nach seinem Gegenstand, nach seiner Vergegenständlichung in seiner Naturstofflichkeit, Grundlage aller menschlichen Geschichte und menschlichen Identität. Das, was die Entfaltung in eigener Lebenswirklichkeit, die Freiheit des Menschen zu eigener Lebensgestaltung ausmacht, bestimmt sich aus den Bedürfnisen, die Menschen aus ihrer Beziehung zueinander entwickeln. In den menschlichen Bedürfnissen steckt die Substanz des menschlichen Lebens, ist die Subjektivität der Freiheit, welche Einsicht in ihre Not, in die Notwendigkeit und Bedingung ihres gegenständlichen Verlangens hat (5).

In den Bedürfnissen der Menschen geht es nicht einfach um Befriedigung im Sinne von Zufriedenheit. Sie entwickeln und entwerfen darin den Gegenstand ihrer Befriedigung aus der Entfaltung, die sie eröffnet, das Verlangen nach Entwicklung und Gestaltung des Lebens. Bedürfnisse machen den Fortschritt und Sinn einer jeden Geschichte aus, das Glück des „In-der-Welt-seins“. Wo es keine wirklichen Bedürfnisse mehr gibt, da ist die Freiheit der Menschen und also ihre Geschichte aufgelöst. Ohne die Freiheit, zu bestimmen, was ihnen nötig ist, ohne ihr Verlangen nach einer Lebensgestaltung, welche sich in den Notwendigkeiten des Lebens gebildet hat, löschen sie ihre Subjektivität, ihr Dasein als lebendige Subjekte aus.

Bedürfnisse, die gebeugt werden, beugen den Menschen, seine Natur. Gebeugte Menschen sind flexibel, aber zugleich ohnmächtig, einerseits aus existenzieller Not, aber andererseits auch widerstandslos gegen ihre Bedingungen. Ihre Beugung kann daher nicht nur erzwungen sein; sie dient zugleich dem Vorteil , den sie erbringt: Der Gewinn der Selbstüberwindung durch die Befriedigungspotenziale des Geldes. Hierdurch erscheint die Ohnmacht aufgehoben, überwunden durch ein leeres Potenzial zur Erlangung von irgendwelcher Befriedigung allein durch die Macht, welches Geld in der eigenen Tasche darstellt. Dieses kursiert in Dienstleistungsgesellschaft daher wie ein Lebensmittel für das Leben flexibler Personen. Diese füllen weitgehend den Teil unserer Kultur aus, wo Geld noch wirklich herrscht (6).

Die Fragmentierung der Individualgeschichte zeigt den permanenten Verlust von Bindungen auf mit bedeutet zugleich eine Zunahme der Flüchtigkeit von Beziehungen, unrealisierbare Bedürfnisse, welche sich als universelles Verlangen nach Beziehung jedweder Art umsetzt. Die Menschen geben ihre Bindungen nicht wirklich freiwillig auf und sie verlieren ihre Bedürfnisse nicht, weil sie falsch denken würden oder von sich aus falsche Erkenntnisinteressen hätten, wie das in diversen politischen Haltungen reflektiert ist. Es ist umgekehrt: Sie werden bedürfnislos, wo ihnen ihr gegenständliches Leben keinerlei Gewissheit vermittelt bis auf die eine, dass sie es überleben müssen, dass ihre Lebensmittel lediglich ihre Existenz in ihrer existenziellen Isolation ermöglichen und damit ihr wirkliches Verlangen, ihren wirklichen Hunger, ihren Hunger nach gesellschaftlicher Wirklichkeit ihres Lebens, nicht befriedigen können. Bedürfnislosigkeit entsteht nicht durch falsche Vorstellungen oder Ideologie. Sie entsteht, wo Bedürfnisse ihren Sinn wirklich verlieren, entkernt werden, wo es unendlich bestimmte Befriedigung gibt, die ihre Regungen aufhebt, ohne Sinn zu vermitteln. Es sind abstrakte Befriedigungsmöglichkeiten, die den Anschein von Befriedigung durch Gegenstände erzeugen, welche den Bedürfnissen der Menschen im Grunde gleichgültig sind, ihnen gleich gelten, aber als allgemeine Möglichkeit zu jedweder Befriedigung erscheinen, Erregungen beruhigen ohne zufrieden zu machen, ohne zum Frieden zu kommen. Da geht es dann nur noch um eine Welt der Möglichkeiten abstrakter Mittel und abstrakter Vermittlung ohne die Gewissheit eines wirklichen Friedens mit sich und der Welt. Da geht es nicht um das Glück des Menschseins unter wirklichen Menschen, sondern um dessen Auflösung in seine absolute Vereinzelung, reduziert auf die schlichte Nutzbarkeit körperlichen Daseins, bloße Gier nach Sachen und Menschen, für die kein Sinn mehr ist, durch deren Gegenwärtigkeit und Anwesenheit aber immerhin der Mensch selbst und für sich nicht erleben muss, was er in der Auflösung seines gesellschaftlichen Wesens erfahren würde: Den Selbstverlust des eigenen Lebens. Es geht in dieser Gier daher vor allem um das Geldverdienen als einziges Mittel, in dieser Welt, im bedürfnislosen Befriedigungsstreben aufzugehen und alles zu vernutzen, was hierfür taugt, und sei es die eigene Menschlichkeit.

Dieses Streben besteht im Grunde nur aus dem Versuch, die eigenen Notwendigkeiten als Objekt von Geldverhältnissen zu überstehen, um durch sie belebt zu werden, um den eigenen Sinnverlust durch eine Herrschaft über die Befriedigungsmittel zu kompensieren, um sich darin also als Subjekt dieser Verhältnisse zu erscheinen, sich im Erleben von Befriedigung zu gewinnen – sich selbst zu erleben. Dies macht auch den Zweck und Antrieb einer Individuation aus, die sich freiwillig erscheint, wiewohl sie Reaktion auf Sinnlosigkeit ist. Im Geldverhältnis ist jedes Individuum als Mensch doppelt bestimmt: Subjektiv als Zwischenmensch, der sich allseitig auf die Menschen bezieht, sich durch ihr Leben vermittelt und bildet und daher in seiner Selbstbezogenheit allgemein menschliche erscheinen kann. Und objektiv ist es bestimmt in dem einseitigen Zwang, Geld zu erwerben, selbst Sache des Geldbesitzes zu sein, um sich als allgemeines Individuum zu erhalten. Der Geldbesitzer ist der leibhaftige Zwischenmensch, der zwischen sachlichem und menschlichem Sein sich im Zweifel um seiner selbst willen bewegt und weder das eine noch das andere wirklich beherrschen kann, worin er sich mächtig fühlt. In allem muss er flexibel, also gebeugt sein, weil er selbst nichts sein kann, weil seiner Welt der Möglichkeiten eine Nichtigkeit zugrunde liegt, die Lebensangst macht, wenn und wo sie wahr wird (7).

Den überschäumenden Angeboten, die hierzulande menschliche Bedürfnisse durch ihre Bestimmungslosigkeit anreizen, um sie in eine Befriedigungsgier zu verwandeln, um die eigene Bedürfnislosigkeit durch Abfüllung zu überleben, stehen auf der anderen Seite der Welt die Überlebensbedürfnisse der Menschen in den armen Ländern gegenüber, die alles tun, nur um an die wichtigsten Lebensstoffe heranzukommen. Das menschliche Bedürfnis erscheint in diesem Zusammenhang selbst weltweit zweigeteilt. Einmal als Form aufgehobener menschlicher Beziehungen, als Massenerregung, als eine Form der Selbstüberhebung über alles Lebendige, und einmal im Verlust seiner lebensnotwendigen Stofflichkeit, wodurch der bedürftige Mensch zur Selbsterniedrigung kommt, zum Knecht seiner Lebensnotwendigkeit wird. Der menschliche Reichtum, welcher das Vermögen der Menschheit darstellt, wird hierdurch insgesamt und weltweit, seiner sinnlichen Basis entleert (8). 

Bedürfnisse als gesellschaftlicher Sinn menschlicher Kultur

Auf der ganzen Welt sind die menschlichen Bedürfnisse in den Widerspruch zu ihrem Sinn geraten. In der Abtrennung von ihrer menschlichen Lebenswirklichkeit ist dies zwangsläufig. Sie haben nurmehr einen abstrakt realisierten Sinn für ihr Leben, in welchem sie nach Erleben wie auch nach Lebensmittel zum bloßen Überleben verlangen. Im Hunger bleibt die Speise ebenso abstrakt, wie es der Reiz ist, welcher die Erlebnisgier anfacht. Beides ist nurmehr Begierde, welche die Menschen abhängig macht und als Abhängige, also in der Knechtschaft ihrer Sinne hält, um politische Macht über sie zu haben. Was hierzulande als Armut an wirklichem Sinn für die Notwendigkeiten des Lebens grassiert, ist anderswo die Armut der Menschen, welche von der Zerstörung ihres Lebens durch Ermangelung von lebenswichtigen Stoffen bedroht sind. Obwohl beides völlig verschiedene Formen der Armut sind, stehen doch alle Menschen davor, sich von den abstrakten Beziehungen überhaupt befreien zu müssen, die ihnen durch die Verwertungsinteressen des Kapitals aufgezwungen sind. Man kann deshalb sagen: Die Befreiung der Menschen vom globalen Kapitalismus muss die Entwicklung und Verwirklichung eines internationalen Bedürfnisses nach einer menschlichen Lebenswelt sein. Es geht also weltweit um das Bedürfnis nach einer menschlichen Kultur in den vielen Kulturen, welche die Menschen haben. Dies muss die Gewissheit, die Basis allen Bewusstseins hierzu sein.

Die Gegenstände der Bedürfnisse entstehen durch Arbeit. Sie ist zunächst erst mal der Aufwand für ihre Verwirklichung, der nur Sinn hat, wenn er wirtschaftlich betrieben wird, also mit geringstem Aufwand optimale Produkte erzeugt. Wie das Bedürfnis die Arbeit erfordert, um ihren Sinn zu verwirklichen, so erzeugt die Arbeit zugleich auch den Sinn für Bedürfnisse, gestaltet die Form ihrer Wirklichkeit, verlangt ein Verhältnis und Gefühl zur Natur ihrer Gegenstände. In ihr veräußern die Menschen ihre Kraft und ihren Geist, um ihren Sinn auch wirklich zu erfahren, menschliche Wirklichkeit zu erlangen. Arbeit ist die Verwirklichung des Sinns, den Bedürfnisse haben, um in ihren Gegenständen deren Befriedigung wirklich zu erfahren. Sie ist daher genauso gesellschaftlich, wie es die Bedürfnisse sind, hat denselben Sinn wie diese, ist die Verwirklichungsform ihrer Inhalte und Fähigkeit nach die Voraussetzung dafür, dass neue Bedürfnisse entstehen können. In den Arbeitsformen zeigt sich die Form menschlicher Sinnbildung. Menschliche Kultur ist beides in einem.

Wo eine Kultur vor allem eine Kultur des Befriedigungsstrebens ist, eine andere die Kultur der Notwendigkeiten des Stoffwechsels, der Arbeit und der Ausbeutung, entzweit sich die Welt. Im kulturellen Auseinanderfallen der Arbeitsprozesse und den Bedürfnissen der Menschen vollzieht sich ihre Selbstentfremdung als Entfremdung von ihren Bedürfnissen und vom Sinn ihrer Arbeit selbst. Kultur kann nur entstehen, wo sie frei und zugleich notwendig ist, den wirklichen Verhältnissen der Menschen, den Verhältnissen von Arbeit und Bedürfnissen entspringt, die sich darin zusammenfinden. Die bisherigen Gesellschaftsformen waren immer noch im Kampf um die Wirklichkeit der einen gegen die der anderen befangen, weil die Menschen noch einem Mangelverhältnis zu ihrer Natur unterworfen waren, weil ihre Produktionsmittel zu einer allgemein menschlichen Wirklichkeit noch nicht hingereicht hatten. Sie teilten sich in Klassen, worin die einen die anderen dazu bestimmten, ihren Reichtum als Herrschaftsmittel für sich und damit die Armut und Knechtschaft für jene zu produzieren. Im bisherigen Kapitalismus war die Industrie der gesellschaftliche Ort, worin dieser Gegensatz ausgetragen worden war. Heute ist die ganze Welt eine Fabrik und jede Zelle darin ein Raum von Armut oder Reichtum. Jedes Land, jede Gemeinde, die kommunalen Lebenswelten überhaupt bis hin zu den Familien, ja, bis in die Selbstwahrnehmung der Individuen selbst hinein, ist inzwischen ein Ort, worin Bedürfnisse und Arbeit vollkommen isoliert und getrennt voneinander und jenseits aller menschlichen Kultur ihr abstraktes Dasein fristen. Wird menschliche Entfremdung insgesamt als kulturelle Entfremdung, als Entfremdung der Menschen von ihrer Kultur begriffen, dann sind die Kommunen der Ort, worin dies ausgetragen wird und worin dies daher auch umkehrbar ist. Und weil kein kommunaler Lebenszusammenhang ohne den einer anderen Kommune mehr funktioniert, kann diese Umkehrung auch nur im Zusammenhang der Kommunen sich international wahr machen.

Die Internationalisierung der Bedürfnisse verläuft daher vor allem im internationalen Zusammenhang der Kulturen und ihrer gesellschaftlichen Formen. Sie sind nicht von Natur bestimmt und nicht durch Politik formiert. Sie sind wesentlich Kulturräume einer Kulturgeschichte der Menschen die dort geboren oder zugewandert sind, geschichtliche Lebensform ihres gesellschaftlichen Reichtums. Und sie werden von den Menschen getragen, die diese Räume mit ihrem Leben ausfüllen, gleich, wie sie da hin geraten sind. Als Formen des menschlichen Bedürfnisses verwirklichen sie aber vor allem das höchste Bedürfnis überhaupt: Das „Verlangen des Menschen nach dem Menschen“ (Marx) zu einem Dasein von Menschen, denen „der Mensch als das höchste Wesen für den Menschen“ gilt (Marx).

Kulturen sind keine heile Welt sondern Lebenswirklichkeit menschlicher Bedürfnisse und menschlicher Arbeit in ihren Auseinandersetzungen, ihren Kämpfen und Streitigkeiten um die Verwirklichung der Bedürfnisse. Das Bedürfnis kann darin nicht einfach und willkürlich sondern muss als wesentliches Moment einer Freiheit begriffen sein, das sich im Verhältnis zu anderen Menschen und Kulturen ergibt. Das Verlangen schließt Anderssein ein und nimmt es in der Beziehung hierauf als Befruchtung, nicht als Fremdes, auf. Das Wissen um die Bereicherung, welche Auseinandersetzungen erbringen können, die Wechselseitigkeit von Kritik und Lebensgestaltung, macht das Bewusstsein kultivierter Beziehungen aus und menschliches Leben konkret, unabhängig von seinen Abstraktionen. Die hierfür nötige Arbeit ist lediglich der Aufwand und Umstand solcher Bedürfnisse, kann sie also niemals jenseits der Auseinandersetzung um die Bedürfnisse und ihre Verwirklichung bestimmen.

Das Land gehört den Menschen, die es beleben. Es ist das Material einer jeden Kultur und Wirtschaft. Keine Kultur ist zufrieden ohne Land. Darin steht sie in bleibendem Unterschied zu anderer. Das macht das Material ihres Stoffwechsels und ihrer Verhältnisse zu anderen Kulturen und ihr Ausgleich mit ihnen aus. Wo aber Kultur Objekt des Kapitalinteresses ist (z.B. durch die Bodenschätze eines Landes, durch Immobilien, Energieversorgung, Verkehrsmittel usw.), können sich die Menschen dem nur entziehen, indem sie ihr Land und ihre Lebensmittel sich aneignen oder selbst erzeugen, um in ihren Lebensgrundlagen frei zu sein und die Erzeugnisse, die aus eigenen Mitteln nicht möglich sind, durch Vertragsarbeiten zu erwirtschaften. Kein Mensch soll das Recht haben, von der Not eines anderen zu leben, keine Unternehmung die Menschen erpressen können, Gut und Lebenskraft gegen etwas einzutauschen, das weder das eine noch das andere, sondern nur blanke politische Kapitalmacht ist. Der Kapitalismus kann nur in den und durch die Kommunen überwunden werden, die ihn für sich überflüssig machen können. Sie sind die Grundform der schon allseits vorhandenen menschlichen Gesellschaft.

Diese Form ist mittelbar und unmittelbar noch durch das Kapital bestimmt und wird zunehmend an Substanz verlieren, wenn in den Kommunen die Menschen nicht hiergegen aufstehen und ihre eigenen Zusammenhänge gestalten und geltend machen. Solange es um Geld geht, wird einfach kassiert, wird in Rechnung gestellt, was diese Zusammenhänge kosten, was als ihr Preis bestimmt ist und was gezahlt werden muss. Das ist ein Unding für Menschen, die ihre Zusammenhänge längst schon geschaffen haben, bevor ein Staat oder ein Unternehmen hierfür Geld haben will. In ihren Geldverhältnisse, Steuern und Sozialabgaben und ihren Selbsterhaltungs- und Arbeitsformen vollzieht sich vor allem die Aneignungsmacht des Kapitals im einzelnen wie auch allgemein, nicht, weil das Kapital übermächtige überregionale Zusammenhänge verkörpern würde, weil sich seine politische Form, der Staat am besten um das Wohl der Lebenszusammenhänge, um Gesundheit, Alter, Bildung usw. kümmern würde, sondern weil es solche Zusammenhänge überhaupt nur dafür errichtet und danach bemisst, dass es Wert einbringt, worin Geld investiert wird. Auch der Staat vermittelt lediglich das zur Privatheit hin Abgetrennte, damit dessen Abhängigkeit und Bindung wertmäßig ausgeschöpft werden kann. Es kommt drauf an, dies durch einen kommunalen Reichtum, welcher menschliche Beziehungen verwirklicht und entwickelt, im einzelnen wie auch allgemein in den Ländern und in der Welt überflüssig zu machen, die Versorgung aus eigenem Material und Sozialvermögen zu bewältigen und die eigene Natur zuerst für sich selbst auszuschöpfen und mit anderen auszugleichen, die sich selbst zum Ausgleich bereit finden.

Wie kann Geld und Kapital überflüssig werden?

Natürlich kann eine Gesellschaft, die an der Macht des Kapitals scheitert, nicht dadurch zu einem menschlichen Leben hin verändert werden, dass man Anteile an dieser Macht, dass man Geld oder Devisen oder Aktienanteile zur Bestechung seiner Selbstaufopferung nimmt oder fordert. Leben entsteht nicht durch Geldbesitz und wird auch nicht dadurch möglich oder besser, dass das Kapital aufgefordert wird, mehr Geld abzugeben, dessen Wert es sowieso durch die Verhältnisse bestimmt, die es erzeugt. Zur Emanzipation von solchen Verhältnissen kann es im Wesentlichen nicht mehr um die Forderung nach mehr Geld, mehr Lohn, mehr Wertanteile gehen (9).

Es geht wesentlich nicht um Geldbesitz noch um Besitztümer überhaupt, es geht um das Eigentum der Menschen an ihren eigenen Lebensäußerungen, um die Aneignung ihres wirklichen Reichtums, den sie darin gebildet, aber noch nicht wirklich für sich haben. Es geht nicht nur um Eigentum an Sachen, sondern an dem ganzen Lebensverhältnis selbst, welches ihr Zusammenwirken ausmacht, um menschliche Kultur. Es geht um die Erhaltung und Entfaltung eines menschlichen Gemeinwesens, welches in der Lage ist, menschliche Kultur gegen die Abstraktionsmacht des Geldes zu stellen, sich von seiner objektiven Bestimmtheit zu unterscheiden und die herrschenden Lebensbedingungen der Menschen zu subjektivieren, sie den Menschen selbst zu überlassen. Es kann sich dabei nur um eine Gesellschaft handeln, in welcher Besitz in wirklich menschliches Eigentum übergeht, um eine Gesellschaft, in der letztlich auch die Aufhebung der Geldverhältnisse stattfinden kann, die Aufhebung von Geld, Lohn und Mehrwert – und wenn auch vielleicht erst mal nur um die Reduzierung des Geldes auf seine Funktion als Zahlungsmittel.

Doch das klingt kühn, wo sich inzwischen hierzulande fast niemand mehr vorstellen kann, dass es ein Leben ohne Geld überhaupt geben kann. Wie soll eine dermaßen komplexe Verflechtung des Weltzusammenhangs durch das Kapital einfach zu kippen sein? Wie soll man auf Zahlungsmittel verzichten, solange dafür die Lebensmittel eingetauscht werden müssen? Nein, so einfach geht es wirklich nicht, vor allem nicht mit dem „Kippen“. Wir können nicht einfach das Kapital kippen. Das Kapital macht das aber schon von selbst. Es ist selbst schon objektiv unsinnig und für die Menschen irreal, reine politische Gewalt, die nicht mal für sich selbst irgendeinen förderlichen Zweck zu verfolgen mag, bis auf die Selbstbereicherung einiger Individuen, die Bildung von Privatbesitz durch die Ausbeutung von besitzlosen Menschen, von Kulturen und Natur.

Das Kapital kann seine Warenwerte selbst nicht mehr realisieren, weil seine Lohnzahlungen nicht mehr zum Konsum der gigantischen Warenwelt ausreicht, welche das Kapital zu seinem Selbsterhalt absetzen müsste. Es steht mit seinem Verwertungsprozess in einer nicht mehr enden wollenden Krise, will Arbeit ziehen, wo gar keine Arbeit mehr ist. Seine Verhältnisse funktionieren immer weniger ökonomisch und immer mehr nur durch politische Gewalt. Der bürgerliche Staat funktioniert nicht mehr, die parlamentarische Demokratie erweist sich als Absurdität eines abergläubischen Wählerverhaltens, die Industrie als überholt. Alle Maßstäbe des Bürgertums - Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit - verkommen zu einer zynischen Attitude für verkommene Lebensverhältnisse. Das Kapital setzt auf einen Fortschritt der Technologie, um Geld zu machen und zerstört, was Geld überhaupt ausmacht: Die Zirkulation und Anwendung der Produktions- und Reproduktionsmittel (10).

Die Bindung der Menschen an die gesellschaftliche Macht des Kapitals ist nur scheinbar. Seine stofflichen Produkte gibt es auch ohne dies und die Menschen nutzen sie, kommunizieren damit, verkehren damit, konsumieren sie usw. Und wenn sich dies alles noch mehr als Erleben, denn als Leben vollzieht, so vollzieht es sich auch als beständige Enttäuschung, als Gewissheit unverwirklichter Beziehungen. Von daher sind die Menschen in der Erkenntnis ihrer Täuschung selbst reif geworden zur Reflexion einer gesellschaftlichen Form, die ihnen entspricht. Eine Chance der aktiven, d.h. subjektiven Veränderung der Gesellschaft besteht also darin, dass die Menschen ihre Lebensgrundlagen der Wertproduktion entziehen und sich die Produktions- und Reproduktionsmittel zu ihrer eigenen Sache machen. Das Kapital hat sich selbst ja schon zum großen Teil hiervon getrennt und seine eigenen Existenzmittel, die große Industrie, sich selbst überlassen. Es selbst musste die Technologien und Roboter bauen, um sich zu erhalten. Diese aber taugen für jeden Menschen und werden schließlich auch von Menschen erfunden und hergestellt. Es ist im Grunde das Kapital, das seinen eigenen Untergang produziert, weil ihm die stoffliche Produktion immer weniger nützt. Es versucht nur, ihn an die Menschen weiterzugeben, weil es nur Wert hat, wenn und solange ihm Menschen ihre Arbeit übereignen und ihm die Vermittlung ihres Stoffwechsels und ihrer Kultur überlassen. Es geht also nicht um das Kapital als politische Gewalt, die als solche alleine zu bekämpfen wäre; es geht auch um eine Gesellschaft, die diese nicht nötig hat (11). 

Humane Grundlagen einer Gesellschaft, wie sie heute schon vorhanden sind.

Ihre Basis hat eine menschliche Gesellschaft darin, dass die Menschen ihr Leben durch sie und sich in ihr erzeugen und erhalten, und das heißt: dass Menschen den Reichtum und die Vielfalt ihres Lebens, ihre Lebensbedürfnisse darin so entfalten können, wie es ihrer Natur entspricht. Ihr Gemeinwesen ist die geschichtliche Form ihrer Selbstbildung, ihre Kultur die vergegenständlichte Bildungsgeschichte ihrer Natur (12).

Kultur kann nicht im Gegensatz zur Natur wahr sein, also auch nicht das gesellschaftliche Verhältnis der Menschen hierzu. Gesellschaft ist das naturmächtige Zusammenwirken der Menschen in ihrer Kultur. Dies macht ihre Zivilisation aus. Basis einer menschlichen Gesellschaft muss daher sein, dass sich Kultur und Stoffwechsel als gesellschaftliche Beziehung verwirklichen können und dass sich ihre ökonomische Form hieraus ableitet und Gegenstände für menschliche Bedürfnisse hervorbringt – nicht allein in der Form des Nützlichen, sondern auch des Schönen, der Erkenntnis und der Lebensentfaltung (13).

Die Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse in diesem weitergehenden Sinn ist also die Grundlage menschlicher Geschichte. Darin beziehen sich die Menschen nicht nur auf sich selbst als kultivierte Wesen, als gesellschaftliche Menschen, sie vermitteln sich durch den Reichtum, der sich aus ihrer Bedürftigkeit herausgebildet hat, auch als Subjekte ihrer Geschichte. Ist der gegenständliche Reichtum der Menschen in einer unmenschlichen Form, so ist darin auch die Geschichte der Menschen formiert, zur Formbestimmung einer unmenschlichen Geschichte geworden.

Zugleich hat die menschliche Geschichte in ihrer Kultur auch ihre gesellschaftliche Form zu einem Sinn gebracht, der schon über sie hinaus ist, der sich in ihr nicht mehr bewähren und bewahrheiten kann. Das Verhältnis von Reproduktion und Produktion des Menschseins hat nicht mehr die Form, in der sie sich fortbilden kann, hat eine andere Form nötig, in der sie sich erst wirklich gestalten, sich verwirklichen kann. Was dem Inhalt nach schon in den Beziehungen der Menschen – wenn auch noch unwirklich – vorhanden ist, muss die Form sprengen, durch welche sie reduziert und beherrscht wird. Die Produktions- und Kommunikationsprozesse, die kulturellen Verbindungen, die Bedürfnisse und Erwartungen usw., wie sie schon innerhalb der bestehenden Lebensformen zu erkennen sind, lassen sich nicht auf Dauer reduzieren ohne sich zu zerstören. Sie müssen sich gesellschaftlich zusammenzufügen, um aus ihrem vereinzelten Dasein als kulturelles Ereignis, als mediale Reflexion, als Wissen im Internet oder auch im Erleben und Erfahren der Alltagskultur heraus zu kommen. Sie müssen sich als Bedürfnis einer Kultur begreifen, welche die bürgerliche Kultur überlebt hat und sich von dieser nicht mehr beherrschen lässt, um sich als Kultur einer Gesellschaft, und wenn auch zunächst nur als das Bedürfnis nach einer neuen gesellschaftlichen Form, zur Wirklichkeit zu bringen.

Gesellschaft in Veränderung

Eine formbestimmte Gesellschaft verändert sich vor allem objektiv, also aus Gründen, welche nicht aus dem menschlichen Leben bestimmt sind. Deshalb verläuft ihre Entwicklung nur nach sachbestimmten Notwendigkeiten, nach Sachgewalten, die gegen das menschliche Leben gehen, auch wenn sie sich als gesellschaftliche Notwendigkeiten der sachlichen Gegebenheiten darstellen. Doch Sachen werden nicht gegeben, sie werden produziert. Eine Veränderung der Gesellschaft verlangt für die Menschen eine Aufhebung der Sachgewalt, die doch nichts anderes ist als die Allgemeinheit der Formbestimmung, welche in den Sachen haust: Der Verwertungszwang des Kapitals. Das Wissen, dass die Sache der Menschen nur eine menschliche Sache sein kann, dass die Gesellschaft nichts anderes sein kann als menschliche Kultur, formuliert eine Kritik der sachnotwendigen Logik der Kapitalwirtschaft. Es ist die Kritik an einer Ökonomie, die ihre Politik als Sachzwang ausgibt, ist Kritik einer politischen Ökonomie.

Aber diese impliziert, dass es eine andere Ökonomie, eine Ökonomie der menschlichen Arbeit gibt, die nicht im Widerspruch zu menschlicher Kultur steht, dass es also auch bereits einen Bedürfniszusammenhang gibt, der kultiviert ist, wenn auch nicht in der herrschenden Form der Wertproduktion. Gesellschaftsveränderung macht daher die Verwirklichung ihrer Subjektivität, die Vorkehrung der Wirklichkeit ihrer Subjekte nötig. Sie kann also nicht durch die Findung einer objektiven Alternative entstehen und auch nicht aus der Zerstörung einer bestehenden Gesellschaft hervorgehen, sondern nur aus der Überwindung ihrer anachronistischen Form, die sie gegenwärtig hat. Es geht subjektiv bei einer Gesellschaftsveränderung nicht um neue Bedürfnisse, es geht um die Verwirklichung der bestehenden Bedürfnisse in einem Arbeitsprozess und einer Kultur, die ihnen entspricht. Es geht um die Erkenntnis des menschlichen Gemeinwesens, das bereits da, aber noch nicht wirklich ist, also zur Verwirklichung ansteht. So hat dies auch schon Karl Maarx vor 150 Jahren formuliert:

„Es wird sich zeigen, daß die Welt längst den Traum von einer Sache besitzt, von der sie nur das Bewußtsein besitzen muß, um sie wirklich zu besitzen. Es wird sich zeigen, daß es sich nicht um einen großen Gedankenstrich zwischen Vergangenheit und Zukunft handelt, sondern um die Vollziehung der Gedanken der Vergangenheit. Es wird sich endlich zeigen, daß die Menschheit keine neue Arbeit beginnt, sondern mit Bewußtsein ihre alte Arbeit zustande bringt.« (MEB 40, S. 346).

Die Potenziale der Reproduktion der Menschen und ihrer Produktion sind längst vorhanden, der Reichtum an Mitteln für ein sinnvolles menschliches Leben ist gigantisch. Es kommt nur drauf an, die der Entwicklung der Menschen zu überlassen und das setzt voraus, dass begriffen ist, dass die Ausbeutung von Menschen und Kulturen gegen die Menschheit überhaupt geht. Es geht darum, die Entwicklung der Menschen und ihrer Kulturen aus den Möglichkeiten des wirklich gesellschaftlichen Reichtums zu gestalten und davon auch abzugeben, wo er zuviel ist und von daher als Gewalt von Kulturen über andere Kulturen herrscht, anstatt ihnen zu ermöglichen, in dieselben Freiheit der Bedürfnisse einzutreten, welche dieser Reichtum allen Menschen möglich machen kann. Es geht bei der Kritik der Form des Gegebenen also auch darum, die menschliche Kultur gegen die Begierden des Kapitals zu schützen und ihre Fortentwicklung, die Entwicklung der Bedürfnisse und der Arbeit zu ermöglichen, die Mittel hierfür bereitzuhalten und nötige Mittel zu planen.

Eine veränderte Gesellschaft ist nur dann auch eine wirklich andere Gesellschaft, wenn sie das substanziell enthält, was die bisherige Gesellschaft an Reichtum entwickelt hat und in die Form bringt, die dem entspricht. Sie ist die neue, diesem Reichtum entsprechende Form, durch welche eine neue Geschichte möglich ist. Dies verlangt, dass darin die Inhalte sich entfalten können, die durch anachronistische Formen beschränkt wurden, dass es eine Form ist, welche den Menschen aus der Gegenwart eine Zukunft ermöglichen kann, die sonst verwehrt und der Ausbeutung der nachfolgenden Generationen bereits zugewiesen ist.

Doch was macht diese Form dann aus? Die Befriedigung des Reproduktionsbedürfnisses der einzelnen Menschen entspricht weiterhin der allgemeinen gesellschaftlichen Notwendigkeit zur Erzeugung von Arbeitsprodukten, welche jedem Menschen zukommen, wie auch jeder einzelne Mensch der Gesellschaft zukommt. Er ist das „Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse“ (Marx), sowohl in der Art, wie er sich erhält, als auch in der Art und Weise, wie er sich erzeugt. Gesellschaft ist in ihm, wie er in Gesellschaft ist. Der Hunger des Einzelnen ist der Hunger seiner Gesellschaft, seine Beschädigung ist ein gesellschaftlicher Schaden. Gesellschaft besteht aus ihm, wie er aus ihr, als sein wirklicher Lebenszusammenhang durch sein wirkliches Leben, durch alles, was sein Leben verursacht und bewirkt (14).

Die Beziehung der einzelnen Menschen zu ihrer Gesellschaft kann keine Erpressung ihrer Abhängigkeit als Einzelwesen enthalten, das für sich gerade durch seine gesellschaftliche Grundlage de facto lebensunfähig ist. Sie beruht auf einem wechselseitigen Vertragsverhältnis, bei dem die Lebenserhaltung selbstverständliche Voraussetzung ist, also auch denen, die nicht arbeiten können, die Lebenserhaltung in gleicher Weise und gleichem Umfang zugesichert ist, wie den anderen.

Ein solches Gemeinwesen kann nur das Gemeinsame menschlicher Wesen sein, nicht die Bestimmung ihrer Besonderung, also keine gesellschaftliche Bestimmung. Das Gemeine kann sich nur aus den Besonderheiten des menschlichen Lebens ergeben. Wir müssen daher noch genauer über das Verhältnis von Bedürfnis, Arbeit und Gemeinwesen reden, wie es in den Kommunen wirklich auch möglich ist. Wir werden daher über die bereits vorhandenen Vorstellungen zum Kommunalismus und auch über dessen internationale Form reden, von Gemeinwesen, die keinen Nationalstaat mehr nötig haben, von internationalen Gemeinwesen und globalen Dörfern.

 

Wolfram Pfreundschuh

 

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Fussnoten:

(1) Tatsächlich aber kommt durch Kapital immer weniger zustande, was die gegenwärtigen Probleme der Weltwirtschaft, und die erscheinen vor allem in der Armut der Menschen, etwas auch nur im Geringsten verbessern könnte. Nicht mal für das Kapital selbst entsteht ein Forstschritt. Das Zusammentragen von Geld macht den Geldzusammenhang zwar mächtig, aber es erbringt immer weniger Mehrproduktion, die sich gesellschaftlich umsetzen lässt und realisiert daher auch immer weniger Mehrwert, gemessen am gesamten Kapitaleinsatz zur Produktion von Gütern. Die Produktionsmittel produzieren eine Menge an Produkten, welche ihre Werte nicht mehr kapitalisieren können und zu einem beträchtlichen Teil vernichtet werden müssen. Die verausgabte Arbeitskraft bleibt dennoch abhängig von einem Kapital, das sie nicht mal entsprechend ernähren kann, das ihre Grundkosten nicht mehr tragen kann und sich mit der Ausbeutung von Arbeit aus fremden Kulturen Grundlagen verschafft, durch welche die Arbeit hierzulande ernährt und damit zugleich entkultiviert wird, sie abhängig macht von den Wertverhältnissen in fremden Kulturen. Nur hierdurch lässt sich noch Mehrwert schöpfen. Aber wo die Arbeitskraft sich nicht mal mehr selbst durch ihre Arbeit vollständig reproduzieren kann, sondern selbst durch Wertimporte ernährt wird, profitiert sie auch selbst am Mehrwert des internationalen Wertverhältnis, ist nicht nur vom Kapital abhängig, sondern auch von seinem Wert, der nicht der ihre, wohl aber ihre Lebensbedingung ist. Sie ist einerseits reich an Wert, aber arm an Wirklichkeit, für sich entwertet, in der Welt aber mächtig. Sie ist im Reichtum an Wert, welcher weltweit ausgepresst wird, zugleich arm an Lebensvermögen, kulturell verarmt.

Dies ist eine Reaktion auf die Entwicklung von Technologie, die zunehmend nur noch im Verhältnis zu den armen Ländern zur Mehrwertproduktion taugt, weil Kapital sich durch die Abhängigkeit von Monokulturen der Verarmung gegen arme Länder mächtig gemacht hat. Es werden damit auch die Krisen des Kapitals nicht mehr in der eigenen Gesellschaft deutlich, Inflation der eigenen Währung kommt nur schleichend auf. Stattdessen wird die Ausbeutung der Besitzlosen immer mehr durch die Anwendung von Kulturmächtigkeit betrieben, und die Krisen des Kapitals nurmehr von zynischer Politik und durch Auspressung derer, die am wenigsten dafür können, überwunden.

(2) Diese Entwicklung hat das Bürgertum und seine Geschichte längst aufgehoben. Nach bürgerlichen Maßstäben lässt sich die Welt nicht mehr begreifen oder sich die herrschende Politik rechtfertigen. Mit Massenvernichtungswaffen werden Kriege ausgelöst gegen Massenvernichtungswaffen, die zudem beim vermeintlichen Kriegsgegner nicht mal mehr entdeckt werden können. Die wichtigsten Ressourcen der Natur - der Regenwald und die Gene der vieler Nahrungsmittel - werden dem Raubbau und der Verfälschung preisgegeben, die Lunge der Erde in den Palästen der Reichen als Schmuck verbaut. Die Installation von Geheimgefängnissen der USA in Europa und Konzentrationslagern wie Guantanamo hat de facto jedes Bürger- und auch Kriegsrecht in Frage gestellt. Die US-Währung ist zur Hälfte ungedeckt und betrügt alle, die mit ihr handeln, um die Hälfte ihres Werts. Viele Nationalstaaten sind inzwischen irreversibel verschuldet, also eigentlich bankrott, teils weil sie weniger Steuer- und Sozialgeldeinnahmen haben, teils weil ihre Devisen stürzen und teils weil ihre Kapitalbeteiligungen, ihre Wertpapiere und Aktien entwertet wurden.

Derweil hat die Ausbeutung von Menschen eine Wendung genommen und ihre „unsichtbare Hand“ verloren. Wenn es in den 80ger Jahren, in der Zeit der „Expansion der Weltmärkte“ – sprich Intensivierung der Ausbeutung der 3. Welt – noch so erscheinen konnte, als ob das Kapital inzwischen keine tiefen Krisen mehr entwickeln könnte, so erfährt es diese jetzt allseitig und total. Es kann sie nur noch abwenden, indem es weltweit die Menschen direkt zur Arbeit einzieht und ihre Arbeitsfähigkeit ausnutzt, die in der Androhung von Hungertod vegetieren und sich zu jedem Preis verkaufen müssen. Da gibt es die Bauarbeiter von Dubai, die für 40 Dollar die Woche den Ölmilliardären ihre Wolkenkratzer hinstellen oder die indische Bauern, die ihre Nieren für knappe 1.500 Euro nach Europa und die USA verkaufen, um ihr Saatgut zu erstehen oder um genetisch manipulierte Samen einzukaufen, die sich nicht mehr selbst fortpflanzen. Und es gibt die peruanische Bergbauern, die in den Goldminen für amerikanische und kanadischen Aktionäre schuften, um auf ihrem einstigen Ackerland die Lebensmittel zu erwerben, die ihnen zur Ernte auf ihrem Land durch den Goldabbau entzogen wurden, während der Goldabbau um 1.600 % angewachsen ist. Dies alles geschieht zu den Wertbedingungen der Reichen und den Lebensgrundlagen der Armen, wie eh und je, inzwischen allerdings auf des Todes Schneide.

Und auch bei uns gibt es viele Beispiele einer absurd gewordenen , bzw. an ihr Ende gekommene Logik des Kapitals, an die Finalität seiner Stringenz. Auch hier fordert der Aktienmarkt seine Tribute. Aktienwerte steigen, wenn Stellen gekündigt werden und Kündigung ist zum Hauptfaktor der Kaptalentwicklung geworden. Das finden inzwischen auch die klassischen Vertreter der „freien Marktwirtschaft“ wie Heiner Geisler und Norbert Blühm absurd. Aber auch die Deutsche Bundesbank macht fleißig mit. Sie hat in der ersten Hälfte von 2006 allein bei ihren Telecom-Aktien über 4 Milliarden Euro eingebüßt und so kann auch sie nur wollen, was die Regierung befürchtet: Kündigungen. Andererseits wollen sich die Einzelkapitale dadurch retten, dass Arbeit noch billiger wird, dass der Druck auf die Arbeitsleute steigt, indem z.B. Arbeitszeit verlängert werden soll, trotzdem immer weniger Arbeit vorhanden ist. Sie wollen, dass das Eintrittsalter in die Rente verschoben wird trotz Lehrstellen- und Arbeitsplatzmangel für die Jungen. Und die Bundesregierung erhöht die Mehrwertsteuer, obwohl die Wirtschaftskrise sich dadurch noch mehr verschärfen wird ... usw. usf.

Das Kapital produziert eine verrückte Welt, in welcher Menschen Kraft und Identität ihres Lebens opfern müssen, nur um die Subsistenzmittel für sich zu erhalten, um in der sozialen Wüste überleben zu können, welche durch das Kapital erzeugt wurde und immer weitergreifend erzeugt wird. Die bürgerliche Gesellschaft ist an ihr Ende gelangt und zu einer Gesellschaft geworden, die ihre Grundlagen nicht mehr in der Wertproduktion, sondern nurmehr und unmittelbar im Geldbesitz und dessen Vermehrung als ihren wesentlichen Zweck hat. Geld sollte zwar schon immer aus dem Einsatz von Geld mehr werden, aber doch vor allem durch die Produktion und Zirkulation von Warenwerten und ihre Häufung in einem politischen Verhältnis zum Gesamtprozess der Kapitalbildung und dem Wachstum der Beschäftigung und des Einkommens der Lohnabhängigen. Darin wurde Kapital immer wieder in die Warenwelt als ihre selbstständige Macht zurückgeführt.

(3) Als dieser dringt es überall vor, wo nichts mehr von Menschen bestimmt ist oder bestimmt werden kann, wo die Menschen ihre Ohnmacht verspüren, sich aber nicht ohnmächtig fühlen, wo sie Vernichtung empfinden, aber dem Nichts entkommen wollen. Da drängen sich die Kulturwerte in die zwischenmenschlichen Beziehungen der Menschen vor, die sich selbst hierdurch Wert verschaffen, zumindest Selbstwert, der zu ihrem allgemeinen Problem erstarrt ist. Das Kulturwerte heischende Kapital macht die abstrakte Welt der Wertgesellschaft bunt, ohne ihr wirklich Farbe zu verleihen. Das Kapital treibt es auf diese Weise einfach bunt in der Einfältigkeit seiner eigenen Wertgestalt. Es verwirtschaftet nicht nur diese Gesellschaft, sondern bestimmt sich auch noch dem Inhalt nach als ihren Dreh- und Angelpunkt, als Subjekt ihres Gemeinwesens, um als ihr Kultursubjekt zu erscheinen.

(4) Bedürfnisse entstehen qualitativ aus dem Verhältnis zu ihren Gegenständen. Darin vollzieht sich die Notwendigkeit ihrer Natur im Verlangen nach einer Sache, wie sie für den Menschen sein soll. Das unterstellt die Selbstbestimmtheit eines stofflichen und kulturellen Zusammenhangs, worin Gegenstände entstehen, welche zu menschlichen Bedürfnissen in irgendeiner Beziehung stehen. Aber wo sie durch Masse bestimmt sind, der Ausbreitung Desselben in Vielem folgen müssen, substantiviert sich nur ihr Quantum. Selbst wo die sogenannten Neuigkeiten auf den Markt kommen, ist leicht zu vermerken, dass sie qualitativ nichts Neues für menschliche Subjektivität erbringen. Wenn es nur um Geschwindigkeit, Buntheit und Ausdehnung geht, wird das Erleben zwar eindrucksvoller, nicht aber die Befriedigung der Menschen bereichert, die neues Tun erwecken, Geschichte bilden. Objektiv ermöglichen z.B. verbesserte Kommunikationsnetze und Verkehrsnetze usw. schnellere, universellere, flexiblere Beziehungen - die zugleich meist auch flüchtiger und oberflächlicher sind - aber wo sie einer qualitativen Veränderung des Lebens zu einem wirklich besseren, einen bereicherten Lebensstandard in Richtung Autonomie kleinerer Märkte dienlich wären, z.B. als Veränderung der Energieversorgung in Blockkraftwerken u.a., da versagt ihre Konkurrenz- und Durchsetzungsfähigkeit.

(5) Menschliche Identität verwirklicht sich in der Aneignung menschlicher Erzeugnisse durch das erzeugende Subjekt, also durch die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse. Diese kann daher nicht passiv sein, wie sie in hedonistischen oder psychologischen Theorien aufgefasst wird. Es findet darin die Verwirklichung der Erkenntnisse statt, welche in die Herstellung des befriedigenden Gegenstandes eingegangen sind. Die Befriedigung selbst ist ein Akt der Erkenntnis, worin ihre Wahrheit oder Täuschung wirklich wird. Bedürfnisse entspringen nicht einer gesellschaftslosen Natur und haben keine Kultur nötig, die sie gesellschaftlich zu bestimmen hätte, enthalten auch nicht ungezügelte Natur und geistige Vernunft als Widerpart. Sie sind nicht natürlich oder geistig, sondern beides, Stoff und Geist in einem als Moment einer natürlichen Kultur der Menschen. Die Trennung von Erkenntnis und Bedürfnis, wie sie besonders durch die Aufklärung, faktisch aber auch bei deren Kritikern (z.B. Adorno in seinem Fetischismusbegriff) betrieben wird, ist ein Unding, durch welches jede Wahrheit ins Jenseits der Welt verlegt wird, in eine Erkenntnis, die sich ohne Bedürfnis gibt, wiewohl ihr immer ein Interesse an Wahrheit unterstellt wird. Aber diese Wahrheit kann letztlich nur gegenständlich und ohne Befriedigung des Menschen nicht sein. Das bedeutet natürlich nicht, dass alle Bedürfnisse wahr sind oder Maßstab von Wahrheit wären. Ihre Wahrheit besteht in ihrer Gegenständlichkeit, worin auch der Schmerz der Entzweiung enthalten ist, die Abgetrenntheit und Ausschließlichkeit ihrer Gier gelitten wird. In diesem Leiden selbst ist das Bedürfnis eins mit seinem Gegenstand, Subjektivität und Objektivität verschmolzen.

(6) Der Sozialpsychologe Heiner Keupp referiert diesen Kontext in "Niemand kann seinem Schicksal entgehen .." (Alibri-Verlag 2004, S.32 f): "In seinem viel beachteten Buch Der flexible Mensch liefert Richard Sentlett (1998) eine wenig positiv gestimmte Analyse der gegenwärtigen Veränderungen in der Arbeitswelt (Sennett, Richard: Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus) Der "Neue Kapitalismus" überschreitet alle Grenzen, demontiert institutionelle Strukturen, in denen sich für die Beschäftigten Berechenbarkeit, Arbeitsplatzsicherheit und Berufserfahrung sedimentieren konnten. An ihre Stelle ist die Erfahrung einer "Drift" getreten: Von einer "langfristigen Ordnung" zu einem "neuen Regime kurzfristiger Zeit" (S. 26). Und die Frage stellt sich in diesem Zusammenhang, wie dann überhaupt noch Identifikationen, Loyalitäten und Verpflichtungen auf bestimmte Ziele entstehen sollen. Die fortschreitende Deregulierung: Anstelle fester institutioneller Muster treten netzwerkartige Strukturen. Der flexible Kapitalismus baut Strukturen ab, die auf Langfristigkeit und Dauer angelegt sind. "Netzwerkartige Strukturen sind weniger schwerfällig." An Bedeutung gewinnt die "Stärke schwacher Bindungen", womit zum einen gemeint ist, "dass flüchtige Formen von Gemeinsamkeit den Menschen nützlicher seien als langfristige Verbindungen, und zum anderen, dass starke soziale Bindungen wie Loyalität ihre Bedeutung verloren hätten" (S. 28). Die permanent geforderte Flexibilität entzieht "festen Charaktereigenschaften" den Boden und erfordert von den Subjekten die Bereitschaft zum "Vermeiden langfristiger Bindungen" und zur "Hinnahme von Fragmentierung". Diesem Prozess geht nach Sennett immer mehr ein begreifbarer Zusammenhang verloren. Die Subjekte erfahren das als Deutungsverlust: jm flexiblen Regime ist das, was zu tun ist, unlesbar geworden" (S. 81). So, entsteht der Menschentyp des flexiblen Menschen: ein "nachgiebiges Ich, eine Collage von Fragmenten, die sich ständig wandelt, sich immer neuen Erfahrungen öffnet - das sind die psychologischen Bedingungen, die der kurzfristigen, ungesicherten Arbeitserfahrung, flexiblen Institutionen.“

(7) Für Geld ist man daher zu allem bereit, allem zu Diensten, weil es vorzüglich der Selbstwahrnehmung dienlich ist. Die Menschen überbieten sich in ihren Dienstleistungen, wo sie nur können, setzen ihre Ansprüche weit unter die ihrer Kunden und sind praktisch bedürfnislos, solange sie hierfür Geld bekommen. Geld ist alles, Leben und Arbeit ist hiergegen nichts. Es muss einfach darin aufgehen, in den Geldbesitz hineingepackt werden, in dieses Reich unendlich vieler Möglichkeiten der Selbstbehauptung, Selbstüberhöhung und Selbstunterwerfung, in der es nur Gier und Übersättigung, aber keine wirklich menschlichen Bedürfnisse mehr gibt.

(8) In diesem ist alle Arbeit aufbewahrt, welche die Bedürfnisse der Menschen notwendig hatten und welche die Einfälle und Erfindungen zur Entwicklung höherer Produktivität ausgemacht haben und deren durchschnittlichen Standard heute noch ausmachen. Aber in der Geldform hat dieser Reichtum keinen Sinn für die Menschen. Arbeit für Geld, Lohnarbeit also, trennt die Bedürfnisse als Potenzial menschlicher Entwicklung, von der Arbeit, die Bedingung ihrer Realisierung ist. Die Bedürfnisse sind in dieser Abtrennung schon vereinseitigt zum bloßen Verlangen nach Geld, - in einer Gesellschaft der Bedürfnislosigkeit zugleich ihres gesellschaftlichen Sinns enthoben, oft nur dazu da, die unendliche Befriedigungsmöglichkeiten des Geldbesitzes zu einer Fremdidentität abstrakter Befriedungsmacht zu verschmelzen, zur Ästhetik einer Selbstinszenierung, welche eine persönliche Dramaturgie dimensioniert, die Eindruck verschafft und Kultur zu bestimmen scheint. In Wahrheit haben sich die Menschen schon verloren, bevor sie sich zu inszenieren versuchen. Ihre Selbstentfremdung ist überhaupt die Bedingung, sich durch ihre angeeignete Ausdrücklichkeit, durch ihr Design in Szene setzen zu können. Es ist die Dramaturgie einer tiefen Lebensangst.

Eine solche Gesellschaft ist die Form einer Selbstentfremdung, die einer Spaltung von Bedarf und Sinn entspringt. Hier herrscht vor allem eine negierte Form der Bedürfnisse: eine bodenlose Angst vor dem Verlust an Geldeinkommen, der einem Selbstverlust gleichkommt, - Angst vor Verlust des Arbeitsplatzes, Angst vor Preiserhöhungen, Angst um eine Grundsicherung usw. Solche Angst begründet Selbstausbeutung, um sie zu überwinden. Und das ist auch zum größten Teil die gesellschaftliche Grundlage einer Dienstleistungsgesellschaft, die Bedürfnislosigkeit ihre kulturelle Erscheinungsform.

(9) Solche Forderung ist schon einfach deshalb aufgezwungen, weil die Geldentwertung zur Selbsterhaltung ausgeglichen werden muss und sie gehört zu den Selbstverständlichkeiten von Preisverhandlungen. Wer keinen angemessenen Preis für das findet, was er verkaufen will, wird sich innerhalb der Geldverhältnissen nur selbst liquidieren. In selber Weise ist das Fordern schon dadurch beschränkt, dass sich eine Überforderung der Geldwerte gegen die Fordernden selbst stellt, Geld entwertet und Arbeitsplätze vernichtet. „Es ist genug Geld für alle da!“ – skandiert man bei Attac und formuliert damit die bescheidene Wahrheit des Geldbesitzes selbst: Es muss genug Geld da sein, durch welches die Warenzirkulation in Gang gehalten wird – und das ist auch so, denn darum kümmert sich die Bundesbank, indem sie nicht mehr und nicht weniger Geld druckt, als hierfür nötig ist. Andernfals wäre Inflation oder Deflation zu befürchten. Wer Inflation fordert, fordert den Selbstbetrug, der, würde er sich verwirklichen, vor allem zur weiteren Verarmung der Armen gereicht und dem Kapital wieder die Rolle des Eretters zuwidmet, durch welche es sich in und nach Krisenzeiten gerne wieder als gesellschaftliche Kraft hervortut und aufschäumt.

(10) Die Menschen können sich hiergegen nur wenden, wenn es ihnen gelingt, die Mittel des bestehenden Reichtums für sich zu übernehmen, wenn sie sich in die Lage versetzen, sich ihrer objektiven Selbstaufhebung durch das Kapital zu entziehen, sich als Subjekte ihres Lebens erweisen und in der Form zusammenfinden, welches die eigene Gesellschaft wirklich auch ausmacht - und sei dies vielleicht erstmal auch nur durch eine Subkultur, welche in der Lage ist, sich den herrschenden Lebensformen zu widersetzen und sie überflüssig und disfunktional zu machen; nicht, weil sie selbst schon eine Alternative zur herrschenden Lebensform wären, sondern weil sich darin wirkliche Lebensinhalte gegen die herrschenden Formen zu wenden vermögen und sich als solche Lebenswirklichkeit auch erweisen. Es geht also nicht darum, von einem bestimmten Gemeinwesen zu schwärmen, um mit einer Fiktion von einem Gesellschaftsentwurf den Menschen Zukunft zu verheißen, sie zur Verwirklichung von einer Vorstellung mitzureißen und diese als neue politische Macht zu installieren. Es geht um die Form selbst, welche die bisherige Gesellschaft nötig hat, um ihre menschliche Substanz, um die wirklichen und die impliziten Inhalte ihres menschlichen Zusammenwirkens. Es geht darum, die Form für den bereits vorhandenen menschlichen Reichtum zu finden und ihn seiner Abstraktionsmacht, seiner Formbestimmtheit durch den Wert zu entziehen. Hierdurch wird die Geschichte der Menschen, die sonst zur Fixation und Ausbeutung bestimmt und hierdurch inzwischen sogar teilweise schon zerstört wird, ihrer Bestimmtheit durch die Gier übermenschlicher Zwänge entrissen, sprichwörtlich emanzipiert (e manus cipare: der Hand entreißen).

(11) Noch dreht sich die Welt um Geld und Kapital. Aber dieses erzeugt eine Armut, welche die Menschen nicht nur von ihm abhängig macht, sondern auch seinen eigenen Boden zerstört. Es ist die Grundlage einer verkehrten Welt, die es auch schon als richtige Welt gibt, als bedrohte Welt. Es ist die kapitalformierte Gesellschaft zugleich immer noch und dem Inhalt nach menschliche Gesellschaft. Darin befindet sich alles, was menschliche Gesellschaft hier und heute schon wirklich und organisch ausmacht. Es geht darum, dies sukzessive gegen derzeitige Formen zu wenden, gegen ihre Geldform, soweit es eben geht. Geld ersetzt völlig unnötigerweise vieles, was auch ohne es da ist: Zusammenhang der Menschen, Kommunikation, Kommunen und Gemeinwesen, Gedanken, Wissen und Information, Geschmack, Vergnügen, Glück und Arbeit und Bedürfnisse aller Art. Die illusorische Gesellschaft des Geldes ist überhaupt nur der quantitative Widerschein einer Gesellschaft, die nicht auf ihre eigene Menschlichkeit kommen will, die sich über sich selbst täuschen will, auch wenn sie darin umkommt

Damit sich das Leben auf dem Planeten nicht mehr hieraus bestimmt, muß an das Leben der Menschen erinnert werden, muss – was längst bekannt und geschichtlich geworden ist – zum Ausgang der Überlegungen gemacht werden, wie die Wendung unmenschlicher Verhältnisse zu Verhältnissen der Menschen möglich ist, wie die bestehenden Inhalte der gesellschaftlichen Verhältnisse zur Grundlegung der Form einer menschlichen Gesellschaft werden können.

(12) Die menschliche Natur ist nichts anderes als die Naturmächtigkeit der Menschen, ihre Fähigkeit, mit den Elementen der Natur in ihrem Sinn zu hantieren. Menschliche Kultur hat die natürlichen Sinne zum Inhalt, ist deren Verwirklichung und lässt jeden Menschen darin subjektiv sein, bewahrt und bestärkt ihn also als Subjekt der Natur – als einzelnes wie als gesellschaftliches Wesen, als gesellschaftliche Ganzheit des geschichtlich gewordenen Menschen. Als solches ist er identisch mit ihrer Objektivität, seiner Gegenständlichkeit als reichhaltiger Mensch. Soweit, wie diese entwickelt ist, hat er sich entwickelt. Er ist selbst Natur gestaltend, also bestimmend, wie und wohin sie unter gegebenen Voraussetzungen entwickelt werden kann. Die Lebensgestaltung des Menschen ist unauflösbar natürlich, weil der Mensch selbst subjektive Natur hat und objektiv natürlich ist. Verwirklicht er sie, so verwirklicht er sich, zerstört er sie, so zerstört er sich.

(13) Kultur entsteht aus der Sinnbildung der Menschen, wie sie in ihrem Reichtum gegenständlich entwickelt ist, also aus den Erkenntnissen und Gestaltungen, die sich in der Geschichte und im Leben der Menschen ergeben, in ihren Beziehungen zueinander und zu ihren Gegenständen. Jedes menschliche Bedürfnis hat menschlichen Sinn. Und Sinne bilden sich zugleich auch als Bedürfnisse, die aus dem gesellschaftlichen Zusammenhang der Bedürfnisbefriedigung, aus der Befriedigung der bisherigen Bedürfnissen als ein neues lebendiges Verlangen heraustreten, als etwas, das dem Leben nötig geworden ist, um nicht zu bleiben, was es schon ist. Jede menschliche Entwicklung, jedes neue Bedürfnis kann also nur aus der Befriedigung von Bedürfnissen entstehen, sei es als neue Erfindung, als Geschmacksentwicklung, als Geistesblitz, als Bauwerk, als Werkzeug usw. Bedürfnisse mögen individuell oder unmittelbar im Zusammensein der Menschen (z.B. an einem Gegenstand) entstehen, sie werden wirklich gesellschaftlich, sobald sie in der Arbeit zur Herstellung von Gegenständen umgesetzt werden, welche diese Bedürfnisse befriedigen. Sie sind der identische Inhalt von Arbeit und Befriedigung, der aus dem Zusammenwirken der Menschen entsteht und sich darin verwirklicht, gleich welche Form er hat.

(14) Wie die Gesellschaft zur Reproduktion der Einzelnen verpflichtet ist, so sind diese auch zur Reproduktionsarbeit verpflichtet, soweit sie können. Dies ist die Basis des Daseins von Menschen, das zugleich allgemein, nach wirtschaftlichen Regeln vollzogen wird: Den Aufwand zur Erzeugung der Lebensmittel so gering wie möglich für jeden Menschen und das Gemeinwesen zu halten und die bestehenden Produktionsmittel hiernach anzuwenden. Die Reduktion der Arbeit ist damit dem Wirtschaftsprozess schon selbst immanent und es hängt von der Entwicklung der Bedürfnisse ab, was deren Geschichte ausmacht. In keiner Pflicht steht daher die Entwicklung und Herstellung von Gütern, welche die Menschen und ihren Reichtum weiter bringen. Sie beruht auf neuen Bedürfnissen und neuen Möglichkeiten der Produktion. Auch die Erzeugung von Mehrprodukten kann keiner Verpflichtung unterworfen sein, sondern besteht in der Vermehrung von Bedürfnissen, die befriedigt sein wollen, auch wo dies mehr Arbeit erfordert. Die Bedürfnisbefriedigung muss auf dieses Mehr bezogen sein, soll also denen zukommen, die auch mehr arbeiten – solange, bis das Mehr zum Lebensstandard gerechnet wird und in die Technologie und Arbeit aller eingegangen ist und vom durchschnittlichen Aufwand nurmehr reproduziert werden muss.