Gruppe "Jimmy Boyle" (Junge Linke):

Kritik an der Kapitalrezeption von Michael Heinrich
anhand des ersten Kapitels im Kapital

Michael Heinrich hat drei Bücher zum Kapital vorgelegt, die in breiten Kreisen gelesen werden. Mit seiner Dissertation „Die Wissenschaft vom Wert“ (im Folgenden WW) hat er in den 90ern für Furore im marxologischen Wissenschaftsbetrieb und der intellektuellen Linken gesorgt. Seine „Einführung“ (im Folgenden „Einf“) wird in linken Kreisen viel gelesen, teils als Ersatz, teils als Unterstützung zur Kapitallektüre. Neu auf dem Markt ist ein Kapitalkommentar, der allerdings in diesem Text (noch) nicht berücksichtigt ist.

Dieser Text kritisiert zentrale Überlegungen und Interpretationen von Heinrich entlang des ersten Kapitels im Band 1 des Kapitals von Marx. Es wird dargelegt, dass Heinrich so mit dem Nachweis beschäftigt ist, dass der Wert gesellschaftlicher Natur ist, dass er darüber den Inhalt der gesellschaftlichen Natur vergisst, ignoriert oder wenig spannend findet. Entsprechend begegnet man Rezipienten dieser Lektüre, die in kritischer Absicht mit Verve darauf hinweisen, dass der Wert gesellschaftlicher Natur ist, ohne eine Kritik am Inhalt dieser gesellschaftlichen Natur ausführen zu können. Aber warum sollte etwas schlecht sein, nur weil es gesellschaftlich ist? Man muss schon das Vorurteil mitbringen, dass der Kapitalismus im Ganzen abzulehnen ist, um darin dann eine Kritik zu entdecken. Mit einem Vorurteil lässt sich natürlich schlecht andere Menschen von der Schädlichkeit des hiesigen gesellschaftlichen Verhältnisses überzeugen. Auch ist das bloße Wissen um die gesellschaftliche Natur des Wertes kein Hindernis, ggf. dieselben Fehler in der Praxis zu machen wie es die Realsozialisten in ihrer kreativen Anwendung des Wertgesetzes vorgemacht haben. Denn, wenn man in diesem nichts kritikables entdeckt, sondern nur eine ungeheure Koordinierungsleistung, dann wird man das Wertgesetz eben anwenden wollen, egal ob man nun begriffen hat, dass dies eine gesellschaftliche Tat wäre. 

1. Abstrakte Arbeit

a. Darstellung der Argumentation von Heinrich

Heinrich referiert richtig die Fragestellung von Marx: Gesucht wird der spezifisch gesellschaftliche Charakter der Arbeit, den sie in einer arbeitsteiligen Gesellschaft bei lauter Privatproduzenten annimmt. In jeder arbeitsteiligen Gesellschaft hat die Arbeit einen gesellschaftlichen Charakter, das ist eine Tautologie. Der spezifische, also besondere Charakter ist gesucht. Marx schließt auf die „abstrakte Arbeit“, die sich näher als „gesellschaftlich durchschnittlich notwendige Arbeit“ bestimmt oder als Verausgabung von „einfacher Arbeit“ oder „Hirn, Muskel, Nerv“. Heinrich sagt, dass in diesen Darstellungen der abstrakten Arbeit „bestimmte Ambivalenzen“ enthalten sind (WW/210). Er findet „naturalistische Anklänge“ oder eine „naturalistische Tendenz“:

„Nachdem es bereits geheißen hatte, daß nach Abstraktion vom bestimmten Charakter der produktiven Tätigkeit nur das an ihr bliebe, daß sie ‚produktive Verausgabung von menschlichem Hirn, Muskel, Nerv, Hand usw.’ sei, schreibt Marx am Ende des zweiten Unterabschnitt zusammenfassend:

‚Alle Arbeit ist einerseits Verausgabung menschlicher Arbeitskraft im physiologischen Sinn, und in dieser Eigenschaft gleicher menschlicher oder abstrakter menschlicher Arbeit bildet sie den Warenwert.’ (23/61)’

An dieser Stelle scheint es so, als beziehe sich ‚abstrakte Arbeit’ auf Natureigenschaften von Arbeit, auf ihre allgemeinen physiologischen Bestimmungen, die zwar immer vorhanden sind, die aber nur in der Warenproduktion als ‚wertbildend’ relevant werden würden. Daß diese Abstraktheit der Arbeit keine Natureigenschaft, sondern gesellschaftliche Eigenschaft der Arbeit ist, daß es sich um eine im Tausch vollziehende Abstraktion von der Verschiedenheit der Arbeiten ist, wird innerhalb der beiden ersten Unterabschnitte des ersten Kapitels des Kapitals nicht klar.“ (WW/212f.)

Heinrich sagt nun, die „physiologische Auffassung abstrakter Arbeit lässt sich nun ohne weiteres als Präzisierung der Klassik lesen“.

Die Klassiker, also Smith, Ricardo et al., haben bereits den Wert in der Verausgabung von Arbeit begründet gesehen. Sie haben aber die wertbildende Substanz als etwas Natürliches betrachtet, den Kapitalismus als eine konsequente Weiterentwicklung der schon immer dagewesenen menschlichen Natur. Einige Marxinterpreten haben die wertbildende Substanz ebenfalls überhistorisch interpretiert, sie hat vor dem Kapitalismus eine Rolle gespielt und auch im Sozialismus wird bzw. hat das seine Geltung behalten. Dagegen unterstreicht Heinrich, dass „abstrakte Arbeit“ eine spezifisch bestimmte gesellschaftliche Angelegenheit ist, die nur der bürgerlichen Gesellschaft zukommt bzw. in dieser eine Rolle spielt.

b. Kritik der Argumentation von Heinrich

Allein gibt Heinrich in diesem Abschnitt nicht an, was das „Spezifische“ ist, bzw. was das „Bestimmte“ ist, was die „abstrakte Arbeit“ von sonstiger gesellschaftlicher Arbeit unterscheidet. Er gibt nirgendwo einen Inhalt an. Heinrich ist so auf den Beweis fixiert, dass der Wert eine gesellschaftliche Größe ist, dass er darüber immer die Frage nach der Bedingung des Tausches hochhält, um dann zu sagen: Nur mit anderen Sachen zusammen, existiert der Wert und hat daher „abstrakte Arbeit“ eine Bedeutung. Wenn aber die Ausgangsfrage, die nach dem bestimmten gesellschaftlichen Charakter der Arbeit ist, dann ist es eine Tautologie zu sagen, dass „abstrakte Arbeit“ eine gesellschaftliche Bestimmung ist. Es fehlt ein vermittelnder Inhalt, den Heinrich unterschlägt, bzw., den er in den obigen Bestimmungen von Marx auch nicht entdeckt.

Relativ zu dem Verdacht, Marx würde mit seinen Aussagen naturalistischen Tendenzen Vorschub leisten, folgendes Erklärungsangebot: Auch derjenige, der für seinen Garten ein Vogelhäuschen baut, verrichtet Arbeit, aber er produziert keinen Wert. Sein Vogelhaus soll sich ja auch nicht als gesellschaftliche Zugriffsmacht bewähren, sondern das Bedürfnis nach anschaubaren Vögeln stillen. „Dieser sein Charakter (der des Gebrauchswerts) hängt nicht davon ab, ob die Aneignung seiner Gebrauchseigenschaften dem Menschen viel oder wenig Arbeit kostet.“ (MEW 23, S.50). Obwohl man beim privatvergnüglichen Vogelhausbauer theoretisch und völlig sachfremd die pure Arbeitsleistung (das ist mit der „Verausgabung von Hand, Muskel, Hirn, usw.“ angesprochen) getrennt von der konkreten Arbeit denken kann, kommt es praktisch auf diese Abstraktion für sich nicht an. Anders bei der Produktion für den Markt. Mit sachfremd soll gesagt sein: Physiologische Veräußerung ist bei jeder Arbeit vorhanden. Dass es auf die pure Veräußerung ankommt, rein die Leistung eine wertbestimmende Angelegenheit ist, das gilt nur in kapitalistischen Verhältnissen. Insofern besteht nur für diejenigen Verwechslungsgefahr mit naturalistischen Verhältnissen, die nicht verstanden haben, wie Gebrauchswert und konkret nützliche Arbeit aufeinander verwiesen sind bzw. warum deshalb die Bedeutung von purer Leistungsveräußerung vom Standpunkt des Gebrauchswertes aus eine ökonomische Absurdität darstellt. Denn, wenn die reine Leistung die Bestimmung der Sache ist, dann dient der Arbeiter der Ware und nicht die Ware dem Arbeiter.

Heinrich dagegen beharrt auf dem gesellschaftlichen Charakter der abstrakten Arbeit derart, dass er hier von Arbeit schon gar nicht mehr redet.

2. Wertgegenständlichkeit

a. Darstellung und Kritik

„Wird abstrakte Arbeit als eine rein gesellschaftliche Bestimmung der Waren produzierenden Arbeit begriffen, so kann die Rede von abstrakter Arbeit als Wertsubstanz nur bedeuten, daß der spezifisch gesellschaftliche Charakter der Arbeit im Wertcharakter der Arbeitsprodukte gegenständlich reflektiert wird (…). Die beiden ersten Unterabschnitte des ersten Kapitels des Kapitals erlauben aber auch eine naturalistische Auffassung von abstrakter Arbeit (der Begriff des gesellschaftlichen Charakters der Arbeit taucht dort überhaupt nicht auf). Damit wird es möglich, Wertsubstanz nicht als gegenständliche Reflektion eines spezifischen gesellschaftlichen Verhältnisses zu begreifen, sondern als Substrat, das in der einzelnen Ware vorhanden ist. (…) eine Eigenschaft, die jede Ware für sich, schon vor dem Tausch besitzt und die dann die Gleichsetzung im Tausch erst ermöglicht.“ (WW/ 214f.)

Wieder meint Heinrich, dass Marx durch seine Darstellung eine mögliche falsche Auffassung von Wertsubstanz oder Wertgegenständlichkeit unterstütze. Und so weit argumentiert er richtig gegen die falsche Auffassung, dass den Dingen auch ohne Bezug aufeinander eine gemeinsame Wertgegenständlichkeit zukomme: Ein Gemeinsames einer Rose und eines Apfels ist das Rote, und die beiden Sachen sind auch ohne den vom Menschen gemachten Vergleich jeweils rot. Dies trifft so auf die Waren nicht zu. Ohne Bezug aufeinander sind sie keine Waren, haben keinen Wert, sind sie keine Wertgegenstände, haben also auch keine Substanz, die ihr Wertsein begründet. Dies ist gegen die Vorstellung mancher Marxisten-Leninisten hochzuhalten, die meinen, der Wert und die Wertsubstanz bleibe, auch wenn man die Preise staatlicherseits verordnet (also meinen, dass man nur die Form des Wertes ändern kann, nicht aber den Wert selber).

Und soweit argumentiert Heinrich falsch: Auf solche Gedanken kann man nur kommen, wenn einem bei dem Thema „Waren haben einen Tauschwert“ nichts Ungewöhnliches auffällt. Dass in dem Verhältnis „ich gebe, damit du gibs“, ein Gegensatz enthalten ist. Dass der gleiche Wertcharakter der Waren eben darin besteht „gesellschaftliche Zugriffsmacht zu sein.“ Wenn solche Fragen und Gedanken entsprechend gemacht werden, dann kommt man auch nicht mehr auf die Idee, den Wert oder die Wertsubstanz für etwas überhistorisches und natürliches zu halten. Dann ist auch deutlich, dass die Frage nach der Wertsubstanz diejenige ist, was an der Ware die Grundlage ihrer eigentümliche Fähigkeit ist, auf fremden Privatreichtum zuzugreifen. Man kann jetzt Marx vorwerfen, diese Fragen nicht explizit gemacht zu haben, aber diesen inhaltlichen Fehler macht nicht er, sondern seine Rezipienten.

In diesem Zusammenhang gibt Heinrich eine erste nähere Bestimmung dessen, was er für das spezifisch bürgerliche an der Arbeit hält: „Arbeit wird privat verausgabt (wenn man so will in einer Welt) und erst im Nachhinein (in einer anderen Welt) als Bestandteil der gesellschaftlichen Arbeit anerkannt oder nicht.“ (WW/216f.)

Wenn Heinrich oben verpasst hat irgendeinen spezifischen bürgerlichen Gehalt der Arbeit anzugeben, dann macht er im Zusammenhang mit der Wertgegenständlichkeit die korrekte Bestimmung, dass die Arbeit getrennt vom gesellschaftlichen Zusammenhang verausgabt wird, sie aber für den gesellschaftlichen Zusammenhang bestimmt ist und sich erst im Austausch zeigt, inwiefern die private Arbeit das tatsächlich ist. Das inhaltliche „wie“ des Bezuges von Privatarbeit und Arbeitsteilung verpasst er aber wiederum, bzw. löst dies gleich in die logische Entwicklung der Wertform, dem Geld auf. (siehe WW/217) Ihm geht es mal wieder nur darum, zu zeigen, dass die Wertgegenständlichkeit nur innerhalb des gesellschaftlichen Prozesses, der sich im Tausch realisiert, existiert.

Dabei wäre gegen die Befürworter dieser eigentümlichen Koordinierung der gesellschaftlichen Produktion – seien es Bürger, seien es Marxisten-Leninisten - der Hinweis wichtig, dass die privaten Konkurrenzsubjekte den gesellschaftlichen Bedarf als Material benutzen, um ihre Privatmacht zu gewinnen. Wenn der Gebrauchswert das Mittel des Tauschwertes ist, in dem nicht für die Bedürfnisbefriedigung produziert wird, sondern dafür, die Bedürftigkeit auszunutzen, um gesellschaftliche Kommandomacht (= Wert) zu erzielen, dann gilt hier analog: Die gesellschaftliche Arbeitsteilung im Rahmen der unternehmerischen Freiheit ist Ausdruck der Unselbstständigkeit der Menschen ihren Bedarf sicherzustellen. Die Privatarbeit als flächendeckendes Prinzip stellt diese Trennung von Bedarf und Produktion her. Sie braucht die Bedürftigkeit als Mittel für ihren eigentümlichen und der Bedürfnisbefriedigung gegenüber schädlichen Zweck.

Heinrich beendet seine Reflexionen zur Wertgegenständlichkeit folgendermaßen:

Die bürgerliche Ökonomie kennt nur psychische Prozesse: „(…) die Klassik versuchte sie (die Wertgegenständlichkeit; H.K.) auf die Physis zu reduzieren (Ausdruck der Verausgabung einer Menge physischer Arbeit), die subjektive Wertlehre versucht sie mittels psychischer Prozesse (Nutzenschätzungen, Präferenzen) zu fassen. Die Wertgegenständlichkeit entzieht sich aber beiden Zugriffen: gegenüber einer nur subjektiven Zuschreibung erweist sie sich als sachlich-objektiv, aber ohne daß in diese Objektivität irgendeine physische Größe eingehen würde.“ (WW/217)

Wenn absolut keine physische Größe in diese Objektivität eingeht, dann kann man sich den Begriff „Arbeit“ bei dem Begriff „abstrakte Arbeit“ sparen. Eine gesellschaftliche Eigenschaft, die sich gegenständlich reflektiert, beinhaltet doch die Gegenständlichkeit, also etwas Physisches. Es ist eine Sache, darauf hinwiesen, dass die Gegenständlichkeit alleine keinen Wertcharakter begründet, eine andere aber zu behaupten, sie habe nichts damit zu tun.

„Es handelt sich bei der Wertgegenständlichkeit um eine spezifisch gesellschaftliche Gegenständlichkeit: nicht nur daß sie gesellschaftlich bedingt ist, sie existiert auch nur in der gesellschaftlichen Beziehung des Tausches.“ (WW/217)

Übrig bleibt am Ende des Kapitels eine Tautologie: Alles, was gesellschaftlich bedingt ist, existiert eben dann auch nur in der gesellschaftlichen Beziehung. Was ist der Inhalt dieser Existenz, was sind die Grundlagen an den Waren für diese gesellschaftliche Beziehung, darüber erfährt man nichts.

3. Wertgröße

a) Darstellung

Wertbildend ist nach Marx nur die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit. Diese bestimmt er als „Arbeitszeit, erheischt, um irgendeinen Gebrauchswert mit den vorhandenen gesellschaftlich-normalen Produktionsbedingungen und dem gesellschaftlichen Durchschnittsgrad von Geschick und Intensität der Arbeit darzustellen.“ (23/53)

Zunächst macht Heinrich Marx den Vorwurf, dass es hier so „scheinen“ könnte, dass diese durchschnittlichen Produktionsbedingungen den Wert jeder einzelnen Ware unabhängig vom Tausch determinieren würden. Das scheint Heinrich dann aber nicht nur so zu sein, sondern Marx macht es seiner Meinung auch tatsächlich:

„Wenn ‚gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit’ rein technologisch bestimmt wird, so handelt es sich um eine Bestimmung konkreter Arbeit. Wird also die ‚wertbildende Substanz’, abstrakte Arbeit, durch gesellschaftlich notwendige Arbeit gemessen, so wird abstrakte Arbeit letztlich an konkreter Arbeit gemessen. (…). Indem Marx ohne weiteres abstrakte Arbeit durch die Dauer konkreter Arbeit misst, gerät er auf den Boden der klassischen politischen Ökonomie.“ (WW/218) Hier spricht Heinrich nicht von „es scheint“ so, sondern im indikativ von „Marx macht es so“. Das findet er „höchst problematisch“.

Aber: „Dies ändert allerdings nichts daran, daß der Wert der Ware auch eine quantitative Bestimmung hat und sofern abstrakte Arbeit die Substanz des Warenwerts ist, ist es eine Tautologie, daß die Wertgröße durch die Quantität dieser Substanz gemessen wird. Die Bestimmung dieser Quantität erscheint aber nur dann umstandslos möglich, wenn jene Substanz als quasi materielles ‚Substrat’ aufgefasst wird. Diese Substanz ist aber nicht selbst ein Gegenstand, sondern gegenständliche Reflexion eines gesellschaftlichen Verhältnisses.“ (WW/218)

Heinrich sagt also, dass selbstverständlich aus der Substanzbestimmung „abstrakte Arbeit“ folgt, dass dann auch diese Substanz für die bestimmte Quantität des Wertes der Grund ist. Bestimmen kann man aber dies nicht. Denn der Wert oder die Wertgröße hat keine Substanz an der Ware, sondern ist nur eine gegenständliche Reflexion des gesellschaftlichen Verhältnisses.

„Abstrakte Arbeit kann daher nicht einfach durch Arbeitszeit, sondern nur durch eine sozusagen ‚abstrakte Arbeitszeit’ gemessen werden. Diese Messung ist keine, die mit der Uhr ausgeführt werden kann; nur durch den Tausch kann hier gemessen werden, da abstrakte Arbeit eben nicht isoliert existiert: ‚abstrakte Arbeitszeit’ ist derjenige Anteil der vom individuellen Produzenten privat verausgabten konkreten Arbeitszeit, der im Tausch als Bestandteil der gesellschaftlichen Gesamtarbeit anerkannt wird. Und diese Anerkennung – und damit auch die Messung ‚abstrakter Arbeitszeit’ – erfolgt, wie noch zu diskutieren sein wird, nur vermittels des Geldes.“ (WW/219)

b) Kritik

Einerseits hat Heinrich Recht, wenn er darauf hinweist, dass die Bestimmung „gesellschaftlich notwendige Arbeit“ sich gegen die Privatarbeiten geltend macht. Was gesellschaftlich notwendige Arbeit war, stellt sich erst hinterher im gelungenen Tausch raus. Weil lauter Privatarbeiten verrichtet werden, ist deren gesellschaftliche Notwendigkeit im Voraus nicht auszumachen. Alle produzieren los und dann stellt sich heraus, dass einige Produzenten einen besseren und billigeren Ersatzstoff für Metall in einigen Bereichen gefunden haben und Metallproduzenten bleiben auf ihren Kram sitzen, egal wie schnell sie waren. Das ist ein Argument mit dem er zu Recht gegen diejenigen Marxinterpreten vorgeht, die meinen, man könne die wertbildende Arbeit mit der Stoppuhr messen. Das ist aber nur ein Moment dessen, was bei der Bestimmung der Arbeitszeit als quantitativer Grund des Wertes zu sagen ist. Das andere Moment, das Marx mit durchschnittlicher Arbeitszeit anspricht, geht bei Heinrich in der Wissenschaft zum Wert unter.

Seine Kritiken an den scheinbar „naturalistischen Tendenzen“ sind falsch und beruhen auf der Ineinssetzung von „Bestimmung“ und „konkreter Messbarkeit“. Es macht einen Unterschied, ob praktisch interessierte Nationalökonomen unbedingt berechnen wollen, was an der konkreten Arbeit oder Privatarbeit wertschaffend ist oder ob man die theoretische Bestimmung dessen sucht, was an der Privatarbeit oder konkreten Arbeit das Wertbestimmende ist und entsprechend, was an der Arbeitszeit größenmäßig ausschlaggebend ist.

Heinrichs Kardinalfehler zieht sich auch hier fort. Er wendet sich in der Hauptsache gegen Erklärungen des Kapitalismus, die aus den konkreten Arbeiten auf den Wert und die Wertgröße schließen. Dagegen will er eine gesellschaftliche Bestimmung der Arbeitszeit unter kompletter Absehung von konkreter Arbeitszeit haben, weil diese ja an ungesellschaftliche Gründe für den Wert erinnern könnten. Dass sich aber eine gesellschaftliche Bestimmung geltend machen soll, ohne dass einzelne gesellschaftliche Glieder daran teilhaben sollen, ist ein Unding. Die Abstraktion von der konkreten Arbeit und von der konkreten Arbeitszeit konstituiert sich gegen sie, aber eben nur durch sie. Und das behandelt Marx an den oben als naturalistisch verdächtigten Zitaten.

Um es deutlich zu machen, hier noch mal die Erklärung dessen, was „im Durchschnitt notwendige oder gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit“ ist und was mit es mit der „einfachen Arbeit“ auf sich hat:

1. Mit „notwendiger Arbeit“ ist einerseits das angesprochen, was Heinrich als einzige Bestimmung anführt. Die private Arbeit ist nicht unmittelbar gesellschaftliche Arbeit. Private Arbeit, die auf keinen entsprechenden Bedarf stößt, weil andere private Arbeit diesen schon gedeckt hat oder der Bedarf nicht zahlungsfähig ist, ist keine wertschaffende Arbeit. Dabei ist die gesellschaftliche Gesamtarbeit keine fixe Größe, sondern wird erst durch die auf dem Markt konkurrierenden Privatarbeiten erst konstituiert.

2. „notwendige Arbeit(szeit)“ hat aber auch eine zweite Bedeutung und die geht auf den durchschnittlichen Charakter der Arbeitsleistung. Innerhalb der Branchen oder Sphären vergleichen sich die jeweiligen Arbeitsleistungen und die jeweiligen Leistungen, die von Geschick, Intensität und Technik abhängen, bilden zusammen die Messlatte, an der sie sich zu messen haben. Diese Messlatte bringt also keine einzelne konkrete Arbeit hervor, aber jede einzelne geht mit ein. Die Messlatte wird jetzt aber nicht nur durch die konkreten Arbeitsleistungen in einer Branche gebildet, sondern die Arbeitsleistungen aller Branchen bringen eine gemeinsame Messlatte zustande. Unterstellt ist dabei natürlich die Gleichgültigkeit der Produzenten gegenüber ihrem Beruf, d.h. ihrer konkreten Tätigkeit (= abstrakte Arbeit). Sie wechseln die Branche, wenn sie meinen, mit ihrer Arbeitsleistung (bzw. mit der Leistung über die sie als Kapitalisten kommandieren) die andere Branche aufmischen zu können.

An dieser Stelle einen Rückblick auf Heinrich. Er sagt:

‚abstrakte Arbeitszeit’ ist derjenige Anteil der vom individuellen Produzenten privat verausgabten konkreten Arbeitszeit, der im Tausch als Bestandteil der gesellschaftlichen Gesamtarbeit anerkannt wird. Und diese Anerkennung – und damit auch die Messung ‚abstrakter Arbeitszeit’ – erfolgt, wie noch zu diskutieren sein wird, nur vermittels des Geldes.“ (WW/219)

Das Geld ist das Maß der Werte. Darauf spielt Heinrich hier an. Er verpasst es aber vollständig zu bestimmen, welcher Maßstab oder welche Messlatte sich in die Arbeit inkorporiert, wenn sie sich auf dem Markt vergleichen. Dass alle Waren sich gleichen in der Eigenschaft „Attraktionskraft auf fremdes Privateigentum“, ist die Bestimmung des Wertes und der Ausgangspunkt für die Frage, wodurch sich diese Eigenschaft konstituiert. Man kann die Frage weiterverfolgen in die Richtung, es braucht einen Staat, der allen das Privateigentum als einzige Form des gesellschaftlichen Stoffwechsels aufherrscht. Im Kapital ist aber die Ökonomie der Gegenstand und die Frage wird weiterverfolgt in die Richtung: Nur weil die Rechtsform Eigentum gestiftet ist, bleibt unklar, was die ökonomische Substanz ist, die sich dann in dieser Form bewährt. Das ist die Vergegenständlichung von Arbeit und in diese Richtung argumentiert Marx im Kapital weiter. Nicht einfach konkrete Arbeit, sondern gegenüber den Gebrauchswerten gleichgültige Arbeit, also abstrakte Arbeit usw. Daraus ergibt sich eine Messlatte, das heißt „gesellschaftlich notwendig“ und „gesellschaftlich durchschnittlich“ muss sie sein, wie oben ausgeführt. Aus dem Inhalt dessen was „gesellschaftlich durchschnittlich“ ist, lässt sich dann ebenso wie aus dem Gegensatz „private Arbeit – gesellschaftliche Arbeit“ erschließen, dass sich dieses Maß als äußerliches Maß darstellen muß – im Geld.

3. Die „einfache Arbeit“ ist eine weitere Charakterisierung der wertbestimmenden Arbeit. Auch hier findet Heinrich naturalistische Anklänge: „Einfache Durchschnittsarbeit“ ist nach ihm eine besondere Arbeitsverausgabung, die sich durch die ständig stattfindende Dequalifizierung von Arbeitern durch Einsatz des Kapitals von technischem Fortschritt einstellt. Die wertbildende „abstrakte Arbeit“ existiert dagegen nicht als „besondere Art der Arbeitsverausgabung“. (WW/211)

Einfache Arbeit hat dasselbe Oberthema wie die „durchschnittliche Arbeit“: Produktion für den Markt, verglichene Arbeit – wie spielt dabei die Arbeit eine Rolle? Im Unterschied dazu widmet sich die Diskussion dessen was „einfache Arbeit“ ist, einem anderen Gesichtspunkt der Arbeit zu, der Ähnlichkeiten mit dem hat, was schon als „Geschick“ angesprochen wurde.

„Allerdings muß die menschliche Arbeitskraft selbst mehr oder minder entwickelt sein, um in dieser oder jener Form verausgabt zu werden.“ (MEW 23/59)

Hier ist eine Bedingung für die abstrakte, das heißt gegenüber der konkreten Arbeit gleichgültige Arbeit angesprochen, die mit der Arbeitskraft und den konkreten Arbeiten zu tun hat. Die Gleichgültigkeit macht sich erst geltend, wenn die Arbeitskraft derart ausgebildet ist, dass sie auch jeder Zeit jede beliebige Tätigkeit ausführen kann, was auf der anderen Seite von dem Stand der Technik der konkreten Arbeiten abhängt, die es den Arbeitskräften erlaubt relativ zu ihrer Bildung mal dies mal das zu machen.

„Die einfache Durchschnittsarbeit selbst wechselt zwar in verschiedenen Ländern und Kulturepochen ihren Charakter, ist aber in einer vorhandenen Gesellschaft gegeben.“ (MEW 23/59)

Es gibt in jeder Gesellschaft relativ zum Stand der Technik, körperliche und geistige Fähigkeiten, die als normal gelten, bzw. die es einem erlauben in verschiedenen Branchen tätig zu sein. Heute gehört sicherlich ein wenig Wissen über den Umgang mit Computerprogrammen dazu.

Mit komplizierter Arbeit werden jetzt solche Tätigkeiten angesprochen, die eine über das Normalmaß hinaus ausgebildete Arbeitskraft benötigen. Klar denkt da heute jeder an spezielles Wissen, aber Marx kannte auch Zeiten, in denen körperlich starke Menschen komplizierte Arbeit verrichtet haben, weil der überwiegende Teil der Arbeiterklasse vom Kapital körperlich kaputt gemacht worden war (siehe MEW 23/212, Fn. 18).

Diese Arbeiten entziehen sich tendenziell dem Vergleich und haben deswegen einen Vorteil im Vergleich. Entweder so: Starke Menschen kann man nur durch viele schwächere Menschen ersetzen. Oder aber temporär sind sie nicht zu ersetzen: Eine bestimmte Tätigkeit braucht eine lange Ausbildung und viel Erfahrung. Gibs gerade nicht mehr, ist es fein für denjenigen, der über diese speziellen Fähigkeiten verfügt, schädlich für den, der so einfach austauschbar ist. Vom Kapital aus betrachtet ist es natürlich eine Frage dessen, wer über diese Arbeit kommandieren kann.

Der Zusammenhang zu den Kapiteln über die Maschinerie besteht nun darin, dass das Kapital versucht sich von qualifizierten Arbeitern unabhängig zu machen, in dem es diese Arbeiten mittels Wissenschaft in Maschinen einschreibt, welche dann von einfachen Arbeitern bedient werden können.

4. Eine letzte wichtige Bestimmung taucht bei Heinrich weder in seiner Wissenschaft vom Wert, noch in seiner Einführung auf: Die Rolle der Produktivkraftentwicklung. Damit lässt er eine zentrale Kritik zumindest am Anfang unter den Tisch fallen. Für den stofflichen Reichtum wirkt sich eine Produktivkraftsteigerung positiv aus: Arbeit kann sich gespart werden oder aber mit derselben Arbeit mehr Bedürfnisse befriedigen. Bei der Produktion für den Markt und den daraus resultierenden Vergleich der Arbeiten wirkt sich die Produktivkraftsteigerung nur vorübergehend positiv auf den abstrakten Reichtum des Einzelnen aus. Ist der Durchschnitt neu justiert, muss für denselben abstrakten Reichtum genauso lange gearbeitet werden. In der Produktion für den Markt ist Produktivkraftsteigerung kein Anlass Freizeit zu schaffen (von der Form der Arbeitslosigkeit mal abgesehen).

4. Die Fragestellungen von Heinrich und die fehlende Kritik

Die Hauptkritik an Heinrich lässt sich auch so formulieren, dass er die jeweiligen Fragestellungen nicht auseinanderhält, sondern mischt:

1. Was ist der Wert? – gesellschaftliche Zugriffsmacht als gleiche Eigenschaft der Waren

2. Wodurch wird der Wert geschaffen? – Durch abstrakt menschliche Arbeit, die weiter bestimmt wird als „gesellschaftlich notwendige Durchschnittsarbeit“.

3. Was sind die Bedingungen des Wertes? – Allseitige Produktion für den Markt und allseitiges Tauschen.

Die Frage „Was ist der Wert“ kümmert Heinrich nicht. Dabei ist es schon ein wenig komisch nach der Substanz einer Sache zu fragen, von der man nicht bestimmt hat, was sie ist. So als wenn man nach dem Herstellungsprozess eines Autos fragt, ohne zu wissen, dass man da ein Vehikel vor sich hat, dass mit einem Motor funktioniert.

Die Frage 2 überführt Heinrich fast immer in die Frage 3. Dabei ist es eine Sache, dass z.B. das Geld notwendig eine Existenzbedingung des Wertes ist. Aber ist das Geld erstmal da, ist mehr Geld kein Grund für mehr Wert.

Heraus kommt ein Verständnis des Kapitalimus, das von ihm weiß, das er gesellschaftlich ist. Eine Kritik kommt damit nicht zu Stande, es sei denn man geht schon mit dem Vorurteil rein, dass Armut und Arbeitsstress mit dem Kapitalismus notwendig verbunden sind. Es bleibt eigentlich nur übrig, dass die Ware gesellschaftlich ist. Warum sollte man das aber kritikabel finden?

5. Sonderpunkte aus der „Einführung“

Im Folgenden sollen Punkte kritisiert werden, die sich nur in der Einführung von Heinrich finden. Entsprechend des Verbreitungsgrades dieses Buches, werden sie hier aufgenommen:

a) Heinrich trägt in seiner Einführung ein Argument von Adam Smith gegen den Versuch vor, den Wert über den Nutzen zu bestimmen:

„Wasser hat einen sehr hohen Nutzen, ohne Wasser könnten wir nicht leben, sein Wert ist jedoch gering. Im Vergleich zum Wasser ist der Nutzen eines Diamanten verschwindend gering, sein Wert aber riesig.“ (Ein/40)

Heinrich referiert das Argument distanziert wissenschaftlich: „Smith zog draus den Schluss, ….“ Ob das Argument stichhaltig ist, lässt Heinrich offen. Wahrscheinlich weiß er selber, dass auf dieses, der Nutzentheorie immanentes Problem, die Grenznutzentheorie erfolgt ist. Sie würde argumentieren: Wasser hat deswegen sowenig Wert, weil soviel davon da ist und mit zunehmender Menge, erhält die Sache einen geringeren Grenznutzen für die Menschen.

Sowohl gegen Smith als auch gegen die Grenznutzentheorie muss dagegen festgehalten werden: Wasser hat keinen größeren Nutzen als Diamanten. Nutzen ist überhaupt nicht quantifizierbar. Nur relativ zu einem bestimmten Bedürfnis kann man sagen, der eine Gegenstand ist geeigneter zur Befriedigung desselben als der andere (z.B. die Lampe am Schreibtisch ist fürs Briefe schreiben besser geeignet als die Kerze). Will ich eine Sache schmücken, nutzt mir Wasser aber in der Regel überhaupt nicht.

b) Auch wenn Heinrich in der Einführung die drei Reduktionsschritte der konkreten Arbeit auf abstrakte, durchschnittlich und gesellschaftlich notwendige und einfache Arbeit referiert, fällt ihm am Inhalt dieser Reduktionen nicht viel auf. Er macht ein Ranking auf:

„Was bisher zur Werttheorie referiert wurde, stellte Marx im Wesentlichen auf den ersten sieben (…) Seiten des ersten Kapitels des ‚Kapital’ dar. Für viele Marxisten und die meisten Marx-Kritiker ist dies bereits der Kern der Marxschen Werttheorie (die Ware ist Gebrauchswert und Wert, der Wert ist Vergegenständlichung menschlicher Arbeit, die Wertgröße hängt von der zur Produktion der Ware benötigten ‚gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit’ ab – Letzteres wird häufig als ‚Wertgesetz’ bezeichnet). Wäre dies tatsächlich schon alles, dann würde die Marxsche Werttheorie nicht sehr weit über die klassische politische Ökonomie hinausgehen. Dass sich die zentralen werttheoretischen Einsichten von Marx gerade nicht auf diese simplen Aussagen beschränken, dass das entscheidend Wichtige an der Marxschen Werttheorie jenseits des bisher skizzierten liegt, soll der Rest dieses Kapitels deutlich machen.“ (Ein/42)

Heinrich hält die Urteile über die Wertsubstanz nicht für zentral. Dies entspricht seiner laxen Darstellung und Erklärung. Dies entspricht seinem eingeschränkten Interesse nachzuweisen, dass der Wert gesellschaftlicher Natur ist. Damit verpasst er ebenso wie die Realsozialisten, die er doch kritisieren will, alle Kritiken an der grundsätzlichen inhaltlichen Natur der Wertbestimmung.

c) „Abstrakte Arbeit ist nicht sichtbar, sichtbar ist immer nur eine bestimmte konkrete Arbeit. Genauso wenig ist ‚Baum’ sichtbar, sehen kann ich immer nur ein konkretes Gewächs. Bei abstrakter Arbeit handelt es sich zwar um eine Abstraktion wie bei ‚Baum’, allerdings um eine ganz andere Art von Abstraktion. Normalerweise werden Abstraktionen im menschlichen Denken gebildet. Wir beziehen uns auf die Gemeinsamkeiten der individuellen Exemplare und bilden dann einen abstrakten Gattungsbegriff (wie z.B. ‚Baum’). Bei abstrakter Arbeit handelt es sich aber nicht um eine solche ‚Denkabstraktion’, sondern um eine ‚Realabstraktion’, d.h. um eine Abstraktion, die im wirklichen Verhalten der Menschen vollzogen wird, unabhängig davon, ob sie dies wissen oder nicht. (…) Erst indem die Waren als Werte gleich gesetzt werden, wird faktisch von der Besonderheit der sie produzierenden Arbeit abstrahiert, diese gilt jetzt nur als wertbildende ‚abstrakte Arbeit. Die Abstraktion findet also real statt, unabhängig davon, was sich die beteiligten Warenbesitzer dabei denken.“ (Ein/47f.)

Kritik: Der Wert und dessen Substanz „abstrakt menschliche Arbeit“ sind Abstraktionen, die sich in der Wirklichkeit geltend machen und Besonderheiten zerstören. Diese Abstraktionen machen sich gegen die besonderen Gebrauchswerte und gegen die konkret nützlichen Tätigkeiten geltend. Der Baum dagegen ist ein Gattungsbegriff, er macht sich aber nicht gegen die einzelnen Bäume geltend, drückt ihnen also etwas auf, was sie gar nicht sind.

Falsch ist die Benennung des einen als „Realabstraktion“ und das andere als „Denkabstraktion“. Beim Denken abstrahiert man immer von Besonderheiten des einzelnen Gegenstandes. Das heißt aber gerade nicht, dass die Bestimmungen, die das Denken findet, „nur“ Gedanken sind, dagegen das Besondere das „Reale“. Der Gattungsbegriff des Löwen gilt halt für jeden Löwen, hat also seine Realität in den einzelnen Löwen. In der Unterscheidung „Denkabstraktion“ und „Realabstraktion“ wird ein methodisches Unding behauptet, nämlich, dass die Denkabstraktion irgendwie für die Erfassung eines Gegenstandes wichtig sei, aber man ja nicht auf den Gedanken kommen soll, dass es diese Abstraktion in der Wirklichkeit auch gibt. Zugrundegelegt ist hier die ganze erkenntnistheoretische Unterscheidung von Kant in „Denken“ und „Ding an sich“. Dagegen festgehalten: Der Unterschied ist keiner von Denken und Wirklichkeit, sondern einer davon, ob eine allgemeine Bestimmung einer Sache einfach nur als Teil der Erklärung derselben gilt oder aber ob die Abstraktion noch mal extra gegen die besondere Sache geltend gemacht wird. Im Sinne von: Der allgemeine Begriff der Arbeit erklärt mir einen Teil dessen, was bei der Herstellung des Gebrauchswertes Auto passiert. Das „Auto produzieren“ aber nochmal extra unter dem bloßen Gesichtspunkt „Arbeit“ zu behandeln, bedeutet die Gleichgültigkeit gegen seine Besonderheiten und wirkt sich entsprechend zerstörerisch auf den Gebrauchswert und die ihn produzierende besondere Arbeit aus.

6. Wertformanalyse

a. Der Stellenwert

Darstellung:

Heinrich kritisiert zunächst solche Auffassungen, die meinen, mit den ersten zwei Unterkapiteln ist alles Wichtige gesagt und das Folgende sei formeller, im Sinne von „unwichtiger Anhang“. Damit hat er Recht. Genauso kritisiert er solche Interpreten, die meinen, es gäbe einen Bruch zwischen der Analyse des Wertes und der Wertform. Sein Argument:

„Wird die Wertgegenständlichkeit der Waren als gemeinsame Gegenständlichkeit aufgefasst, so gibt es aber keine sachliche Grundlage dafür, die Wertformanalyse als zweiten Anfang oder gar Bruch in der dialektischen Darstellung zu interpretieren.“

Kurz zuvor schreibt er: „Daß die Wertgegenständlichkeit der Waren nur in ihrem Wertverhältnis und nicht außerhalb existieren kann, wird von Marx im Manuskript Ergänzungen… deutlicher als im Kapital herausgestellt.“ (WW/223)

Wieder treibt Heinrich die Existenz des Wertes um und die Wertformanalyse wird für ihn zum Beweis dessen, dass die Wertgegenständlichkeit nur in der Beziehung existiert. In diesem Sinne ist die Fußnote 38 aufschlussreich:

„Zu Recht hebt auch Ganßmann (..) hervor, daß der entscheidende Unterschied zwischen der Arbeitswerttheorie der Klassik und derjenigen von Marx darin liegt, daß letztere die Aufgabe hat, das Geld zu erklären. Während die klassische Arbeitswertlehre von der Frage geleitet werde, was der Wert sei, liege der Marxschen Werttheorie die Frage zugrunde, wie der Austausch zu Werten überhaupt möglich ist.“ (WW/220)

Kritik

Die Gegenüberstellung von Heinrich, einerseits die Frage, was ist der Wert, andererseits die Frage, wie ist das möglich, ist schlecht. Wenn man die Frage, was ist der Wert und wie wird er gebildet, richtige beantwortet, kommt man u.a. darauf a), dass er eine gesellschaftliche Eigenschaft der Ware ist, und b) sie nicht unmittelbar erscheint. Da zur Realisierung des Wertes (der Tausch), die Darstellung des Wertes logisch vorhergeht (vor dem Tausch muss der Preis ausgewiesen werden), ist die Frage nach dieser Darstellung, der Fortgang im Kapital: Wie stellt sich die besondere Qualität, Zugriffsmacht auf den gesamten stofflichen Reichtum der Gesellschaft zu sein, adäquat dar? Insofern hat Heinrich dann auch Recht, wenn er sagt, es gibt keinen Bruch. Die gesellschaftliche Eigenschaft der Ware kann nur in Relation zu anderen Waren dargestellt werden. Die Adäquanz der Darstellung relativ zum Wertinhalt ist das Movens des Fortganges zwischen den verschiedenen Wertformen. Marx fragt aber deswegen gerade nicht nach der Möglichkeit des Wertes, der ist als Wirklichkeit in der ganzen Analyse unterstellt. Aber auch soweit stimmt das Ergebnis: Ohne Geld kein Wert. Dass Heinrich damit aber nur die halbe Miete der Wertformanalyse eingestrichen hat, wird im nächsten Punkt gezeigt, zuvor noch Folgendes:

Marx hat an der klassischen Ökonomie gerade nicht kritisiert, dass sie nur mit der Frage beschäftigt sei, was der Wert ist. Das zitiert Heinrich auch, erklärt das Zitat aber falsch:

Das Marx-Zitat: „Was bei Ricardo der Fehler ist, ist das er blos mit der Werthgrösse beschäftigt ist. Daher nur sein Augenmerk richtet auf das relative Quantum Arbeit, das die verschiedenen Waaren darstellen, als Werthe verkörpert in sich enthalten. Aber die in ihnen enthaltne Arbeit muß als gesellschaftliche Arbeit dargestellt werden; als entäußerte individuelle Arbeit. (…) Diese Verwandlung der in den Waaren enthaltnen Arbeit der Privatindividuen in gleiche gesellschaftliche Arbeit… ist bei R. nicht entwickelt.“ (II.3.4/1318; MEW 26.3/128)

Marx macht hier Ricardo nicht den Vorwurf, dass er über die Frage, was der Wert sei, von der anderen Frage, wie vermittelt sich die Verwandlung von Privatarbeit in gesellschaftlich notwendige Arbeit, abgelenkt wird. Marx kritisiert an Ricardo, dass er so sehr an der Wertgröße interessiert ist, dass er darüber andere wichtige Fragen übersieht. Diese Kritik findet man bei Marx häufig auch an anderen Ökonomen. Sie sind so sehr dem nationalen Interesse, Vermehrung des abstrakten Reichtums, verbunden, dass sie darüber unwissenschaftlich werden. Marx hält dagegen hoch: Bevor man sich die Wertvermehrung erklärt, muss man erstmal wissen, was der Wert überhaupt ist und wodurch er geschaffen wird.

Heinrich erklärt dagegen das Zitat folgendermaßen:

„Da gesellschaftliche Arbeit eine über die anthropologische Grundlage der klassischen politischen Ökonomie hinausgehende Begriffsbildung ist, konnte der von Marx aufgezeigte Zusammenhang auch nicht von Ricardo entwickelt werden. Es handelt sich nicht um eine Grenze der Person, sondern des theoretischen Feldes, innerhalb dessen diese Person argumentiert.“ (WW/222)

Mit Heinrich kann man sagen, dass die Fehler der klassischen Ökonomie tatsächlich nicht nur zufällige Irrtümer waren. Gegen Heinrich muss man sagen, dass die Identität der Fehler in ihrem bürgerlich affirmativen Nationalinteresse liegt. Daraus resultieren die immer wieder vorkommenden Anthropologisierungen oder Ausgangspunkte bei Individuen. Sie halten Tausch, Geld usw. für das selbstverständlichste und unabdingbarste der Welt, daher Anthropologisierung. Zugleich wollen sie Mittel und Wege erforschen, wie man das Selbstverständlichste effektiver machen kann und da sind sie dann ständig bei den einzelnen Akteuren, seinen Faktoren usw., ohne die Faktoren oder ökonomischen Gegenstände mal für sich zu untersuchen.

b. Die Polarität

Heinrich sagt, dass in der Wertformanalyse die Polarität der beiden Seiten das Entscheidende sei. Was der Inhalt der Polarität ist, führt er in der Wissenschaft vom Wert nicht aus, sondern lässt ein Marx-Zitat sprechen. In einer Fußnote findet sich ein Unterschied:

„’Eigentümlich’ an der Wertform ist gerade das, was sie von einem normalen Maßverhältnis unterscheidet, daß die Ware, mittels welcher Wert ausgedrückt wird, nicht einfach als Maßstab, sondern als die unmittelbare Verkörperung von Wert gilt.“ (WW/224, Fn. 43)

Zwar ist die Behauptung, hier befinde sich ein Unterschied zu einem normalen Maßverhältnis, falsch (denn auch der Zollstock erscheint in der Messung als Inbegriff von Länge). Aber soweit ist dies ein wichtiger Punkt: Innerhalb der Wertform gilt der Rock mehr als außerhalb desselben: Er gilt unmittelbar als Wert. Diesen Punkt führt Heinrich in der Einführung auch aus (Einf/57)

Heinrich bestimmt also durchaus den Unterschied der Rollen, welche die Waren in der relativen Wertform und in der Äquivalenzform spielen, verpasst aber in beiden Büchern auf die unterschiedliche Tätigkeit der Pole einzugehen. „Die Leinwand drückt ihren Wert aus im Rock, der Rock dient zum Material dieses Wertausdrucks. Die erste Ware spielt eine aktive, die zweite eine passive Rolle.“ (MEW 23/63) Heinrich zitiert zwar ein Marx-Zitat, worin die Aktivität der Waren in der relativen Wertform benannt wird, macht daraus aber nichts, außer auf die „gesellschaftliche Beziehung“ hinzuweisen, die sich darin findet (siehe Einf/59)

Damit verpasst Heinrich einen Witz der Wertformanalyse. Eine Frage war, die nach der Genesis des Geldes. Zu dieser Genesis gehört das Urteil dazu, dass die Waren in ihrem Zweck, ihren Wert darzustellen, sich aktiv auf eine Ware beziehen, die sie von sich ausschließen und zum unmittelbaren Wert machen. Die Ironie der Geldgenesis liegt darin, dass ausgerechnet diejenige Ware, die vom Darstellungsproblem aller Waren befreit wird, nichts dafür machen muss. Die Aktivität liegt ganz bei den anderen Waren, die sich in dem Bemühen, ihren Wert darzustellen, einen Herren basteln, dem sie dann als einzelne zu gehorchen haben – sie müssen Geld werden, darin bewährt sich ihr Wertsein. Damit hat man auch ein inhaltliches Argument gegen diejenigen, die meinen, man solle Warenproduktion beibehalten, aber das Geld abschaffen. Die Waren werden nicht ruhen und nicht rasten bis sie sich ein neues Geld gesucht haben.

Dass Heinrich diesen wichtigen Punkt übersieht, hat System: Er weigert sich den Wert als Eigenschaft der Ware als Ergebnis des ersten Unterkapitels festzuhalten. Das scheint ihm ungesellschaftliche Schlüsse Nahe zu legen. Stattdessen gerät ihm die Wertformanalyse zum Beweis der Gesellschaftlichkeit des Wertes. Dies ist er unbestritten, aber das ist mit der inhaltlichen Untersuchung des Wertes und der Wertsubstanz im ersten und zweiten Unterkapitel auch schon geleistet. Weil Heinrich immer zu an die Entstehung des Wertes im Sinne von Existenz und nicht Substanz denkt, kann er den einzelnen Waren auch keine Aktivität zuschreiben, denn die Ware gibs ja erst mit dem Geld.

Junge Linke – Gegen Kapital und Nation

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