Emanuel Kapfinger (2.9.09)

Adorno über verdinglichtes Denken

1 Zur Hinführung eine autobiographische Notiz

Bevor ich während ich mich mit gesellschaftskritischen Denkern wie Adorno beschäftigte, war ich selbst – als Physikstudent – ununterbrochen zu dem gezwungen, was ich hier mit Adorno als „verdinglichtes Denken“ untersuche. Aus diesem Grund möchte ich mit einer autobiographischen Notiz einleiten und so mit einigen persönlichen Beobachtungen, ganz im Stil der Minima Moralia, in die Problematik verdinglichten Denkens einführen.

Physikalische Theorie kennt als Begriffe nur inhaltsleere Formen, die durch ebensolche Begriffe definiert werden. Zusammenhänge sind für sie entsprechend nur quantifizierte Symbolbeziehungen (Formeln), die in stringenter Logik von obersten Prinzipien abgeleitet sind und als Gesetze ebensolche stringente Notwendigkeit haben. In diesem Denken hatte ich mich als Student der Physik zu schulen. Anfänglich war ich davon durchaus fasziniert. In der Tat lockt die Physik mit der restlosen Determination der Natur – in vollständiger Kontrolle ihrer Veränderungen, durchgängiger Exaktheit und hart an den Fakten. In den Praktika waren vorgegebene Experimente mit genau zu befolgender Anweisung durchzuführen, deren Ziel stets die quantitative Bestätigung eines bekannten Gesetzes war. Das Lernziel bestand nicht in kreativer Anwendung des Gelernten auf wirkliche Probleme, sondern in der rechnerischen Bewältigung standardisierter Aufgaben, also in Prüfungen. Das Studium der Physik bedeutet das Lernen von Theorie als eines völlig unabhängigen Instrumentariums – ohne Bezugnahme auf gesellschaftliche oder politische Bedeutung, selbst wo es wie beim Atomreaktor offensichtlich wäre.

Meine etwas andersgearteten Fragen an Natur und Naturwissenschaften mussten in dieser totalen Systematik unbeantwortet bleiben, ja wurden durch sie für mich selbst tendentiell sinnlos. Meine Suche nach qualitativer Bestimmung der physikalischen Begriffe konnte kein Lehrbuch und kein Professor beantworten. Energie etwa ist in der Physik eine durch rein mathematische Methoden bestimmbare Rechengröße – weiter nichts. Die Unfähigkeit, die Frage nach der Bedeutung aufzugreifen, zeigt sich gerade in der Manie, zur Kreide zu greifen und sie durch eine Formel oder eine Veranschaulichung zu beantworten. Eine Möglichkeit hingegen, Natur zu verstehen, schien mir das Prinzip der kleinsten Wirkung, aus dem als oberstem Prinzip alle physikalischen Gesetze abgeleitet werden. Anders als diese hat es jedoch keinerlei physikalische Motivation und insofern Verständlichkeit. Meiner Frage hiernach wurde lapidar entgegnet: „Wir wissen es nicht. Es funktioniert.“ Entsprechendes gilt Bestrebungen, aus den Irritationen der modernen Physik Konsequenzen für den Naturbegriff zu ziehen. So fremd den Physikern die Bedeutung ist, so lebensfern und abstrakt ist die Physik selbst. Sinnliche Erfahrung und praktische Bezogenheit spielen, entgegen den Ursprüngen der Physik, keine Rolle mehr. Nicht von ungefähr das Stereotyp des menschlich erkalteten Physikers. Für mich war das Studium der Physik daher auch die Entfremdungserfahrung einer gewissen „Sinnlosigkeit“.

Nachdem ich aber dieses abstrakte und formelle Denken einigermaßen verinnerlicht hatte, befand ich mich in den Anfängen meiner Auseinandersetzung mit sozialwissenschaftlicher Literatur in noch gesteigerten Widersprüchen. Gleich zu Beginn der Kapital-Lektüre war mir aufgrund meiner Fixiertheit auf individuelle Elemente die objektive Bestimmtheit des Tauschwertes unbegreiflich. Ebenso schwierig zu verstehen war für mich, nun in der Hegelschen Rechtsphilosophie, ein gesellschaftliches, schlichtweg nicht individuell zusammensetzbares Interesse, sowie ganz eng damit verknüpft der Systemcharakter von Gesellschaft, d.h. ihre Reproduktion durch ihre Teile. Dem mechanistischen Denken bleibt es verwehrt, wie den letzteren, so ein Subjekt „von innen“, seinen Sinnzusammenhang, zu begreifen. So erschien mir das Konzept des Menschen als rationalem Vergleich zwischen quantifizierten Nützlichkeiten (homo oeconomicus) unmittelbar einsichtig, irrational dagegen Sinnbeziehungen zu Handlung und Gegenstand.

Dass verdinglichtes Denken sich gerade gegen gesellschaftskritische Gedanken richtet, ist sicherlich kein Zufall. Ich befand mich in meiner verdinglichten Weise zu denken und in Bezug auf ebensolche kritische Inhalte in einem eigenartigen Widerspruch. Sosehr ich mir letztere mit der strengen Rationalität des Physikers widerlegte und als so irrational wie metaphysisch ansehen musste, sosehr fühlte ich ihre Richtigkeit und mich zugleich von der logischen Stringenz eingezwängt. Während ich daher wider die Rationalität die genannten Denkformen rational zu bestimmen suchte, machte sie das zugleich unmöglich.

Von der „lebensfernen“ und abstrakten Wissenschaft führt ein direkter Weg zu esoterischen Mystifikationen1. Obwohl ich jenen zeitweise nahestand, habe ich den richtigen Ausweg aus der Misere des verdinglichten Denkens gefunden, nämlich die materialistische Dialektik. Von dieser aus möchte ich es hier mit Adorno angehen, den Widerspruch verdinglichten Denkens und seinen Grund zu begreifen. Es ist in der Tat nicht bloß eine Merkwürdigkeit der Physik, sondern die gegenwärtig übliche Form des Denkens.

2 Charakteristik verdinglichten Denkens anhand der Wissenschaftlichen Erfahrungen in Amerika

Vor der eigentlichen Textarbeit mit Adorno, was zum Begriff der Verdinglichung und zur Diskussion ihrer Erklärbarkeit aus gesellschaftlichen Verhältnissen führen wird, ist eine Charakteristik der „Funktionsweise“ verdinglichten Denkens sinnvoll. Das möchte ich am Beispiel der Verfahrensweisen der empirischen Sozialforschung tun. Dafür ist nicht allein deren Theoriemodell ausreichend, das dem schon eingangs vorgestellten der Physik entspricht und in der Tat von derselben entlehnt ist, sondern muss um ihre Verhaltensweisen, ihr Verständnis von Gesellschaft, ihre Einstellung gegenüber dialektisch-geisteswissenschaftlichem Denken ergänzt werden. Adornos Aufsatz über seine Wissenschaftlichen Erfahrungen in Amerika (WEA) ist dafür recht dankbar, da er seine dortigen Erfahrungen mit der empirischen Sozialforschung von subjektivem Standpunkt schildert.

Empirische Sozialforschung ergeht sich darin, „Fakten zu ermitteln, zu ordnen, zu klassifizieren“ (WEA 703), im „Ansammeln von Daten“ (WEA 707). Ihr Modell von Wissen ist Information, nicht aber das Deuten der Phänomene (vgl. WEA 703). Aus Sicht der empirischen Sozialforschung hat die qualitative Analyse, wie Adorno sie in seiner Mitarbeit am radio project über das regredierte Hören von Musik im Radio vornahm, den „Makel des Unbewiesenen“ (WEA 704); ihr fehlt der statistische Beleg. Sinnverstehende Wissenschaft gilt ihr lediglich subjektiv und damit willkürlich, genauso wie eigenständige Reflexion, die Wahrheit unabhängig vom Datensammeln erlangen kann (vgl. WEA 714). Stattdessen unterwirft sich empirische Sozialforschung einem vorab feststehenden Programm, das, nach Absolvieren der mechanischen, nach jederzeit ausweisbaren Schritten vorgehenden Forschung (vgl. SEF 212), bloß mehr in „Success or Failure“ (WEA 707) enden kann. Die begriffliche Arbeit, „das Gegenteil jenes mechanischen, verbissen bewusstlosen Verfahrens“ (SEF 212), die gerade im aktualen Prozess des Denkens neue Bestimmungen der Sache findet, ist vom Forschungsprozess ausgeschlossen, ihm als irrationale Intuition (vgl. SEF 212) oder Beschäftigung „außerhalb der Arbeitszeit“ (76) gegenübergestellt. Die Methode des trial und error (vgl. SEF 716) ist dem adäquat: Der zur Reflexion unfähige Forschungsprozess stellt eher willkürlich Hypothesen (trial) auf, die im Fall ihrer Zurückweisung (error) durch ebenso willkürliche andere ersetzt werden.

Jemand wie Adorno, der das völlige Gegenteil gewohnt war, musste sich in einem solchen Wissenschaftsverständnis so eingeengt fühlen, wie er es in den 60ern über die Geisteswissenschaft konstatierte: „Spontaneität, Imagination, Freiheit zur Sache sind ... durch die allgegenwärtige Frage 'Ist das auch Wissenschaft?' so eingeengt, dass der Geist noch in seinem einheimischen Bereich droht, entgeistet zu werden.“ (NGB 496) Der freien Reflexion wird also von seiten der empirischen Sozialforschung der doppelte Vorwurf der methodischen Unsauberkeit und der Beliebigkeit gemacht und sie so als „unwissenschaftlich“ qualifiziert.

Ihre Gegenstände – Menschen bzw. deren subjektive Charaktere – verwandelt die empirische Sozialforschung, wie in „Likes and Dislikes Stud[ies]“ (WEA 707) zu dinghaften Objekten (vgl. SEF 201), die dann nach allgemeinen Skalen quantifiziert werden. Ganz entsprechend sehen sich die Menschen selbst so: Sie subsumieren sich unter „starre und vorgegebene Kategorien“ (WEA 712) wie „extrovert“ und „introvert“. Auch ihre gesellschaftlichen Verhältnisse werden der empirischen Sozialforschung zu bloßen dinglichen Rahmen, ohne konkrete Beziehung zu den Individuen. Diese und ihre Verhaltensweisen werden nicht als durch ihre Verhältnisse vermittelte, sondern als primäre, unmittelbare genommen (vgl. WEA 709). Bedingungen solcher Rahmen, wie im radio project des „in den USA etablierten, kommerziellen Radiosystems“ (WEA 707), werden nicht analysiert, sowenig wie deren Folgen für die Individuen. Verhältnisse werden als gleichsam natürliche und den Individuen äußerliche angesehen, in denen sich die letzteren pur individuell bestimmt bewegen. Zugleich werden objektive Bestände wie der Geist, die sich durch „Verselbständigung und Autonomie“ (WEA 715) auszeichnen, gerade auf Individuelles reduziert. Generalisierungen sind bloß abstrahierender Natur, aber eine Verbindung „ihrer Generalisierungen mit konkreten gesellschaftlichen Strukturbestimmungen“ kennt die empirische Sozialforschung nicht.

3 Verdinglichtes Denken und Verdinglichung in den Minima Moralia

Die Minima Moralia greifen viele Themen aus dem Themenkomplex Wissenschaft, Denken und Erkenntnis auf und beziehen sie in ein größeres Spektrum ein. Das ist für unser Thema auch notwendig ist, da Verdinglichung keineswegs bloß ein Phänomen des Denkens ist, sondern die gesamte Gesellschaft umfasst.

Daher erarbeite ich im folgenden das weite Spektrum, in welchem Adorno verdinglichtes Denken behandelt, und soweit es in dieser Schrift vorkommt, mittels der Minima Moralia – und naja, weil ich mich eben mit den Minima Moralia und nicht mit der Negativen Dialektik beschäftigt habe. Dazu analysiere ich ausgewählte Aphorismen auf das Thema hin (3.1) und sammle insbesondere Adornos – in den Minima Moralia leider spärlichen – Bemerkungen zur sozialen Bedingtheit des verdinglichten Denkens. Auch mit diesem zusammenhängende Aspekte, etwa seine praktische Wirksamkeit, werden dabei berücksichtigt. Daran schließen sich grundlegende Fragen zur Verdinglichung und die Formulierung ihrer allgemeinen Logik an (3.2).

Weil die Aphorismen der Minima Moralia nicht einer einheitlichen Fragestellung entspringen, ist auch die Methode, ausgewählte Aphorismen zu analysieren, eklektisch und unsystematisch. In einem Résumé am Schluss dieses Abschnitts sollen daher die aufgefundenen Bestimmungen zusammenfassend und möglichst nach ihrem Zusammenhang dargestellt werden.

3.1 Elemente verdinglichten Denkens

3.1.1 Eigentliche Erfahrung (Aphorismus 40)

Gemäß des Aphorismus Immer davon reden, nie daran denken wurden psychoanalytische Einsichten, die vor ihrer kulturindustriellen Verbreitung die Menschen verstörten, mittlerweile zu geläufigen und nicht mehr verstörenden Konventionen. Der eigene Triebkonflikt wird nicht mehr subjektiv, „mit dem genuinen Bewusstsein der Regung“ (73) begriffen, sondern rein formelhaft als zu konstatierender Vorgang. Den Menschen wird „die ... Möglichkeit der Erfahrung ihrer selbst von der organisierten Kultur abgeschnitten.“ (72)

Adorno geht hier offenbar von einem Begriff eigentlicher Erfahrung aus; so ist sie etwa auch in Aphorismus 84 bezeichnet. Diesen Begriff kann man – nur von diesem Aphorismus ausgehend – folgendermaßen charakterisieren: Er ist verbunden mit „spontane[r] Reflexion“ (72); die Erkenntnis ist Resultat eines selbst leidvollen Prozesses; die individuelle Geschichte wird – da durchsetzt von Triebkonflikten – als schmerzlich erfahren; die Erfahrung vollzieht sich in einer „Arbeit der Selbstbesinnung“ (72). Diese Erfahrung ist also eine selbsttätige Bewegung, die ihren Gegenstand unmittelbar auf sich bezieht, sich mit ihm identifiziert.

Dem stellt Adorno den Bezug zu Gegenständen gegenüber, wie er in und durch die „fertig gelieferte Aufklärung“ (72) zustandekommt, eine Form uneigentlicher Erfahrung. Hier werden die Erkenntnisse nicht in einem subjektiven Prozess „errungen“ (72), sondern von psychoanalytischer Massenproduktion fertig geliefert. Sie fungieren für die Subjekte als bloße Schemata (z.B. „Minderwertigkeitskomplex“ (73)), die auf Empirie angewandt werden. Der Bezug zu diesen schematischen Begriffen ist dem Subjekt äußerlich: Selbständig erarbeitete Begriffe – worin erst der Sinn der Abstraktion, als einer Bewegung, läge – werden zu Formeln; umgekehrt Erfahrung zur Datenkollektion. Anstelle des subjektiven Bezugs zum Gegenstand tritt das bloße Konstatieren von Ereignissen, „von denen sie [die Menschen] im Grunde sich gar nicht erreichen lassen.“ (73) Die „Schemata und Klassifikationen [haben sich] von den darunter befassten Daten“ entfremdet (159), wie es im noch zu analysierenden Aphorismus 92 heißt.

Durch das veränderte Verhältnis zum eigenen Triebleben ändert sich dieses selbst. Die Regung „wird zum an- und abstellbaren Reflex stereotyper Atome auf stereotype Reize.“ (73) Die „Innensicht“ der Subjekte als solche, in der die Regung ein sinnhaftes Verhalten war, wird objektiviert, das Verhalten mechanisiert. Sinnliche Eindrücke werden zu Reizen, Menschen zu mechanistischen Atomen, ihre Reaktionen zu Reflexen.

3.1.2 Positivismuskritik (Aphorismus 82)

In diesem Aphorismus führt Adorno zwei Linien der Kritik gegen den Positivismus aus: zum einen dass sein Wahrheitsbegriff gerade die Unwahrheit bezeichnet, zum andern seine Unfähigkeit zu gesellschaftskritischem Denken.

Positivistische Erkenntnis will stets das exakt Tatsächliche aussagen; zugleich fixiert sie dieses damit als gegenüber dem Denken selbständiges. „Der Positivismus setzt ... die Distanz des Gedankens zur Realität herab.“ (143) Adorno hält dagegen an der Differenz des Gedankens zur Tatsache fest, durch die hindurch derselbe „genau das was ist“ ausspricht (144). Der Gedanke muss sich stets im Medium des Virtuellen bewegen, der Antizipation der Tatsache; dies entspricht dem „erkenntniskritische[n] Nachweis der Unmöglichkeit einer Koinzidenz zwischen dem Begriff und dem ihn Erfüllenden“. Diesen Nachweis wendet Adorno gegen den Positivismus, welcher beides, Begriff und Erfüllendes, identifiziert. Gleichwohl lässt er den Nachweis hier unausgeführt.

Indem der Gedanke nicht mehr sein will als das Faktische, schneidet er sich – das wäre die zweite Linie der Kritik – die Möglichkeit der Gesellschaftskritik ab. Für diese ist die Imagination, die sich von der „Schwere des Faktischen“ (144) loslöst, wesentlich. Ebenso wie die positivistische Erkenntnistheorie macht der Vollzug der zugehörigen Wissenschaft unfähig zur Gesellschaftskritik. Indem jeder Gedanke seine Nützlichkeit für das wissenschaftliche Projekt erweisen muss, „die intellektuellen Funktionen nach der Stechuhr über jede Minute Rechenschaft ablegen müssen“ (144), wird ihm die freie, spontan-kreative Reflexion verboten. Doch in solch freier, unkontrollierbarer Gedankenbewegung könnte erst über die Sachen „hinausgeschossen“ werden. Hierin erst könnte sich Kritik entfalten. Im Sinne Adornos kann hinzugefügt werden: Erst hierin wäre die Entwicklung neuer Perspektiven möglich, wäre Erkenntnis möglich, die nicht dinghaft in schon vorliegenden Begriffsapparaten enthalten wäre.

Adorno vertritt jedoch gegen den Positivismus nicht lediglich die Differenz von Begriff und Gegenstand. Dies hält er selbst einer Version des Positivismus vor, die letztlich zwei Wahrheiten, „die der Fakten und die der Begriffe“ (144), behauptet und damit Wahrheit selbst auflöst. Es kommt durchaus darauf an, die Realität zu durchdringen. Beide Positionen sind zu vermeiden, jedoch in ihrer Einheit festzuhalten. Der Gedanke muss sein Gegenteil im Bewusstsein seiner Distanz zu ihm zu bestimmen suchen.

3.1.3 Entleerte Sinnlichkeit (Aphorismus 146)

Dieser Aphorismus schließt an meine Überlegung an, die ich zum Ende der Darlegung zu Nummer 40 angestellt habe: Wie ist die „Innensicht“ der Menschen beschaffen, wenn diese bloß mechanistisch reagierende Atome sind, ohne die Vermittlung der sinnlichen Eindrücke durch sinnhafte subjektive Verarbeitung?

Die warenproduzierende Gesellschaft lässt alle menschliche Tätigkeit und alle dingliche Qualität in grauer Einförmigkeit erscheinen. Alles ist der Abstraktion des Werts untergeordnet: Die Tätigkeit gilt bloß danach, inwieweit sie sich auf abstrakte Arbeitszeit reduzieren lässt, also wertbildend ist – nicht aber ist sie auch Tätigkeit um der Sache willen. Dasselbe gilt den Dingen. Diese werden bloß danach geschätzt, inwieweit sie Erscheinungsformen von Wert sind. Auch sie haben ihre je eigene Bestimmung nicht mehr. Adorno fasst beides unter dem Titel „bloße[s] Mittel“ (259). Nichts ist mehr für sich: nur mehr für anderes. Die universelle Vertauschbarkeit identifiziert Arbeiten und Dinge und löscht ihr Fürsichsein, ihre eigene Bestimmung, aus.

Die Sinnlichkeit reagiert auf die „objektive Bestimmung [der Anschauungswelt] als 'Warenwelt'“ (260) entsprechend. Die Sinnesorgane „tauchen alles in Grau“ (260), wie Adorno es metaphorisch umschreibt; die Anschauungswelt wird entqualifiziert, Qualität und Vielfalt zur bloßen beliebigen Oberfläche des abstrakten eindimensionalen Wesens der Dinge.

Es ergibt sich eine gewisse Ähnlichkeit mit der oben (3.1.1) angesprochenen Entqualifizierung der Erfahrung, die zur bloßen Datensammlung wird. Sie entspricht der Erfahrungswelt von Subjekten, die zu mechanistischen Atomen verdinglicht sind (s. 3.1.1). Ist sie etwa durch die Reduktion der Dinge auf ihren Wert bedingt? Das erscheint kurzschlüssig, nicht jedes Datum entspricht einem nützlichen Ding. Es muss sich also zunächst um zwei verschiedene Phänomene handeln. Die Entqualifizierung der Erfahrung war aber als Moment des selbst bloß mehr dinglichen Zugangs zu den Dingen bestimmt. Zur Klärung der gemeinsamen Grundlagen beider Phänomene kann der Aphorismus 83 weiterhelfen.

3.1.4 Vereinheitlichte Gedanken (Aphorismus 83)

Dieser führt zu der Feststellung, dass im modernen Wissenschaftsbetrieb jeder gleichermaßen jede beliebige Aufgabe übernehmen können muss. Vertretbarkeit in der Wissenschaft ist das zeitgemäße geistige Produktionsverhältnis. Das bedingt einen Typus des Denkens, der sich in objektivierten Strukturen – vorgegebenen Methoden und Begriffsschemata – bewegt, d.h. unabhängig von Interessen und Gedanken der Individuen sich betätigen kann. Die Gedanken werden identifiziert, vereinheitlicht, ebenso wie es der Tausch mit den Dingen macht, „[d]as Inkommensurable wird ausgeschieden“ (146).

Zugleich kann sich der Gedanke nur bewegen und sich entwickeln, wenn er von individuellen Zielen und Erkenntnisinteressen ausgeht. Insofern „kehrt diese [allumfassende Kommensurabilität der Gedanken], als geistiges Produktionsverhältnis, sich gegen die Produktivkraft.“ (146) Die Verdinglichung der Gedanken lebt daher in dem Widerspruch, ihren Zweck nur unter Fortbestehen ihres Gegensatzes erreichen zu können.

Eine subjektive Identifizierung mit dem Gegenstand, wie beim Aphorismus 40 für psychoanalytische Einsichten in das eigene Triebleben diskutiert (3.2.1), wäre für eine solche Art wissenschaftlichen Denkens extrem hinderlich. Wäre eine Arbeit des Subjekts nötig: Ergreifen von Kontext, sich mit der Angelegenheit vertraut machen, mit der Sache Fühlung gewinnen – effiziente Produktion anwendbaren Wissens wäre so nicht möglich. Zudem wäre damit auch die Kritikfähigkeit gegenüber dem Wissen gegeben, das so nicht in geradliniger Abarbeitung methodisch ausgewiesener Schritte erzeugt werden könnte: Bedenken und Zweifel würden vielmehr die Wissensproduktion auf Abwege führen. Wissenschaftliches Arbeiten unter kapitalistischen Bedingungen muss deshalb indifferent zum Gegenstand bleiben können. Dieser wird daher zum entqualifizierten Datum, das nichts weiter bedeutet als das seinerseits bedeutungsleere Schema, für das es gemessen und dem es zugeordnet wird.

Letztere Zusammenführung der Aphorismen 40 und 83 ist allerdings eine Weiterentwicklung von Adornos Gedanken – in seinem Sinne, wie ich meine. Zudem ist damit erst die Funktionalität verdinglichten Denkens für den Wirtschaftsbetrieb dargelegt, noch nicht seine wirkliche Bedingung im Sinne seiner historischen wie seiner logischen Genese.

3.1.5 Einzelnes unmittelbar als Allgemeines (Aphorismus 92)

Im Aphorismus Bilderbuch ohne Bilder beschreibt Adorno die isolierte, von Bedeutungen abgeschnittene Allgemeinheit verdinglichten Denkens. Er setzt an bei der Trennung von dessen Begriffen und Gegenständen, die zu Schemata und Daten werden. Die Daten werden formalistisch vermittels „blinde[r] begriffslose[r] Subsumtion“ (160) auf die Schemata bezogen – d.h. der verdinglichte Begriff, das Allgemeine, steht sich in seinem Gegenstand, dem Einzelnen, nicht mehr selbst gegenüber, sondern einem abstrakt Anderen, dem puren Datum. Das Instrument solcher intellektueller Verfahren trägt jedoch keine Bedeutung mehr bei sich, das sie als solche isolierte Allgemeinheit verständlich machte. Das „zwingt ... zur ... Rückübersetzung [der Schemata] in sinnliche Zeichen.“ (159) Das Allgemeine, als solches unverständlich, wird in bildlicher Darstellung am Einzelnen illustriert, etwa am Durchschnitt. Die Menschen verlangen geradezu nach solchen Illustrationen, weil das begriffslose Allgemeine ihnen nichts sagt. Das kann freilich die Bedeutungsvielfalt des Allgemeinen nicht ersetzen. Indem das Abstrakte bildlich verständlich gemacht wird, wird es abgekürzt und auf ein Beispiel reduziert.

Mit dem Beispiel gilt eine Sache als verstanden. Wer dagegen eine Sache in ihrer Allgemeinheit erfassen, im eigentlichen Sinne verstehen will, dem wird immer nur dieses Beispiel präsentiert, das die Entfaltung von Bedeutungsmomenten und das Verstehen abschneidet. Es erinnert dies nur zu gut an meine Beobachtung, wie Physiker physikalische Zusammenhänge erklären (s. die Einleitung), nämlich entweder mit der Formel, die natürlich nichts erklärt, oder mit einem – Beispiel, vorzugsweise graphisch auf der Tafel. „Dem Gedanken bleibt kein Verstehen als das Entsetzen vorm Unverständlichen.“ (160)

3.1.6 Permanenter Selbsttest des instrumentellen Denkens (Aphorismus 126)

Adorno bestimmt im Aphorismus I.Q. die Form des Denkens, wie sie Geistesarbeitern aufgezwungen ist, als vollständig auf die Lösung von Aufgaben ausgerichtet, die dem Denken äußerlich zugewiesen sind. Der Gedanke ist reine Aufgabenbewältigung, und nicht mehr der autonome Gedanke, der sich von sich aus auf Wirkliches bezieht und dieses „um seiner selbst willen in Freiheit“ begreift (224). Das bestimmt sich hier aus der Hierarchie in den Organisationen: Allein den „Höchstbezahlten“ (224) steht, so zumindest die Illusion der Untergeordneten, die selbständige Bestimmung von Aufgaben zu.

Das Denkvermögen der Untergeordneten muss sich als tauglich für die Bewältigung der zugewiesenen Aufgaben erweisen – denn davon hängt, das ist hinzuzufügen, der Job ab: und zwar auch schon in Schule und Ausbildung. Als Messkriterium für diese Tauglichkeit ergeben sich, entsprechend der positivistischen Aufspaltung des Denkens in „angehäufte Empirie“ und „logischen Formalismus“ (224), die „Informiertheit“ (224), also auswendig gelerntes Faktenwissen, und „Eignung“ (224), also der Behendigkeit im Umgang mit dem Formelapparat und den Schemata.

Dieser Leistungskontrolle ist das Denken beständig unterworfen. Es ist so völlig durch seine Tauglichkeit für typisierte Aufgaben, also seine Nützlichkeit bestimmt: „Instrumentalism ... ist längst nicht mehr bloß Sache der Anwendung des Denkens, sondern das Apriori seiner eigenen Form.“ (224) Diese Form des Denkens selbst führt nach Adorno zur Kritikunfähigkeit, da das Bewusstsein „vorweg nach dem Bedarf dieser Gesellschaft modelliert ist“, also sich auf keine nichtvorgegebenen Gegenstände beziehen kann. Freie Reflexion auf andere Gestaltungen der Wirklichkeit sind diesem Denken schlicht unnütz.

Auch außerhalb der beruflichen Denktätigkeit erhält Denken diese Form – tut überall so, als müsste es beständig sein eigenes „in Form Sein(s)“ (224) beweisen. Das Verhältnis zu seinen Gegenständen ist nur eines zu Hürden, die zu nehmen sind. So ist Denken umfassend in den Apparat integriert.

Die Einordnung des Denkens in ein hierarchisches System und die Zuweisung vorgegebener Aufgaben geht nur mit der Denkform eines schematisierten Formelapparats, wie schon in 3.1.4 argumentiert. Wenn es Begriffe und Gegenstände wären, die den Interessen des Subjekts entstammen und zu denen es eine Beziehung hat, dann könnten die Aufgaben nicht einfach vorgegeben werden, sondern müssten von diesem Subjekt mitbestimmt werden. Das aber sprengte die Hierarchie und seinen Status als bloßer Befehlsempfänger.

3.1.7 Psychotechnik (Aphorismus 39)

Die Psychologie stellt gemäß Adorno, so lässt sich aus dem Aphorismus Ich ist Es gewinnen, einen Fall des verdinglichten Denkens dar, das auch Menschen im Interesse ihrer Instrumentalisierung als Dinge denkt.

Begonnen hat die Psychologie zwar mit dem Ich als ihrer leitenden Idee, und im Dienste des Menschen, den sie zum Maß aller Dinge erhöhte. Jedoch gerade in dieser Zwecksetzung verkehrt sich ihr Zweck: Sie hat den Menschen damit „zugleich ... zum Objekt gemacht, zum Material der Analyse“ (70), und das Ich „ist unter ihrem Blick stets zugleich schon zum Nicht-Existenten geworden.“ (71) Leider fehlt ein echtes Argument für diese Verkehrung. Folgende scheinen im Angebot: i) Als Maß der Dinge muss der Mensch durchgehend analysiert werden, um das Maß zu gewinnen – aber warum sollte ihn das restlos zum Objekt machen? ii) Ohne ein Maß außer sich wird das „Maß aller Dinge“ subjektiv und kontingent – das mag stimmen, aber warum ist es identisch mit der Negation des Subjekts? iii) Das Subjekt in der Tauschgesellschaft ist ohnehin keines – gut, aber mit einer so isolierten Bestimmung würde jeder, der ein Subjekt denken wollte, bloß ein Objekt denken. Die Verkehrung eines absolut gehaltenen Subjekts in ein Objekt ist jedoch ein wiederkehrender Topos Adornos. So heißt es in Aphorismus 97, dass der gegenwärtige Verfall des Individuums nicht aus einer einfachen Bewegung zur Auflösung desselben resultiert, sondern sich gerade vermittels der bis zum Ende durchgeführten Individuation vollzieht. Das Argument ist hier, dass das Individuum, „als Absolutes betrachtet, eine bloße Abstraktion“ ist (170). Ist keine Bestimmung mehr im Subjekt vorhanden, wird Selbstbestimmung zur Willkür. Wie schon unter ii) bemerkt, klärt dies nicht, weshalb das Subjekt dadurch zum bloßen Objekt herabgesetzt, also der vollständigen Kontrolle des Allgemeinen untergeordnet ist.

Einsichtiger ist der Umschlag der Psychologie in Instrumentalisierung der Menschen, wenn man – wieder im Aphorismus 39 – von Adornos anderer Bestimmung desselben ausgeht, nämlich dass als Interesse an die Psychologie herangetragen wird, die Menschen zu manipulieren, Psychotechnik zu sein. Gleichwohl soll diese „keine Verfallsform der Psychologie, sondern ihrem Prinzip immanent“ sein (71), was ich aber, wie oben dargelegt, nicht nachvollziehen kann. Aus ihrem Manipulationsinteresse heraus zerlegt die Psychologie den Menschen in seine Fähigkeiten, die ihr rein dingliche Eigenschaften sind, um ihn „mit höherem Nutzen einsetzen ... zu können.“ (71) Das ist von Adorno kritisch gegen die Psychologie gemeint; als Grundlage der Kritik fungiert die Ganzheit der Persönlichkeit, die sich nicht in Einzelteile zerlegen lässt, und der subjektive Charakter der Fähigkeiten, die, sofern sie angewandt werden sollen, immer noch von einem lebendigen Wesen selbsttätig ausgeübt werden müssen. (Nur im Vorbeigehen sei bemerkt, dass Adorno im selben Aphorismus zwar „Persönlichkeit“ als Ideologie bezeichnet, aber trotzdem an ihr festhalten will.)

Damit ist die Psychologie auch ein Beispiel dafür, wie verdinglichtes Denken, das immer auch in Praxis steht und praktisch tätig auf Menschen bezogen ist, die Menschen real zurichtet, instrumentalisiert, unterdrückt. 

3.1.8 Ticketdenken (Aphorismus 85)

Eine ebensolche praktische Wirkung hat das „Ticketdenken“, wie es der Aphorismus Musterung behandelt. Im Interesse ihrer Benutzung werden die Menschen nach Eignung kategorisiert. Sie kommen nur mehr im Hinblick auf ihre Tauglichkeit für das eigene Interesse in den Blick. Das Bezugssystem der Wahrnehmung, hier der von Menschen, kennt nur die Kategorien „verwendbar“ und „hinderlich“ (149) für vorgegebene Zwecke.  Abweichende Meinungen erscheinen darauf als „lästiger Widerstand, Sabotage, Intrige“ (149) – also nur nach ihrer negativen Beziehung auf die eigenen Zwecke. Was nicht ins Raster der Instrumentalisierbarkeit fällt, wird ausgeblendet: nämlich die eigenen Bestimmungen der Gegenstände. Dies ist also strukturell derselbe Gedanke wie in Aphorismus 146, nach welchem Menschen und Dinge bloß in grauer Einförmigkeit erscheinen, da sie nur hinsichtlich ihres Nutzens wahrgenommen werden.

Die Kategorisierung von Menschen ist zwar als solche noch kein Schaden. Aber Menschen werden nur mehr so wahrgenommen: „[D]ie Fähigkeit, den andern als solchen und nicht als Funktion des eigenen Willens wahrzunehmen ..., verkümmert.“ (149) Ihren Ursprung hat dieses Denken in der Tauschgesellschaft, aber es löst sich von ihr ab und wird zum einzig bleibenden Denkvermögen. Es wird zum Ticketdenken, das dann auch wirklich jegliches eigenes Bedürfnis der Menschen ignoriert und sie in wirkliche Kategorien ihrer Benutzung steckt. „Der starr prüfende, bannende und gebannte Blick, der allen Führern des Entsetzens eigen ist, hat sein Modell im abschätzenden des Managers, der den Stellenbewerber Platz nehmen heißt und sein Gesicht so beleuchtet, dass es ins Helle der Verwendbarkeit und ins Dunkle, Anrüchige des Unqualifizierten erbarmungslos zerfällt.“ (149) Es ist dies ein Denken, das von sich aus zum Faschismus tendiert. Sein „Ende ist die medizinische Untersuchung nach der Alternative: Arbeitseinsatz oder Liquidation.“ (149)

3.2 Die Logik der Verdinglichung

3.2.1 Der Widerspruch in der Liquidation des Individuums (Aphorismus 147)

Aber diese Entfremdungserfahrung setzt selbst ein noch nicht vollständig verdinglichtes Individuum voraus, – eine Voraussetzung, die zunehmend weniger gegeben ist. „[D]ie Integration der Gesellschaft [bestimmt] die Subjekte immer ausschließlicher als Teilmomente im Zusammenhang der materiellen Produktion“ (261), d.h. eine Entgegensetzung des Subjekts gegen den Produktionsprozess und so die Störung desselben wird zunehmend beseitigt.

Um diese Tendenz zu beschreiben, wählt Adorno im Aphorismus 147 als Analogie zur „Zusammensetzung“ des Individuums die organische Zusammensetzung des Kapitals, also „die Wertzusammensetzung des Kapitals, sofern sie durch seine technische Zusammensetzung bestimmt wird und deren Änderungen widerspiegelt“ (K1 640), vereinfacht gesagt, das Verhältnis von konstantem und variablem Kapital. Ganz wie bei Marx „der Anteil der Maschinen gegenüber dem variablen Kapital“ steigt „das, wodurch die Subjekte in sich selber als Produktionsmittel und nicht als Zwecke bestimmt sind“ (262). Jedoch stellt bei Marx diese Bewegung zugleich eine Schranke der Mehrwertproduktion dar. Kapitalverwertung findet nur mit lebendiger Arbeit, und sei es eines Restbestandes, statt. Wie stellt sich Adorno in seiner Analogie zu dieser sich selbst widersprechenden Tendenz? Bestimmt er die Gesellschaft als vollständig verdinglicht (oder dasselbe in naher Zukunft) oder beschreibt er eine bloße Tendenz?

Diese Frage ist für Adornos Theorie wichtig, da vollständige Verdinglichung bzw. ein „totales“ System für sie immanent problematisch wäre. Ihr schwände damit die Basis ihrer Kritik. Wenn Menschen in der Tat Maschinen geworden sind, und nicht noch zugleich lebendig, ist Kritik daran irrelevant. Zudem könnte in völliger Verdinglichung keinerlei Entwicklung mehr stattfinden, die das System allerdings nötig hat, hier war das bei 3.1.4 dargelegt, dass die Verdinglichung dem Denken seine eigene Voraussetzung entzieht, obwohl es natürlich weiterhin funktionieren soll.

Nimmt man jedoch einfach die Äußerungen Adornos im hier fokussierten Aphorismus, so ist seine Position klar: „[D]er Individuierte in der modernen Wirtschaft [fungiert] als bloßer Agent des Wertgesetzes“ (261). „[D]er Prozess, der mit der Verwandlung von Arbeitskraft in Ware einsetzt, [durchdringt] die Menschen samt und sonders ...“ (262) Doch scheint Adorno zu behaupten, dass diese totale Verdinglichung immer noch nur im Selbstwiderspruch, das Leben als sein Gegenteil in sich einschließend, existiert. So sagt er: „Der Wille zum Leben sieht sich auf die Verneinung des Willens zum Leben verwiesen“ (262). „... das Lebendige als Lebendiges [hat] sich selber zum Ding gemacht“ (263, meine Hervorhebung). In der Tat spricht Adorno im Aphorismus IX des Anhangs von der Aufgabe, „die Verdinglichung des Lebendigen an ihrem immanenten Widerspruch zu demonstrieren.“ (299) Es bleibt jedoch unklar, wie einerseits ein graduelles Verhältnis zwischen Verdinglichung und Leben, das in Analogie zur organischen Zusammensetzung des Kapitals beschrieben werden kann, sich hin zur Auslöschung des Lebendigen verschieben kann, andererseits zugleich dieses Lebendige ohnehin notwendig im verdinglichten Individuum selbst anzutreffen ist. Zu klären wäre, ob Adorno hier einfach zwei gegensätzliche Bestimmungen nebeneinander stellt, oder eine Unterscheidung zweier Arten von Lebendigem – nichtverdinglichtes und verdinglichtes Leben – vornimmt. Wäre außerdem das nichtverdinglichte Leben, das von der gesellschaftlichen Tendenz bedroht wird, vollständig frei von Verdinglichung?

3.2.2 Die Logik der Verdinglichung (Aphorismus 141)

Wie konzipiert Adorno nun die Verdinglichung? Im Aphorismus La nuance / encor` zeigt er, wie auch die Sprache der Verdinglichung unterworfen ist. Anhand dessen soll Adornos Begriff der Verdinglichung gefasst werden und dann nochmal am kulturindustriell vereinheitlichten Geschmack (3.2.3) und an den Gegnern der Verdinglichung (3.2.4) nachvollzogen werden.

Sprache war ehemals ein Medium subjektiven Ausdrucks. In ihr konnte das geübte Individuum seine Intention, seine Erkenntnis exakt und bis ins Detail, mit der „sprachliche[n] Nuance“ (250) ausdrücken. Doch die Nuance ist verfallen – sie ist „in 'flavor' verkehrt“ (250), in eine Geschmacksrichtung, die nicht mehr der Sache des individuellen Ausdrucks dient, sondern auf unterschiedliche Publikumsklassen zugeschnitten ist, um so besser „losgeschlagen“ (250) werden zu können. Die Sprache hat sich simplifiziert. An die Stelle der alten, komplexen, nuancenreichen ist eine Kollektivsprache getreten, die allen gleichermaßen zukommt wie sie von keinem geteilt wird. Sie ist, „durch Verdinglichung, von ihnen [den Individuen des Kollektivs] so getrennt ... wie alle voneinander“ (251). Es ist eine abstrakte Sprache, „die mit dem bürgerlich Subjektiven aufräumen will“ (251). Sie verhält sich zu den Menschen als die sie beherrschende Totalität. Das individuelle Sprachvermögen ist durch das rein Allgemeine ersetzt.

Aber auch schon, als die Sprache „als individueller Ausdruck schroff von der Gesellschaft sich sonderte“ (250), war die individuell und nuanciert angewandte Sprache Produkt der Gesellschaft. Das Allgemeine machte sich jedoch gerade in seiner Individuation, dem Hervorbringen seines eigenen Gegensatzes, geltend. Nun spricht jeder Einzelne von sich aus die verdinglichte, abstrakt-allgemeine Sprache.

Damit lässt sich die Logik der Verdinglichung allgemein formulieren. Sie begreift, kurz gesagt, ein gegenüber der „klassischen“ Dialektik der bürgerlichen Gesellschaft verändertes Verhältnis von Allgemeinem und Einzelnem; das Allgemeine wird unmittelbar im Einzelnen bestimmend. Verdinglichung ist ein Abstraktionsprozess, der die individuellen Qualitäten auf das in ihnen Gemeinsame reduziert. „Das Inkommensurable wird ausgeschieden.“ (83) Die Abstraktion findet in den Individuen selbst statt. Sie werden als diese Individuen zur gleichen Abstraktion, werden miteinander identifiziert, obwohl sie doch unterschieden sind. Die Abstraktion steht damit ebenso außer ihnen, ist von ihnen getrennt.

Das ist – von der Logik her – identisch mit der Marxschen Warenanalyse (vgl. K1 49ff), der gemäß die Waren durch den Tausch auf ein Gleiches, den Wert, reduziert werden. Den berühmten „Doppelcharakter“ (K1 56), bei Marx im Verhältnis von Gebrauchswert und Wert, kann man bei Adorno im Gegensatz zwischen den individuellen Qualitäten und der Reduktion auf ihr Gleiches sehen. Gleichwohl vertritt Adorno im Gegensatz zu Marx die These, dass die individuelle Qualität durch die Reduktion ausgelöscht wird. Der Abstraktionsprozess ist in Adornos Konzeption ein zeitlicher: Das Individuum wird zunehmend von der Abstraktion ersetzt, bis zu seiner vollständigen Liquidation (vgl. Aph. 147). Der Gegensatz zu Marx entspricht gerade der am Ende des vorhergehenden Abschnitts (3.2.1) aufgeworfenen Frage, die sich in diesem Aphorismus wieder stellt. Einerseits ist die Sprache nämlich zur Kollektivsprache vereinheitlicht – demgemäß gäbe es keinen „Doppelcharakter der Sprache“. Andererseits ist sie von den Individuen getrennt, womit er doch existierte.

Allerdings gebraucht Adorno den Verdinglichungsbegriff in der kritischen Absicht zu sagen, dass das Individuum durch die Abstraktion – hier die verdinglichte Sprache – zu etwas gezwungen wird, das es aus sich selbst nicht ist und sein will. Wird das Individuum aber liquidiert, so fällt damit, wie unter 3.2.1 schon bemerkt, die Basis der Kritik weg. Sind die Individuen Dinge, so hat es keinen Sinn, gegen ihre Verdinglichung zu protestieren.

Was sind die Bedingungen, unter welche die Individuen gestellt werden, so dass in ihnen dieser Abstraktionsprozess vonstattengeht? Bei den Waren ist es ihr Tauschverhältnis. Hier im Fall der Sprache ist es das Marktinteresse, das Sprache regiert, sowie politische Motive – womit Adorno wohl die allgemeine Verständlichkeit meint. Beides jedoch kann als Prinzip nicht die Abstraktion bedingen, es sei denn, es würde schon ein Markt oder ein politisches Publikum unterstellt, die nur mehr verdinglichte Sprache nachfragen. Diese Voraussetzung war jedoch gerade zu erklären. Ähnlich unbefriedigend ist Adornos Aussage, dass „Sprache ... der eigenen objektiven Substanz nach gesellschaftlicher Ausdruck“ (250) ist; so dass eine verdinglichte Gesellschaft eine verdinglichte Sprache bedingte. Es ist zu sehen, ob die Mechanismen, die Verdinglichung bedingen, in anderen Aphorismen überzeugender sind.

Die bereits bei Aphorismus 83 (3.1.4) dargestellte „Vertretbarkeit“ bedingt ein objektiviertes, von jedem gleichermaßen anwendbares, schematisches Denken. Der einzelne Wissenschaftler muss geistige Arbeit von solcher Beschaffenheit leisten, dass sie jederzeit von anderen zu übernehmen ist. Diese Bedingung ist in jedem Fall eine reale Anforderung an den Wissenschaftler, die ihn aber auch nur zu Benutzung der schematischen Methodik und von individuellem Erfahrungsgehalt befreiten Begriffen zwingt. Vertretbarkeit ist nur eine etwaige Möglichkeit, es erscheint unplausibel, dass die Verdinglichung im Denkvermögen davon veranstaltet wird, dass sich die Wissenschaftler zur jederzeitigen Übergabe ihrer Tätigkeit bereithalten. Es kann immerhin Moment in einem Bedingungskomplex sein; während Adorno ihm die ganze Begründungslast zuschreibt: „Vertretbarkeit unterwirft die Gedanken derselben Prozedur wie der Tausch die Dinge.“ (146) Das wäre ein permanenter Prozess der Austauschung, des Stellenwechsels von Wissenschaftlern, wie in der Zirkulation der Waren, was natürlich kontrafaktisch ist.

Die obige Frage nach den sozialen Mechanismen, die Verdinglichung zeitigen, soll in der Analyse der Aphorismen 131 und 132 weiterverfolgt werden.

3.2.3 Massengeschmack (Aphorismus 131)

Ob die Bedingungen, die Adorno für die konstatierten Verdinglichungen angibt, tragen, ist wesentlich für seine These der totalen Verdinglichung überhaupt. Mit ihnen steht und fällt die Begründung, ob die dargestellte Logik der Abstraktion wirklich stattfindet.

Das wesentliche Moment der Kulturindustrie-Theorie Adornos, das hier analysiert werden soll, ist ihr Charakter als Massenkultur, in der die Individuen in Bezug auf „Kultur“ bloße Massenindividuen sind, d.h. vereinheitlichte Bedürfnisse und Geschmack haben. Es herrscht eine „Standardisierung des Bewusstseins“ (244). Der so verdinglichte Geschmack entsteht hier aber nicht unter einer dem Warentausch ähnlichen Bedingung. Vielmehr wird der „Massengeschmack“, der „gar nicht der der Massen selber“ ist (232), ihnen oktroyiert. In der Kulturindustrie besteht also nicht mehr ein einfaches Verhältnis der Kommensurabilität der Individuen unter sich, sondern sie befinden sich im Knechtschaftsverhältnis zur Kulturindustrie. Deren Produkte haben den Betrug der Massen, Manipulation zum Ziel (vgl. 232) – wenn auch nicht ausdrücklich im Bewusstsein ihrer Produzenten (234). Die Bedingungen des Herrschaftsverhältnisses sind strukturelle, sie setzen sich „in Erfahrungsregeln, Einschätzungen der Situation, technischen Kriterien, wirtschaftlich unvermeidlichen Kalkulationen, dem ganzen Eigengewicht der industriellen Apparatur durch“ (234). Dem gilt allerdings wieder der Einwand, wie eben in der Erörterung der Vertretbarkeit, dass diese Mechanismen empirische Tendenzen zueiner gewissen Gleichförmigkeit begründen, aber auch nicht mehr. Sie erklären wieder eine absolute Vereinheitlichung der kulturindustriellen Produkte – entsprechend dem behaupteten vereinheitlichten Geschmack –, noch das Oktroyieren des Massengeschmacks. Für ein gegründetes Urteil in Bezug auf die Kulturindustrie müsste allerdings die etwas komplexere Theorie Adornos dazu untersucht werden.

3.2.4 Verdinglichung der Verdinglichungsgegner (Aphorismus 132)

Adorno begreift Verdinglichung so total, dass auch, was sich ihr selbst entgegenstellt, von ihr ergriffen ist. Die Organisation dieser Gesellschaft „umgreift noch die, welche sie befehden, und normt ihr Bewusstsein.“ (235) Kritische Intellektuelle meinen wohl, sich gegen die Gesellschaft zu stellen; dies ist aber nur oberflächlicher Ausdruck ein und derselben Affirmation. Auch sie „unterliegen einem Prozess der Standardisierung“ (235). „Was ihnen subjektiv radikal dünkt, gehorcht objektiv ... durchaus einer für ihresgleichen reservierten Sparte des Schemas“ (235). Das entspricht einer bereits in Bezug auf Sprache diskutierten Figur. Dort wurde die individuell bezogene Nuance zum bloßen flavor, zur Geschmacksrichtung, die auf unterschiedliche Marktgruppen reagiert. Aber dies ist lediglich ein oberflächlicher Pluralismus. Er kann zwar sogar das Recht der Individualität vortäuschen. In Wahrheit aber besteht diese nicht mehr, denn dem Wesen nach ist alles Bewusstsein eins, standardisiert. Und obwohl der Radikalismus der Intellektuellen einen der Gesellschaft „krass kontrastierende[n] Inhalt“ (235) vertritt, so haben diese selbst keinen eigentlichen Bezug dazu, sondern folgen fertigen Argumentationsmustern und opponieren vorgegebenen Gegenständen, die daher in gar keinem Gegensatz zur Gesellschaft stehen. Sie konsumieren linksintellektuelle Kulturprodukte. Insgesamt vollziehen sie die Gesellschaft so, wie diese es haben will, und sind so vollendet affirmativ. Es braucht daher nicht zu wundern, wenn sie auch ihren radikalen Inhalt plötzlich aufgeben – „Stalin braucht sich nur zu räuspern, und sie werfen Kafka und van Gogh auf den Müllhaufen.“ (237)

Dieser Aphorismus fügt eine wichtige Bestimmung zur Verdinglichung hinzu, nämlich dass sogar ihr Gegensatz nicht von der Standardisierung ausgeschlossen ist. An Bedingungen für die Verdinglichung des politischen Standpunktes führt Adorno „die Bereitschaft, ... sich anzubequemen“ (235) an – wiederum ein empirischer Mechanismus, der  nur die Tendenz begründen kann. Die Bereitschaft selbst muss übrigens auch vorliegen. Dem stellt Adorno die Argumentation der Kulturindustrie zur Seite; die Intellektuellen verhalten sich als bloße Konsumenten von Schemata, sei es in Standpunkten, sei es in Kulturwaren. Das wirft wiederum, wie beim Aphorismus 131 (3.2.3), die Frage auf, warum sie denn keinen echten Bezug zu ihren Standpunkten haben. Wieder wird dazu bloß auf die Standardisierung der Kulturproduktion verwiesen: „[A]lle Kulturprodukte, auch die nicht konformierenden, [sind] dem Verteilungsmechanismus des großen Kapitals einverleibt ...“ (237)

4 Résumé

Unter 3.2.2 konnte der allgemeine Begriff der Verdinglichung formuliert werden, mit dem sich auch die unter 3.1 beschriebenen Phänomene verdinglichten Denkens begreifen lassen. Allerdings sind diese so unterschiedlich, dass eine systematische Darstellungslogik schwierig erscheint; die bestmögliche Aussage scheint noch zu sein, dass sie Phänomene der verdinglichten Subjektivität überhaupt sind. Die Frage wäre, ob eine solche Theorie verdinglichter Subjektivität kohärent zu formulieren ist und die Formen der Verdinglichung aus einem einheitlichen Prinzip abzuleiten sind. Nur dann nämlich können sie als Verdinglichung begriffen werden.

Im Hinblick auf eine zumindest oberflächlichen Prüfung dessen stelle ich nun die beschriebenen Phänomene verdinglichten Denkens noch einmal zusammenfassend dar.

Am nächsten kommt der abstrakten Logik noch die Verdinglichung von Theorie (3.1.4), der vermittels der „Vertretbarkeit“ jeglicher subjektive Gehalt entzogen wurde und die so die einheitliche Beschaffenheit formalistischer Begriffe erhielt. Auch die Entqualifizierung der Sinnlichkeit (3.1.3) ebenso wie die Manipulation der Menschen durch Psychotechnik (3.1.7) das Ticketdenken (3.1.8) entsprechen der Logik, indem jeder wahrgenommene einzelne Gegenstand, sei es ein Ding, ein Mensch oder seine Tätigkeit, sich auf seine Eigenschaft, nützlich oder unnütz zu sein, reduziert findet. Dies schleißt ein, die Gegenstände nicht mehr in ihrem Fürsichsein, sondern nur mehr in ihrem Sein-für-Anderes, und schließlich Menschen nicht mehr als Subjekte zu denken. Doch spielt hier auch die Beziehung des Gegenstands auf bestimmte Bedürfnisse herein, für die er nützlich zu sein hat. Ein ebensolches Verhältnis ergibt sich bei der Entfremdung von Erfahrung und Begriff zu Daten und Schemata (3.1.1). Da sie sich wechselseitig bedingen, kann ihre Verdinglichung nicht mehr mit der einfach Logik nachvollzogen werden, obwohl das sowohl für die Entqualifizierung der Gegenstände zu Daten als auch der Begriffe zu Schemata ginge. Aber es ist das Verhältnis selbst, das verdinglicht wird; der subjektive Sinnbezug wird durch einen abstrakten ersetzt. Schwer ist es jedoch, die Verdinglichungslogik in dem Denken der reinen Aufgabenbewältigung, einem gleichsam zum Automat gewordenen Denken (3.1.6) zu sehen. Gegenwärtig ist sie allerdings auch hier, da sie ein Denken ist, das jeglicher individuellen Bestimmung beraubt wurde und so auch keinen Zweck aus sich setzen kann.

Eine eingehendere Aufarbeitung der Formen, die die allgemeine Logik annimmt, scheint damit nicht unmöglich. Dabei wäre aber auch der Zusammenhang dieser Formen zu erarbeiten.

Nun zu den gesellschaftlichen Bedingungen des verdinglichten Denkens. In Anbetracht dessen, dass Adorno der Verdinglichung totalen Status attestiert, muss es verwundern, dass er für ihre konkrete Begründung jeweils lediglich empirische Mechanismen anbietet. Zudem könnten solche empirische Mechanismen – man könnte etwa Schule, Medien, Wissenschaftsschulen hinzusetzen – wohl kaum eine qualitativ neue, verdinglichte Bewusstseinsform hervorbringen. Es würde sich dann wohl eher um Gewohnheiten, Geschultsein, Anerzogenes handeln. Adorno zeigt die Verdinglichung jedoch nicht von einer einheitlichen Grundlage aus auf, durch welche sie in allen Gesellschaftsbereichen bedingt wäre; ihr Nachweis beschränkt sich auf die eklektische Angabe kontingenter Bedingungen (vgl. 3.2.2ff). Ich gehe dabei davon aus, dass Verdinglichung selbst, als solche, kein gesellschaftsstrukturierendes Prinzip sein kann, sondern durch etwas außer ihr, durch eine „materielle Basis“, bedingt sein muss. Doch dies teilt auch Adorno; sonst würde er nicht, wie dargestellt, verschiedene Bedingungen zu ihrer Erklärung angeben. Für Verdinglichung als wirklich einheitliches Phänomen ist es daher notwendig, dass die verschiedenen Erklärungsansätze selbst nochmal auf ein einheitliches Prinzip bezogen werden. Eine wirkliche Analyse dazu fehlt aber – fast notwendigerweise in den Minima Moralia, aber auch in anderen von mir zur Kenntnis genommen Schriften Adornos zum Thema (SEF, Dialektik der Aufklärung, Theorie der Halbbildung). Ihr Fehlen ist insofern problematisch, da nur sie, wie schon in 3.2.3 bemerkt, den Nachweis der Verdinglichung bringen und ihre Gegenständlichkeit erweisen kann. Von derselben geht Adorno zwar aus, er benennt und kritisiert ja beständig Verdinglichungen; aber ohne den theoretischen Beweis verbleibt er dabei auf der Stufe bloßer Phänomenbeschreibungen.

Adornos Ansatz zu dieser Analyse ist die Warenform, deren Gemeinsamkeit mit der Verdinglichung schon in 3.2.2 zum Vorschein gekommen ist. Auch Lukács, dessen „Phänomen der Verdinglichung“ (GK 94) Adorno übernimmt und weiterentwickelt, legt der Verdinglichung die Warenform zugrunde. Im gleichnamigen Aufsatz soll „auf jene Grundprobleme hingewiesen werden, die sich aus dem Fetischcharakter der Ware, als Gegenständlichkeitsform einerseits und aus dem ihr zugeordneten Subjektsverhalten andererseits ergeben“ (GK 95). Allerdings bleibt auch bei ihm der Zusammenhang zwischen Warenform und verdinglichtem Bewusstsein unausgeführte Hypothese. Wo eine überzeugende Ableitung vorliegt, scheint es sich eher um die Eigenheiten der tayloristischen Arbeitsorganisation (vgl. etwa GK 99) oder einer streng hierarchischen Betriebsstruktur zu handeln (vgl. 110). Gleichwohl behauptet Lukács eine „einheitliche Bewusstseinsstruktur“ (GK 111) für alle Mitglieder der kapitalistischen Gesellschaft, unabhängig von ihren je verschiedenen, insbesondere klassenmäßigen Verhältnissen. Das heißt, sowohl bei Adorno als beim philosophischen Namengeber der Verdinglichung findet sich die These, dass der Verdinglichung die Warenform zugrundeliegt; bei beiden aber wird dies nicht zu einer wirklichen Analyse ausgearbeitet.

Hervorgehoben sei nochmal meine These in der Einleitung, dass verdinglichtes Denken schon von seiner Form her ideologisch sei, und nicht erst in bestimmten Ideologemen. Adorno bestätigt das in verschiedenen Bemerkungen, etwa dass solches Denken keine verselbständigte Allgemeinheit kenne (s. unter 2), dass instrumentelles Denken das Apriori seiner Form sei (3.1.6), und dass es andere Menschen nicht als Subjekte denken könne (3.1.3 und 3.1.6). Lukács formuliert übrigens in Bezug auf die Nationalökonomie dieselbe These: „Die Unbegreifbarkeit, die Irrationalität der Krise folgt zwar auch inhaltlich aus der Klassenlage und den Klasseninteressen der Bourgeoisie, sie ist aber zugleich formell die notwendige Folge ihrer ökonomischen Methode.“ (GK 117)

Es ist klargeworden, dass es bei der Analyse des verdinglichten Denkens nicht um abstrakte Verhandlungen über die verdinglichte Form der Theorie gehen kann, deren Ziel ich in der Einführung als restlose Determination des Gegenstands durch einen exakt quantifizierende Formeln beschrieben habe. So ist eine solche Theorie zwar – wie sie etwa analysiert wird – der Abstraktion des Wertes und seines reinen Quantums adäquat, ebenso ist sie für Verwertungszwecke tatsächlich funktional, indem sie sich universell – von jedem und auf jegliches – anwenden lässt (vgl. 3.2.4). Andererseits ist die Theorie überhaupt nichts für sich. Das Subjekt ist ihr vorausgesetzt, und die Verdinglichung der Theorie scheint sich, auch wenn hierfür nur Ansätze aufgezeigt werden konnten, ganz gut aus der verdinglichten Subjektivität ableiten zu lassen. Wenn es sich andererseits nur um die Verdinglichung der Theorie handeln würde, dann wäre zu begründen, warum die Theoretiker nicht beständig auch über selbige hinaus sind. Die Untersuchung des verdinglichten Denkens darf daher nicht rein „den Positivismus“ – den auch –, sondern muss das Denken als Organ des verdinglichten Subjekts untersuchen. Und nur so lässt sich auch das subjektive Verhältnis in der Tätigkeit der verdinglichten Wissenschaft, ihre Lebensferne und Abstraktheit begreifen.



1  Es wäre eine eigene Aufgabe, diesen Umschlag des programmatisch areligiösen Szientismus in Mystifikationen – ganz nach dem Muster der Dialektik der Aufklärung – zu untersuchen. Zu suchen wären die Bedürfnisse zu dieser Dialektik und der Umschlag jeweils material nachzuweisen. Es gibt dabei zwei Richtungen. Die eine offenkundig esoterische bringt das Leben, weil der Wissenschaft der Bezug zu ihm fehlt, unmittelbar in die physikalischen Phänomene und Formeln. Diese Richtung wird durch die Nähe zu fernöstlichen Ideen, aber auch Rückwendung zu animistischen Deutungen der in Renaissance und früher Neuzeit eben erst mathematisierten Physik vertreten. Die andere, weniger offenkundig esoterische ist die Hypostasierung der allgemeinsten und grundlegendsten Sachverhalte zum metaphysischen Wesen, worin in aller sonstigen Entqualifiziertheit auf mystifizierende Weise eine Sinndimension gefunden wurde. Man denke an den Eifer und die leuchtenden Augen des Physikers oder einer Physikerin, sobald es um das Wesen der Dinge (Elementarteilchen), den Ursprung des Seienden (Urknall) oder Struktur und Dynamik des Ganzen (Kosmologie) geht.

Literatur:

Schriften von Adorno

GS

Gesammelte Schriften, hrsg. von Rolf Tiedemann, Suhrkamp

 

Die Minima Moralia (= GS 4) werden unter einfacher Angabe der Seitenzahlen, ohne weiteres Kürzel, zitiert.

WEA

Wissenschaftliche Erfahrungen in Amerika, in: GS 10.2, S.702ff

SEF

Soziologie und empirische Forschung, in: GS, S.196ff

NGB

Notiz über Geisteswissenschaft und Bildung, in: GS 10.2, S.495ff

DA

Zusammen mit Horkheimer: Dialektik der Aufklärung, Fischer, Frankfurt a.M. 1988

 

 

Andere Autoren

GK

Georg Lukács, Geschichte und Klassenbewusstsein. Studien über marxistische Dialektik, de Munter, Amsterdam 1967

K1

Karl Marx, Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Band 1: Der Produktionsprozess des Kapitals, Marx-Engels-Werke Band 23, Dietz Verlag, Berlin 1969