Neuerscheinungen im Verlag Kulturkritik, 17.Januar 2019:

Überblick und Leseprobe

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"Die sinnlose Gesellschaft - Das Humankapital eines fiktiven Geldwerts"

(bezieht sich auf die 2. Auflage, erschien am 17. Januar 2019 im Verlag Kulturkritik)
ist ab sofort lieferbar bei Books-on-Demand (ISBN: 978-3-947823-62-8, EUR 23,00)
ist auch als E-Bool ab sofort lieferbar bei Books-on-Demand (ISBN: 978-3-947823-12-3, EUR 15,99)

 



Die sinnlose Gesellschaft
Das Humankapital eines fiktiven Geldwerts

Abstract:

In knapp 30 Jahren hat sich die weltweit verfügbare Geldmenge zu fast 90% von der Realwirtschaft abgesetzt. Jeder Einkauf und Verkauf ist durch ein Buchgeld belastet das seinen Wert nicht mehr wirklich darstellen kann, weil es zum größten Teil nur aus Zahlungsverpflichtungen besteht. Jeder Staat muss unter dieser Bedingng um die Stabilität seiner Währung bangen, wenn er nicht die Oberhand über fremde Währungen hat. Die Konkurrenz um die Wertsicherheit ihrer Währungen hat die Nationalstaaten gegeneinander aufgerieben und sich mit der Globalisierung des Kapitals durch die groteske Aufhäufung fiktiver Kapitalwerte extrem verschärft. Das fiktive Kapital dominiert inzwischen jeden Warenhandel aus realer Produktion und bestimmt ihren Existenzwert. In Dienstleistungsgesellschaften werden die Menschen selbst zu Wertträgern des Finanzkapitals und für die Geldverwertung entsprechend zugerichtet und eingenommen.

Das hat den Charakter dieser Gesellschaften grundsätzlich verändert. Nicht als Bestandteil einer realen Produktion, sondern als eigenständige Existenzform einer fiktiven Kapitalverwertung müssen die Menschen in ihren unmittelbaren Begegnungen, in ihren zwischenmenschlichen Beziehungen einen Sinn für ihr Leben finden, der in ihrer Gesellschaft nur noch in ihnen selbst aufscheinen kann, isoliert und abstrakt hiervon sich auf sich selbst reduziert, als Selbstwahrnehmung gesellschaftlich bestimmend wird.

Der Zerfall ihrer Gesellschaft in allen sozialen und wirtschaftlichen Formationen springt ins Auge und lässt sich politisch nicht mehr restaurieren. Das Versagen der „repräsentativen Demokratie“ und der „sozialen Marktwirtschaft“ verlangt nach einer gründlichen Analyse des ganzen globalen Kapitalverhältnisses, um daraus Schlüsse für längst anstehende Veränderungen der gesellschaftlichen Lebensgrundlagen der Menschen zu ziehen, die eine Subversion der pervertieren Existenzformen möglich machen. Hierzu soll dieses Buch beitragen.

Zur Einführung

„In Deutschland herrscht Wohlstand“ behaupten die Agenten der politischen Ökonomie und meinen damit die Statistiken zur Handelsbilanz dieses Meisters der Exportwirtschaft, die „Erfolgsgeschichte“ seines Bruttoinlands­produkts (BIP), in der die Geldumsätze der Finanzwirtschaft, der Realwirtschaft und der Dienstleistungen gegeneinander positiv aufgerechnet sind (1). Und dieses gilt als Gradmesser des Wohlstands, als sei der bloße Umsatz des gesamten Handelsvermögen in seiner Geldsumme auch das positive Vermögen der Deutschen, als wäre das Leben der Menschen hier auch so reich und vielfältig, wie die Umsätze und Kredite, die hier zirkulieren. Und so gilt dieses Vermögen, das die Menschen für ihren Lebensunterhalt und ihren Konsum nötig haben, auch schon als ihr Lebensstandard, für den sie sich abarbeiten, sich ausbilden und verfüttern. Sie selbst sind in ihren persönlichen Eigenschaften und Fähigkeiten, in ihrer ganzen Kultur durch diese Geldzirkulation des Kaufmittels bestimmt, sollten sich eigentlich als Humankapitals einer gigantischen Reichtumsproduktion verstehen, das praktisch alles Leben auf blanken Notwendigkeiten des Zahlungsmittels reduziert (2).

Von diesen ungeheuerlichen Geldmengen und Umsätzen her könnte man ja auch meinen, die Menschen hier seien wirklich reich. Doch die Bevölkerung ist politisch tief gespalten wie die der meisten kapitalistischen Länder, in denen die Mittelschichten zerbrechen und Arbeitsleute und Angestellte immer wieder mal zu einer Randgruppen werden. Das macht Angst und stellt sich auch in den politischen Positionen bei öffentlichen Auseinandersetzungen immer deutlicher und härter dar. Immer öfter sind sie fanatisch und mit Gewalt verbunden. Die Meinungen streben auseinander, die Rechten ziehen in die Parlamente ein und machen sich mit ihren Ressentiments und Pogromen immer stärker in den Ängsten der Bevölkerung breit. Im Allgemeinen scheitert man an den Glücksversprechungen auf eine Zukunft, in der alle Bildungen aufgehen soll, die heute schon im Niedergang sich befinden. Politische Rationalität verliert ihre Wirkung, der Kapitalismus feiert Urständ‘, linke Positionen zerstreiten sich während antikapitalistische von rechts besetzt werden. Man kennt das schon. Wo politische Kultur die Wahrnehmung einer bedrohlichen Wirklichkeit unkenntlich macht, sich in eine heile Welt rettet und die Selbstwahrnehmung mit kollektiven Events in ästhetischer Perfektion verfüllt wird, da können Massengefühle eine Politik durchsetzen, der innerhalb einer nur repräsentativen Demokratie wenig entgegen zu setzten ist. Es ist schließlich die perfekte, die in sich geschlossene Repräsentation, das Selbstgefühl in der Masse narzisstischer Selbstbezüglichkeiten vor allem diese befriedigt, in seiner Allgemeinheit zur Gesinnung einer öffentlichen Meinung wird, die vor allem abschaffen, ausgrenzen, abtreiben oder verbieten will, was ihr als Belastung von beliebiger Herkunft begegnet. Eine Demokratie, die Verstand und Einsicht in die Lebensverhältnisse anderer Menschen verlangt, lässt sich immer schwerer verteidigen, wenn und wo sie überhaupt noch wahrgenommen wird. Die Geschichte des Kapitalismus wiederholt ihre finsterste Seite immer dann, wenn der gesellschaftliche Verfall tragend wird.

Die hat schon seit dem Ende des 19. Jahrhunderts nicht nur die Prognosen von Karl Marx bestätigt, sondern auch neue Fragen aufgeworfen, die bislang nicht beantwortet, stattdessen eher verfremdet wurden. Unter den marxistischen Rezeptionen seiner Theorie haben sich nicht nur philosophische Revisionen - wie z.B. die von Theodor W. AdornosNegativer Dialektik“ - entwickelt, die Marx wieder „von den Füßen auf den Kopf“ gestellt und zu einem Linkshegelianer deformiert oder zu einem Proudhonisten verfälscht hatten. Die so genannten „Postmarxisten“ hatten sich dahin verstiegen, das Herzstück seiner Kritik der politischen Ökonomie, ihren Arbeitsbegriff und die darauf gründende Arbeitswerttheorie abzuweisen, weil beide „von der Zeitgeschichte überholt“ worden seien. Doch ihre Erkenntnisse wurden dadurch nicht verschärft, sondern nur verflacht.

Und die Gründe hierfür sind nicht einfach als Schwachsinn abzutun. Tatsächlich hat sich die Welt um einiges verändert, tatsächlich lässt sich mit zunehmender Automation der Produktion und internationalen Vermarktung die Wertgröße der Produkte sehr viel schwerer aus dem Durchschnitt der aufgewendeten menschlichen Arbeitszeit erklären und schon gar nicht im Preis der Sache wiedererkennen. Offensichtlich hat sich der Gegensatz von Reichtum und Armut weit über das monetäre Vermögen hinaus tief in die Kultur der menschlichen Verhältnisse getrieben und in der sozialen und psychischen Wahrnehmung extrem verschärft.

Die abstrakt menschliche Arbeit lässt sich nicht mehr so einfach in den fast schon vollautomatisch hergestellten Produkten der Realökonomie als die Wertsubstanz menschlicher Arbeit, und auch als deren Wertgröße nicht mehr alleine aus der Länge der Arbeitszeit pro Tag erkennen. Es ist offenkundig, dass es das Proletariat kaum noch als gesellschaftliches Subjekt geben kann und deshalb kaum noch als „geschichtliches Subjekt“ einer Revolution zu begreifen ist. Wer sich dennoch auf Marx weiterhin beziehen will, ohne seine Auseinandersetzung mit den sozialistischen Bewegungen seiner Zeit - und damit den wissenschaftlichen Sozialismus überhaupt - einfach abzutun, tut sich heute etwas schwerer, damit überhaupt noch wesentliche Aussagen über die Zustände unserer Zeit zu machen, auch wenn die Resultate und Krisen des Kapitalismus noch ganz offensichtlich die selben sind. An der Ausbeutung der des Lebens und der Lebensumstände der arbeitenden Menschen hat sich jedoch im Großen und Ganzen nichts Wesentliches verändert.

Es lässt sich jedoch die Mehrwertproduktion nicht mehr so einfach aus den Produkten einer realwirtschaftlichen Mehrarbeit und ihrer Wertrealisierung erklären, wenn der größte Wertbetrag nur noch als Buchgeld um die Welt zirkuliert und ganze Nationalstaaten niedermachen kann, weil die Fiktionen auf den Aktienmärkten deren Realwirtschaft zugrunde richten. Die marxistische Arbeitswerttheorie steht damit nicht unbegründet im Zweifel. Doch zugleich kann nur sie wirklich aufklären, was hierbei Grund und Folge, was Wesen und Erscheinung ist und wie und wo dies zu ändern wäre. Das verlangt allerdings ein tieferes Verständnis ihrer Grundlagen und deren Beziehung auf den Weltmarkt des Finanzkapitals.

Der Nachweis, dass sich das Wertwachstum, die Mehrwertproduktion, aus dem Warenumschlag als Produkt einer unbezahlten Arbeit durch einen überlangen Arbeitstag herausstellt, muss durch den Beweis ergänzt werden, dass unbezahlte Arbeit inzwischen nicht mehr nur unmittelbar aus der menschlichen Arbeitszeit pro Produkt, sondern auch über den international zirkulierenden Geldwert begriffen werden muss, der sich als Existenzwert aus der Konkurrenz der Nationalstaaten um die Wirtschaftlichkeit ihrer Produktivität, um die Arbeitsersparnis ihrer Produktion ergibt. Er wird vom fiktiven Kapital durch die Spekulationen der Finanzindustrie auf den Weltmärkten dazu benutzt, die Währungsverhältnisse auf dem Devisenmarkt durch Druck auf ihre nationalen Geldwerte und deren Abhängigkeit vom umlaufenden Buchgeld zu bestimmen.

Der Umlauf des Weltgeldes verhält sich als fiktives Kapital nicht mehr nur in der Zeit, sondern auch im Handel der Geldwährungen. Der politische Raum der Nationalstaaten ist immer mehr aus dem Verhältnis ihrer Grundwerte, der Existenzwerte ihrer durchschnittlichen Subsistenz durch die Konkurrenz der Währungen bestimmt. In deren Handelskriegen verhält sich der Geldwert ihrer Währungen gegen ihre Realökonomie und verhält sich als Wert von Zahlungsterminen, Staatsverschuldung, Giralgeld und Eigentumstiteln selbst unmittelbar gegen die Preisbildung der Realwirtschaft. Das realwirtschaftliche Arbeitsprodukt kann sich deshalb kaum noch adäquat auspreisen. Denn der Mehrwert wird immer weniger aus einer reellen Produktion, sondern vor allem aus dem Arbeitslohn über die Preise für die Nutzung von Lizenzen, der Vermittlung von Agenturen und Institutionen und über Miete und Pacht von Eigentumstiteln im Nachhinein der Produktion entnommen wird. Hierfür ist es nötig, den Wertbegriff, besonders seine Wertsubstanz und Wertgröße weitaus tiefer zu begreifen, als dies bisher geschah.

Aber auch hierfür liegt längst eine Begrifflichkeit von Marx vor, die bisher mehr oder weniger achtlos überlesen wurde: Nicht das sachliche Produkt als ein nützliches Ding an sich verkörpert einen Wert, sondern nur das Wertding, das gegen seine Herkunft aus dem Arbeitsprozess nichtig bestimmt ist, als eine Sache als Verkörperung einer gesellschaftlichen Abstraktion, als Produkt einer abstrakt menschlichen Arbeit zum privaten Gebrauch und Verzehr. Deren Geldform bleibt ihre einzige Gesellschaftsform, die völlig gleichgültig gegen ihren Gebrauchswert sich verhält. Deren Wert hat nur eine abstrakte Substanz, in der überhaupt alles nur entsteht und besteht, um verbraucht und vernutzt zu werden. Das ist zwar vielleicht auch jedem informierten Marxisten klar, aber genau dies wurde bislang nicht grundsätzlich auf die Erscheinungen unserer Zeit hin vertieft, weil die Sache immer noch wie das Ding im Sinne von Immanuel Kant, aber nicht als ein wirklich äußerer Gegenstand begriffen wurde, wie ihn Marx im Kapital als eine dem Menschen fremd gewordene Macht analysiert hatte, die ihn bindet und unterwirft, indem sie ihn wie ein Fetisch gesellschaftlich sein lässt, wo er nur isoliert und privat existieren kann.

Der Zugang zu einem Mehrwert als unbezahlte Arbeit, und dass, der sich auch in Dienstleistungen erzeugt und vermittelt, blieb lange außen vor und wurde von den Diskussionen um Wert, Preis und Profit ausgeschlossen, weil sie nicht so sinnfällig zwischen Lohnarbeit und Kapital als Machtverhältnis im Arbeitstag der Menschen verhandelt und noch weniger als eine Art Übervorteilung behandelt werden kann. Doch gerade in den modernen Dienstleistungsgesellschaft finden heut die wichtigsten Wertbeziehungen statt und machen heute auch die Verwertungslogik in den reichen Ländern der Erde aus. Ihr Wert bewegt sich nämlich vor allem in der Geldmenge eines konstanten Kapitals, im Wert von Einrichtungen, die nur zur Reproduktion des Kapitals und der ihm nötigen Infrastrukturen selbst Verwendung finden. Darin leben und arbeiten die Dienstleister und existieren darin selbst mit „Haut und Haaren“, bezahlen Steuern und Gebühren und ihre Miete zur Nutzung der bereit gestellten Wohnungen, der Kommunikations- und der Verkehrsmittel.

Und gerade dieses Wertgemenge lässt sich nur noch zu etwa einem Zehntel aus dem Warenhandelskapital bestimmen und bewegt ansonsten vor allem die Fiktionen des Kapitals und seiner Spekulationen. Und darin wird dem Finanzhandelskapital zu seiner Wertdeckung vor allem sehr viel Arbeitsaufwand als unbezahlte Arbeit aus Dienstleistungen übereignet. Dort existiert dann allerdings kein realer Mehrwert aus Mehrarbeit, sondern vor allem ein Kapital als „Frischgeld“ zur Wertdeckung fiktiver Geldwerte, durch das sein Bestand über seine politische Macht der Staaten als Wert von Fiktionen gehalten, ernährt und ausgeweitet wird. Dienstleistungen sind lebendige Arbeit, die nicht als Sache ihren Wert darstellen können, sondern nur durch die Existenz von Menschen, die sie leisten. Das „Proletariat“ von heute existiert als ein „Humankapital“, das durch einen fiktiven Geldwert bestimmt und bewegt wird und durch einen Existenzwert innerhalb der Nationalstaaten bestimmt ist, lebendige Arbeit für tote Verhältnisse zu leisten hat.

Doch gehen wir erst mal in die Geschichte zurück, um sie als Geschichte des Humankapitals zu beschreiben. Mit der zunehmenden Automation der Produktivkräfte und der damit verbundenen Entwertung der menschlichen Arbeit gelangte die Ausbeutung der nationalen Realwirtschaft schon zum Ende des 19. Jahrhunderts an die Grenze ihrer Kapitalverwertung, der Wertsicherheit des Geldwerts und der Währungen der verschiedenen Nationen. Über Kolonialismus und Imperialismus waren sie noch gewaltsam in Wert zu halten. Hieraus speiste sich aber vorwiegend das Finanzkapital, das sich als Kreditgeber einer Weltwährung zu einer selbständigen Weltmacht entwickelte. Seine Verwertungskrisen traten daher als Weltwirtschaftskrisen einer unbändigen Stagflation (3) auf, die bis dato zwei Weltkriege entzündet haben. Denn bislang konnten solche Krisen nur durch die kriegerische Ausweitung der Märkte und Einflussbereiche bewältigt werden. Und solche Kriege besorgten zugleich auch die Vernichtung von Überproduktion, Produktivkraft und politischen Systemen und setzten mit ihrer Kriegswirtschaft die stagnierende Produktion wieder in Gang. Aber eben nur auf Zeit und auch unglaublich teuer. Kriege „lohnen“ auf Dauer sich inzwischen nicht mal mehr für das Kapital, weil es durch die Zeiten hindurch nur noch in den Verhältnissen seiner Zeitumsetzung, seiner Bewegungszeit zwischen den Phasen seiner produktiven Verwertung und denen der bloßen Materialvernutzung verwertungslogisch funktioniert. Kriege betreiben immer schon die Zerstörung ganzer Gesellschaften, und wenn der Kapitalismus selbst nicht mehr funktioniert, dann verbleiben diese eben auch nur noch als eine zerstörte Welt voller Elend, in dem sich nichts mehr produzieren oder handeln lässt.

Mit seiner fast totalen Vernichtungswut zeigte sich die Geschichte der absoluten Kapitalverwertung getrieben von der Sucht nach einem Mehrwert, der chronisch erschöpft war, - schon im Vorhinein ausgeschöpft durch Staatsverschuldung und durch den Zerfall des Kreditwesens. Das stellte sich immer wieder als Falle der bürgerlichen Lebensverhältnisse heraus und erzwang aus dem, was dabei entstanden war eine politische Macht, welche zur Anwendung als Staatsgewalt eine ihr entsprechende faschistische Kultur nötig hatte, um sich in ihrer Brutalität gegen die Bevölkerung auch durchzusetzen. Faschismus ist die Rute (ital. „fascies“) des Nationalstaats, der politisch wie wirtschaftlich am Ende ist. Er ist immer wieder die Reaktion einer sich selbst auflösenden Demokratie auf die Zerstörung von Gesellschaft in einem Staat, der seine Gewalt gegen die Bevölkerung richtet, um sich als Gewalt seiner Macht zu erhalten. Hierfür nötig ist eine kulturpolitische Auftrennung zwischen Sozialem und Politischen, zwischen Meinung und Gesinnung, zwischen dem Teil und dem Ganzen, zwischen Art und Abart.

Durch die Verfügung über „das Gute“ und „das Böse“ einer Gesellschaft will sich der Staat als Kulturmacht verwirklichen, das „so genannte Böse“ (vergl. Hannah Ahrend) ausgrenzen oder vernichten. Und daran sind vor allem die Menschen einer niedergehenden Mittelschicht interessiert hierzu befähigt, die sich gerne im Glauben an das Große und Ganze zu retten suchen. Sobald die Menschen gegen einander und ohnmächtig gegen ihre Lebenswirklichkeit gestellt sind, glauben sie leicht an Heilsvorstellungen, die ihnen einen Ausweg aus ihrem Elend versprechen. In dem Maß, wie das Kapital am Unvermögen seines Krisenmanagements scheitert, sucht es sich über den Staat zu retten. Und der muss letztlich - schon um sich selbst zu erhalten - alles tun, was dem Verwertungsstreben des Kapitals nützlich ist. Und hierfür ist der Staat bereit, den wirklichen Lebenszusammenhang seiner Bevölkerung aufzulösen und zu entkräften, um deren ganze wirtschaftliche und kulturelle Existenz an sich zu binden. Staat und Kapital lösen einander in der ihnen entsprechenden Art der „Krisenbewältigung“ ab.

Aber der Kapitalismus gelangte so in einen Kreislauf ohne Ende: Nach der Zerstö­rung durch den furchtbarsten der Kriege, nach einer totalen Kritik des Totalitarismus der Faschisten, nach dem „Wirtschaftswunder“ durch die Geld­anlagen des Marshallplans, konnten die Währungssysteme wieder frei konkurrieren und ihren Hauptfeind, den Kommunismus, durch ihr weltmächtiges Wirtschaftsvermögen aushebeln. Es schien das Ende einer jeden sozialistischen Bewegung zu sein. Aber trotzdem fing alles nur von vorne an, weil das Geld immer wieder mehr Wert darstellen muss, als es an Mehrwert darstellen kann. Die verfügbaren Geldmengen des Kapitals übertrafen schon bald bei weitem das Vermögen der Nationalstaaten, deren Staatsverschuldungen selbst nur noch - wenn überhaupt - durch eine Weltbank zu decken war. Mehrwert kann eben in Wirklichkeit nur durch das Kreditwesen fort existieren, das auf nationaler Ebene durch den Staat gesichert sein sollte. Die Globalisierung hatte bis zum Ende des 20. Jahrhunderts ein Weltgeld entwickelt, welches das gesamte Kreditwesen einer weltweiten Finanzwirtschaft zum Medium einer internationalen Ausbeutung der Währungen und des so genannten Freihandels der realwirtschaftlichen Verhältnisse getrieben hat.

Die Produktion des Mehrwerts verschärft nun weltweit über den Devisenhandel die Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft, die Verwertung unbezahlter Arbeit vor allem aus armen Ländern, und erfand durch die Internationalisierung der Preisbildung auf den Weltmärkten neue Techniken einer so genannten Finanzindustrie, ein neues „Anlagesystem“. Das funktionierte direkt über die Preisbildung des Geldes über den Derivatenhandel, durch das eigenständige Wertmaß seiner „neuen Finanztechniken“ im Terminhandel und einer Giralgeldschöpfung. Diese „Industrie“ verfügte nicht nur indirekt über die Arbeit, sondern auch direkt über die ganze Existenz der Menschen, die das Finanzkapital über die Staats- und Privatbanken immer besser auszubeuten verstand. Indem der Kapitalvorschuss über den Handel mit Buchgeld, dem fiktiven Kapital von Schuldverschreibungen, auf eine selbständige Ebene des Terminhandels in eine Ausbeutung der nationalen Währungen gehoben wurde, war der Geldwert selbst zum Machtmittel einer verdoppelten Ausbeutung der Menschen entwickelt worden, deren Arbeitskraft wie auch ihre ganze Existenz entwertet wurde. Über die Entwertung ihres Geldes durch die Ausbeutung ihres Existenzwerts als Staatsbürger eines Währungssystems, hatte das globale Kapital Einfluss in das unmittelbare Leben der Menschen gewonnen und sich bis in deren Bedürfnisse und Erlebensweisen eingeschlichen. Dessen Wertsub­stanz wurde zunehmend und tiefgreifend vor allem von bloßen Eigentumstiteln bestimmt und der Maßstab ihrer Preisbildung wurde selbst zum Wertmaß ihres Zahlungsmittels, dem Geld, das nun auch vor allem als das Kaufmittel ihrer Währung funktioniert und von ihrem Staat geschützt und versichert werden muss.

Das fiktive Kapital des herrschenden Schuldgeldsystems hat die reichen Gesellschaften durch die Konkurrenz der nationalen Währungen dahin getrieben, dass sie sich aus den gegenständlichen Notwendigkeiten ihrer wirklichen Lebensverhältnisse - dem Reichtum ihrer sinnlichen Lebenswelt - durch die Verwertung von reinem Buchgeld abgehoben haben, so dass sich ihr fiktiver Wert selbst als das Geld, als Vermittlungsmacht ozeanischer Verhältnisse und Beziehungen in den Stürmen ihrer Konjunktur verhält. Die Nationalstaaten sind darin die Geisterschiffe, die Träger eines fiktiven Geldwerts, und die Menschen die Schwimmer in einer Wasserwüste, die von Durst geplagt nach Boden und Land streben. Sie sind die Konsumenten eines völlig irrealen Mehrwerts - nicht einfach als Konsumenten eines Mehrprodukts, sondern als süchtige „Verbraucher“, die überleben müssen im Tittytainment einer Welt voll ungeheuerlicher Geldmengen, in der sie aufgehen wie untergehen je nach dem, wann, wie und wo ihnen ein Boden durch irgendeine Arbeit geboten wird. Ihr Leben erscheint als bloßes Erleben nur mehr zufällig wirkender Ereignisse, wird geschichtslos und beliebig, zur reinen Glückssache, denn nichts bleibt darin wirklich so, wie es entsteht oder entstanden war, und es verändert sich ohne wirklichen Grund, weil dieser abwesend, also wesenlos da ist. Der Zufall wird mächtig, der Mensch muss sich ihm beugen.

In ihrer Konsumkultur stellt sich eine Lebenskultur her, die hierfür nützlich, für die Menschen aber gesellschaftlich sinnlos ist, keinen Sinn von ihnen und keinen Sinn für sie vergegenständlicht. Sie leben in einer Befriedungssucht, einer Scheinwelt unendlicher Bezogenheiten, und dienen ihr durch ihre Dienstleistungen, die ihre öffentliche Kultur als Design des Lebens schlechthin zur Wirkung bringt. Es ist das Leben einer Existenz, die alleine aus den ganz privaten Bedürfnissen ihrer zwischenmenschlichen Lebensverhältnisse schöpft, denen sie als Mittel ihrer Selbstbestätigung nachjagen, sich darin für sich und durch sich selbst behaupten, um sich auch selbst als Leben durch andere und für andere zu vermitteln, um dadurch alles zu erleben, was sich wie eine Geschichte ihrer Subjektivität ereignet, auch wenn es nur objektiv gegeben ist in einem allgemeinen Dasein, das sich für ihren ganz persönlichen Existenz­wert, ihrem Selbstwert als objektives Selbstgefühl hernehmen lässt.

Fiktionen werden dadurch wahr, dass sich ihre Verhältnisse als Lebensform einer Selbstverwertung aneignen und wahrmachen lassen, um einer hiervon abgehobenen politischen Klasse der Wertverwertung Mehrwert zu beschaffen. Die Menschen erfüllen hierbei die Notwendigkeiten ihrer politischen Existenz als personifizierte Wertträger und Konsumenten, als Bürger und Bürgen der Nationalstaaten, die ihre politische Existenzform, ihren Existenz­wert als Moment einer internationalen Kapitalverwertung produktiv vermitteln. In ihren Dienstleistungsgesellschaften existieren sie daher selbst vorwiegend als Lebensform einer toten Arbeit, als Humankapital in einer durch und durch inhuman gewordenen Welt, die für sich keinen Sinn findet, weil sie nur noch Geld und Kapital im Sinn hat.

Eine Gesellschaft, in der die Menschen die Produkte ihrer Arbeit nur in der Geldform für sich nutzen können und sie sich den Sinn ihres Lebens nur ganz für sich besorgen können, kann leicht auch jeder Widerstand verlorengehen, wenn deren Lebenswelt sich nicht mehr wirklich erklären lässt, keine Aufklärung ihrer Wirklichkeit mehr sinnvoll in ihre Verhältnisse eingreift. Die Lebenswelten einer den Menschen fremden Sinnlichkeit wurden von Karl Marx wissenschaftlich schon vor langer Zeit ausgeführt, und liegen noch zu einem beträchtlich unbegriffenen Anteil einer ihm adäquaten Rezeption entzogen. Erst wenn sie als eine Kulturkritik begriffen sind, die eine theoretische und zugleich praktische Kritik der politischen Verhältnisse umzusetzen versteht, werden die unmittelbaren Lebenswelten auch als gesellschaftliche Verhältnisse erkannt und verändert werden können. Der Gütesiegel ihrer Kultivierung muss gebrochen werden, bevor die Menschen mit ihrer Lebenswirklichkeit dahinter hervortreten können.

Die marxistische Theoriebildung muss in der Befassung mit Geld, Kultur und fiktivem Kapital nachholen und auch ihre Grundlagen überprüfen, die von Karl Marx wesentlich weiter begriffen vorgelegt worden waren, als sie umgesetzt wurden. Die Gliederung dieses Buches verfolgt das Interesse, einen Weg für diese Arbeit zu diskutieren und abzuklären. Sie beginnt mit dem Marxismus als wissenschaftliche Erarbeitung einer Analyse, die an den praktischen Lebensverhältnissen der Menschen ansetzt, um auf diese als eine neue Lebenspraxis zurück zu kommen. Eine erneute Befassung mit der Arbeitswerttheorie ist durch die Wirrungen des realökonomischen Kapitalbegriffs der Arbeiterbewegung nötig geworden, der auf einen Kampfbegriff eines darin verewigten Arbeiterbewusstseins reduziert worden war. Aus dessen Kritik ergibt sich schließlich ein neues Verständnis der Globalisierung des fiktiven Kapitals, aus dem sich eine weiterführende Einschätzung der politischen Kultur einer Dienstleistungsgesellschaft ergibt. Und daraus resultiert dann auch die konkrete Utopie einer Zukunft, die das Verhalten der politischen Auseinandersetzungen in den Verhältnissen der reicheren Nationen der Gegenwart begründen kann.

Das Ziel ist eine Formveränderung der Gesellschaft von einer aus örtlichen Ressourcen beschränkten Konkurrenzgesellschaft zu einer internationalen Ergänzungswirtschaft. Durch diese sollen die Kommunen, Regionen und Länder einen Ausgleich und Fortschritt durch ihre Beziehungen gestalten können, die das Leben der Menschen bereichert und die zugleich zur Fortbildung eines weltweiten Lebensreichtums beitragen. Mit einer Vertragswirtschaft durch wirtschaftliche Ergänzungen wird es möglich, eine Geschichte der Erneuerung der menschlichen Gesellschaften zu begründen und die Formbestimmungen der privatwirtschaftlichen Verwertungslogik zu überwinden. Indem diese durch konkrete gesellschaftliche Beziehungen ersetzt wird, ist auch der Ersatz des Kaufmittels Geld mit einem bloßen Rechengeld möglich, das die Bedingung für einen Gütertausch jenseits der Kapitalwirtschaft ist und durch das die wirtschaftlichen Beziehungen in ein Verhältnis gesetzt werden, das in der Lage ist, eine reziproke Geldentwertung zu betreiben. Durch die Verträglichkeit einer allgemeinen Grundsicherung eines Jeden mit den hierfür nötigen Aufwänden wird zugleich eine Grundlage zur Entgeltung einzelner Mehraufwände geschaffen. Und so wird sich auch das Privateigentum selbst als ein soziales Eigentum der Kommunen und Regionen zur Vorratshaltung weiter führen lassen, die in soziale wie auch einzelne Produktionen investiert werden kann. Die politischen Entscheidungen werden sich dann nicht mehr aus persönlichem Dafürhalten und Wollen bestimmen, sondern in den Stimmverhältnissen einer qualifizierten Delegation beschlossen, die durch Herkunft, Betroffenheit und Vorhaben bestimmt ist. Über all dies im Folgenden also mehr.

Wolfram Pfreundschuh

München im Oktober 2018

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Verlag Kulturkritik 2018, 453 Seiten DIN-A-5



1) In der Statistik des Bruttoinlandsprodukts werden alle Umsätze aufsummiert, die auch völlig gegensinnige Werte darstellen. So erscheint dort der Geldumsatz der Finanzindustrie ebenso positiv, wie der realwirtschaftlich erzeugter Produkte, obwohl erste dem Buchgeld einer Negativverwertung entspringen, die letztre Produktion entwertet, ein fiktives Kapital gegen reelle Produktion verrechnet. Von daher kann das BIP überhaupt keine Aussage über den Wohlstand einer Nation machen. Der wäre dann um so größer in dem Maß, wie das Kreditwesen anwächst.

2) „Humankapital [engl. human capital], beschreibt diejenigen Merkmale einer Person, die ihr ermöglichen, wirtschaftlich produktiv zu handeln. Der Begriff geht auf Arbeiten der Wirtschaftswissenschaftler Jacob Mincer, Theodore W. Schultz und Gary S. Becker zurück. Das Konzept dient der Erklärung von individuellen Unterschieden im ökonomischen Erfolg (mikroökonomisch, etwa Einkommensunterschiede) und von nationalen Unterschieden im ökonomischem Erfolg (makroökonomisch, etwa im durchschnittlichen Pro-Kopf-Bruttonationaleinkommen). Daneben wird Humankapital zum Verständnis von Gesundheitsverhalten, Erziehung und Fertilität herangezogen. In der Regel wird Bildung als Indikator für Humankapital verwendet, konkret der höchste Abschluss einschließlich tertiärer Bildung oder der Umfang an Bildungsjahren (Schule, Berufsschule und Hochschule zusammen).“ (zitiert nach dem „Lexikon der Psychologie“ von Dorsch)

3) Stagflation ist eine Inflation, ein Verfall des Geldwerts zu einer Wertgröße, mit der keine Produktion mehr rentabel sein kann und diese stagnieren lässt. Von daher ergeht hieraus eine Deflation, eine Stagnation des Bruttoinlandsprodukts der Nationalstaaten. Dies ergibt seitens des Geldes eine Entwertungsspirale, da der sinkende Wert des Inlandsprodukts die nationale Geld­entwertung weiter treibt.