Wolfram Pfreundschuh (11.1.2008)

Ökonomische Krise, “Innere Sicherheit“, Rassismus und Kulturalismus

Nach Ansicht unserer Bundeskanzlerin Frau Merkel ist die ökonomische Krise ausgestanden. Die Arbeitslosigkeit würde zunehmend geringer, die Familien hätten zunehmend mehr Geld zur Verfügung und der Wirtschaftsaufschwung sei vollendet und „bei den Menschen angekommen“. Zumindest meint sie das in ihrer Neujahrsansprache. Aber es klingt so, als ob sie selbst daran glauben würde. Und darin hat sie ja Übung. In jenen weihevollen Momenten der Besinnung auf das Ganze lässt sie einen ökonomischen Optimismus erstehen, der jeder realen Analyse der Volkswirtschafter und der Wahrnehmung der Bevölkerung widerspricht. Nach Ansicht eines Großteils der deutschen Bevölkerung, laut Allensbach-Umfrage über 80% der Befragten, geben an, vom Wirtschaftsaufschwung persönlich nichts zu haben. Die Wissenschaftler werfen ihr vor, die Chance zu verpassen, die Wirtschaft durch Steuernachlässe zu sanieren und sie vermittelst der aktuellen Mehreinnahmen aus dem Export gegen die Verschärfungen der kommenden Krisen, die schon jetzt klar abzusehen sind, zu stärken. Der kleine vorübergehende Ausschlag der Konjunkturlage wird in ihrer Rede zu einem staatspolitischen Glockengeläut zum Zweck der Volksverdummung. Der Staat denkt eben voraus und weiß, wo er Stimmung machen muss, um seine Entscheidungen und Pläne umzusetzen. Denn real zählt für ihn nur die Bestärkung des Kapitals in seinem Entwicklungsvermögen und die Abhängigkeit hiervon durch hohe Staatsverschuldung. Das wirkliche Leben der großen Mehrheit der Bevölkerung, die ohne Besitz außer dem ihrer Arbeitskraft auskommen muss, ist ihm hiergegen zwar nicht völlig gleichgültig, wohl aber der ganzen "Finanzlast" weit nachgeordnet.

Unter dem Gewicht der Staatsverschuldung geht es dem Staat weniger um das Leben der Menschen, die von ihrer Arbeitskraft leben müssen, den Besitzlosen, als vielmehr um seine essenzielle Anteilnahme am Erfolg der Finanzmärkte. Nichts ist ihm wichtiger als deren Wohlergehen, also der "konjunkturellen Stimmungslage", den "Wachstumserwartungen der Wirtschaft", denn nichts bedrängt ihn mehr, als die Forderungen des Finanzkapitals, dem er nicht nur die Kreditaufnahme für seine Staatsschulden "verdankt", sondern dem er zudem hohe Zinsen zahlen muss, wenn er diese nicht reduzieren kann - derzeit 68 Milliarden Euro Jahr für Jahr.

Friedrich Engels beschrieb das schon im 1884:

„...die demokratische Republik weiß offiziell nichts mehr von Besitzunterschieden. In ihr übt der Reichtum seine Macht indirekt, aber um so sicherer aus. Einerseits in der Form der direkten Beamtenkorruption, wofür Amerika klassisches Muster ist, andererseits in der Form der Allianz von Regierung und Börse, die sich um so leichter vollzieht, je mehr die Staatsschulden steigen...." (F. Engels, Ursprung des Staates, MEW 21, 167).

Von daher bekommt die Staatsgewalt einen besonderen Geschmack. Die Staatspleite, die 2002 aus der Kapitalspekulation entstanden war, führte dazu, dass der Staat selbst spekuliert und die Bevölkerung in seine Spekulation auch noch einbezieht (z.B. Riesterrente) und sie als Bürgschaft, als Faustpfand seiner Gewalt dem Kapital andient. Nur darin sind Staatsanleihen und Verträge über zukünftige Entwicklungen im ökonomischen Sinn gedeckt. Aber das verlangt in Krisenzeiten vor allem eine stringente und effiziente Ausstattung dieser Gewalt. Der Staat muss sich dem Kapital gegenüber propper geben, seine Leute und deren Problem mit der verschärften Krisenlage „im Griff“ haben.

Und das ist schwierig, wenn hierfür die Mittel in der Staatskasse knapp werden. Mit der Verschärfung der Krisenlage und Arbeitslosigkeit und der Minderung des Sozialvermögens verschärfen sich auch die existenziellen Konflikte der Besitzlosen. Ihre Aggressionen werden deutlicher und werden auch deutlicher wahrgenommen. Sie werden aber vor allem befürchtet, weil sie von einem Ende des allzeitig Machbaren künden. Gemessen an dem, was dem Staat in seiner Krise noch bevorsteht und was er mit der Bevölkerung vorhat, erscheinen sie als wesentliches Problem, besonders, weil sie in die Bevölkerung überhaupt streuen und auch dort Staatsverdruss und Aggressivität bestärken können. Ohne eine Verstärkung der Ausstattung von Staatsgewalt ist zu befürchten, dass die allgemeine Verdrossenheit mit dem Staat und der ökonomischen Lage um sich greift und immer mehr Menschen erfasst, sie vielleicht sogar zu einem Bewusstsein über deren Gründe anstößt. Der demokratische Staat bekommt Angst vor seinem angeblichen Souverän, dem sogenannten Volk. Und solange er kein Geld hat, um dieses zu beruhigen, bleiben ihm nur Gesetze. Was dabei herauskommt, ist die Verschärfung der Staatsgewalt per Androhung gegen die Bevölkerung, die als Bemühung um die sogenannte innere Sicherheit dargestellt wird. Und das erscheint dann schlagartig als das fast ausschließliche Problem, das nicht kapitalistische Krisen mit sich bringen, sondern menschliche Bosheit als solche.

Dass Leute völlig irrational werden, wenn sie nicht weiter wissen, gibt es ja öfter. Dass diese Irrationalät sich aber als Rationalität des Staats verkaufen lässt, das ist nun wirklich eine „höhere Staatskunst“. Dazu braucht es tiefer greifender Instrumente. Das wichtigste davon ist das Spiel mit der Angst der anderen, die Verschärfung der Existenzangst (siehe z.B. Hartz IV) und die Besorgnis um den kulturellen Selbsterhalt, die Angst vor dem „Untergang des Abendlandes“ oder einem vermeintlichen „Kampf der Kulturen“. Darin finden die Rechtgläubigen schnell einen Trost, denn dagegen kann man sich mit staatsmächtiger Gewalt stellen. Von einer anderen Seite her droht weitaus größere Gefahr: Die gesellschaftlichen Dysfunktionen verraten nämlich vor allem auch die Gründe der Krise, denn Probleme mit dem Geld sind immer auch Probleme des Geldes, welches offenbaren muss, dass es nicht nur Zahlungsmittel ist, sondern vor allem Kapital darstellt. Warum sonst können Menschen zu verlängerten Arbeitszeiten gedungen werden, wo immer weniger Arbeit da ist? Das bringt doch viel Ärger und soziale Konflikte mit sich. Ist der Staat so blöd, da mitzumachen und nicht einfach die Gesetze zugunsten einer Minderung sozialer Konflikte zu schaffen? Wäre das alles nicht ganz einfach gelöst, wenn alle Menschen weniger arbeiten müssten und einen größeren Anteil am Mehrprodukt ihrer Gesellschaft hätten?

Die sozialen Konflikte mit der Armut und die Irrationalität der Staatsgewalt

Was Geld wirklich ist, das wissen die wenigsten. Die Leute haben eher Angst vor dem, was ohne Geld alles geschieht, was also dort geschieht, wo die Armut sprichwörtlich ausgebrochen ist, wo keine Einkünfte mehr möglich sind und Familien um ihren vermeintlichen Selbsterhalt durch Arbeit betrogen werden. Das geht aufs Ganze, besonders auf die Kinder und die Jugendlichen. Und das hat sich extrem verschärft. Musste z.B. in den 70ger Jahren nur jedes 70. Kind in einem Sozialhilfe-Haushalt aufwachsen, so ist es inzwischen jedes 6. Und wo in einer Gesellschaft mit einem Überangebot an Konsumgegenständen und –möglichkeiten kein Geld vorhanden ist, kommt es leicht zu Gewalt und Agressionen, besonders bei jenen Jugendlichen, die aufgrund ihrer sozialen und kulturellen Lage keine Chancen für eigene Entwicklungsmöglichkeiten ihres Lebens sehen können.

Das Brutalste ist die Hoffnungslosigkeit. Mit ihr verbreitet sich Resignation, Gewalt und Gleichgültigkeit. Solange jemand hinreichend viele Geldeinkünfte hat, kann er seine ins Private hinein abgetrennte Individualität noch irgendwie hinnehmen und vielleicht hie und da genießen. Wo solche Einkünfte aber ausbleiben oder schon gar nicht zu erwarten sind, da schlägt diese Isolation und die darin treibende eigene Wertlosigkeit unmittelbar durch als nackte Lebensangst und erzeugt einen inneren Druck, der als permanente Erregung in den betroffenen Menschen verbleibt und zum Dasein in einer Randgruppe zwingt. Dort sind die Kämpfe nicht geringer als sonst. Männer und Frauen verprügeln sich, sperren sich aus, und verzweifeln – oft mit Drogen und Alkohol. Am Ende stehen dann immer die Schwächsten, die Kinder, die keine Zuwendung mehr erfahren – und manchmal auch vollständig im Stich gelassen werden. Über die Medien wird offenkundig, dass einige sogar mitten in einem der reichsten Länder der Erde  verhungern müssen. Sie zeigen besonders vorzüglich das entsetzliche Resultat einer rasant anwachsenden Kluft zwischen Armut und Reichtum und machen das Entsetzen in jeder Wohnstube prominent, greifen es heraus und lösen es von seiner Herkunft und meist auch von seinen wirklichen Verhältnissen. Vor allem trennen sie es von seiner gesellschaftlichen Substanz ab.

Das Entsetzen geht dann schlagartig und plötzlich alle an. Es muss schnell einen Täter erkennen lassen, den man fassen, totalisieren und dann schließlich in irgendeiner Strafkammer verurteilen und wegstecken kann. Jene, die ihren Verpflichtungen nicht mehr nachgehen konnten, weil sie in völlige Isolation und auch Selbstisolation, in eine Abtrennung von sich selbst geraten waren, werden schnell an den öffentlichen Pranger gestellt, weil sie ein Exempel des Bösen sind und dieses auch an ihnen statuiert werden soll.

So denken vor allem die, deren Gleichgültigkeit auf höherer Ebene verkehrt, die Gemeinpersönlichkeiten des guten Lebens und also die Vertreter der menschlichen Güte schlechthin. Es ist das Bildungsbürgertum und dessen Abkömmlinge, die Staatsagenten, sprich: Politiker. Die wollen lieber ihre elitären Zukunftsvorstellungen und -erwartungen weiterbringen als mit solchem „Abschaum“, wie das die Nazis nannten, noch wirklich zu tun zu haben. Es soll daher eine persönliche Macke sein, eine individuelle Eigenschaft, die ihrer gesellschaftlichen Natur entledigt werden muss, eine wild gewordene Natur, ein Wolf in der Innenwelt von Menschen, damit solche Armut, die nicht sanft und gebeugt daherkommt, sondern die gräßliche Fratze totaler Hoffungslosigkeit offenbart, niedergemacht werden kann. Um die eigentümlichen Entwicklungen einer solchen Gesellschaft zu verschleiern, muss daher eine abartige Natur festgestellt und festgehalten werden, wodurch dann schnelle Abhilfe durch Ausgrenzung und Staatsgewalt geschaffen werden soll.

Die Personalisierung des sozialen Crashs der kapitalistischen Gesellschaft

Das gesellschaftliche Übel als solches wird vollständig ausgeblendet und ersetzt durch üble Persönlichkeiten oder wild gewordene Fremdkulturen, welche den hervorragenden Grund zu einer allgemeinen Verunsicherung hergeben sollen. Durch die Kulturalisierung von vermeintlich unguten Einflüssen zu einer Antikultur, zu einer Kultur des Bösen, entsteht alleine durch die Negativsetzung eine Gemeinschaft der Guten, die eben dadurch Gut sind, dass sie das so geschaffene Böse bekämpfen. Und da gibt’s vor allem ein Mittel: Die staatliche Exekution des Bösen durch das verschärfte Statut der inneren Sicherheit, durch Gesetzgebung und Gewaltverstärkung.

Das macht dann die Grundlage eines rechten Staatsverständnisses aus und deckt sich mit diesem. Wo sich Aggressivität öffentlich zeigt, wird dies als Grund für ein persönliches Übel in einer an und für sich guten Gesellschaft angesehen. Und wenn die Gesellschaft wirklich in einer üblen Lage ist, da werden dann die rechten Politiker in diesem Sinne auch offen populistisch.

Die Medien werden in ihrem gesonderten Interesse nach Popularität allgemein bestärkt, ihre Bilder und Töne als Authentizität der Wirklichkeit schlechthin dargeboten. Eindrucksvolle Videoaufzeichnungen von einzelnen Gewalttaten, Verallgemeinerungen des Einzelnen, sind das beste Mittel zur Beschwörung einer notwendigen Verschärfung von Staatsmacht. Die Medien verschaffen damit schon aus ihrem eigenen Wirkungsinteresse heraus die Prominenz eines Gewaltszenarios, das den wirklichen Dimensionen entzogen ist und im Rampenlicht moderner Television zum Schaubild für Staatssicherheit, zur Schautafel rechter Staatslehre hergenommen wird.

Nicht von ungefähr kommt daher die momentane Diskussion über innere Sicherheit, über verschärfte Lauschangriffe auf Computerdaten, Vorratsdatenspeicher und sogenannte Erziehungscamps und schnelle Ausweisung, wodurch die Ausländer- und Jugendkriminalität bekämpft werden soll. Die wirklichen Grundlagen hierfür sind äußerst dürftig. Behauptet wird eine Zunahme an Jugendkriminalität. Die ist aber seit Jahren nicht wirklich angestiegen sondern im Großen und Ganzen sogar ziemlich gesunken: Raub durch Jungendliche um 21%, Mord und Totschlag um 30%. Nach wie vor sind weniger als 5% der Jugendlichen überhaupt in Gewaltkonflikte und Kriminalität verwickelt, obwohl sich ihre objektiven Chancen auf angemessene Ausbildung und Berufsaussichten gemindert und sich ihre Armutsanteile stark verschärft haben. Ein Bericht aus fünf Bundesländern für die Innenministerkonferenz (IMK) kommt zu dem Ergebnis, dass die tatsächliche Kriminalität im Jugendbereich weder quantitativ noch qualitativ angestiegen sei. Vielmehr bewege sich die Zahl der tatsächlichen Delikte auf einem relativ konstanten Niveau, wie unter anderem auch so genannte Dunkelfeldstudien und Auswertungen von Statistiken aus der Versicherungswirtschaft ergeben haben (Quelle SZ vom 7.1.08). Lediglich die Gewalt der Straße, die Körperverletzung als solche ist um 58 % gestiegen, davon zur Hälfte durch Migranten. Der Großteil der anderen Hälfte, also der Deutschen betrifft Migrantenkinder. Die gesetzlichen Grundlagen für harte Bestrafung sind längst vorhanden: Schon für 18jährige steht auf schwere Körperverletzung bis zu 5 Jahre Gefängnis, auf Mord 15 Jahre. Und die hochgepuschten Intensivtäter, für die Erziehungscamps eingerichtet werden sollen, stellen überhaupt nur einen Personenkreis von 502 Menschen dar – geradezu lächerlich für den ganzen Rummel der so tut, als gebe es hierzu kein bestehendes Recht und Gesetz und als müsse man diese Leute fürchten wie die Pest.

Die mediale Prominenz der Themen steht in keinem Verhältnis zu ihrer wirklichen Bedeutung. Auch glaubt in Wahrheit niemand an die gewaltlindernde Wirkung einer Strafverschärfung. Professor Christian Pfeiffer von der Uni Köln hat bewiesen, dass unter denselben sozialen Bedingungen von Einkommen und Bildung zwischen Ausländern und Deutschen hinsichtlich ihrer Kriminalität kein Unterschied auszumachen ist, dass also das wesentliche Problem die soziale Lage der Menschen sein muss. Eine Verschärfung des Strafmaßes würde nichts erbringen, weil z.B. bei schweren Körperverletzungen dem Bewusstsein meist unzugängliche Erregungen treibend sind. Davon können auch die beanspruchten Aggressiontherapeuten berichten. Außerdem liege der Anlass solcher Vorschläge wohl eher in den fehlenden Staatsmitteln. Auch der ganz gewöhnliche „Rechtsvollzug“ leide unter dem Mangel an juristischem Personal und entsprechender Ausstattung. Das ginge in alle Bereiche des schlecht finanzierten deutschen Rechtssystems hinein.

Es wird in den politischen Auseinandersetzungen getäuscht, gelogen und verzerrt. Was ist da los, wenn die Berichterstattung und Beachtung über die Notwendigkeiten einer neuen Sicherheitspolitik so gradlinig an der Wirklichkeit vorbeischrubben will?

Die finale, die "richtige" Politik des bürgerlichen Staates der repräsentativen Demokratie ist letztlich eine rechte Politik

Eine rechte Politik ist nicht wirklich wegen der Gewaltkriminalität um die Finanzmittel des Staates besorgt. Sie braucht überhaupt einen starken Staat, weil sie die gesellschaftlichen Probleme in den Menschen überhaupt sehen will, die nur durch staatliche Autorität zu bändigen seien. Sie baut auf die Ordnung des Ganzen, auf die gegliederte Totalität einer gesellschaftlichen Institution und verlegt die Lösung in eine bestimmten Staatskultur hinein, die gegen den „Wildwuchs“ durchgesetzt werden müsse. Ein rechter Staat ist ein pädagogischer Staat. Man braucht also im Grunde den starken Staat nicht einfach gegen ein paar Kriminellen, sondern für alles, was rechte Politik ausmacht. Jede einzelne Begründung hierfür ist aus den aktuellen Bildern und Diskussionen entnommen, ja nach ihrer populistischen Wirksamkeit. Von daher macht man auch keinen großen Unterschied zwischen körperlichen Gewaltanwendungen durch Migranten oder Deutsche und Terrorismusbedrohung. Und also wurde mit dem Thema „Innere Sicherheit“ und einer entsprechenden Gesetzesvorlage letztes Jahr wieder mal begonnen, die nun weiter vorangetrieben werden soll. Gemeint ist damit nicht etwa die Existenzsicherheit der Menschen, sondern die Sicherheit der bürgerlichen Institutionalität, der Schutz des Staates, der Einsatz von Staatsgewalt zur Kontrolle und Züchtigung der privaten Lebensbereiche gegen „gesellschaftliche Verwilderungen“, die angeblich aus diesem Bereich heraus verursacht sein soll.

Auf dem Dreikönigstreffen der CSU in München, wurde zur Begründung einer politischen Wende ganz grundsätzliche Positionen herangezogen und bedacht. So kam es, dass der Münchener OB-Kandidat der CSU, Josef Schmid, in Anwesenheit des Bundesinneministers Schäuble endlich mal den Unterschied von rechter und linker Politik erklären durfte. Es ist kein Kabarett von Gerhard Polt. Es ist wirklich das Original:

„Die Linken kommen von der Gesellschaftslehre, vom Weltbild eines Karl Marx her. Was hat das bedeutet. Was hat Karl Marx gesagt? Er hat gesagt: Alle Menschen sind gut. Und was dann schlecht ist in unserer Gesellschaft, das kommt aus dem gesellschaftlichen Überbau, weil Menschen ausgebeutet werden. Dadurch entsteht dann in sozial schlechten Milieus Kriminalität, allein dadurch passieren dann Gewaltdelikte, Straftaten. Das Sein bestimmt das Bewusstsein, das war der Satz. Aber der Mensch ist grundsätzlich gut und deshalb darf man alles nur daransetzen, permanent bei ihm anzusetzen und seine Position zu vertreten.
Und auf der anderen Seite das christlich-abendländische konservative Welt- und Menschenbild. Das hat gesagt: Homo Homini Lupus. Der Mensch ist des Menschen Wolf. Der Mensch ist des Menschen Feind. Also das Schlechte, das Böse, auch die christliche Lehre, steckt ja auch in jedem Menschen. Und es gibt eben auch Menschen, die nicht mehr zu erziehen sind. Und das ist genau der entscheidende Unterschied. Basierend auf diesem Weltbild, das wir für das richtige halten, kann man dann nicht bei der zweihunderttausendsten erzieherischen Strafe stehen bleiben, sondern wenn jemand alle Chancen in seinem Leben verpasst hat, wieder auf einen rechten Weg zurückzukehren, dann ist die Sicherheit, die Unversehrtheit der rechtschaffenden Bürgerinnen und Bürger, der Münchnerinnen und Münchner, höher zu bewerten und dann gehört er in der Tat weggesteckt."

Es ist ja erst mal pure Comedie, wie Josef Schmid sein Marxverständnis entblödet hat. Aber man sollte doch noch mal rekapitulieren, was er über seine „richtige Staatsphilosophie“ sagt, um genauer zu verstehn, was für einen Unsinn er da bei Weißwurschtfrühstück mit Brezeln und Bier verzapft hat. Es sind Weisheiten, die eigentlich zu Beginn der Aufklärung im frühen 17. Jahrhundert verbreitet worden waren. Herr Schmid sagt es ja selbst: Homo Homini Lupus – Der Mensch ist des Menschen Wolf. Und er bezieht sich damit auf die Staatstheorie von Thomas Hobbes und zugleich auf die christliche Lehre von Sünd und Schuld. Das geht zwar durchaus zusammen, aber es ergibt sich hieraus auch ein Menschenbild des geläuterten Menschseins, des Menschen, der sich aus Wildheit, Sünde und Schuld emporhebt zu höherer Bestimmung, wodurch sich quasi aus seiner menschlichen Natur und Gierde die natürliche Grundlage eines jeden Staatswesens begründen lässt. Der Staat ist die Vernunft gegen das Menschentier. Das sind die Grundlagen einer altvertrauten Staatspädagogik, die besonders zu Krisenzeiten gerne angewandt wurden und dabei einen Zeitenwechsel eingeläutet hatten: Des Menschen Unnatur sei des Staates Macht.

Behauptungen über das menschliche Wesen und dem diesen entsprechenden Staat sind nicht Bestandteile einer allgemeinen Ideologie, der Logik von Ideen zur Wirklichkeit, sondern Behauptungen zu einer „dem Menschen angemessen“ Staatskultur, sind also Kulturphilosophie, wie sie besonders von Empiristen und Phänomenologen aufgestellt wurden und werden. Thomas Hobbes hatte daraus eine ganze Staatstheorie gemacht, wonach jeder einzelne Mensch durch sein Unvermögen, sich auf andere Menschen wirklich zu beziehen, diesen also überhaupt als Mensch, als Wesen Seinesgleichen zu erkennen, den Staat nötig habe, der ihm sittlichen Notwendigkeiten, die alleine aus der Staatsräson erstehen, auferlegt und das Staatswesen als höchste sittliche Gewalt sicherstellt. Hobbes hatte diese Auffassung ausdrücklich auf einen absolutistischen Staat, auf einen Staat mit einer absoluten Herrscherpersönlichkeit bezogen und ist für diesen auch eingestanden. Nur unter solcher Bedingung kann diese Behauptung überhaupt auch wahrgemacht werden. Wie sonst soll sich eine Staatsräson ergeben, wenn sie nur von Menschen bestimmt wäre. Der Staat begründet sich damit zwangsläufig aus einer höheren Bestimmung, aus einem übermenschlichen Wesen. Es ist immer noch eine implizit feudalistische Grundposition, die auch dann fortbesteht, wenn dabei von einem Vertrag zwischen Volk und Herrscher gesprochen wird. Ohne Gottes Gnade oder einem finalen Prinzip, z.B. einem Heilsgedanken oder einem Erlösungsglauben, lässt sich keine Herrschaft dieser Art begründen – eben weil den Menschen auch allgemein solche Vernunft abgesprochen ist.

Ein Staat dieser Art errichtet sich daher auch immer an einem allgemein personifizierten Unmenschen, in welchem alles Unartige, was der aktuellen Krise entspricht, hineinprojiziert wird – z.B. der gewalttätige „Ausländer“, der Zigeuner, der Schwule, der Jude usw. Das hat mit der landläufigen Vorstellungen zu einer Demokratie eigentlich nichts zu tun, widerspricht aber auch nicht den staatspolitischen Grundlagen einer repräsentativen Demokratie. Der Staatsvertrag besteht hier aus einem Repräsentationsvertrag, wonach der Gewählte zwar aus einer Abstimmung hervorgeht, aber nichts damit Bestimmtes weiterzutragen hat, sondern lediglich seinem sogenannten Gewissen folgen darf. Man könnte es auch Willkür nennen. Die Systematik des Kapitalverhältnis legt dann sowieso die entsprechende Entscheidungsnotwendigkeit vor und so muss er also sowieso dem allgemeinen Trieb der Verwertungslogik folgen.

Die CSU verbindet den Wolfsmenschen mit den Grundlagen des Christentums. Demnach haben die im Einzelnen immer sündigen Menschen eine hierüber erhabene Allgemeinheit wie eine Art Gottesgebotenheit nötig. Auch das hatte es schon mal gegeben, wenigstens als Einstiegsdroge mit der Gottergebenheit in den deutschen Nationalsozialismus. Die Katholische Kirche hatte es später gereut. Aber sie wird inzwischen anscheinend auch schon wieder wieder vergesslicher. Ein absoluter Herrscher gerät immer schnell in Konkurrenz zu Gott. Das sollte sie eigentlich wissen. Aber es geht ja nun erst mal nur um den Einstieg, um die sicherheitspolitische Zwangsstruktur, durch welche die Staatspädagogik sich ihre Züchtigungsmittel schneidert.

Der "Mensch als des Menschen Wolf" im Staatsverständnis der CDU/CSU

Um Staatspädagogik geht es letztlich. Das war mit Harzt IV schon so und wird nun im angesichts des Terrors erst so richtig entfaltet. Wie gut, dass es den Terror gibt, denn es kann der Staat sich selbst am besten verfestigen, wenn sein Terror als notwendige Reaktion auf Terrorismus erscheinen kann. Auch das gab es schon. Und das spricht dann schließlich auch der Schäuble stringend aus. Es geht um die pädagogische Hoheit des Staates, um das kulturalisierte Strafrecht. das er aus einer Selbstmystifikation zu einem kulturellen Gemeinwesen, einem Kulturstaat begründet. Dies begründete Bundesinneminister Schäuble auf dem Dreikönisgstreffen der CSU 2008 in München folgendermaßen:

"Es ist eine alte Erfahrung – darüber haben wir schon vor Jahrzehnten streitig diskutiert – dass man Kriminalität am Anfang bekämpfen muss, und nicht am Ende ihrer Karriere. New York war vor Jahrzehnten eine Stadt, von der haben die Fachleute geschrieben, sie sei hoffnungslos dem Verbrechen anheimgefallen. Dann kam ein Bürgermeister, der hat gesagt: Null Toleranz. Es fängt mit der Verwahrlosung an. Das war die Theorie der „Broken Windows“: Wenn die erste Fensterscheibe in einer ansonsten geordneten Straße zerbrochen ist und sie wird nicht innerhalb eines Tages wieder repariert, dann fängt ein Prozess der Verwahrlosung an, an dessen Ende dann Mord und Totschlag steht. Und deswegen muss man bei der zerbrochenen Fensterscheiben anfangen und nicht erst dann, wenn der Mord und Totschlag passiert.
Und dann muss man natürlich die Menschen, wenn sie gegen Gesetze verstoßen haben, wenn sie sich strafbar gemacht haben - und das sind nicht nur die Erwachsenen - versuchen, sie auf den richtigen Weg zurückzuführen. Deswegen sehe ich gar nicht so sehr – da sind wird ganz derselben Meinung – den Unterschied zwischen Strafe und erzieherischen Maßnahmen. Zur Pädagogik gehört auch Strafe. Das weiß man auch. Wir Menschen sind so. Das ist die Doppelnatur des Menschen. Wir haben das nicht so direkt. Hat mir sehr gefallen. Am Dreikönigstag darf man das vielleicht auch, sogar in München, das richtige Menschenbild zu erwähnen. Ist ja doch ganz gut. Die Doppelnatur des Menschen: Dass wir zur Freiheit gerufen sind, dass wir fähig sind, Freiheit aufzunehmen, aber dass wir natürlich alle auch immer psychologisch in der Sünde verstrickt sind, dass wir auch in der Gefahr sind, wir Menschen, so wie wir Menschen sind, gegen das zu verstoßen und sich (nicht) daran zu halten, was wir für richtig halten. Deswegen brauchen wir das Recht, das System für den Rechtstaat, und die Gesetze und die Gerichte und die Polizei, die das entscheidet. Und deswegen ist das auch so. Das weiß man von sich selber, weiß man von der Erziehung von Kindern. Man muss gelegentlich auch schon mal richtig erfahren: Halt, so geht’s nicht weiter. Es geht nicht immer nur mit gutem Zureden, sondern man muß gelegentlich den Menschen auch Grenzen auferlegen. Und deshalb ist das auch kein Gegensatz. Erziehung ohne klare konsequente Haltung ist keine Erziehung."

Es wird also deutlich ausgesprochen, worum es geht, um den Staat als Funktionär einer Volkserziehung mit „null Toleranz“ gegen einen vermuteten Täter und um eine strikte Ordnung für den Bürger, die einzige „Sicherheit“ gegen Verwahrlosung des Ganzen. Der Staat soll es sein, der „seine Bürger“ in gute und schlimme einteilt, indem er Sonderbehandlungen für die entwickelt, die ihm auffällig geworden sind und die werden auffällig, sobald sie in eine seiner weit ausgelegten Maschen geraten sind.

Natürlich reicht eigentlich das bestehende Gesetz zur rein bürgerlichen Handhabe von Kriminalität längst aus. Aber es geht dem rechten Staat nicht um die bloße Durchsetzung der Exekutiven, es geht um die Ordnung des Ganzen und auch um eine Kanalisierung des Volkszorns bestimmter Kreise zugunsten einer Akzeptanz, Wahl und Unterstützung der rechten Staatsgewalt. Die ist zwar aus gänzlich anderen Gründen nötig, aber sie funktioniert nur, wenn „alle an einem Strang ziehen“, damit das untergehende Boot der Staatskultur gerettet, die Macht des Bösen bekämpft werden könne. Die „kleinen Staatsagenten“, die Helfer und Helfershelfer der Anpassung, sollen den großen ausdrücklich politisch beistehen – und umgekehrt. Es soll eine Art Volksbewegung, eine Bewegung der wahren Kultur und Zivilisation werden.

Es geht im Grunde ausschließlich um die Selbstversicherung der Staatsgewalt, die im Hinblick auf immer unsicherere Zeiten aufgerüstet werden soll. Schäuble und Roland Koch wissen das und sind auch von ihrer Partei dazu bestimmt worden, einen Rechtsrutsch der CDU zu bewirken. Es geht nicht nur um Wählerstimmen, sondern auch um eine Staatsräson, die heute vorbereitet, was ihr morgen nötig ist, die glaubt, dass sie die Probleme mit der Staatsschuld und den Mindereinnahmen des Staats und den Abbau der Sozialleistungen  in den Griff bekommt, wenn die Bürgerinnen und Bürger zu immer mehr Verzicht, Kontrolle, Selbstdisziplin und Mehrarbeit bereit sind.

Die eigentlichen Sachverhalte wurden in der CSU-Veranstaltung auch gar nicht genau benannt. Das wäre vielleicht auch dort zu konkret. Aber immerhin wurden einige davon so aufgeführt, dass ihnen jeder „brave Staatsbürger“ zustimmen kann – besonders dem konkreten Erziehungsakt, der möglichst schnell, z.B. die Ausweisung von kriminellen Migranten als „Strafe auf den Fuß“ folgen und keine rechtsstaatlichen „Umwege“ (z.B. über das allgemeine Ausländergesetz) mehr haben soll. Abschiebung soll schon bei einfacher Kriminalität möglich, das Volk schnell und unmittelbar von „schlechten Ausländern“ befreit werden. Das hat Folgen nicht nur für das Leben ganzer Familien, worin ein Mitglied betroffen ist, sondern für das ganze Kulturverständnis in einem Einwanderungsland. Aber das ist nur ein Teil der Pläne. Es soll per Vorbeugegesetze eine Serie von Generalverdächtigungen entwickelt werden, denen jeder Staatsbürger unterworfen wird. Der Staat errichtet sich immer deutlicher gegen einen Teil der Bevölkerung und stabilisiert vor allem seine Eliten sowohl im Bürgertum, wie er auch die Anpassung von Besitzlosen an die herrschenden Besitzverhältnisse verstärkt. Sie alle sollen an der Volkserziehung beteiligt werden, als Agenten des schönen und guten Lebens in einer braven Staatskultur, zumindest in der Vorstellung und Aussicht.

Hierfür rüstet der Staat sich auf zu einer Agentur der Kontrolle und Disziplinierung seiner Bürger.  In der Generalverdächtung seiner Bürger als Ansammlung von Wolfsmenschen bestimmt er die wahre Staatskultur. Und mit hieraus abgeleiteter Eigenschaft und Herkunft von Menschen begründet sich staatlicher Rassismus. Der Staat kann sich gegen den Verdächtigen anders verhalten als gegen den Unverdächtigen, wenn er ihm auch schon im Vorhinein Persönlichkeitsmerkmale zuordnet. Die Art staatlicher Persönlichkeitsbestimmungen wird zum Rechtsverhältnis gegen eine Unart von Personen, die sich dem nicht beugen wollen oder können. Durch die damit bestimmte Hierarchie von Angepassten gegen Unangepasste entsteht ein ungemeiner existenzieller Anpassungsdruck und es werden aus der Klasse der Besitzlosen zwei Klassen, die sich vor allem kulturell unterscheiden. Angepasste Kultur wird zur Leitkultur. Anpassung wird mit relativem Wohlstand und Machtbeteiligung belohnt, Ohnmacht durch kulturelle und juristische Absonderung bestimmt, vor der sich jeder fürchten muss. Durch seinen Rassismus gewinnt der Staat sein mächtigstes Disziplinierungsinstrument, mit dem er die einen durch die anderen bedroht und Ressentiments schürt und vollstreckt. Auch wenn sie objektiv in gleicher Lage sind, erscheinen sich die einen besser als jene, die ihrer Lage nicht mehr entkommen können. Aber es soll dennoch jeder wissen, dass er unter einer objektiv mächtigen Knute steht. Und das Gefühl kann er auch jetzt schon haben.

Seit 1. Januar ist die Vorratsdatenspeicherung legal und schon voll im Gang. Die Internet-Provider müssen alle Daten, welche die Internet-Nutzer hinterlassen, also besonders ihre Emailadressen und deren Verbindungen  mit Uhrzeiten, für 6 Monate speichern und dem Staat auf Anfrage zur Verfügung stellen. Die Staatsanwälte, das Finanzamt, die Soziabehörden und die Richter können hierauf jederzeit zugreifen, ohne dass je der Betroffene davon erfahren wird. Die Rechtslage ist damit völlig umgekehrt: Nicht der Verdacht verlangt nach Beweisen, sondern der Verdächtige muss sich um seinen Unschuldbeweis bemühen, um nicht in einen dubiosen Zusammenhang zu geraten. Alle seine sonstigen Daten wie Fingerabdrücke und Passfotos stehen ja schon entsprechend zur Verfügung, wenn er einen neueren Ausweis hat. Und auch die Zuordnung zu den Meldeunterlagen ist einfach und legal geworden. Die volle Datenerfassung ist längst schon über die bisher gängigen Grundlagen hinaus entwickelt. Das bestätigt sogar der Bundesbeauftragte für den Datenschutz. Es kann noch hinzukommen, dass der Staat auf den Festplatten der Internet-Nutzer nach Intim-Informationen wühlen kann oder Trojaner in den Computer einbringt. Schließlich hätte er ein Recht dazu, eine „geregelte Abfrage“ auch von dort zu einem gegebenen Anlass von selbst zu starten. So will es jedenfalls Schäuble. Und auch an einer Strafverantwortlichkeit wird gebastelt, z.B. um die Zuordnung des Alters für das Erwachsenenstrafrecht. Ebenso an einer neuen Art von „Strafverfolgung“ den sogenannten Erziehungs-Camps.

„Mit der Errichtung von Lagern für straffällig gewordene Heranwachsende nähern sich die innenpolitischen Repressionsbemühungen der Berliner Regierung historischen Vorläufern. Die Einrichtungen, die offiziell mit englischer Bezeichnung versehen werden ("Camps"), um Erinnerungen an die Lager der NS-Zeit nicht zu wecken, werden besonders mit ausländischen Heranwachsenden in Verbindung gebracht und als Alternative zu deren Abschiebung gehandelt. Sie erweitern das bestehende Netz von Lagern zwecks Sammlung in Deutschland nicht erwünschter Ausländer. Die Debatte um die neuen Einrichtungen, die stark rassistische Züge trägt, wird besonders vom Ministerpräsidenten des Bundeslandes Hessen forciert, der im Wahlkampf von Stimmverlusten bedroht ist; sie ist jedoch nach Auskunft eines Berliner Regierungssprechers langfristig und bundesweit angelegt. Während Experten die Einrichtung von Lagern weithin ablehnen und Missstände bei der Bekämpfung von Kriminalität auf die systematische Umschichtung von Staatsmitteln zuungunsten von Justiz und Sozialwesen zurückführen, werden die Vorhaben von deutschen Neonazis begeistert begrüßt“ Soweit die Beurteilung von „german-foreign-policy“ (Quelle: http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57120 am 9.1.08)

Die CSU und der Großteil der CDU haben sich darauf schon festgelegt. Die menschenverachtenden Maßnahmen dieser „Erziehungs-Camps“ in den USA kann jeder in den Sendungen von n-tv nachvollziehen und über deren kulturpolitischen Zweck nachdenken.

Die Entwicklung einer Staatskultur wird von einer moralischen und kulturellen Spaltung der Bevölkerung getragen. Um den Sicherheitsgaranten gegen den Menschenwolf, jenen Gott des guten Bürgers zu schaffen, worum sich die CSU bemüht, kann die gewöhnliche Rechtsprechung nicht hinreichen. Dazu ist ein hoheitliches Kriterium für die Ausgrenzung von Bevölkerungsschichten aus der angepassten Bevölkerung nötig, eine übermenschliche Selbstbestimmung des Staates. Die Begründung verläuft über die Bedrohung eines hoheitlichen Ganzen, das in der Kultur gefasst wird. Dadurch wird sie zu einem politischen Ganzen, das mit dem Staat gleichgesetzt wird. Und die Kulturbedrohung kann auf diese Weise als Staatsbedrohung erscheinen. So behauptet sich der Rechtsstaat nun besonders als Kulturstaat, der als Bewahrer der Zivilisation politisch bewehrt werden soll – eben als gut gerüstete Gewalt gegen die Feinde der darin zusammengefassten Kultur. Es muss nicht mehr die Religion sein, durch welches ein übermenschlich bestimmtes Wesen dem Staat zur Seite geht. Das kann noch besser die Kultur.

Der Kulturstaat als Staatskultur der Zivilisation schlechthin

Darauf ist auch der deutsche Staat schon längst vorbereitet, begreift er sich doch schon seit Jahrzehnten offen als Kulturstaat, wiewohl er sich als laizistischer Staat begründet. Nun aber erst wird die Funktionalität des Kulturstaats dringend für die Politik eines total verschuldeten und bankrotten Staats nötig, und so wird der Kulturstaat schnell zur Staatskultur. Schließlich  kann der Staat seine Entscheidungen nicht mehr vordergründig aus den Notwendigkeiten einer demokratischen Politik begründen, wie es die Bevölkerung gewohnt ist. Und wo Argumente fehlen, da entsteht dann eben eine absurde Konstruktion, die sich aus Negativkriterien herleitet, eine artige Abstraktion gegen alles Unartige: Die Art des guten Menschen. Der mit Repressionen und Gewaltpotenzialen gegen die „abartigen“ Teile der Bevölkerung oder auch gegen andere Kulturen gut ausgestattete Kulturstaat wird daher auch zwangsläufig nationalistisch werden. Das alles kennen wir schon.

Der Kulturstaat lebt davon, dass er seine Interessenlage mit den Interessen eines größeren Teils der Bevölkerung teilt: Die Angst um den eigenen Fortbestand. Hat diese Angst bei der Bevölkerung zwar eher ihren Ursprung in der Bedrohung ihrer Einkommen durch eine allgemeine Krisenlage, so wird sie durch politische Kulturbestimmung, durch Kulturalisierung einer signifikanten Bedrohlichkeit, besonders durch populistische Propaganda der Politik und der Medien, schnell mit einer kulturellen Wesenhaftigkeit bestückt, zu einer Angst vor Fremdem, Andersartigen und Unabhängigen. Die traditionellen Bürgerwerte von Freiheit, Gleichheit und Solidarität kehren sich um in Machtbedarf für die eigene Art, für die eigene Natur als Rasse, die eigene Gebundenheit als Nation und die Selbstverpflichtung eines politischen Ganzen in nationalistischer Gesinnung. Der Übergang ist zwar schleichend aber stetig.

Es ist zunächst die Interessenlage von Kulturbürgern, die mit dem Kulturstaat von Haus aus verbunden ist.  Er erscheint ihnen als Garant ihres kulturalisierten Gemeinwesens, einer Kultur der besseren Zivilisation schlechthin. Aber das besonders Tückische daran ist, dass  sich in der vermeintlichen Interessensidentität von Nationalität und Existenzgefährdung auch leicht die Menschen mit ihm verbrüdern, die keine andere Chance einer Selbstvergegenwärtigung haben. Not, Armut und Angst, besonders aber die Hoffnungslosigkeit machen manche Menschen auch einfältig – und der Neid auf die Anderen lässt sich durch die Identifizierung mit dem großen Ganzen, dem Staat als solchen leicht kompensieren. Die Angst verbrüdert sich dann mit ihrer Ursache und die Armen beugen sich vor ihren Schlächtern und bilden somit eine Masse von blinder Hoffnung auf eine Lösung von dem Bösen, eine masenhafte Heilserwartung auf eine Endlösung aller Probleme. Wo die Krise existenziell durchgeschlagen hat, kann es leicht dazu kommen, dass der Menschenwolf im Schafspelz, ein Menschenführer als Übermensch auftritt und qua Selbstverhoheitlichung alles niederreißt, was ihm im Wege steht und was im allgemeinen Rassismus auch so begriffen wird. Wo kein Bewusstsein hiergegen gebildet ist, hat jede repräsentative Demokratie ihre totale Repräsentanz erreicht, ihre Vervollkommnung, ihren zum reinen politischen Willen verdichteten Repräsentanten - und ihr Ende zugleich, das Ende jeder persönlichen Willensbildung.

Rassismus ist wesentlich eine Selbstveredelung, wodurch ein Selbstwert hergestellt wird, der keine wirklichen Grundlagen mehr hat. Wo mangelhafte Lebensbedingungen, Angst und Hoffnungslosigkeit, Selbstgewissheit verunmöglichen, tut es gut, einen Gegner zu haben, der die eigene Kränkung in ihrer Negation verkörpert, ein Gegenüber, an welchem Selbstwertgefühle durch Nichtungsinteresse an dieser Verkörperung erwirkt werden. Die Gewalt gegen Schwache, gegen Obdachlose, Andersartige, Andersgläubige, Andersfarbige, Alte und Behinderte, Kranke oder seelisch geschwächte Menschen u.a. kommt nicht aus einer Ideologie, aus einem rationalen Bedürfnis, das sich gegen Menschen wendet, die dem Staat nur Geld kosten – wie das gerne behauptet wird. Sie kommt aus einem grenzenlos gewordenen Hass, aus einem eigenen Vernichtungsgefühl, das sich dadurch freimacht, dass es andere bedroht und manchmal auch wirklich vernichtet, welche die Wirklichkeit der Selbstwertprobleme darstellt: z.B. wirkliche Schwachheit, wirkliche Anderartigkeit usw. Aus der Bedrohung und Nichtung solcher Wirklichkeiten verwirklicht sich ein an und für sich leeres Selbst, das nur daraus besteht, durch eigene Kraft sich dieser Wirklichkeit entledigen zu können.

Das entleerte Selbst des Rassismus errichtet sich aus der Kraft selbstloser Gewalt, die lediglich aus Erregung besteht und keinen wirklichen Bezug zu ihrem Gegenüber hat. Sie lässt sich gerne auch führen und verführen, wenn sie in ihrem subjektiven Vermögen keinen Halt findet, für sich zu kraftlos ist. Sie bedarf dann einer Kraft, die auf einer bloßen Masse gründet, auf dem Miteinander, der leeren Gemeinschaft selbstloser Menschen. Der Kulturstaat nutzt dies für sich und kanalisiert es zur rechten Gesinnung, zu einer Volkskultur für die Menschen, die sich im Staat selbst aus ihrer Hoffnungslosigkeit und subjektiven Entleerung heraus gewinnen. Es müssen nur genügend sein, dann wählen sie auch die entsprechenden Politiker. So kann immer wieder aus der Krise der kapitalistischen Ökonomie und der Begrenzung der hierdurch reduzierten Staatsfinanzen, also aus der Staatsverschuldung und dem hierbei verursachten Niedergang des Sozialwesens, über die repräsentative Demokratie, ein völkischer Staat entstehen. Hitler war tatsächlich gewählt worden. Auch wenn momentan noch keine Statistik eine eindeutige Tendenz hiernach erfassen kann, der Rassismus, Nationalismus und Antisemitismus keimt im Stillen und heimlich.

Die Krisenentwicklung des Kapitalismus mündet immer wieder in eine Staatskultur des "Volkes", dem Staat der Volksgenossen, dem völkischen Staat

Solange es den Kapitalismus mit seinen inneren Widersprüchen gibt, insbesondere dem Widerspruch von der Entwicklung der Produktivkräfte und der Beschränkung der gesellschaftlichen Aneignung des Mehrprodukts durch das Kapital, gerät das produzierte Wertquantum immer wieder in Verwertungskrisen, weil es nicht dauerhaft vollständig als Wert realisiert werden kann.

Marx hat den daraus resultierenden Gegensatz so formuliert:

"Der letzte Grund aller wirklichen Krisen bleibt immer die Armut und Konsumtionsbeschränkung der Massen gegenüber dem Trieb der kapitalistischen Produktion, die Produktivkräfte so zu entwickeln, als ob nur die absolute Konsumtionsfähigkeit der Gesellschaft ihre Grenze bilde." (Karl Marx, MEW, Bd. 25, S. 501)

Die Menschen in Europa und USA leben in diesen Gegensätzen des Kapitalismus schon seit dem spätesten 18. Jahrhundert. Immer entsteht aus den Krisen eine ungeheuere Staatsverschuldung, sobald die Löhne nicht mehr hinreichen, die Produkte des kapitalistischen Produktionsprozesses zu kaufen und zugleich durch Steuer- und Sozialabgaben den Selbsterhalt des Staatswesens zu sichern. Schon Marx beschreibt diesen Verhalt mehrfach:

„Mit der Entwicklung und Akkumulation des bürgerlichen Eigentums, d. h. mit der Entwicklung des Handels und der Industrie wurden die Individuen immer reicher, während der Staat immer verschuldeter wurde. Dies Faktum trat schon hervor in den ersten italienischen Handelsrepubliken, zeigte sich später in seiner Spitze in Holland seit dem 18. Jahrhundert ... und findet jetzt wieder statt in England. Es zeigt sich daher auch, dass, sobald die Bourgeoisie Geld gesammelt hat, der Staat bei ihr betteln gehen muss und endlich von ihr geradezu an sich gekauft wird.“ K. Marx, Deutsche Ideologie, MEW 3, 344f.

Die Krisen sind immer wieder dieselben; das 20. Jahrhundert könnte als Lehrexempel hinreichen: Gerät das Kapital aus seinen Widersprüchen heraus in Verwertungskrisen, so enstehen zunächst Geldaufhäufungen für das konzentrierte Kapital und Geldmangel auf der Seite des Staats, der sich aus der Geldentwertung in der Bevölkerung ergibt (z.B. als Verteuerung der Sozialkosten). Aber die önonomische Krise selbst hat nichts mit Geldmangel zu zun, sondern ensteht aus unsinnigen Verwertungsprinzipien. Das Geld löst sich durch Deckungslosigkeit, durch Bankencrash und Inflation auf und kann daher garnicht die Krise bewältigen. Das muss dann der Staat versuchen. Der Irssinn wird daher offenkundig und verhält sich als abgehobene Staatspolitik jenseits aller liberalen Ideologie des Bürgertums in Wirklichkeit nur noch gegen die Bevölkerung. Durch die faktische Aufkündigung des bürgerlichen Staatsversprechens reagiert diese, sofern kein Bewusstsein über diesen Zusammenhang besteht, zum einen mit einem Standpunkt des Volkes gegen die herrschendende Politik, zugleich aber auch mit einer fatalen Identifikation mit der abstrakten Notwendigkeit eines Gemeinwesens. Das verlangt allerhand Selbsttäuschung über die eigenen Interessen, macht selbstlos für "höhere Interessen des Ganzen", des totalen Staatswesens. Und die treibt sich in einer blendenden Volkskultur hoch zu einer übermenschlichen Staatskultur.

Den völkischen Staat hat es aus selbigem Grund schon mehrfach gegeben. Wir können davor nicht gefeit sein. Was ist, wenn die Sozialleistungen noch weiter absinken, die Armut noch weiter ansteigt, die Krise noch länger anhält, die Banken zusammenbrechen und die Inflation weiter ansteigt - wenn es eine Jugend gibt, die ihren Freiheitsfunken ihrer Existenzangst schon opfern muss, bevor sie überhaupt wirklich zu leben anfangen kann? Und was ist, wenn die Konsumsucht die letzte Selbstachtung ausgelöscht hat und Politik sich nurmehr als Wille zur Selbstveredelung einer politischen Elite äußert, der mit dem Rassismus einer Bevölkerung klüngelt, die sich gegen ihre allgemeine Entwertung zu entheben sucht?

Auch die bürgerlichen Ökonomen erkennen das drohende Totalfiasko, das momentan durch die Merkeladministration weitgehend verdrängt wird. Sie werfen ihr vor, die letzten Chancen zu einer Wende, zu einer Ausweitung der gesellschaftlichen Aneignung des Sozialprodukts, vertan zu haben, indem sie es fast vollständig dem Kapital überlässt. Aber sie muss das tun, weil der Staat längst in eine unendliche Schuldnerrolle geraten und das Finanzkapital nicht nur sein Gläubiger ist, sondern auch seine illusorische Hoffnung auf Entwicklung und Zukunft darstellt. In dieser Perspektive kämpfen die Politiker um jeden Strohalm und lassen eine Seifenblase ihrer Politik nach der anderen platzen. Tatsächlich sitzen Staat und Kapital in einem Boot – und wir werden zunehmend rausgedrängt, sobald wir nicht mehr zur Verwertung taugen. Wir zahlen mit den Steuern und Sozialabgaben längst auch die Risiken der Kapitalverwertung und die Kosten der Schuldverzinsung und werden nicht nur durch die Aneignung unbezahlter Arbeit durch das Kapital betrogen, sondern auch um die gesellschaftlichen Grundlagen des einst durch Steuern finanzierten Gemeinwesens, das der Staat dem Kapitel zur Privatisierung zum Kauf anbietet.

Eine politische Wende in eine Richtung jenseits der neoliberalen Hochseilakte wird es notwendig geben müssen und die parlamentarische und außerparlamentarische Linke sollte sich hierauf möglichst bald und definitiv einstellen, damit es ihr nicht so ergeht wie 1933. Bloße Ideolgiekritik kann nichts wirklich aufhalten. Es geht um einen Kampf gegen die Politisierung aller Lebensgrundlagen durch die politische Ökonomie und die politische Kultur. Um sich in diesem Prozess angemessen verhalten zu können, müssen wohl noch viele grundlegende Diskussionen geführt werden, besonders was das Verhältnis von Kapital und Staat und Kultur betrifft.

Aber diese Diskussion läuft ja bereits. Wichtig ist daher auch zu sehen, dass auf allen Ebenen nachgedacht wird. Die Lösung kann aber nur dort entstehen, wo sich alle Ebenen treffen: In den konkreten Grundlagen menschlicher Lebensproduktion und Reproduktion, in den Kommunen und dem längst vorhandenen weltweiten Geflecht ökonomischer, kultureller und kommunikativer Verbundenheit der Menschen.