Conrad Schuhler (2003/01)

Rede auf der Kundgebung

"No attack on Iraq"
18. Januar 2003, München

Als wir vor gut einem Jahr auf die Straße gingen gegen den Krieg der USA und ihrer Komplizen gegen Afghanistan, da sagten wir, es geht nicht um Menschenrechte, es geht nicht um den Kampf gegen den Terror, es geht ums Erdöl, um die Pipelines für das Öl des Kaspischen Meers hin zum Indischen Ozean, zum Persischen Golf und zum Mittelmeer. Damals haben viele uns nicht verstanden, darunter der Berichterstatter der Süddeutschen Zeitung, der sich nicht genug mokieren konnte über unseren Hinweis auf den wahren Grund des Krieges, das Erdöl. Und damals sagten wir auch, Afghanistan ist nur der Anfang, folgen werden der Irak und der Iran usf., der sogenannte Krieg gegen den Terror ist selbst ein anhaltender militärischer Terror, um die Weltherrschaft des globalen Kapitals über die Ressourcen und die Völker der Welt zu sichern.

Nun sind wir bei dem nächsten Kapitel dieses globalen Verbrechens, der Krieg gegen den Irak steht bevor. Schon damals, noch am 11.9.2001 selbst, dem Tag des Attentats auf New York und Washington, gab Verteidigungsminister Rumsfeld folgende Direktive an die US-Geheimdienste: "Werten Sie danach, ob Material gut genug , gleichzeitig den Schlag gegen Saddam Hussein zu führen. Nicht nur Osama bin Laden. Kehren Sie alles nach oben. Dinge, die damit zusammen hängen, und solche, die nicht." Doch trotz aller Bemühungen konnte die CIA mit keinen glaubwürdigen Beweisen dienen und man musste auf die angebliche Gefahr von Massenvernichtungswaffen im Irak verfallen, die mitsamt dem Präsidenten nun präventiv liquidiert werden müssten. Dieses Mal jedoch ist es allgemeines Wissen, dass der Angriff nichts zu tun hat mit Menschenrechten und Abwehr von Terror, dass es in Wahrheit um nichts anderes geht als um das Öl des Irak. Der Aufmacher des Spiegel in dieser Woche lautet: "Blut für Öl. Worum es im Irak wirklich geht." Im Irak liegen die zweitgrößten Ölreserven der Welt, wenn die USA sie kontrollieren, bringen sie die OPEC, die Organisation der erdölproduzierenden Länder, zu Fall und dominieren weltweit die wichtigste Ressource der Weltwirtschaft.

Man weiß also, dass der wirkliche Grund des geplanten Massenmords in nichts anderem besteht als in der ruchlosen Verfolgung wirtschaftlicher und machtmäßiger Interessen. Dass ein solcher Krieg legitim sein soll, ist ein ungeheurer Zivilisationsbruch, ein Rückfall in die Barbarei. In der Philosophie des Abendlands, das immer wieder beschworen wird gegen die angebliche Bedrohung des Islam, haben wir gesellschaftlichen Fortschritt definiert als die Abkehr von Gewalt bei der Regelung gesellschaftlicher Beziehungen, beim Regeln von Konflikten in und zwischen Gesellschaften. Und nun soll Gewalt in ihrer schärfsten, hochtechnisierten Form legitim sein, nur um globales Profitinteresse von Ölgesellschaften, Rüstungsfirmen und Transnationalen Konzernen durchzusetzen, die in unserer Welt nichts anderes sehen können als ein globales Verwertungsfeld für ihren Profit! Präventive Kriege nennt die offizielle US-Militärdoktrin dieses Vorgehen, was selbst einen gelernten Kriegsverbrecher wie Henry Kissinger zu dem Urteil brachte, damit fiele die Welt hinter den Westfälischen Frieden zurück, bekanntlich der Abschluss des 30jährigen Kriegs im 17. Jahrhundert. In eine Zeit zurück, in der es keine Rechtsordnung gab, sondern nur das Recht des Stärkeren.

Der römische Papst hat diese schreckliche Entwicklung in seiner Ansprache zum Jahr 2003 in beklemmende Worte gefasst. Jeder Krieg, sagte der Papst, sei eine Niederlage für die Menschheit, und er sprach von seiner Sorge, dass Gott sich von der Welt abgewandt habe, dass er sie sich und ihrem sündigen Treiben überlasse. Eine von Gott verlassene Welt - übersetzt man diese theologischen Worte ins Säkulare, dann heißt dies, dass die Menschheit sich in einer ruchlosen, absolut unmoralischen Art selbst ins Verderben stürzt. Und eben dies würde in der Tat mit der Strategie präventiver Kriege zur Erlangung wirtschaftlicher Übermacht geschehen. Machen wir uns klar: Ein Angriff auf den Irak wird kein regional begrenzter, kurzer Konflikt. 250.000 Mann wollen die USA und ihre Alliierten einsetzen, und sie wollen dieses Mal bis Bagdad, sie wollen Saddams habhaft werden. Was bedeutet, dass sie sich einlassen müssen auf einen Nah- und Häuserkampf mit Zehntausenden von Republikanischen Gardisten, die schon deshalb bis zum Äußersten kämpfen werden, weil sie in einem US-dominierten Irak keine Zukunftschancen sehen. Saddam und seine Truppen gehören zur herrschenden Minderheit der Sunniten, die weder von den Schiiten noch von den Kurden, den beiden angeblichen Verbündeten der USA, Pardon erwarten können. Es wird ein Kampf auf Leben und Tod, und haben die Saddam-Truppen auch nur einen Bruchteil der von den USA behaupteten Vernichtungswaffen, dann wird es auf beiden Seiten viele Zehntausende Tode geben - und es würde die reale Gefahr eines Atomkriegs herauf beschworen.

In ihren neuesten Strategiepapieren haben die USA erklärt, sie würden Atomwaffen einsetzen, sofern der Gegner Bio- oder Chemiewaffen zur Anwendung bringt, sowie in allen Fällen, in denen konventionelle Waffen das Kriegsziel nicht erreichen. Sollte der Irak mit nichtkonventionellen Waffen gegen Israel reagieren, so erwägen die Strategen in Washington ebenfalls den Einsatz von Atomwaffen - ganz abgesehen davon, dass Israel selbst über mehr als 200 Atomsprengköpfe verfügt, die einzusetzen es sich nicht scheuen würde. Es droht also die Gefahr eines Atomkrieges mit der sicheren Folge der Eskalation des internationalen Terrors, denn bekanntlich besitzt Pakistan die sog. "islamische Atombombe", auf die zuzugreifen es Al Kaida und anderen nicht schwer fallen wird. Ob mit oder ohne den Einsatz von Nuklearwaffen, wir werden auf jeden Fall eine Intensivierung des internationalen Terrors erleben, Unruhen in den arabischen Ländern, eine allgemeine Erhöhung der Spannung und Gefahr, der Gewalt und der Verluste im öffentlichen und privaten Leben von uns allen.

Und wenn die USA und ihre Verbündeten gesiegt haben werden, wird ihnen dies als Sprungbrett dienen für den nächsten Schlag im langanhaltenden Krieg gegen den Terror, dann wird der Iran dran kommen usw., die Liste der Terror- und Schurkenstaaten ist lang. Wenn der Irak geschlachtet wird, dann wird die US-Doktrin des Präventivkrieges, des Angriffskrieges, den Globus beherrschen. In der von Bush im September 2002 vorgestellten "Nationalen Sicherheitsstrategie der Vereinigten Staaten von Amerika" heißt es, dass " sich die USA einer Position unvergleichlicher militärischer Stärke und großen ökonomischen und politischen Einflusses erfreuen...Diesen Moment der Gelegenheit wollen die USA nutzen, um die Vorteile der Freiheit über den Globus auszubreiten. Wir werden aktiv daran arbeiten, die Hoffnung von Demokratie, Entwicklung, freiem Markt und freiem Handel in jeden Winkel der Erde zu bringen."

Meine Damen und Herren, die eigentliche Tragik besteht für mich darin, dass die Öffentlichkeit über diesen Gang ins Verderben sehr wohl informiert ist, nun selbst gewarnt ist von den Führern der christlichen Kirchen, dass sie sich aber einen Dreck darum schert. Die Friedensbewegung ist gewachsen, auch in den USA, auch in Deutschland, aber sie ist immer noch eine kleine Minderheit. Wir haben Recht, wenn wir darauf hinweisen, dass schon Hunderttausende auf die Straße gehen, um gegen den Krieg anzutreten. Aber die vielen Millionen sitzen auf dem Sofa, putzen ihre Autos, verfolgen atemlos TV-Sendungen, wie man Millionär wird. Gerade in unserem Land ist diese Diskrepanz unerträglich. Eine Mehrheit ist gegen den Krieg, beruhigt sich aber bei dem Gedanken, die Berliner Regierung habe ja erklärt, sie mache dabei nicht mit. In Wahrheit sorgt die deutsche Regierung mit der Bereitstellung der logistischen Mittel für den Aufmarsch und die Schlagkraft der US-Truppen am Golf. Mit 71.000 Mann stehen über 95% der US-Truppen in Europa in unserem Land. Die Flughäfen Ramstein und Frankfurt sind die Drehscheiben für den Transport der US-Truppen und Waffen. Ohne Deutschland und seine Kooperation könnten die USA den Angriffskrieg gegen den Irak nicht führen. Wer bei uns gegen den Krieg ist, darf also nicht bloß mit dem Finger auf die USA zeigen und im übrigen auf Berlin vertrauen, er muss sich dafür einsetzen, dass unser Land nicht länger mehr das Aufmarschgebiet für den geplanten Massenmord im Nahen Osten bleibt! Der muss sich dafür einsetzen, dass Deutschland seine Panzer aus Kuweit abzieht! Dass Deutschland jetzt nicht auch noch, wie eben beschlossen, 128 Raketen in das Krisengebiet nach Israel liefert! Dass Deutschland in der Nato sich gegen die von den USA geforderte Unterstützung des Krieges stark macht! Dass Deutschland im UN-Sicherheitsrat die Resolution einbringt: Kein Krieg gegen den Irak, sondern die Nutzung aller politischen und wirtschaftlichen Mittel zur Entwaffnung des Saddam-Regimes!

In allen diesen Fragen aber tut die Bundesregierung das genaue Gegenteil, deshalb nennen wir ihre Politik verlogen und eine Unterstützung des Krieges und den Versuch, die Friedensbewegung zu spalten und irrezuführen.

Auch eine andere Illusion sollte jedermann aufgeben: dass nämlich die UN und ihre Inspektoren die Lage entschärfen würden. Mit der lächerlichen Enthüllung der letzten Tage, dass man 12 Gefechtsköpfe aus den 80er Jahren im Irak gefunden habe, die zwar leer seien, aber in gutem Zustand, so dass man hier einen Zusammenhang mit verbotenen Massenvernichtungswaffen sehen müsse, hat das Inspektionsteam seine wahre Funktion mehr als offen gelegt: es geht um die Beschaffung eines Alibis für den Angriffskrieg. Den werden die Inspektoren liefern, deren Teams nicht nur gespickt sind mit Agenten der verschiedensten Geheimdienste, sondern sich auch nach deren Vorgaben bewegen. Sie erforschen im wesentlichen die militärischen Potenzen des Irak, so dass der US-Angriff möglichst optimal geführt werden kann. Allenfalls geht es jetzt um eine Atempause, so dass den Inspektoren mehr Zeit eingeräumt wird, das erwünschte Alibi zu liefern. Doch seien wir gewiss: nach dem eindeutig bekundeten Willen der US-Regierung soll dieser Krieg geführt werden. Die UN-Inspektoren, so formulierte es US-Außenminister Powell, müssen jetzt zeigen, ob sie mit dem von der CIA gelieferten Material auch umgehen können. Was nichts anderes heißt, als dass die UN-Inspektoren den geforderten "Beweis" liefern, oder die USA werden sie für unfähig erklären und ohne die UN los schlagen. Eben dies hat Powell gestern vor der internationalen Presse in Washington wieder bekräftigt.

Nein, nicht die UN, schon gar nicht die Regierung in Berlin werden den Weg zum Krieg verlegen. Die einzige Chance für den Frieden besteht in der Kraft der Friedensbewegung. Wenn wir es schaffen, Hunderttausende auf die Straße zu bringen, wenn wir zu Aktionsformen finden, die dem Ernst der Stunde angemessen sind - Frage hier: Wieso können die US-Truppen völlig ungehindert von unserem Land aus zu ihrem Kriegseinsatz im Golf starten? Wieso protestieren wir nicht direkt und massiv vor den Militäreinrichtungen der USA in unserem Land? - nur wenn wir diese Entwicklung mit der Friedensbewegung schaffen, nur dann gibt es eine Chance für den Frieden.