Fassung vom 24.2.05

Ausführungen hierzu in: "Die Wertediskussion: Patriotismus, Leitkultur und Leistungskultur"

Wolfram Pfreundschuh (02/2005)

Thesen zur Wertediskussion: Patriotismus, Leitkultur und Leistungskultur
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Während der Neoliberalismus sich über den Erfolg von Selbstregelung und Selbstbestimmung des Kapitals ausbreitet, wird auf dem CDU-Parteitag im Herbst 2004 von der Notwendigkeit der Anpassung an die Notwendigkeiten des gesellschaftlichen Ganzen geredet, von Patriotismus, der nötigen Liebe zum Vaterland und der Pflichten, die damit verbunden seien. Ein Parteitag richtet aus, natürlich die Leitlinien für die nächsten Wahlkämpfe. Einschlägige Literatur wird vorbereitet, entsprechende Diskussionen geführt (so z.B. die Diskussion bei Maischberger mit Stoiber und andere im Fernsehen) und die dazu passenden Wählermeinungen anvisiert und bestärkt. Und man kann daher annehmen, dass die Ablösung der Regierung Schröder mit viel Patriotismus und Leitkultur vorbereitet wird.

Das klingt erst Mal reichlich anachronistisch. Aber bei näherer Befassung zeigt sich, dass dies wirklich eine zeitgemäße Opposition im Parteienstreit ist. Zwar haben sich auch die linken "Postfordisten" der sogenannten 68ger-Generation längst verdient gemacht mit der Durchsetzung der Erfordernisse des politischen Ganzen der deutschen Republik, aber mit Patriotismus und Leitkultur wollen sie doch noch nicht so offen auftreten und werben.

Das Papier "Die Wertediskussion: Patriotismus, Leitkultur und Leistungskultur" will unterlegen, dass und warum vom Standpunkt der bürgerlichen Parteien

- der deutsche Staat eine Werterevision nötig hat, wenn er die Krise des Kapitalismus lösen will,

- der Begriff Leitkultur eine politisch notwendige Ideologisierung des Bedarfs an Mehrwert ist,

- Patriotismus den politökonomischen Bedarf zu einem kulturelles Bedürfnis verkehren kann und soll,

- patriotisch begründete Leitkultur Leistungskultur meint,

- diese Kultur dadurch funktioniert, dass sie Entfremdung kritisiert, indem sie disfunktionale fremde oder unangepasste Menschen ausgrenzt und dem "Vaterland" unterwirft,

- leistungskultuvierter Patriotismus keine Ideologie ist, sondern kulturell zwingend gemacht wird,

- Patriotismus die kindliche Form von Nationalismus ist,

- mit seiner Einführung die Entwicklung faschistoider Entscheidungsstrukturen bestimmt ist,

- der Staat als Erziehungsagentur eines kultivierten Kapitals zur Staatskultur sozial fixiert wird.

 

1. Warum der deutsche Staat eine Werterevision nötig hat, wenn er die Krise des Kapitalismus lösen will.

Der Staat krankt daran, dass das für die Kapitalentwicklung notwendige Wirtschaftswachstum von mindestens 3% BIP schon im 4. Jahr nicht möglich ist, weil der Binnenmarkt nicht die hierfür notwendigen Umsätze und Erträge darstellt und also weniger Steuer bezahlt, Arbeitslosigkeit am laufenden Band produziert und die Sozialkassen belastet. Auch wenn Deutschland inzwischen vorwiegend eine Dienstleistungsgesellschaft ist (1997 waren 2,9% der Arbeiten in Land- und Forstwirtschaft, 34,3 % produzierendes Gewerbe, 39,9 % Dienstleistungen und 22,9 % Handel und Verkehr), entwickelt und verteilt sich Arbeit und Konsum immer noch wesentlich durch den Mittelstand. Er stellt mit 60 % den größten Anteil am deutschen Bruttosozialprodukt und beschafft fast 80 % der Arbeitsplätze – und vor allem ermöglichten die dort entstehenden Löhne den Konsum, der überhaupt die Bedingung von Wertrealisation ist. Über 13,5 % der Deutschen gelten inzwischen auch in offiziellen Statistiken der Bundesregierung als verarmt.

Derweil treiben die Entwicklungen von Kapital und Staat auseinander. Das transnationale Kapital boomt in noch nicht da gewesenen Dimensionen. Während das staatenlose Kapital immer mächtiger wird, sorgen sich die Staaten selbst um ihre Konkurrenzfähigkeit als "Wirtschaftsstandorte". Wie Einzelunternehmungen treten die Staatsmänner auf dem internationalen Parkett auf und bewerben sich um Aufträge, für die sie bereit sind, ihre Infrastrukturen und Sozialpolitik anzupassen. Und wie Betriebswirtschafter richten sie ihr Volkswirtschaft her, mit selbem Erfolg wie diese: Die eigene "Belegschaft" muss in ihren Ansprüchen und Standards auf niedrigst möglichem Niveau gehalten werden. Während die Finanzmärkte transnational boomen, wird am Sozialwesen gespart, als läge darin die Rettung der ganzen Gesellschaft vor ihrem Untergang. Die Binnenwirtschaft, der sogenannte Mittelstand, gerät zunehmend in die Dimensionen einer Reproduktionswirtschaft, unter die niemand gehen kann - auch nicht die Gewerkschaften.

Der deutsche Staat braucht nicht nur Geld, um seinen Aufgaben nachzukommen. Er braucht auch die Regularien, um es einzutreiben oder zu ersparen, er braucht Gesetze, die ihm einen erweiterten Zugriff auf das Vermögen seiner Bevölkerung erlaubt, indem es ihm dessen Kontrolle ermöglicht. Er bereitet sich auf die Konsequenzen der Weltmarktentwicklung vor: Mehrwertschaffende Arbeit muss von einer zunehmend kleiner werdenden Klasse von Elitearbeitern geleistet werden, die zu hohem Zeitaufwand (Karriere) bereit ist, reproduktive Arbeit muss auf eine breite Masse verteilt und unterstem Niveau entlohnt und möglichst tariffrei und selbstständig betrieben werden; Arbeitslosigkeit muss billig werden und zudem den Arbeitsmarkt durch Billigjobs entwerten. Vom Standpunkt des Staates sind die bisherigen bürgerlichen Ideale jetzt zu Illusionen geworden und er macht sich dran, seine Bevölkerung zu desillussionieren. Das geht nicht ohne ein entsprechendes Gegengewicht, nicht ohne tragfähigen Ersatz für untergegangene Zukunfterwartungen und Hoffnungen. Und daher geht es ihm um eine neue Wertorientierung für das Lebensverständnis, das hier mit eingehen muss. Er steht zudem vor einer hohen Verschuldung, die ihn praktisch auf die unterste Ebene von Zahlungsunfähigkeit drängt, so dass die Neuverschuldung mit dem Haushalt 2004 bereits die Höhe der Zinszahlung erreicht hat. Er muss die Wirtschaft anschieben und kann das nur, indem er die Bevölkerung zu einer effizienteren Teilnahme an der Wirtschaft ausrichtet, ihnen die Sozialleistungen auf das unterst mögliche Niveau streicht und ihr politisches und finanzielles Verhalten kontrolliert. Er verlangt also, dass sie eigene Erwartungen herabsetzen, eigenes Selbstverständnis dem staatlichen unterordnen und sich von seinen Kontrolleinrichtungen durchleuchten lassen (das gläserne Konto, Abhörung usw.) soll, um an einem Gemeinwesen teilzunehmen, das allemal besser als jedes andere sei.

2. Warum der Begriff Leitkultur eine politisch notwendige Ideologisierung des Bedarfs an Mehrwert ist.

Die Entwicklung der deutschen Wirtschaft bestimmt sich nicht mehr so sehr aus der Entwicklung des nationalen Marktes und den Investitionen im Inland, sondern aus seinem "Wirtschaftsstandort" auf dem Weltmarkt. National genügt im Grunde der Selbsterhalt, das Auskommen mit dem bestehenden, Unterhaltung und Befriedigung durch möglichst billigen Konsum. International zählt die geistige, technische und praktische Fittness für den Export. Daher muss der deutsche Staat dies seiner Bevölkerung als höchste Priorität vorstellen und sie danach ausrichten. Da Mehrwert aber immer aus Wertabschöpfung besteht, muss er die deutsche Bevölkerung herrichten für ihre optimales Verwertbarkeit auf dem internationalen Markt, also zur Konkurrenz der Staaten, von der sie im Großen und Ganzen ziemlich wenig hat, bzw. nur ein Teil von ihr damit gut leben kann. Für den anderen Teil muss der bestehende Lebensstandard verbilligt werden, die Regeneration der bestehenden Verhältnisse auf niederem Niveau optimiert werden und die Bevölkerung in einem Schwebezustand ohne Entwicklung, aber mit hohem Konsumanspruch und im Glauben gehalten werden, dass dies ihre Kultur nunmal ausmache.

Der transnationalisierte Mehrwert erfordert Leistungsbereitschaft, Nutzung aller Kräfte und Strukturen, welche durch die Nationen zur Verfügung gestellt werden, z.B. durch Ausbildung, Selbsterhaltung und Anpassung an die Notwendigkeitebn der Produktion. Doch national muss sich die Bevölkerung auf "kleiner Flamme" unterhalten, im vielfältigen Sinn des Wortes. Der Staat steht zwischen beidem: Als Deutschland-AG besorgt er eine extensive Produktion für den Export und muss dem Kapital einen Großteil der Gewinne lassen. Aber die "Betriebskosten" einer extensiven Staatswirtschaft sind immer zu hoch: Arbeitslohn, Arbeitszeit, Ausfallszeit (Krankheit, Urlaub), Rente, Gesundheit und Sozialkosten. Die Weltmarktposition hängt davon ab, wie effektiv sich das Sozialwesen gestalten lässt, wie flexibel es für die Notwendigkeiten des Weltmarktes gemacht wird und wie billig dessen Unterhaltung zugleich ist. Flexibilität heißt optimaler Nutzen durch Anpassung an das Nötige, Beweglichkeit, Veränderung, Sortierung und Ausgrenzung des Unnützen. Das sind die Maßgaben, nach denen nun der Staat seine Bevölkerung auszurichten hat.

Der transnationalisierte Mehrwert erfordert Leistungsbereitschaft, Nutzung aller Kräfte und Strukturen, welche durch die Nationen zur Verfügung gestellt werden, z.B. durch Ausbildung, Selbsterhaltung und Anpassung an die Notwendigkeiten der Produktion. Doch national muss sich die Bevölkerung auf "kleiner Flamme" unterhalten, im vielfältigen Sinn des Wortes. Der Staat steht zwischen beidem: Als Deutschland-AG besorgt er eine extensive Produktion für den Export und muss dem Kapital einen Großteil der Gewinne lassen. Aber die "Betriebskosten" einer extensiven Staatswirtschaft sind immer zu hoch: Arbeitslohn, Arbeitszeit, Ausfallszeit (Krankheit, Urlaub), Rente, Gesundheit und Sozialkosten. Die Weltmarktposition hängt davon ab, wie effektiv sich das Sozialwesen gestalten lässt, wie flexibel es für die Notwendigkeiten des Weltmarktes gemacht wird und wie billig dessen Unterhaltung zugleich ist. Flexibilität heißt optimaler Nutzen durch Anpassung an das Nötige, Beweglichkeit, Veränderung, Sortierung und Ausgrenzung des Unnützen. Das sind die Maßgaben, nach denen nun der Staat seine Bevölkerung auszurichten hat.

Um Druck zu erzeugen, ohne hierfür besondere Mittel zur Hand zu haben, erzeugt man Sortierung von "Schicksal", die sich aus Geburt, Werden und Geschick ergeben. Solches Verständnis verweist auf höhere, unhinterfragbare Ordnung und Bestimmung. Umgekehrt weiß dann jeder auch, was nötig ist. Und nur wenn jeder weiß, wo er hin gehört und was ihm zusteht, wann und wohin er gehen und kommen darf, kann er wirtschaftlich funktional einbezogen und können entsprechende Erwartungen geregelt werden. Grundlage für solche "Lebensbewältigung" können daher nicht länger die Bedürfnisse der Menschen sein, ihre Eigentümlichkeiten und Berufsvorstellungen. Das alles muss durch veränderte Teilnahme am Ganzen gemanaged werden, durch anderes Verhalten gegenüber Bildung (Forschung für die Praxis, Numerus Clausus, Unterhaltungsindustrie), gegenüber Ausgaben (z.B. Gesundheitskosten, die zu Krankheitskosten werden müssen) und Alltagsnotwendigkeiten (z.B. Mehrarbeit, Disziplin, Anpassung). Es geht um die nationale Unternehmung, die das Schicksal und Geschick bestimmt, und daher auch um die Identifiziereung der eigenen Lebensvorstellungen hiermit. Das ist nach wie vor die "nationale Identität", mit der die Bürger dem Ganzen zustimmen sollen, ihre Beiträge (wie z.B. Bereitschaft für Mehrarbeit, für Bescheidenheit, für Selbstdisziplin und Gemeinsinn) erbringen und ihre Einstellungen und Haltungen danach richten, Ängste und Erwartungen, Sicherheit und Ordnung hierdurch ausrichten.

Es ist der Klassiker einer Diskriminierung: Das konkrete Geschichte wir nicht als gewordene und werdende Entwicklung begriffen, sondern durch die Macht vergangener Geschichte bestimmt. Es ist der Standort des Erziehers, der dem "Neuling" erst zu sagen hat, was das Alte mal war, damit er überhaupt an einer ins Metaphysische verpflanzte Geschichtlichkeit teilhaben darf. Das ist Geschichtsverleugnung einer in sich selbst gebrochenen Geschichte durch Geschichtskonstruktion. Diese dient dem Ansporn für eine Geschichte, die sich nicht aus dem Leben der Menschen ergibt, sondern die deren Leben für sich bestimmt. Die deutsche Leitkultur ist nichts anderes, als die für die Notwendigkeiten der Produktion bewertete Kultur, die Kultur der Mehrwertproduktion.

 

3. Warum Patriotismus den politökonomischen Bedarf zu einem kulturellen Bedürfnis verkehren kann und soll.

Herausgesetzt aus den Verhältnissen, worin multiple Lebensvorstellungen, Exitenznotwendigkeiten und Kulturen ohne eigene Verbundenheiten zusammengebracht werden, ist Leitkultur der Begriff einer Elite, die feststellen kann, was für die Einheit einer Kultur nötig sei, - einer Kultur, die es lediglich als Geschichtsbild gibt und daher auch nur durch Interpretation wirksam ist. Ein solcher Begriff von einer Führungskultur ist nicht nur für Ausländer gedacht, also nicht nur für Menschen, die aus anderen Kulturen kommen; es geht hierbei um Anleitung zu bestimmten Zielen und Zwecken schlechthin, um die Errichtung einer nicht vorhandenen Hochkultur, welche die Ordnung und Verfügungsmacht einer Exportgesellschaft durchsetzen soll, eine Kultur, welche aus reiner Versönlichkeit um einer Solidargemeinschaft willen besteht und die ausgrenzt, was sich hierzu nicht bekennt. Da gibt es auf Dauer keine Unterschiede mehr; da werden Deutsche zu Fremden und Fremde zu Deutschen. Patriotisch ist, wer in einer multikuturellen Gesellschaft sich in deren allgemeinem Zweck vereint sieht. Das macht letztlich Leitkultur aus: Kultur, die nur dazu verleiten kann, was allgemein nötig ist.

Die Wirkung einer Kulturinterpretation als Anleitung beruht auf tatsächlich abstrakter Kultur, also darauf, dass Menschen in ihren Lebensverhältnissen keine konkrete Lebensgestaltungen in ihren Beziehungen möglich, bzw. deren Vermittlung nur abstrakt gesellschaftlich existent ist. Dies ist in einer Nation, deren Wirtschaftskreisläufe aus ihr herausgesetzt und sie vorwiegend zu Dienstleistungsgesellschaften geworden ist, zunehmend der Fall. Eventkultur, welche die Menschen über ihr Körpererleben zusammenführt, bietet sich hier als Hochkultur der Versönlichkeit an und die zwischenmenschlichen Beziehungen darin sind von allen Formen des Körperfetischismus, von Design, Ästhetik und Selbstdarstellung getragen. Was in dieser allgemeinen Selbstwahrnehmung an menschlicher Leere entsteht, füllt sich mit den abstrakt ökonomischen Inhalten des Fortkommens, der Konkurrenz um Werte, die gleichermaßen ökonomisch wie kulturell, sachlich wie persönlich sind: Selbstdarstellung durch Leistung, verkörperte Leistungsbereitschaft für den ganz großen Event. Darin schließt sich der Kreis ökonomischer Entfremdung mit der Selbstentfremdung von Persönlichkeiten, welche die zur Anpassungen an die für Geldverhältnisse erforderliche Flexibilität aufbringen können. Hierdurch wird die flexible Persönlichkeit, zugleich allgemein, allgemeine Persönlichkeit des Staates, persönliche Staatlichkeit.

Die flexiblen Personen sind die Personen des öffentlichen Status, der wie jeder Status unmittelbar durch sich selbst gültig, also in sich positiv bestimmt ist. Jede Negation erscheint hierdurch per se ausgeschlossen und jede Form der Fremdentwicklung unmittelbar positiv gewendet zu etwas noch nicht ganz Erreichtem an Vertrautheit, zu einem Bedürfnis nach kultureller Gemeinschaft. Das "positive Denken" ist die Grundlage eines abstrakt bestimmten Erfolgs, der Vorgriff auf Erfolg, der hie und da in der Lage ist, das sachliche Risiko durch persönlich scheinende Integrität zu mindern. "Schluss mit der Negativdebatte" forderten also auch die Redner einer trauten Runde bei Maischberger, denn nur aus "positiven Gefühlen" zum Land und durch Werte, die sie befördern, sei auch der Glaube an sich selbst und an "die Zukunft" möglich. Die Durchsetzung einer Führungskultur verlangt eben vor allem eine positive Beziehung zum eigenen Land.

 

4. Warum patriotisch begründete Leitkultur Leistungskultur meint.

Leitkultur ist nicht einfach nur eine bevorzugte Kultur, etwa um Fragen der Kopfbedeckung zu beantworten. Warum sollte Kultur etwas entscheiden, worüber die Menschen in ihren konkreten Lebenszusammenhängen streiten? Daraus entsteht und besteht sie ja gerade. Leitkultur soll auf Allgemeinheit einstimmen, die aus dem Leben der Menschen herausgesetzt ist, Gefühle hierfür erwecken und bestärken. Es ist die Kultur, die sich gegen andere ganz subjektiv durchsetzen soll, die dort, wo objektiv nötig, den Ton angibt, bestimmt, wo es lang geht, die also die Menschen in dem führt, worin sie versönt sein müssen und sollen. Eine Führungskultur leitetet aber immer an zu Zielen, die sich nicht aus Einzelinteressen oder deren Zuammenhängen, nicht aus wirklichen Verallgemeinerungen und Allgemeinheiten, sondern aus den Notwendigkeiten eines Ganzen ergeben. Das Ganze ist als Selbstständiges schon unterstellt, das eigene Geschlossenheit und Zweckhaftigkeit hat, die "Unkultur" schon ausgeschlossen hat, eine prosperitäre Gemeinschaft kultivierter Menschen. Als "Vaterland" kann solche Gemeinschaft auch nur wollen, was das Land will: Wirtschaftführer auf dem Weltmarkt sein oder bleiben, denn nur dies sichert dieser Kultur auch eine Prosperität ihres Marktes. Das Wertwachstum trifft sich darin mit der Leitkultur, dass beides Leistungskultur verlangt.

Es ist daher kein Versprecher von Stoiber, wenn er in einem Atemzug mit Leitkultur von Leistungskultur spricht. Nur wer in dieser Gesellschaft hervorragende Leistungen bringt, gehört zur tragenden Klasse, zur Elite, und hat Anteil an der gesellschaftlichen Entwicklung durch "kulturfähiges" Entgeld, also hohe Löhne, und Mitsprache. Alle anderen fallen in den Bereich des Unterhalts, der Unterhaltung und bloßen Reproduktion, bzw. Regeneration. Sie sollen sich als die Bedienten der Leistungskultur verstehen, obwohl sie die Objekte der Realisation von Mehrwertproduktion sind: Konsumenten in Massen.

 

5. Warum diese Kultur dadurch funktioniert, dass sie Entfremdung kritisiert, indem sie disfunktionale fremde oder unangepasste Menschen ausgrenzt oder dem "Vaterland" unterwirft.

Das kulturelle Unbehagen wird mit Gefühlen einer Entfremdung (oder "Seinsvergessenheit") zusammengefasst, mit einer Art subjektivem Lebensschmerz. Lebensangst ist darin grundlegend. Ihre Auflösung wird als Appell an menschliche Gemeinschaft angegangen. Was fehle, das sei die Erkenntnis, dass Menschen immer aufeinander bezogen sind und sich in ihrer selbstverliebten Idividualität letztlich nur bekämpfen. Es mangele an selbstverständlichen menschlichen Beziehungen, Geschlossenheit im Zusammenhalt, im Gemeinwesen, und auch Tätigsein hierfür. Das einzig bestehende Gemeinwesen ist der Staat. Und als Nation bildet er eine kulturelle Gemeinschaft, was auch immer dies für ihn sei. In dieser Abstraktion kann er zum Drehpunkt kultureller Entfremdungsgefühle werden. Indem an das Eintreten für dieses Gemeinwesen appelliert wird, soll die Entfremdung der Menschen voneinander, die in ihren ökonomischen und kulturellen Beziehungen steckt, angegangen werden.

Das entspricht auch dem, was dem Staat objektiv nötig ist. Das Problem mit seiner Knete kann eben auch damit angegangen werden, also durch Einsatz der Bürger für "ihre Nation" um deren Last zu teilen, um Verschlechterungen des Lebensstandards und Mehrarbeit zu ertragen. Also geht es für ihn darum, deutsche Kultur als Leistungskultur darzustellen und sie als verbindliche Anleitung für alle zu beanspruchen, als Leitkultur ihres gemeinschaftlichen Anliegens, als vaterländische Kultur schlechthin - und das heißt: in Konkurrenz zu anderen Kulturen. Die Ausgrenzung von fremder Kultur ist dabei der Kulturmotor zum Leistungsantrieb. Wo Menschen durch Abschiebung oder soziale Ausgrenzung bedroht sind, haben sie Angst. Und die bedeutet zugleich Selbstbewusstsein für die, welche sich eingrenzen können. Die soziale Sortierung setzt sie ins Recht, andere ins Unrecht. Selbstgerechtigkeit hebt Entfremdungagefühle auf und setzt unmittelbar die Funktionalität des Allgemeinen durch, trennt das zu Entfernende von dem, was dazu gehört, das Fremde vom eigenen; allerdings erzeugt die Selbstentfremdung, die darin aufgelöst ist, erst wirklich die Entfremdung der sortierten Menschen voneinander, klassifiziert sie bezüglich ihrer Leistungsbereitschaft und ihrer Dienstbeflissenheit. Es muss nicht jeder ein Ausländer sein, der hierbei durchfällt. Und es ist auch nicht jeder ein Deutscher, der dann mit "deutscher Kultur" vertraut ist.

Wer sie im Sinn hat, hat auch ihre Gesinnung. Für die staatsbürgerliche Gesinnung taugt vor allem die Vertrauensposition des Staats im Bewusstsein der Staatsbürger, am besten also per Verweis auf die Gefahr der Verfremdung, der Überfremdung. Damit schwindet jeder kritische Bezug auf sein Tun, denn letztlich betreibt eben "Vater Staat" das Heil der Bevölkerung, wenn er Schaden von ihr abhält. Und der ist ja mit der Leitkultur identifiziert als Fremdes, Unheimliches, Bedrohliches.

Belebt wird hierbei also ein Zweifel gegen etwas Unbekanntes, der da auch schon im Lebensalltag nagt, gegen das schlechthin Unkontrollierbare. Dieses wird zu einem Begriff, der Gestalt durch die Anwesenheit von Ausländern Gestalt. Man hatte sie ins Land gerufen, um den Arbeitsmarkt zu "optimieren", und Löhne zu drücken bzw. um billige Arbeit anderen zu überlassen. Was bisher als Notwendigkeit hingenommen wurde, wird jetzt auch als Bedrohung erfahren. Selbst in der Gefahr ohne Arbeit zu sein, nimmt man auch selbst billige Arbeit wieder an und neidet sie den billigen Arbeitskräften, die "nicht mal richtig deutsch sprechen". Und schließlich tut es ja auch der Kasse nicht gut, wenn Fremde in die Sozialhilfe geraten. Man muss auch absondern, was nicht mehr zu gebrauchen ist. Der Arbeitsmarkt kann nicht immer nur aufnehmen. Sind "zuviele Menschen" im Land, dann nimmt die soziale "Integrationskraft" ab. Es muss Zurückweisung möglich sein. Um das Beigeholte auch wieder ausweisen zu können, muss jetzt knallhart kalkuliert und alles kontrollierbarer werden. Die Sozialknete ist knapp und soll daher jetzt kulturbereinigend verwendet werden. Fremde Kultur könnte unter Arbeitslosen Ghettos, Parallelgesellschaften erzeugen: Bedrohung des bürgerlichen Gesellschaftsganzen. Also macht man sich wieder mit "deutscher Kultur" vertraut. Doch dieses Vertrauen ist nicht eine aufgehobene Entfremdung, sondern schlichter Leistungsdruck fremder Interessen, die sich darin kultivieren.

 

6. Warum leistungskultuvierter Patriotismus keine Ideologie ist, sondern kulturell zwingend gemacht wird.

John F. Kennedy hatte gesagt, als er mitten im Vietnamkrieg zur Volkseinheit rief: "Schaue nicht, was dein Land für dich tun soll, schaue, was du für dein Land tun kannst!" Die Herzog-Rede über den "Ruck" der durch Deutschland gehen müsse, um das Land weiter zu bringen, war auch so etwas ähnliches. Es war noch der Appell an Ideale, an die Gemeinschaft, patriotischer Idealismus. Das ist eine Vorstellung: Wenn alle pflichtschuldigst ihre Mehrbelastung ertragen, dann wird auch der Mehrwert wieder entstehen, der die Staatsschulden ausgleichen soll. Umgekehrt und praktisch ist allerding die Drohung die in der Negation hiervon steckt: Wenn die Mehrbelastung nicht ertragen wird, dann sei der Niedergang von allem sicher, dann müsste der Staat als Vertreter des Ganzen, des Heils eines Volkes, offen gewaltsam werden, nicht mehr als Sozialstaat, der mit 1-Euro-Jobs die Menschen "aus ihrer Isolation befreit", sondern durch Fronarbeit, durch die der Staat wieder in Gang kommt – und sei diese auch die "Arbeit mit der Waffe". Das mag man nicht und das kostet viel Aufwand für alle - eigentlich unnötig, wenn wir es jetzt noch als ideelle Patrioten angehen.

Das lässt sich schon ziemlich zielgenau heraushören aus dem, was von politischer Seite gesagt wird. Hierfür appelliert Stoiber gerne auch mal an die Identitätslosigkeit: Wir seien imstande, unsere Herkunft aus dem christlichen Glauben, dem bewährten Geist des Abendlandes, den Werten und den Autoritäten, die sie verkörpern, zu verleugnen, wenn wir nicht für unser Land einstehen. Und wenn wir dieses nicht mehr achten könnten, dann würden wir auch nicht unsere Geschichte, uns selbst nicht achten. Das hieße vor allem, Leistung zu verkennen, Mut und Charakter zu verlieren, der Leistungskultur, die uns ausmacht, zu entfliehen. Wenn wir nur zusähen, wie unser Land ausblutet und ausgenutzt wird, dann wären wir unser selbst verlustig, krank. Nein, das Ganze solle umgekehrt laufen: Die Deutschen müssten sich wehren gegen Miesmacher, charakterlose Gestalten und Drückeberger. Hierzu auch nur zu schweigen, sei schon verwerflich. Deutschland müsse vorwärts schauen und "wer dem nicht zustimmt, der ist im falschen Land" (Stoiber aaO.).

So wurde der "Patriotismus" als Begriff persönlich formulierter Staatserfordernisse wieder als praktische Notwendigkeit gestreut. Das sind keine Ideale mehr, das ist Drohung pur. Aber weder die Erfordernisse des Kapitals, die dahinter stehen, treten darin auf, noch die des Staates, der von sich ablenken will. Es ist der väterliche Appell zur Gefolgsbereitschaft, die "leider auch zwingend" sei. Die Politik ruft das "Vaterland" in Erinnerung wie ein Elternhaus, das man vergessen hat. Es ist der Aufruf zur Liebe, wie sie jeder kennt als Besorgnis um die Lieben, als absolut notwendige Hilfe.

Hatte Roman Herzog sich noch wenige Jahre zuvor sehr klar abgesetzt von jedem Begriff des Patriotismus mit der Feststellung, dass ein Staat eine Instition sei, und dass man Institutionen nicht lieben könne, so wird diese Liebe jetzt sehr schnell nötig. Vaterlandsliebe dient eben schon immer der Erziehung zum Staatsbürger, wo das einfache Vertragsverhältnis zwischen Bürger und Staat nicht mehr hinreicht. Die Erfüllung der Bürgerpflichten wie Steuereinzahlung, Meldepflicht usw. lässt sich leicht mit einfachen und sachlichen Methoden erzwingen. Da braucht’s der Liebe nicht. Die ist nötig für die freiwillige Unterwerfung unter eine sinnliche Notwendigkeit, um ein Stillhalten und Erfüllen jenseits aller Vertragsverhältnisse, die jeder Bürger sowieso mit seinem Staat so eingeht. Hier geht es jetzt um die Erduldung von Pflichten, die nicht einsichtig und verträglich mit Bürgeridealen, menschlicher Identität und Wirklichkeit sind.

 

7. Warum Patriotismus die kindliche Form von Nationalismus ist.

Vaterland ist eine Kulturgestalt, Vater und Land in einem, worin ursprüngliche Subjektivität, Liebe, Familie und Lebenswelt objektiv vereint sein soll. Für sich wäre solche Liebe einfach nur da oder nicht, auf jedem Fall nicht statuierbar. Mit Vaterland aber ist nichts anderes gemeint, als das, was Nation ausmacht: Formalisierung eines politischen Gemeinwesens zu einem Naturwesen. Der Staat gibt sich im Vaterland seine naturhafte Mystifikation. Vaterlandsliebe ist zwar noch nicht Nationalismus, aber es die kindliche Form des Nationalismus, wächst zu ihm heran, sobald dies nötig ist. Immerhin macht er schon das Individuum einer Nation zum nationalen Kultursubjekt, das nicht sich, sondern ein Ganzes vertritt, auch wenn es dies nicht vertreten kann. Und er macht dies zugleich auch schon zu einem Objekt: Pflichtschuldig gegen seine Liebe zu Volk und Vaterland. Vaterlandsliebe ist die Grundform einer subjektiven Objektivität, in die sich jeder Mensch begibt, der sich ihr unterstellt. Er kann auch sich nur mögen, wenn er sein Land mag. Das weiß Stoiber bestens zu vermitteln. Wer keine Liebe zu sich selbst habe, habe sich aufgegeben, und dies sei das Grundübel in Deutschland (Stoiber bei Maischberger).

Das ist nicht nur eine Drohung; es ist auch ein Trost für diejenigen, die aus ihrer Isolation nur so abstrakt herausfinden, wie sie auch hineingeraten sind: Die Heimat Suchenden. Schließlich ist das Vaterland nicht nur irgendeine ideelle Gemeinschaft, es ist der Begriff, der für eine kulturelle Ganzheit des Vertrauten steht, in der sich jeder geborgen fühlen kann, der unter den fremden Kräften der Welt leidet, indem er durch einen Anspruch ans Allgemeine darauf Bezug nimmt. Es ist eine gewaltige Verführung für einsam Menschen, sich darin hochzuziehen und sich hierbei dann schließlich anteilig zu verstehen an der Staatsmacht, welche diese Kultur hat, verteitigt und stark macht. Durch solche kulturelle Nationalität ist mit einem Mal alles überwunden, was ansonsten Bedrängnis bedeutet: Einsame Ohnmacht ist darin gewendet zur kollektiven Kraft eines politisch mächtigen Wesens. Es ist die Gemeinschaft der Kulturmächtigkeit, die sich hierin verbrüdert und die Phänomene der Entfremdung dieser Welt kritisiert. Und die wirkt in das ganze Selbstverständnis hinein. Das kulturnationale Selbstverständnis ist eine Verführung zur Verbrüderung der Ohnmächtigen im kulturellen Machtbesitz. So selten und außergewöhnlich ist das nicht. Besonders die christlichen Staatsagenten machen aus der Verführung zu dieser Macht gerne eine Pflicht. Es steckt ja bereits in ihrem Kontext: Liebe deinen Staat wie dich selbst! Dies ist nichts anderes als die Vorstellung eines absoluten Staats.

 

8. Warum mit der Einführung des kultivierten Patriotismus die Entwicklung faschistoider Entscheidungsstrukturen bestimmt ist.

Es geht nicht um Kultur, es geht um Politik, wenn von Leitkultur und Vaterlandsliebe die Rede ist, um Politik mit Kultur. Es soll kein Nationalismus sein, denn der sei keine Liebe, sondern ein Machtanspruch. Doch so verschieden ist das nicht. Wenn man etwas liebt, was pure Macht bedeutet, so ist der Machtanspruch impliziert. Das Scharfmachen der nationalistischen Zeitbombe hatte immer mit Patriotismus begonnen. Er meint doch auch Abweisung von dem, was nicht patriotisch ist: Die Bedürftigkeit, die Ohnmacht, die Armut, der soziale Anspruch. Mit Patriotismus will sich "Vater Staat" mächtig machen – und natürlich werden sich alle mächtig fühlen, die dem folgen – und die Unfolgsamen müssen ihn fürchten.

Vermittelst der damit begründeten politischen Macht will der Staat "aufräumen" mit dem was unwertig für das Staatsinteresse ist, und Wert hat eben letztlich nur die Lieferung von Mehrarbeit an seine Gläubiger, ganz einfaches Kapitalinteresse. Damit drängt der Staat darauf hin, dass alle Ressourcen der Verwertbarkeit für den Systemerhalt durch Drosselung des staatlichen Sozialvermögens und Ausrichtung der Sozialleistungen auf nationalpolitische Zwecke ausgeschöpft und optimiert werden. Indem diese nur noch als Kostenfaktor reflektiert werden, wird ein ganzes Volk zum Spielball eines wirtschaftspolitischen Kraftakts, der ihm als Heilsnotwendigkeit von Kulturpolitik erklärt wird.

Dies funktioniert darüber, dass die Kultur als eine gesellschaftliche Allgemeinheit genommen wird, woraus unser ganzes geschichtlich gebildetes Vermögen besteht, wie ein Subjekt bürgerlicher Wesenheit, das bedroht ist von verschiedenen Unwesen. Darin kann sich jeder einzelne auch immer wiedererkennen. Es ist wie das allgemeine Spiegelbild seiner einzelnen Bedürftigkeit, Geschichten und Beziehungen. Darin ist er wirklich aufgehoben im vielfachen Sinne: Aufbewahrt als Mensch in allgemeinem Sinn, untergegangen als Individuum im besonderen Sinn und von den Niederungen seiner isolierten Existenz befreit, erhaben im sozialen Sinn. Kultur ist ja in der Tat menschliche Subjektivität. Doch für den Staat ist sie objektiv: Darin gilt ihm menschliche Subjektivität als Objekt seiner Politik, als Mittel einer allgemeinen Notwendigkeit, dem sich die einzelnen Menschen beugen müssen, um sich als allgemeine und abstrakte Menschen durch "Vater Staat" geschützt und erhalten zu können. Durch ihn wird jeder Mensch zum abstrakten Menschen, der aber durch eine persönliche Beziehung zu ihm die Welt als persönliches Erlebnis erfährt. In der allgemeinen Objektivität dieses persönlichen In-der-Welt-seins verliert er seine wirkliche Subjektivität in den allgemeinen Notwendigkeiten des Sachzwangs. Das ist nicht nur ein Phänomen des Bewusstseins, das wird ihm zu seiner Wirklichkeit.

Dem Kind des Vaterlands wird Subjektivität entwendet, indem sich seine ganze Erfahrung von Notwendigkeiten gegen es wendet. Da breiten sich die weltlichen Gefahren mächtig aus und bestärken seine Ohnmacht: Jedes Weltereignis wird ihm zu seiner Not, Gewalt und Macht entfremdeter Lebensverhältnisse zur Unausweichlichkeit seiner Selbsterfahrung, Kriminalität, Terrorismus und Multikulturismus zur eigenen Bedrohung. In der Gleichsetzung von kulturellen Problemen mit der politischen Wendung des Staates an die Menschen wird politische Kultur vollzogen: Nicht die Herkunft dieser Probleme und ihre Wirklichkeit interessiert, sondern ihre Vermeidung und Überwältigung.

 

9. Warum mit Patriotismus der Staat zur Erziehungsagentur eines kultivierten Kapitals als Staatskultur sozial fixiert wird.

Der Staat verhält sich selbst als Kritiker seiner Gesellschaftsform, wenn er meint, die Menschen erziehen zu müssen. Er geht davon aus, dass seine Erziehung der Menschen diese nicht nur an seine ökonomischen Interessen angleicht, sondern zugleich auch die Welt durch die kulturell hochstehenden Kulturwerte seiner Erziehung verbessert werde. Er kritisiert darin nämlich immer auch die Mächte des Bösen: die Unverträglichkeiten, die Widersprüche, die persönlichen Mächtigkeiten des Kapitals und wendet sich insgesamt gegen die Anarchie der bürgerlichen Lebensverhältnisse mit seiner Vorstellung von einem tätigen menschlichen Gemeinwesen, als von Kultur. Er behauptet sich jetzt selbst durch die kritische Handhabung der bürgerliche Ökonomie und Kultur. Wiewohl ihr Produkt, wird er zu deren Überwinder. Natürlich vollzieht er sie weiterhin ökonomisch und kulturell, aber jenseits von der Bosheit ihrer Wirklichkeit und nur noch zum Nutzen ihrer Totalität. Nicht die Bildungsprozesse darin sind die Momente, die sein Handeln begründen, sondern die totale Form für sich: Die Formation des Kapitals als Sachzwang, die Formation der Kultur als Kulturmacht. Kultur selbst besteht alleine auch der Geschlossenheit ihrer Form, ihrer Ästhetik, Eindruck als Ausdruck ihres Körpers. Er wird zum Kulturstaat.

Patriotismus ist von daher das ursprünglichste Entwicklungsmoment von Faschismus. Der ist nichts anderes als die Bündelung der Gewalt, welche die Krisen der kapitalistischen Gesellschaft durch die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen hervorrufen. Der Faschismus ist eine Gesellschaftskritik, die sich gegen wirkliche Gesellschaft wendet, die alle zerstörenden Formen des Kapitals und der Kultur angreifen und vermengt, das Kapital als Kulturphänomen begreift und Kultur als Kapital, und beides durch Staatskultur kritisiert. Faschismus ist das antibürgerliche Bürgertum, das sich selbst als Macht gegen die Verhältnisse errichtet, von denen es zehrt, absoluter Besitz an ihrer Geschichte und Entwicklung.

Der Staat fungiert darin als Erzieher. Die Gesetze bekommen einen neuen Zweck: Zwar steht auch darin Verteilung und Gerechtigkeit an, aber nur nach Maßgabe und in der Bestimmung eines dubiosen Gemeinwohla, eine naturhaft scheinende Allgemeinheit, das die gemeine Existenz bestimmt, sie diszipliniert, sie einordnet zum Teil eines gemeinschaftlichen Daseins ohne wirkliches Sein, zum Körperteil eines Volks und schließlich auch zur Gesinnung des Volksganzen, zur Volksseele.

 

Wolfram Pfreundschuh