Wolfram Pfreundschuh (24.5.2017)

Die Zerstörungswut der Kapitalfiktionen

Es erscheint vielleicht wahnwitzig, von einer Internationalisierung der Gesellschaften zu schreiben, wo fast ausnahmslos nur eine übermächtige Internationalisierung des Kapitals wahrzunehmen ist. Aber gerade dieser Gegensatz der Nationalitäten und der globalen Gesellschaft bestimmt die derzeige Geschichte, den Widerspruch von gesellschaftlicher Sinnbildung und privater Aneignung, wie er in der bürgerlichen Gesellschaft schon im Widerspruch von Lohnarbeit und Kapital angelegt war. Denn die Klassenkämpfe, die heute im "Kampf der Kulturen" zergangen zu sein scheinen, beweisen auch in ihrer Kulturform die stetige Wiederholung einer sinnlosen Geschichte, die sich hinter dem Nutzen eines ganzen gesellschaftlichen Verhältnisses weltweit verbirgt, das nur noch als Wertmasse für das Finanzkaüital fungiert, während hierdurch das Leben von Mensch und Natur in globalem Ausmaß entwertet und zum Teil auch schon gewaltig zerstört wird. Es könnte ja längst begriffen sein, dass jedweder Kapitalismus endlich begraben sein müsste, dass da nichts mehr zu retten, zu verbessern, zu entwickeln ist, weil er nicht nur ein Problem mit der Herstellung, Verteilung und Aneignung seiner Produkte und mit seiner politischen Kultur hat, sondern selbst - und zwar in Gänze - das "Problem" ist.

Kaum jemandem wird entgangen sein, dass sich die gesellschaftlichen Verhältnisse auf der ganzen Welt in einem Prozess radikaler Veränderungen befinden. Die Glaubwürdigkeit der etablierten In­–stitutionen der repräsentativen Demokratie und der politischen Ökonomie ist tief erschüttert. Ihre Glücksversprechen sind für die meisten Menschen nur noch eine Farce. Die Diskrepanz zwischen der politischen und der persönlichen Wahrnehmung der Lebensverhältnisse stellt sich in reaktionären Agitationen und Gewalttaten dar, die ungeheuerliche Ausmaße angenommen und die Meinungsbildung in einer repräsentativen Demokratie fragmentiert und durch ihre Zerstreuung und Gesinnungsmache blockiert haben. Nicht mehr die Verhältnisse der Arbeit und Lebensproduktion stehen im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit, sondern vielmehr ihr kultureller Zerfall. Gesellschaft erscheint nur noch als zirkulierende Geldmenge, reich an Masse und arm an Menschen. Die Religionen, die dereinst noch als ein Reservoir der Hoffnung und Gütesiegel für ein irgendwo noch verbindliches und sinnvolles Leben in einer Welt des Heils herhielten, pervertieren inzwischen zu Reagenzien von Lebenswerten, die naturgemäß nur durch politische Gewalt wirksam werden können. Die Dekadenz einer überschwenglichen Eventkultur steht in krassem Widerspruch zur Notwendigkeit, in den gesellschaftlichen Verhältnissen den Sinn einer Veränderung zu entdecken.

Dabei steht es doch allen vor Augen. Die immer stetiger werdenden Katastrophen der Natur zeigen bereits über fast alle Medien den Niedergang der Ressourcen des Lebens, weil darin immer sinnfälliger wird, dass es sich dabei um die Katastrophen einer ungeheuerlichen Naturausbeutung handelt, welche der Konkurrenz­wirtschaft des Kapitals zwangsläufig Folge leistet und ihre Ausweglosigkeit in einer Vernichtung der Ressourcen des Lebens umsetzt. Das Schreckensszenario, das seit den wissenschaftlichen Vorhersagen des "Club of Rome" in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts zu befürchten ist, ist inzwischen zeitnah wahrzunehmen und auch schon in ihrem Umfang weit übertroffen.

Doch es war nicht einfach die Verknappung der verfügbaren Bodenschätze, sondern der Kampf um die Verfügung über die letzten Ressourcen eines Wertwachstums, das mit zunehmender Produktivität immer geringer wurde und in immer größerem Ausmaß die Stoffe seiner Produktion zu immer geringeren Kapitalerträgen verwerten, bzw. verschleißen musste. Mit wachsender Produktmenge, die alleine schon zur Werterhaltung des Geldes bei verbesserter Produktivkraft nötig ist, mit der hierfür notwendigen Rohstoffmenge pro wertbildender Arbeit, zerstört das Kapital längst schon seine eigenen Grundlagen, die Naturschätze und Arbeitskräfte, die es auszehren muss, um das Wirtschaftswachstums zu halten, welche das Wertwachstum nötig hat. Allgegenwärtige Zerstörung, Krieg und Versklavung erzeugen Ohnmacht und Vertreibung. Die Wiederkunft längst vergangener sozialer, kultureller und politischer Kämpfe - auch schon bekannt aus der Geschichte des Feudalismus - hat eine globale Dimension bekommen.

Der Zerfall der Geldwerte und deren Garanten, die Natioalstaaten, sollte durch immer brutalere Aneignungskampangen der mächtigeren gegen die schwächeren gestoppt werden. Und die Grenzen der nationalen und internationalen Realwirtschaft wurden dabei überschritten, die unmittelbare Folgen ihrer Zerstörungskraft auch schon durch deren Ausdünstungen, durch die Abfälle und Abwässer der chemischen und pharmazeutischen Industrie, der zivilen und militärischen Giftproduktion und Überkonsumtion unerträglich. Sie bedrohen inzwischen den ganzen Globus und die körperliche Gesundheit der Menschen und Tiere. Und dies auch nicht, weil es davon zuviele gäbe, sondern weil der Existenzkampf der Weltproduktion, die Konkurrenz um die Sicherheiten der Geldwerte und Devisen, weil die Konkurrenzwirtschaft der Warenmärkte die Lebensproduktion der Menschen zugrunde richtet - und weil inzwischen das Leben von Mensch und Natur von einem schrankenlosen Derivatenhandel, dem Profit aus einem internationalen Schuldgeldsystem, aus den Wetten auf die Zukunft ihrer Verwertbarkeit vernutzt wurde und wird und im Regress auf ihre Unendlichkeit, auf ihre schlechte Unendlichkeit sich wie von selbst zerstört.

Die warnenden Stimmen gegen die Folgen der immer rücksichtsloser werdenen Ausbeutung von Gesellschaften, Menschen und Natur, gegen eine Politik der Verwüstung durch die Großmachtinteressen des internationalen Kapitals, gibt es schon seit vielen Jahrzehnten. Und dennoch blieb die Zerstörung der gesellschaftlichen Lebensgrundlagen die einzige Logik der herrschenden Klassen die Logik ihrer Ausweglosigkeit, die inzwischen ihre Verläufe zeitigt: Die Regionen mit den größten Bodenschätzen - besonders an Erdöl - sind politisch und kulturell verwüstet, die Kriege aufgebrachter Rebellionen und Warlords - ursprünglich bloße Verteidigungskriege - beziehen ihre Begründungen nur noch aus kulturellen und religiösen Glaubenssätzen aus jahrtausendalten Traditionen für ein Jenseits, das eine bessere Ewigkeit als die der irdische Zerstörungswut verspricht.

Dass die Verdichtung der Städte, ihre relative Überbevölkerung, mit der Entleerung der unproduktiven Lebensräume des Landes und der Landwirtschaft einhergeht, dass Flüchtlingsströme in bisher unbekannter Größenordnung die sozialen Systeme bedrängen, dass Armut und Kriege sich in irrationalen Dimensionen fortentwickeln, dass die Infrastrukturen der Länder von ihrer Schuldenlast und der daraus folgenden Austeritätspolitik bedroht sind, dass die repräsentative Demokratie keine Repräsentanten mehr vorstellen kann, die in die zentralen Probleme der Wirtschaft adäquat eingreifen könnten und dass die Armut der Menschen und ganzer Gesellschaften im Strudel ihrer Verwertung in den Abgrund getrieben werden - das alles war lange schon vorherzusehen. Warum konnte es nicht aufgehalten werden? Warum gibt es keine Fähigkeiten und kein objektives Vermögen in den reichen Ländern, diese Verhältnisse zu ändern, die Armut und Ressourcenzerstörung aufzuhalten, sich dieser Vernichtungsmacht, die die ganze Welt bedroht, entgegenzustellen? Warum zeigt sich nicht einmal der politische Wille, der allerorten verkündet wird, in der Lage, diese Verhältnisse zugunsten des Lebens von Mensch und Natur zu ändern? Es muss etwas geschehen sein, was die wahrnehmbaren Zustände von den Möglichkeiten der politischen Beeinflussung abgetrennt hat, etwas, das nicht mehr wirklich da ist und dennoch die ganze Wirklichkeit bestimmt. Da erscheint es kühn, noch zu behaupten, dass hier von der Internationalisierung einer menschlichen Gesellschaft die Rede sein muss.

Doch gerade das ist der Vorgang, der sich hinter dem Diktat des globalen Kapitals verbirgt und der zugleich eine wesentliche Veränderung der Weltgeschichte mit sich bringen wird - nicht unmittelbar als Geschichte, sondern als Verhältnis der Menschen zu ihrer Geschichte. Sie zeigt sich nicht in den Positionen der parlamentarischen Demokratie, nicht im linken, liberalen oder rechten Palaver und nicht im Potenzial von Handelsveträgen und Einflußbereichen, sondern in dem, was darin zunehmend wirksam wird und was sowohl Angst vor, wie auch Hoffnung auf eine wirkliche Lebensveränderung auf diesem Globus entstehen lässt: Das Bewusstsein einer allgemeinen Notwendigkeit, diese Welt als die einzige und ausschließliche Lebenswelt der Menschen zu begreifen und sie entsprechend zu behandeln.

Aber auch das hat schon eine lange Geschichte, denn Bewusstsein entsteht im Widerspruch, im Streit um ein Dasein, in welchem Menschen auch wirklich als Menschen sein können. Das mag zunächst als rein philosophische Frage erscheinen, die nicht mehr wissen muss, wovon die Menschen leben. Philosophie hat unendlich viele Antworten hierzu gegeben, die sich letztlich auf die Einwände des kritischen Geistes reduzieren lassen, wie sie Theodor W. Adorno mit seiner Negativen Dialektik erledigt haben wollte. Aber Philosophie - was immer ihr Erkenntnisinteresse sein mag - bleibt bloß geistiges Interesse und kann mit ihren verschiedentlichen Interpretationen und Systemen des Denkens in Wirklichkeit nichts wissen, nicht wirklich die Welt verändern, denn auch in der Kritik der Spekulanten bleibt sie selbst auch nur bloße Spekulation. Sie reagiert auf das, was sie aus der bisherigen Geschichte bereits kennt und übersieht fast regelhaft die wirklichen Veränderungen der Lebensverhältnisse. Vorzüglich appelliert sie an das Selbstverständnis einer heilen, einer guten, einer funktionalen, einer bereinigten Welt, worin das Leben erst richtig wäre, wenn endlich das richtige Leben das falsche überwunden haben könnte. Philosophie bleibt bestenfalls eine notwendige Religion.

Und ihr Appell landet immer nur bei den Menschen als Persönlichkeiten, die zwar vielerlei Fehler machen können, die aber bisher noch niemals wirklich und bewusst die Verhältnisse ihrer Gesellschaft geschaffen haben, denn die entstammen keiner Persönlichkeit, sondern der Lebensgeschichte der Menschheit, die sich seit jeher um die Entwicklung ihrer Arbeit, um deren Produktivität und der Aneignung ihrer Produkte, um die Formen ihres Eigentums zerstritten und bekämpft hat. "Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen." (Karl Marx, MEW 4, S. 462). Und diese Erkenntnis von Marx ist heute an ihrem Springpunkt angelangt, an der Stelle, wo sie ohne Wenn und Aber als Zeitfrage der Aufhebung aller Klassenkämpfe beantwortet werden muss, als Frage, wie die Menschheit auf diesem Planeten ihren Klassenkampf beenden und in einer klassenlosen Gesellschaft überleben kann.

Um das Thema jetzt erst Mal einzukreisen, muss verstanden sein, was den Blick auf die gegenwärtige Machtverhältnisse verstellt hat, was bei aller Informiertheit über die "Kluft zwischen arm und reich", den Niedergang der Realwirtschaft und der Zerstörung von Städten und ganzen Nationen unbeantwortet geblieben war. Will man es auf die drei allgemeinsten Themen verkürzen, so bestehen diese erstens aus dem Glauben an eine Marktmythologie, zweitens aus einem Missverständnis der Geldform und drittens aus einer Fehlinterpretation des fiktiven Kapitals, das sich zu einem System von Kreditversicherungen verwandelt hatte. Es war der Glaube an einen selbsttätigen Fortschritt, an eine Wertschöpfung aus einer bloßen Wertmasse des Geldes, die Macht einer Marktmythologie. Und es war ein fundamentales ökonomisches Missverständnis des Verhältnisses von Wert und Preis des Geldes, der potenziellen Gewalt eines Zahlungsmittels gegen das reelle Kaufmittel Geld. Und schließlich war es die Fehlinterpretation eines fiktiven Kapitals, das sich aus dem Finanzmarkt der Geldwerte zu einer politische Gewalt der Fiktionen, zu einem Marktpotenzial der Wetten auf Zahlungsfälligkeiten entwickelt hat, welche fast die ganze Welt in ein Derivat der Finanzindustrie verwandelte und die Zukunft vieler Generationen mit der Verwertung wertloser Wertpapiere und Eigentumstitel verscherbelte. Aus der Wesensnot einer irreal gewordenen bürgerlichen Gesellschaft war ein Schuldgeldsystem hervorgegangen, das von den verblieben Substanzen der Geldmengen zehrt, die nur noch etwa zu einem Zehntel durch den realen Warenhandel gedeckt sind (1).

Die Wirtschaftsmacht einer liberalen Mythologie

Die Frage nach dem Ende der Klassenkämpfe wurde schon zu oft gestellt und erscheint vielen längst beantwortet. Doch darum geht es vor allem auch hier. Es ist erst mal nötig, den Anschein aufzulösen, den sich die durch das Kapital globalisierte Gesellschaft gibt, dass sie längst klassenlos sei, das Glück eines jeden zum Ziel hätte und schließlich die bornierte Abhängigkeit von ihrem Arbeitsprozess längst überwunden habe. Inzwischen ist zumindest zu bemerken, dass das nicht wahr sein kann, denn im Allgemeinen treiben ihre Resultate der wirtschaftlichen Entwicklung der Arbeit, das so genannte Wirtschaftswachstum, eher zum Niedergang der Gesellschaften, als dass sie für deren Individuen ihr allgemeines Glücksversprechen halten könnten. Als Realwirtschaft ist diese Entwicklung zweifellos im Untergang begriffen und als Wirtschaftsmacht herrscht nurmehr der Glaube an eine Zukunft, die von der Aufpreisung der Lebensverhältnisse durch die Wetten des Kapitals auf seine Wertrealisierung im Derivatenhandel bestimmt wird. Klassenkämpfe können dort nicht mehr stattfinden, doch die Klassen existieren nach wie vor als kulturelle Gegensätze von Lebensproduktion und Selbsterhaltung, die zwischen der Macht der Geldbesitzer und der Ohnmacht ihrer Schuldner in einem weltweiten Schuldgeldsystem sich aufgespalten sind.

Die Geschichte der Klassengegensätze hat dadurch eine neue Form bekommen. Sie waren noch im 19. und 20. Jahrhundert in sozialen und ökonomischen Kämpfen innerhalb der Industrienationen und zwischen ihnen und der Dritten Welt offensichtlich. Ökonomische Auseinandersetzungen waren von daher auch unmittelbar politische Auseinandersetzungen über die gesellschaftliche Form der Vermittlung von Bedürfnis und Arbeit der Menschen. So standen auch die Blöcke der gesellschaftlichen Systeme zwischen Ost und West gegen einander und suchten in einer Art Konkurrenz der nationalen Produktivkräfte durch ihre politischen Machtmechanismen ihre Einflußbereiche und Märkte sich weltweit auszudehnen und zu verfestigen.

Doch offensichtlich war es nur eine Illusion der bürgerlichen Gesellschaft, dass sich mit der Ausweitung der Marktwirtschaft die mystische Intelligenz einer "unsichtbaren Hand des Marktes" zum "Wohlstand der Gesellschaften" (2) durchsetzen würde. Und ebenso konnten die vielbesungenen "Trickle-down-Effekte" (3) des Reichtums der Reichen die Armut nicht auflösen. Aber versprochen war, dass sich die Armut der gesamten Menschheit, wie in den Milleniums­zielen beschrieben, sukzessive auflösen würde. Deren erste Erfüllung für das Jahr 2015 fiel aber - fast geheim gehalten - aus und die Kluft zwischen arm und reich verstärkte sich stattdessen beträchtlich. Und so hörte man einfach auf, davon zu reden. Es war eben nur eine grandiose Behauptung der Ideologie des Neoliberalismus, die den Menschen versichern wollte, dass sich durch das "Weltmarketing" des globalen Kapitals und seiner Finanzmärkte, dass sich durch den Freihanel der Marktwirtschaft und ihrer Globalisierung die Probleme der Nationalstaaten mit ihrer Wirtschaft und Staatsverschuldung aufheben würden, und dass sich durch ihre Effizienz auch die Verschmutzung und Vergeudung von Lebensressourcen und die Zerstörung ihrer Gesellschaftsformen wie von selbst erledigen ließe, weil der Zugang zu den Quellen des Lebens letztlich allen Menschen frei stünde und es nur eine Frage der politischen Bildung wäre, wie das mit der Fairness der Menschenrechte des kapitalistischen Wertesystems, mit den westlichen Lebenswerten - wenn man nur die westlichen hernehmen würde - schlussendlich zu verwirklichen sei.

Die seltsame Euphorie der neoliberalen Marktmythologen bestach schon immer wieder mal durch die Hoffnung auf Sankt Nimmerlein und ließ in schwierigen Zeiten die Liberalen auf dem Vulkan tanzen, in welchem sie dann in unaufhaltsamer Regelhaftigkeit ihrem Verhältnisschwachsinn erlagen und von volksnahen Gesinnungen abgelöst wurden. Es waren Regeln des Geldbesitzes, die ihre Ideologien in jedwede Richtung, je nach "Lage der Dinge" hinzaubergn können. Die Neoliberalen führen sich inzwischen allerdings mehr oder weniger als Endzeit-Prophenten auf, die sich von den wirklichen Problemen des bürgerlichen Patlamentarismus längst abgesetzt haben und sich lieber selbst als Weltgeist einer neuen Zeit ausgeben. Das "Ende der Geschichte", der Kämpfe um die Lebensgrundlagen der Menschheit sei erreicht, wollte der Politikwissenschaftler Francis Fukuyama bereits im Jahr 1992 festgestellt wissen. Es sollte so erscheinen, als ob es keine Klassenkämpfe mehr geben würde, der Kapitalismus sich selbst in ein bloßes Verteilungssystem einer zunehmend automatisierten Lebensproduktion zu wandeln verstünde, und als ob die Menschen durch den Glauben an die Technolgie der Zukunft den Glauben ihrer Gläubiger in den Casinos der Wetten auf Wertpapiere und Eigentumstitel beflügelt werden könnten, dass der von Liberalen und Neoliberalen alllzeit versproche "Wohlstand für alle" endlich zur Erfüllung käme. Das Resultat aber war - auf die ganze Menschheit bezogen - wie bekannt: die Vertiefung ihrer Armut, Ausweitung der Kriege, Prekarisierung aller Lebensverhältnisse und Infrastrukturen, zunehmende Ausgrenzung von Randgruppen, Veränderug des Weltklimas durch Verschmutzung der Umwelt und der Biosphäre, weltweite Fluchtbewegungen der Menschen und Terror und Gewalt von allen Seiten.

Die Verkehrung von Wertbildung und Preisbildung

Die Regeln der sogenannten freien Marktwirtschaft waren zu Fesseln der Realwirtschaft geworden. Ihre allseits beschworene Vernunft der "unsichtbaren Hand des Marktes", welche schon den Bürgern der bürgerlichen Gesellschaft Wohlstand, Freiheit und Gerechtigkeit für alle versprechen wollte, hat sich in die Gewalt eines Bankensystems gewandelt, das immer größere Geldmassen einer Giralgeldschöpfung auf den Markt warf, die nichts mehr mit bereits realisiertem Mehrwert zu tun hatte, sondern vorwiegend auf einen nicht vorhanden Wert, auf einen künftigen Mehrwert spekulierte und Druck gegen eine Wirtschaft machte, die wertmäßig nur noch höchstens ein Zehntel der zirkulierenden Finanznotierungen decken konnte (4). Die Nationalstaaten wurden durch deckungsloses Geld, durch rein nominelle Geldnoten gezwungen, immer größeren Mehrwert allein zur Deckung der zirkulierenden Werte zu produzieren. Als Konkurrenten auf den Warenmärkten mussten sie zugleich gegen die globale Geldwertvernichtung durch Spekulation sich behaupten. Die Derivate des Finanzhandels, die Kreditversicherungen, Futurebonds und BadBanks wurden zum stärksten Machtfakter der Konjunktur. Das Verhältnis von Warenhandelskapital zum Finanzhandelskapital hatte sich verkehrt. Die Volkswirtschaften der Nationalstaaten konkurrieren nicht mehr nur um ihre Handelsbilanzen auf den Warenmärkten, sondern zugleich als Betriebswirtschaften, die den Finanzmarkt beleihen müssen, weil ihre Staatsverschuldungen ein kaum noch einholbares Maß längst überschritten hatten. Deren Krisen treten daher vorwiegend als systemische Krisen behandelt, weil nun das System als Ganzes gerettet werden muss (5).

Die Märkte der Realökonomie wurden im Zug der Globalisierung von den Finanzmärkten beherrscht und zum Objekt ihrer Spekulationen auf die bloßen Handelsspannen in der Preis­bildung, wodurch die Wertproduktion nicht mehr nachkommen konnte, ihr realwirtschaftlich unterlag. Die Wertbildung musste der Preisbildung gehorchen; die Preise waren zu einem immer stärkeren Anteil nicht mehr wertbestimmt. Umgekehrt waren die Werte über die Macht von Zahlungsversprechen, Wertpapieren und Eigentumstitel preisbestimmt. Die Mehrwertproduktion der Realwirtschaft musste zunehmend der Bewertung der potenziellen Wertrealisierung in den Casinos des Finanzkapitals gehorchen, wo die Fiktionen wertloser Geldmengen durch Futurebonds und Immobilien- und Devisenspekulation abgehandelt werden.

Mehrwert wurde großenteils nicht mehr aus akkumukiertem Wert aus Mehrprodukten der Arbeit bezogen, sondern durch Lohnabzug in der Geldzirkulation eines fiktiv gewordenen Kapitals, das nicht mehr aus den Produkten der Vergangenheit seinen Mehrwert bezieht, sondern auf künftigen Mehrwert aus der Preisgestaltung spekuliert und vor allem die Preise in der Geldzirkulationen zu bestimmen sucht. Was die bisherige Politik ökonomisch umsetzen musste, um die Geldwerte, die Preise stabil zu halten, wird nun im internationalen Kampf um die Werterhaltung der nationalen Währungen mit einer repressiven Politik der Geldverwertung durch entsprechende Preisbildung mit "leistungsfreien" Eigentumstitel erzwungen. Der bislang bürgerlich verfasste Staat musste zum Funktionär des weltweiten Finanzmarkts werden, zu dessen Unternehmer und Geldeintreiber, zum Agenten des Wertwachstums und zum Gerichtsvollzieher gegen seine Bürger in Einem. Nur noch sie waren die Bürgen der Wertsicherheiten für eine Zukunft, deren Jungend auf viele Generationen hin zur spekulativen Wertmasse, zum "Humankapital" einer Negativverwertung, einer Warenwirtschaft auf Pump wurde, die immer mehr Kredite nötig hatte, um überhaupt nur ihre Verschuldungen abzulösen, solange dies die Ratingagenturen zuließen. Die Algorithmen der dort eingesetzten Versicherungsmathematik wurden zu einem Entwicklungsfaktor erster Ordnung, zu einer "höheren Ordnung", die undurchschaubar im Hintergrund der Politik sowohl die Kreditanreize, als auch deren Rentabilität quasi systemtheoretisch bestimmte. Ihr Ziel war eine hohe Kreditsumme, durch welche das deckungslose Geld als Verwertungsdruck zu übereignen war. Ihr Produkt war die Grenzüberschreitung der realwirtschaftlichen Existenzbedingung. Und ihr Urteil betrieb dann schließlich auch den Niedergang der Staaten, die fallen gelassen wurden, nachdem ihnen hohe Geldsummen zugewiesen worden waren, die aber ihre Wirtschaft mangels Arbeitsvolumen nicht einbringen und auf den Weltmärkten nicht mehr verwirklichen konnten. Sie zerbrachen am Diktat der internationalen Preisverhältnisse über ihr Verwertungspotenzial. Weltweit und auch innerhalb der EU wird seitdem der Niedergang der Realwirtschaft und die Klassenherrschaft der reichen Nationalstaaten gegen die armen vollzogen.

Fiktives Kapital und das System der Kreditversicherungen

Die sozialdemokratische und sozialistische Linke war darauf nicht vorbereitet. Sie war noch ganz auf die klassischen Verteilungsgegensätze von Kapital und Arbeit eingeschworen und kämpfte weiter unbefangen um die Zuteilung von Geldsummen, deren Bewertungen auf den Finanzmärkten der Welt abgehandelt wurden. Der Monetarismus der Gewerkschaften und Politiker wurde für die Betroffenen zunehmend zu einer Farce, die sich mit realen Entwicklungen nicht mehr auflösen ließ.

Weltweit hat sich das Verhältnis der Auspressung des Lebens zur Mehrwertproduktion gewandelt in eine zunehmende Ausbeutung über den Wert des Zahlungsmittels Geld durch Mehrarbeit für seinen bloßen Werterhalt, durch eine Negativverwertung, die über die Wettverhältnisse auf den Finanzmärkten bestimmt ist. Nicht mehr nur der durch Arbeitsprodukte dargestellte Wert stelllt sich als Wirtschaftsmacht dar, sondern zunehmend das Kalkül über die Handelsspanne der Preise, dem Potenzial der Wertrealisierung, aus dem die Versicherungsfonds, die "Hedgefonds" ihre "Hebel" der Wertoptimierung beziehen, so wie es bisher nur Versicherungskaufleute gewohnt waren.

Der Niedergang der Realwirtschaft hat weitreichende Konsequenzen. Die Nationalstaaten selbst müssen sich in der Konkurrenz ihrer Staatsverschuldung gegeneinander "wertadäquat" absichern, "Frischgeld" aus Arbeit im nationalen Verteilungskampf eintreiben, um dem Urteil der Ratingagenturen über die Rentabilität ihrer Volkswirtschaft zu genügen. Die Grundlagen der Wirtschaftsmacht wurde letztlich die Basis einer privatwirtschaftlichen Entscheidungsagentur, die wie eine Versicherung funktioniert, die also mit Versicherungsmathematik das Potenzial der Kapitalverwertung abschätzt und hiernach die Staaten als Wirtschaftsstandorte klassifiziert und die Optionen der Preisbildung gegen die Wertbildung potenziert. Inzwischen funktionieren die Börsen zunehmend über ihren Derivatenhandel wie Versicherungen, die immer den Staat als Garanten gegen Disfunktionen bemühen müssen und im Devisenhandel zugleich die Qualität seiner Anpassung an den Weltmarkt der Kapitalfiktionen belohnen oder bestrafen können. Inzwischen wird auch schon mit der kalkulierten Mischung aus beidem gehandelt: Mit einer Kombination von Geldentwertung und Staatsverschuldung und der Produktion des gesellschaftlichen Zerfalls (6).

Der Staat hat sich hierüber in seiner Funktionalität für die Verwertungszusammenhänge der gesellschaftlichen Arbeit wesentlich verändert und mit ihm die Positionen seiner Bürger. Der sogenannte Arbeitnehmer steht als Erzeuger des Mehrwerts zugleich als Bürge der Realisation seiner Verwertung, als Wertproduzent und als Träger der gegen seine Arbeit gerichteten Preisverhältnisse, im Widerspruch mit sich selbst. Er hat nicht mehr nur über den Preis seiner Arbeit zu verhandeln, sondern zugleich um seine Existenz als Staatsbürger in der Konkurrenz der Nationalstaten auf dem Weltmarkt. Er ist unmittelbar betroffen von den Preis der Arbeitskraft in fernen Ländern und muss zugleich gegenüber "seinem" Staat um seine politische Vertretung kämpfen. Doch die kann ihm nicht mehr zuteil werden, denn für "seinen Staat" ist seine Arbeit wertlos, wenn sie nicht die nationale Konkurrezlage verbesssert. Die Arbeitskräfte müssen sowohl der Macht der Mehrwertproduktion der Realwirtschaft gehorchen, als auch dem Wertverfall der Finanzmittel, der von den Nationalstaaten mit einem Wertwachstum durch Lohnabzüge im Nachhinein der Produktion, durch ein politisches Arrangement über die Preisbildung der Eigentumstitel und Gebühren, der Mieten, Steuern, Leitzinsen und Versicherungen (einschließlich Rente, Sozialabgaben und Gesundheitsfürsorge) eingetrieben werden. Damit sind mit den Staatsgrenzen zugleich die Grenzen der Realwirtschaft überschritten. Der bürgerliche Staat ist erledigt, seine Politik insgesamt obsolet.

Die politische Form der Weltwirtschaft ist nach wie vor die Kapitalverwertung, ein Kapitalismus, der in letzter Konsequenz durch seine Konkurrenzwirtschaft immer wieder die lebendige Arbeit für sein schwindendes Wertwachstum aufzehren muss, um seine Macht gegen seine Risiken zu sichern, um sie durch Gewalt zu vermehren und zu bestärken. Ganz gleich, ob es sich aus der Arbeit ergibt oder aus einem Wertentzug in der Geldzirkulion eines fiktiven Kapitals resultiert: Kapital ist in jedweder Formation die Macht einer toten Arbeit, inzwischen aber zugleich auch selbst die Fiktion ihrer Verwertbarkeit in einem schier unendlichen Wachstum.

Doch der konkrete Verwertungsdruck hat eine andere Machtbasis. Der Wert­entzug durch unbezahlte Mehrarbeit unterscheidet sich wesentlich, wenn er nicht direkt aus der Produktion gewonnen wird, sondern aus einem leistungsunabhängigen Kapital der Eigentumsrechte, die vor allem als bloßes Eigentumsrecht "kapitalwirksam" sind und von den politischen Institutionen des sich immer noch bürgerlich gebenden Rechts durchgesetzt werden. Die Staatsgewalt ist hierfür das ultimative Werkzeug.

Die abstrakte Getriebenheit der Konkurrenzen, der so genanten "Wettbewerb" der Produktivkräfte, hat sich inzwischen losgelöst von ihren Produktionsstätten und sich in eine Beschleunigung des Kapitalumsatzes, der Kapitalzirkulation gewandelt, die alles ausschleudert, was dem rasanten Geldumlauf in seiner Preisbildung nicht mehr folgen kann (7). Und so hat die klassische Verwertungsindustrie ihre realen Grundlagen verloren: die Ausbeutung der Realwirtschaft. der Warenmärkte und der Menschen, die damit auskommen, weil sie davon leben müssen. Die Märkte stehen auf dem Kopf und bestimmen sich nurmehr aus den Preisspannen der Wertpapiere und der Währungen, die sich weltweit gegen die Lebensverhältnisse der Menschen mit allen Mitteln durchsetzen müssen, weil sie aus rücksichtslosen Spekulationen erfolgen, die auf die Menschen als Entwertung ihres Geldes, ihrer Lebensmittel und Lebensarbeitszeit zurück wirken.

Nicht mehr nur die Arbeit, sondern das Leben selbst ist auf diese Weise zum Objekt der Ausbeutung geworden: Fauna und Flora, Mensch und Natur werden als Stoff des Kapitalumlaufs und der da­rauf setzenden Wetten bis zu ihrer physikalisch begrenzten Substanz verbraucht. Nur noch in wenigen der reicheren Ländern wie z.B. Deutschland, USA, China, Indien und Japan kann ein realwirtschaftlicher Kapitalismus mit einigen Schlüsselindustrien (Automobilbau, chemische und pharmazeutische Industrie, Militärindustrie) seine Verwertungssucht überhaupt noch produktiv fortsetzen.

Die Profite ergeben sich nach wie vor aus den Handelsspannen der Konkurrenz in den Diskrepanzen der Produktivität im Arbeitsprozess. Aber die Mehrwertbildung bestimmt sich zunehmend nicht mehr aus ihrem Kapitalvorrat zur Investition in eine realwirtschaftliche Produktion, sondern nach ihrem Absatz auf den Warenmärkten, die ihren Mehrwert realisieren müssen, um ihre Arbeitsplätze und ihre nationale Geldzirkulation zu halten. Denn hier entscheiden die Preise der Lebenshaltung, wieviel davon produktiv ist, wieviel eben für Miete, Gebühren, Steuern usw. abgetreten werden kann. Die Kette der lebendigen Verbindungen ist international und verlangt immer nach den Schwächsten, den Ärmsten, die ihre Produkte unter Wert verkaufen müssen, um leben zu können, die ihre Produkte für andere veräußern müssen, ihnen billige Lebensmittel liefern müssen und oft selbst hungern, weil sie zur Monokultivierung gezwungen sind, weil ihre Produktion und Produktivität unter dem Diktat der Fiktionen eines Weltmarkts steht, auf dem sie keine Chance haben und zum Überleben sich auch noch weiter bei der Weltbank verschulden müssen.

Aber auch in den reichen Ländern dreht sich die Welt im Kreis - im Teufelskreis einer Kapitalverwertung, die ihre eigenen Existenzbedingungen in einer schlechten Unendlichkeit verspielt, ihre Entwicklungschancen verwettet, - nur damit zumindest der Reiz eines fiktiven Wachstums die unüberschaubar gewordenen Verluste überblenden kann. Mit dem Schuldgeldsystem ist der Kapitalismus selbst zu einer Glaubensmacht, zur Herrschaft der Gläubiger geworden, die sich als ein feudales Benefitzwesen der Privatbanken gibt. Kapitalismus herrscht jetzt als Feudalkapital, das der Arbeit nicht nur Lebenskraft, sondern vor allem auch Lebenssinn entzieht (8).

In seiner Verwirklichung und Wirklichkeit versagt der Kapitalismus offensichtlich und ganz allgemein und weltweit am Widerspruch des ihm nötigen Wertwachstums zu seinen organischen Grundlagen, der Produktivkraft seiner Industrieanlagen, der Automation und die daraus erfolgende relative Entwertung der Arbeit, die inzwischen absolut geworden ist: Soviel Arbeit wie ihm zur Wertbildung nötig wäre, kann es nicht mehr geben. Das ist der Kern seines totalen Scheiterns. Insgesamt gibt es nicht zu wenig Geld, um die Produktion "anzukurbeln", sondern zuviel - zuviel Geld, das seinen Wert auf den Märkten verliert oder nie hatte und deshalb gerne verliehen wird, so dass um Schuldner sogar gewetteifert wird, weil Geldbesitz zunehmend durch Negativzinsen bedroht ist. Der Kapitalismus, die Verwertung von Kapital, scheitert ganz offen an den Problemen, die er selbst erzeugt hat - und vor allem auch an den Lösungen, die in seiner Systematik für seine systemischen Krisen und Institutionen bereitgestellt wurden und werden.

Weltweit wird die Realwirtschaft durch die Spekulation mit fiktivem Kapital abgebaut, Investitionen auf Erträge durch sozialmächtige Einrichtungen konzentriert und ganze Volkswirtschaften den Spekulationen des Weltkapitals der Finanzmärkte überantwortet. Es wird dort in einem ungeheueren Ausmaß Leben sprichwörtlich verspielt. Doch die Spieler müssen nicht mehr an ihrer Sucht scheitern. Ihre Verfluste entwickeln sich zu einer kulturellen Scheidemarke zwischen reichen und armen Nationalstaaten. Es flüchten immer mehr Menschen aus den zerstörten Gebieten, deren Armut die Konkurrenzverhältnisse und die Infrastrukturen aller Gesellschaften belastet, sie durch radikale Monokultutralisierung und Überbevölkerung auszehrt. Ihre Zukunftsfähigkeit, die Lebensperspektiven der Jugend löst sich im Dunst schwelender Abfälle auf. Ihre Hoffnungen verlagern sich in das Jenseits irgendwelcher Religionen, durch die sie schließlich ihren Fanatismus begründen können, der nichts anderes darstellt als ihre tödliche Bedrohungslage, ihre Hoffnungloskeit, die ihnen entwendete Zukunft. Es werden damit nicht nur die Grundlagen jeder demokratischen Entscheidung - die Beteiligung der Bevölkerung - durch die Gewalt der Verwertungszwänge der Finanzwirtschaft aufgelöst, sondern vor allem ein allgemeiner Konservatismus der Verheißungen aus einer kulturpolitischen Vergangenheit erzeugt, der ihre Verzweiflung durch religiöse oder politische Fiktionen ersetzt.

Die Wanderbewegungen der Armen zu den Reichen hat Folgen für alle. Nicht nur die Lebenszeit der Menschen, die unbezahlte Arbeit leisten müssen, wird durch die Weltmacht des internationalen Kapitals ausgebeutet, sondern auch ihr Lebensraum, die politische Form ihrer Kultur. Ökonomische Armut verhält sich daher inzwischen in einer doppelten Ohnmacht. Die billigsten Arbeitskräfte werden zu Objekten einer ihnen fremden Gesellschaft. Ihre Kultur, die sie verlassen müssen, um überhaupt existieren zu können, gerät zu einer Subkultur, zu einer so genannten Parallelkultur, die sich nicht mehr gesellschaftlich äußert, bezieht und darstellt, sondern ihren Bezug auf ihre gesellschaftliche Umgebung geradezu leugnet. Je ärmer die Menschen und Staaten werden, je geringer ihre Möglichkeiten der Einsicht in ihre Lebensverhältnisse sind, desto intensiver und fanatischer suchen sie Rückhalt in ihren althergebrachten Glaubensrituale, in den Dogmen ihrer Kultur. Die Anpassung der Migranten an die ihnen fremde Gesellschaft und Sprache wird zu einer gigantischen Kulturleistung. Sie selbst werden hier­über gespalten in funktionale Arbeitskräfte, die den Glaubensregeln des Kapitals Folge leisten, und Gläubige, die der kulturellen Identität ihrer Religionen folgen, die wie jede Glaubensmacht ihre Selbstbeziehung radikalisieren. Obwohl die Klassenkämpfe nach wie vor die Kämpfe zwischen ökonomischer Macht und Ohnmacht sind, erscheinen sie inzwischen als "Kampf der Kulturen". Und darin treten in der Tat nur noch Glaubensmächte auf: Die der Kapitalfiktion und die der Hoffnung auf ein Jenseits zu dieser.

Der "Alp der Traditionen" und die Utopie des Möglichen

Die Glaubenskämpfer verbergen, dass sich die geschichtlichen Bedingungen des Kapitalismus in das Weltmachtsystem eines Finanzkapitals verkehrt hat, das sich von seinen realen Grundlagen, von den stofflichen Verwertungsbedingungen des Geldes, der sogenannten Realwirtschaft abgehoben hat, weil es seinen Mehrwert zu einem immer geringern Anteil aus der stofflichen Produktion und immer mehr aus den Machtverhältnissen der Märkte, aus Eigentumstitel, Lizenzen, Steuern usw. bezieht. Damit ist die Geldzirkulationen, der Einkauf und Verkauf von Geld und damit das Auf und Ab der Geldwerte, zu einer weltweiten Bestimmungsmacht geworden, die Spekulation mit Geld zur Glaubensmacht einer Teilhabe an dieser. In ihrer hierdurch kulturmächtig gewordenen Form und der bewusstlosen Gegenwart ihrer Geschichte stellen die kulturell geführten Kämpfe einen Alptraum dar, der durch ihren Internationalismus den Charakter eines Weltkriegs trägt.

Darin ist die Auseinandersezung der politischen Kultur mit ihrer wirklichen Kultur aufgelöst und mag sich hierbei auch noch revolutionär vorkommen. Doch ohne Antwort auf die internationale Konkurrenz der Staatsgewalten verstehen sich die Staaten als Agenturen ihrer Lebenswerte und kämpfen um diese, indem sie die Ohnmacht der Menschen hierbei nur potenzieren

"Alle Revolutionen vervollkommneten [...] nur die Staatsmaschinerie, statt diesen ertötenden Alp abzuwerfen. Die Fraktionen und Parteien der herrschenden Klassen, die abwechselnd um die Herrschaft kämpften, sahen die Besitzergreifung (Kontrolle) (Bemächtigung) und die Leitung dieser ungeheuren Regierungsmaschinerie als die hauptsächliche Siegesbeute an. Im Mittelpunkt ihrer Tätigkeit stand die Schaffung ungeheurer stehender Armeen, einer Masse von Staatsparasiten und kolossaler Staatsschulden." (K. Marx, Bürgerkrieg in Frankreich, MEW Bd.17, S.539)

Mit der Verkehrung der Finanzmärkte zu einer Logik der Zahlungssicherheit eines überkommenen Kapitalismus hat sich die bislang ab­­strakt in der durchschnittlichen Lebensarbeitszeit zur Erzeugung des gesellschaftlichen Reichtums darstellte, zu einem Überlebenskonzept innerhalb der nationalpolitischen Lebensräume gewendet, die über die Ausbeutung des zirkulierenden Geldwerts einen zusätzlichen Mehrwert bezieht. Aber diese funktioniert nurmehr durch die Rechtshoheit des Staates, also durch dessen Potenzial der nationalen Währungshoheit, der Staatsgewalt der Geldschöpfung durch die Nationalbanken und Leitzinsen, durch welche die Investitionen in die Realwirtschaft an den Spekulationen an der Böres relativiert werden.

Was die Lebensarbeitszeit der Menschen nicht mehr in hinreichendem Ausmaß an Mehrwert einbringen konnte, muss nun zusätzlich aus den organischen Verhältnisse der politischen Lebensräume bezogen werden, vorzüglich aus den regionalen und kommunalen Infrastrukturen und der Verwertbarkeit und Gentrifizierung ihrer Kulturen. Dieser Wandel des Verhältnisses der Lebenszeiten zu dem der Lebensräume ist auch in Deutschland zumindest in den zen­tralen Bereichen der gesellschaftlichen Lebenszusammenhänge festzustellen, deren Ende und Wandel unabsehbar sind, weil sie in der zirkulären Logik einer schier unendlichen Geschichte funktionieren müssen. Eine solche Geschichte wäre eine absurde, also gar keine Geschichte, wenn sich dahinter nicht zugleich eine substanzielle Veränderung der Weltwirtschaft verbergen würde, die in und durch die Krisen der Kapitalwirtschaft gezwungen sind, immer mehr Zugeständnisse an das Leben der Menschen und der Natur zu machen, weil sie ansonsten ihrer wesentlichen Existenzgrundlagen beraubt würden. Das "Humankapital" ist daher durchaus in der Lage, gegen seine Verwertung aufzustehen, seine Disfunktionalität zu beweisen und das Ganze dieses absurden Verhältnisses in Frage zu stellen und sich bewusst zu machen - bewusst, um es in all seinen Momenten unterwandern zu können, sein Leben subversiv zu verwirklichen.

Bewusstsein wird allerdings durch eine Kultur der Selbsgefühle hintertrieben, durch die Ästhetisierung der eigenen Lebensnot, durch das Geltungsbedürfnis der Selbstwerte, die ihre Selhstachtung dem Kalkül ihrer Selbstversicherung opfern und die Flucht in eine Selbstveredelung anstreben, die eher einen uneinholbaren, weil unverholenen Narzissmus an die "Hebel der Macht" bringt, als das Wissen um die Wesensnot der menschlichen Gesellschaft zur Grundlage ihres politischen Handelns zu machen und diese in den konkreten Lebensverhältnissen in einem langen und komplexen Veränderungsprozess aufzuheben, der alle Menschen betrifft. Eine große Gefahr für das Leben der Menschen ist inzwischen die Spaltung der Gesellschaften, die darauf gründende Machtzunahme der Nationalstaaten, ihre immer rücksichtloser werdende Gewaltanwendung und die Popularisierung persönlicher Heilserwartungen und dem damit einhergehenden ästhetischen Willen, der sich als politische Gesinnung vorstellt und sich als diese auch exekutieren will. Ohne ein Wissen der Menschen um ihre wahren Lebenszusammenhänge wird ihm das gelingen, weil er den praktischen Notwendigkeiten der Nationalstaaten folgt, diese bedient und zwangsläufig totalisiert. Ein wichtiges Thema der Zeitgeschichte ist daher nicht nur die Veränderung der wirtschaftlichen Formationen der Gesellschaft, sondern auch die Überwindung der Nationalstaatlichkeit, die nach einer anderen politischen Entscheidungsstruktur in den Ländern, Regionen und Kommunen der Welt auf der Grundlage ihrer kulturellen Eigenarten verlangt.

Daher geht es in diesem Text um die Gründe der herrschenden Politik und Wirtschaft, der Widersprüche der politischen Kultur und Wirklichkeit und ihrer überkommenen Verhältnisse und Strukturen.Während ihr kritischer Verlauf in der Gegenwart dargestellt wird, sollen diese vor allem als Positionen sichtbar werden, die sich hinter der Wirkllichkeit als das verstecken, was ihre Fortentwicklung immer wieder unwirklich werden lässt. Die Einsicht in ihren Widerspruch kann den Mut zu einem Thema begründet, das hier auch positiv als ein Weg in eine Gesellschaft abgehandelt wird, die nicht die alte bleiben kann und die ihre menschlichen Potenziale überhaupt erst noch aus dem erschließen kann, was in ihren Krisen, in den Phasen ihres Niedergangs zugleich entfaltet wird: Die Notwendigkeit einer Gesellschaft, die ihren bornierten Selbstverschleiß überwinden muss, die aus den Niederungen einer anachronistisch gewordenen Konkurrenzwirtschaft heraustreten muss, um das Potenzial einer weltweiten Wirtschaftskraft, die Ergänzungswirtschaft einer internationalen Gesellschaft zu entfalten.

Hieraus folgt, dass eine grundlegende Veränderung dieser Gesellschaft, die hier als Weltgesellschaft zu verstehen ist, nicht einfach nur objektiv und formell durch nationale politische oder militärische Gewalt bewirkt werden kann. Der "Alp der Traditionen" lastet nicht nur objektiv, sondern auch subjektiv auf "den Gehirnen der Lebenden". Das verlangt eine leibhaftige Vermittlung und Beziehung subjektiver Lebensnot als Wesensnot der objektiven Lebensformen. Notwendig hierfür ist, deren Grundlagen in der Entfremdung ihrer Kultur als politische Kultur der Lebensverwertung zu erkennen und sich gegen das Verwertungssystem des Geldes zu emanzipieren, seine Rechtsform politisch mit dem Recht der Menschen auf ihre Gesellschaft anzugreifen und seine institutionelle Macht durch eine Geldform aufzulösen, die genau das Gegenteil von dem ist, was das Geld als Zahlungsmittel ausmacht, auch wenn es nur als Kaufmittel dargestellt wird. Die Geldform selbst ist der Knackpunkt der Wirtschaftsform, weil sie sich als Subjekt der Märkte, als Funktionär des Mehrwerts, der unbezahlten menschlichen Arbeit durchsetzt, solange sie nicht das wird, was sie sein sollte: Rechengeld.

Die Subversion der Finanzwirtschaft kann im Wissen und Bewusstsein seiner allgemeinen Lebenszusammenhänge durch die Umkehrung der politischen Gewaltverhältnisse in konkreten Lebensverhältnisse verlaufen, ausgehend von ihren einzelnen Lebensumständen in den Kommunen, Regionen und Länder bis hin zu einem weltweiten Vermittlungsverhältnis menschlicher Lebensproduktion (z.B. in einer internationalen Kommunalwirtschaft). Dies muss im einzeln und allgemein in den Lebensproblemen der Menschen entwickelt und vermittelt werden, ganz gleich, von welchem Scharmützel es im Einzelnen begleitet wird. Das ist an der Lebensbasis selbst vonnöten, wo die politischen Institutionen versagen, wo sie gezwungen werden können, die Subsistenz der Menschen zu sichern und ihre Delegationen qualifiziert werden, diese zu beantworten und ihnen die Mittel zu überantworten, die durch qualifizierte Delegation kommunal, regional und landesweit verwaltet und verteilt werden soll. Sie selbst werden davon subversiv belebt und unnötig gemacht und - wo nötig - auch bekämpfbar.

Nicht ein massiv bestückter politischer Wille kann eine neue Gesellschaft begründen, weil diese Gesellschaft als politische Ökonomie des bürgerlichen Rechts schon längst existiert. Sie ist daher nicht einfach "falsch für die Menschen" und nicht durch eine bessere Alternative von Grund auf abzulösen. Sie ist für die Menschen lediglich verkehrt, also in verkehrter Form, in einer Form, in der Abstraktionen ihre konkreten Zusammenhänge bestimmen und sie von dem abziehen, worum es ihnen in Wirklichkeit geht. Es geht also nach wie vor um das Wissen ihrer Unwirklichkeit, um ihre Wesensnot, die gesellschaftlich in allen Widersprüchen des Kapitalismus durch ihren realen und gedanklichen Abstraktionsprozess durchbricht. Eine Revolution muss daher wesentlich subversiv sein, was immer dabei auch sonst noch zu tun ist.

"Es wird sich dann zeigen, daß die Welt längst den Traum von einer Sache besitzt, von der sie nur das Bewußtsein besitzen muß, um sie wirklich zu besitzen. Es wird sich zeigen, daß es sich nicht um einen großen Gedankenstrich zwischen Vergangenheit und Zukunft handelt, sondern um die Vollziehung der Gedanken der Vergangenheit. Es wird sich endlich zeigen, daß die Menschheit keine neue Arbeit beginnt, sondern mit Bewußtsein ihre alte Arbeit zustande bringt." (MEW 1, S. 346)



1) Im Jahr 2016 zirkulierten ca. 700 Billionen US-Dollars des Finanzhandelskapitals, während nur 70 Billionen UD-Dollars das Warenhandelskapital auf den Weltmärkten repräsentierten.

2) vergleiche Adam Smith 1776: "Der Wohlstand der Nationen" (vollständiger engl. Titel: "An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations")

3) Mit der Trickle-down-Theorie von David Stockman sollte glaubhaft gemacht werden, dass Wirtschaftswachstum und allgemeiner Wohlstand der Reichen nach und nach durch deren Konsum und Investitionen in die unteren Schichten der Gesellschaft durchsickern würden. Diese Theorie hat sich längst schon im Vergleich der Länder als falsch erwiesen, die durch neoliberale Politik die Reichtumskonzentration in der Hand der Wenigen gefördert hatten (z.B. USA) und denen, die noch auf eine Art Ausgleich der Nachteile im Geldbesitz bestanden (z.B. Dänemark).

4) Ein Wertwachstum jenseits der Realwirtschaft geschieht nach den seit der Regierung Thatcher, Clinton und Schröder geltenden Finanzverträgen durch eine Kreditvergabe auf der Basis einer Schuldpflichtigkeit mit einem Buchgeld, das aus der Schuldverschreibung selbst bezogen wird: Bei jeder Kreditaufnahme durch einen Schuldner wird lediglich ein Zehntel als Realwert eingesetzt und 90% des Gläubigerbetrags als bloße Zahlpflicht "vorgeschossen". Nimmt z.B. ein Spekulant für seine Wetten oder zum Einkauf einer Immobilie 10.000 Euro bei einer Bank auf, so muss das kreditgebende Institut lediglich etwa 10% hiervon, also 1.000 Euro als reales Geld einsetzen und "riskieren". Für den Rest haftet weder die Bank, noch der Staat, sondern die gesamte international zirkulierende Geldmenge, die sich temporär oder dauerhaft über die Notenbanken um den Risikobetrag bemühen muss und sich entweder wieder durch neuen Mehrwert aus erworbenem Eigentum füllt oder entwertet und so zu einem "Versicherungsfall" wird (vergl. z.B. ESM="Europäischer Schutzgeldmechanismus"). Der Staat hat lediglich die Rechte der Besitzer von Eigentumstitel und deren Vergabe zu wachen und entsprechende Gewalt einzusetzen. Sein nationales Münzrecht ist in diese Gewaltausübung übergegangen, die sich aus den internationalen Verhältnissen der Kapitalmärkte bestimmt.

Der Nationalstaat stellt also inzwischen selbst den Zwang dar, einen entsprechenden nationalen Geldwert durch eine zukünftige Mehrwertbildung, also aus der Auspressung unbezahlter Arbeit in der Zukunft zu decken oder aus den zirkulierenden Geldmitteln (z.B. durch eine Bestimmung der Preisbildung) abzuziehen (z.B. durch Lohnabzüge über die Verteuerungen der Lebenshaltung). Dies erscheint dann als eine Wertschöpfung aus dem Nichts, aus dem bloßen Titel einer Buchung und eines hieraus bestimmten Eigentumstitels (Wertpapier). Das geschieht besonders auf den Märkten politisch hochwirksamer Vermögen (wie z.B. Immobilien und Rohstoffen). Man nennt das Giralgeldschöpfung. Die weltweit zirkulierenden Geldmengen des Finanzhandelskapitals standen im Jaher 2015 schon mit 700 Billionen Doller einem Warenhandelskapital von 70 Billionen Doller gegenüber. "Real" bleiben da nur noch Schulden, besonders Staatsverschuldungen und die politische Gewalt, durch die Geld über bloße Eigentumstitel einzutreiben ist.

5) Mit der "Rettung" seiner systemischen Banken hat sich der klassische Kapitalismus der bürgerlichen Gesellschaft schon selbst überwunden. Die Entwertung menschlicher Arbeitskraft durch die Automatisierung der Arbeit war seine inneren Schranke, die mit der Globalisierung des Kapitals zu einer Fiktion der Genzenlosigkeit des fiktiven Kapital verdoppelt wurde, welche die Realwirtschaft schon zum größten Teil präkarisiert hat. Die "freie und soziale Marktwirtschaft" erfährt seitdem ihren stringenten Niedergang, die "Freiheit" als bloße Gewalt allgemeiner Sachzwänge und Freihandelsabkommen, welche die sozialen Verhältnisse in eine Scheinwelt bloßer Kapitalversicherungen versetzt hat, sodass ihre Gesellschaft lediglich als "Abkömmling", als Derivat der Finanzwirtschaft funktionieren kann.

6) Zum Verständnis des Derivatenhandels vergleiche die Aktiendeals von George Soros der 90er Jahren bezogen auf London und Thailand und neuerdings auch mit Wetten auf den Niedergang der Bewertung der englischen Währung durch den Brexit. Mit 100 Millionen Dollar wettete er im Juni 2016 auf den Kursverfall des englischen Pfunds mit einer Leerverkaufsposition in Höhe von 0,51 des ausgegebenen Aktienkapitals der Deutschen Bank - und gewann die Wette.

7) Es hat sich durch das Weltsystem der Kreditwirtschaft die ganze Wertschöpfung dadurch verkehrt, dass jeder Kapitalvorschuss nur noch Fiktionen verkörpert und Wertrealisierung aus dem Nichts anstrebt, welche vor allem die Fiktion verdoppelt, dass durch eine Giralgeldschöpfung, durch die politische Gewalt von Kreditverträgen, Wertpapieren auf Eigentumstitel und Freihandels­ab­kommen und schließlich durch die Parteienpolitik und Wahlen ein Schuldgeldsystem durchgesetzt wurde, das seinen Mehrwert nicht mehr aus den Profiten vergangener Produktion bezieht, sondern aus der Geldzirkulation von Zahlungspflichtigkeiten, aus einem System von Kreditversicherungen im Derivatenhandel fiktive Geldwerte aus dem Devisenhandel, dem Handel mit der Wertunsicherheit schwacher Währungen "heraushebelt". Da verflüchtigt sich die Wirtschaftskraft, wo sie am nötigsten wäre, in die Töpfe der Spieler, die damit lediglich Geldwerte im Lauf halten und vermehren. Nicht mehr der produzierte Mehrwert stellt die Ausbeutung der real arbeitenden Menschen dar, sondern der zirkuläre Mehrwert einer Negativ­verwertung, einer Versicherung von fiktivem Kapital, das seine Verschuldung nur durch neue Schulden in Wert halten kann und die Schwachen schwächt un die Starken in ihrem Glauben an die Macht ihres Geldes bestärkt. Daher sind die Menschen doppelt bedrängt: In ihrer Existenz durch die allgemeine Flexibilisierung ihrer Arbeit für den Kapitalmarkt, und in ihrer politischen Position auf die Kümmernisse ihre Geldes als Kaufmittels ihres Lebensbedarfs reduziert. Sie sind schon durch ihre bloße Staatsbürgerschaft zu einer Mehrarbeit gezwungen - als Bürgen der Geldverwertung der fortschreitenden Entwertung ihrer Arbeit unterworfen und vor allem zur Erhaltung der nationalen und internationalen Geldwerte, der reinen Geldverwertung befohlen.

8) Mit der Agenta 2010 hat sich Deutschland aus der Sozialpflichtigkeit des modernen Kapitalismus, dem Versprechen einer "So­zial­part­ner­schaft" herauskatapultiert und die Interessen der weltweiten Finanzwirtschaft zum Maßstab der "nationalen Sicherheit" gemacht. Arbeitslosigkeit sei damit abgewendet worden. Aber vor allem wurden damit die Lohnkämpfe auf die Selbsterhaltung mit Niedriglohn allgemein beschränkt und die persönliche Sicherheit eines Kündigungsschutzes durch die so genannte "Flexibilisierung der Arbeit", durch die Beliebigkeiten von Einstellung und Kündigung der Arbeitskräfte je nach Lage der Prosperität ihrer Verwertbarkeit, durch das neoliberalte Prinzip "Hire and Fire" zersetzt. Aller Wohlstand verschwindet in immer neue Blasen der Geldwirtschaft, die regelmäßig auf den Finanz- und Immobilienmärkten platzen und ungeheurliche Summen in der Staatsverschuldung und Zinspolitik systemisch auflösen. Tatsächlich ist die "Rettung" des Systems durch die Bankenrettung und die Absonderung von verlorenem Geldwert in "Bad Banks" eine "alternativlose" Existenznotwendigkeit des ganzen "Systems", die einem existenziell notwendig gewordenen Schuldgeldsystem auferlegt ist. Aber gerade deshalb kann dies kein Grund sein, dieses System erhalten zu wollen.