Josef Zehentbauer (2017)

Entnommen aus "Neue Antidepressiva, atypische Neuroleptika" (www.peter-lehmann-publishing.com/neue.htm S. 185 ff.)

Ärztliche Begleitung beim Umgang mit Psychopharmaka und der Suche nach Alternativen

Nie zuvor standen den Menschen so viele Psychopharmaka – also Psychoarzneien auf Rezept – zur Verfügung wie heute: Mittel, die seelische Beschwerden beruhigen (zum Beispiel Tranquilizer vom Typ Diazepam, Oxazepam, Tavor), Mittel, die die Persönlichkeit dämpfen (zum Beispiel Neuroleptika vom Typ Abilify, Haldol, Zyprexa), Depressionen lindern (zum Beispiel Antidepressiva vom Typ Fluoxetin, Venlafaxin), heftige Stimmungsschwankungen zwischen Euphorie und Schwermut nivellieren sollen (zum Beispiel Lithium, Carbamazepin), Phytotherapeutika (pflanzliche Heilmittel, zum Beispiel Johanniskraut), Opiate (zum Beispiel Opiumtinktur oder synthetische Opiate) oder Cannabis-Präparate (auf Rezept).

Psychopharmaka sind keine Heilmittel, sondern bestenfalls Hilfsmittel bei seelischen Auffälligkeiten, psychischen Störungen und Krisen. Doch können Psychopharmaka auch – vor allem aus den Händen der meisten Psychiater – Anpassungsmittel sein: Anpassung an die herrschende Normalität. Wer diesem verordneten Sog in die graue Durchschnittlichkeit widersteht und Mut hat, psychische Besonderheit zu zeigen, der hat nicht Halluzinationen, sondern ungewöhnliche Wahrnehmungsfähigkeiten; der leidet nicht unter Paranoia, sondern lebt visionär sein eigenes Selbst; der versinkt nicht in tiefe Depressionen, sondern erlebt sich in tiefgründiger, beschaulicher Melancholie oder in existenzieller Grenzerfahrung… Und: Nicht jedes Leiden ist Krankheit.

Werden Psychopharmaka über lange Zeit genommen, können in der Mikrostruktur des Gehirns allmähliche Veränderungen entstehen. Ein besonders drastisches Beispiel hierfür sind Neuroleptika: Diese blockieren an den Hirnzellen die Rezeptoren (= Empfangsorte) für den Botenstoff Dopamin, der unter anderem zuständig ist für feinmotorische Bewegungen, Phantasie und gute Laune. Das Gehirn reagiert jedoch auf die neuroleptische Blockade der Rezeptoren, indem es mehr Dopamin-Moleküle produziert. Werden die Neuroleptika innerhalb von wenigen Tagen abgesetzt, so überfluten die zuviel erzeugten Dopamin-Moleküle die freigewordenen Rezeptoren, und es entsteht Chaos im Gehirn (mehr zu diesem Thema siehe im Beitrag von Volkmar Aderhold in diesem Buch).

Synthetische Psychopharmaka, insbesondere Neuroleptika, bergen viele gesundheitliche Risiken (siehe den Beitrag von Peter Lehmann in diesem Buch). Wer diese Risiken nicht auf sich nehmen will, dem stehen andere Wege offen: alternative Medikamente, psychotherapeutische Interventionen, Selbst-Akzeptanz und (gewaltfreies) Ausagieren der Stimmung, menschenwürdige und psychopharmakakritische Ambulanzen, Selbsthilfegruppen und Hilfe von Familie und Freunden. Und oft interveniert ein Hausarzt (kein Psychiater) mit Kenntnis des familiären Hintergrunds, mit Empathie und verträglichen Arzneien. Die meisten psychischen Krisen werden (ähnlich wie die meisten körperlichen Beschwerden) ohne fremde Hilfe – nämlich durch die Selbstheilungskräfte der Seele – überwunden.

Selbstverantwortung übernehmen statt blind vertrauen Wem Neuroleptika oder Antidepressiva rezeptiert werden oder wer bereits langzeitig oder womöglich hochdosiert diese Medikamente einnimmt, sollte sich umfassend über diese Medikation informieren (durch alternative Literatur, Internet, Selbsthilfegruppen) und dann selbst entscheiden, ob er diese weiter einnimmt, langsam reduziert (und den rezeptierenden Arzt um Begleitung bittet, sofern dieser Kenntnisse bezüglich Absetzen hat, oder alternative Medikamente anbietet). Dann wird die Behandlung von psychischen Leiden und akuten Konflikten nicht mehr primär in die Hände von Psychopharmaka-rezeptierenden Ärzten gelegt: Man erklärt die eigene Zuständigkeit für seine Persönlichkeit. Selbstverantwortung übernehmen heißt, sich kundig machen über die möglichen Vorteile und Risiken der rezeptierten Psychopharmaka, um den Dialog mit dem begleitenden Arzt auf möglichst gleicher Augenhöhe führen zu können.

Viele Psychiatriepatienten nehmen auf Anweisung der Psychiater regelmäßig Neuroleptika – trotz der enormen Nebenwirkungen – zur sogenannten Psychose-Prophylaxe –, doch dies ist kein sicherer Schutz, die Drehtür-Psychiatrie gibt es trotzdem. Und bezüglich Antidepressiva heißt es in der »Nationalen Versorgungsleitlinie Unipolare Depression« (herausgegeben unter anderem von der Bundesärztekammer):

»Bei leichten Depressionen ist ein Unterschied zwischen Placebo und Antidepressiva statistisch nicht nachweisbar [… Nur bei den schwersten Formen der Depression können] bis zu 30 % der behandelten Patienten über die Placebo-Rate hinaus von Antidepressiva profitieren. [... Überdies kann bei leichten und mittelgradigen Depressionen] ein erster Therapieversuch auch mit Johanniskraut unternommen werden.« (DGPPN et al., 2017, S. 27 / 29)

Wenn ein Patient bei einer Antidepressiva-Behandlung kaum Nebenwirkungen merkt (also Gewichtszunahme, innere Unruhe, Benommenheit etc.), jedoch positive Effekte spürt – also stabilere Stimmung, weniger Tiefs, weniger Ängste, mehr Freude und Antrieb, besseren Schlaf etc. –, dann kann ein Antidepressivum auch über Wochen und Monate genommen werden (bei entsprechender internistischer Kontrolle), bis irgendwann das Gefühl aufkommt, es könnte auch ohne Antidepressivum gehen. Ein Absetzen kann dann innerhalb weniger Wochen geschehen. Allerdings können dabei – bei herkömmlichen wie bei neuen Antidepressiva Entzugserscheinungen auftreten (siehe den Beitrag von Peter Lehmann in diesem Buch). Dadurch kann das Absetzen problematisch werden und dazu führen, die ursprüngliche Antidepressiva-Medikation wieder aufzunehmen. Eine kurzzeitige Ersatzmedikation mit Tranquilizern oder eine sehr langsame Reduktion über Monate können beim Absetzen hilfreich sein.

Ein grundsätzliches Umdenken ist hilfreich: Aufkommende Stimmungen sollten ausagiert werden, soweit sie nicht schädlich für sich und andere sind, und Toleranz sollte geübt werden für Mitmenschen, die sich ebenfalls ›ausagierend‹ zeigen. Der römische Psychiater Tommaso Losavio hat dies einmal sinngemäß so formuliert: »Die Ver-rückten sollten ein bisschen normaler werden und die Normalen ein bisschen ver-rückter.«

Alternative Medikamente

Unter den pflanzlichen Heilmitteln sind gut wirksame und verträgliche Beruhigungsmittel, zum Beispiel Baldrian, Passionsblume, Hopfen, Melisse und Codein. Als hochwirksame Antidepressiva sind neben dem bereits genannten Johanniskraut zu erwähnen: Opiumtinktur und Morphium, aber auch synthetische Opiate wie Tramal oder Valoron, und schließlich Cannabis, erhältlich auf Rezept als Arzneimittel unter dem Verkaufsnamen Dronabinol.

Als verträgliche Chemie gelten die angenehm wirkenden, hochwirksam beruhigenden Benzodiazepine, auch Anxiolytika (Angstlöser) genannt. Sie sind deshalb so gut verträglich, weil sie in ihrer Wirkung einigen beim Menschen natürlich vorkommenden Botenstoffen sehr ähnlich sind.

Ärztliche Begleitung beim Umgang mit Psychopharmaka Als Mittel bei starker innerer Unruhe, psychotischen Erregungszuständen oder Angst- und Panikattacken sind Anxiolytika nach wie vor die Nr. 1. Es gibt psychiatrische Akutstationen, wo kaum Neuroleptika, sondern ganz überwiegend Diazepam und Tavor eingesetzt werden – zum Wohle der Patienten, die eine solche Behandlung als angenehm empfinden. Und als Patient hat man das Recht, in psychiatrischen Notfallsituationen mit Anxiolytika behandelt zu werden, speziell wenn die Depression oder Psychose mit Ängsten einhergeht.

Abhängigkeit von Anxiolytika lässt sich vermeiden, wenn man bestimmte Regeln beachtet: Anxiolytika-Einnahme nur vorübergehend, Dosis nicht selbstständig erhöhen, über das Abhängigkeitspotenzial informiert sein, bei Besserung des psychischen Befindens das Anxiolytikum absetzen. Bei relativ hoher Dauer-Medikation mit Anxiolytika (was vermieden werden sollte) können folgende unerwünschte Wirkungen auftreten: Müdigkeit, Gleichgültigkeit, Persönlichkeitsabflachung, verminderte Sexuallust, gedrückte Stimmung, verminderte Angst vor Suizid (dann sofort absetzen), Verminderung von Konzentration und Reaktionsvermögen. Nochmals sei betont: Insgesamt bestehen bei Anxiolytika – trotz des Abhängigkeitsrisikos – deutlich weniger unerwünschte Wirkungen als bei Neuroleptika.

Eine geradezu paranoide Angst vor Sucht zeigen viele Ärzte bei der Rezeptierung von Anxiolytika, Opiaten und Cannabinoiden, die ausgezeichnete Beruhigungsmittel und Antidepressiva sind. Gemessen an dem viel-millionenfachen Gebrauch ist die Anzahl derer, die beispielsweise von Anxiolytika abhängig werden, sehr gering! Und: Man wird nicht automatisch abhängig; bei achtsamer Indikationsstellung und bei angemessener Aufklärung lässt sich Abhängigkeit vermeiden, auch bei Cannabinoiden und Opiaten.

Im »Kompendium der Psychiatrischen Pharmakotherapie« schreiben Ion- George Anghelescu und Otto Benkert in Bezug auf das Abhängigkeitsrisiko bei Benzodiazepinen, der wichtigsten Gruppe der Anxiolytika:

»Bei der überwiegenden Mehrzahl der Patienten kommt es zu keiner Dosissteigerung; es findet sich eher ein konstantes oder aber titrierendes [langsames, stufenweise steigendes angepasstes] Einnahmeverhalten innerhalb der therapeutischen Dosisbandbreite. In vielen Fällen sind somit die Kriterien einer Abhängigkeit nicht erfüllt.« (2017, S. 495 – Hervorhebung durch J.Z.)

Im höheren Lebensalter kann eine niedrige, regelmäßige Dosis mit Benzodiazepinen – zum Beispiel allabendlich Oxazepam (niedrig dosiert) als Schlafmittel – sinnvoll sein, sofern die Dosis gleich bleibt und andere Versuche der Schlafförderung nichts nützen. Ständige Schlaflosigkeit kann äußerst quälend sein, diese Qual ist niemandem zuzumuten.

Das Rezeptierverhalten ist vor allem im psychiatrischen Bereich zweifelhaft. Da werden gegen Angstattacken und Schlafstörungen nicht die gut verträglichen und zu 100% wirksamen Anxiolytika verschrieben, sondern risikoreiche Antidepressiva und Neuroleptika. Ärzte, die beispielsweise bei Angstattacken oder bei Schlafstörungen oder bei unruhigen Pflegeheim-Bewohnern Neuroleptika verordnen, handeln unverantwortlich! Immerhin hat sogar das Oberlandesgericht Hamm schon 1981 den Neuroleptika eine schädliches Wirkungspotenzial attestiert, als es in seinem Urteil 3 U 50/81 verkündete:

»Dem Gericht ist bekannt die – das ist fast mehr als ›Nebenwirkung‹ – persönlichkeitszerstörende Wirkung von Psychopharmaka, wenn diese nachhaltig und über einen längeren Zeitraum hinweg eingenommen werden.«

Bezüglich der Verordnung von Neuroleptika (Antipsychotika) bei alten Menschen lesen wir im »Kompendium der Psychiatrischen Pharmakotherapie«:

»Eine Untersuchung bei Pflegeheimbewohnern mit Demenzerkrankungen zeigte, dass in den meisten Fällen das Absetzen von Antipsychotika ohne negative Konsequenzen möglich war. (…) Darüber hinaus ergeben Hinweise, dass Antipsychotika nicht selten, v. a. bei Pflegeheimbewohnern, ohne strikte Indikationsstellung verabreicht werden.« (Müller & Benkert, 2017, S. 372f.)

Walter Zimmermann, ehemaliger Direktor des Krankenhauses für Naturheilweisen in München, informierte über seine Erfahrungen bei der Behandlung von schweren Depressionen mit Opiumtinktur, dass

»… die psychischen Verstimmungen, auch schwere Depressionen, vorzüglich beeinflussbar waren. Erfolgsquoten bis zu 70 % waren voraussehbar, auch bei endogenen Depressionen. Die Befürchtung, dass mit der Opiumtinktur eine Sucht auftreten könnte, hat sich nicht bestätigt. Bei klimakterischen [wechseljahrbedingten] Depressionen genügten bereits sehr geringe Mengen der Opiumtinktur. Auch die Depression bei alten Menschen in der Folge arteriosklerotischer [die bindegewebige Verhärtung der Schlagadern betreffende] Hirnveränderungen war damit gut beeinflussbar.« (1983)

Ein radikales Umdenken ist dringend angebracht! Jeder Mensch hat das Recht, psychische oder körperliche Leiden, insbesondere wenn sie mit Schmerzen einhergehen, mit Hilfe von angemessenen und gut verträglichen Arzneien zu lindern. Etwas pathetisch formuliert könnte man sagen: Für all die Mühsal des Ärztliche Begleitung beim Umgang mit Psychopharmaka 189 Lebens, gegen Schmerz, Verwirrtheit und Depression, lässt die Schöpfung für den Menschen die (seit Urzeiten bekannten) Heilpflanzen Mohn und Hanf wachsen. Und für deren Hauptwirkstoffe ist das menschliche Gehirn sogar mit spezifischen Rezeptoren ausgestattet (übrigens: offenbar auch mit Rezeptoren für Diazepam und Co.).

Wie der Schweizer Psychoanalytiker, Arzt und Ethnologe Paul Parin ausführte, herrscht hierzulande immer noch die christlich-puritanische Tradition vor, in der das Ertragen seelischer Schmerzen als gottgewollt und damit positiv bewertet wird. Daraus erklärt sich der irrationale Umgang vieler Ärzte mit Anxiolytika, Opiaten und Cannabinoiden, obwohl diese angstlösend, angenehm beruhigend, durchaus antipsychotisch (Schwarcz et al., 2009) und deutlich antidepressiv wirken. Bei der Rezeptierung von Cannabinoiden wie Dronabinol sollte man zurückhaltend sein bei Patienten mit früherer Psychose (wegen einer möglichen halluzinogenen Wirkung des in Cannabis enthaltenen Wirkstoffs THC) und natürlich grundsätzlich unter der vorgeschriebenen Maximaldosis bleiben.

Darüber hinaus gibt es viele – für jeden zugängliche – Techniken, um die körpereigenen, antidepressiv wirksamen Botenstoffe (wie Serotonin, Noradrenalin etc.) oder die körpereigenen Beruhigungsmittel (wie die bekannten Endorphine) oder das körpereigene Haschisch/Cannabis (die sogenannte Endocannabinoide) zu stimulieren. Aber dieses Forschungsfeld ist außerhalb der mächtigen Pharmaindustrie angesiedelt und wird kaum gefördert.

Einfache Möglichkeiten, körpereigene Botenstoffe spezifisch zu stimulieren und somit die eigene Psyche positiv zu beeinflussen, sind Entspannungsübungen, Yoga, Joggen, Aktives Imaginieren, Konzentrationsspiele, Meditation, Spielen mit Kindern, Sport, Hyperventilation, Hydrotherapie (zum Beispiel Kneipp-Therapie), Selbstmassage, Tanzen etc. (Zehentbauer, 2015).

Jeder Mensch hat ein Recht darauf, seine seelischen Leiden und Störungen, Ängste und Depressionen mit verträglichen und von ihm frei gewählten Arznei-Drogen zu lindern.

Homöopathie und Orthomolekulare Medizin

Zu erwähnen sind noch weitere therapeutische Wege jenseits von Antidepressiva und Neuroleptika. Leichte psychische Störungen können auch durch Homöopathie behandelt werden (Zehentbauer, 2010). Die Forschungsrichtung der klinischen Ökologie geht davon aus, dass psychische Beschwerden durch allergische Reaktionen entstehen und ernährungs- und umweltbedingt sein können. Der zweifache Nobelpreisträger Linus Pauling entwickelte das Konzept der Orthomolekularen Medizin. Ihr Therapieprinzip besteht in der Zufuhr von orthomolekularen Substanzen, das heißt Stoffen, die natürlicherweise im Menschen vorkommen (beispielsweise Vitamine und Spurenelemente wie Zink, Magnesium etc.). Durch die Behebung eines diagnostizierten Stoffmangels sollen psychische Beschwerden abgemildert oder behoben werden. Hierfür gibt es spezielle Institute, die eine entsprechend umfangreiche Diagnostik vornehmen und dann eine Nahrungsergänzung mit bestimmten Stoffen vorschlagen.

Zu erwähnen ist außerdem noch die intermittierende, das heißt an das Auftreten von Krisen gekoppelte Behandlung mit hochdosierten Neuro-Vitaminen (vor allem Vitamin B1, B2, B6, B12, Vitamin E) – all dies sollte jedoch mit einem Arzt (möglichst mit der Zusatzbezeichnung »Naturheilkunde«) abgesprochen werden, damit bei dieser hochdosierten, etwa zwei Wochen dauernden Vitaminbehandlung keine Schäden auftreten.

Nicht-medikamentöse Herangehensweisen – von Yoga über Biorhythmus bis Vegetarismus

Durchleben Menschen eine schwere psychische Krise, sind die Prinzipien der Selbstregulierung und Selbstheilung besonders wichtig. Wird eine Kugel, die in einer flachen Schale liegt, durch einen kleinen Stoß aus ihrer Ruhelage gebracht, so wird sie sich so lange hin- und herbewegen, bis sie erneut zur Ruhe gekommen ist, wobei das neue Gleichgewicht vom ursprünglichen Zustand abweichen kann. Vergleichbar funktioniert die Selbstregulierung bei Menschen. Förderlich ist in diesem Zusammenhang, wenn wir unseren Bio-Rhythmus wieder den rhythmischen Vorgängen in der Natur annähern: Tag und Nacht, Wechsel der Jahreszeiten, Zyklus des Mondes etc. Regelmäßiger und ausreichender Schlaf wirkt zweifellos psychisch stabilisierend. Hilfreich in diesem Zusammenhang sind auch Selbstentspannungs-Übungen (zum Beispiel autogenes Training), Meditation und Yoga. Es geht letztendlich darum, wieder die Einheit zwischen Seele und Körper spürbar werden zu lassen. Manche psychiatrische und vor allem psychosomatische Kliniken bieten während eines stationären Aufenthaltes solche Kurse an.

Im Verlauf einer psychischen Krise ist es wichtig, möglichst viele Aspekte einer psychischen Stabilisierung zu realisieren. Ein kleiner Baustein hierbei Ärztliche Begleitung beim Umgang mit Psychopharmaka kann die vegetarische Lebensweise sein, das heißt den Verbrauch von Fleisch, Wurst und Fisch abzulehnen (also keine Tiere zu essen). Fleisch ist für eine vollwertige Ernährung beim Menschen nicht erforderlich. Überdies verzehrt man mit einem Steak oder einem Lammbraten gleichzeitig eine breite Palette an Hormonen und Antibiotika. Bei der sogenannten lacto-vegetarischen Ernährung sind außer der pflanzlichen Kost auch tierische Produkte gestattet, beispielsweise Milch, Käse und Eier). Erwiesenermaßen produziert ein Tier, bevor es getötet wird, aus Angst vielerlei Stresshormone (zum Beispiel Adrenalin) in höchsten Konzentrationen. Wer Fleisch verzehrt, isst die Todesangst des Tieres mit. Stresshormone lassen sich später in den Organen und der Muskulatur des Tieres nachweisen. Sie können erhebliche neurovegetative Störungen bewirken. Der Arzt Paracelsus kannte schon vor rund 500 Jahren den Zusammenhang zwischen Ernährung und Psyche:

»Das viele Essen und besonders das Fleischessen unterdrücken die Vernunft, machen untüchtig zu scharfem Nachdenken und erzeugen träge Gemüter, die zu jeder Dummheit und Torheit fähig sind.«

Psychotherapie – Hilfe in schwierigen Zeiten

Während einer schweren psychischen Krise und danach kann psychotherapeutische Begleitung hilfreich sein. Dies muss nicht unbedingt wöchentlich eine Stunde sein, manchmal geben 30 Minuten alle zwei Wochen ausreichend Halt.

Wenn die eigene Psyche extrem aus dem Gleichgewicht gerät, können schwere psychische Störungen und vielerlei Krankheiten entstehen, die leidvoll sind und manchmal ausweglos erscheinen. Und dies geschieht häufig. Die meisten psychischen Konflikte und Krisen werden ohne fremde Hilfe, nämlich durch Selbstheilungskräfte der Seele überwunden, oftmals unterstützt von engagierten Freunden oder der eigenen Familie (Lehmann & Stastny, 2007). Manchmal jedoch bedarf es professioneller Hilfe, speziell einer psychotherapeutischen Intervention. Die psychosomatische Medizin und die damit verbundene Psychotherapie sind ein elementarer Teil der medizinischen Behandlung und der Gesundheitsvorsorge und versuchen – im Gegensatz zur Psychiatrie –, möglichst ohne Psychopharmaka auszukommen.

Wer ist psychisch gesund und wer ist psychisch krank? Es gibt keine klare Grenze zwischen dem sogenannten Normalverhalten und der psychischen Krankheit, zwischen Normal-Sein und Ver-rückt-Sein – außer jener Grenze, die man willkürlich zieht.

Wer irreale Visionen hat, wer die Stimme Gottes hört und sich auserwählt – mit magischen Fähigkeiten – spürt, der bewegt sich auf einer metaphysischen Ebene, gemeinsam mit Jesus Christus, Jeanne d'Arc, Hölderlin oder van Gogh. Übrigens: All die Genannten würden gegenwärtig auf einer geschlossenen psychiatrischen Station landen. Sowohl Jesus Christus wie auch Jeanne d'Arc würden mit Neuroleptika behandelt werden. Man kann auch sagen: Seitdem Neuroleptika eingesetzt werden, gibt es keine Heiligen mehr!

Vereinfacht lässt sich konstatieren: Wer sich psychisch wohlfühlt und sich und anderen nicht schadet, darf sich als psychisch gesund bezeichnen (wobei die sogenannte Paranoia und die sogenannte Manie Grenzsituationen sind). Wer psychisch – aus unterschiedlichen Ursachen – leidet oder an seelisch bedingten körperlichen Krankheiten leidet, wiederholt oder über lange Zeit, dem kann psychische Krankheit bescheinigt werden. Jedoch: Nicht jede psychische Auffälligkeit muss als Krankheit gesehen werden, psychisch auffällig werden kann jeder, zum unangepassten Außenseiter wird man schnell.

Aber es bleibt klar: Wer psychisch leidet und Hilfe sucht, soll umfassende, differenzierte menschenachtende, ja – liebevolle – Hilfe erhalten – zum Beispiel in Form von Psychotherapie.

Die psychosomatische Medizin und die Psychotherapie sind eine positive Art des Umgangs des Menschen mit den Mit-Menschen! Diese besondere Art der wertschätzenden Begegnung und Achtsamkeit wird dann zum Vorbild für unseren Alltag und für das soziale Umfeld, in dem wir leben.

Unter Psychotherapie versteht man die Behandlung von psychischen und psychosomatischen Erkrankungen durch gezielte seelische Einflussnahme, unter anderem mit Hilfe psychologischer Methoden: Empathie, heilsame Atmosphäre kreieren, Selbst-Erfahrung, Entspannungs- und Atemtechniken, Gestalttherapie, Kreativtherapie, Traumdeutung, Verhaltenstherapie, Bearbeitung von Traumata, Entdeckung der eigenen Lebensphilosophie/Religion, Verstärkung vorhandener Fähigkeiten etc.

Psychische Krisen sind ein Ausbrechen aus der herrschenden Normalität und oft auch Ausdruck unerträglicher Lebenssituationen: in der Familie, am Arbeitsplatz, in der Schule. Wenn die Psychotherapie (und mehr noch die Psychopharmakologie) einen Menschen in einer psychischen Krise lediglich »repariert«, damit er wieder in der herrschenden Normalität als Angestellter, Hausfrau, Alleinerziehende, Schüler etc. funktionieren kann, dann bleiben die ursprünglich krankmachenden Strukturen (zum Beispiel am Arbeitsplatz) unverändert. Gerade die Psychotherapie bietet die große Chance, über den individuellen Ansatz hinaus zu einer positiven Änderung der sozialen Umgebung beizutragen und dem Patienten zu helfen, sich aus schädlichen Zusammenhängen zu befreien.

Schwierig ist der Umgang mit Betroffenen, die relativ hochdosierte Neuroleptika und Tranquilizer als Dauermedikation haben und zum Absetzen nicht bereit sind, obwohl medikamentös induzierte Störungen bereits offen erkennbar sind (bei Neuroleptika zum Beispiel Dyskinesien [Störung des physiologischen Bewegungsablaufs], Akathisie [als quälend empfundene, neurologisch bedingte Ruhelosigkeit], Depressionen; bei hochdosierter Dauereinnahme von Tranquilizern [was nicht zu empfehlen ist] Schläfrigkeit, Gleichgültigkeit, Persönlichkeitsabflachung etc.). Manchmal ist auch ein falsches Vertrauen in neue, angeblich verträglichere Medikamente ein Hindernis zum Absetzen. Wenn der begleitende Arzt nicht aktiv wird, was für ihn das Einfachste wäre, sollte in solchen Situation das soziale Umfeld des Patienten aktiv werden (also Familie, Freunde, Mitglieder von Selbsthilfegruppen, die ja Persönlichkeitsveränderungen beim betroffenen Patienten erkennen können).

Die Teilnahme an Selbsthilfegruppen kann einen wertvollen Erfahrungsaustausch und das Gefühl schaffen, mit der Absetzproblematik nicht alleine zu sein. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass sich die Betroffenen von ihrer lebenslang anerzogenen Arztgläubigkeit befreien und bereit sind, sich mit der Wirkungsweise und den Auswirkungen von Psychopharmaka auseinanderzusetzen und Selbstverantwortung zu übernehmen.

Es ist nötig, den Lebenspartner, Freunde und gegebenenfalls Familienangehörige in das Vorhaben »Absetzen der Psychopharmaka« einzuweihen, auch wenn bei der Familie oft Widerstand und Ängste hochkommen, dass durch die Reduktion von Psychopharmaka die gefürchtete Psychose wieder ausbrechen könnte. Wenn die soziale Umgebung in das Vorhaben eingeweiht ist, kann diese auch wahrnehmen, wenn während der Absetz-Phase Auffälligkeiten entstehen, beispielsweise Schlaflosigkeit, deutliche Gemütsveränderungen, Paranoia, extreme soziale Isolation – dann sollte der mitbetreuende Arzt hinzugezogen werden.

Familie, Freunde, Selbsthilfe

Selbsthilfegruppen können hilfreich sein bei der Bewältigung psychischer Krisen. Natürlich gibt es auch viel Kritik an Selbsthilfegruppen: Manche Mitglieder gebärden sich wie kleine Psychiater und zeigen eine eher konservative 194 Josef Zehentbauer Haltung. Doch allein der Umstand, dass es sie gibt, ist positiv zu sehen und wirkt stimulierend auf andere Psychiatrie-Betroffene, weitere Selbsthilfegruppen zu gründen.

Die EX-IN-Organisationen schulen ehemalige Psychiatriepatienten für die Beteiligung an der Behandlung anderer Patienten. EX-IN steht für »Experienced Involvement« (= Beteiligung Erfahrener) und bietet eine Ausbildung auf der Basis eigenen Erfahrungswissens. So wird die Verarbeitung negativ erlebter »Irrenhaus«-Erfahrungen zu einem Teil ihrer Qualifizierung. Diese geschulten und für ihre Arbeit – wenn auch spärlich – honorierten Ex-Patienten helfen dann auch Patienten, beispielsweise im Dialog mit Ärzten. Es gibt EX-IN-Mitarbeiter, die im Dialog mit der Schulpsychiatrie selbstbewusst auftreten und die Neuroleptika-Monokultur empfindlich stören. Durch diese hoch-engagierten »Psycho-Experten aus Erfahrung« entsteht ein Korrektiv zu den Schul-Psychiatern. EX-IN-Mitarbeiter müssten noch deutlich mehr Befugnisse erhalten, um mit der herrschenden Psychiatrie auf Augenhöhe kooperieren zu können. Und sie sollten keinesfalls zu Handlangern der Schulpsychiatrie werden.

Vorsorgemaßnahmen treffen

Die begreifliche Angst vor Wiedereinweisung in eine psychiatrische Klinik lässt sich vermindern, wenn man sich vorsorglich für Notfälle eine wenigstens halbwegs akzeptable Klinik sucht, die außerhalb des rigiden Rahmens der Schulpsychiatrie arbeitet. Manche (aber keineswegs alle) psychosomatischen Kliniken sind überwiegend psychotherapeutisch orientiert und gegenüber Psychopharmaka eher zurückhaltend eingestellt. Adressen psychosomatischer Kliniken erhält man von der Krankenkasse, dem Hausarzt oder im Internet. Meist ist es sinnlos, einen Psychiater zu befragen, denn dieser reagiert üblicherweise dogmatisch-simpel: ›Psychotiker‹, ›Schwerst-Depressive‹, ›Schizophrene‹ und ›Bipolare‹ sollen in psychiatrische Kliniken, die ›leichten neurotischen Fälle‹ dürfen in die psychosomatischen Kliniken. Jedoch gibt es durchaus psychosomatische Kliniken, die auch Patienten mit psychotischer Vorerfahrung stationär aufnehmen oder eine tagesklinische Betreuung anbieten (tags Einzel- und Gruppentherapie, Yoga, Entspannung und Sport, Übernachtung zu Hause).

Psychosomatische Kliniken sind meist Privatkliniken, überwiegend in schöner landschaftlicher Umgebung; die gesetzlichen Krankenkassen oder die Rentenversicherung übernehmen meist die Kosten eines stationären Aufenthaltes. Ist jemand in einer akuten Krise, wird es schwer sein, eine stationäre Aufnahme in einer psychosomatischen Klinik zu finden. Hilfreich in diesem Zusammenhang können Soteria-Stationen sein, von denen es allerdings extrem wenige gibt und die sich entgegen der ursprünglichen Konzeption dann auch noch auf dem Gelände der klassischen Schulpsychiatrie befinden, jedoch bezüglich Psychopharmaka-Einsatz etwas zurückhaltender sind und mehr Psychotherapie und psychosoziale Unterstützung anbieten. Ein Aufenthalt in einer solchen Einrichtung kann helfen, die Psychodynamik und die biografischen Wurzeln von Krisen näher zu beleuchten, die Psychopharmaka-Medikation auf ein verträgliches Maß zu bringen und wieder Anschluss und Halt zu gewinnen im ursprünglichen sozialen Umfeld, sofern man in dieses zurückkehren will. Viele dieser Einrichtungen bieten auch psychotherapeutische Wohngemeinschaften an, die unterschiedlich intensiv betreut werden. Einen Überblick über solche Einrichtungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz findet man im Internet (IAS, 2015; BPE, 2016).

Resümee

Manche Psychopharmaka (zum Beispiel Anxiolytika, einige pflanzliche Heilmittel) lindern auf angenehme Weise psychisches Leiden, andere Psychopharmaka (zum Beispiel Neuroleptika) sind jedoch vor allem dazu da, auffällige psychische Stimmungen wie Wahrnehmungsveränderungen, irreale Visionen und Ideen oder Manie wieder zu normalisieren, notfalls mit Gewalt. Als vorbildlich normal gilt, wer nicht auffällt, pflegeleicht funktioniert und seine Krisen lautlos überwindet. Wenn auffällige psychische Stimmungen ausagiert werden und den engen Rahmen der Normalität verlassen, können sie zu wichtigen individuellen Erkenntnissen führen und können auf kreative Weise den gesellschaftlichen Alltagstrott stören und zum Nachdenken zwingen. Dies verlangt Mut vom betroffenen Patienten und dem begleitenden Arzt und verlangt nach alternativen Wegen außerhalb der Schulmedizin.

Quellen

Anghelescu, Ion-George / Benkert, Otto (2017): »Anxiolytika«, in: Otto Benkert / Hanns Hippius (Hg.): »Kompendium der Psychiatrischen Pharmakotherapie«, 11. Aufl., Berlin / Heidelberg: Springer Verlag, S. 479-528

BPE – Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener e.V. (2016): »Wohin in der Krise«, Internet-Ressource http://www.bpe-online.de/verband/akzeptabel/krise_stat.htm (Zugriff am 1.7.2017)

DGPPN – Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde / BÄK – Bundesärztekammer / KBV – Kassenärztliche Bundesvereinigung et al. (Hg.) (2017): »S3-Leitlinie/Nationale VersorgungsLeitlinie Unipolare Depression – Kurzfassung«, 2. Aufl., Internet-Ressource http://www.leitlinien.de/mdb/downloads/nvl/ depression/depression-2aufl-vers1-kurz.pdf (Zugriff am 23.6.2017)

IAS – Internationale Arbeitsgemeinschaft Soteria (2015): »Soteria-Netzwerk«, Internet-Ressource http://www.soteria-netzwerk.de (Zugriff am 1.7.2017)

Lehmann, Peter / Stastny, Peter (2007): »Was hilft mir, wenn ich verrückt werde?«, in: Peter Lehmann & Peter Stastny (Hg.): »Statt Psychiatrie 2«,Berlin / Eugene / Shrewsbury: Antipsychiatrieverlag, S. 42-75 (E-Book 2014)

Müller, Matthias J. / Benkert, Otto (2017): »Antipsychotika«, in: Otto Benkert / Hanns Hippius (Hg.): »Kompendium der Psychiatrischen Pharmakotherapie«, 11. Aufl., Berlin / Heidelberg: Springer Verlag, S. 269-478

Schwarcz, Glenn / Karajgi, Basawaraj / McCarthy, Richard (2009): »Synthetic delta-9-tetrahydrocannabinol (dronabinol) can improve the symptoms of schizophrenia«, in: Journal of Clinical Psychopharmacology, Band 29, S. 255-258

Zehentbauer, Josef (2010): »Chemie für die Seele«, 11. Aufl., Berlin / Eugene / Shrewsbury: Antipsychiatrieverlag

Zehentbauer, Josef (2015): »Körpereigene Drogen«, 8. Aufl., Ostfildern: Patmos Verlag

Zimmermann, Walter (1983): Beitrag in: »Consilium Cedip Naturheilweisen«, München: CEDIP Medizinisch-technische Verlags- und Handelsgesellschaft