| Teil 1 | Teil 2 | Teil 3 | Teil 4 | Tei5 |

2. Der identitätspsychologische Gesichtspunkt Freuds

Mit der Einführung des Narzißmus' verändert sich sowohl die Begründung der Psyche, wie auch das Verständnis ihres inneren Zusammenhangs. Der seelische Apparat gründet nicht mehr auf der Wahrnehmung eines Befriedigungserlebnisses, das triebmäßig besetzt wird und hierdurch unbestimmt wirksam sein soll, sondern auf einem uranfänglichen Interesse, das die bestimmte Entwicklung begründen soll und daher als psychisches bereits vor aller Erfahrung gegeben ist. Aus ihm erst soll sich der Unterschied zur Außenwelt ergeben, der im wahrnehmungspsychologischen Ansatz vorausgesetzt war.

Das Menschenbild der Identitätsphilosophie entspricht ungefähr dieser Auffassung, so daß ich diese als den identitätspsychologischen Gesichtspunkt Freuds bezeichnet habe. Ihre Auffassung besteht nämlich darin, daß es eine urtümliche und eigentliche Wahrheit oder Identität des Menschen in sich selbst gibt, aus der heraus er sich erst dadurch entzweit, daß er die Welt der Gegenstände erzeugt und anerkennt, in dem Bestreben - seiner Einheit folgend - diese Entzweiung zu verwirklichen und aufzuheben, das heißt im Interesse der Einheit zwei zu sein. Dies ist zwar praktisch eine Aufhebung des dualistischen Denkens von Freud, das ja gerade darauf gründet, daß sich aus der Zweiheit, die allem vorausgesetzt gilt, Einheiten finden, die wiederum mit ihren Antagonisten konfrontiert werden, zugleich aber kann Freud dem dadurch entgehen, daß er seinen dualistischen Ansatz nicht aufgegeben hatte, sondern neben diesen Überlegungen weiter behält. Was aber auch in seiner Betrachtungsweise auffällt, ist, daß er jetzt von dem Problem zwischen Subjekt- und Objektsein des Menschen ausgeht, daß ihm also diese Fragestellung als ein Erzeugungsprozeß zwischen Subjektivem zum Objektiven hin beschäftigt. Es geht ihm jetzt nicht mehr um die Reduktion der psychischen Entwicklung auf ihre vorausgehenden Wahrnehmungen, die die Erlebnisweise und die Zweckhaftigkeit der Psyche trennen mußten, sondern ausdrücklich nurmehr um die Entfaltung der entzweiten Identität, die er mit dem Narzißmus formuliert sehen will. Er folgert hierbei "für die Unterscheidung der psychischen Energien, daß sie zunächst im Zustande des Narzißmus beisammen ... sind und daß es erst mit der Objektbesetzung möglich wird, eine Sexualenergie, die Libido, von einer Energie der Ich-Triebe zu unterscheiden." (ebd., S. 44)

Er geht also nicht mehr von einem Kontakt mit der Außenwelt aus, ihm geht es auch nicht mehr um das Schicksal eines ursprünglich auto-erotischen Organismus', mit den hieraus erwachsenen Erlebnisweisen, sondern es geht ihm um die Formulierung eines urtümlichen Interesses in der Psyche, das den Kontakt zur Außenwelt selbst erst begründet, bevor er erfahren wurde.

Diese Identität des psychischen Interesses, die Jung seiner Zeit als eine Art Uridentität des Menschen in der Libido selbst ansieht, hat aber Freud nicht philosophisch interessiert. Aus diesem Grund wendet er sich gegen Jung, der die "Libido mit psychischem Interesse überhaupt zusammenfallen läßt" (ebd., S. 47). Freud setzt sich gegen diese philosophische Grundannahme aber nur praktisch ab: "Möglicherweise hat diese Uridentität mit unseren analytischen Interessen so wenig zu tun, wie die Urverwandtschaft aller Menschenrassen mit dem Nachweis der von der Erbschaftsbehörde geforderten Verwandtschaft mit dem Erblasser." (ebd., S. 46). Ihm geht es vielmehr um die Darstellung einer psychologischen Entwicklung, die von einer "psychischen Ursituation" ausgehend durch psychische Mechanismen zu einem geschlossenen System des psychischen Apparats gelangt, das nicht mehr in der widersprüchlichen Begründung durch die Außenwelt besteht, sondern in sich selbst zu einer doppelten Tätigkeit kommt, bevor es überhaupt andere Gegenstände wahrnimmt. Hierdurch hat sich das Dilemma des wahrnehmungspsychologischen Ansatzes vollständig gelöst.

Um die identitätspsychologische Seite Freuds zu diskutieren, will ich zunächst ihre Grundgedanken in der ihr immanenten Logik darstellen. Der Narzißmus ist für Freud "die Vorstellung einer ursprünglichen Libidobesetzung des Ichs, von der später an die Objekte abgegeben wird, die aber, im Grund genommen, verbleibt und sich zu den Objektbesetzungen verhält, wie der Körper eines Protoplasmatierchens zu den von ihm ausgeschickten Pseudopodien" (Freud 1914, S. 43). Der Vergleich mit einem Protoplasmatierchen und seinen Bewegungen verdeutlicht die Grundvorstellung eines expandierenden, nicht eines bedürftigen Apparats, der aus seiner Grundbewegung heraus an die Außenwelt stößt, die er erreichen oder vor der er auch zürückschrecken kann. Das Streben ist ganz aus dem Organismus selbst heraus gerichtet - es bedarf keiner "Not das Lebens", die den Apparat zwingt, sich aus seiner Ruhe herauszuheben und als "Anstoß zur weiteren Ausbildung" (Freud 1900, S. 538)zu gelten. Diesen Grundzustand des Ichs sieht Freud als Bestimmung des Menschen, sowohl ontogenetisch wie auch anthropogenetisch. Sie gilt ihm als ursprüngliche Situation des Lebens überhaupt, das er im Ich abstrakt unterstellt. "Ursprünglich enthält das Ich alles, später scheidet es eine Außenwelt von sich ab. Unser heutiges Ichgefühl ist also nur ein eingeschrumpfter Rest eines weit umfassenderen ja - eines allumfassenden Gefühls, welches einer innigeren Verbundenheit des Ichs mit der Außenwelt entsprach." (Freud 1930, S. 68). Hierdurch kann er vor jeder Erfahrung ein umfassendes Interesse ünterstellen, das erst im Gang seiner Entwicklung sich in den Schicksalen, die es durchmacht, unterscheidet. Ursprünglich soll dieses Interesse, das er im Narzißmus formuliert, ein allumfassendes Interesse sein, das sich von den einzelnen Interessen, die er im Trieb unterscheidet, noch nicht unterschieden hat. Mit dem Narzißmus soll die "psychische Ursituation der Seele" (Freud 1915a, S.97) formuliert sein, die gleichgültig gegenüber aller Außenwelt besteht als ein Zustand absoluter Selbstbezogenheit, denn "die Charakteristik des Narzißmus ist: sich selbst zu lieben". (ebd., S. 96) Das Ich ist allein der Zustand, in welchem die Triebe sich ursprünglich besetzt haben, in welchem also überhaupt Triebe psychisch erscheinen. "Das Ich findet sich ursprünglich, zu allem Anfang des Seelenlebens, triebbesetzt und zum Teil fähig, seine Triebe an sich selbst zu befriedigen" (ebd., S. 97). Das psychische Interesse besteht so zugleich jenseits aller Außenwelt. "Die Außenwelt ist derzeit nicht mit Interesse besetzt und daher für die Befriedigung gleichgültig" (ebd.).

Freud hat mit dem Narzißmus den Menschen im Grunde erst als Subjekt eingeführt, wenngleich in der psychologischen Fassung eines triebhaften Apparats. Dieser ist in sich autoerotisch und erlebt als Subjekt selbst die Lust als innere Qualität, der gegenüber die Außenwelt gleichgültig ist. Im Narzißmus "fällt das Ich-Subjekt mit dem lustvollen, die Außenwelt mit dem gleichgültigen zusammen." (ebd., S. 98). Bei der Fassung einer derartigen Autonomie

muß daher die Frage beantwortet werden, "woher dann überhaupt die Nötigung für das Seelenleben rührt, über die Grenzen des Narzißmus hinauszugehen und die Libido auf Objekte zu setzen" (Freud 1914, S. 52). Freud findet sie darin, daß der Narzißmus in seiner Eigenliebe zugleich eine Lustquelle ist, die sich von der Lust an Objekten nicht unterscheiden läßt. Er setzt die Liebe dem Lustprinzip gleich, und sagt, daß "das Lieben als die Relation des Ichs zu seinen Lustquellen" (Freud 1915a, S. 98) zu definieren sei. Obwohl das Ich der Außenwelt nicht bedarf, bekommt es "aber Objekte aus ihr infolge der Erlebnisse der Icherhaltungstriebe" (ebd., S. 98), denn es kann sich auf Objekte in Form der Eigenliebe so beziehen, daß es die als Lustquelle findet und von sich nicht unterscheiden kann. Es introjiziert die Gegenstände, welche seiner Eigenliebe entsprechen. Hierdurch vollzieht sich das Lustprinzip vom Standpunkt des Narzißmus ausgehend. "Unter der Herrschaft des Lustprinzips vollzieht sich nun (im Ich) eine weitere Entwicklung. Es nimmt die dargebotenen Objekte, insofern sie Lustquellen sind, in sein Ich auf, introjiziert sich dieselben und stößt andererseits von sich aus, was ihm im eigenen Innern Unlustanlaß wird". (ebd., S. 98). Die Außenwelt besteht hierdurch einmal darin, Lustquellen zu haben, die der Narzißt introjiziert, zum andern Objekt der Unlustempfindung zu sein, die im eigenen Innern bestanden hatte und in die Außenwelt projiziert wird. Durch diese beiden Begriffe, die Introjektion und die Projektion, hat Freud ein Subjekt-Objekt-Verhältnis zugrundegelegt, das dem Lustprinzip gehorcht. Die Objekte werden nach dem Lustprinzip gewählt und introjiziert; die Subjekte geben ihre Unlust ab, d.h. sie projizieren sie. Introjektion und Projektion sind die Grundgedanken, die die Beziehung des Freudschen Menschen auf seine Außenwelt ausmacht. Freud identifiziert diese beiden Empfindungsweisen mit der Beziehung von Liebe und Haß. In der Liebe verleibt sich das Subjekt seine Objekte ein, im Haß stößt es diese von sich ab. Durch diese unterschiedlichen Empfindungsweisen hat Freud zwei entgegensätzliche Interessen entwickelt, die sich darin nach dem Lustprinzip bestimmen. In dem Bezug des Hasses sieht er das Subjekt sich abgrenzen und seinem Selbsterhaltungsinteresse gehorchen, im Bezug der Liebe sieht er es mit seinem Objekt vereinigt. Er nimmt daher zwei Grundtriebe als Formulierungen dieser Interessen an: Den Ich-Trieb, der die abgrenzende und hassende Beziehung will und den Sexual-Trieb, dessen Beziehung die Liebe und Vereinigung ausmacht.

Durch diese Trennung des Narzißmus’ in zweierlei Empfindungsqualitäten, die mit zwei unterschiedlichen Trieben identisch sein sollen, gelten dem Subjekt alle Gegenstände doppelt: Sie sind Lustquelle oder Liebesobjekt und zugleich Gegenstand des Hasses oder der Selbsterhaltung. "Die Außenwelt zerfällt in einen Lustanteil, den (das Ich) sich einverleibt hat, und einen Rest, der ihm fremd ist. Aus dem eigenen Ich hatte es einen Bestandteil ausgesondert, den es in die Außenwelt wirft und als feindlich empfindet" (Freud 1915a, S. 98). Die Empfindungsqualitäten des Narzißmus’ gelten somit als objektive Qualitäten oder als Qualitäten des Objekts; es ist eine Lustquelle und es ist ein Feind der Selbsterhaltung. In dieser objektiven Bestimmung erscheint die Außenwelt als bedrohlich; sie ist in dieser Form Gegenstand des Hasses, der sie ursprünglich subjektiv, durch den Prozeß der Projektion dazu gemacht hatte. So ist "der ursprüngliche Sinn des Hassens (jetzt) die Relation gegen die fremde, reizzuführende Außenwelt" (ebd., S. 98).

Gegen diese Objektivität muß sich das Subjekt eine "Zwischenschicht verschaffen, die die Innenwelt vor der Außenwelt schützt, zugleich aber die Außenwelt auf ihre Qualitäten als Lustquelle hin abtastet. Freud sieht jetzt das Subjekt wie ein "lebendes Bläschen" (Freud 1920, S. 236f.), das in der Begegnung mit der Außenwelt eine Rindenschicht errichten muß, die sein inneres Leben vor der Feindseligkeit der Welt schützt, aber zugleich ihre Fühler und Sinnesorgane hat, mit der sie "Stichproben der Außenwelt" (ebd., S. 238) machen kann. Diese Schicht nennt Freud jetzt wieder das Bewußtsein, das ungefähr dem zweiten System entspricht, das aber seine Schutzfunktionen nicht aus sich selbst heraus begründet. Es resultiert aus dem doppelten Interesse des Narzißmus', der sich auf die Welt liebend und hassend bezieht, und aus der Eigenschaft der Welt, die dem Narzißten als Lustquelle oder Feind begegnet. Im Bewußtsein ist sowohl das Ich als auch die Außenwelt vertreten, wodurch sich seine doppelte Funktion begründet. Das Ich ist somit unbewußt (als Narzißmus) und bewußt (als Schutz) zugleich, und muß sich im Interesse des Lustprinzips sowohl auf die Außenwelt beziehen, wie sich zugleich gegen sie schützen. Das Problem, das hierbei auftaucht, liegt darin, daß das, was das Bewußtsein zu seiner Schutzfunktion bestimmt, etwas sein soll, was den Interessen des Narzißmus ursprünglich nach Maßgabe des Lustprinzips entsprungen war. Da Freud aber das Bewußtsein als vermittelnde Instanz benötigt, und in der Außenwelt zugleich aber nur die allgemeine Welt der Narzißten, also eine Allgemeinheit ihrer Bestimmung hat, muß er hier dem Lustprinzip gegenüber einen Antagonisten setzen, der in der Lage ist, eine Welt zu erzeugen, vor der sich das Ich schützen muß. Er unterstellt daher allem Geschehen des Lebens einen Todestrieb, der in der Lage ist, das Lustprinzip zu überwinden und sich gegen alle Lebenstriebe zu stellen. Das unbewußte Leben ist jetzt nicht mehr aus der Dualität von Ich-Trieben und Sexualtrieben allein begründet, sondern aus dem Dualismus von Lebenstrieben (das umfaßt die beiden ursprünglichen narzißtischen Triebe) und Todestrieb.

Da die durch den Narzißmus gegründete Außenwelt in ihren objektiven Bestimmungen mit den subjektiven identisch galt, zugleich aber im Bewußtsein eine in doppelter Weise vermittelnde Funktion hatte, mußten die inneren Bestimmungen selbst gedoppelt werden, um die Notwendigkeit des Schutzes zu begründen. Es muß aber zugleich angenommen werden, daß die Äußerungen des Todestriebs allgemeiner und grundlegender sind, als die der Lebenstriebe; es wäre ja sonst die Identität der inneren und äußeren Bestimmungen erhalten und das Schicksal des einzelnen Individuums, sich vor einer allgemeinen Welt schützen zu müssen, nicht notwendig, wenn diese dieselbe Entwicklung wie das Einzelwesen hätte. Freud spricht daher von einer phylogenetischen Erbschaft, die sich im Todestrieb mitteilt und die das allgemeinste Wesen der Triebäußerungen ausmacht. Was aber nun notwendig wird, um diese allgemeine Tendenz des Trieblebens überhaupt zu beherrschen, ist eine Welt, die nichts mehr mit dem Triebleben zu tun hat, und die zugleich die inneren Tendenzen der Menschen zu überwinden in der Lage ist. Diese Auffassung macht die Freudsche Kulturtheorie aus, in der er alle Kulturleistungen gerade dadurch begründet, daß sie das Triebleben aufheben, also auf der Triebverdrängung selbst gründen. Der identitätspychologische Ansatz endet nun darin, daß der Mensch allgemein sich etwas errichten muß, was seinem Wesen widerspricht. Es ist etwas notwendig, mit dem er nicht identisch sein darf, um seine eigene Identität zu überwinden. Seine Triebe machen ihn "virtuell zu einem Feind der Kultur" (Freud 1927, S. 139f.), wobei aber gerade die Kultur nur als ein "allgemein menschliches Interesse besteht, welches in der Lage ist, "uns gegen die Natur zu verteidigen." (ebd., S. 148). Aus dem identitätspsychologischen Ansatz kam daher heraus, daß der Mensch sich gegen seine eigene Identität oder sein Wesen verteidigen muß und hierzu eine ihm in der Kultur äußerliche Existenz braucht, zu der er sich virtuell wie zu einem Feind verhält, aber gerade dort, wo er nicht mit sich identisch sein kann, sich gegen sein eigenes Wesen nur zu schützen vermag.

Dieser etwas kompliziert anmutende Gedankengang des identitätspsychologischen Ansatzes unterscheidet sich von dem wahrnehmungspsychologischen zunächst wesentlich darin, daß er keine Entwicklung zum einst Erfahrenen hin enthält, sondern ein Konstrukt beinhaltet, das die Erfahrung erst erklären soll. Das Verhältnis zur Außenwelt entsteht erst "infolge der Erlebnisse der Icherhaltungstriebe" (Freud 1915a, S. 98). Der Mensch ist nicht mehr primär aus einer natürlichen Not in seinem Bedürfnis unterstellt, sondern primär in der Empfindung nach Maßgabe der Triebe, die ihm zugrundeliegen. Somit ist der Widerspruch vom Zweck seines Handelns und der Erlebnisweise dadurch gelöst, daß beides als Erscheinung von Triebbestimmungen gilt. Seine Entwicklung entsteht nicht aus einer Not des Lebens, sondern aus einer Beziehung, welche zunächst in ihm selber ist als narzißtische Beziehung, die sich von den äußeren Beziehungen nicht unterscheidet und sich schließlich nach außen genauso wendet wie zu sich selbst.

Der Organismus und die Psyche unterscheiden sich nicht mehr und haben keine unterschiedlichen Zwecke. Die Psyche ist deshalb nicht mehr von Haus aus passiv und nur durch die Not angetrieben, sondern in sich selbst primär aktiv und von hier aus auf Gegenstände übergehend. Sie ist also nicht abhängig von einem äußeren Dualismus zwischen unmittelbarer Naturbeschaffenheit und Realität, sondern ist in sich selbst dual begründet. Das Ich geht in Form des Narzißmus aller Erfahrung voraus, und ist somit als triebbestimmte Instanz nicht aus der Erfahrung mit der Realität abgeleitet, wo es nur eine negative Instanz sein könnte, das allein hemmende und verdrängende Funktion hätte. Aus dieser Auffassung ergibt sich daher der Gedanke des Schutzes, was die Ich-Funktion ausmacht, und das ist eher ein inneres Interesse, als ein äußeres. Dadurch, daß es nicht mehr als reines Mittel (wie der sekundäre Prozeß oder das zweite System im wahrnehmungspsychologischen Ansatz) gesetzt ist, sondern mit eigenen Zwecken bedacht ist, kann es auch nicht aus den "bitteren Lebenserfahrungen" an seinem Körper entstehen, bedarf es keines Anstoßes zu seiner Ausbildung und keiner fremden Hilfeleistung, sondern ist selbst psychisches Interesse, das in sich selbst genauso bestimmt ist, wie es sich auf die Außenwelt bezieht (im Unterschied zum Wunsch,der gerade die Negation des Bezugs zur Außenwelt enthält) und erst im Schicksal seiner Beziehung seine Entwicklung durchmacht. Die einst natürlich vorausgesetzte Trennung von den inneren Tendenzen des Apparats, die sich auf der Not durch die Bedürfnisse begründet, und der Außenwelt, die sich auf den Apparat nur reizend bezieht, ist jetzt als Unterschied von aktiven Beziehungen der Psyche in der Form von Empfindungen, der Liebe und des Hasses, gegeben. Der Narzißt muß sich nicht hemmen gegen seine Naturkräfte, er verkörpert gerade seine Natur im Antagonismus seiner Empfindungen und ist hierdurch aktiv unterstellt. In seinem Verhältnis zu Objekten entwickelt er aus seinem Selbstbezug heraus Empfindungsqualitäten, wodurch er in den Empfindungen selbst den Unterschied zwischen sich und anderen entwickelt. "Nach der Ablösung der rein narzißtischen Stufe durch die Objektstufe bedeuten Lust und Unlust Relationen des Ichs zum Objekt" (Freud 1915a, S. 99).

Ich will nun die in diesem Ansatz aufgetretenen Begriffe (Narzißmus, Liebe und Haß oder Introjektion und Projektion, das Ich als Bewußtsein, der Lebenstrieb und der Todestrieb, das Verhältnis des einzelnen zur Kultur) in ihrem inneren Zusammenhang und ihrer Bedeutung analysieren und schließlich ihren logischen Zusammenhang aus sich heraus rekonstruieren, um daran zu zeigen, daß sich aus diesem Ansatz heraus das Lustprinzip, das wesentlichste Konstrukt der Psychoanalyse aufheben muß in einen Grundantagonismus zwischen Lebenstrieb und Todestrieb, der Freuds Denken auf eine grundsätzlich negative Haltung zum Triebleben überhaupt zwingt. Es soll dabei herausgearbeitet werden, wie sich das Freudsche Entwicklungsinteresse selbst umkehrt und von der Auffassung der positiven Natürlichkeit des Menschen sich zu einer hiergegen gestellten positiven Kulturtheorie entwickelt.

a) Die Beziehung im Narzißmus: Liebe und Haß

Freud hatte den Narzißmus aus scheinbar subjektiven Erwägungen heraus eingeführt, um damit erklären zu können, warum es psychische Interessen gibt, die über alle Erfahrung hinausgehen. Im Größenwahn des Paraphrenikers ist ihm ein solches Interesse in seiner klinischen Praxis begegnet, und er mußte in der ihm eigenen praktischen Sichtweise sich eingestehen, daß dieser Größenwahn sich nicht einfach aus der Halluzination von Befriedigungsereignissen ableiten läßt, auch nicht von verdrängten Vorstellungen, da er, nach seiner Auffassung, auf einer vollständigen Rückwendung der Libido auf das eigene Ich nur erklärlich ist und daher die Empfindungsqualitäten dieses Ichs, die dem Lustprinzip gehorchen sollen, in einem Umfang verkörpert, der nicht erfahrbar gewesen sein kann. Er konnte demnach das Ich nicht mehr in seiner hemmenden und verdrängenden Funktion, wie er sie im zweiten System vermutet hatte, ansehen, denn es wurde im Größenwahn offensichtlich, daß das Ich nicht allein zur Verarbeitung von Realität, also nicht allein im Zwecke der Bedürfnisbefriedigung bestimmt sein konnte. Das Ich bekam selbst Empfindungsqualitäten und mußte daher - dem Freudschen Gedanken des Lustprinzips zufolge - mit einer eigenen und daher bestimmten Triebhaftigkeit ausgestattet werden.

Der Gedanke, daß sich im Ich Empfindungsqualitäten des Lustprinzips selbst formulieren, ist grundlegend für die Annahme des Narzißmus. "Das Ich findet sich ursprünglich, zu allem Anfang des Seelenlebens, triebbesetzt und zum Teil fähig, seine Triebe an sich selbst zu befriedigen." (Freud, ebd., S. 97) Sein eigener Zweck ist somit vorausgesetzt als Beziehung zu sich selbst, die eine positive Empfindung ausmacht. Alles Fremde ist ihm unangenehm. Die Form der angenehmen Beziehung ist die Liebe, und es ist "die Charakteristik des Narzißmus: sich selbst lieben." (ebd., S. 96) Hierdurch besteht zunächst und ursprünglich die Lustempfindung nur im Ich selbst, so daß alle Außenwelt nur in unlustvoller Weise erfahren werden kann. Es kommt so zu einer "Deckung der beiden Polaritäten Ich - Subjekt mit Lust, Außenwelt mit Unlust" (ebd., S. 98). Bezogen auf die Außenwelt bestehen für den Narzißten also nur negative Empfindungen und die Liebe gilt nur auf sich selbst bezogen. "Der Haß ist als Relation zum Objekt älter als die Liebe, er entspringt der uranfänglichen Ablehnung der reizspendenden Außenwelt von Seiten des narzißtischen Ichs". (ebd., S. 101) Die Entwicklung geht davon aus, daß alles Objektive gehaßt wird und erst in der Einverleibung als anerkannte Lustquelle seine positiven Qualitäten erwirbt. "Das Äußere, das Objekt, das Gehaßte waren zu allem Anfang identisch. Erweist sich späterhin das Objekt als Lustquelle, so wird es geliebt, aber auch dem Ich einverleibt." (ebd., S. 99) Obwohl nun dieses Ich keiner Außenwelt bedarf, bekommt es also Objekte aus ihr infolge der Erlebnisse der Icherhaltungstriebe und kann doch nicht umhin, innere Triebreize als unlustvoll für eine Zeit zu verspüren. Unter der Herrschaft des Lustprinzips vollzieht sich nun in ihm eine weitere Entwicklung. Es nimmt die dargebotenen Objekte, insofern sie Lustquellen sind, in sein Ich auf, introjiziert sich dieselben ... und stÖßt andererseits von sich aus, was ihm im eigenen Innern Unlustanlaß wird. (ebd., S. 98).

Ganz aus dem Interesse des Lustprinzips entwickelt sich den subjektiven Empfindungsqualitäten zufolge ein Bezug zur Außenwelt. Hierzu muß aber das Ich selbst "innere Triebreize als unlustvoll für eine Zeit verspüren", so daß es erstens das Interesse an einer Introjektion und zugleich ein Interesse an der Projektion (das meint das Ausstoßen der inneren Unlust) hat. Der Narzißt kann sich also nur aus sich selbst heraus, aus seinen subjektiven Erlebnisunterschieden, auf etwas anderes beziehen, das diesen Unterschieden zu entsprechen vermag. Insofern gereicht ihm die Außenwelt zum reinen Mittel, welches den Empfindungsqualitäten, die in ihm sind, entsprechen soll, also für sich selbst leer und indifferent bestimmt sein muß. Es kommt nur darauf an, wie sich das Ich fühlt, um das zu erkennen, als was die Außenwelt gilt: einmal gilt sie als Gegenstand der eigenen Lust und wird introjiziert, ein andermal gilt sie als Gegenstand der eigenen Unlust und dient zu deren Projektion. Die Erlebnisweisen des Ichs von sich selber werden also zum Kriterium, als was die Außenwelt gilt. Die Quelle der Empfindungen ist das Ich, das sich "unter der Herrschaft des Lustprinzips" seine Beziehung findet.

Nun schreibt Freud eine Seite später im guten Glauben, daß er diesen Sachverhalt nur wiederholt, davon, daß das Objekt Quelle von Lust-oder Unlustempfindungen wird, daß also objektive Anlässe zu Lustempfindungen oder Unlustempfindungen bestehen sollen: "Wenn das Objekt die Quelle von Lustempfindungen wird, so stellt sich eine motorische Tendenz heraus, welche dasselbe dem Ich annähern, ins Ich einverleiben will; wir sprechen dann auch von der 'Anziehung', die das lustspendende Objekt ausübt und sagen, daß wir das Objekt 'lieben'. Umgekehrt, wenn das Objekt Quelle von Unlustempfindungen ist, bestrebt sich eine Tendenz, die Distanz zwischen ihm und dem Ich zu vergrößern, den ursprünglichen Fluchtversuch vor der reizausschickenden Außenwelt an ihm zu wiederholen. Wir empfinden die 'Abstoßung' des Objekts und hassen es." (ebd., S. 99). Diese Unklarheit Freuds darüber, was nun die Quelle der Beziehung von Subjekt und Objekt ist, ob sie also aus dem Ich heraus kommt oder aus dem Objekt herauskommt, ist ein immanentes Problem des Begriffs des Narzißmus selbst, und daher keine zufällige Unklarheit. Sofern die Entwicklung allein aus den Empfindungsqualitäten vermutet wird, ist darin das Subjekt genauso enthalten wie das Objekt, und das, was in der Empfindung als Phänomen des Subjektiven oder als Phänomen des Narzißmus gilt, kann gleichermaßen als Phänomen des Objektiven angesehen werden.

Der Narzißt war ursprünglich mit der Außenwelt identisch und hatte sich im Gang seiner Entwicklung davon unterschieden, indem er in sich Empfindungen hatte, und diese in die Außenwelt projizierte. Zugleich aber gilt er auch von aller Außenwelt getrennt, weil er außer sich das Ganze seiner Unlustgefühle hat. Sowohl er wie auch seine Außenwelt ist somit überhaupt doppelt bestimmt. Der Bezug zwischen beiden, der in Liebe und Haß besteht, ist demnach einmal an dem Narzißmus begründet und hieraus abgeleitet: Der Narzißt stößt seine Unlustempfindungen ab und zieht seine Lustquellen an; zum andern ist der Narzißmus der Außenwelt abgeleitet: Sie ist Lustquelle und zugleich Bedrohung der Selbsterhaltung. Das Ich des Narzißten ist somit von aller Welt bedroht und zugleich mit ihr identisch. Dieser doppelte Bezug macht den Gegensatz von Haß und Liebe, der aus dem Narzißmus abgeleitet worden war, zugleich zum ursprünglichen Gegensatz im Narzißmus selbst, der sich in der Wirklichkeit überhaupt nur realisiert. Der Dualismus von Haß und Liebe ist somit abgeleitet und ursprünglich zugleich. Die hierdurch entstandene Unterscheidungsunfähigkeit von Ursprung und Resultat löst Freud durch die Unterscheidung des Narzißmus' in zwei Triebe, welche ihm innewohnen: Der Ich-Trieb und der Sexualtrieb. Ersterer begründet das Selbsterhaltungsinteresse, letzterer den Bezug zur Welt. Beide sind triebhafte Grundlagen aller Beziehungen.

"Das Wort lieben rückt also immer näher in die Sphäre der reinen Lustbeziehung des Ich zum Objekt und fixiert sich schließlich an die Sexualobjekte im engeren Sinne und an solche Objekte, welche die Bedürfnisse sublimierter Sexualtriebe befriedigen." (ebd., S. 100) "Im Gebrauche des Wortes hassen (kann man aber) keine so innige Beziehung zur Sexuallust und Sexualfunktion" (ebd.) finden und "man kann behaupten, daß die richtigen Vorbilder für die Haßrelation nicht aus dem Sexualleben, sondern aus dem Ringen des Ichs um seine Erhaltung und Behauptung stammen." (ebd.) Die Beziehungen des Subjekts zu seinen Gegenständen "sind (also) nicht aus der Spaltung eines urgemeinsamen hervorgegangen, sondern haben verschiedene Ursprünge und haben ein jedes seine eigene Entwicklung durchgemacht, bevor sie sich unter dem Einfluß der Lust-Unlust-Relationen zu Gegensätzen formiert haben." (ebd.)

Der Gedankengang, den der Narzißmus impliziert, hat sich somit umgekehrt: Liebe und Haß sollten Phänome des narzißtischen Bezugs sein, haben sich schließlich aber als Phänomene zweier Triebe dargestellt, die Freud mit dem Sexualtrieb (Liebe) und dem Selbsterhaltungstrieb (Ich-Trieb) identifiziert. Dies widerspricht aber gänzlich dem narzißtischen Interesse: Es sollte ja die Einheit von Trieben oder Bedürfnissen mit den Empfindungsqualitäten formulieren, und aus den Empfindungsqualitäten heraus den Kontakt zur Welt begründen. Dies konnte nicht gelingen, weil die subjektiven Interessen mit den objektiven Gegenständen identisch sein müssen, zugleich aber einen Unterschied der Subjektivität und Objektivität in der Quelle der Beziehung notwendig ist, um den Narzißmus begründen zu können und durch weitere Entwicklung als überwindbar ansehen zu können. Wäre Inneres und Äußeres gar nicht unterschieden, so wäre überhaupt keine Aussage mit dem Narzißmus getan. Das Modell wäre so das einer Empfindungswelt, in welcher keine Unterschiede von psychischer oder subjektiver und realer oder objektiver Verhältnisse gegeben wären. Man müßte demnach seine Unlust in der Außenwelt als das hassen, was man aus der Außenwelt für sich gemacht hatte. Was man liebt, müßte man hassen, da die Außenwelt sowohl Produkt der Innenwelt wie auch Gegenstand der narzißtischen Beziehung ist. Das narzißtische Subjekt könnte nicht über sich hinausgehen, denn es bezieht sich sowohl in der Liebe auf etwas, als auch im Haß; letztendlich wäre es identisch mit dem Lustprinzip, welches alles, was ihm angenehm ist, liebt und das, was ihm unangenehm ist, haßt. Der Narzißt könnte somit nicht über sich hinweg,außer im Narzißmus selbst, denn wenn er nicht in der Liebe bestünde, so bestünde er im Haß. Freud mußte deshalb unterschiedliche Triebe im Subjekt selbst annehmen, die eine gegensätzliche Beziehung zur Außenwelt begründen. Nur hierdurch kann das Lustprinzip als entwickelnde Kraft, die sich mit dem Narzißmus identisch erwiesen hatte, zu unterschiedlicher Arbeitsweise kommen. Die Unterschiede nämlich sind jetzt triebmäßig gegeben, insofern die Selbsterhaltungstriebe die Beziehungen zum Ich ausmachen und daher die negativen Beziehungen zur Außenwelt begründen, die Sexualtriebe die Beziehungen zur Außenwelt ausmachen und daher die negativen Beziehungen zur Selbstbehauptung (Freud spricht hierbei von einem Selbstverlust) ausmachen. Damit aber ist der Grundgedanke des Narzißmus’ aufgehoben, denn nicht er begründet seine Beziehungen in der Liebe und im Haß, sondern diese Empfindungen sind Phänomene zweier Triebe, die darin die Erscheinung ihres qualitativen Interesses haben. Der Gedanke des Narzißmus war ja, daß es nur ein Interesse gibt, welches den Zweck der Beziehung als Empfindungsqualität selbst verkörpert, nun handelt es sich um zwei Zwecke, die sich in unterschiedlichen Empfindungen ausdrücken. Das Phänomen, die Empfindungen, das durch den Narzißmus begründet sein sollte, ist zum Phänomen von Trieben geworden, die sich von den Grundbedürfnissen des Organismus' in nichts unterscheiden. Die Entwicklung dieser Triebe macht es daher aus, wie sich die Beziehungen gestalten, und das narzißtische Interesse selbst ist zum Ziel ihrer Bewegung geworden, obwohl es ihnen vorausgesetzt sein sollte. "Die Entwicklung des Ichs besteht in einer Entfernung vom primären Narzißmus und erzeugt ein intensives Streben, diesen wiederzugewinnen" (ebd., S. 66).

Es gibt also wieder eine natürliche Begründung für das' psychische Interesse; es besteht aber nicht mehr in einer Beziehung zur Außenwelt, welche durch bestimmte Erlebnisse einverleibt wird, sondern aus einer Strebung selbst, die dualistische Bedürfnisse enthält, welche sich in Bezug zur Außenwelt nur ihren eigenen Determinanten folgend - entwickeln. Diese Auffassung macht die ganze Phasenlehre Freuds aus, in welcher sich die verschiedenen Strebungen darstellen. Sie sind verteilt auf die orale Phase, "das Sicheinverleiben" (ebd., S. 101), die anale Phase, "das Streben nach dem Objekt in der Form des Bemächtigungsdranges" (ebd.), das "vom Haß kaum zu unterscheiden" (ebd.) ist und schließlich die phallische Phase, worin durch die "Herstellung der Genitalorganisation ... die Liebe zum Gegensatz vom Haß geworden" (ebd.) ist. Das Seelenleben besteht somit identisch mit den Polaritäten, welche natürlicherweise vorausgesetzt sind. Die Bedürfnisse des Organismus' und die Empfindungsqualitäten sind dadurch identisch, daß der Entwicklung des Organismus' im Verhältnis zu seiner Welt unterschiedliche Erlebnisweisen zukommen sollen. Sie sollen sich in dem Maß entwickeln, wie das narzißtische Interesse in die Sexualtrieborganisation übergeht, zugleich aber soll sich dieser Übergang daraus begründen, daß sich die Sexualtriebe von den Ich-Trieben von vornherein unterscheiden. Es entsteht hierdurch eine doppelte Auffassung des Ichs bezüglich der Triebdetermination: Zum einen ist es Resultat eines Entwicklungsprozesses der Triebe, was Freud das Gesamtich nennt, zugleich aber ist es auch ein Teil der Triebe, was Freud im Ich-Trieb formuliert. Als Ich-Trieb ist es dem Prozeß vorausgesetzt, als Gesamtich ist es ihm zufolge. Die Beziehungen, die es zu den Objekten hat, läßt sich daher nicht einfach mehr in den Empfindungen ausdrücken, sondern es hat zugleich alle Beziehungen zur Welt zu verkörpern, wie es zugleich auch einen Teil der Beziehungen (als Haßregung) begründet enthält. Freud erkennt dies selbst, wenn er feststellt, daß die Bezeichnungen "Liebe und Haß nicht für die Relationen der Triebe zu ihren Objekten verwendbar (seien), sondern für die Relationen des Gesamtichs zu den Objekten reserviert" (ebd., S. 99) sein soll.

Das Ich ist also in einer doppelten Bestimmung gegeben. Im Ich-Trieb besteht es als Beziehung auf sich selbst und als Teil allen Trieblebens. Als "Gesamtich" besteht es als Mittel zwischen allen Trieben und der Außenwelt. Diese Bestimmung des Ichs, einmal als Trieb selbst Teil des Gesamten zu sein, zugleich aber das Gesamte der Beziehungen zu verkörpern und hierin als Mittel zu gelten, läßt wieder das Problem entstehen, ob es nun als Zweck im Apparat begründend ist, oder als Mittel des Apparats anzusehen ist, der seine Begründung in sich hat. Dieses Problem diskutiert Freud in der Fassung des Ichs als Bewußtsein oder "Rindenschicht" des psychischen Apparats.

b) Das Bewußtsein und das Unbewußte

In Freuds erstem Gesichtspunkt konnte man das Unbewußte unbefangen mit dem primären Prozeß gleichsetzen. Die Stellung, die es nämlich in der Psyche einnahm, war identisch mit der Stellung, die es zur Realität selbst hatte. Es war ja passiv von der Wirklichkeit und aktiv gegen sie unterstellt worden, und nur hierdurch hatte sich das Dilemma im Unterschied von Erlebnisweisen und Zwecken der Psyche ergeben. Aus ihm heraus wurde gerade eine neue Diskussion des Unbewußten notwendig, und so entstand eine Theorie über das, was hinter dem Bewußtsein geschieht, eine Metapsychologie (8).

Nun ist das Unbewußte zwar nicht mehr aus einem Verhältnis zur Außenwelt hervorgegangen und kann deshalb nicht mehr als einfacher Antagonist zum Bewußtsein gelten, denn das Bewußtsein ist jetzt selbst zum einen Erscheinung des Unbewußten, insofern sich der Ich-Trieb darin formuliert, zum andern ist es die schützende Funktion des Unbewußten vor der Außenwelt, was seine Bestimmung ausmacht. Ich will nun zuerst die Begründung dieser Funktion aus dem Unbewußten nachvollziehen, welches allein die Triebe repräsentiert, um schließlich den bewußten Charakter des psychischen Apparats darzustellen und das Verhältnis vom Unbewußten zum Bewußten in Beziehung auf das Problem der beiden Triebe (Sexualtrieb und Ich-Trieb) diskutieren.

Freud führt jetzt das Unbewußte durch die Verdrängung von Trieben ein, die immer dann auftritt, wenn es "das Schicksal einer Triebregung wird, daß sie auf Widerstände stößt, welche sie unwirksam machen wollen" (Freud 1915b, S. 107). Die Bedingung der Verdrängung aber ist, "daß das Unlustmotiv eine stärkere Macht gewinnt als die Befriedigungslust" (ebd., S. 108) der Triebe, und "ihr Wesen (besteht) nur in der Abweisung und Fernhaltung von Bewußtem" (ebd.). Hiermit hat Freud wieder den Unterschied vom Unbewußten und Bewußten eingeführt, wobei er das "Unlustmotiv", das "eine stärkere Macht gewinnt als die Befriedigungslust, herauszuarbeiten bestrebt ist. Zunächst stellt er fest: Wir haben Grund eine Urverdrängung anzunehmen, eine erste Phase der Verdrängung, die darin besteht, daß der psychischen (Vorstellungs-) repräsentanz des Triebes die Übernahme ins Bewußte versagt wird." (ebd., S. 109) und daß dieser Urverdrängung das fortwährende Nachdrängen des Verdrängten die eigentliche Verdrängung ausmacht, die das einzelne Schicksal bestimmt. Wir dürfen uns vorstellen, daß das Verdrängte einen kontinuierlichen Druck in der Richtung zum Bewußtsein hin ausübt, dem durch unausgesetzten Gegendruck das Gleichgewicht gehalten werden muß" (ebd., S. 112).

Durch die Verdrängung also hat Freud einen urtümlichen Unterschied von Bewußtem und Unbewußtem eingeführt, wobei dieser zugleich aber nur dann möglich ist, wenn es im Unbewußten selbst ein Unlustmotiv gibt, das eine "stärkere Macht gewinnt als die Befriedigungslust". Freud meint hier, "daß wir die Vertiefung in das Wesen der Verdrängung aufschieben müssen bis wir mehr von dem Aufbau des psychischen Instanzenzugs und der Differenzierung von unbewußt und bewußt erfahren haben" (ebd., S. 108).

Im identitätspsychologischen Ansatz ist für Freud das Unbewußte der ursprüngliche und allgemeine Ort, aus welchem sich das Verhältnis der Menschen begründet. "Den Inhalt des Unbewußten kann man mit einer psychischen Urbevölkerung vergleichen" (Freud 1915c, S. 154). Im Unterschied zum wahrnehmungspsychologischen Ansatz gilt es als eine Art ontologische Verbindlichkeit, in welcher die Menschen das ihnen zugrundeliegende und in ihnen sich bewegende Triebleben übernehmen. "Wenn es beim Menschen ererbte psychische Bildungen, etwas dem Instinkt analoges gibt, so macht dies den Kern des Unbewußten aus." (ebd., S. 154) Dieser Kern ist ambivalent, denn er besteht (wie in a erwähnt), aus einem beständigen Konflikt von Liebesregungen und Haßimpulsen, welche die narzißtische Libido ausmachen. Die Konflikte, die sich im Unbewußten abspielen müßten, "auf dem normalen Wege durch das Vorbewußte zum Bewußtsein (sich) fortsetzen" (Freud 1917, S. 210). Nun kann aber dieser Konflikt deshalb nicht ins Bewußtsein vordringen, weil er ja gerade die Existenz des Unbewußten als das narzißtische Geschehen selbst ausmacht, so daß Freud schreiben muß: "Die konstitutive Ambivalenz gehört an und für sich dem Verdrängten an ... so bleibt alles an diesen Ambivalenzkämpfen dem Bewußtsein entzogen." (ebd., S. 210) Dieser Kampf ist im Grund ein Konflikt um das unbewußte Leben selbst, der wie ein "seelischer Schmerz" (ebd., S. 212) bestehen muß. Dieser Schmerz ist wie ein Unlustmotiv, und es muß das Motiv ausmachen, das "eine stärkere Macht gewinnt als die Befriedigungsunlust" und macht daher die treibende Kraft der Verdrängung des Unbewußten aus. (Im Falle der Melancholie kann Freud selbst zeigen, daß sich dort dieser Konflikt im Bewußtsein selbst zeigt und daß die darin bewußt erfahrene Selbstquälerei "unzweifelhaft genußreiche Selbstquälerei (ebd., S. 205) ist und "die Befriedigung von sadistischen und Haßtendenzen" (ebd.) vollzieht, nachdem die Tendenzen der Liebe "in die narzißtische Identifizierung geflüchtet" (ebd.) waren). Der seelische Konflikt kann also nur durch eine Lösung geschehen, welche "eine außerordentlich hohe Gegenbesetzung in Anspruch nimmt" (ebd., S. 211). Von hier ist Freud genötigt, zur "Einsicht in die ökonomische Natur zunächst des körperlichen und dann des ihm analogen seelischen Schmerzes" (ebd., S. 212) zu kommen.

In dieser Zeit interessieren ihn vor allem die schmerzhaften Phänomene, wie sie in der Melancholie und in den traumatischen Neurosen zum Ausdruck kommen in einer Art Wiederholungszwang, welcher sich nur in dem Verständnis des Schmerzes, erklären läßt, der diesen Krankheiten vorausgeht. Sein theoretisches Interesse hierbei ist, den Zustand herauszuarbeiten, durch welchen das narzißtische Interesse des Unbewußten so überwunden werden muß, daß sich ein Bewußtsein hieraus ableiten läßt. Der identitätspsychologische Ansatz wäre nämlich sonst mit einer Mythologie im Sinne Jungs identisch geblieben.

Nun ist die Frage, welches allgemeine Unlustmotiv eine Urverdrängung ausmacht, darin beantwortet, daß es sich um den seelischen Schmerz handelt, der sich aus der unbewußten Ambivalenz ergibt. Noch ganz im Denken des Lustprinzips befangen, müßte man die auch in diesem Sinne gestellte Frage dahin beantworten, daß die Tätigkeiten des Narzißmus, die Liebes- und Haßregungen, welche beide dem Lustprinzip gehorchen, das erstere im Sinne der Lustgewinnung, das letztere im Sinne der Abhaltung von Unlust arbeitet, zu einem Ergebnis gelangen, welches ein solches Unlustmotiv ausmacht, daß dieses stärker wäre, als die Lusttendenzen des Unbewußten, und daher diese zu verdrängen vermag. Dies aber wäre ein Schluß, der sich allen Annahmen des Konstanzprinzips widersetzen muß: Ein ökonomisch sinnvoller Konflikt, der sich im Unbewußten zwischen Liebe und Haß abspielt, soll eine Ökonomisch übermächtige Größe hervorrufen, welche sich in der Form eines Schmerzereignisses negativ gegen diesen Konflikt geltend macht und ihn verdrängt. Dies ist nach der bisherigen Ansicht Freuds aber nicht denkbar; er diskutiert es am Wiederholungszwang in der traumatischen Neurose, wo gerade die Situation gegeben ist, wo ein Trauma dadurch verdrängend wirkt, daß es Handlungen einleitet, welche den Zustand der Situation vor dem Trauma herzustellen bestrebt ist. Seine Gedanken nötigen ihn dabei, dieses unbewußt begründete Verhalten nicht mehr als Tätigkeit des Lustprinzips anerkennen zu können. Nach dem Lustprinzip kann kein ihm folgendes Verhalten der Psyche zu einer Größe werden, die es zu verdrängen vermag. Freud relativiert daher seine Auffassung des Lustprinzips zunächst, indem er sagen muß, dies sei eigentlich unrichtig, von einer Herrschaft des Lustprinzips über den Ablauf der seelischen Prozesse zu reden. Wenn eine solche bestünde, müßte die übergroße Mehrheit unserer Seelenvorgänge von Lust begleitet sein oder zur Lust führen, während doch die allgemeinste Erfahrung dieser Folgerung energisch widerspricht. Es kann also nur so sein, daß eine starke Tendenz zum Lustprinzip in der Seele besteht, der sich aber gewisse andere Kräfte oder Verhältnisse widersetzen, so daß der Endausgang nicht immer der Lusttendenz entsprechen kann." (Freud 1920, S. 219). Das bisher für die Psychoanalyse lebenswichtige Konstanzprinzip, das als Naturtatsache das psychische Bestreben begründen sollte, erkennt Freud in einem lapidaren Nebensatz als Zirkelschluß an: "Das Lustprinzip leitet sich aus dem Konstanzprinzip ab; in Wirklichkeit wurde das Konstanzprinzip aus den Tatsachen erschlossen, die uns die Annahme des Lustprinzips aufnötigten." (ebd.) Das Lustprinzip, das sich als der tragende Entwicklungsgedanke in der Psychoanalyse erwiesen hatte, leitete sich aus dem ab, was aus ihm selbst erschlossen worden ist. Die Tatsachen, die dem Lustprinzip entsprachen, sollten das Prinzip erschließen, dem sie folgten. Was dem Lustprinzip entspricht, sollte das Lustprinzip begründen.

Nach der Aufdeckung dieses Zirkelschlusses und die hiermit verbundene Relativierung des Lustprinzips konnte Freud die Behauptung, daß das Unbewußte dem Lustprinzip gehorcht, nicht mehr aufrecht erhalten und er mußte, will er seinen Ansatz fortführen, eine psychische Tendenz annehmen, welche "jenseits des Lustprinzips" besteht. Es ist zugleich hiermit aber auch klar, daß es sich um kein Prinzip handeln kann, welches im Dienste des Lustprinzips selber wäre, wie etwa das Realitätsprinzip. "Es ist indes unzweifelhaft, daß die Ablösung des Lustprinzips durch das Realitätsprinzip nur für einen geringen und nicht für den intensivsten Teil der Unlusterfahrungen verantwortlich gemacht werden kann." (ebd., S. 220). Es muß eine Tendenz sein, welche stärker ist, als die dem Lustprinzip gehorchenden Prozesse des Narzißmus’. Sie muß also ihm selbst vorausgehen, um ihn als unbewußte Grundlage der selbstsüchtigen und dem Lustprinzip gehorchenden Prozesse verdrängen zu können. Die Schranke der Selbstsucht, welche zum Genuß führt, kann daher nur eine Tendenz sein, die "das Lustprinzip außer Kraft setzt" (Freud 1920, S. 239). Freud nennt diese Tendenz den Todestrieb.

Er führt diese Wende seiner ganzen Theorie dadurch der Anschauung näher, daß er am Beispiel des "lebenden Bläschens" dessen Entwicklung verdeutlicht und wiederholt in dieser Darstellung das ganze Problem bis zur Einführung des Todestriebs, welcher ihm im Gang seiner theoretischen Entwicklung aufgezwungen wurde (vgl. Freud 1920, S. 237ff). Er stellt darin eine traumatische Situation dar, in welcher "eine großartige Gegenbesetzung hergestellt" (ebd., S. 240) werden muß, bei der "alle andern psychischen Systeme verarmen" (ebd.). Die Auflösung dieser Gegenbesetzung, welche die unbewältigten Reize in Schach halten soll, kann nur durch eine sukzessive Wiederholung der Reizsituation, welche das Trauma ausmacht geschehen. Dies sieht Freud als Grund des Wiederholungszwangs in der traumatischen Neurose, welche dem Lustprinzip nicht widerspricht. Doch gleichzeitig zeigt Freud diese Tendenz zum Regreß in die traumatische Situation, daß der seelische Apparat eine Funktion hat, die den Entfaltungsinteressen,. welche dem Lustprinzip des narzißtischen Apparats entsprechen, zwar nicht widersprechen, "doch unabhängig von ihm ist und ursprünglicher erscheint als die Absicht des Lustgewinns und der Unlustvermeidung" (ebd., S. 242).

Was hier nun theoretisch geschehen ist, war die Gleichsetzung des narzißtischen Interesses mit dem Lustprinzip (das machte ja die ursprünglich narzißtische Tätigkeit in den Empfindungsformen von Liebe und Haß aus), welche die Situation nicht mehr erklären kann, in welcher der narzißtische Apparat sozusagen funktionsunfähig ist durch eine traumatische Situation. Diese verlangt nämlich eine Bewältigung "ehe das Lustprinzip seine Herrschaft beginnen kann" (ebd., S. 241). Demnach muß sich der progressiven Tendenz des Narzißmus' eine "konservative Natur des Lebenden" (ebd., S. 246) entgegenstellen, "ein dem belebten Organischen innewohnender Drang zur Wiederherstellung eines früheren Zustandes, welchen dies belebte unter dem Einflusse äußerer Störungskräfte aufgeben mußte." (ebd., S. 246). In diesem Drang "entdeckt" Freud nun das Konstanzprinzip wieder, jedoch "jenseits des Lustprinzips". Dieses Konstanzprinzip formuliert sich jetzt nicht mehr als naturwissenschaftliches Konstrukt, sondern als eine Tendenz allen Lebens überhaupt, also als eine Art geisteswissenschaftliches Konstrukt, nach dem alles "Lebende aus inneren Gründen stirbt, ins Anorganische zurückkehrt" (ebd., S. 248). Das Leben selbst ist als geistig und unmateriell verstanden, weshalb es die "unbelebte Materie" (ebd., S. 248) ist "welche allem Lebenden vorangeht, aber zugleich auch das Ziel allen Lebens sein soll. "Das Ziel allen Lebens ist der Tod, und zurückgreifend: das Leblose war früher da als das Lebende." (ebd.) Das Konstanzprinzip, ursprünglich als naturwissenschaftliches Erklärungsmodell des Luststrebens gedacht, ist nun zu einer Lebenstendenz geworden, welche das Gegenteil des Lustprinzips ausmacht und ursprünglicher als es selbst ist.

Hierdurch aber hat sich Freuds ganze Auffassung des psychischen Lebens und der Triebe überhaupt radikal geändert (10).Das psychische Leben wird nicht mit dem materiellen Leben überhaupt identisch genommen (was der Naturwissenschaftler Freud als seine wesentliche Voraussetzung und als Grundlage einer "materialistischen Psychologie" ansah), sondern als ein Prozeß, der jenseits des Materiellen bestimmt ist und in der Materie lediglich seine Voraussetzung und auch seinen Untergang hat. Die Triebtheorie ist jetzt zu einer geisteswissenschaftlichen Konstruktion geworden, in welcher die Grundtendenzen des nichtmateriellen Lebens abstrakt als Lebenstrieb und Todestrieb formuliert sind. Der ursprünglich materielle Gegensatz von Lustprinzip und Realitätsprinzip ist zu einem ideellen Gegensatz von Lebenstrieb und Todestrieb geworden. Das Konstanzprinzip - einst naturwissenschaftliche Begründung der psychischen Tätigkeit überhaupt - hat sich in eine geistige Tendenz verwandelt, welche sich gegen das (implizit ebenso geistig gemeinte) Entfaltungsinteresse des Narzißmus' wendet. Das Triebleben selbst wird zu einem Dualismus, dessen Grundziel das Ende allen Lebens in der Materie ist. "Es ist wie ein Zauderrhythmus im Leben der Organismen; die eine Triebgruppe stürmt nach vorwärts, um das Endziel des Lebens möglichst bald zu erreichen, die andere schnellt an einer gewissen Stelle dieses Weges zurück, um ihn von einem bestimmten Punkt an nochmals zu machen und so die Dauer des Weges zu verlängern." (ebd., S. 250)

c) Die Kultur als das negierte Unbewußte

Die gedankliche Bewegung, die sich bei Freud mit der Einführung des Narzißmus im identitätspsychologischen Gesichtspunkt begründet hatte, hat nun das Gegenteil ergeben von dem, wovon ausgegangen worden war. Die Einheit der seelischen Kräfte in einem urtümlichen Konstrukt wie dem Narzißmus, die "psychische Ursituation", worin alle Triebe in nur einer Tendenz beisammen sind, hat sich in ihr Gegenteil verkehrt, nämlich in eine doppelte Urtendenz, welche sich in allen Momenten des Lebens ausdrückt und darin zur Einheit verschmilzt. Nicht mehr die Entfaltung des Lebensprozesses macht den psychischen Prozess aus, sondern dessen Zurücknahme, die fortwährende Aufhebung aller Lebensmomente in ihre ursprünglichsten Interessen. Das Bewußtsein ist nurmehr Ausdruck des Dualismus, der ihm von seinen Trieben her vorausgesetzt ist.

Die theoretische Notwendigkeit zu der Wendung im identitätspsychologischen Ansatz lag in der doppelten Begründung des Bewußtseins, welches die Triebinteressen einerseits formulieren sollte (im Sinne von Lebens- und Entfaltungsinteressen - vgl. das "lebende Bläschen"), andererseits aber das Triebleben vor der Außenwelt schätzen mußte, um das, was das narzißtische Leben allgemein ausmacht, nämlich die Beziehung in Liebe und Haß zu ermöglichen. Die Konstruktion des narzißtischen Menschen hätte eine Bevölkerung verlangt, welche - wie Freuds "psychische Urbevölkerung" im Unbewußten - sich wesentlich abstoßen (der Haß galt als primäre Tendenz) hätte müssen, sich zugleich aber in diesem Abstoßungsprozess als Lustquelle hätte finden können sollen. Da aber der Haß nicht nur ein Abstoßen, sondern auch zugleich ein Vernichtungsinteresse unterstellt, wäre die Gesellschaft nichts anderes als ein Ort der kollektiven Vernichtung geworden. Da sich der einzelne hierin bedroht fühlen muß, hat es eines Bewußtseins bedurft, welches die unbewußten Tendenzen von Liebe und Haß in dieser Gesellschaft zugunsten des Lustprinzips hätte vermitteln müssen. Somit mußte das Bewußtsein den Widerspruch tragen, welcher in der Konstruktion des narzißtischen Menschen gesetzt war. Es konnte diese Leistung aber nicht mehr im Sinne des Lustprinzips bewältigen, da diesem ja bereits die unbewußten Prozesse gehorchten. Um seine Tätigkeit aus der Verdrängung dieser unbewußten Prozesse zu begründen, mußte eine psychische Tendenz angenommen werden, die sich gegen das Lustprinzip durchzusetzen versteht. In der Zerstörung des einzelnen "fand" Freud daher einen Trieb, der ursprünglicher ist, als die bis dahin angenommenen Triebe. Somit drücken sich in dem Verhältnis der Menschen zwei Triebe aus, die alles Leben überhaupt ausmachen sollen, der Lebenstrieb und der Todestrieb. Das Bewußtsein ist nurmehr eine Instanz, die mit diesen Trieben fertigzuwerden hat. Es muß diese daher nicht mehr schützen, sondern muß den "dämonischen Charakter" (ebd., S. 245) des Trieblebens überhaupt meistern.

Der Todestrieb begründete ökonomisch die Verdrängung von unbewußten Regungen des Narzißten und ermöglichte so die Begründung einer Kraft, welche sich ihnen entgegensetzen kann; er wurde aber zugleich als Trieb selbst Teil des Unbewußten und daher eine innere Tendenz, welche die Vernichtung des Menschen überhaupt ausmachen soll.

Die Vernichtung, die dem Menschen durch seine unbewußten Triebe droht, kann nur dadurch bewältigt werden, daß er sie zu verdrängen in der Lage ist. Dies veranlaßte Freud, eine Kulturtheorie aufzustellen, welche auf der Verdrängung des Trieblebens gründet. Der angenommene Triebdualismus muß ja alle Außenwelt zum Mittel gegen die menschlichen Triebkräfte bestimmen, denn aller subjektiven Entwicklung ist darin vorgegeben, daß sie sich unter dem allgemeinen Sieg des Todestriebes verzehren müßte. Ließe man nämlich die menschliche Natur gewähren, so hätte sie diese "ihre besonders wirksame Art, uns zu beschränken, sie bringt uns (nämlich) um, kalt, grausam, rücksichtslos, wie uns scheint, möglicherweise gerade bei den Anlässen unserer Befriedigung. Eben wegen dieser Gefahren, mit denen uns die Natur droht, haben wir uns ja zusammengetan und die Kultur geschaffen, die unter anderem auch unser Zusammenleben möglich machen soll. Es ist ja die Hauptaufgabe der Kultur, ihr eigentlicher Daseinsgrund, uns gegen die Natur zu verteidigen." (Freud 1927, S. 149). Da also natürlicherweise "bei allen Menschen destruktive, also antisoziale und antikulturelle Tendenzen vorhanden sind" (ebd., S. 141), muß "sich jede Kultur auf Zwang und Triebverzicht aufbauen" (ebd.), so daß "jeder Einzelne virtuell ein Feind der Kultur ist, die doch ein allgemein menschliches Interesse sein soll" (ebd., S. 140). Der Grund, warum die Kultur nicht das Allgemeine der Einzelnen ist, liegt in der Natur des Menschen, denn nur sie kann "uns gegen die Natur verteidigen" (ebd.). Da aber "die Massen träge und einsichtslos (sind), den Triebverzicht nicht lieben" (ebd., S. 141), muß "die Kultur ... gegen den Einzelnen verteidigt werden" (ebd., S. 140). Da also der einzelne in der Masse nicht einsieht, wie nötig er die Kultur hat, da er seinem blinden Triebverlangen unbeherrscht zu folgen bestrebt ist, muß man die Kultur, "das allgemeinmenschliche Interesse" gegen den einzelnen verteidigen, wie wohl sich dieser damit zugleich gegen seine Natur zu verteidigen hat. Da der einzelne aber von dieser Notwendigkeit nichts weiß - er folgt wohl seinem blinden Todesstreben - bedarf es zur Rettung der Kultur des "Einflusses vorbildlicher Individuen, die (die Massen) als ihre Führer anerkennen (und welche) sie zu den Arbeitsleistungen und Entsagungen bewegen, auf welchen der Bestand der Kultur angewiesen ist." (ebd.)

Da also erstens der einzelne seinen Trieben gehorcht und gedankenlos ist und zweitens nach der Freudschen Auffassung die Kultur auf Triebverzicht gründet, bedarf es der Gewalt und der "Verfügung über Machtmittel" (ebd.), damit der Triebverzicht gelingen kann. Was die Menschen für diese materiellen Zwänge entschädigt, ist das, was sie als "seelischer Besitz der Kultur" (ebd., S. 144) erwerben, denn das machen ihre "seelischen Fortschritte in der Menschheitsentwicklung aus. Indem nämlich die Menschen die äußeren Zwänge in ihre Seele integrieren, erwerben sie die Kultur als ihren eigenen "seelischen Besitz". In dem Maß wie also der äußere Zwang im einzelnen interniert wird, verändern sich die Menschen "aus Kulturgegnern zu Kulturträgern. Je größer ihre Anzahl in einem Kulturkreis ist, desto gesicherter ist diese Kultur, desto eher kann sie der Äußeren Zwangsmittel entbehren" (ebd., S. 145).

Freuds Theorie endet hier ganz jenseits der Triebe, von denen er ausgegangen ist. Er selbst macht sich zum Vertreter einer Kultur, die sich gegen das, was Freud als Triebleben bezeichnet hatte, wendet und auf der Herrschaft eines, dem einzelnen uneinsichtigen Zusammenhangs beruht. Seine Kulturtheorie besteht nun in dem Widerspruch, daß der einzelne die Kultur braucht, um sich gegen seine Natur zu verteidigen, zugleich aber seine Natur sich so geltend macht, daß man die Kultur gegen den einzelnen verteidigen muß. Da also der einzelne sowohl Nutznießer der Kultur wie auch ihr Gegner ist, bleibt nur irgendjemand übrig, der die Kultur zu verteidigen hat. Dies kann nur noch jene Schicht sein, welche (mit Freud) an dem Fortbestand einer Kultur Interesse hat, die sich gegen den einzelnen wendet. Freuds Theorie wendet sich selbst gegen den, den sie erklären soll.

d) Das Dilemma des identitätspsychologischen Gesichtspunkts

Das Problem, um welches sich der identitätspsychologische Gesichtspunkt dreht, beruht auf dem doppelten Bezug, welcher durch den Narzißmus gesetzt ist. Der Narzißt bezieht sich nämlich auf sich, wenn er sich auf die Welt bezieht, und bezieht sich auf die Welt, um sich zu gewinnen. Das Problem liegt in der Selbstsucht und der Weltbezogenheit, welche im Narzißmus identisch und verschieden zugleich gesetzt ist. Der Narzißt bezieht sich auf sich selbst, indem er an sich Lust findet, er bezieht sich auf die Welt, indem sie ihm als Lustquelle dient. Da sowohl er sich, wie auch die Welt ihm als Lustquelle dienen kann, besteht der einzige Unterschied, den seine Empfindungen ausmachen, in der Unlust. Diese hat zwei Seiten: Sie kann aktiv bestehen, "aus innen heraus" oder passiv, "von außen her". Der Narzißt führt die von innen her bestimmte Unlust dadurch ab, daß er sie in die Welt projiziert, die Welt also zu seinem Feind macht, die Unlust von außen bringt ihn dazu, daß er sich vor jeder Einwirkung bewahrt oder schützt. Umgekehrt geht es seinen positiven Beziehungen. Wenn der Narzißt sich selbst liebt, so kann er von sich selbst nicht wegkommen, wenn er anderes liebt, so verliert er sich. Diese doppelten Beziehungen, die dem Narzißmus zufolge sind, hatte Freud in der Diskussion um die Begriffe Liebe und Haß zum einfachen Unterschied verkürzt und hierbei den Widerspruch nicht gemerkt, der dadurch besteht, daß diese Begriffe im Grunde identisch sind, aber gegeneinander gestellt werden: Wenn ich nämlich Liebe als Phänomen der Lust und Haß als Phänomen der Unlust auffasse, so bedeuten die Begriffe das einfache Gegenteil derselben Qualität - der Lust.

Zugleich sollten die Beziehungen von Liebe und Haß wesentlich verschiedene Interessen verkörpern und deshalb Phänomene unterschiedlicher Triebe (Sexualtrieb und Ich-Trieb) sein, also qualitätsunterschiedliche Beziehungen verkörpern. So war es Freud möglich, in der Gleichsetzung dieser unterschiedenen Beziehungen sowohl die erste Auffassung wie auch die zweite zugleich zu vertreten. Hierdurch aber kam er in das Problem, das psychische Leben in doppelter Weise verstehen zu müssen, nämlich einmal in einer Dualität zweier Empfindungen der Welt (in den Formen von Lust und Unlust), zugleich aber die qualitativ unterschiedlichen Formen der Beziehungen, in welcher die narzißtische Seele (durch ihre Sexual- und Selbsterhaltungstriebe) in der Lage ist, sich mit der Welt identisch zu setzen und sich von ihr zu unterscheiden. Die Beziehungsformen (Lust und Unlust) und die Beziehung als Verhältnis (der Triebe zur Außenwelt) verbargen also einen Widerspruch, den Freud umging, indem er beides gleichsetzte. Indem er nämlich die unterschiedlichen Beziehungen als Triebkraft begründet ansehen konnte und die Triebe selbst qualitativ unterschied, konnte er zugleich behaupten, daß beide einem identischen Prinzip, dem Lustprinzip, folgen. Aber das Lustprinzip verfolgte damit gegensätzliche Interessen und mußte zu einem grundlegenden Problem werden, da es sich selbst dadurch aufhob, daß es sowohl im Sinne der Selbsterhaltung (als Haß) als auch dem Selbstverlust (als Liebe) zugleich als allgemeine Empfindungsqualität zukommen sollte. Freud bemerkte das Problem, als er den Antagonismus von Unbewußtem und Bewußtem mit und durch die bis dahin entstandene Auffassung der narzißtischen Beziehungen erklären wollte. Das Unbewußte war nämlich demnach doppelt bestimmt durch Ich- und Sexualtriebe, zugleich aber war es als ganzes und einfaches System mit der Außenwelt konfrontiert, gegen die er sich schützen sollte. Der Antagonismus von Ich- und Sexualtrieben konfligierte mit dem Antagonismus von Unbewußtem und Bewußtem in dem Empfindungsverhältnis (Lust-Unlust), welches diesen ausmacht.

Die doppelte Auffassung des Unbewußten drückte sich daher in Freuds Bewußtseinsbegriff selbst aus. Es sollte einmal die Interessen der ganzen Psyche gestalten, selbst Ausdruck der Psyche sein, zum andern aber sollte es die Psyche schützen und vor der Welt bewahren, gegenüber welcher es zugleich die unbewußten Interessen zu vertreten hatte. Das Bewußtsein empfindet daher in Lust und Unlustqualitäten und soll zugleich Behüter und Beschützer vor dem sein, was Unlust und Lust bereiten kann. Zu dieser widersprüchlichen Tätigkeit des Bewußtseins bedurfte es der Verdrängung, die es ursprünglich und natürlich vom Unbewußten unterscheiden konnte, damit es als Mittler zwischen den Zwecken der Psyche und der Außenwelt und zugleich als aus der Psyche hervorgegangen begründet sein konnte. Im Unterschied aber zum wahrnehmungspsychologischen Gesichtspunkt, wo das Befriedigungserlebnis den hier notwendigen Zusammenhang gestiftet hatte, sollten es ja die narzißtischen Interessen sein, welche die Psyche in ihrer Einheit ausmacht. Hiernach mußte die Selbstsucht des einzelnen in den Qualitäten, wie sie sich nur unterscheiden konnte (Liebe und Haß als Formen der Lust) allgemein werden, und Freud mußte den allgemeinen Narzißten mit dem menschlichen Leben und der Geschichte selbst identifizieren.

Der Triebdualismus (Ich- und Sexualtriebe) sollte das allgemeine Leben begründen, aber zugleich den einzelnen als luststrebenden Narzißten bestimmen. Die Luststrebung konfligierte daher überhaupt mit den Triebbestimmungen, denn wenn die Selbsterhaltung in der Vernichtung anderer Lust bringt, so muß die allgemeine Vernichtung zur Naturnotwendigkeit werden. Aus den Ich- und Sexualtrieben wurde daher der Gegensatz von Todes- und Lebenstrieben. Der Mensch als Narzißt gefaßt, wurde somit zum geisteswissenschaftlichen Konstrukt, das seine naturwissenschaftliche Begründung (das Konstanzprinzip) überwinden mußte. Der Zustand der Konstanz wurde identifiziert mit dem materiellen, mit dem Zustand des Leblosen, so daß das Lebende und Psychische mit den unmateriellen Bewegungen des Lebens zusammenfiel, dessen Voraussetzung und Ziel das Leblose sein sollte. Daher wurde die Begründung des psychischen Lebens selbst in einer geistigen Dualität (von Lebenstrieb und Todestrieb) erklärt, durch welche es aller materiellen Immanenz entledigt war, aber zugleich negativ zu ihr (als Strebung von und zu der Materie) begründet sein sollte.

Hierdurch wurde aber eine Kulturtheorie notwendig, welche sich gegen das Triebleben begründen sollte, indem es die höheren Werte als "seelischer Besitz" gegen das unmittelbare und materielle Leben zu bewahren hatte. Jede menschliche Entwicklung ist demnach nur auf der Basis der Selbstüberwindung möglich, auf der Triebverdrängung, die zugleich die Selbstvernichtung des Menschen überhaupt abzuwenden vermag. Diese Abwendung war aber als allgemeiner geistiger und kultureller Akt nur gegen das einzelne Interesse möglich, da dieses durch die Triebe, jenes aber durch die menschliche Entwicklung und Geschichte selbst bestimmt galt. Das Unbewußte war sozusagen das, was die Vernichtung des einzelnen Individuums ausmachte, was also seiner Natur entsprach, und die Kultur wurde zu einer Art allgemeinem Bewußtsein, das sich gegen das Unbewußte durchzusetzen hatte. Der Gegensatz, in dem der Mensch zu leben hatte, bestand jetzt aus den Naturkräften und Kulturkräften, die sich in jedem einzelnen zu vollziehen haben, der aber zugleich diesen Gegensatz enthalten soll. Er soll gegen sich eine Kultur wollen, die sich zugleich ihm zu Diensten stellt. Diesen Widerspruch ignorierte Freud durch seine Auffassung von Wissenschaft, welche die allgemeinen Werte zu vertreten hatte, damit der bornierte einzelne Mensch von den Führern der Gesellschaft vor seinem (wohl langfristig gemeinten) Untergang bewahrt werden konnte. In diesem Ansatz steckt damit eine Auffassung, die den widersprüchlichen Begriff des Narzißmus’ zu einem widersprüchlichen Entwicklungsverständnis des Menschen selbst geführt hatte, das sich gegen die narzißtischen Interessen wenden sollte. Es hat sich nämlich ergeben, daß sich die Entfaltung des Menschen aus ihm selbst heraus zu begründen hätte, aber das Entfaltete (als Kultur) wieder zur Bekämpfung seines Ursprungs gewonnen werden muß. Der Mensch muß somit einer ihm vorausgesetzten Bestimmung folgen, seinem Trieb also gehorchen, um sich zugleich gegen das, was ihn ausmacht, zu befreien, indem er das Befreite (die Kultur) gegen seinen Trieb zum Mittel macht, um als Mensch überhaupt zu gelten.

Das allgemeinste Dilemma des identitätspsychologischen Gesichtspunktes besteht nun darin, daß er von den autonomen und auf sich gewendeten Interessen des Menschen selbst ausgeht, aber zugleich allen Menschen und ihren Verhältnissen unterstellen mußte. Freud bestimmte die einzelnen Interessen durch die Ich- und Sexualtriebe und verallgemeinerte sie schließlich zu Todes- und Lebenstrieben, mit denen er sie identifizierte. Hierdurch gilt die Selbstsucht identisch mit dem, was allen Menschen gemeinsam ist, so daß sie in ihrer Bezogenheit aufeinander sich zugleich vernichten müssen, um sich zu gewinnen, aber auch sich anerkennen müssen, um ihrem eigenen Untergang zu entgehen. Dies drückt sich schließlich in der Verwirrung Freuds über den Unterschied oder die Identität von Ich- und Sexualtrieb einerseits, welche den je einzelnen Inhalt des Interesses ausmacht, und den Todes- und Lebenstrieben andererseits, welches den allgemeinen Inhalt von menschlicher Entwicklung überhaupt ausmacht. Freud hatte zuerst beide Triebpaare identifiziert; später sah er die Ich- und Sexualtriebe als Inhalt der Lebenstriebe an (11), denen der Todestrieb als allgemeines Prinzip übersteht und daher eine Kultur notwendig machte, die sich dem Triebleben entgegensetzt.

Freuds Narzißmustheorie endet somit im Grunde in einer Triebtriade (von Ich-, Sexual- und Todestrieb), welche sowohl das einzelne Interesse wie auch das allgemeine bestimmt und dem einzelnen daher auch allgemein eine dreifache Begründung der Psyche geben muß. Hierdurch aber widersetzt sich Freuds Theorie vollständig dem Unterschied von Entfaltung und Schranke, die bisher als Gegensatz der Psyche mit der Welt grundlegender Bestandteil der psychoanalytischen Argumentation war und wird aufgehoben zu einem allgemeinen, aber je einzelnen Integrationszusammenhang, welcher nur noch als Struktur des menschlichen Lebens überhaupt formuliert wird, das sich im Konflikt seiner gegensätzlichen Bestimmung selbst nur bewegt. Die aus der narzißtischen Entwicklung notwendig gewordene Triade wird zur Lebensstruktur überhaupt, welche eine neue Theorie Freuds begründet, die ich in seiner Entwicklung als dritten Gesichtspunkt, als den strukturpsychologischen Gesichtspunkt ansehe.

3. Der strukturpsychologische Gesichtspunkt

Eine Strukturanalyse beschränkt sich auf die Zergliederung des Gegebenen in analytische Teile, die sich aufeinander als Teile einer ganzen Struktur beziehen. Alle Entwicklung kann darin nur in der Findung dieser allgemeinen Struktur liegen, die ihr als allgemeine Eigenschaft unterstellt ist. Das Erklärungsinteresse besteht darin, eine Art Mechanik des Geschehens herauszufinden, welche den allgemeinen Sinn des einzelnen Problems ausmacht, um es "vorauszusehen und möglicherweise abzuändern." (Freud 1940, S. 52)

In der sogenannten Strukturhypothese, welche Freud 1923 einführt, wird das Problem, das Freud bisher als ontologisches Schicksal angesehen hatte, in der Struktur des Subjekts selbst aufgelöst. Der Gegensatz von Kulturwerten und Naturkräften löst sich in der Struktur des einzelnen Menschen zu internen Bestimmungen seines Handelns auf (12).

Wesentlich neu in diesem Gesichtspunkt ist der Gedanke der Internierung allgemeiner und vorausgesetzer Verhältnisse in dem einzelnen, welcher als Entwicklungsprozeß sein vorbestimmtes Schicksal ausmacht. Auch wenn die alten Begriffe (wie z.B. Introjektion und Projektion, Unbewußtes und Bewußtes, Lebenstrieb und Todestrieb) weiter verwendet werden, so haben sie doch selbst keinen theoretischen Wert und werden eher als deskriptive Begriffe für den Prozeß der Internalisierung verwendet. Am Begriff des Bewußten wird dies offensichtlich. Dies bemerken die Verfasser der Studienausgabe ausdrücklich, wenn sie schreiben, daß es "offenbar geworden (ist), daß weder bezüglich des' Unbewußten' noch bezüglich des 'Ichs’ das Merkmal der Bewußtheit helfen konnte, ein Strukturmodell der Psyche zu entwerfen. Infolgedessen gab Freud es in diesem Zusammenhang als Unterscheidungsmerkmal auf: 'bewußt' zu sein war von nun nur als eine Eigenart zu betrachten, die einem seelischen Zustand zukam oder nicht zukam. Der alte deskriptive Sinn des Terminus war somit alles, was von ihm übrigblieb." (Mitscherlich u.a., S. 277). Ähnlich geht es dem Begriff des Unbewußten, der einzigen ursprünglichen Grundlage des Freudschen Forschungsinteresses.

Der strukturpsychologische Gesichtspunkt Freuds hebt die Probleme der beiden vorausgesetzten Gesichtspunkte zusammen auf. Er enthält sowohl das, was im wahrnehmungspsychologischen Ansatz das Entwicklungsinteresse ausgemacht hatte, nämlich die Internalisierung von Wahrnehmungen und Erlebnisinhalten, wie auch das, was das Entwicklungsinteresse des Narzißmus’ enthalten hatte, nämlich das Entwicklungsstreben aus der Selbstsucht heraus im Interesse des Schutzes vor dem Vernichtungsinteressen, denen der Narzißt begegnet. Die Probleme, die in diesen Ansätzen impliziert waren und welche ich versucht habe herauszuarbeiten werden hierdurch aber nicht gelöst, sondern von ihrem Grund entfremdet. Die theoretische Vorgabe durch die anderen Gesichtspunkte bemerken auch die Verfasser der Studienausgabe. "Vorläufer des hier vorgelegten allgemeinen Modells der Psyche sind der ‘Entwurf' von 1895, das 7. Kapitel der Traumdeutung und die metapsychologischen Abhandlungen des Jahres 1915. Jede dieser Schriften behandelt die miteinander verknüpften Probleme der psychischen Funktionsweisen und der psychischen Struktur, jedoch mit unterschiedlichem Gewicht auf dem einen oder anderen Aspekt der Fragestellung." (Mitscherlich u.a., S. 275). Freud selbst faßt seine Arbeit über die Strukturtheorie als eine Synthese seiner bisherigen Auffassungen auf, wenn er im Vorwort hierzu schreibt, daß seine diesbezüglichen Überlegungen "eher den Charakter einer Synthese als einer Spekulation (haben) und sich ein hohes Ziel gesetzt zu haben scheinen" (Freud 1923, S. 282). In Wirklichkeit stülpt er die bisherigen Überlegungen aufeinander und spielt ihre Widersprüche gegeneinander dadurch aus, daß er sie nur formell - also ohne ihren Erklärungswert verwendet und sie in die Leerstellen seiner Strukturtheorie einfügt. Den Antagonismus von Natur und Realität, der das Dilemma im wahrnehmungspsychologischen Ansatz gegründet hatte, wird dadurch gelöst, daß sich das Individuum der strukturtheoretischen Phase in der vorausgesetzten Realität so entwickelt, daß es unterschiedliche Erfahrungen macht, die sich in seiner Struktur unterschiedlich niederschlagen; das Problem des identitätspsychologischen Gesichtspunktes, das sich zwischen der Selbstsucht und der Weltbezogenheit begründet hatte, wird dadurch aufgehoben, daß die Internierung dieser Welt im Dienste der Selbstsucht geschieht (vgl. die Entwicklung des Über-Ichs). Man kann zwar feststellen, daß die einzelnen Glieder der Strukturtheorie bereits nominell bekannt waren, daß also bereits früher vom Ich und vom Ich-Ideal gesprochen wurde, aber diese Teile waren Momente eines anderes Gesichtspunktes und hätten sich dort niemals zu einer eigenständigen Struktur entwickeln lassen. Der Schritt zum strukturanalytischen Ansatz gründet sich im Grunde auf einer Absehung oder Abstraktion von den Begründungen, welche in den anderen Ansätzen entwickelt waren, und verkürzen diese zu deskriptiven Termini eines Prozesses, dessen wesentliches Merkmal die Strukturfindung als menschliches Schicksal nach Maßgabe psychologischer Prozesse ist. Die Erfahrungen, die ein Mensch darin zu machen hat, sind genauso vorgezeichnet, wie die Interessen, mit denen er sich vor seinen Erfahrungen zu bewahren versucht.

Freud geht in der Darstellung der Strukturtheorie von der "Vorstellung von einer zusammenhängenden Organisation der seelischen Vorgänge in einer Person" (ebd., S. 286) aus, welche er das Ich nennt. Dieses Ich, an welchem "das Bewußtsein hängt" (ebd.), ist es auch, welches den Grund für das Unbewußte abgibt, denn es errichtet Widerstände gegen bestimmte Vorstellungen, die hierdurch verdrängt werden. Das Unbewußte ist somit ein Produkt des Ichs, das durch das Ich Verdrängte und "das Verdrängte ist uns das Vorbild des Unbewußten" (ebd., S. 284). "Den Begriff des Unbewußten gewinnen wir also aus der Lehre von der Verdrängung" (ebd.). Obwohl "die Unterscheidung des Psychischen in Bewußtes und Unbewußtes die Grundvoraussetzung der Psychoanalyse" (ebd., S. 283) ist, begründet sich dieser Unterschied durch das Ich, das ihnen also jetzt vorausgesetzt wird. Hierdurch hat sich die Beziehung zwischen Unbewußtem und Bewußtem wesentlich verändert: "Wir müssen für diesen Gegensatz aus unserer Einsicht in die strukturellen Verhältnisse des Seelenlebens einen anderen einsetzen: den zwischen dem zusammenhängenden Ich und dem von ihm abgespaltenen Verdrängten." (ebd., S. 287). Das Unbewußte hat seinen primären Stellenwert in der Freudschen Theorie aufgegeben, und Freud muß "zugestehen, daß der Charakter des Unbewußtseins für uns an Bedeutung verliert" (ebd.).

Ausgangspunkt in diesem Gesichtspunkt ist also die "zusammenhängende Organisation der seelischen Vorgänge in einer Person" (ebd.), welche das Ich ausmacht. Dieses Ich nun ist sowohl bewußt wie auch unbewußt, denn "wir haben im Ich selbst etwas gefunden, was auch unbewußt ist, sich gerade so benimmt wie das Verdrängte" (ebd.), nämlich den Widerstand. Er ist es schließlich, der das zusammenhängende Ich mit von den verdrängten Vorstellungen unterscheidet. Dieser Widerstand gründet auf einem "quantitativ-qualitativ Anderem im seelischen Ablauf" (ebd., S. 221), welches nicht "an Ort und Stelle bewußt werden kann (und deshalb erst) bis zum System Wahrnehmung fortgeleitet werden muß." (ebd., S. 291). Dieses Andere enthält "unbewußte Empfindungen"" durch welche das Ich passiv bestimmt ist, sich also als deren Erscheinung verstehen soll, "sich im Leben wesentlich passiv verhält" (ebd., S. 292) und "von unbekannten, unbeherrschbaren Mächten" (ebd.) gelebt wird. Deshalb schlägt Freud vor, das ursprüngliche, vom Wahrnehmungssystem ausgehende Wesen, "das Ich zu heißen, das andere Psychische aber, in welches es sich fortsetzt und das sich wie unbewußt verhält, ... das Es" (ebd.) zu nennen. Dieses Es nun ist der gereinigte Kern der menschlichen Antriebe, welche die Widerstände im Ich verursachen. Wesentlich ist hierfür, daß das Es nicht mit den Wahrnehmungen zu tun hat, sondern nur den Grund ihrer Verdrängung bedeutet. "Den Kern unseres Wesens bildet (nämlich) das dunkle Es, das nicht direkt mit der Außenwelt verkehrt" (Freud 1940, S. 53). "Sein Inhalt ist alles, was ererbt, bei Geburt mitgebracht, konstitutionell festgelegt ist, vor allem also die aus der Körperorganisation stammenden Triebe" (ebd., S. 9). Das Es ist selbst "das große Reservoir der Libido, im Sinne der Einführung des Narzißmus" (Freud 1923, S. 298, Fußnote 1).

Das Es, welches die Widerstände des Ichs begründet hatte, entpuppt sich nun aber auch als Begründer des Ichs, denn jenes soll "der durch den Einfluß des Wahrnehmungssystems modifizierte Anteil des Es (sein), der Vertreter der realen Außenwelt im Seelischen" (ebd., S. 296). Da nun das Es "die eigentliche Lebensabsicht des einzelnen Wesens ausdrückt" (Freud 1940, S. 11), welche aber vom Ich verdrängt wird, und zugleich das "große Reservoir der Libido" ausmacht, welche das Ich speist, damit dieses seine synthetischen und verdrängenden Aufgaben erfüllen kann, muß es gegen sich selbst tätig werden können. Es muß also aus den Kräften des Es sich Gegenkräfte entwickeln, die dem Es quantitativ gleichgesetzt sind. Diese entstehen im Ödipuskomplex durch Vernichtung oder "Desexualisierung" (ebd., S. 298) der Libido, wodurch das Es seinen Antagonisten, nämlich das Überich bekommt. "Während (nun) das Ich wesentlich Repräsentant der Außenwelt, der Realität ist, tritt ihm das Überich als Anwalt der Innenwelt, des Es, gegenüber." (ebd., S. 303).

Das Ich, welches nun die "zusammenhängende Organisation der seelischen Vorgänge" sein soll, und in dieser Aufgabe allem Unterschied von bewußt und unbewußt vorausgesetzt war, hat nun die Konflikte zwischen dem Es, dem Überich und der Außenwelt zu versöhnen, um seine "synthetische Leistung" daran zu vollziehen. "Eine Handlung des Ichs ist dann korrekt, wenn sie gleichzeitig den Anforderungen des Es, des Überichs und der Realität genügt, also deren Ansprüche miteinander zu versöhnen weiß" (Freud 1940, S.10). Vom Standpunkt dieser synthetischen Funktion ist es aber von all den Momenten, welche es zusammenfassen soll, bedroht. Obwohl es "sich von der Triebwahrnehmung zur Triebbeherrschung, vom Triebgehorsam zur Triebhemmung" (Freud 1923, S. 322) entwickelt hat, ist es ein "armes Ding, welches unter dreierlei Dienstbarkeiten steht und demzufolge unter den Drohungen von dreierlei Gefahren leidet, von der Außenwelt her, von der Libido des Es und von der Strenge des Überichs." (ebd.) Das Ich entpuppt sich als Herr und Knecht der Triebwelt und kann diese widersprüchliche Bestimmung deshalb nicht sprengen, weil es sich um kosmische Aufgaben handelt. Der einzelne Mensch ist in seinem Ich nämlich darin tätig, sein phylogenetisches und anthropogenetisches Erbe zu ertragen.

Die eigentliche Begründung der Strukturtheorie steht daher an ihrem Ende: Es ist die mythologische Gesellschaft, wie sie in der Entstehungsgeschichte des Menschen selbst gewesen sein mußte, die sich sowohl in den menschlichen Kulturen, wie auch in den menschlichen Organen vererbt hat. "Die Außenwelt, in der sich der einzelne nach der Ablösung von den Eltern ausgesetzt finden wird, repräsentiert die Macht der Gegenwart, sein Es mit seinen vererbten Tendenzen, die organische Vergangenheit und das später hinzugekommene Überich vor allem die kulturelle Vergangenheit, die das Kind in den wenigen Jahren seiner Frühzeit gleichsam nacherleben soll." (Freud 1940, S. 61) Die Begründung des Schicksals der menschlichen Triebe liegt daher ganz im Mythos, in einer Gesellschaft, wo das, was in der Psyche geschieht, ursprünglich wirklich abgelaufen sein sollte und sich in der Psyche selbst tradiert. Die seelischen Konflikte sind letztlich phylogenetische Konflikte, die sich durch eine Kette von Erbschaften hindurch im einzelnen nachvollziehen. Das Wesen der Menschen ist darin absolut bestimmt und daher in sich geschlossen. Die Strukturtheorie ist die Verwirklichung einer Mythologie. "Die Trieblehre ist sozusagen unsere Mythologie. Die Triebe sind mythische Wesen, großartig in ihrer Unbestimmtheit. Wir können in unserer Arbeit keinen Augenblick von ihnen absehen und sind dabei nicht sicher, sie scharf zu sehen." (Freud 1933, S. 529)

Im strukturpsychologischen Gesichtspunkt Freuds hat sich nun die Trennung von der Begründung psychischer Tätigkeit zu seiner Theorie vollständig vollzogen. Er wendet sich in der Zeit, wo diese Theorie vorherrscht, deshalb vorwiegend den Kulturproblemen zu, um darin die Begründung seiner Psychologie zu finden. Seine kulturtheoretischen Schriften kann man deshalb als metatheoretische Schriften für seine Psychologie selbst ansehen, in welcher kein eigener Grund mehr den Gedankengang der Entwicklung ausmacht. Die einzelnen Beziehungen, welche zwischen den Strukturmomenten der Psyche bestehen, sind so offensichtlich widersprüchlich oder gegensätzlich, daß sich darin kein gedankliches Interesse von Freud mehr festmachen läßt. Ihm geht es in der Strukturhypothese hauptsächlich um die Ausführung seines Kulturverständnisses als Psychologie.

Die Strukturtheorie steht daher auch an der Grenze dieser Arbeit, welche nur den systematischen Gedankengang von Freud zum Gegenstand hat. Sie ist nicht mehr im systematischen Sinne zu kritisieren, da sie nicht systematisch sein will. Ich will daher im folgenden nur die vielfältigen Beziehungen in ihrer Widersprüchlichkeit aufzeigen, welche der in der Strukturtheorie erfaßte Gedanke ertragen muß und schließlich zeigen, daß diese Theorie die Tätigkeit von Wissenschaft überhaupt kritisiert. Es ist eine Theorie, die die einstigen Interessen Freuds selbst wie auch das Interesse der Wissenschaft überhaupt praktisch aufhebt. Um dies zu zeigen, will ich nochmals ihre einzelnen Momente diskutieren, soweit sie sich auf andere beziehen lassen.

 

___________
Fußnoten:

(7) Die ökonomisch unterschiedlichen Vorgänge in diesen Prinzipien bezeichnet Freud mit dem Primärprozeß und dem Sekundärprozeß, für welche Lust und Realität eher die Inhalte ausmachen. Dort kann Freud rein energetisch argumentieren und die Energie in den beiden Systemen als freie Energie und gebundene Energie unterscheiden. Das sind aber lediglich die ökonomischen Formulierungen, in dem sich das, was hier inhaltlich gesagt wird, bewegt und was bereits im Unterschied der Erregungsformen in der Psyche oben gesagt wurde. Sie lassen sich nur aus den hier geschilderten Prinzipien ableiten, haben in ihrer Formulierung aber nichts mehr mit dem Inhalt zu tun, die im Lustprinzip und Realitätsprinzip formuliert sind. Ich sehe daher von diesem Unterschied ab.

(8) Freud verwendete diesen Ausdruck bereits 1901 identisch mit "Psychologie des Unbewußten" Die Arbeit hieran begann unmittelbar nach der Traumdeutung, wonach Freud diesen theoretischen Aspekt der Psychoanalyse immer als eine Theorie des Unbewußten aufgefaßt hatte (vgl. Mitscherlich u.a. 1975, S. 10).