Wolfram Pfreundschuh

Ein Heiland der herrschenden Ordnung

Der Kultur-Chauvinismus des Bert Hellinger

Die meisten, die eine Familienaufstellung bei Hellinger mitgemacht haben, fanden das eigentlich erstmal ganz gut. Irgendwie hat sich bei ihnen dabei was gelöst – vielleicht auch nur, weil es angesprochen war –, etwas Unklares, für das man keine Worte hat. Es gibt eben diese "stillen Wahrheiten", die erkennt man nicht, die fühlt man nur. Es hat sich wie von selbst gelegt, etwas, das bedrückt hatte, zumindest eine beständige Anspannung war. In der Aufstellung hat sich das geändert, war näher gekommen. Und dieser Kontakt zu sich selbst hat zumindest das Vertrauen geweckt, dass eben doch alles seinen Sinn hat und dass man damit umgehen kann. Das jedenfalls ist „rübergekommen“. Danach hat man keine Fragen mehr. Man kann sich und der Welt wieder zustimmen. So wie sie ist, so ist sie nun mal. Und weil es so ist, hat alles wieder seine Ordnung. Das beruhigt. Man kann es nicht so recht beschreiben. Und man soll das auch garnicht.

Hellinger kann das. Er spricht unentwegt davon. Es sei eine besondere Fähigkeit seines Erkennens: Die ganzheitliche Wahrnehmung. Da wird "aus einer Fülle von Phänomenen plötzlich das Wesentliche erfaßt. Das nenne ich eine phänomenologische Vorgangsweise" (Hellinger). Bei ihm ist das so: Er erkennt blitzartig "das Ganze" eines Lebens, dessen "innere Ordnung", also alles auf einmal. Deshalb geht es auch so schnell, ein paar Minuten nur. Das ist nicht ein Ergründungsprozess oder gar ein analytisches Begreifen oder dergleichen. Es hat keine Beschaffenheit, keine Logik oder Wirklichkeit oder Struktur oder Bedingtheit. Es sei wie eine "Erleuchtung", so etwas wie eine übergeschichtliche Gewissheit, so eine gewisse Magie des Augenblicks, das Zusammentreffen von vielschichtigen Eindrücken. Jedenfalls geht es dabei nicht mehr um Erklärungen, Begründungen oder Diskussionen; eigentlich überhaupt nicht um Sprache: Es ist etwas Wunderbares, eine im Grunde religiöse Erkenntnis des natürlichen Wahrnehmens, die Erfahrung einer natürlichen Ordnung, einer „richtigen Ordnung“, die empathische Erfahrung des eigentlich Gesunden, auch wenn es krank ist:

"Wenn ich eine Ordnung finde, die richtige Ordnung finde, ... dann bewirkt das etwas Heilendes oder Lösendes in einem System. Ordnung ist etwas Vorgegebenes. Ein Baum zum Beispiel entfaltet sich nach einer Ordnung. Sie ist ihm vorgegeben. Er kann aus dieser Ordnung nicht herausfallen, sonst ist er kein Baum mehr. So entwickelt sich auch der Mensch nach einer Ordnung. Und menschliche Systeme entwickeln sich nach einer Ordnung. Diese Ordnungen sind uns vorgegeben." (http://www.hellinger.com/deutsch/virtuelles_institut/bert_hellinger/)

Das kündet von etwas ganz Einfachem, etwas Schönem und Ursprünglichem, dem wir entrückt sind, nicht mehr entsprechen und deshalb auch nicht mehr zu uns selbst finden können. Das müssen wir einfach mal fühlen. Und dann kommt sie über uns, die Ruhe:

"Die Ruhe kommt wie die Wahrnehmung aus der Zustimmung zur Welt, wie sie erscheint, also ohne die Absicht, sie zu verändern. Das ist im Grunde eine religiöse Haltung, weil sie sich einfügt in ein größeres Ganzes, ohne sich herauszunehmen, es besser zu wissen, oder einen besseren Ausgang erreichen zu können, als in die tiefen Kräfte von sich aus anzusteuern." (http://www.hellinger.com/deutsch/virtuelles_institut/bert_hellinger/)

Es ist eigentlich ganz einfach: Wenn wir der Welt zustimmen, "wie sie erscheint", wenn wir sie in uns aufnehmen und uns mit ihr versöhnen, dann finden wir unsere Ruhe. Das ist auch nichts besonders Neues. Es war ja immer schon in jeder Kirche zu hören und auch in allen sonstigen Gebetsmühlen des ordentlichen Selbstverständnisses. Neu ist nur, dass dieser Rückzug aus den Widersprüchen unseres Lebens, aus unserem praktischen Leben überhaupt, etwas mit unserem Gewissen zu tun haben soll. Wer den Gegebenheiten des Lebens nämlich zustimmt habe immer ein gutes Gewissen. Wer nicht, der hat es wohl nicht.

"Das Gewissen ist ein systemisches Gleichgewichtsorgan, mit dessen Hilfe jeder sofort wahrnehmen kann, ob er sich im Einklang mit dem System befindet oder nicht; ob er etwas tut, was ihm die Zugehörigkeit sichert, oder ob er etwas tut, was seine Zugehörigkeit gefährdet oder aufhebt. Es hat sich also herausgestellt, daß gutes Gewissen nichts anderes bedeutet, als: Ich darf noch dazugehören, und daß schlechtes Gewissen heißt: Ich muß befürchten, daß ich nicht mehr dazugehören darf." (http://www.hellinger.com/deutsch/virtuelles_institut/bert_hellinger/)

Folgsamkeit war schon immer das Einfachste. Jetzt ist sie Kern der gewissenhaften Naturerfahrung: Nämlich als Form der Zugehörigkeit. Für den Psychotheologen Hellinger íst es das "systemische" seiner Theorie, die Ordnung des inneren Zusammenhangs, die er als „Wahrheit“ ansieht, die heilt, wenn sie entdeckt wird und Unheil mit sich bringt, wenn man sie nicht befolgt und sich ihr entfremdet. Das nämlich ist die Grundlage von allem, was unser Leben ausmache: Wer die Ordnung vollzieht, wird glücklich, wer sie stört, der muss leiden. Und wer von seinem Leiden geheilt sein will, der muss die Ordnung finden.

Natürlich ist das nicht ganz so einfach, wie es sich anhört. Wie kann man wissen, wo man sie findet, was man im Innersten leidet und wovon man sich entfremdet hat? Tja, um Ordnung zu finden, da muss man man schon was tun. Sie steht ja über uns, und um sie zu erfahren braucht man deshalb auch noch eine Prise katholische Bioenergetik. Die kommt durch die Demut, denn die bewirkt ein komplexes Geschehen zwischen Körper und Geist und Leben und Seele. Nämlich, wenn man sich aus Demut verneigt:

"...es ist offensichtlich, daß es verschiedene Demutsgebärden auch in den Religionen gibt, zum Beispiel das Hinknien oder das Sich-so-ganz-Niederbeugen. ... Ich habe diese Gebärden abgelesen aus konkreten Verläufen, ohne Bezug zu irgendwelchen Religionen. Das erste, was ich abgelesen habe, war, daß die leichte Verneigung des Kopfes nach vorne Energie im Rücken hochsteigen läßt, daß also die Haltung des Nach-oben-Schauens den Energiefluß hindert. Wenn einer den Kopf leicht nach vorne neigt, fließt Energie, und er kommt mehr in Kontakt mit der Erde." (http://www.hellinger.com/deutsch/virtuelles_institut/bert_hellinger/)

In der Demut also steckt jene Kraft der Natur, von der wir entfremdet sind: Die Erdung. Das „zu Boden gehen“ macht sensibel für die höheren Weihen des Lebens. Das ist das ganze Geheimnis. Das ist eine alte Glaubenslehre des Katholizismus und hat sich in diesem Sinne über fast zweitausend Jahre schon durch Selbstkasteiung, Selbsterniedrigung, Unterwerfung bewährt, wie auch in ihrer Überhebung, in der Doktrin der allmächtigen „Wahrheit“, in der Inquisition, der Verfolgung und der Verführung und Verstümmelung. Man sagt nun leicht, das sei doch ein knochenharter Konservatismus, eigentlich längst überwunden; höchstens bei der Prieserweihe, da liegen sie noch auf dem Boden. Aber was will denn Hellinger damit? Und warum hat er seine katholische Kanzel dann verlassen und ist Psychologe geworden?

Hellinger will den Menschen das Glück der Bescheidenheit vor der Größe der Welt und ihrer Geschichte vermitteln. Wir würden das Leben übersehen, seine innere Ordnung nicht mehr erkennen. Er will Versöhnung mit dieser "Lebensordnung", denn diese sei Grundlage für das Glück der Menschheit (so Gunthard Weber: "Zweierlei Glück", S. 152 ff). Bert Hellinger will aufräumen auf dieser Welt. Deren Unordnung mache uns krank.

Man kennt das schon. Heidegger nannte es die „Seinsvergessenheit“, damals vor 80 Jahren, als er den Menschen vorwarf, sie hätten sich durch die Moderne, durch die Technik und die Industrie verführen zu lassen und sich von ihrem wahren Leben, ihrem Sein entfremdet. Er hat eine ganze Philosophie daraus gemacht. Hellinger hat sie gründlich studiert. Und deshalb ist er sich auch so sicher und kann darüber reden. Für ihn ist die Lebensordnung die Wahrheit allen Seins, die Ordnung des Lebens und die Ordnung der Liebe. Und die ist eben was ganz Schönes, Großes und Gutes und bestimmt jedes Leben.

 

Die "Ordnung" als "Wahrheit"

Natürlich kann eine derart hervorgeholte Ordnung nichts anderes sein, als was sie immer schon war: Das Konglomerat einer altbackenen Ursprungsmythologie der Gattung und Begattung, der Geschlechter und Generationen, die Phänomenologie einer Wesenslehre. Wer die Liebe zur Ordnung kürt, meint eben auch immer eine Urtypologie der Natur, die Geschlechtlichkeit und ihre Triebe und Begierden, die ihre Selbstbeherrschung nötig hat und ihre Kultivierung dies enthalte: Die "Ordnung" der Männer und Frauen, wie sie sorgen und dienen, der Eltern und Kinder, wie sie sein dürfen und sein müssen, der Liebespflicht und Liebesschuld.

Alles, was der katholische Missionar Hellinger einst den afrikanischen Kindern und Erwachsenen zu verkünden hatte, das kehrt beim Psychologen Hellinger wieder. Jetzt aber etwas anders, nämlich umgekehrt: Nicht Gottes Wille macht die Gebote für uns, nach denen wir leben sollten, die große Pflicht der Menschheit, welche aus der Erbsünde folgt und Gehorsam verlangt. Nein: Gottes Gebote seien eigentlich Menschenwille, Ordnung seiner Natur. Wer gegen sie verstößt, verstößt gegen sein Menschsein, also gegen sich selbst. Und das ist um einiges brutaler: Gegen Gott kann mensch noch opponieren, nicht aber gegen sich selbst. Solche Verstöße gegen das Menschsein sind Verstöße gegen das Menschenleben, gegen das Leben überhaupt. Das sind keine Sünden mehr, keine kleinen Bündnisse mit dem Teufel. Das ist teuflisch und das macht dann auch das Leiden aus, mit dem sich Hellinger befassen will. Er glaubt es in jeder Verwirrung und Verspannung der Psyche zu finden und er verfolgt es in allen Phänomen, die er zu greifen bekommt – so jedenfalls versteht er seine "Phänomenologie".

Was Hellinger unter Phänomenologie versteht, entspricht dem, was jeder Ursprungstheorie und Mythologie zugrunde liegt: Ein Prinzip des Lebens, das als „eigentliches Wesen“ hinter allem steht, was in den wirklichen Wesen nur erscheint wie eine Wesenskraft, die sich dort entfaltet. In der Wirkllichkeit hat alles dieses Wesen, ist aber nicht wirklich wesentlich. Das Seiende ist darin unterschieden vom Sein (Heidegger), bloße Empirie, die nichts Wesentliches enthält, weil das Wesen über allem erhaben ist, sich wie die Jungfrau aus der Venus aus den Fakten des Daseins herausschält. Somit bekommt alles wirklich Lebende eine überwirkliche Dimension. Und diese macht alle Aussagen über das Leben größer, als dieses selbst, alles Konkrete schwächer, als die Abstraktionen hiervon. Die Hellingerschen Lebensweisheiten werden somit dimensioniert auf Überlebensgröße, auf ein Ordungsprinzip, das also auch überweltlich ist - und nicht und nur die Ordnung, sondern auch der Verstoß gegen sie. Das Leben der Menschen und der Natur wird dadurch zum Lebensträger einer Wahrheit, die selbst nicht wirklich lebt. Als Träger dieser Wahrheit müssen wir uns mit ihr also auch einkriegen in unsere kleine Welt. Diese Lebenshaltung ist so simpel wie total: Wer seinem Wesen nicht gerecht wird, ist selbst schuld, wenn er daran leidet.

Und genauso simpel wird dann ein Wahrheitsverständnis hervorgeholt, welches das Wesen der Wahrheit kennen will. Es sei eine Wahrheit in uns, die durch uns nicht begründet ist, eine Wahrheit, die zwar kein Sein hat außer uns, die aber doch größer ist als wir, als die konkrete Natur, als die ganze Welt, ja, als der ganze Kosmos. Es ist eine Wahrheit, die wirkt ohne wirklich zu sein. Sie habe ein Wesen, das uns durchdringt und wodurch wir auch nur in einer Welt leben, wie sie erscheint, und nicht in der Welt, wie sie ihrem eigentlichen Wesen nach ist. Diese "Wahrheit" sei daher auch nicht konkret und einzeln zu begreifen oder gar nachzuweisen. Jeder Nachweis wäre so lächerlich wie ein Gottesbeweis. Alleine alles Falsche sei bewiesen - nämlich darin, dass es krank ist, dass es abfällt und untergeht. Die Wahrheit ist die Gesundheit, die in der Ordnung steckt.

Sie sei das Ganze, das ganz große Ganze - nicht das Ganze des Begriffenen (Hegel), sondern das Unbegreifbare, das Ganze, das wir nicht begreifen, sondern das wir nur vollziehen können. Das kann man nicht mehr wissen oder denken, das kann man nur fühlen, verspüren, erahnen wie ein Raunen in der Tiefe unserer Lebensgefühle. Es verkehrt in uns, aber es bezieht sich nicht durch uns; es besteht nicht durch unsere einzelne Persönlichkeit, nicht durch unsere Konflikte und Getriebenheiten, in denen es erweisbar wäre und förderlich für uns, wenn wir solche Wahrheit in unserer einzelnen Wirklichkeit auch erkennen könnten. Nein. Sie durchzieht unser ganzes Werden wie ein ganz großes, von uns unabhägiges Wesen über alle Generationen hinweg. Sie durchströmt unser Leben und das unserer Vorfahren, Jahrhunderte unserer Ahnenreihe wie eine lebende Genealogie. Sie ist gewaltig, ist außer uns und in uns zugleich, und doch so verborgen, dass sie sich uns nur mühsam erschließt. Aber sie mache die Geschichte unseres ganzen Lebens aus, bestimme uns wie eine Naturgewalt und lasse uns ahnen, woher wir „eigenlich“ kommen und wohin wir „in Wahrheit“ gehen. Da können wir machen, was wir wollen: Sie ist unser Schicksal. Ohne sie sind wir nichts und durch sie sind wir alles.

Ein solches Wahrheitsverständnis als Ordnung des eigentlich Wesentlichen ist ein Prinzip, das jeder Ursprungstheorie zugrunde liegt, das Prinzip der reinen Art, der Reinheit des Typischen, der Archetypus, wie er von C. G. Jung ausgeführt worden war. Er ging als Grundlage der Sortierung der Phänomene der Art und Sippe in die Rassentheorie der Nazis ein.

Alles, was besteht, besteht nur in dieser Lebensordnung, die in dem nur wahr ist, was sein soll, was eigentlich hinter allem steht, weil es für alles von einem Geist höherer Wahrheit vorgesehen ist. Es ist eine Vorsehung der Ordnung, die in ihrer Tiefe rein und wahr ist wie ein Gott des Ursprungs und gegen die das wirkliche Leben geradezu zwangsläufig verstößt wie ein Geist der Moderne. An ihr werden wir dann unsere Lebensverstöße erkennen und messen müssen. Ihr sollten wir uns überlassen, denn sie sei die Kraft, die über uns steht, die allgegenwärtige Ursache von aller Gegenwart, die Geschichte, die wir nicht beeinflussen können, weil wir ihre Tiefe nicht gewärtigen können. Und zu dieser Kraft müssen wir finden und hierzu will Hellinger uns verhelfen. Das ist seine Mission und Aufgabe:

"Wenn ich so bei mir gesammelt bin, bin ich in Verbindung mit etwas Größerem. Ich kann das nicht definieren. Ich nenne es manchmal Seele oder große Seele, etwas Geheimnisvolles, aus dem Kraft kommt. Wenn ich damit in Verbindung bin, erkenne ich Strukturen, die helfen oder die hindern."

Das können Menschen für sich nicht erkennen, denn die „Tiefe“ der gesunden Ordnung ist ihnen weitgehend verschlossen. Es verlangt den Menschen, der sich mit Großem verbinden kann und deshalb brauchen die Menschen für diese "Verbindung mit dem Großen" einen Führer. Es ist ja nicht mit dem Verbundenheitsgefühl allein getan. Es bedarf der Anleitung, dass sie überhaupt merken, was sie „eigentlich“ wollen, einen Wissenden, der ihnen ihre Gründe erschließt und ihnen auch die Folgen und Konsequenzen ihres Lebens auftischt, einen Führer: "Ein guter Führer sieht, was die Leute wollen, und das befiehlt er." (Hellinger zit. nach Gunthard Weber 1999: "Zweierlei Glück", S. 212). Hellinger will ein Psychologe und Lehrer sein, der sich als Praktiker des Heilens und Erhebens gibt, und zugleich sein besonderes "Wissen" als Heil für alle Lebensungewissheiten auf dieser Welt versteht. Er will unser Führer sein, der uns auf das Wesentliche in unserem Leben hinweisen will, auf die Ordnung der Natur unserer Liebe und Liebeswelten, auf unser „eigenliches Leben“.

Wer eine übergeschichtliche Ordnung glaubhaft machen kann, der hat Definitionsmacht, setzt Begriffe, die ontologische Qualität haben wollen und die dies für wesentlich menschlich befinden - nur weil ihnen anderes als unwesentlich gilt. Er sortiert damit keine Sache, sondern uns selbst. Er beschreibt damit nicht nur eine Ordnung für uns, die wir noch nicht selbst gefunden haben, sondern er beschreibt damit uns, was wir durch sie seien. Er macht uns zu einer Ausprägung der Typologie eines allgemeinen Wesens, das in uns wirke - und er beweist das an der Wirkung, die damit nichts anderes ist als unser Versagen.

Zugleich behauptet er, dass wir uns in unserem bisherigen Leben dem verschlossen haben und deshalb nicht mit uns eins sein können. Er behauptet dies als das Wesen unseres Unglücks. Jetzt können wir darin erst mal geboren und geborgen werden. Das ist Esoterik und da hilft Esoterik: Wir müssen diese Wahrheit verspüren. In unserem Gefühl verströmt dieses Wesen sich als "Wissen" um die Geborgenheit im All seiner Energie, im Kosmos dieses Wesens. Bei Hellinger ist es die Liebesordnung. Um uns in diesem energetischen Raum zu begreifen, müssen wir uns dann auch darin erfahren, müssen in diesen Raum eintreten wie ein Psychonaut in eine große Seelenwelt, umgeben von Wissen, das nichts gemein hat mit Gewissheiten, die es auf der Erde gibt. Es ist Wissen von Energie und Kraft und es geht um die Erfahrung dieses Wissens, das von überall her einströmen kann, und gefühlt werden kann und uns dem näher bringt, was wir in Wahrheit seien, die gefühlige Innerlichkeit unseres Lebens, zu dem wir bisher noch nicht in der Lage waren. Das haben wir noch nicht gebracht, denn wir sind darin verletzt, ohne dies erkannt zu haben, verletzt in unserer Liebe und damit auch in unserem Liebesvermögen und unserem ganzen Leben. Das alles ist viel größer und weiter. Unser Leben ist eng und macht ängstlich, wenn wir nicht dahin kommen, unsere Kinderseele zu diesem Sinn für das Wahre zu entwickeln. In Hellingers Familienaufstellung. In 15 Minuten.

Der Scharlatan der Liebe kann nun seine Hühneraugenpaste auspacken und uns damit die Augen öffnen: Die Liebe ist unser Schicksal. Sie ist also etwas Großes, worin sich niemand einfach nur so von sich her verhalten kann. Sie lässt sich, so Hellinger, erst erfahren, wenn wir uns ihr unterwerfen, wenn wir demütig hierfür sind, wenn wir unsere Welt als Gegebenheit unseres Lebens akzeptieren, wenn wir uns klein machen und klein fühlen und mit allem versöhnen um dies Große auch zu empfinden, um ihm zu entsprechen. Dadurch nämlich erst erfahren wir auch selbst Größe. Wir haben sie selbst noch nicht in uns aufgenommen und in ihrer "vollen Tiefe" erfühlt und erfahren, haben sie einfach nicht gewürdigt. Wir haben in unserem Leben nicht wirklich liebend gelebt. Das müssen wir lernen, um sie zu erleben und weitergeben und forttragen zu können. Der Heiland streckt uns seine gütigen Arme entgegen.

Inzwischen hört man so was wieder gerne, denn das Leben ist wieder schwerer geworden. Hinzu kommt, dass Psychologie als Lebensberatung abgewirtschaftet ist und als Kanzel des "gesunden Menschenverstands" und der affirmativen Tipps und Tricks nicht mehr funktioniert. Das taugt heute nicht mehr viel, denn funktional und vernünftig ist ja doch längst so gut wie alles. Vor allem der Computer und die Arbeitsstrukturen. Es leuchtet daher leicht ein, dass uns etwas fehlt, was mehr ist als all dieses, das lediglich Logik und Struktur hat ... Und gerade wenn es um die Liebe geht, da erscheint eine tiefergreifende Psychologie von selbst als wichtig. Wenn die Liebe darin dann die ganz große Wahrheit ist, dann trifft sich das gut, um die Niederungen der Welt damit zu ertragen, sogar um sie zu überwinden. Damit landet man im All des wirklich freien, des ganz allgemeinen und abstrakt Menschlichen, dem Seelenraumes des Menschseins, unendliche Weite und ozeanische Tiefe. Die kennt Hellinger. Und damit der Ozean nicht zur Pfütze wird, macht er aus diesem das Zeitlose schlechthin. In der „Tiefe“ ruht unsere Vergangenheit, die zugleich Gegenwart ist, unser Werden und Tun, unsere Geschichte, ununterscheidbar, aber dafür in allen Momenten unseres Lebens bewahrt und aufgehoben.

"Es gibt eine Tiefe, in der alles zusammenfließt. Sie liegt außerhalb der Zeit. ... In der Tiefe sind Zukunft und Vergangenheit identisch." (Hellinger/ten Hövel 1996, zit. nach Goldner S. 268).

Die Zeitlosigkeit macht die Tiefendimension seiner Begriffe, die dadurch zum ewigen Licht seiner Erleuchtungen werden. Je tiefer er sie in die Unendlichkeit treibt, desto umfassender wird seine Wesenslehre und will auch so wirken, desto unbeweisbarer ist sie und desto totaler sind ihre Urteile. Darin lassen sich dann auch die „Verstöße gegen das Leben" aus der Zeitlosigkeit des Augenblicks, dem „Wissen“ der Situation, aus der Empfindung in einem „wissenden Feld“ erkennen. Das Gefühl für die „Tiefe“ eines Augenblicks ist die Wahrheit einer Ewigkeit, die jedem Ereignis inne ist wie ein Grund, den es nicht gibt, der sich aber der wesentlichen Erkenntnis durch ein mächtiges Erfühlen seiner Tiefendimension, durch ein Gefühl für das Menschseins schlechthin erschließt, das dem profanen Leben verstellt ist (Nietzsche).

Jede Situation lässt sich als solches Ereignis begreifen und damit ihrer Lebendigkeit berauben: Ihre Spannung besteht nicht mehr aus ihrem Bewirktsein und Wirken, sondern aus einem mächtigen „Gefühl für die Wahrheit“, aus dem Machtgefühl der Wesenslehre einer Psychologie die wesentlich religiös ist und als dieses Gefühl eine praktische Wirklichkeit bekommt, die jede wirkliche Gegenwärtigkeit aufhebt. Sie begreift das Ereignis nur als Gleichnis seiner Wahrheit und des Vergehens im doppelten Sinn dieses Wortes: Das Schuldigwerden im geschichtlich sein des Erscheinenes und des Verschwindens (Heidegger). Leben wird zum Erleben, das einen wesentlichen Status haben soll, dem es folgen muss, zu einem Zustand von Vergangenheit und Gegenwart und Zukunft, zu einem Raum, in welchem alles zugleich festgehalten ist, was darin aufeinander bezogen sein soll. Unser Versagen beruht auf den Verstrickungungen dieses Raumes, in welchem Geschichte nur ein einziger räumlicher Lebenszusammenhang sein kann, eine Lebensabfolge im Dreieck der überkommenen Gewohnheiten: unsere Familiengeschichte. Wir müssen unsere persönlichen Verstrickungen mit dem Kosmos unserer Vergangenheit darin nachvollziehen, verspüren, aus der eigenen Geschichte und der Geschichte der Vorfahren unsere umfassende Lebensschuld gegen diese Liebesordnung begreifen, und diese vor allem überwinden durch Würdigung der Menschen, die sie verkörpern.

Das ist ja auch leicht zu begreifen. Wir sind ein Naturprodukt der Liebe und müssen also die Persönlichkeiten unserer Naturgeschichte anerkennen, wollen wir uns auch selbst anerkennen: Unsere Ahnen und Eltern. Daran können wir nicht vorbei, daran können wir nichts ändern; es ist unser natürliches "Schicksal". Wir leben durch das Schicksal unserer Natur in dieser Welt, diesem kleinen Kosmos der Liebe, der zugleich ein großer ist. Die Welt unserer Familie nämlich gilt als die Konkretion der Großen Welt. Darin haben wir alles erfahren und erfahren alles, was uns wichtig ist und uns bestimmt. Unsere persönlichen Beziehungen sind darin menschliche Bezogenheit schlechthin und unsere persönlichen Konflikte und Unangemessenheiten sind die Unangemessenheit unseres Daseins als unsere Lebenswahrheit.

Alles klar! Das kann man ja auch tatsächlich und praktisch nachvollziehen und verspüren. Die wichtigsten Kränkungen und Verletzungen, das ursprünglichste Glück und Leid wurden hier erfahren. Und so kommt die ganz große Begrifflichkeit als die ganz große Erweckung in unser ganz kleines Leben. Durch die Tatsache, dass wir alle Eltern haben, ist die Brücke unserer einzelnen Gegenwart zu einer Allgemeinheit errichtet, die alles irgendwie durchströmt wie die Energie das All. Es ist unsere private und einzelne Welt zugleich die ganz große Welt der Liebe, eigentlich unmittelbar das Allgemeine. Das individualisierte Leben ist somit das Leben der Menschen und der Gesellschaften schlechthin.

Jeder wirkliche Konflikt, jede Verletzung und jede Bedrängnis ist damit nur eine Nichtigkeit gegenüber dem, was da in der Tiefe steckt, was da so wesentlich missachtet ist und nach Würdigung verlangt. Und durch diese Tiefe verliert sich jede Unangemessenheit wie von selbst, wenn sie erkannt, beachtet und gewürdigt wird. Das kann jeder nachvollziehen, der sich solcher Geschichte unterwirft, sie als Notwendigkeit anerkennt und alles, was darin geschehen war und noch geschieht eben auch für nötig hält und schließlich nötig hat. Wir geraten auf den Boden unseres Lebens, wenn wir diese "Achtung vor den Ursprüngen unseres Lebens" erfahren, unsere Lieben lieben und unsere Pflichten erfüllen. Indem unsere Lieben uns vor Augen sind, durch Symbole aufgestellt werden, stellen wir uns ihnen und verspüren, was die Achtung gebietet. Der Heiland breitet seine Arma aus und gebietet die Achtung, die wir nun erfahren - nicht, weil er die Macht dazu hätte, sondern weil es den Menschen selbst tatsächlich hilft: Das Kleine und Enge wird groß und weit, indem wir es als Moment einer großen Liebe begreifen. Demut gegen diese erzeugt ja erst die Größe, welche das Kleine erträglich und die Enge als Beeicherung erfahrbar macht. In der Kleinfamilie müssen große Gefühle geboren werden, damit die dort Geborenen auch glücklich sind. Das funktioniert und hat schon immer funktioniert. Esoterik macht jedes Leben erträglich, weil das bescheidenste Leben und lieben damit zu einem Kosmos wird. Das vermittelt schon jedes Horoskop. Aber mit einer Familienaufstellung wird es zu einem ganz großen Ereignis, zu einer Welterfahrung, die uns ganz konkret und praktisch und im wahrsten Sinne auch fortträgt ... wenn wir sie in uns aufnehmen und wirken lassen, wenn wir also unser bescheidenes Dasein als Weltereignis erfahren wollen, um es ertragen zu können.

Natürlich versetzt solche Liebe uns erst mal in ihre Pflicht. Natürlich wusste man das schon immer irgendwie. Nur hat es niemand wirklich auch gemacht. Das mit der Liebe und den Pflichten war in der Familie ja für sich ziemlich ätzend - und vor allem diese unmäßigen Schuldgefühle, weil die Pflichten nicht mehr so ganz klar waren und die Abhängigkeiten auch nicht. Und dass man in ziemlich vielem verstrickt war, das zeigen ja eben diese Schuldgefühle. Eigentlich versteckt sich in ihnen das Rätsel unserer Beziehungen. Und durch eine Form des Verhaltens lässt es sich zumindest empfinden. Wenn es schon nicht auflösbar ist, so wird es wenigstes zu einem Bestandteil unseres Repertoires an Verhaltensmöglichkeiten. Um unser Leben zu kultuvieren, brauchen wir einfach einen Kult, durch den es entsprechende Gestalt gewinnt, der Ursprung seine Form bekommt und achtbar wird. Dies ist der Kult von Demut und Würde und Schuld und Pflicht. Und er ereignet sich in Ritualen, durch die wir unsere zwischenmenschlichen Beziehungen ritualisieren und pflegen können. So macht er vieles wirklich einfach, weil er das Einfache verwirklicht.

 

Das Leben als Kult

Ein Ritual vollzieht eine Ordnung, an welche man glaubt. Es ist eine Kulthandlung, worin diese verehrt und bewährt wird. Darin wird Glaube als Sinnbild erlebt und erfahren. Jeder Pfarrer weiß das. Die katholische Liturgie ist eine Ritualisierung des ganzen Lebensprozesses und dessen Natur, von Geburt bis zum Tod, vom Frühling bis zum Winter, von Welterschaffung und Welterlösung. Sie vollzieht sich in den Farben der Kirchendekoration, wie in der Ordnung des Versammelns, der Bestimmung des Wortes und der Schrift, der Einstimmung der Gefühle usw. Darin entsteht und vollzieht sich die eigentliche und sinnliche Bindung an den Glauben denn darin wird er sozialisiert. Er ordnet sich selbst erst wirklich durch die Rituale, die ihn zum ordentlichen Glauben machen, zu einem Glauben, den man leben kann. Da wird dann gleichgültig, was das Leben für die Menschen sonst wirkllich ist; es ist lediglich dessen Umstand. Das Ritual löst dies auf. Die Lebensbedingtheiten werden hierin bedeutungslos, die Schmach des Alltags das schmächtigste Moment des Schicksals.

In den Hellinger‘schen Aufstellungen erwirbt man Rituale, die oft schon in Haltung und Wortlaut vorgegeben sind wie in einem Gottesdienst. Sie sind der eigentliche Höhepunkt, die wirkliche Praxis seiner Therapie. Es sind die Versinnbildungen von Verhältnissen, wie sie nach Hellinger sein sollten. Und sie schließen vor allem das eigene Sinnieren hierüber aus. Ein Ritual ist die Unterbrechung der wirklichen Verhältnisse durch ein gebotenes Verhalten, das sie konterkariert. Natürlich nicht ohne Folgen. Da verneigen sich plötzlich die erwachsenen Kinder vor ihren imaginierten Eltern, auch wenn sie von ihnen missbraucht und geschunden worden waren (vergl. hierzu "Gehirn-Wäsche" von Elisabeth Reuter, 2004) und da werden sie "verabschiedet", weil sie nicht richtig betrauert worden seien, nachdem sie gestorben waren, und damit Schuldgefühl bewältigt wird usw. usf.

In allem geht es um ganz einfache Sinnbilder von Ehre, Würde, Demut, Reue, Schuld. Und so einfach und zugleich allgemein funktioniert das auch, da kann jeder mit sich machen, was er will. Hauptsache, er denkt sich nichts dabei und fühlt, was die Situation hergibt. Einfach praktisch: "Wenn man den Eltern Ehre erweist, kommt etwas tief in der Seele in Ordnung." (Hellinger in "Ordnungen der Liebe"). So versöhnt man sich dann also mit dem urgeschichtlichen Liebeskosmos der eigenen Familie, dem Astralraum dieser privaten Welt, ohne dass konkret auch nur irgendetwas davon begriffen oder verändert werden müsste: Man bekennt eine Schuld, die eine Dimension hat, die niemand wirklich kennt, zu der man sich bekennt, weil es guttut, weil es vorbei ist, zu Ende. Das eben ist es. Das Bild wird wahr, wenigstens irgendwie. Und was dabei entsteht ist dann auch seine Wahrheit.

Die Wirklichkeiten des Lebens, deren Auseinandersetzungen, Kämpfe und Streitigkeiten, werden hierdurch zu Pseudowirklichkeiten, ihre Begründungen zu bloßen Verstellungen gegenüber dessen Urgründe. Die Aufstellungen machen dies einfach darin erfahrbar und setzen es damit auch wirklich um, dass sie eine Sensibilität erheischen, die alleine durch das bestimmt ist, was in der Konstruktion des "Aufstellens" schon als Struktur vorgegeben ist, was längst gefühlt und gelitten ist, was aber noch niemals wirklich beachtet wurde. Im Ritual entsteht die Achtung hierfür als Verschmelzung der eigenen Lebensgewissheiten mit allgemeinen Lebenswahrheiten, die "in medias res" nachvollzogen werden. Diese Beachtung hat das Leben schon verändert, bevor es sich irgendetwas wirklich ereignet und das Ritual vermittelt dies als eine besondere Achtung, die zum Ereignis wird. Denn alleine im Ereignis kehrt sich Wahrheit seiend hervor (Heidegger) – allerdings nur die Wahrheit, die wahr sein soll.

Der Zirkus hat System: Wie bei jeder esoterischen Erfahrung, wird die besondere Sensibilisierung zu einer besonderen Welt gestaltet. Sie wird damit zugleich eine allgemeine Welt, eine Welt, in der alle Welt enthalten zu sein scheint. Die eigene erinnerte Welt inmitten einer konstruierten Allgemeinwelt erscheint als ein Selbstgefühl, das starke Empfindungen enthält. Es ist die Macht der Verallgemeinerung, durch welche sie allfällige Wirkung bekommen. Diese Macht entspringt den Umständen des Rituals, ist seine letztliche Bedeutungsmacht. Sie hebt den einzelnen Menschen aus der Erinnerung seiner Geschichte heraus, nimmt ihn wirklich heraus, indem sie ihm deren Besonderheit und Einzigartigkeit nimmt und als Beispiel einer „tief empfundenen“ Gerechtigkeit vorführt. Sie wird als einzelne Schwäche überhöht und als allgemeines Verdikt aufgelöst, dienstbar gemacht für die Anschaulichkeiten, die unter der Maßgabe einer bestimmten Weltanschauung einströmen, ohne sich je anders beweisen zu können als durch Gefühlsassoziationen. Und die sind immer stimmig – je nachdem, unter welchen Bedingungen assoziert wird. Denn Gefühle der Errinnerung sind meist ununterscheidbar von den Umständen des Erinnerns (vergl. das Übertragungsproblem in der Psychoanalyse und die Aufmerksamkeit, die diesem von Experten gezollt wird).

Der allgemeine Bezug auf sich selbst hebt den Menschen als Quelle seiner Erkenntnisse auf und macht ihn zum Muster von allgemeinen Lebensweisheiten unter allgemeinen Bedingungen, die ihm seine konkrete Gewissheit notwendig entfremdet, denn alle Wahrnehmung von anderem ist ausgeschlossen, die Selbstwahrnehmung einziger Inhalt der „Wahrheit“. Die derart besonderte Allgemeinheit wird durch die Versammlung vieler Menschen auch wirklich mitgetragen. Deren Masse wirkt als Anwesenheit mit dichter Körperlichkeit allgemein und ungeheuer sinnlich. Es ist der Akt einer konstruktiven Vernichtung von eigener Gewissheit durch die Beherrschung der Wahrnehmung vieler Sinne, übermäßiger Körperlichkeit für dünne Abstraktionen. Aus dem Erkenntnisvermögen des Wahrnehmens werden so Gefühle erwirkt, die sich nirgendwo bestätigen lassen, als aus der Situation selbst. So ist jedes Gefühl und jede Eingebung schon bestätigt, bevor es da ist: Durch die Emporhebung der einzelnen Wahrnehmung wird ein allgemeines Selbstgefühl erzeugt, welchem zugleich die Wirkung der eigenen Geschichte genommen ist, weil es unter eine allgemeinen Geschichte von Lebensordnungen gestellt ist und als diese durch die Bedeutsamkeit des Rituals auch so empfunden wird. Alle Empfindungen sind also so bestimmt, wie sie unter der vereinigten Vielheit von Gefühlen und Menschen erscheinen und werden so bestätigt, wie es das Ritual vorschreibt. Die eigene Geschichte, die viele Empfindungen enthält, wird zum Gleichnis von Lebensgeschichte überhaupt. Indem ihr „Würde“ verliehen wird, wird sie nur als solche Allgemeinheit gewürdigt. Ihre Bilder werden getilgt, die Geschichte vergessen, das Gedächtnis verallgemeinert. Gedankenlosigkeit ist programmiert.

Und genau dies hilft und macht bisweilen sogar glücklich: Die erfahrene Abstraktion von jeder Wirklichkeit befördert die Wirkmächtigkeit des eigenen Ichs, stärkt ihm den Rücken und hinterlegt sich ihm als allgemeine Menschlichkeit, die keinen Boden und also keinen wirklichen Sinn mehr haben muss – den sie vielleicht auch sowieso schon längst nicht mehr hatte. Das erleichtert und befreit und bringt viel für die Egozentrik der alltäglichen Wahrnehmung und auch für die Welt einer unwirklich gewordenen Sinnlichkeit. Wenn solche Wahrnehmung nicht mehr von der wirklichen Welt gestört wird, erbringt diese immerhin die abstrakte Selbstbestätigung einer allgemeinen, einer kosmischen Lebensgewissheit, die ansonsten nirgendwo zu haben ist, eine Art Weltseele die in jedes Volk und jeden Menschen passt, und an der man teilhaben durfte. Das bereichert das eigene Leben in jedem Fall. Und dieses bietet dann auch das aparte Gefühl einer weltumspannenden Verbundenheit und Versöhnlichkeit, die sich über alle Lebensbrüche und über jeden Widerstreit erhaben weiß. Wer daran nicht verrückt wird, der ist zumindest der Ungewissheit seiner Gefühle endlich entrückt - nicht in eine Gewissheit, sondern in eine „Ordnung“, in eine Welt, die in ihm selbst funktioniert so wie sie ist, und in der auch er so funktioniert, wie die Welt ist. In jedem Fall ist er mit ihr versöhnt.

 

Das Prinzip Versöhnung

Die Psychologie der Ordnung geht von einer Einheit aus, in der sich ein Wesen ungebrochen gestaltet. Die „Ordnung der Liebe“ behauptet z.B. eine bestimmte Zugehörigkeit und Zuordnung ihrer Lebensmomente. Damit werden quasi ontische Notwendigkeiten des Liebeslebens festgemacht, z.B. dass der Mann im Wirklichen über der Frau stünde, er ihr aber im Hause zu Diensten sein müsse, dass die erste Liebe wichtiger sei als die zweite, das Erstgeborene wesentlicher als das Nächstgeborene usw. Es ist eine Bilderwelt seelischer Bedeutsamkeiten, die allen Lebenserscheinungen zugrunde liege, eine naturwüchsige Archetypie der Seelenwelt, die darin ausgeglichen wäre, wie diese Ordnung begriffen ist. Nach ihr werden daher auch die Lebensereignisse sortiert und oft auch Sitte und das, was hierführ als Verhalten ansteht (Anstand) abgeleitet.

Mit der Wesensbehauptung solcher Ordnung wird sie als menschliche Identität ausgegeben. Das sollte schon immer die Macht des Bürgertums festigen und es ist heute noch dasselbe, auch wenn es inzwischen um das Weltbürgertum geht. Mit der Wesentlichkeit von Ordnung ist zugleich behauptet, dass Menschen, wenn sie nicht auf diese Grundprinzipien ihres Lebens zurückkommen, sich von ihm entfremden und ihr Wesen entzweien. Das Prinzip einer seelischen Ordnung begreift alles in einem seelischen Ursprung, alle Menschen lediglich als die Glieder einer "höheren Ursache" des Seelischen, sei es Gott oder Natur oder Rasse oder Urzeit. Es sei die Ursprünglichkeit ihrer Ordnung in der sie sich vereint begriffen sehen wollen. Dies gelte auch für ihre Herkunft, z.B. ihre Familie, ihre Heimat und ihren Ahnen. Hierfür ist gleichgültig, was die Menschen wirklich sind und was sie tun, sie sind darin ohne jede Wirklichkeit und Tat ein Wesen allgemeiner und gleicher Art, identische Menschen.

Wenn man dies umkehrt, so heißt dies, dass sich die Menschen in allem, was sie tun, mit ihrer Ordnung versöhnen müssen. Das ist vielleicht etwas einfältig. Aber dafür wird damit auch einiges sehr einfach: Die Menschen sind prinzipiell gleich, Kinder einer Wesenheit. Den Begriff der Versöhnung verwendet man zwar normalerweise für eine Friedesstiftung, die nach Streitigkeiten fällig ist. Hier aber geht es um ihren praktischen Zweck, und der ist das Gegenteil: Die Vermeidung von Unausgeglichenheit und Streit. Versöhnung will die Harmonie einer Wesensbehauptung im bestehenden Leben der Menschen. So schaltet Versöhnung als Prinzip Streit und Auseinandersetzung von vornherein aus und macht sie an sich schon unsinnig, unwesentlich, peripher. Er gehört damit nicht mehr zum Leben, sondern stört es. Es ist das Prinzip einer repressiven Angleichung. Solche Versöhnung verlangt den Gleichschritt als Gewohnheit und befürchtet, dass eigene Schritte die Ordnung stören. Von daher dient Versöhnung als Legitimationsbegriff zur Unterdrückung von Eigenheiten, die unangemessen erscheinen.

Die Unangemessenheit gegen höhere Bestimmung war in der christlichen Glaubenslehre die Erbsünde, die Schuld gegen das Prinzip der Wesensordnung der Welt. Mit der Hellingerschen Psychologie wird diese Sünde zur Krankheit, die das Vergehen an der Ordnung bestraft. Sie beweist die „Unfähigkeit“ von Menschen, hiernach zu leben. Das macht seine Theorie sinnfällig und ganz einfach und ganz praktisch, denn schließlich ist Unfähigkeit nur eine noch nicht vorhandene Fähigkeit. Die Verschuldung der Menschen an der Ordnung der Liebe verlangt einfach nach der Fähigkeit, gekränkte Liebe zu entschuldigen, und das Böse das dem Guten angetan war, damit aus der Welt zu schaffen. Da Hellingers Verständnis hiervon aber das Leiden, welches der Verstoß hervorruft, selbst als Krankheit, also als Kränkung des Täters ansieht, verlangt dieses ja auch selbst Entschuldigung, also Versöhnung. Es zeigt sich innerhalb dieser Auffassung des Bösen dieses also selbst auch als Gutes, wenn es die Führung erfährt, durch die es sich aus seiner Schuld befreien lässt. Wichtig hierfür ist die Behauptung eines identischen Interesses von Täter und Opfer und ihre prinzipielle Einigkeit in der Tat. Das ist zwar ein Schlag gegen jedes wirkliche Verhältnis, aber der Hauptgewinn für das seelische.

Das kann man auf die ganze Welt übertragen: Wer sich an ihrer Ordnung vergeht, ezeugt Leid. So braucht es einen Führer, der dies verhindert oder die Welt auf ihre Ordnung zurückführt und erlöst. Das Therapiekonzept von Hellinger enthält ja schon vom Ansatz her diese große Dimension. Allgemein verstanden kann also die Versöhnung der Menschen mit der Welt auch die Wiederherstellung der Weltenordnung bewirken. Damit erst wird beides, Seele und Welt als Naturtatsache der Seele herausgestellt, als Welt, welche Seele hat, - also Seele, die zugleich als Geist, eigentlich als Weltgeist fungiert. Das Helliner-Institut erklärt dies auf seiner Web-Site folgendermaßen:

„Der Blick auf die Bewegungen der Seele macht Kräfte erkennbar, die über das aufgestellte System hinaus wirken und sich der unmittelbaren Einflussnahme entziehen. In dieser systemischen Sicht zeigen sich Grenzen, die - für manchen "Helfer" mehr als unerwartet - zu einer Haltung der Demut auffordern. Diese ist frei ist von Unterwerfung, macht frei zum Schauen auf eine wirkende Seele, die größer ist, als wir selbst. Damit wird Helfen nicht unmöglich, vielmehr scheint eine andere Art des Helfens auf. Es führt vom intentionalen Handeln zum "Geschehen lassen" - ohne sich Verstrickungen und deren Ursachen ohnmächtig auszuliefern - und ohne den Blick auf das Ganze zu verlieren. In dieser Zurücknahme gelangt Hellinger heute zur Bewegung des Geistes. Der volle Blick auf das Leben, den er verlangt, erträgt auch den Konflikt, ja stimmt ihm als Urkraft der Entwicklung zu, löst die Unterscheidung zwischen Gut und Böse auf. ... Mit dem Blick auf das Große Ganze, wird Familienstellen endlich zur angewandten Philosophie.“ (Einführung in "Helfen und Helfen lassen" Hellinger-Vortrag vom 9.-11. Februar 2004 in Garmisch-Partenkirchen auf http://www.hellinger.com/deutsch/virtuelles_institut/)

Die Weltenordnung zeigt sich für Hellinger also im Allgemeinen wie im Einzelnen. Sie verlangt einfach nur deren Versöhnung, zu der die Menschheit bisher offenbar noch nicht in der Lage war, weil sie Täter und Opfer nicht in ihrem Interesse gleichgestellt begriffen hatte. Diese Gleichstellung ist die Grundlage für eine psychologische Ethik, die Hellinger nun zu verwirklichen gedenkt. Der Psychologe wird so zu einem Weltverbesserer, zu einem Heilslehrer, der sich als Philosoph verstehen will, der sich psychologisch begründet, als Sophistiker der Seele, der sich nicht nur mitteilt, sondern der auch wirkt, ohne mit Wirklichem zu tun zu haben. Natürlich geht es dabei nicht um die Welt, sondern um die Ordnungsprinzipien, die Hellinger schon immer zu verkünden hatte. Aber die werden jetzt weltlich. Streit gibt es ja überall Und so wird die Versöhnung zu einem wirklich notwendigen Verhalten in der Welt und damit endlich zur weltlichen Botschaft, zu der es Hellinger schon immer bringen wollte. Es ist die Botschaft, dass jede Tat einen Sinn hat und dass Opfer von daher auch nötig sind. Geschichte ist nichts als die Verwirklichung dieses inneren Gemeininteresses von Täter und Opfer. Wo alles gemein ist, wo es sich eint, da ist es zwangsläufig versöhnt. Also zwingt jede Versöhnung auch zu einer Verallgemeinerung, jedwede Tat auch zu jedwedem Opfer.

Hellingers Versöhnungsprinzip ist das Handwerkzeug eines allgemeinen Menschenbildes, das sich nun ausbreiten kann wie eine notwendig gewordene Therapie, eine Therapie der Menschheit für eine Welt, in der sich die Hellingersche Vorstellung vom Menschsein verallgemeinern soll und die also nicht jammern soll, wenn sie Opfer bringen muss. Hellinger will ihr Arzt sein, ihr Übermensch, der allzu menschlich sich übermenschlich weiß und gibt, das Opfer versteht, wie den Täter und beiden dazu verhilft, endlich Mensch in seinem Sinne zu werden. Das verlangt Größe, eine große Seele, eine Güte, die dem Bösen den Weg weisen kann, die ihm zeigt, dass es selbst nur Gutes will. Das ist aus der Geschichte der Hellingerschen Lebensauffassung konsequent hervorgegangen. Es ging und geht ihm um die Weltpsyche jenseits von wirklicher Geschichte und also um eine Psychologie, die zugleich seine Philosophie der Welt ist, die sie zur Psyche macht, überhaupt nur psychische Welt als Welt schlechthin begreift, die von denen Opfer verlangt, die nicht Täter sein können. Das verlangt einen bestimmten Schritt, eine Art Inszenierung für das ganz Große. Für das ganz große Gute muss es natürlich das ganz große Böse sein.

Die bisher noch in ihrer Hausordnung eingebunkerten Hellinger-SchülerInnen mussten sich erst mal die Augen reiben. Es ging plötzlich um etwas, woran sie im Traum nicht gedacht hatten: Die Versöhnung mit dem Bösen, mit Hitler stand an:

"Hitler. Manche betrachten dich als einen Unmenschen, als ob es je jemanden gegeben hätte, den man so nennen darf. (...) Wenn ich dich achte, achte ich auch mich. Wenn ich dich verabscheue, verabscheue ich auch mich. Darf ich dich dann lieben? Muss ich dich vielleicht lieben, weil ich sonst auch mich nicht lieben darf? Wenn ich bekenne, dass du ein Mensch warst, wie ich es bin, dann schaue ich auf etwas, das über uns beide in gleicher Weise verfügt, auf etwas, das sowohl deine wie meine Ursache ist - und unser Ende. Wie dürfte ich mich von dieser Ursache ausschließen, indem ich dich ausschließe? Wie dürfte ich diese Ursache anklagen und mich so über sie erheben, indem ich dich anklage? Doch ich darf auch kein Mitleid mit dir haben. Du stehst und fällst der gleichen Ursache wie ich. Ich verehre sie in dir wie in mir und unterwerfe mich ihr in allem, was sie in dir bewirkt hat und was sie sowohl in mir und als auch in jedem anderen Menschen bewirkt". (Bert Hellinger 2004 in "Gottesgedanken" S. 247).

Man könnte meinen, da ist der Autor durchgeknallt. Man soll sich nur lieben können, wenn man Hitler liebt? Wer Hitler verachtet, der würde sich verachten? Wer dessen Taten unmenschlich findet, ist selbst ein Unmensch? Will er, dass wir alle Hitler lieben und achten müssen, dass wir Nazis werden sollen?

Nein, so platt ist Hellinger nicht. Es geht ihm tatsächlich um das Fundament seiner Glaubenslehre, von der allerdings noch niemand so recht begriffen hatte, dass es eine ist: Erst Gut und Böse macht Versöhnung aus; ihre Handhabung und Vermengung ist die Notwendigkeit einer Ethik, die den Menschen abverlangt, dass sie die Welt so nehmen müssen, wie sie ist. Wenn sie sich als Psychologie versteht und nicht als Bewertung und Urteil, also moralisch auftritt, sondern als psychologische Intervention konkret und praktisch durchsetzen will, dann muss man sich eben auch mit dem Bösen versöhnen können, Täter und Opfer in ein und demselben Interesse begreifen. Und das verlangt er von uns allen. Wir sollen es ertragen müssen, dass Hitler wieder als Mensch in uns sein kann, denn das ist die Bedingung, dass seine Behandlung auch bei uns ankommen kann, unser Mitleiden Wirklichkeit vergessen lässt und vergessen macht, was Geschichte ist.

Die Gleichsetzung von Hitler als Mensch und Hitler als Geschichtsfigur ist eigentlich schon für sich lächerlich. Was aus dem Menschen Hitler schon alles gemacht wurde, war immmer schlecht für die, die er auslöschen wollte. Diese verklemmte Kreatur taugt ja auch wirklich zu fast allem, was Gewaltherrschaft ausmacht. Den Nazis und dem Finanzkapital jener Zeit diente er dazu, Kriege anzuzetteln, um die deutsche Wirtschaft zu sanieren; der Kapitalwirtschaft diente er zur Ablenkung von den tödlichen Spiralen ihrer Wirtschaftskrisen, um die „Macht des Willens“ über sie zu stellen und für Hellinger taugt er zum Seelenbündnis. Hitler als Mensch ist nur ein Mythos, der für alles steht, der aber durch sich und seine spießigen Lebensvorstellungen und kindischen Träume weder eine menschliche noch eine geschichtliche Größe entwickeln konnte. Er wurde eine Figur der Zerstörung, weil Geschichte bereits zerstört war, und er kam an die Macht kam, weil man solche Typen brauchte, um dies zu Ende zu bringen. Und dafür alleine taugt eine Psychosophie wie die von Heidegger und Hellinger. Sie erklärt Wirklichkeit für nichtig und besorgt dann auch ihre Vernichtung.

Man kann nicht glauben, dass er zu Hitler auch nur die geringste Beziehung hat. Er will durch ihn nur schlicht und brutal an sein großes Ziel gelangen, für das jene Zeit Maßstäbe gesetzt hatte: Alle Geschichte zu einer Geschichte der Seele zu verkehren und damit alle Wirklichkeit zu einer Wirklichkeit der Seele zu machen. Damit wird alles zum Gegenstand seiner Psychologie, seine Behandlung des Psychischen zum Handeln schlechthin und er zum Behandler der Welt. Es braucht keinen Nationalsozialismus mehr, wenn solche Psychologie funktioniert. Schon der Weg dahin ist ein Vorgeschmack auf ihre Verfahrensweise, der Witz ihrer Taktik: Wer Hitler als Unmensch begreife, sei selbst einer. Um selbst als Mensch zu gelten, müsse man Hitler anerkennen. Und um ihn zu überwinden, dürfe man ihn nicht hassen. Also müssen wir ihn lieben.

Das ist zwar verquer aber logisch. Es ist die Botschaft der Wesenslehre, die Hellinger in der Logik von Martin Heidegger vermittelt. Und deren Hintergrund ist ein Wissen um die Ereignishaftigkeit von inszenierten „Wahrheiten“ für seelische Identität gegen wirkliche, logische Anwendung von Psychosophie: Habe ich mich damit vertraut gemacht, dass mir Hitler als Mensch gewahr ist, dass sich mein Menschsein in ihm ereignet, so werde ich Teil seiner Wahrheit: Ich lasse ihn und seine Gedanken zwangläufig auch in mir zu. Es geht also garnicht um den Menschen Hitler sondern um seine Gedanken. Das soll der Versöhnungsbegriff vertuschen. Doch das merkt man vielleicht erst später wenn Hellinger sich zum Judentum äußert oder zur Weißen Rose oder zur Waffen-SS.

Es ist jedenfalls geschickt, auch wenn er hiermit erst mal von seinen Verehrern Probleme bekommen hatte. Das kapiert eben nicht mehr jeder sofort. Es ist ziemlich doppelbödig und das ist so gewollt. Hellinger ist nicht alt geworden, dumm oder einfältig. Das Vermögen, die wirklichen Konsequenzen von einem solchen Akt zu kennen, kann man ihm nicht einfach absprechen. Er ist wirklich ein rechter Heilslehrer und verehrt rechte Mystik und verkehrt in rechten Kreisen (vergl. hierzu Colin Goldner: „Ein Rottenführer der Szene“). Aber um einen Nazi-Staat geht es ihm nicht. Wohl aber um das Heil der Ordnung und um die Umkehrung von geschichtlicher Wirklichkeit zu seelischer, um die Macht seiner Psyche über die Welt. Und deshalb betreibt er die Einführung Hitlers durch die Hintertür der seelischen Ordnung: Durch das Gute in uns, das uns die Angst vor dem Barbaren nimmt. Der gute Übermensch weiß eben den bösen Übermenschen zu schätzen. Das fällt ihm gar nicht schwer, denn es dient letzlich nur ihm und seiner Sache, dem allgemein seelisch Übermenschlichen. Dieses ist die „hohe Ursache“. Die ist für Hellinger final, also endgültig und ewig. Darin ist er sich mit Hitler auch einig, wenn auch in ganz anderer Wirklichkeitsform. Suchte Hitler die übermenschliche Seele als Volksseele im faschistischen Staat zu verankern, so geht es Hellinger um die Allgemeinseele als soziales Prinzip des Zusammenlebens, als Psychokratie. Es ist das Höchste, wozu es Psychologie bringen kann.

In fast jeder Psychologie steckt eine gehörige Portion einer Seelen-Ethik, eine Ideologie des guten Menschseins, Monismus des Guten. Schon der Begriff von Seele, den wir latent und ohne besseres Wissen mit uns rumschleppen, macht sie zu unserem guten Geist, zu einem an sich unergründlichen Wesen unserer Persönlichkeit, zum guten Kern unserer Individualität und Individuation. Der kann eigentlich nur von Außen gestört werden, von der Lebenshärte, den Bedingungen der bösen Welt, von den Verhältnissen in unserer Gesellschaft. Es macht bei solcher Begrifflichkeit Angst, wenn anerkannt werden müsste, dass diese gute Seele nicht unbedingt selbstverständlich ist und die individualisierte Gesellschaft in uns unbedingt besser sein müsste, als die wirkliche. Dieser Begriff des guten Wesens steht doch aber für unsere Identität. Und die Gespaltenheit solcher Identität würde die Gewissheit jeder Entwicklung zerstören, den Glauben an uns selbst als positive Kraft der Geschichte. Wenn wir Seele so begreifen, dann haben wir ein Problem mit Hitler: Warum wurde er von den Deutschen gewählt und noch weit über den Zusammenbruch Deutschlands hinaus verehrt? Wie konnte sich „das Böse“ mitten unter den Menschen stark machen? Diese Fragen hatten Sigmund Freud dazu gebracht, den Todestrieb einzuführen, denn er konnte mit der seelischen Entfaltung des Luststrebens nicht mehr erklären, warum Menschen dieses Streben so grundlegend zu pervertieren vermögen. Das ließ sich nicht mehr durch Abwehr- oder Verdrängungsmechanismen begreifen. So erklärte es sich ihm nur noch als eine ontische Selbstzerstörungswut und erbrachte die notwendige und folgenschwere Abwendung von seinem ursprünglich emanzipatorisch gemeinten Hedonismus.

Hellinger löst dieses Problem als Argument für sich auf, indem er mit Hitler zweierlei deutlich macht: Wir alle haben auch das Böse in uns und wir alle können es überwinden. Es ist die Spannung dazwischen, die moralische Diskrepanz, die zu seiner psychologischen Praxis taugt. Das Gute ist gefragt und das Gute kann sich nur im Bösen bewähren; dadurch erst wird es zum absolut Guten. Um das eine zu erreichen, muss das andere damit aufgehoben werden: Das Böse muss dem Guten dienen. Hellinger sucht eben nicht einfach nur das Gute und Schöne zu vermitteln, wie es die platte lebensberatende Psychologie mit Esoterik und positivem Denken betreibt. Ihm geht es um das Ursprüngliche, um die gesunde Ordnung. Aber dafür muss man auch zu einem Verhalten gegen das Kranke bereit sein: Man muss für das Gesunde gerade stehen und eingreifen und das verlangt vor allem Macht über "das Böse", Rechtfertigung und Gewalt dadurch, dass es vernichtet werden muss. Das Heil unseres „Schicksals“ liegt ganz in unserer Hand. Und wenn alles Unheil erstmal darin zusammengepackt ist, dann kann man es im Keim ersticken. Das ist simpel und die Logik jeder Mythologie, die auf dem gründet, was sie ausschließen will, auf diesem Wesen, das so gut erscheinen mag, obwohl es böse ist.

Das konservative Denken wird dadurch reaktionär, dass es sich solchen Mythos zu eigen macht, sich durch das Raunen dieser unheilvollen Wesenstiefe beeindruckt hat. Eine Bereitschaft hierfür steckt schon in der Esoterik selbst, die voll ist von Schwingungen und Kräften, von Energien und Kraftfeldern, von guten und bösen Stoffen und dergleichen mehr. Das Böse ist der Gegner und jeder Gegner ist böse. Der Mythos heftet sich leicht an alles, was feindlich erscheint, solange es unerkennbar, unbegreifbar, also fremd ist. Ihn muss man sich nutzbar machen, um geistige Verhältnisse, um Leben und Kultur der Menschen zu bestimmen. Daraus erst besteht die wirkliche psychologische Macht. Der Mythos des Bösen ist die Mythologie des Guten und dieses gilt darin als einzige Gewähr des Überlebens inmitten der Zerstörungsprozesse, in die wir gestellt sind, bzw. in die uns „das Schicksal“ gestellt hat. Hellinger ist hochgerüstet mit Güte gegen jeden Gegner, sei er nun wirklich oder nur vorgestellt. Und er überliefert sein psychologisches Programm hierfür: Es bietet die psychologische Fähigkeit, einen Gegner nichtig zu setzen durch dessen menschliche und seelische Ausschaltung: Man muss erst zulassen, was man bekämpft, es erst öffnen, bevor man es aufhebt. Man muss darin einbrechen, es erst bestätigen, um es dann zu vernichten.

"Es ist gut, dass du so böse bist" (Hellinger in "Die Entrüstung", Vortrag vom 11.5.2003). Darin ist sich der versöhnte Mensch sicher, dass er die Güte des Menschseins verkörpert, dass er der gute Mensch, der Mensch schlechthin ist, in welchem sich auch ausdrückt, was Menschlichkeit überhaupt ist. Zugleich ist er sich sicher, dass er das Böse kennt. Er ist sich sicher, dass es nichts wirklich Wesentliches gibt für das Verhalten in den Verhältnissen dieser Welt. Sie muss geschehen, wie sie ist, muss getan werden. Und Ihre Opfer gehören dazu wie ihre Täter, ja: Opfer müssen sein. Die Geschichte kann nur vorankommen durch sie. „Und das ist gut so“ (Gerhard Schröder).

Der gute Mensch ist der eigentliche Täter, der die Opfer kennt, die er verlangt. Er ist nicht nur Träger der Macht und deren Verwirklicher, er ist auch darin gut, dass er Opfer verlangt. Ihm ist dies gleichbedeutend mit dem seelischen Wesen des Menschseins, das als Allgemeinwesen sich zwischen Tat und Opfer ausbreitet und durchsetzt - dank der verfügbaren Mitteln der Macht und ihrer Gewalt. Aber um dies Menschseins geht es und um dieses soll es gehen: Um den in dieser Seelenwelt gleichgeschalteten Menschen, der Tat und Opfer erträgt und sich dadurch erhofft, dass sich hierdurch der zur Hellinger-Seele erweckte Mensch bilden und entfalten wird. Es ist das Bild des modernen Übermenschen, der Einheitsmensch der Seele, worin alles wirklich menschliche gleich gelten und alle Wirklichkeit im Grunde gleichgültig sein soll. In dieser angezielten Unterschiedslosigkeit des Menschseins wird der Einheitsmensch zum sozialen Maßstab und zum Lösungsprinzip für alle Probleme, die es als Krise des Kapitalismus wirklich gibt. Es ist die Grundlage für einen krisenfesten Sachzwang, der daurch fortbesteht und sich entfaltet, dass die Menschen darin alle Notwendigkeiten des Tuns und Opferns in ihrer Seele auf sich nehmen und sich hierfür an die Fachleute wenden, die ihnen dies fortwährend vermitteln. Aufstellungen wird es dann auf Krankenkasse geben. Es wäre, was Orwell mit dem „großen Bruder“ beschrieben hatte.

Hellingers Theorie ist das Modernste, was die Psychologie als reine Theorie, als Lehre von der Seele, zustande gebracht hat. Sie sollte sich dessen eingedenk und auch klar darüber sein, dass sie daran beteiligt war und ist.

 

Die Politik mit der Seele - oder die Psychokratie

Man muss es ihm lassen, dass er sehr nahe an das Selbsterleben der Menschen herangekommen ist, an die Alltagsempfindungen und Gefühle, an die Grundlagen zwischenmenschlicher Lebensbedingtheit und an die Schmerzen der Liebesverhängnisse. Das hat auch viele intelligente Menschen angezogen, die weder politisch klar nach rechts tendierten, noch durch langjährige Esoterik-Übungen verwirrt worden waren oder süchtig nach „höherem Wissen“. Was Hellinger sich da aus der ganzen bisherigen Psychologie zusammengemischt hat, trifft ihre Funktion und ihren Umgang mit Wissen und Begriffen zumindest an dem Punkt, wo er ihre Phänomenologie zusammenfasst. Wie Menschen wahrnehmen und fühlen, das hat er erkannt – und auch, wie dies allgemein in der Familie jenseits aller Bewusstheit stattfindet.

Aber Hellinger zieht hieraus keine Schlüsse auf das wirkliche Leben der Menschen, auf ihre konkreten Verhältnisse und Lebensbedingtheiten. Umgekehrt: Er nutzt dies alles zur Etablierung seiner Weltenordnung, in der alles aufgehoben ist, was wirklches Leben ausmacht, indem darin alles aufgelöst werden soll, was unversöhnt ist. Daher geht es ihm nicht wirklich um die Arbeit an und in den Erkenntnissen der Menschen, die er ansticht, anstachelt und benutzt, sondern um deren Verformung zu einem ordnungsgläubigen Bewusstsein, in das sie eingebunden werden wie die Fliegen an die Leimstange. Das macht sein Werk erst wirklich gefährlich, ja, teuflisch: Wo er für die Leiden der Menschen Freiheit, Gesundheit und Glück verspricht, da erzeugt er Unterwerfung an seine Prinzipien. Und diese blenden vor allem die Bedürfnisse nach Erkenntnis, nach Licht in den dumpfen Abhängigkeiten und Bedingtheiten des Lebens, aus, die eigentlich zu ihm geführt hatten. Sie werden überdeckt von Antworten, die alles auflösen durch Vorstellungen, die unter gewöhnlichen Umständen keine Chance mehr hätten, in dieser Plattheit überhaupt ernst genommen zu werden: Demut und Versöhnung, Liebe und Ordnung, Leiden und Würdigen - Schicksal. Doch mit dem Beiwerk von esoterischem Zauber kann ihm gelingen, sie als Methode der Selbstausrichtung zu verwenden. Und darin liegt sein Ziel: Wenn die Menschen darin ausgerichtet sind, dann ist endlich Ruhe im Land ...

Hellinger gibt sich sehr viel liberaler und sehr viel unbedarfter, als er in Wirklichkeit ist. Er ist eigentlich jetzt erst so richtig politisch tätig geworden, zu einem politischen Psychologen wie einem psychologischen Theologen in einem. Es ist die Politik der "Menschenliebe", die er als Lebensnotwendigkeit vorstellt und nützlich machen will im Prinzip der "Versöhnung und des Ausgleichs". Die Wirklichkeit erscheint dabei nur noch als Sandkastenspiel der Betroffenheiten, die von nichts Wirklichem betroffen sein sollen und also auch leicht zu bewältigen sind. Nicht, dass die Wirklichkeit nicht mehr vorkäme. Im Gegenteil: Sie wird mehr denn je thematisiert. Hellingers Spektrum greift längst weit über die bornierten Grenzen des Familienlebens hinaus. Seine Aufstellungen drehen sich jetzt auch um Kriege, Geschichten, Ideologien, Lebenshaltungen usw. Der Israel-Palästina-Konflikt kommt dort geauso vor, wie Holaucaust, Golfkrieg, 11. September, Terrorismus und anderes mehr.

Und so prescht Hellinger mit seiner „Psychologie der Menschenliebe“ jetzt auch offen gegen seine politischen Gegner vor. Diese macht er daran fest, dass sie die Welt nicht so sein lassen können, wie sie ist, dass sie die immer kritisieren würden und über alles mögliche entrüstet seien. Da tritt er dann sogar auch mal wieder so auf, wie er es verabscheut - mit Fürsorglichkeit:

"Denn Entrüstete sind in der Regel nicht eher befriedigt, bis sie die Täter vernichtet und gedemütigt haben, selbst wenn es die Leiden der Opfer verschlimmert." ("Die Entrüctung", aaO)

Ja. Hellinger steht auf der Seite der Opfer, wenn es um die Täter geht. Und er steht auf der Seite der Täter, wenn die Opfer dran sind. Dies ist zumindest in der Politik neu: Um die Sache selbst geht es überhaupt nicht mehr. Es geht um ihre Erträglichkeit für beseelte Menschen. Das eben macht beseelte Politik und ihre politische Absicht aus: Sie will den Ausgleich der Gewalt, um für sich so walten zu können, wie es ihrem Willen entspricht und nicht wie es wirklich ist. Es ist das Konzept für politischer Willkür.

Eigentlich müssen sich politische Entscheidungen an der Wirklichkeit orientieren und die Menschen, ihre Wähler, von ihrer Richtigkeit überzeugen. Hier ist es umgekehrt: Die Entscheidung ist prinzipiell beliebig, solange sie dem aktuell mächtigen Willen nützt. Der Wähler muss hierfür garnicht mehr irgendeine Sache, irgendetwas wirkliches kennen, für das entscheiden wird. Er muss nur dem Willen vertrauen. Und das entsteht dadurch, dass er seine Absichten schmackhaft gemacht hat. Da hat Wirklichkeit nichts mehr zu sagen.

Politische Absichten benutzen Gefühle, um ihre Vorstellungen und ihren Willen durchzusetzen. Um dies geht es Hellinger, wenn er sich als Psychologe und Philososoph poltitisch artikuliert. Nicht, weil er sich um die Zukunft von Wählbarkeit der Politiker Gedanken macht, sondern weil er selbst die ganze Welt politisch behandeln will. Wenn er die ganz großen Dinge anrührt, die Notwendigkeiten der großen Bühne, die Versöhnung mit Hitler, die Täterenergie der Nazis, den Holocaust, den Irak-Krieg, den Terrorismus. Da entkommen ihm hie und da seine wahre Auffasssung der Verhältnisse, von denen er meist in so mildem Tonfall daherredet. Nicht, dass es ihm versehentlich entschlüpft. Er will es streuen, unterschieben, wirken lassen. Und da verhilft vor allem seine Gleichgültigkeit gegen die Wirklichkeit, gegen die Welt der Taten, zu einer Aufhebung des Unterschieds von Täter und Opfer, Aktion und Reaktion. Täter ist damit immer auch Opfer. Besser kann man die Grundlagen reaktionärer Sichtweise nicht formulieren. Und deshalb redet Hellinger so viel über die Welt, von der er eigentlich nichts will, als sie zu lassen wie sie ist. Er will Wirklichkeit gleichschalten, den Menschen sagen, dass sie eigentlich nichts bedeudet. Und er will die Menschen gleuichschalten und ihnen sagen, dass sie selbst als Opfer auch die Täter sind, Opfer und Täter in einem. Das zeige sich überall, wo man „in die Tiefe“ geht, besonders und wiederum und zum wiederholten Male an den Juden, wie sie sich selbst untereinander zum Holocaust und den jüdischen Opfern dort verhalten hätten:

"Es war dort am Anfang verpönt, von den Opfern des Holocaust zu sprechen. Man hat sie als Feiglinge abgestempelt. Aber indem man sie ausgeklammert hat und indem man die Täter nicht haben wollte, hat man von den Tätern deren Energie übernommen. Man sieht das im Verhalten von vielen Israelis den Palästinensers gegenüber. Weil man den Tätern keinen Platz geben wollte, wird nationalsozialistische Täterenergie unbewusst übernommen." http://www.hellinger.com/deutsch/virtuelles_institut/bert_hellinger/vortraege/judentum_in_unserer_Seele.shtml

Das ist so hinterhältig formuliert, wie es nur einem sehr bewussten Mann möglich ist. Hellinger schmiert Verstand und Bewusstsein mit einem vermeintlichen Wissen zu, das garnicht gefragt ist, wo er es einbringt. Und er bringt es nur ein, um den Menschen Beispiele zu vermitteln für seine Heilpraxis. Ihm geht es bei alledem angeblich nur um eines: Um die Harmonie des Gewissens, um die Einheit des Selbstgefühls, um das Glück der Menschen. Doch das ist nur insoweit wahr, wie es allen Politikern nur darum geht, wenn sie an die Macht wollen, an die Macht als Linke oder Rechte oder als Faschisten. Es ist der Populismus der Politik, der sich so begreift und sich auch so verwirklicht.

Der Populist Hellinger nutzt Psychologie, verhält sich zu Menschen, die nicht nach politischen Taten verlangen, sondern nach Klarheit für sich und ihr Leben und manchmal auch Hilfe brauchen für ihre Leiden und „Verstrickungen“. Sie geraten bei Hellinger an einen politichen Psychologen, der zugleich psychologischer Politiker ist, ein Heiland, der die Welt verbessern will, indem er die Menschen von ihren „Verstrickungen“ befreit, ihnen die Ordnung vermittelt, die er als allgemeingültiges Lebensprinzip erkannt und begriffen haben will. Er will nicht politisch sein, sondern alle Politik durch sich aufheben. Wie einst Jesus verbindet er Heilung mit dem Heil des allgemeinen Lebens. Er verhilft den Menschen zu Entlastungen, indem er sie ihrer Welt enthebt und er will die Welt verbessern, indem er die Menschen nach seinem Willen und seinem großen Ziel „verbessert“. Er will die Welt gestalten, indem er die Menschen gestaltet, da ist er ganz eins mit seinem großen Vorbild Heidegger, dem Philosophen des Nationalsozialimus, dem „Hitler des Denkens“ (Martin Buber). Und er hat noch einiges vor. Nicht von ungefähr hat er sein Quartier und sein Institut auf den Obersalzberg gelegt - direkt in Hitlers Urlaubs-Reichskanzlei, in dessen Privatwelt, die zugleich politische Welt war. In Hitlers einstigem Arbeitszimmer entwickelt er jetzt seine Zukunftspläne.

Er will mit seinen psychologischen Fähigkeiten eine Politik der Lebensgefühle entwickeln, des versöhnten und versöhnlichen Menschseins durch Allgemeinansprüche der Selbstgefühligkeit, das er als das Mitmenschliche schlechthin begriffen wissen will. Darin soll alles durchgehen, was versöhnbar ist. Auch die härteren Dinge des Lebens, z.B. der Terrorismus. In einem Interview mit Hans-Joachim Reinecke meint Hellinger daher zum 11. September 2001 - ganz im Gegensatz zur ansonsten aufgeregten Welt über die Terroristen (am 31. Oktober 2001):

"Ich sage einfach, dass wir tief in der Seele Mitmenschen sind, und dass wir sowohl die einen Opfer beklagen als auch die anderen. Wir fühlen uns als Menschen mit beiden verbunden. Das ist eine menschliche Regung. Sie ist die eigentliche Voraussetzung für Versöhnung. Insofern halte ich das für eine wichtige Bewegung. Sie wirkt dämpfend auf jene, die meinen, mit überheblichen Vorgaben oder überheblicher Taktik im Sinne von "Wir besiegen die und rotten sie aus." Sie werden damit in ihre Schranken verwiesen. Insofern hat diese Gegenbewegung in den Seelen eine heilsame Wirkung. Gleichzeitig muss man sehen, dass auch die anderen in Ihre Schranken verwiesen werden müssen. Es ist für viele schwer einzusehen, dass oft erst Ohnmacht Frieden stiftet."

Wirkliche Aufregung und Gefahr oder eine an der Wirklichkeit orientierte Aussage gibt es nicht. Hellinger spricht als Psychologe über Politik wie ein Pfarrer über Gefühle, die hiervon unberührt scheinen, Gefühle, nicht wie sie sind, sondern wie sie sein sollen. Wir sollen Ausgleich darin haben, beides zu empfinden, Tat und Wirkung, und doch nicht betroffen sein von dem einen oder dem anderen, beides wahrnehmen und sogleich in uns versöhnen, in uns aufheben. Selbstgefühl entsteht eben nur wirklich, wo Wirklichkeit ausgeschaltet werden kann. Da kommt ihm die Selbständigkeit der allgemeinen Seelenlage entgegen. Die bürgerliche Seele selbst verkehrt schon immer gerne die wirklichen Verhältnisse in ihr Gegenteil, macht sie selbst schon zu Bestandteilen des Selbstgefühls: Nicht was geliebt wird, macht Liebe aus, sondern das Gefühl hierbei. Hellinger verabsolutiert diese Verkehrung als solche und isoliert sie als die Liebe, mit der er hantiert: Die Hilfreichung der Selbstgefühle.

Und darin findet er schließlich auch seine Gegner in denen, die hierfür nicht hilfreich sind: Die kritischen Intellektuellen, die Aufgerührten und Empörten, die Aufständigen und Fordernden. Deren Begehren ist für ihn nichts als pures Unvermögen, die Welt so zu verstehen, wie sie ist. Das ist Lieblosigkeit gegen alles bestehende, gegen der Menschen und Gottes Werke. Und wo Liebe fehlt, da ist dann alles umgekehrt: Empörend ist die Empörung! Nicht was empörend ist, sondern die Empörung ist es selbst.

"Die Entrüstung ist in erster Linie moralisch. Das heißt, es geht hier nicht um Hilfe für jemanden, sondern um die Durchsetzung eines Anspruchs, als dessen Vollstrecker sich der Entrüstete darstellt und fühlt. Daher kennt er im Gegensatz zu jemandem, der liebt, kein Mitleid und kein Maß." ("Die Entrüctung", aaO)

Wo er seine Gegner behandelt, da kehrt sich bei Hellinger alle Wahrheit um. Seine Weisheiten erweisen sich insgesamt und praktisch auf diese Weise als eine gigantische Paralyse mit System: Seine Sätze hier bestreiten, was seine Sätze dort vertreten – je nachdem, wie es für das angeschnittene Thema beliebt. Hier hält er mangelndes Mitleid seinen Gegnern vor, für sich hält er Mitleid für falsch, weil seine Philosophie "keinerlei Bedauern" kennt, weil es für sie nämlich nichts Schlimmes gebe, weil sie eben von den Notwendigkeiten des Schicksals wisse. Hier ist er gegen Moral, weil sie Ansprüche setzt, dort hält er sie für nötig, weil es "Gesetze der Liebe" geben muss. Er gibt vor, gegen Gewalt und Herrschaft zu sein, aber wer sich gegen Naziherrschaft und Krieg entrüstet, der wolle einen Anspruch durchsetzen, und sei damit genau wie sein Gegner! Hellinger ist vollkommen willkürlich. Insgesamt vor allem gegen Kritik und Protest und gegen Demonstranten.

"Jetzt schaut euch mal die an, die gegen die NS-Verbrecher Stellung beziehen und sagen: "Nie mehr! Das darf nie mehr passieren." Wie viel Kraft haben sie? Sie gehen auf die Straße manchmal und werfen Steine und werden genau wie die, die sie verdammen." (Hellinger in "Helfen und Lieben").

Die Grundlage eigener Identität, die Selbstunterscheidung in der Bildung des Kritikvermögens, wird zum wichtigsten Gegner dieser Helfer-Psychologie. Sie will ja auch nur dazu verhelfen, Menschen an die herrschenden Ordnungen heranzuführen, sie darin einzuvernehmen und ihre Verstrickungen in die Urgründe des Gegeben zu übermitteln. Die Ruhe, die dort entsteht, ist eine zur Identitätslosigkeit getriebene Gemütslage, die Einfältigkeit eines bodenlosen Selbstverständisses, die Geborgenheit im Kosmos des Schicksals. Mit ihm sich zu versöhnen verlangt die Selbstaufgabe aller wirklichen Erkenntnis.

Hellinger ist von altem Schrot und Korn, aber die Praxis als Missionar und Pfarrer und Psychologe hat ihn gelehrt, dies in Sanftmütigkeit zu hüllen, durch weltliche Werte zu hinterlegen und vor allem durch esoterische Praxis zu übermitteln. Aber er selbst ist knallhart für die gute Sache, die er in seine Sophistik verhüllt, wenn er über die Nationalsozialisten schreibt:

"Philosophisch oder theologisch gesehen ist es nicht denkbar, dass jemand durch sein Verhalten aus der Ordnung herausfällt. Der Einzelne kann sich seine Rolle nicht aussuchen, und im Gesamten ist sein Verhalten sinnvoll." Im Gesamten sei "systemisch betrachtet" auch das Verhalten der Nationalsozialisten sinnvoll gewesen: "Wir wären in Europa weit zurück, wenn das alles nicht geschehen wäre." (zitiert nach Goldner: "Der Rottenführer der Psychoszene").

Menschliche Geschichte ist damit aufgehoben, verschwindet in der Vorsehung des Systems, ist Moment seiner Systematik. Das System wird somit selbst zum "Schicksal", systemisches Denken zu seinem Handlanger und Implikat. Das System erfüllt sich in jedem Fall. Also ist es besser, es auch gleich zu erfüllen, sich der Geschichte des Systems zu ergeben und darin zu tun, was sowieso getan werden muss. Wer sich dem beugt ist ihm auch würdig und weiter als alle Menschen, die sich ihm entgegensetzen. Das ist der Sinn des Ganzen.

Bei Hellinger wird zur Gesinnung erzogen, indem Würde vergeben und Demut verlangt wird und es wird Wirklichkeit zerstört, um über sie gestellt zu sein und allgemein zu sein im Selbstgefühl des Gerechten einer höheren Ordnung, eines Systems der Natur und der Welt, das jedes „Schicksal“ bestimmt hat, bevor es sich ereignet. Nur wer sein Schicksal in sich spürt und fühlt, ist dem ganzen Menschsein nahe gekommen, hat ein Wesen in sich, das andere erst erfahren und lernen müssen: Die Seele des Weltgeschehens. In diesem Sinne ist er mit sich und allen Menschen versöhnt und teilt den Sinn der Welt auch als seelische Gesinnung mit.

Psychokratie ist die Herrschaft eines Menschenbildes der Seele zur Gleichschaltung der Menschen. Dieses Bild leitet sich nicht mehr wie in der Religion aus dem Metaphysischen ab, sondern aus praktischer Notwendigkeit, aus dem Menschen, wie er sein muss, um möglichst reibungslos und konfliktfrei zu leben, gleichgültig, was seine Lebensverhältnisse für ihn sind. Und um dies geht es Hellinger wirklich. Wenn er über Gott spricht und verkehrt, dann meint er nur dies. er ist völlig areligiös, ohne jeden Glauben. Seine „Erkenntnisse“ können nur deshalb überzeugen, weil sie platte Anschauungen sind, Betrachtungen des Lebens, wie es praktisch vorkommt ... eben wie ein Baum, dem man beim Wachsen zuschaut. Aber er benutzt den Glauben und seine Metaphysik. Und dazu braucht er die Seele und ihre Probleme, als Menschenbild zur Bildung der Menschen.

Als Menschenbild dient ihm die Seele einzig zur Gleichschaltung allen Menschseins. Damit werden sie in ihrem Verhältnis zu ihrem konkreten Leben ausgeschaltet, ihr Kritikvermögen aufgelöst und die herrschenden Lebensverhältnisse zur Lebenswelt einer Menschenpsyche aufgerichtet, die zugleich Massenpsyche ist. Die herrscht darin als tote Menschlichkeit, als Psychokratie über das Leben der Menschen. Dies bedeutet die Herrschaft aller Verhältnisse über die Menschen und das ist nichts anderes als die Geistesform einer Herrschaft barbarischer Beziehungen unter den Menschen. Wo sich Macht gegen Menschen dadurch als notwendig behauptet und durchsetzt, dass sie als allgemeine Notwendigkeit den Menschen auferlegt wird, da herrscht auch immer Fashismus. Aber Hellinger ist kein Faschist, der einen starken Staat mit einer mächtigen Staatskultur will. Er will ja nur dessen Seele praktizieren, den Staat der Seele in die Menschen versetzen, sie zum Status des Menschseins kultivieren. Das kann ihm durchaus noch gelingen. Es wäre, was Orwell mit dem „großen Bruder“ beschrieben hatte.

 

Wolfram Pfreundschuh