Siehe

Zum Thema siehe auch  => Karl Marx



Aus: Wolfgang Schwerbrock: "Karl Marx privat"

(Paul List Verlag, München, 1962, List Bücher 230, S. 54 – 59)

Karl Marx an Paul Lafargue über Bakunin

London, 19. April 1870

 

Lieber Paul‑Laurent, ich werde am nächsten Dienstag  durch Dupont als Kandidat aufgestellt werden. In der Zwischenzeit richte bitte Dein Augenmerk auf die Anwesenlieit von Bakunins Agent, der in Genf alles in seiner Macht stehende tat, um das General Council zu diskretitieren (er griff es öffentlich in der Égalité an) und um die Diktatur von Bakunin innerhalb der Association Internationale vorzubereiten. Er ist ausdrücklich nach Paris geschickt worden, um in derselben Weise vorzugehen. Von dort muß der Bursche genauestens beobachtet werden, ohne daß er weiß, einen Spitzel an seiner Seile zu haben. Um Dich auf dem Laufenden zu halten muß ich Dir einen genauen  Bericht von Bakunins Kritik geben.

Bakunin gehörte nicht zur Internationalen - bis vor ungefähr 11/2 Jahren. Er ist ein Neuhinzugekommener. Beim Lausanner Kongreß im September 1868 der Liga des Friedens und der Freiheit war er einer vom Exekutivkomitee der Internationalen Mittelklassen­Vereinigung, die gegründet wurde als Gegenbewegung zur proletarischen Internationalen. Beim Lausanner Kongreß spielte er einen der Marktschreier und hatte Spaß daran. Er »schlug« eine ganze  Serie von »Vorschlägen« vor, die ihm wohl selbst töricht vorkamen, aber einen gewissen Radikalismus hervorriefen, der als Bürgerschreck gedacht war. Dabei wurde er von der Majorität ausgeschaltet, er hatte einen effektvollen Abgang und schlachtete ihn aus in der europäischen Presse. Er versteht die Reklame genau so gut wie Victor Hugo, qui - comme Heine dit, n'est pas simplement égoiste, mais Hugoiste ...

Dann trat er in unsere Association ein, und zwar in dem Genfer romanischen Zweig. Sein erster Schritt war eine Verschwörung. Er gründete die »Alliance de la Démocratie Socialiste«. Das Programm dieser Vereinigung war nichts als eine Serie von Resolutionen, die von Bakunin auf der Lausanner Friedensliga schon  ausgerufen worden waren. Die Organisation war eine Sekte, die ihre Zentrale in Genf hatte. Sie konstituierte sich als eine internationale Vereinigung, die selbständig internationale Kongresse abhalten wollte, die einen unabhängigen internationalen Körper formen und gleichzeitig eiiiintegrales Mitglied unserer Internationale sein sollte. Mit einem Wort: unsee Vereinigung sollte durch diese dazwischenspringende geheime Vereinigung nach und nach in ein Instrument des Russen Bakunin umgeformt werden. Der Vorwand war, daß diese neue Vereinigung gegründet wurde für den speziellen Zweck, theoretische Propaganda zu machen. Sehr spaßig, wenn man bedenkt, daß Bakunin und seine Meßdiener nichts von der Theorie wußten. Aber Bakunins Programm war die Theorie. Es bestand  in der Tat aus 3 Punkten:

1) Die erste Forderung der sozialen Revolution war die Abschaffung des Erbrechtes, vieillerie St-Simoniste, dont le charlatan et l'ignoramus Bakunin faisait l'éditeur responsable. Es ist evident: wenn man die Macht hat, eines Tages eine soziale Revolution vom Zaun zu brechen, par décret plésbiscitaire, so würde man Eigentum und Kapital abschaffen und würde deshalb keine Gelegenheit haben, sich mit dem Erbrecht zu beschäftigen. Andererseits würde die Verkündigung der Abschaffung des Erbrechts mehr oder weniger eine närrische Drohung sein - wenn man nicht die Macht hat und es absurd wäre, sie vorauszusetzen. - Es wäre dies eine Drohung, die das gesamte Landvolk und die ganze kleine Mittellkasse zur Reaktion zusammentrommeln würde. Angenommen zum Beispiel, die Yankees hätten nicht die Macht, die Sklaverei durch das Schwert abzuschaffen - welcher Schwachsinn, bei den Sklaven die Abschaffung des Erbrechts zu prokllamieren. Die ganze Sache beruht auf einem überholten Idealismus, der die augenblickliche Rechtsprechung als die Basis unseres ökonomischen Status betrachtet - anstatt zu sehen, daß unser ökonomischer Status die Basis unserer Rechtsprechung ist.

Alles was Bakunin wollte, war ein Programm, das mehr improvisiert war. Voilà tout. C'était un programme d'occasion.

 2) »L'égalité des différentes classes«. Einerseits die fortbestehende Existenz der Klassen anzunehmen, andererseits die égalité der Mitglieder zu unterstellen, dieser Unsinn zeigt uns sofort die schamlose Ignoranz dieses Burschen, der es zu seiner Sendung zu machen nicht sich entblödete, uns mit seiner Theorie zu entzücken.

3) Die arbeitende Klasse muß sich nicht mit Politik befassen, sie muß sich nur selbst organisieren durch Handelsvereinigungen. Eines schönen Tages werden sie durch die internationale alle Staaten ersetzen. Du siehst, was für eine Karikatur er aus meinen Doktrinen gemacht hat. Da die Obertragung der existierenden Staaten in Association unser letzter Schritt ist, müssen wir den Regierungen - diesen großen Handelsvereinigungen der regierenden Klassen erlauben, zu handeln wie es ihnen beliebt, weil es heißt, sie anerkennen, wenn wir uns mit ihnen beschäftigen. Warum? Auf die gleiche Weise sagten die alten Sozialisten: man muß sich nicht mit der Lohnfrage beschäftigen, weil man Lohnarbeit abschaffen will: mit den Kapitalisten um Lohnraten kämpfen, heißt das Lohnsystem anerkennen. Der Esel hat noch nicht einmal gesehen, daß jede Klassenbewegung eine Klassenbewegung ist, die notwendigerweise immer eine politische Bewegung war. Dieses nun ist das ganze theoretische Gepäck von Mohammed Bakunin, ein Mohammed ohne Koran.

Mit seiner Verschwörung hat er im Geheimen weiter gemacht. Er hatte einige Zwischenfälle in Spanien und Italien, in Paris und Genf zu verzeichnen. Der gute Becker war verrückt genug, sich als führender Kopf und Charakter von Bakunin vorspannen zu lassen. Er bereut schon diesen Unsinn. Das General Council wurde lediglich informiert und aufgefordert, die Statuten der »Alliance« zu sanktionieren, nachdem Bakunin diese als fait accompli ansah. Er war jedoch auf dem Holzwege. In einem ausgearbeiteten Dokument erklärte das General Council die »Alliance« als ein Instrument der Desorganisation und lehnte jede Verbindung mit ihr ab. (Ich werde Dir das Dokument zuschicken.) Ein paar Monate später schrieb der Komiteedirektor einen Brief an das General Council, diesen Inhalts: die großen Männer waren willens, ihre Organisation aufzulösen und in die Internationale aufzugehen. Aber andererseits mußten wir kategorisch ja und Nein erklären. Entweder wir sanktionierten ihre Prinzipien oder wenn nicht, so werde es eine öffentliche Sezession auf ihrer Seite geben und wir wären verantwortlich für solch ein Unglück.

Wir antworteten, daß das General Council nicht der Papst wäre, daß wir jeder anderen Sektion erlaubten, ihre eigenen theoretischen Ansichten über die wirkliche Bewegung zu haben, immer unter der Annahme, daß nichts direkt gegensätzliches gegen unsere Statuten vorgebracht wird. Wir deuteten auf delikate Weise an, daß wir ihre »Theoirie« als eine Schande betrachteten. Wir bestanden darauf, daß die »Gleichheit der Klassen« geändert und zukünftig die »Auflösung der Klassen« gefordert werde, in was sie sich nie hineindenken konnten (Du wirst dieses zweite Dokument ebenfalls erhalten). So wurde die Alliance nominell aufgelöst. Tatsächlich aber fuhr sie fort, einen Staat im Staat zu bilden. Ihre einzelnen Zweige hatten überhaupt keine Verbindung mit dem General Council, außer daß sie dagegen konspirierten. Sie handelten unter Bakunins Diktatur. Er bereitete alles vor, um einen großen Coup gegen den Kongreß von Basel zu landen. Auf der einen Seite veranlaßte er das Genfer Komitee, die Frage des Erbrechts anzuschneiden. Wir nahmen diese Herausforderung an. Auf der anderen Seite konspirierte er überall, um uns zu diskreditieren und den Sitz des General Council von London nach Genf zu verlegen. Auf dem Kongreß, ce saltimbanque figurait comme »délegué de Naples et de Lyon«, hat sich Albert Richard, der sonst ein aktiver und tüchtiger junge ist, zu Bakunins Lakai degradiert..Woher dieser Bursche sein Geld nimmt für seine ganzen geheimen Machenschaften, Reisen, Missionen, Agenten - das bleibt bis heute ein Geheimnis. Arm wie eine Kirchenrnaus, hat er doch nie in seinem Leben einen Pfifferling durch eigener Hände Arbeit verdient. Während des Kongresses war er perplex. Nach dem Kongreß begann er uns öffentlich anzugreifen in seinem privaten Moniteur »Le progräs« (de Locle), herausgegeben von seinem Kammerdiener, James Guillaume, einem Schweizer Schulmeister, und durch die »Egalité« in Genf. Wir sahen eine Weile zu und dann schickten wir eine Note an das Federal Council of Geneva. Eine Kopie dieses Dokumentes ist in den Händen von Varlin. Aber bevor unser Schreiben ankam, hatte das Federal Council of Geneva, das sich niemals freundlich ge­enüber Bakunin und der Alliance zeigte, sich losgesagt. Robin et Co. wurden ausgestoßen aus der Herausgeberscliaft der »Egalité«. Das Federal Council der Swiss Romand Section protestierte gegen die Intrigen der Alliance und ihre Moskauer Diktatur.

Inzwischen hatte Bakunin Genf verlassen, um sich im Tessin niederzulassen. Seine Verhältnisse hatten sich geändert. hiudson starb plötzlich (ebenfalls Russe). Bakunin, der ihn heftig angegriffen hatte in der letzten Zeit (wahrscheinlich weil sich Hudsons Geldbeutel plötzlich verschloß), wurde jetzt ein feuriger Apologet von Hudson in der französischen Presse. Warum? Weil Hudson - obgleich ein Millionär - jährlich für seine »Cloche« und russische Propaganda eine zieimlich große Summe von den panslavistischen Demokratie in Rußland erhielt. Obgleich ein verbissener Feind der l’»héritage« (des Erbrechts), wollte Bakunin Position und Geld von Hudson erben . . . Es gelang ihm durch seinen Lobgesang auf den toten Mann. Er erhielt die »Cloche« und die Subvention.

Indes war in Genf eine Kolonie von russischen Emigranten entstanden, die Feinde Bakunins waren, weil sie die persönlichen Ambitionen dieses mittelmäßigen Mannes - obwohl vollendeten lntriganten - erkannten und weil sie wußten, daß er in seinen russischen Schriften Lehren propagierte, die ganz im Gegensatz zu den Prinzipien der Internationale standen. Der letzte Kongreß der Swiss Romand in La Chaux de Fonds wurde von Bakunin und seinen Wüstlingen zum Anlaß genommen, eine offene Spaltung herbeizuführen. Der Kongreß teilte sich in zwei Kongresse, auf der einen Seite ein Kongreß von Bakunin, der die Enthaltsamkeit von Politik proklamierte und von ungefähr 600 Mitgliedern repräsentiert wurde, und auf der anderen Seite der Kongreß der Föderalisten von Genf mit ungefähr 2000 Leuten. Nicolas Outine (das ist ein junger Russe) d6nonca publiquement les intrigues de Bakounine. Seine (Bakunins) Männer konstitutierten sich als »Federal Central Council« für die romanische Schweiz und gründeten ihr eigenes Organ »La solidarité«, herausgegeben von Bakunins Kammerdiener, James Guillaume. Der Grundsatz dieser Zeitung ist »Bakunin«. Beide Parteien wandten sich an das General Council. So hat dieser verdammte Moskowiter einen großen öffentlichen Skandal innerhalb unserer eigenen Reihen vom Zaun gebrochen, um unsere Arbeiterbewegung mit dem Gift des Sektierertums zu infizieren und unsere Aktionen durch geheime Intrigen zu paralysieren.

Er hofft, daß er auf unserem nächsten Kongreß durch viele Mitglieder repräsentiert wird. Um die Aufmerksamkeit in Paris zu erwecken, hat er eine Korrespondenteiitätigkeit für die »Marseillaise« begonnen, die einen Brief von ihm veröffentlichte, aber wir haben mit Flourent gesprochen, der diese Aktion unterbinden wird.

Du bist nun genügend informiert, um gegen Bal-,unins Bewegungen innerhalb unseres Pariser Bereichs zu operieren. Meinen Dank an Laurent für ihren Brief. Das nächste Mal versuche einen Briefumschlag für Dein Schreiben zu finden, der nicht so leicht geöffnet werden kann. A propos, würdest Du noch den Artikel über Lord Clanricarde finden in »Queens Messanger«. Wir brauchen ihn hier und können ihn nicht bekommen.

Dein Old Nick