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123. Die Selbstbehauptung oder das 'Ich'

Es war bisher die Selbstwahrnehmung in der Selbstverwirklichung aufgegangen, durch die Menschen sich noch im Einklang mit ihrer Wahrnehmung empfinden konnten, subjektiv also zumindest auch noch in der Fom ihrer Subjektivität geblieben waren. Nun aber hat die Selbstwahrnehmung zugleich auch einen Mangel an eigener Gegenwärtigkeit entwickelt. Verwirklicht kann nämlich nur sein, was auch Wirkung hat. Das Selbst aber kann es nicht wirklich geben; es ist eine Abstraktion, in welcher die zwischenmenschlichen Beziehungen zwar durch ihre Gefühle, aber nicht als Gefühle wirksam sind. Sie müssen sich schlicht und einfach behaupten, um nicht unter zu gehen, um ihre Empfindungen wenigsten für sich zu bewahren, die durch das Geltungsstreben des ästhetischen Willens zunehmend aus ihren Verhältnissen ausgeschlossen werden und immer mehr Verlangen produzieren, das sich nicht mehr realisieren lässt und deshalb die Selbstbehauptung verstärken muss. Denn diese besteht substanziell ja nur aus Selbstwahrnehmungen, die sich durch ihre Selbstgefühle aufbauen und zugleich erschöpfen, die Gefühle für sich finden, die sie nicht mehr empfinden können und die sich ihnen daher auch immer wieder entziehen, wo sie auftreten.

In den zwischenmenschlichen Verhältnissen der Selbstbehauptungen sind es nur noch Beziehungen der Selbstgefühle, in welchen die Menschen sich selbst gegenseitig wie eine Sache zum Gegenstand machen und haben, sich Gefühle einverleiben, die ihnen im Grunde fremd sind, weil und soweit ihre gesellschaftliche Gegenständlichkeit und Vergegenständlichung ihnen nun auch subjektiv entzogen wird. Und so finden sie durch ihre Zwischenmenschlichkeit in zwischenmenschlichen Verhältnissen sich als eine gemeinschaftliche Substanz ihres Lebens wieder, die ihnen zu eigen ist, die jetzt jedoch zugleich auch die Form ihres Lebens fremd bestimmt. In dieser Formbestimmung müssen sie das, was sie sind, zugleich zum Material ihrer gegenseitigen Wirklichkeit machen und sich in dieser erleben. Dies macht den Sinn ihrer Selbstverwirklichung wesentlich aus. Und es ist ein Sinn, der außer ihnen ist und in dieser Äußerlichkeit von ihnen absieht, während sie darin ihre Absichten verwirklichen, ihre Selbstverwirklichung also die Wirklichkeit eines abstrakt menschlichen Sinns ist und diese durch die Verwertung seiner selbst im Zwischenmenschlichen sich vollzieht.

Es war der Selbstwert die wesentliche Identität dieser Beziehungen, welche die Absichten der Psyche antreibt. In ihm hat sich die Selbstachtung der Menschen zwischenmenschlich in dem Maß entäußert, in welchem sie füreinander da waren, um für sich da zu sein. Im Einzelnen können sie nichts anders sein, als das, wodurch sie als Mensch da sind, als in ihrem körperlichen Sein vermenschlichte Natur. In ihren zwischenmenschlichen Verhältnissen jedoch eignen sie sich das Leben dieser an und für sich gesellschaftlichen Natur im Selbsterleben ihrer wechselseitigen Beziehungen an. Und dieses ist daher bestimmt durch die Menge ihres Selbsterlebens in Gesellschaft, durch die Dichte ihrer Anwesenheit.

Doch in der Dichte ihrer Selbstwahrnehmung, verausgabt sich ihr Sinn, die Substanz ihrer zwischenemenschlichen Bezogenheit in ihrer Getriebenheit durch den Mangel ihrer Abstraktion und verflüchtigt ihren Sinn, der immer wieder einverleibt werden muss, weil und sofern er keinen Gegenstand außer sich selbst hat. Der Selbstwert hat eben nur im Selbstgefühl seinen wirklichen Gehalt als seine Wirkung. Aber dieses Gefühl ensteht eben nur in Selbstbeziehungen, die nicht für sich sein und bleiben können, weil sie nur durch andere sein können und mit deren Einverleibung genährt werden müssen.

Selbstwert muss daher immer erzeugt werden, indem Selbstgefühle erzeugt werden durch irgendeinen Sinn, den sie haben. In dieser Gleichgültigkeit gegen ihren Gehalt muss die Selbstbeziehung sich beständig erneuern, indem sie sich auch selbst in ihren Beziehungen auf andere Selbstwert verschafft, sich also selbst durch andere verwertet. Die Selbstverwertung ist daher eine doppeltes Verhältnis zu sich und zu anderen im Zweck der Produktion von Selbstgefühlen, die sich dadurch zugleich selbst entleeren und ihre Not durch ihren Selbstverlust fortbestimmen. In der für sich selbst unsinnig gewordenen Selbstbeziehung verbirgt sich daher ein höherer Zweck: Die permanente Selbsterneuerung, die nötig ist, weil sich solche Beziehung permanent entleert.

Bei der Entwicklung von Selbstgefühlen in solchen Beziehungen ist Selbstverwertung unausweichlich, weil das in seiner wirklichen Gesellschaft isolierte Individuum in zwischenmenschlichen Beziehungen sie schon durch den Mangel ihres Selbstgefühls nötig hat. Es erscheint ihm nicht nur als nötiger Drang, "unter die Menschen zu kommen", sondern auch als Trieb, sich in ihrer Anwesenheit zu vergegenwärtigen, denn es kann nur im Austausch mit ihnen für sich Substanz, also Sinn finden. Der in der Selbstbeziehung schwindende Selbstwert wird durch diese Vergegenwärtigung zu einem eigenständigen Lebenswert in zwischenmenschlichen Verhältnissen, die bestäng nach einer Einigung verlangen, einer Integrität der hiernach handelnden und liebenden Person. Man nennt diese im psychologischen Sprachgebrauch das ICH. In den bürgerlichen Liebesformation, wie sie in den Love-Stories ihrer Medien auch visuell gepflegt wird, wird dieses in seiner Entwicklung und Konflikte vielfach als die hohe Kunst der Selbstvergegenwärtigung dargestellt (siehe hierzu auch Liebe).

Selbstbehauptung entsteht im Geltungsstreben der Selbstgefühle, die ihre Empfindungen nurmehr und ausschließlich in der wechselseitigen Selbstbeziehung durch einander haben. In dieser Welt ausschließlicherSelbstempfindung werden die Selbstgefühle zu ausschließlichen Medium ihrer Lebenswelt (siehe Lebensraum), ihrer Gewohnheiten und Wohnung. Darin entwickelt sich eine Psyche, die ihre Wahrnehmung in der Symbiose dieser Räumlichkeit findet und in einer symbiotischen Selbstbehauptung verwirklicht.

Darin allerdings entwickeln sich auch die Grundlagen der Lebensängste, die sich aus dem ausgeschlossenen Erkenntnisvermögen gegen die allgemeineSelbstwahrnehmung an den Bruchstellen ihrer Selbstbehauptung wahrmachen können. Denn in der Selbstaufhebung der Selbstgefühle, die in den Schuldgefühlen der hierin abgeschlossenen Psyche begründet ist, wird das Vermögen der Selbstwahrnehmung ins Ungewisse getriebn. Denn sie sind nicht ohne die Verhältnisse, in denen sie sich äußern und reflektieren und in denen sie vermittelte Zwischenmenschlichkeit ihrer Beziehungen in den Ereignissen und Wahrnehmungen der Individuen erleben. Die Psyche muss sich hiergegen als eine innere Welt durch eine eigene Ästhetik ihrer Äußerungen behaupten und ihre Selbstbehauptung zu einem System ihres Verhaltens fortbilden, um dieses zu kontrollieren (siehe hierzu das "ich"). Die darin vollzogene Selbstgerechtigkeit erhebt sich wie selbstverständlich über das allgemeine "Gesetz und Recht". Indem die Selbstbehauptung ihre "Selbstverleugnung im Ausnahmsfall" immer wieder nötig hat, betreibt sie schließlich den Durchsatz "ihrer Interessen im Durchschnittsfall." (MEW 3, Seite 311f)

Die Absichten der Psyche begründen nun ein Verhältnis zu sich und anderen, in welchem Selbstwert dadurch entstehen muss, dass jeder sich und dem anderen Veräußerungen seiner Anwesenheit, eine Gegenwärtigkeit abverlangt, in der in zwischenmenschlichen Verhältnissen Menschen ihren Wert für sich, ihre Selbstachtung durch Selbstwert ersetzen und zu erhalten und zu vermehren suchen. Hierfür wird ein Verhalten erzeugt, welches die Selbstgefühle bestärkt oder verwertet, ja nach der Art der und Möglichkeit von zwischenmenschlichen Beziehungen. Weil Selbstwert nur in Selbstgefühlen überhaupt existieren kann, entscheidet die Form des Selbsterlebens, worin sie erzeugt werden und was die Selbstbeziehung aufbringen muss, um sich hierfür zu veräußern, Selbstwert für andere zu erzeugen, um für sich Selbstwert zu empfinden. Der Selbstwert wird damit zu einem sich selbst entfaltenden Prinzip der Selbstgefühligkeit, indem für eine höhere Erlebensdichte eine Menge Beziehungen entstehen müssen, um den Selbstwert für einander zu halten und zu befördern, durch eine Wirklichkeit der Selbstverwertung sich also zugleich zu veredeln. Es entstehen gegensinnige Positionen in diesem Verhältnis: Die eine Seite bestimmt die Absicht, die andere unterwirft sich ihr, damit beide füreinander auch wirklich da sein können. Im Prinzip geht es hierbei daher immer um eine Form der Selbstveredelung, wer auch immer davon reicher an Erfahrung werden mag und damit seinen Edelmut steigern kann.

Vorausgesetzt war diesem Verhältnis die Isolation der Menschen in zwischenmenschlichen Verhältnissen, praktisch die Tätigkeit und Bestärkung einer inneren Isolation, in welcher sich die Mensch von sich in ihrer Selbstwahrnehmung entfremden, indem sie ihre Beziehungen für sich in ihrer Selbstentfremdung verwerten. Es ist der Verwertungsprozess der Selbstbeziehungen, was die Erträge ihres Liebens und Lebens und Leidens bestimmt, die Verselbständigung ihrer Leidenschaften zur prozessierenden Selbstgefühligkeit, mit welcher auch ertragen wird, was dem weltlichen Leben, der Existenz in der gesellschaftlichen Wirklichkeit abgeht.

Selbstverwertung ist in ihrem Verhältnis auf andere die Verwirklichung einer Absicht der Selbstbeziehung, sich durch die Einverleibung fremder Anwesenheit in seiner Selbstbehauptung zu bestärken und hierdurch den eigenen Selbstwert, das Maß der Selbstvergegenwärtigung zu vergrößern, z.B. durch den Eindruck, den Reize auf die Wahrnehmung machen und Gefühle auslösen, welche die Selbstempfindung vergewissern.

Darin scheint dann der Mangel der zwischenmenschlichen Beziehungen, die Ermangelung an eigener Wirklichkeit endlich überwunden. Zur Selbstverwirklichung reichte die einfache Selbstwahrnehmung, die bunte Vielfalt der Selbstgefühle eben auf Dauer nicht aus. Ihr Streben und Wünschen kann in ihr nicht wirklich werden, ohne ihre Gegenwärtigkeit einzubüßen. Sie ist zur Selbstvergegenwärtigung gezwungen und muss ihre Äußerungen dahingehend verwerten, dass sie hierfür sich die Anwesenheit anderer Menschen zu ihrem Zweck einverleiben kann. Ihre Absicht, sich selbst zu verwerten, begründete sich aus ihrem Mangel, und dieser erfordert nun diese eigene Formbestimmung einer "bipolaren" Selbstwahrnehmung in ihrer fortschreitenden Abstraktion, die in der Individualpsychpologie mit der Funktionalität eines "Ich" beschrieben wird.

Diese Bezeichnung ist eigentlich falsch, weil sie substanzlos ist, doch gerade dies ist ja auch ihr realer Grund. "Was Es war, soll Ich werden", hatte Sigmund Freud geschrieben. Nach dem, was bis hierher abgeleitet ist können wir sagen: Was die Menschen in ihrem abstrakten Begehren antreibt können sie nur durch die Vergegenwärtigung und Ausfüllung ihrer Selbstbeziehung erfüllen. Sie müssen zu Veranstaltern ihrer Wunschbilder werden und dies auch zwischen den Menschen durchsetzen.

Die Selbstbeziehung ist eine Beziehung, die nicht als die Beziehung eines wirklichen Subjekts existieren kann, wie es ein "Selbst" dem Begriff nach zu sein hätte. Ein solches Konstrukt hat für sich keine wirkliche Macht, weil es nur als abstraktes Medium zwischenmenschlicher Bezogenheiten existiert. Es bezieht diese Macht daher aus deren Wahrnehmungsverhältnissen, in denen sich die Psyche fremden Sinn einverleibt. Und darin begründet sich eine Umkehrung der ganzen zwischenmenschlichen Beziehungen zu einem Wahrnehmungsverhältnis von Personen, die sich nötig haben und im Grunde zugleich völlig gleichgültig zueinander sind. Mit dem unsäglichen Begriff "Ich" wird eine Beziehungsform gemeint und zum Subjekt verklärt, die in Wahrheit lediglichlich eine Objektform des "Haben-Müssens" ist, die Notwendigkeit zwischenmenschlicher Selbstermächtigung, die deren Beziehungen durch die Fähigkeit bestimmt, sie als subjektive Objektbeziehungen zu haben. Die "Ich-Funktionen" betreiben eine Selbstbeziehung, in welcher die Anwesenheit fremder Menschen zur Selbstbeziehung verdichtet wird, ohne diese hierbei abzustoßen zu müssen. Die Selbstbeziehung wird durch diese Funktionalität zur psychischen Aktionsform des reinen Habens.

Im Verhältnis der Selbstwahrmehmungen ist die Selbstverwirklichung der einen immer die Selbstentwirklichung der anderen, die Entgegenwärtigung einer anderen Wahrnehmungswirklichkeit. Ganz allgemein haben sich daher In der Selbstverwirklichung die Gefühle und Selbstgefühle der Menschen insgesamt wirklich aufgehoben und sich ihres Ursprungs auch enthoben, entleert, sich in einem Selbstwert gewonnen, der für sie keine lebendige Substanz mehr hat, nurmehr die bloße Form ihrer Beziehung begründen kann. Sie sind jetzt der Wahrnehmung des Menschen entzogen, ihm gänzlich fremd, ohne die Gemeinschaft ihrer Herkunft gegenwärtig. Wer sich ganz aus seinen Selbstgefühlen heraus verwirklichen will, der muss jetzt die Gefühle anderer Menschen nicht nur bestimmen, sondern auch für sich nutzen. Er muss darüber verfügen, muss versuchen, ihre Substanzen für sich zu wenden und zu verwenden. Denn er ist fortwährend getrieben, sich in seinen zwischenmenschlichen Beziehungen durch ein abstraktes Selbstgefühl zu gewinnen, seinen Selbstwert aus der Äußerung von zwischenmenschlichen Gefühlen zu entnehmen, sich daran zu messen und zu bereichern. Für sich ist ein solcher Mensch auf alles und jeden so bezogen, wie er mit allen und nichts in Beziehung treten kann. Seine Gegenwart ist davon bestimmt, wie er solche Beziehungen handhaben kann, wie er also die darin entstehenden Gefühle zu arrangieren versteht. Ihre allgemeine Gegenwärtigkeit ist das Medium einer Gefühlswelt, die sich immer selbst meint, indem sie sich bezieht. Die unterschiedlichen Möglichkeiten der Selbstverwirklichung sind in Gegensätze geraten, worin die einen ihre Selbstgewissheit nur durch Selbstvergewisserung in den anderen haben. Diese haben aber umgekehrt gar keine Selbstgewissheit nötig, weil sie von der Selbstvergewisserung der anderen leben.

Die Leistung, die sie aufbringen müssen, um dieses Leben zu führen, besteht daraus, eine Gewissheit der Beziehung auf sie dadurch zu vermitteln, dass sie durch das Arrangement ihrer Anwesenheit den seelischen Bedarf der anderen erfüllen. Es sind ja keine wirklichen Bedürfnisse, sondern Verwirklichung von Gefühlen, um die es hier geht und um die herum die zwischenmenschlichen Gefühle nun treiben und betrieben werden.

Jede zwischenmenschliche Beziehung wird in solchem Betrieb ungegenwärtig, zu einem Akt bloßer Gewöhnung an die Selbstwahrnehmung, die dort veräußert wird. Das Resultat solcher Verhältnisse ist die Entgegenwärtigung ihrer sinnlichen Substanz und der Gewinn von Selbstwert durch die allgemeine und abstrakte Beziehung auf andere Menschen, die paradoxerweise umso symbiotischer werden, wie sie Selbständig - z.B. als "Ich-Stärke" - erscheinen. Zunehmend in den Vordergrund wird daher die Kontrolle über diese Beziehungen treten, zunächst durch seelisch funktionelle Selbstbezogenheiten, die eine Beziehungshandhabe ermöglichen, die man Ich-Leistung nennen kann. Diese wird sich später dann zu einer Persönlichkeit entwickeln, die den Selbstwert durch eine in diesem Sinn pervertierte Selbstachtung bewirtschaftet, eine durch reine Egozentrik sich verhaltende und bestimmende Person.

Wir sind aber nun erst mal dort angelangt, wo sich die Selbstverwirklichung auch wirklich als Entgegenwärtigung zwischenmenschlicher Beziehungen überhaupt ereignet. Getrieben von der Nichtigkeit des Selbstwerts war eine Selbstvergegenwärtigung nötig geworden, worin die Aneignung fremder Wahrnehmung zur Selbstbestimmung gelangt. Er bildet seine zwischenmenschliche Wirklichkeit durch die Tätigkeit einer funktionellen Einheit aus, die in der Psychologie "Ich" genannt wird. Dieses "Ich" reflektiert sich am Geschick bzw. Ungeschick im Umgang mit dieser seiner beseelten Wirklichkeit, dem Walten und Beziehen psychischer Absichten. Es hat viel Erfahrung, doch keinerlei Substanz. Es arrangiert bestimmte Beziehungen und stößt andere ab und bildet Vorlieben nach Maßgabe seines Beziehungserfolgs. Die Psyche ist darin zwar der blinde Antrieb, das Verlangen, das arrangiert und im Erfolg bestärkt wird. Aber es hat sonst nichts mehr mit diesem Ich zu tun. Es handelt sich jetzt nurmehr um einen Betrieb, worin Wirklichkeiten der Selbstwahrnehmung in Beziehung sind.

Ein Mensch ist in diesen Verhältnissen das, als was er für die Wahrnehmung der anderen gilt. Und er schöpft seinen Selbstwert aus dem, was die anderen ihm an Selbsterleben ermöglichen, worin er also seine Geltung in der allgemeinen Selbstwahrnehmung überhaupt bewirkt. Die begehrliche Ästhetik in zwischenmenschlichen Beziehungen war zunächst nur ein Rückstand der Begierden, welche die Selbstwahrnehmung hervorgebracht hatte. Jetzt wird sie zum Inhalt der sich selbst bestimmenden Selbstgefühle, der beabsichtigten Selbstgefühle, die nichts anderes sind als eine durch Selbstvergegenwärtigung hervorgebrachte Gefühlswelt.

Das ganze Erkenntnisvermögen reduziert sich nun auf diesen Zweck. Das heißt, Gefühle selbst werden nur noch in der Form erkannt, wie sie zur Entfaltung der beabsichtigten Selbstgefühle dienlich sind. Nur was in diesem Sinn anwesend ist, wird überhaupt wahrgenommen. Die Anwenheit bestimmter Ereignisse wird in dem Sinn wahrgenommen, in welchem sie nichts mehr durch sich selbst, aber alles für die Selbstvergegenwärtigung erbringen. Es ist eine Egozentrik des Reizbedarfs entstanden, den das Verlangen nach bestimmten Selbstgefühlen erzeugt hat und wonach die Psyche durch ihre Erregungen getrieben ist. Das Verlangen nach bestimmtem Gefühl hat an und für sich aber nichts mehr mit dem Trieb zu tun, den die erregte Selbstwahrnehmung enthält. Aber der treibt alles aus der Wahrnehmung heraus, was dem Selbstgefühl nicht dienlich ist. Er ist zur negativen Formbestimmung dieses Gefühls geworden. Und nach seinem Prinzip der Negation, der Unberührbarkeit seiner Herkunft und der Erregung seiner Niederkunft verwandelt sich der Trieb zu einer Ichbezogenheit, die weder nur Selbstbeziehung noch Selbsterhaltung ist. Ein inneres Subjekt des Selbstgefühls ist entstanden, das für sich nicht wesentlich ist, weil es durch alle Wesen außer sich bestimmt ist. Es ist die Ichform des Selbstgefühls, das Selbstgefühl an und für sich, das die Wahrnehmung nun vollständig ausfüllt.

Was nicht hierfür "reizend" ist, wird schlicht nicht mehr in der zwischenmenschlichen Wahrnehmung aufgenommen; es wird lediglich als unnötiger Eindruck ausgegrenzt. Es beeindruckt, was ein Selbst vergegenwärtigt, das es an und für sich nicht gibt, das also völig substanzlos ist, das aber durch die Anwesenheit reizvoller Erlebnisse eine Ästhetik der Selbstwahrnehmung beibringt, wie sie auch beabsichtigt wird. Es geht bei dieser Ichbezogenheit um die Grundlegung einer ästhetischen Selbstbeziehung, welche die Selbstwahrnehmung ausfüllt und von daher den Wesenskern einer Persönlichkeit stiften wird, die sich nurmehr durch die Art und Weise ihrer Selbstvergegenwärtigung durch andere begründen wird. Es handelt sich hier also nicht um eine Selbstverliebtheit, einen Narzissmus, sondern eher um das Gegenteil, um eine Deinstleistung für das Selbst, dessen Funktionieren nun aus einer ästhetische Funktionalität besteht, welche Wahrnehmungen ordnet und für sich strukturiert, um sich in bestimmter Art und Weise zu äußern und in selbiger auch Äußerungen anderer zu beantworten. Die Leistungen, die hier erbracht werden müssen, sind lediglich die des Arragements von Selbsterlebnissen - Selbsterfahrungen und Selbstvergegenwärtigungen -, die Beziehungen ausfüllen, die ohne dies nichts wären. (1)

Die Selbstbeziehung erscheint von ihrer Getriebenheit nun befreit. Sie verwirklicht sich sowohl als ästhetische Selbstbeziehung, als Streben nach Genuss und Lust der Selbstwahrmehmung, wie zugleich aus der Ungewissheit eines Wesens, das darin und dafür noch keinen Sinn hat. Alle menschlichen Beziehungen sind darin untergegangen, dass Selbstvergegenwärtigung das höchst notwendige Bedürfnis der Selbstwahrnehmung geworden ist, weil die Selbstbezogenheit sich sonst in Nichts auflösen müsste. Sie muss ihren Stoff als menschliche Gegenwärtigkeit nun auch wirklich wahrmachen.

Die erste Bestimmung dieser Selbstvergegenwärtigung ist daher die Herstellung von Anwesenheit, die Vergegenwärtigen einer allgemein menschlichen Beziehung, deren Sinn nur dadurch entstehen kann, dass sich diese Anwesenheit in diesem Verhältnis sinnlich geltend macht, also auch empfunden wird - wenn auch nur als Empfindung des Verhältnisses selbst.

Die zweite Bestimmung ist die Abgrenzung von fremder Selbstwahrnehmung, die Ausgrenzung und Nichtigsetzung aller Wahrnehmung, worin man selbst sich nicht vergegenwärtigen kann, gefühllos ist.

Und die dritte Bestimmung besteht aus der Vervollständigung des durch Selbstvergegenwärtigung begründeten zwischenmenschlichen Verhältnisses, wodurch es zu einer Beziehung verdichtet wird, in welcher das Arrangement der Selbstwahrnehmungen endlich den Sinn erbringt, der zwar nicht unmittelbar sinnlich ist, aber durch die Vermittlung von Sinn diesen verdichtet und darin das Selbstgefühl erweitert.

Der erste Inhalt der Selbstvergegenwärtigung ist also die abstrakte Identifikation einer leeren zwischenmenschlichen Bezogenheit in einem Sinn, den sie durch bloße zwischenmenschliche Anwesenheit entstehen lässt. Die zweite Bestimmung ist die bloße Negation, das Nichtigsetzen aller anderen Selbstwahrnehmung als Fremdwahrnehmung. Und die dritte Bestimmung in diesem Verhältnis ist die Vervollständigung einer an sich leeren zwischenmenschlicher Bezogenheit zu einer im Gefühl verdicheteten Selbstvergegenwärtigung.

Die Menschen, die auf dieser Wahrnehmungsebene verkehren, konkurrieren um ihre Wahrnehmungsidentität wie andere um ihr Vermögen. Fast grotesk, ja wahnhaft, können solche Konkurrenzen erscheinen, wenn sie von außen betrachtet werden. Aber an sich ist die Nichtigsetzung aller fremden Selbstwahrnehmung ein konstitutives Moment der Selbstvergegenwärtigung.

Jede Einverleibung nährt sich durch Fremdes, füllt sich mit Fremdem und erfüllt sich durch Entfremdung. Die Selbstverwirklichung hat sich als Selbstentleerung herausgestellt, da die Gefühle, die darin auftreten und verwirklicht werden, zugleich die Empfindungen aufheben, auf denen sie gründen. Es war durch die Selbstverwirklichung der Psyche eine Gefühlswelt entstanden, die sich als Welt toter Empfindungen herausgestellt hat, eine gegen die entleerten, in sich nichtigen Sinne negative Welt.

Darin sind die Sinne der Wahrnehmung nun auch nicht mehr nur abstrakt, sondern verlassen. Sie sind zwar weiterhin anwesend, aber gänzlich leer. Genau dies macht ja auch Verlassenheit aus. Somit tritt ein Verlangen auf, das sich alleine gegen diese Verlassenheit bestimmt. Es sucht in seiner Empfindungslosigkeit Sinn, ohne den es völlig depriviert ist. Man könnte auch sagen, es sucht seinen eigenen "Stoff", seinen Körper.

Die Regungen von einst werden hierdurch zu leeren Erregungen, zu einem abstrakten Verlangen nach Sinn, das als bloße Unruhe einer an und für sich leeren Begehrlichkeit auftritt. Das Selbstgefühl hat seine abstrakte Selbsterneuerung beständig nötig - je leerer es ist, desto heftiger sein Verlangen. Die Einverleibung bestimmt sich dadurch jetzt selbst unendlich fort, wird zu einem unendlichen Einverleibungsstreben, zu einer allgemeinen Getriebenheit aus ihrer Entleerung heraus, so dass sie nicht mehr zu sich findet und sich nur durch fremden Leib ernähren kann.

Darin hat sich nun ein unendliches Verlangen nach Verzehr von erlebter Körperlichkeit gegründet, eine Erlebensgier. Der unruhige Geist entwickelt einen abstrakten Sinn für Körper und Stoffe, weil er nur darin zur Ruhe kommt, zu einer leiblich bedingten Identität findet, wenn er diese in der verlangten Form erlebt. Seine Unruhe treibt ihn immer wieder dorthin und seine Befriedigung bestimmt im bloßen Zeitverlauf wieder seine darauf folgende Unruhe. Er fühlt sich zum Leib getrieben wie durch einen inneren Trieb.

Nicht vom natürlichen Körper selbst kommt dies, sondern aus der selbstverwirklichten Wahrnehmung, die in ihrem Kreisen um sich selbst nur unruhig bestehen kann. Es ist eine Wahrnehmung, die sich im eigenen Erleben auffrisst und daher nur noch nach außen treiben, nach unendlich bestimmter Befriedigung streben, also nur triebhaft sein kann.

Das betrifft alle Sinne, nicht nur die eindeutig sexuellen, sondern auch die haptischen, ästhetischen usw. Ob Menschen sich zu Menschen, zum Einkaufen oder zur Einverleibung von Sachästhetik (z.B. Schuhe) getrieben fühlen, ist lediglich eine Frage des Triebinhalts, nicht der Getriebenheit als solche. Die ist ja lediglich die Sinnesform, die durch sich selbst bestimmte und sich selbst begehrende sinnliche Abstraktion. Die aber kann niemals von ihrem Objekt lassen, denn alleine darin besteht die Körperform ihres Lebens. Die Unendlichkeit triebhaften Verlangens resultiert also unmittelbar aus der sinnlichen Selbstentfremdung, welche die Selbstverwirklichung hervorbringt.

Die Wahrnehmungsorgane werden nun selbst zum Organ der Selbstverwirklichung, nicht als ihr Organ, sondern als Organ, das ihren abstrakten Sinn in sich aufhebt, das sich als Naturstoff des Mangels an Sinn zeigt. Alles, was keinen wirklichen Sinn mehr hat, strebt nach Sinnlichkeit schlechthin. In der Ermangelung konkreter Sinnlichkeit bekommt der Körper selbst den Sinn, der nur die Abwesenheit von Sinn darstellt: Das Getriebensein zu einer sinnlichen Befriedigung. Die Psyche hat hierbei ihren Geist verloren. Sie sucht nurmehr die schlichte Anwesenheit von Sinn, der sich als ihr Objekt ihr ergibt, an dem sie sich begeistern kann. In seiner Einverleibung schafft sie einen kurzen Frieden für sich. Doch ihre immer stärker werdende Sinnentleerung verlangt immer mehr Sinn für sie. Im Prinzip der Vermehrung ihrer Befriedigung glaubt die Psyche an die Potenzierung ihrer Befriedigung, an ihre Erlösung und Selbstverwirklichung. Damit steigert sich mit jeder Befriedigung ihre Entleerung wie auch ihr Glaube. Der Trieb nach Befriedigung wird zur Wirklichkeitsform aller Selbstbezogenheit.

Doch dieser Trieb zielt nicht auf Lust, sondern auf Sättigung. Das Lustprinzip von Sigmund Freud ist eine ideologische Verzerrung dieses Verhalts. Die Psyche ist nicht lustig, sie ist unbedingt und verfolgt ihre Notwendigkeit unerbittlich, ohne sich ihrer selbst gewiss zu sein. Es ist ihr Widerspruch, sich unbestimmt in der vollen Bestimmung ihrer Form, in den Erregungen ihrer Organe verhalten zu müssen. Das ist, was die Psychoanalyse mit der bestechenden Selbstgerechtigkeit des aufgeklärten Seelenfreunds zu vernebeln versucht. So wird jedeR PsychoanalytikerIn zum Anwalt ihrer Sinnentleerung und verdichtet diese auch noch zu einer geballten Ladung Mythologie. Darin wird jedes Gefühl der Erleichterung vom Druck der Mangelempfindung emporgejubelt zum menschlichen Wesensbild, so wie ein gelöschter Durst nach einer Dürrezeit einem gläubigen Menschen zum göttlichen Labsal gerät. Nichts ist schlechter für das Erkenntnis- und Kritikvermögen.Die Psychoanalyse hat für derlei Verdummung einen gewaltigen Beitrag geleistet.

Die Psyche für sich erscheint nun bunt und vielfältig, so ihr ihre Befriedigung gelingt. Sie hat zweifellos einen Geist, der aus vielerlei Erleben resultiert. Darin sind Begeisterungen lebendig, die aus dem Erleben von Menschen resultieren, deren Leben sie reflektiert und in sich trägt. Sie ist nun wirklich die private Form begeisternder Erlebnisse. Wie ein Tourist im eigenen Land durchstreift sie die Körper und Herzen der Menschen, fügt sie in sich zusammen und erscheint selbst als ein überaus liebenswertes Wesen, das gerne selbst das Wesen aller Liebe wäre. Indem sie Menschen als sinnliche Basis ihres Selbsterlebens wahr hat, kann sie sich im Prinzip geistig unendlich ausdehnen und reflektieren und darin auch glücklich sein. Sie wird sich in ihrem geistig erscheinden Wesen auch gerne bilden und die Welt in dieser Form nachvollziehen, wie sie ihr erscheint. Solche Psyche ist das Herz des Bildungsbürgers, der die Welt als Gleichnis seiner selbst zu verkörpern versteht. So gediegen er erscheint, so unendlich hungrig und begierig ist er auch.

Denn seine Begeisterung für sein Leben hat einen Grund, der nicht sehr grundlegend ist: Die Psyche glaubt sich in ihrer Befriedigung wirklich, indem sie darin nach ihrer Wirklichkeit sucht. Doch diese ist in Wahrheit das vollständige unwirklich Sein aller Sinne, ihre unendliche Vereinung, vereinte Sinnlichkeit mit allem, was außer ihr Sinn hat. Sie ist getrieben, sich in der Einverleibung dieser Sinne zu gestalten und durch deren Beherrschung zugleich eine Macht über das zu gewinnen, was sie selbst nicht ist. Alles was Sinn hat, soll ihr unterworfen werden. Das hat sie nicht im Sinn, sondern in ihrem Gefühl, in dem Mangelgefühl, das nicht als Gefühl des Mangels auftritt, sondern als bloße Begierde, Sinn zu gewinnen, indem sie ihn sich einverleibt. Alles Sinnliche erscheint ihr als ihr Objekt und zugleich als objektive Erlösung ihrer Begierde, als Sättigung ihres Verlangens, Hoffnung auf Wiedererlangung ihres Gemüts, dem Glück ihres Innenlebens, das allerdings keinen konkreten Sinn mehr erkennen lässt. Man müsste ihn erst erfinden, um das so Gefundene dann zu erklären.

Wohl von da her war Sigmund Freud auf die Annahme verfallen, es handele sich um Wünsche, welche die Psyche antreibe, und die solange an ihrer Realisierung scheitern, solange sie nur der Lust ihrer Befriedigung folgen. Dass die Antriebe ihrer Absichten einer Entzweiung entspringen hat er in seinerm dualistischen Denken nicht begreifen können. Er war darin ganz phänomenologisch geblieben. Von daher ergab sich der große Kontrahent zum Lustprinzip: Das Realitätsprinzip. Doch ohne die innere Notwendigkeit der Begierden zu begreifen, ihre Not sichtbar zu machen, der sie selbst entspringen, kann das Realitätsprinzip letztlich nichts wirklich erklären. Freud musste diesen Ansatz wegen seiner infiniten Grundlage mehrfach revidieren und endete in der fatalen These von einem Todestrieb, mit der er dann die Zerstörungswut seiner Zeit, das "Unbehagen in der Kultur" zu erklären versuchte. Der Wunschbegriff für die Substanz der Libido war ein vollständiger Fehlgriff.

Die Psyche weiß nicht, was sie entzweit hat, weil sie unbewusst und unbedingt in ihrem Verlangen ist. Sie hat ihre Herkunft, die Gegenwärtigkeit ihrer Selbstgefühle verloren und begehrt nach ihrer Einheit, nach einer seelischen Identität in der Gegenwärtigkeit des Eindrucks, den sie machen kann, um sich in anderen Menschen zu vergegenständlichen, ihre Selbstvergegenwärtigung durch andere zu erlangen. Und sie findet diese, indem sie Ereignisse produziert, in denen sich die Selbstgefühle versammeln, worin sie ihr Gemüt endlich in einer symbiotischen Beziehung wahrhat. Sie ist darin von einem Glauben angetrieben, der sie immer hoffen lässt, die Wirklichkeit ihres Gemüts zu finden, sich in der Welt aufgehoben zu wissen. Es treibt sie zu einer Wahrnehmung der Wirklichkeit, die vor allem ihrer Absicht entspricht, Sinn für sie hat, gleich, was sie sinnlich wirklich ist.

Das macht ihre Wahrheit wie ihre Täuschung aus. Psyche erkennt nicht wirklich, sie erkennt, worauf sie es absieht, aber nicht, wovon sie absieht. Von daher ist sie getrieben gegen alles, was ihre Absicht hindert, sich wirklich wahr zu machen. Das macht ihre Absicht selbständig zu einer unbedingten Lust des Erlebens: Sie treibt dahin, worauf sie lustig ist, worin sie sich wirklich glaubt, wo sie ihre Identität mit der Welt vermeint und darin ihrer Absicht, ihrem Streben nach Sinn, zur Verwirklichung verhelfen will.

Wo sich die Sinne der Menschen allgmein fremd werden, wo ihre Zerteilung und Vereinzelung sich ausbreitet, da breitet sich vor allem die Psyche ihrer Träger aus. Ohne einen wirkliche Beziehung zueinander müssen sie für das Sinnenleben einvernehmlich werden, quasi geschäftsführend für den Sinn ihres Lebens werden, um dem Bedürfnis nach Selbsterleben, der Lust der Sinne folgen zu können. Den Zweck dieser Gelüste können die bürgerlichen Psychologinnen und Psychologen in ihrer intimen Einbezogenheit des psychischen Geschehens aber nicht als eine innere Notwendigkeit der Selbstbeziehung erkennen, die eine Symbiose ihrer Selbstgefühle nötig hat und nur aus diesem Grund ihr "Ich" ausstatten muss. Sigmund Freud hat hierzu immerhin bemerkt, dass das "Ich" in der Lage sein muss, die "Regungen des Es" mit den Erfordernissen der Umwelt zum Einklang bringen muss. Doch mit dieser Anmerkung wurder sien Aufklärung in nichts realer, denn der Mythos der Psyche kann sich nur durch die innere Notwendigkeit ihres Verlangens, also der psychischen Bedürfnisse aus ihrer Selbstbezogenheit aufklären lassen.

Wo Sinne zu wechselseitigen Objekten eines sinnlichen Bedarfs werden, sind sie in die Form der Objektivität versetzt: fremde Sinne, welche nur vom Standpunkt des Erlebens, also nicht im Bezug auf ihre Tätigkeit, wahrgenommen werden. Das ist ein notwendiges Resultat der Selbstwahrnehmung, die sich über die Wahrnehmung erhoben hat. Das Prinzip der Befriedigung ist nicht der Psyche vorausgesetzt, wie das von der Psychoanalyse gern begriffen wird, die in der Psyche ein ontologisches Gebräu naturbedingter Bedürfnisse vermutet und in deren Triebhaftigkeit also auch nur die tierische Natur des Menschen am Werk sehen kann. Doch solche Triebe unterscheiden sich von denen der Lust darin, dass sie selbst sinnlich sind und ihrer Tätigkeit nachgehen, wie sie nötig ist. Dazu sind die Spiele des Psychenlebens nicht vonnöten. Es ist in der Tat erst die bürgerliche Kultur, welche aus ihnen ein Luststreben gemacht hat. So irrt Sigmund Freud auch darin, dass die Kultur eine Sublimation der Triebe sei, ihre Formveränderung zum Zweck eines höheren Lebens. Kultur liegt der Modifikation solcher Triebe zur selbständigen Erlebensweise zugrunde, macht deren Formbestimmung aus der Notwendigkeit menschlicher Beziehungen darin aus.

Die Psyche folgt ihrer Lust auf unmerklichen Ebenen und strengt sich hierbei auch wirklich an, wie ein Manager der Ereignisproduktion, der zwar nicht weiß, was wird und was sich von ihrem Verlangen wirklich realisieren lässt, der aber alles tun muss, damit die Produktion läuft. Das beständige Erzeugen von Gemütslagen, Stimmungen und Unterwürfigkeiten in menschlichen Beziehungen dient vor allem dem Glauben, im Erleben ihrer Einverleibung Frieden zu finden, ohne wirklich leben zu müssen. Das ist das Resultat einer permanenten Lebensverweigerung, in welche die Selbstgefühle geraten waren und im Leben fremder Sinnlichkeit Frieden finden müssen. Das ist, was notwendig zur Befriedigung treibt, Befriedigung des Triebes nach Einverleibung, der hier zum Gleichnis eines Friedens gerät, welches den Glauben hieran nicht erfüllen kann, und daher um so heftiger auf Befriedigung drängt. Es ist gleichgültig, ob es sich um die Einverleibung von Geschlecht, Nahrung oder Menschen handelt. Was dies alles als Momente und Eigenheiten des menschlichen Lebens wirklich ist, das spielt hier keine Rolle mehr. Der Trieb besteht aus einem Prinzip der Entwirklichung, das lediglich eine selbständige Erlebenswelt privater Persönlichkeiten zu errichten sucht.




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123.1 Die einfache Lebensangst und ihre Abwehr

Die Psyche spekuliert auf die Leiblichkeit ihres Gemüts. Ohne Mut für sich selbst, erlebt sie sich durch die Sinne, die ihr geboten sind, die sie begehrt und sich einzuverleiben versteht. In der Wechselseitigkeit, in der sie dies nun betreibt, ist eine Teilung der Sinne vorausgesetzt, die hierdurch selbst in einem objektiv notwendigen Verlangen zueinander sich befinden. Die Psyche betreibt daher jetzt ihren Leib vor allem dadurch, dass sie in ihm Frieden sucht, der wiederum nur als Prinzip der Befriedigung möglich scheint. Was sie bewegt ist die Sinnlosigkeit ihrer Wahrnehmungen und Gefühle, weil sie sich in ihrem Selbstgefühl ihrem eigenen Erleben enthoben haben. Sie hat vor allem Lust, das zu erleben, was sie nicht kennt und auch nicht im Mindesten erkennen muss, was sie aber aus dem Bedürfnis ihrer Selbstgefühle begehren muss: Die Einvernahme fremder Sinne zum Zweck des Selbsterlebens, ist nun zum Trieb des Geltungsstrebens geworden, dem die Psyche schon zu ihrer Selbsterhaltung folgen muss, was in den Menschen als Selbstauflösung wahrgenommen wird und Lebensangst erzeugt.

Lebensangst ist als erstes und innerstes eine totalisierte Angst vor einem Selbstverlust, der in allen symbiotischen Beziehungen als eine Angst vor einem inneren Beziehungsverlust besteht, eine Angst, die einer Selbstbeziehung angemessen ist, die in ihrer Wirklichkeit sich nur durch andere wahrmachen kann, nur durch sie unteilbar ist, sich aber nicht mitteilen und auch nicht vermitteln lässt, solange sie objektiv nötig ist. Bevor sie durch eine Selbstveredelung und ihrem Narzissmus beherrscht und akkumiliert werden kann behindert diese Angst vor allem deren Entstehung. Von daher kann sie sich zu einer endlosen Fixierung an die Lebensumstände entwickeln, die sich dann durch eigen Kraft nicht mehr auflösen lässt. Die Lebensangst wird dann zum mehr oder weniger bewussten Antrieb (siehe auch Unbewusstes) einer symbiotische Selbstbehauptung, die durch ihre Abstraktionskraft ein ganzes Leben dauern kann (siehe hierzu auch Familiensinn).

Lebensangst ist eine Angst, die einer Selbstentfremdung entspringt, die als Verlust der gewohnten Selbstbeziehung erlebt wird, deren Selbstgefühle durch Wahrnehmungen ihrer Wirklichkeit unter ihnen fremden Umständen in Abwesenheit geraten sind. Es geht hierbei um eine wesentliche Enttäuschung der gewohnten Lebensbedingungen, worin Angst ohne Sinn für sich empfunden wird, ohne Beziehung auf die Möglichkeiten ihrer Überwindung, ohne gesellschaftliche Erfahrung zur Bearbeitung verselbständigter Bedrängungsgefühle, wie sie sich in den Verhältnissen der Selbstbehauotungen und ihres Geltungsstrebens in zwischenmenschlichen Verhältnissen immer wieder ergeben. Lebensangst wird als Verlust der eigenen Lebenskraft empfunden, wobei in der Angst das Gefühl einer ungewohnten Bodenlosigkeit auftritt. Lebensangst entsteht also in Verhältnissen, worin die Menschen in der symbiotischen Gemeinschaft ihrer Selbstbehauptung ihren Selbstwert fanden und empfinden mussten, um ihre Selbstgefühle zu bewahren. Weil sie diese dann nur durch ihre symbiotische Selbstbehauptung identifizieren können, ist ihr Erlkenntnisvermögen mit dem Verlust solcher Beziehungen (z.B. nach dem Verlassen ihrer Famllie) bedroht, wenn ihre Wahrnehmungen durch ihre Selbstwahrnehmungen bestimmt und durch andere Lebensumstände aufgelöst werden.

Aber durch die Form der Selbstwahrnehmung, wohin es die Wahrnehmung gebracht hatte, wird es zur Sache der Psyche, sich ihre Sinne zusammenzusuchen, die sich dadurch bereichern können, dass sie sich aus der Teilung heraus wieder vereinen und sich vervollständigen - nicht aber wie es ihnen geboten ist, sondern wie es die Psyche nötig hat. Das Glück der Psyche beruht auf der Umkehrung ihrer Not, auf der Entfremdung der Sinne, der Selbstentfremdung der Menschen, deren Resultat sie ist. So ferne sie sich sind, so nah ist ihnen das leibliche Verlangen ihrer Psyche. Gerade aus der Ferne wird das leibliche Leben zum Gegenstand der Selbstwahrnehmung schlechthin, weil und sofern es dabei nicht wirklich erlebt und erfahren wird. Was sich darin wirklich an Sinn findet, bleibt der Psyche verborgen und steht manchmal im Konflikt zu ihr. Wo Sinne wirklich ineinander gehen, wirkliche Gestalt finden, da ist die Psyche "mit ihrem Latein am Ende". Ihre Bestimmung ist konservativ: Die Einverleibung entfremdeter Sinnlichkeit. Sie treibt sich in der Welt um wie ein Schlossgeist, der keine Ruhe findet und hie und da Glück oder Schrecken verbreitet, um sich daran vorübergehend zu befriedigen.

In allen zu einer Lebensform gewordenen symbiotischen Beziehung in zwischenmenschlichen Verhältnissen, die zur Selbstbehauptung genutzt und einverleibt werden (siehe auch Selbstvergegenwärtigung, erzieherische Beziehung, prothetische Beziehung), ist das Potenzial eines Selbstverlustes in dem Maß geborgen, wie sich darin aus der wirklichen Beziehungslosigkeit deren Mangel als Gefaht um das eigene Leben aufbraucht. Die wirkliche Gefahr kehrt kehrt dann darin in einer Angst hervor, die ihren Sinn für sich durch sich selbst in eine Beziehung außer sich abgeführt und verloren hat. Es ist die Angst eines Gefühls der Substanzlosihgkeit um das eigene Lebens, das als Angst um den Verlust der Fähigkeiten der Selbstbehauptung sich im Zweifel an ihrer zwischenmenschlichen Lebensform gegen sich selbst richtet. Weil ihr Sinn sich zunehmend dispensiert (abwesend macht), kann sie keinen Grund durch sich, sich nicht mehr aus sich sebst heraus, sich also nicht bergründet finden. Und weil sie hierbei ihre Empfindungen für sich verloren hat ist Lebensangst an dessen Stelle getreten, die Angst um die Nichtigkeit des eigenen Lebens im "Abgrund" seiner Selbstbezogenheit, in der die Selbstwahrnehmung sich um sich selbst dreht und sich im Schwindel der eigenen Bewegung, der "Emotionen" auflöst.

Es ist die Angst aus der Symbiose, die in der Formbestimmung einer zwischenmenschlichen Gemeinschaft entsteht und nicht ohne die Anderen leben kann, die Angst, die sich mit der Energie einer substanziellen Selbstverlorenheit auflädt, weil sie im Anderen sich nicht kennt und ihre Erkenntnis auße1r sich nicht finden kann, für sich selbst also abwesend wird. Es ist Liebesangst, die Angst im Selbstverlust durch ein zwischenmenschliches Verhältnis, worin das Erkenntnisvermögen aufgehoben wurde. Es ist die Angst einer bodenlos gewordenen Selbstwahrnehmung, einer verlorenen Gewissheit, die wie eine aufgelöste Wahrnehmungsidentität empfunden wird, weil sich darin ihre Selbstentfremdung äußert. Es ist das Resultat einer symbiotische Selbstbehauptung, das sich im Innern ihrer an und für sich gegensinnigen Beziehungen entäußert, aber außer sich nicht wirklich ganz sein kann und sich verloren fühlt. Was in der Symbiose noch Selbstbehauptung war, wird jetzt zum Selbstverlust.

Sie selbst lebt nicht wirklich; sie begehrt den Leib ihres Glaubens zu ihrer Selbstverwirklichung, die Erfüllung ihrer Hoffnung auf ihr Leben als ihre Wirklichkeit. Es ist diese Not der Psyche, die nach wirklichem Sinn verlangt. Wovon sie im wirklichen Leben abgesehen hat, das wird für sie nun übermächtig, zur Notwendigkeit ihrer Konzentration auf das leibliche Wohlergehen, welche alleine in der Einverleibung wirklicher Sinne zu seinem Frieden kommt, befriedigt ist.

Die Selbstwahrnehmung ist von daher gezwungen, sich selbst zu überhöhen, sich selbst eine Sphäre zu verleihen, in welcher sie auf die Nöte der Selbstwahrnehmungen hinazuschauen. Sie muss sich selbst veredeln, um für sich Selbstwert zu behalten; sie muss sich aus ihrer eigenen Nichtigkeit gegen andere hervortun, um dort, wo sie nichts ist, fortzubestehen. Sich selbst aber kann man nur adeln, indem man sich auf hochwertige Bedürfnisse bezieht, deren Befriedigung nur durch die Umstände einer höheren Selbstwahrnehmung möglich erscheint, die also danach begehren, was ihnen höhere Zustände des Gemüts und der Selbstwertigkeit bescheren. Die Menschen selbst erfahren darin keinerlei "höhere Differenzierung" sondern sehen sich durch die Umstände ihrer Beziehungen selbst schon als höher begabt und von besonderer Güte, wenn diese vielfältig sind oder zmindest so zu sein scheinen. Dies taugt zur Bildung einer Persönlichkeit, die sich aus den kulturellen Fähigkeiten ihrer Beziehungen heraus bewertet weiß und beziehen will, sich also als Persönlichkeit mächtiger Bezogenheiten herauszustelen vermag.

Aber das ist auf dieser Ebene noch nicht so einfach, wie dies später unter den Bestimmungen des ästhetischen Willens einer heilen Welt erst möglich ist (dazu mehr im 3. Buch). Hier können sich die Menschen ihre Sinne nur persönlich und wechselseitig zur Verfügung stellen und bleiben sich auch im Wesentlichen notwendig fremd. Sie affirmieren ihre Selbstentfremdung, indem sie einander Sinn geben. Zugleich schaffen sie Vertrauen, indem sie sich in ihrer Sinnlichkeit kennenlernen und daraus die Altäre höherer Verbundenheit zimmern, aus diesen ihre Persönlichkeit begründen. Die Wechselseitigkeit ihrer Einverleibung erzeugt eine Bindung, die unbedingt und unbewusst ist, die aber alle Ungewissheit aufzulösen scheint. Sie müssen sich hierbei allerdings in die Lage versetzen, im Bezug auf andere selbst gerecht zu werden. Sie müssen sich also in dem Sinn bestärken, worin sie zum einen sich besonders gerecht werden, sich also für sich selbst besondern, und zugleich diese Besonderung als besondere Beziehung auf andere zu bewahrheiten.

Diese besondere Bezogenheit gelingt nur dadurch, dass die Selbstvergegenwärtigung durch sie bestimmt wird. Jede Beziehung wird daher zu einem Akt der Selbstveredelung, in welcher sich die Menschen allseiteig vor allem selbst gerecht werden. Es ist der verwirklichte Moralismus, in welchem sich die Menschen füreinander bestätigen und zugleich die allgemeine Entwirklichung ihrer Selbstwahrnehmung, die hierbei vonstatten geht. Mag es zunächst auch nur die Absicht enthalten, die in jedem Tratsch vorkommt: Das schlecht über andere Reden um gut für sich selbst da zu stehen. Es geht auf Dauer wesentlich weiter: Indem die ganze Selbstvergegenwärtigung hiervon kontrolliert wird, erscheinen sich die Menschen als Inviduen wie die Überlebenden eine Kampfes um die eigene Wahrheit.




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123.2 Die Selbstvergegenwärtigung (Die Kontrolle der Selbstbestätigung als Selbstbehauptung)

Die bürgerliche Persönlichkeit entwickelt sich aus den zwischenmenschlichen Verhältnissen ihrer Selbstbezogenheit, die einerseits besändige Selbsterneuerung durch eine Selbstwert verschaffende zwischenmenschliche Beziehungen erfordert, zum anderen einen Edelmut in der Selbstwahrnehmung erzeugt, der sie ideell über alle anderen Persönlichkeiten erhebt und zur Grundlage ihrer Egozentrik wird. Diese Form der Wahrnehmung kann die Subjektivität, die sie unterstellt, nicht wirklich einlösen und wird selbst zum Objekt ihrer Verhältnisse, das allerdings als sich selbst erzeugendes Objekt unendlich viel subjektive Macht nötig hat, in der Notwendigkeit ihrer Selbstveredelung also immer objektiver werden muss, um sich selbst zu erneuern. Von daher fühlt sie sich in der Wirklichkeit ihrer Verhältnisse nicht nur existentiell schon durch ihre ökonomische Lage bedroht, sondern muss sich auch immer gegen Anzweifelung ihrer Selbstverwertung schützen, gerade wo in ihr der Selbstzweifel immer wieder "hochkommt" und sie sich permanent vor den Abgründen ihrer Selbstwahrnehmung, in der Lebensangst um ihre Identität zu bewahren hat. Selbstbehauptung ist ihr daher um so nötiger, je weiter die Selbsterneuerung ihres Selbstwerts in ihre zwischenmenschliche Lebensverhältnisse vorgedrungen ist. So ist es auch nicht verwunderlich, dass gerade prominete Persönlichkeiten immer wieder in tiefe Krisen um ihren Selbstwert geraten und auch in der Statistik der Depressionen überdurchschnittlich vertreten sind.

Die erste Folge der Selbstverwertung war der Mangel an eigener Wirklichkeit, also Ermangelung an Selbstwert, denn die Selbstachtung wird darin aufgezehrt und muss sich daher auf Dauer ohne Wirkung vergegenwärtigen. Weil ihr die Äußerung fehlt, kommt ein ihr äußerliches Moment hinzu, das in dieser Beziehung entstanden war: Innerhalb der psychischen Verhältnisse fühlt man sich wertlos,gerade weil man objektiv darin durch die allgemeine Selbstveräußerung zur Selbstveredelung gezwungen ist. Die Selbstverwertung lebt immer auch mit ihrer Kehrseite: dem Selbstverlust. Durch Selbstbehauptung wird daher die Zufuhr von Selbstwert aus und in diesen Verhältnissen abgesichert. Sei erfordert ein hohes Maß an Selbstinszenierung.

Selbstbehauptung ist von daher und der Form nach ein Resultat der Selbstverwertung, ergeht aus ihrer Formbestimmung, womit sich die Psyche Achtung für sich selbst durch eine entsprechende Selbstdarstellung ausweitet. Sie wirkt also durch einen behaupteten Selbstwert auf ihre Verhältnisse ein, der darauf beruhen, dass sich Achtung hierfür durch ein bestimmtes Handeln und Verhalten herstellen lässt, dass eine Achtung für sich selbst außer sich erwirkt werden kann, als eine entäußerte Selbstachtung durchsetzbar ist (siehe hierzu auch ICH). Das Resultat ist ein Selbstbewusstsein, das auf Stolz beruht, also wesentlich narzistisch ist und sich durch zwischenmenschliche Beziehungen in symbiotischer Selbstbehauptung am Leben hält.

In der Erzeugung von Selbstwertgefühlen werden zunehmend alle zwischenmenschlichen Ereignisse einbezogen, die durch Entfernung und Verkörperung von fernen Lebenserfüllungen bestimmt werden. Alle Menschen verkörpern ihre Lebensbilder und Lebenswerte in mehr oder weniger guter Gestalt - etwa so, wie Touristenattraktionen zur Zeit der Saison herausgeputzt werden. Sie drücken sich nicht nur hierin mehr oder weniger verquer aus, sie handeln auch danach, fällen ihre Entscheidungen, was ihre menschlichen Beziehungen betrifft. Und letztlich mischt sich in diese Welt natürlich alles ein, was einem Menschen inne ist. Es entsteht in der Selbstwahrnehmung eine Gier der Selbstbestätigung, die immer mehr etwas zu erfüllen hat, was ein an und für sich leeres Leben ausfüllt. Natürlicherweise kann Leben nur in lebenden Organen erweckt werden. Und so wird die Gier nach Selbstbestätigung zwangsläufig und zunehmend vom Triebleben und den hierauf gründenden Selbstgefühlen bestimmt. Das Selbstwertgefühl gerät in den Sog der Triebe und ihrer Befriedigung und macht die Menschen, die zweifellos und immer körperlich leben, von der Art und Weise ihres körperliches Seins, ihrem Körpererleben, abhängig. Ihr Körper selbst wird hierbei zu einer wirklichen Macht persönlicher Abhängigkeiten. Die Erlebnisse, die sie hierbei erzeugen, werden tragend für ihre ganze Selbstwertigkeit, die bestimmende Stimmung ihrer Psychen.

Die triebhafte Selbstwahrnehmung ist allerdings auch auf der Flucht vor ihrer Wirklichkeit, die eine reine Leere ist, ein Nichts an Wahrheit und alles an Erlebnishaftigkeit. Um sich nicht zu verlieren, muss Eindruck auf das Selbstgefühl unendlich produziert werden, indem jede Wahrnehmung allein der Selbstwahrnehmung unterworfen wird, ihr gehorchen und ihr Sinn verschaffen muss. Hierfür wird der Gegenstand der Selbstwahrnehmung, der Mensch, nicht nur als körperlicher Mensch sondern vor allem als Erlebnisraum des Körpers wahrgenommen, als Sache, die reine objektive Sinnhaftigkeit in räumlicher Ausdehnung darstellt. Nicht was er als Körper ist, sondern wie sich ein Mensch darin "zu Hause" fühlt, verschafft ihm den Selbstwert, den er sich ergattert. Es ist kein wirklicher Körper, sondern ein Körper als Umhüllung seiner Erlebenssucht, der ihm das erbringt, ein Körper als Lebensraum seiner Selbstbezogenheit.

Sein Selbstwert steigt unermesslich, soweit er sich körperlich am Leben fühlt, wenn auch mit einem Körper, der nicht seine Beziehung und Geschichte verkörpert, aber für ihn als Körper dadurch lebt, dass er mit ihm seine zwischenmenschlichen Beziehungen erlebt. Körperlichkeit wird zum einfachsten Lebensraum, zum lebenden Lebensumstand der Selbstgefühligkeit. Er wird geschmückt wie eine Wohnung und dramatisiert sich selbst in seiner Ausdruckskraft auf Schritt und Tritt oder auch mit Behang und Piercing oder auch nur durch Schminke. Jedenfalls bekommt der Körper einen Appeal, der nicht auf bestimmte Partner gerichtet ist, sondern auf körperliches Selbsterleben überhaupt. Der Körper wird zum Träger des Selbstwerts und erlebt auch im Körper seine hervorragende und alles verschlingende Selbstwertigkeit.

Das versachlicht ihn so, wie er auch als Sache wahr gehabt wird. Die Wahrnehmung selbst wird hierüber versachlicht, also selbst wie eine objektive Notwendigkeit vollzogen, von jeglicher Erkenntnis enthoben. Was sich körperlich regt, das verlangt Erfüllung und indem es erfüllt wird, regt sich die Erregung, die Gier nach mehr. Je leerer die Wahrnehmung für den wahrnehmenden Menschen wird, je weniger Wahrheit sie nimmt, indem sie erlebt, was ihrem Selbstwertgefühl dienlich ist, desto gieriger wird sie nach der Einverleibung von gerade dem Sinn, den sie selbst nicht mehr hat. So subjektiv ihr Streben erscheinen mag, so objektiv notwendig ist es doch dadurch bestimmt, dass die Menschen ihr Selbstwertgefühl gerade dort verlieren, wo sie es zu gewinnen scheinen. Nichts bleibt ihnen daher erspart, um sich mit Leben im Selbsterleben zu füllen, um die Leere, die sie für sich dabei erzeugen, ebenso beständig auch hierdurch aufzuheben.

Die private Persönlichkeit entsteht aus der Fähigkeit, sich in wechselseitiger Beziehung Selbstwert durch körperliche Selbstgefühligkeit einzuverleiben, sich darin und dadurch selbst zu behaupten, dass sie alle Gefühle zu diesem Zweck kontrolliert. Sie ensteht dadurch, dass sie sich in dem zu vergegenwärtigen vermag, was ihre Selbstwahrnehmung füllt, dass sie sich also auch so einbringt, dass sie sich in ihrer Selbstbestimmung erlebt, während sie andere wahrnimmt. Es ist ein unerkennbares Geschäft, das lediglich aus den Absichten besteht, die sich im Nachhinein ergründen lassen, wo sich Selbstwahrnehmung nicht mehr erklären lässt. Und es ist ein wechselseitiges Geschäft das unterstellt, dass alle Beteilten ihren Selbstwert darin finden, mal mehr und mal weniger, mal besser und mal schlechter.

In der Gesellschaft der Selbstwertigkeiten wird einverleibte Sinnlichkeit zum persönlichen Maßstab der Beziehungen und allseitiges Lebensmoment der Selbstbezogenheit, Stoff des eigenen Lebens im ästhetischen Erleben der Beziehung der Selbstwertigkeit. Nur hierdurch, also durch die Kontrolle der Form, worin sich die Selbstwahrnehmungen entwickeln, wird das Selbstgefühl solcher Persönlichkeiten zu einem Sinn für sich, Selbstbehauptung durch die Kontrolle der Gefühle, durch Lebenstil, Lebensart oder kurz: Lifestyle. Diese Kontrolle wird selbst zu einem ästhetischen Bedürfnis, welches Lebensformen herzustellen sucht, durch welche diese Formen der Selbstbehauptung zur Gewohnheit werden, einen Sinn der Form selbst gestalten.

In diesem Sinn bildet sich eine Abstraktion von sich selbst wie eine Verkörperung von Lebenswerten, eine Form eigener Sinnlichlichkeit durch Erleben von dem, was darin lebenswert erscheint. Die Form selbst wird darin zu einem Lebeninhalt, nicht ausdrücklich gewollt, wohl aber beabsichtigt durch eine innere Notwendigkeit, welche die Form durch ihren eigenen Mangel zum Antrieb der Persönlichkeitsbildung macht. Wie jede Habsucht, so muss auch die Gier nach Selbstwertigkeit in einer unendlichen Kontrolle des Lebens sich verwirklichen, indem sie bestrebt ist, sich selbst und andere so in den Griff zu bekommen, dass der Selbstwert schließlich irgendwann als Persönlichkeit funktionieren kann. Darin reift die Persönlichkeit als Lebensverhältnis zu sich selbst, das sich wie ein Selbst für sich verhält.




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123.3 Der Kampf um die Wertschätzung (oder die Notwendigkeiten der Selbstachtung)

Es ist das Dilemma der Selbstachtung, dass sie sich in der Selbstverwertung immer wieder aufheben muss, weil sie sich darin durch die sich verhaltenden psychischen Absichten wertlos erlebt und zur Aufhebung ihrer Minderwertigkeit Selbstwert bilden muss, der die Selbstachtung aufbraucht. Indem Menschen in zwischenmenschlichen Beziehungen Sinn finden und äußern, sich aber zugleich zur Bildung von Selbstwert Substanz entziehen, sich in ihrer Selbstbehauptung also Sinn einverleiben, den sie nicht haben, wohl aber wahrhaben, bewegen sich die sogenannten "Ich-Funktionen" nur um dies, um dieses Dilemma der bürgerlichen Psyche überhaupt leben zu können. Von daher kann die Auffassung von Sigmund Freud immerhin illustrativ sein: Die Menschen machen "Umwege" über ihre Kulturleistungen, um ihre Wünsche zu erfüllen und ihre Liebe zu verwirklichen. Was er aber nicht sieht: Es bleibt in dieser Kultur immer eine ohnmächtige Liebe, eine Liebe, die das nötig hat, was sie schon aufgehoben hat. Innerhalb dieser Kultur ist Selbstachtung die unendliche Notwendigkeit eines permanenten Selbstverlustes.

Der Trieb nach Lusterfüllung ist die verselbständigte Absicht der Psyche als reiner Antrieb ihrer Sinne, als Begierde, sich ihre Objekte möglichst umstandslos einzuverleiben. Demaber widersprechen die Umstände, die den Menschen in seiner Habsüchtigkeit beherrschen, ihm seine Ohnmacht vorstellen. So erzeugt die Selbstverwirklichung letztlich ihr eigenes Gegenteil der Wirklichkeit, die sie für sich selbst erreichen wollte. Mit dem selbstsüchtigen Sein für das Luststreben entschwindet die Achtung vor sich selbst, weil das Subjektive darin objektiv geworden ist: Zur platten Notwendigkeit einer Befriedung, die keine Befriedigung verschafft.

Das Bestreben misslingt daher zwangsläufig. Was sinnlich für sich völlig unmöglich wäre, die Verschmelzung gegensinniger Bedürfnisse, wird durch den Trieb der Psyche bezwungen und zum Anreiz geistiger Kräfte verkehrt, welche zu einer Befriedigung treiben, die auch vor sich selbst bestand hat, die also nichts herabsetzt, nur weil es übermächtig erscheint und die nichts außer Kraft setzt, was die rein psychisch gewordenen Beziehungen antreibt. Der Trieb hat keinen anderen Grund, als den Körper selbst, worin sich allerhand Gefühle und Empfindungen herumtreiben, ohne Sinn zu finden. In ihrer Identitätslosigkeit findet sich der Körper nicht mehr nur als Mittel, sondern erscheint selbst als Zweck seines Treibens, als Antrieb seiner Beziehungen, worin er nicht nur diese, sondern vor allem sich selbst begeistert. Er treibt dahin, dass jeder Sinn als Vorgriff auf das wirkliche Erleben gilt, dass er aufreizt und antreibt, um sich selbst begeistert zu erleben, was immer dies dann auch sein mag.

Er treibt um wie ein völlig selbständiges Bedürfnis, das sich seines wirklichen Mangels nicht mehr besinnt, das nach Lebensstoff überhaupt verlangt wie nach der Luft zum Atmen. Es geht dabei nicht allein um ein geschlechtliches Bedürfnis sondern um ein Verlangen nach menschlicher Verschmelzung überhaut, nach Einverleibung von Leben schlechthin. Alles Lebende erregt die Sinne, ohne dass sie sich selbst darin wirklich regen können. So körperlich diese Erregung aufscheint, so geistig ist sie dennoch in ihrem Grund und Inhalt. Darin wirkt eine seelische, mehr oder weniger unbewusste Kraft, die es zu einer Verwirklichung ihrer seelischen Absichten treibt, die nun auf die Selbstachtung zielen. Im Kampf um diese Achtung treffen sich die Menschen in einer nru relativen Wirklichkeit, welche Selbstverwirklichung darin aufhebt, dass sie diese unnötig macht, ihre sinnliche Spannung in sich vereint, auflöst und bestärkt. Die Sinne selbst werden jetzt zur Wirkungsstätte der Psyche, die aus einem Mangel an Leben getrieben ist und erleben will und alles dafür tut, ihren Frieden mit sich darin zu finden. Der Kreis der Selbstliebe schließt sich eine einem Altruismus, der einen höheren Zweck verfolgt als der des Eigennutzes und doch die höchste Form des Eigennutzes ist, weil er die Selbstbestärkung außer sichn ahebn und zugleich sein will. Das Angetriebensein in ein er Kreisbewegung zwischen einen Sein für sich und einem Sein für andere, dies Triebhafte der Bedürfnisse ist Ausdruck der Notwendigkeit der Psyche, zum Leben durch Erleben zu kommen, zum Leben verurteilt zu sein, und dies - wie durch einen inneren Drang bestimmmt - erleben zu müssen.

An und für sich bewegt sich alles Leben in der Geschichte, die es selbst wesentlich zum Inhalt hat, aus den Existenzen und Sorgen und Genüssen und Ärgernissen usw., die sich darin im Beziehen von allem Lebenden ergeben. Hier geht es nicht um solches Leben, sondern um das Erleben einer Getriebenheit, die der Psyche entspringt, weil diese selbst schon dahin getrieben war, sich aus ihrer Wirklichkeit herauszusetzen. Der Grund, der zu solcher verselbständigten Geisteswelt geführt hatte, erscheint daher nun als verselbständigte Körperwelt, die keinen Frieden finden kann, wiewohl sie unentwegt nach Befriedigung strebt.

Das Prinzip des Triebes ist die Befriedigung einer Erregung, welche aus der Psyche kam, sich aber nicht seelisch zu vermitteln vermag. Die Trennung von Körper und Geist hat die Psyche darin vollzogen, dass sie ihr Selbstgefühl nirgendwo anders als in ihrem Körper finden kann, also im körperlichen Vollzug, der aus der Psyche nötig ist, aber nicht als ihr Leben verwirklicht werden kann. Schließlich hat sie sich zum Wesen des Selbstgefühls entwickelt und kann daher auch nur darin ihre Wirklichkeit finden.

Was sie in ihren Stimmungen und Launen nur noch vom Leben wahr hat, muss sich in ihr wenden zu einer platten Ebene des Erlebens von Befriedigung, der Friedensstiftung ihres Lebensmangels.

Von da her hat sich der Trieb als Resultat der Psyche ergeben, als ihre höchste Wirklichkeitsform. Sigmund Freud, der ihn ihr vorausgesetzt sah, verharrte noch ganz im Denken der Aufklärung, welche zuvorderst die sinnliche Basis der Erkenntnis in einer ihr vorausgesetzten Natur vermeinte. Solche Aufklärung ist die verfängliche Weltsicht des Bürgertums, das nicht begreifen kann und will, dass die Natur im Menschen vollständig aufgeht und sein Geist eine hiervon unabtrennbare Eigenschaft ist. Die vermenschlichte Natur ist als natürlicher Mensch nicht gespalten in Sinn und Geist. Wenn sie gespalten erscheint, so durch die Lebensverhältnisse, die Menschen als gesellschaftliche Verghältnisse entwickelt haben. Die Verselbständigung ihrer Sinne zu Trieben entspricht daher vorzüglich der Verselbständigung ihres Reichtums zu Kapital.

Die Psyche hat sich damit selbst nun vollständig in das Prinzip ihrer Veräußerung gestellt: Je mehr ihr an wirklichem Leben ermangelt, desto notwendiger wird der Trieb zu ihrer Befriedigung und desto geringer wird ihr Erkenntnisvermögen gegen die Objekte ihrer Begierde. Das sogenannte Lustprinzip (Sigmund Freud) bringt nicht das Glück, das darin versprochen ist und an das die Psyche glaubt. Im Gegenteil: Im Verhältnis zu den einverleibten Objekten wird auch die Psyche immer substanzloser und muss früher oder später ihre Sinnentleerung als ihre selbsterzeugte Gegebenheit erkennen.

Der Prozess der Selbstverwirklichung kann sich nur in Momenten der Lust, des Glücks und der Begeisterung für das eigene Leben erweisen. Aber dahin kann das triebhafte Begehren nur zufällig und Hin und Da kommen, nicht wirklich sich darin einfinden. In der Tat erzeugt es ganz allgemein das Gegenteil: Sinnentleerung. Je mehr die Einverleibung in die Selbstgergenenständlichung modifiziert, muss sie ihr Gemüt aus der Wirkung ihrer Selbstgestaltung gewinnen. In ihrem Luststreben scheint immer wieder nur die Leere ihrer Sinnlichkeit auf, vor allem in der Unendlichkeit ihres Befriedigungsstreben, ihrer Getriebenheit. Auf Dauer ergibt sich das Resultat aller Bestrebungen, welche die Selbstverwirklichung angetrieben hatte, als ihr eigenes Gegenteil: Als Selbstentwirklichung. Um selbst für sich wirklich zu werden, treibt es die Menschen zu allerlei Unsinn, damit sie darin lustig bleiben und weiterhin ihre Lust bewahren können.

Es war der Ausgangspunkt, dass die Psyche ihre Selbstvergegenwärtigung nur in anderen erlangen kann und diese findet, indem sie Ereignisse produziert, in denen sich die Selbstgefühle der zwischenmenschlichen Beziehungen versammeln, worin sie ihr Gemüt wahrhat. Nun hat sich das Verhältnis umgekehrt: Indem die Psyche in dieser Versammlung nur ihre Wirkung finden kann, also sich allgemein zu erkennen in anderen Menschen bestätigt sieht, wird sie blind für ihre Selbstwahrnehmung. Sie gerät in eine Selbsttäuschung, indem sie durch ihre Wirkung auf andere bestärkt wird.

Von daher entwertet ihr Luststreben jeden Sinn. Was solcher Selbstverwirklichung dient, erzeugt nur unruhige Geister und unendlich hungrige Körper, die in Wirklichkeit gar nichts für sich selbst bleiben, geschweige denn etwas werden, worin sich die Selbstbezogenheiten wirklich zusammenfinden können. Für die Psyche als bestimmte Form des Selbstwerts wird dies selbst unsinnig. Die Psyche erlebt sich so auch bald insgesamt als sich selbst inadäquart, als minderwertig, so sie sich nicht in eine Gesamtheit des Erlebens begibt, in eine Selbstbezogenheit ihrer Ästhetik. Ihre Absicht wird von daher zu einem Willen, der sie als ästhetischer Wille ihrer Notwendigkeiten, als Begehren nach einer Ganzheit ihrer Gefühle, nach einer persönlichen Selbstwahrnehmung, welche ihre bloße Begehrlichkeiten überwindet und ihre Wahrnehmungen und Triebe zu handhaben versteht, ohne den Gespaltenheit ihrer Erlebnissen weiterhin ausgesetzt zu sein, ohne sie erleiden und erkennen zu müssen. Erst in einer solchen Selbstwahrnehmung, die als Resultat der Selbstverwirklichung erscheint, werden sich die Momente des Seelischen, dessen selbständig gewordene Geistes- und Körperformen, auf irgendeine Art und Weise und in der besonderen Formation ihrer Lebenszusammenhänge zusammenfinden in dem, was das auf dieses Weise formbestimmte Leben in sie einprägt - als bestimmter Charakter der Selbstverwirklichung und Selbstwahrnehmung, einer Gegenwärtigkeit seiner selbst, welche schon in der Wahrnehmung sortiert und ordnet, was zur eigenen Wahrnehmungsidentität genommen wird und was nicht. Es ist die erste Stufe der Bestimmung einer ausgeschlossenen Wahrnehmungen, einer Wahrnehmung, die fremd empfunden wird, weil sie der eigenen Wahrnehmungsidentität zuwider ist. Von daher ist die Selbstkontrolle der Ausgangspunkt und die Grundlage für die Verwirklichung eines ästhetischen Willens, der in der Selbstvergegenwärtigung einer persönlichen Wahrnehmung entsteht. Er ist die wesentliche Substanz, welche sich wie ein Resultat der Selbstfindung aus den Prozessen der Selbstverwirklichung ergibt: Die selbst gewollte Wahrnehmung einer Vergegenwärtigung, die man durch sich selbst nur in der Wahrnehmung - also durch ein Arrangement der Empfindungen und Gefühle - haben kann. Damit wird schließlich alle Nichtigkeit, welche die Selbstgefühle unter der Bestimmung des Selbstwerts haben, überwunden und sie erscheinen wie ein Mehrwert der Selbstwahrnehmung im Selbstgefühl. Es geht dabei allerdings nicht einfach frei und zufällig zu; schließlich geht es um eine Selbstüberwindung, welche mehr für die Selbstwahrnehmung erbringen muss, als die wirkliche Wahrnehmung von sich selbst haben kann.




123.3.1 Der allgemeine Narzissmus der Selbstbeziehungen (Die Verwertung der Selbstbehauptung)


Der Bedarf nach Selbstwert hat sich im Willen der Selbstwahrnehmung verselbständigt, bleibt zwar abhängig von den Umständen jedmöglicher Selbstvergegenwärtigung, muss sich aber zugleich ihrem Aufwand entziehen, um sich durch den Adel seiner ästhetischen Gegenwart hiervon zu emanzipieren. In der edlen Selbstvergegenwärtigung sind alle Selbstbeziehungen unterworfen, die darin ihren Wert suchen. Der Selbstadel ist die höhere Form der Einverleibung ästhetischer Beziehungen. Doch er hat den großen Mangel, sich nicht durch sich selbst erfüllen und erhalten zu können. Er muss sich als mächtige Selbstbeziehung aus der Einverleibung ohnmächtiger Selbstwahrnehmungen durchsetzen, also wirklichen Selbstwert gegen sie veräußern.

Die Selbstvergegenwärtigung hat damit erst einen wirklichen Sinn bekommen: Sie bestimmt sich aus der wirklichen Entfremdung von der Welt, um die Selbstentfremdung zu verwirklichen. Alle Gefühle zur Welt werden zum Selbstgefühl einer Selbstüberhebung über diese, um die Selbstentfremdung als Selbstverwirklichung zu vollziehen. Indem die Gefühle dem Inhalt nach das negieren, was sie wahrhaben, werden sie selbst zum Mittel dieser Verkehrung, zur Empfindung einer negierten Selbstwahrnehmung. Als Empfindung können solche Gefühle ihren eigenen Ursprung überwinden und sich gegen alle andere Wahrnehmung behaupten und verallgemeinern.

"Das Selbst", das es an und für sich nicht wirklich gibt, wird dadurch wirklich, dass es diese Verkehrung in den Wahrnehmungsverhältnissen betreibt. Es nimmt sie so wahr, dass das eigene Selbstgefühl mächtiger wird, als das Gefühl für Wirklichkeit schlechthin sein kann. Die Selbstveredelung bleibt damit nicht einfach eine passive Beziehung auf sich selbst; sie wird zum Akteur aller Selbstvergegenwärtigungen, welche aus der Selbstüberwindung hervorgehen.

Dabei werden dann alle zwischenmenschlichen Ereignisse zum Stoff einer Selbstwirklichung, die sich im Grunde nur aus der Abgrenzung aller Störungen der Selbstwahrnehmung heraussetzt, indem sie Ort und Raum der Selbstwahrnehmung bestimmt, wie auch die Art und Weise der Begegnungen selbst. Nichts bleibt dabei als Beziehung wirklich, weil alles der Selbstbespiegelung dienlich sein muss. So entsteht eine Selbstbeziehung durch ein Selbstgefühl, das überhaupt nur auf seine Wirkung bedacht ist und davon zehrt, dass es diese für sich auch verleiblichen kann. Der ästhetische Wille hat in den zwischenmenschlichen Verhältnissen den Narzissten geboren.

Narzissmus ist die Wirkungsweise einer Selbsbespiegelung, die ihre zwischenmenschlichen Beziehungen zu ihrer Selbstvergegenwärtigung nutzt. Hierdurch wird jedes zwischenemenschliche Verhältnis gemessen an dem, was es dem Selbsterleben einbringt, was darin also zur eigenen Selbstbeziehung einverleibt werden kann (siehe auch Kulturkonsum) und bezogen wird. Solche Beziehungen leben substanziell durch den Bezug von Selbstwert, durch den allein sie sich als Menschen gelten, auch wenn sie dabei ihre Selbstachtung aufgeben müssen, bzw. durch Selbstverwertung ersetzen. Ansonsten würden sie sich zwischenmenschlich nur minderwertig fühlen.

Ihr Geltungsstreben ist deshalb auf die Wirkung berechnet, die dem Selbstgefühl eine ästhetische Beziehung vermittelt und ist auf den Eindruck auf andere Menschen bedacht, durch den sie an Selbstwert gewinnt. Ihre Selbstdarstellung vollzieht sich daher in der Absicht, andere Menschen als Objekte der Selbstwahrnehmung zu nutzen und sich hierdurch als Subjekt der Selbstwahrnehmung über diese zu erheben. Die Liebe in solchen Beziehungen wird dadurch auf Eindrücke reduziert, in denen sie wirkungslos, also unwirklich bestimmt ist, weil sie zu einer bloßen Wahrnehmunsformation aufgehoben wird (siehe auch Formbestimmung). Die zwischenmenschliche Lebensform eines narzisstischen Verhältnisses ist eine symbiotische Selbstbehauptung, eine Behauptung seiner selbst, in der sich Menschen in ihrer Ausschließichkeit und Ausgeschlossenheit lebendig erscheinen, indem sie auf ihre Eigenheiten verzichten, um einanander in ihrer Selbstwahrnehmung als Mensch zu bespiegeln und sich hierfür zu erziehen (siehe auch erzieherische Beziehung).

Narzissmus ist die oberflächliste Beziehungsform der bürgerlichen Persönlichkeit, die allgemeine Nutzung ihrer Egozentrik zur Befüllung ihrer Selbstwahrnehmungen. Der Begriff wurde als ein psychoanalytischer Begriff für Selbstverliebtheit, meist auch mit autoerotischer Bedeutung verwendet. Sigmund Freud hatte ihn in die Psychologie eingebracht, um damit die Prozesse und Projektionen der Eigenliebe mit seiner Libidotheorie zu unterlegen und seine Auffassung der Ich-Funktionen und deren Verdrängungsmechanismen zu erläutern. Der Streit um diese Begrifflichkeit durchzieht allerdings die ganze Entwicklung der Psychologie. Bedeutungsvoller als diese Auseinandersetzung, die lediglich verschiedene Gesichtspunkte gegeneinander hält, ist wohl die Untersuchung des Autoerotismus, der sich in der Gestaltung der Selbstgefühle durchsetzt. Doch dies wurde bislang von der Psychologie nicht als grundlegende Beziehungsform des bürgerlichen Subjekts, als Wahrnehmungsform seiner zwischen Empfindungen und Gefühlen zerteilten Erkenntnisse begriffen, weil sie vor allem individualpsychologisch die durch seinen Geldbesitz verursachte Gespaltenheit durch persönliche Identitäten oder zu einer menschlichen Identität überhaupt aufzulösen sucht (siehe hierzu auch Kleinbürger). Dabei entgeht ihr das Wesen seiner ästhetischen Selbstwahrnehmungen, die es zwangsläufig durch einen Körperfetischismus zu erfüllen trachtet, weil es darin seinen Sinn abstrakt vergegenwärtigen muss (siehe auch abstrakt menschlicher Sinn).

Der Begriff Narzissmus gründet auf der griechischen Mythologie von Narziss, der sich in sein Spiegelbild verliebt hatte. Hier wird er als Strafe einer Schicksalsgöttin begriffen, wonach der allseits umworbene Jüngling Narziss, der aus Stolz auf seine Schönheit alle Verehrerinnen und Verehrer zurückgewiesen hatte, mit einer Liebe bestraft wurde, die unmöglich erfüllt werden könne. Die Schicksalsgöttin straft Narziss mit unstillbarer Selbstliebe. Er verliebte sich in sein eigenes Spiegelbild, das er im Wasser einer Quelle sieht; auch er kann das Objekt seiner Liebe nicht erreichen und verwandelt sich sterbend in eine schöne Blume, eben eine Narzisse.

Narzissmus ist in der Tat ein unstillbares Verlangen nach einer erfüllten Selbstbeziehung, die sich als Liebe einer unmittelbar ästhetischen Beziehung auf sich selbst zu verwirklichen sucht (siehe auch Selbstverwirklichung). Doch in ihrer Fülle ist schon ihre Nichtung angelegt, da sie lediglich unwirkliche Beziehungen entwickeln kann, die eine hintergründige Selbstverachtung durch ihren Selbstverlust mit sich bringen. Von daher hat das mit Egozentrik und Egoismus substanziell nichts zu tun. Letztres sind Beziehungsformen zu sich, welche durch andere Menschen erst gesucht, ermöglicht und gestaltet werden. Im Narzissmus reflektiert sich ein Mensch durch die Wahrnehmung seiner Wirkung unmittelbar vor aller Erfahrung an sich selbst gegen wirkliche Beziehung zu anderen Menschen, schließt also seine wirkliche Beziehung auf sie durch eine ästhetische Reflektion auf sich aus (siehe auch Selbstbeziehungen), um hierdurch Beziehung durch andere zu gewinnen - und sei es nur ihre Zuwendung durch Aufmerksamkeit. Narzissmus hat seinen Grund eben nicht darin, sich auf sich zu beziehen, sondern sich durch die Anziehung der anderen zu bestärken, die eigenen Löcher der Psyche zu stopfen, einen nichtig gewordenen Selbstwert hierdurch zu ersetzen (siehe hierzu auch ästhetischer Wille). Das darauf gründende Geltungsbedürfnis betreibt durch seine Leere eine schlechte Unendlichkeit, eine fortwährende Entleerung der Wahrnehmung, welche die Selbstwahrnehmung in Lebensangst versetzt.

Für sich verfolgt der Narzissmus daher eine unendliche Ursprungssehnsucht, welche das eigene Wesen im Bild von sich sucht. Es mag eine Seelenphantasie sein, in der Form einer Ästhetik für sich auch auf sich selbst zurückzukommmen; aber im Nationalismus treibt sie auch wirklliche Blüten, wenn hierdurch die eigene Art als wesentliche Eigenart bestimmt wird (z.B. als Herrenrasse). In der Wirklichkeit wird diese herausgesetzt als Personenkult einer Führerpersönlichkeit, in welcher sich die Volksseele als Massengefühl so spiegelt, wie die Seele eines jeden Menschen, der an einer Volksgenossenschaft teilnimmt. Ihre Selbstveredelung kann sich so als Selbstbescheidung in einem Volksganzen assoziieren. Zur ontischen Selbstüberhöhung dienen ihr dann auch die Archetypen, die ihr reaktionäre Psychologen gerne spendieren (sieh z.B. C.G. Jung, Bert Hellinger).

An sich ist die Selbstvergegenwärtigung nichts anderes als eine durch Selbstentfremdung notwendig gewordene Gegenwart einer Wahrnehmung, die nichts Wirkliches mehr wahrnimmt. In der edlen Formation eines Narzissmus erhebt sie sich aber nun über die Wahrnehmung überhaupt, indem sie die Beziehungen, worin sie stattfindet, als ausschließliche Selbstwahrnehmung wahr nimmt und diese als Möglichkeit zur Selbstveredlung nutzt, um die Wahrnehmung überhaupt über sich hinwegzutäuschen. Die über alles erhabene Selbstwahrnehmung unterwirft in ihrer Eigenliebe alle Wahrnehmungen einer Selbstbezogenheit, die nichts anderes außer sich selbst wahrhaben darf, wiewohl sie daraus besteht, dies wahrhaben zu müssen. Sie "leidet" an den vielen Fremdheiten und übermächtigen Eindrücken aus einer Welt, die nicht die ihre sein darf und also auch nichts für sie sein kann. Somit hat sie sich in einer Welt wahr, die nicht wahr sein kann.

Notwendig war die veredelte Selbstbeziehung durch die Verkehrung der Wahrnehmung geworden, die zur Folge hatte, dass ihre Inhalte durch ihre eigenen Erregungen bestimmt wurden. Jetzt bestimmt sie selbst die Inhalte dessen, was sich in ihr regen soll. Die Selbsterregung ist der Grund für ihre Wahrnehmung geworden, die nichts anderes mehr für sich gewahr haben will, als was sie als eigene Regungen nötig hat. Menschen, die sich zum Beziehungsfokus anderer Menschen gemacht haben, können sich durch deren Beziehung auf sich erregen und diese Selbsterregung wieder als Lohn ihrer Regsamkeit darstellen. Narzissmus ist nicht einfach eine Selbstbespiegelung, sondern ein "Beziehungsgeschäft", das gegen eine "schlechte Welt" jenseits der Selbstbeziehungen abgeschlossen wird und sie ausschließlich macht. Dieses Verhältnis verteilt Macht und Ohnmacht der Selbstwertigkeiten ja nach Wirkung auf die Güte der zwischenmenschlichen Beziehungen, die im Narzissmus vereint sind. Allerdings ist deren Einigkeit höchst brüchig, denn die Hochs und Tiefs dieser Beziehungen eröffnen Abgründe, die durch nichts erklärbar sind, weil sie unter sich nichts haben können.

Alle Momente dieser Beziehungen unterliegen jetzt ihrer Besonderheit als selbstermächtigte Wahrnehmungsidentität. Ihr Narzissmus beruht also nicht auf einer bloßen Selbstsucht, sondern auf der Notwendigkeit, sich über die Wahrnehmungswirklichkeit selbst zu stellen, um die Selbstentfremdung leben zu können, die sie zugleich dadurch verneinen, dass es die Welt sein muss, die sie beherrscht. Aber die Welt, das sind zugleich sie selbst.





123.3.2 Das Selbstbewusstsein der Selbstbehauptung

Die Selbstverwertung hat nun die Zusammehänge ihrer Psyche, die Beziehung ihrer Selbstgefühle zu ihren Gefühlen vollständig umgekehrt. Waren es ursprünglich die Selbstgefühle, aus denen heraus sie sich durchsetzen konnte, ist es nun ihre Angst, die ein Selbstbewusstsein nötig hat, um sich zu behaupten. Dieses ist also notwendig instrumentell, will Selbstwahrnehmungen erzeugen, damit sie ihre Lebensangst beherrschen kann. Ihr sind nun die von ihr bestimmten Selbstgefühle nötig, durch die ihre Selbstbehauptung ihre Empfindungen bestimmen kann. Darin ist aus der Selbstverwirklichung ihrer Psyche eine Selbstentfremdung ihrer Selbstgefühle geworden, die Empfindungen nötig haben, durch die sie sich objektiv - und also gänzlich außer sich - verwirklichen können. Die Psyche muss erzeugen, was für sie wahr sein darf, muss wissen, durch welches Selbstgefühl sie sich behaupten kann..

Was ihre Wahrnehmung identifizieren kann, was für sie wahr sein soll, das kann sich nur in den Erlebnissen ereignien und bewähren, in denen ihre Gefühle die Empfindungen finden, die sie nötig hat. Durch das Dilemma ihrer Zwiespältigkeit entwickeln sich Gefühle nicht mehr aus deb Empfindungen ihrer Wahrnehmung, sondern bestärken sich durch die Empfindungen, die sich in ihrem Selbsterleben erfühlen lassen. Was sinnlich für die Gefühle war, wird nun zu einem gefundenen Sinn, den die Ereignisse für den haben, der sie in diesen Beziehungen empfindet. Was die Ereignisse verbindet ist dann allerdings das, was sie sinnlich von sich ausschließen, was sie nicht wirklich für sich und durch sich finden können. Es ist nicht ihre Wirklichkeit, die sie damit finden, sondern nur die Wirkung der Eindrücke, die sie machen, die Eindrücke, die durch den Ausdruck ihrer Persönlichkeit entsteht, der allerdings nur die Maske, die Person ihrer Bedrürftigkeit vermittelt. Ihre Selbstbehauptung wird zur Behauptung ihrer Selbstdarstellung, zur zwischenmenschlichen Lebensform ihrer Selbstentfremdung.

Selbstentfremdung ist das Gefühl des Verlustes eigener Wirklichkeit, die Empfindung einer fremden Macht, die an deren Stelle getreten ist. Von daher kann Selbstentfremdung nicht von selbst oder durch sich selbst entstehen. Sie unterstellt immer ein menschliches Verhältnis, worin Menschen sich selbst fremd geworden sind, weil ihr eigenes Wirken, ihr Tun und Lassen, ihre Tätigkeit und Arbeit ihnen fremd begegnet, ihrer Wahrnehmung entzogen ist. Indem sie sich in dem, was sie äußern nicht außer sich bestätigt finden, ist ihre Selbstdarstellung, die sie positiv stimmt, nur ein Produkt ihrer objektiv bestimmten Notwendigkeit, ihrer Wesensnot, erscheint also zugleich als eine fremde Macht, als fremde Kraft, als Verselbständigung ihres Selbstverlustes, als Gefühl, fremdes zu empfinden, wo ihre Selbstgefühle ihnen entgangen, abwesend sind. Wo sie eigenes äußern geraten sie in ihrer Wahrnehmung außer sich, weil sie sich in den Beziehungen ihrer Wirklichkeit niicht finden können, sich ihre Gefühle gegen ihre Empfindungen richten (siehe hierzu auch Ästhetik), ihre Selbstgefühle bloße Ohnmacht vermittelnn. Sie haben ihre Eigenschaften einer Fremde übereignet, die als fremd einverleibte Selbstwahrnehmung, als Verlust ihrer Eigenheiten auf sie zurückkommt.

Das objektive Selbstgefühl, welches in ihrem zwischenmenschlichen Verhältnis grundlegend war, hat sich hierdurch in den Menschen selbst zu einer subjektiven Kraft einer gefühlten Empfindung entwickelt, die durch die Selbstbehauptung der Psyche ihre Selbstentfremdung betreibt, weil sie nur in dieser Fremde bei sich sein kann. Sie muss den Sinn von sich ausschließen, der alleine sie sinnlich sein ließe. So ist die Sinnsuche in ein unglückliches Verhältnis geraten, in die heimliche Identität einer unheimlichen Form: Die durch ein objektiv wirksames Selbstgefühl abgetrennten Sinne erscheinen in sich ebenso sinnlos geworden zu sein, wie der Sinn, in welchem sie sich befriedigen. Der Sinn hat sich selbst nurmehr in der Form wahr, also nur darin, dass sein Leiden durch Versinnlichung seiner Entfremdung wahrgemacht wird und die dem engtsprechende Wahrnehmung hiervon identitätsnotwendig ist, weil sie formelle Identität verschafft: Keine Befriedigung, wohl aber eine Befriedung, wenn sie sich unter Kontrolle hat.

Doch ihr hieraus begründetes Selbstbewusstsein kann nur das Bewusstsein einer Lebensnot sein, die ihre Angst unter Kontrolle hat, sich also nur außer sich behaupten kann, indem sie ihr Persönlichkeit in die ihr entsprechende Form bringt, sich durch ihren persönlichen Selbstwert formatiert.





123.3.3 Die Selbstkontrolle für den persönlichen Selbstwert (Die Maskerade der Selbstverwirklichung)


Die Selbstvergegenwärtigung hat nun Folgen für die Selbstwahrnehmung in der Verkehrung ihrer sinnlichen Substanz: Ihr Sinn hat seine materielle Natur verloren und erscheint nun selbst als Ausdruck ihrer Absichten, wirkt sozusagen "rein psychisch". Die Wahrnehmung wird durch eine Selbstwahrnehmung bestimmt, welche nur noch nach nach ihrem bloßen Anderssein, nach ihrer Verkehrung verlangt. Die Wahrnehmung selbst kann ihr nur folgen, weil sie verkehrte Selbstwahrnehmung ist, die ihre Verwirklichung in der Wahrnehmung suchen, finden und empfinden muss.

Es handelt sich hierbei um eine völlig "normale" Verrücktheit: Jede Empfindung wird gefühlsnotwendig, wird also schon unmittelbar selbst zur Gefühlsempfindung. Menschen empfinden ihre Beziehung auf andere Menschen schon unmittelbar als das, was sie von sich darin vergegenwärtigen, - empfinden also nichts. Und sie kommen damit auf sich als einen Menschen zurück, der sich im Grunde völlig fremd geworden ist, in dem er empfindet , was er für sich ist, was er also nicht ist, weil er für sich nicht wirklich und also nur in der Wahrnehmung sein kann. Es mag da Schmerzen, Ärger, Bedrohung, Freude usw. geben; doch die empfinden die Menschen nicht mehr als Gefühl, das sie haben. Es ist ihre ausschließliche Gegenwart, totales Selbstgefühl als Gefühlsempfindung ihrer Welt, worin ihr Denken kreist und darin zirkulär werden und auch leicht Zwangsgedanken produzieren kann (siehe "232.1 Der Zwang zur Selbstempfindung").

Ihre Beziehung auf ihre Gefühlsempfindungen verläuft durch eine ungeuerliche Maskerade, die dadurch zu einer eigenen Wirklichkeit wird, dass sie der Welt ein Gesicht zeigt, in welchem das steht, was Wirkung macht, - nicht einfach Eindruck, sondern wirklich auf diese Beziehungen insgesamt so wirkt, wie sie für den Menschen hinter der Maske sein müssen, dass er damit auch leben kann. Die Wirklichkeit wird hierdurch zu seiner ausschließlichen Wirklichkeit, in der er nicht mehr wahrnimmt, wie er sich wahrhat, wie er davon sich gefangen nehmen und beherrschen lässt. Im Gegensteil: Er sieht sich gänzlich eins mit seiner Welt, entlastet von der Mühsal der psychischen Sorgen und meisterlich in seiner Selbstbeherrschung. Soweit solche Beziehung auch wirklich funktioniert ist sie allerdings rein ästhetisch, also selbst Wahrnehmungsform - eben eine Maskerade, die ihre Welt zu dem macht, was sich im Grunde von selbst ausschließt, und damit zugleich ausschließt, was keine sich adäquate Maske hat. Es sind keine Minderwertigkeitsgefühle, durch die es sich ausgrenzt, sondern schlichte Unmöglichkeit, sich auf das zu beziehen, was in Wirklichkeit nicht sein kann. Wer in dieser Maskerade nicht mitmacht, ist außen vor.





123.4 Die mächtige Selbstwahrnehmung (oder: Die selbstverwirklichte Persönlichkeit)


Die Selbstbehauptung gründet auf der Lebensangst der Selbstvergegenwärtigung, also der Angst um die Ausdrucksfähigkeit eigener Wahrheit, eigener Identität, und hatte dazu geführt, dass die einzelnen Persönlichkeiten gerade darin einander ausschließen. Der Kampf um die Wertschätzung eigener Selbstachtung, konnte sich nur darin aufheben, dass das Selbstbewusstsein über seine psychischen Inhalte sich erheben kann, durch die Selbstkontrolle eigener Verwirklichung durch die wechselseitige Kontrolle über die Psyche sich auch selbst psychisch wahrmacht. Die Selbstbehauptung wird hierbei selbst zu einer psychischen Macht, die im einzelnen wie ein "Über-Ich" wirksam ist, das aber nicht als eine innere Instanz der Psyche (S. Freud) existiert, sondern zur allgemeinen Notwendigkeit der konkurrierenden Selbstbehauptungen wird, die sich psychisch schließlich zu einem allgemeinen Narzissmus der Selbstbehauptungen in einer Selbstveredelung edelmütiger Persönlichkeiten ausformen wird.

Erst darin wird die Selbstwahrnehmung psychisch verdoppelt und somit zu einer psychischen Macht, die sich über die Selbstwahrnehmungen durch ein psychisch bestimmtes Selbstbewusstsein vermittelt, das über die Selbstdarstellung und Ausdrucksfähigkeit der Veredelten Macht verleiht und den Ängstlichen Eindruck macht, der sie psychisch abhängig - und oft auch hörig - macht. Die Beherrschung dieser Hörigkeit bestrebt eine Anteilnahme an der Macht der Selbstbehauptung, die hörig machen kann: Die Selbstveredelung.

Selbstveredelung befolgt eine Vorstellung von Güte, die ein Heil verspricht, wofür dann auch ein Glaube an Übermenschliches erforderlich ist. Ginge es aber nur um eine Heilsvorstellung, so könnte man diese leicht von sich abweisen wie eine Religion des Jenseits. Tatsächlich formuliert sie aber ein reales Bedürfnis nach einer persönlichen Macht der Selbstverwirklichung in zwischenmenschlichen Verhältnissen gerade dort, wo Ohnmacht vorherrscht. Es steckt schon im Prinzip der Selbstbehauptung, dass sie sich im Einzelnen gegen andere durchsetzen muss, dass sie sich in ihrer Allgemeinheit nur gewinnen kann, wo sie sich im Einzelnen verliert - nur um das Dilemma ihrer Isolation aufzulösen. Doch dieses ist das objektive Unvermögen einer kapitalisierten Selbstbezogenheit, einer massenhaften Vereinzelung der Gefühle in zwischenmenschlichen Beziehungen, wo sie sich durch die wechselseitigen Selbstbehauptungen ihrer Selbstgefühle gegenseitig aufzulösen drohen.

Das eigene Selbstgefühl hatte sich in der Verallgemeinerung der eigenen Gefühle gebildet, indem es diese verobjektiviert hatte. Von daher konnten sich diese nur relativ zu ihrer Objektivität als objektive Gefühle behaupten. Umgekehrt kann ein Selbstgefühl aber durch seine Selbstbehauptung nur das sein, was es schon vor aller Erkenntnis war, was es von sich kennt, was der Selbstwahrnehmung ursprünglich vorausgegangen war und für ihr Dasein nötig schien. Ein objektives Selbstgefühl wurde so zu einem Ideal, an dem sich die zwischenmenschlichen Verhältnisse in ihrer Allgemeinheit vereinen, darin ihr abstrakt Allgemeines unentwegt reproduzieren und veräußern, indem sie sich selbst auch darin idealisieren, ihre Idealisierung außer sich empfinden um sich selbst ideal zu fühlen. So entstehen Selbstgefühle, die sich durch ihre Ideale subjektiv wie zugleich objektiv verhalten, bei sich sind, wenn sie außer sich ihre Veredelung erfahren. Darin müssen sie in ihrer Selbstverwertung für sich edelmütig sein, um Wert für sich zu erlangen. Dies verlangt, dass sie sich durch ihr Geltungsstreben in ihren Verhältnissen nicht nur allgemein bestärken, sondern zugleich in ihrer Einzelheit entwerten.

So entsteht eine Selbstveredelung in zwischenmenschlichen Verhältnissen, in denen sich eine Selbstverwertung durch die Entwertung von den Selbstgefühlen der Psyche einstellt. Die Verhältnisse kehren sich daher um: Die Ohnmacht der Selbstempfindung wird zum Selbstgewinn der Gefühle, die ihre Selbstbeziehung durch ihren Edelmut für sich vermitteln, indem sie sich als wertvoll für ihr Leben behaupten können, soweit sich darin ihre Lebenserfahrung im Allgemeinen bewähren kann. Sie verschafft sich damit in der Vereinzelung des Lebens die Macht einer Lebensvermittlung, die nichts anderes als die Selbstvermittlung einer dominanten Selbstbezogenheit ist: Eine Reduktion der Beziehung auf andere durch eine Beziehung auf sich selbst, durch die Totalisierung der Selbstbezogenheit. Die wird in ihrer Verdichtung und durch diese für sich tatsächlich veredelt, gerade wenn sie ihren Sinn durch andere verliert, von ihnen einverleibt wird, um für sich Wert zu empfinden, wertvoll für sich sein zu können, indem sie ihren Sinn für andere veräußern.







(1) Diese Leistungen sind wohl das, was Freud "Ich-Leistungen" nannte. Man könnte auch sagen, dass das Selbstwertgefühl nun in der Form eines "Ichs" sich fortentwickelt. Aber die Ich-Psychologie sucht dem Ich immer eie positive Sustanz anzudichten, um ihm ein apartes Wesen zu verleihen. Gerade da aber widerspricht sie sich. denn wenn die Nedtivität des Ichs selbst nicht begriffen ist, wird man nach der Substanz seiner Tätgkeit endlos suchen müssen. Die Selbstverwirklichung resultiert eigentlich auf einer Entwirklichung, die aber als eine Wirklichkeit durch die sogenannten "Ich-Entwicklung" aufgefasst wird. Doch ein solcher Begriff bleibt widersinnig, behauptet er doch implizit, dass diese Entwicklung im Menschen selbst sich ereignen würde und daher eine unmittelbar menschliche Substanz habe. Die aber war schon im "Es" vergeben, und so würde sich das Ich also doch nur hieraus speisen können, nur dessen Vollstrecker und dennoch Kontrolleur sein können, um "höhere Befriedigungsformen", "Genuß der Kultivation" beizubringen - so Freud. Doch damit führt er eine gänzlich neue Substanz ein, die vom Kulturbegrifff abhängig ist. Und es düfte demnach auch keine negative Gewalt der Kultur geben; jedes "Ich" müsste sich hiergegen sträuben. Doch das Gegenteil war in den Kriegszeiten des 20. Jahrhundertzs der Fall. Die Menschen fanatisierten sich gerade hin zur Vernichtung. Folgerichtig scheiterte Freud in der Erklärung von Krieg und Rassismus und musste deshalb einen Todestrieb einführen - ein Zerwürfnis der gesamten Ich-Psychlogie.

Doch der größte Irrtum der Psychoanalyse ist nicht dies, sondern die Dichotomie eines quasi naturhaften "Es", welches "den ganzuen psychischen Apparat" (Freud) bestimmen würde. Was hier einem "Es" zugeschrieben wird ist nicht Grund sondern Folge der sogenannten Ich-Funktionen. Erst im Nachhinein ihrer Wahrnehmungstättigkeit - und nicht dem vorausgehend . verselbständigt sich ein Lusterleben als Beziehungsform, die wie eine "Kraft der Natur" über die Menschen kommt, obgleich sie nichts anderes ist als die Kraft ausgeschlossener Gesellschaftlichkeit der menschlichen Sinne. Dazu nun mehr.


Weiter mit Buch I: 133. Die Personifikationen der Selbstwahrnehmung