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130. Einleitung in eine Theorie der bürgerlichen Persönlichkeit

Indem sich die Menschen durch ihre Selbstbehauptungen verwirklicht haben, haben sie sich gegen einander entwickelt und ihre wirklichen Wahrnehmungen für sich behalten, ihre Selbstgefühle totalisiert und als wechselseitige Totalitäten von eigenständigen Gefühlswelten gegen einander isoliert. Von daher zerfallen ihre Selbstwahrnehmungen in verschiedene Fragmente ihrer Entwicklung, sind durch die Geschichten ihres Selbsterlebens in einzelne Strukturen der Wahrnehmung aufgeteilt. Sie können durch sich nicht mehr richtig sein und einander nicht gerecht werden, benötigen daher eine ihnen äußerlich bestimmte Selbstbehauptung, eine Selbstbestätigung durch andere. Sie haben sich persönlich von der Wechselseitigkeit ihrer Gefühle abgesetzt und eine Person geschaffen, die sich wie die Ausgeburt ihrer individuellen Entwicklung, wie ein zwischenmenschliches Naturwesen ganz seiner selbst gerecht versteht und verhält. Allerdings kann sie durch die Zerteilung ihrer Selbstwahrnehmungen sich nicht mehr in der Geschichte ihrer Selbstverwirklichung erkennen, denn sie hat sich darin über sich selbst erhoben und muss sich doch im ständig wechselnden Verhältnis der Personen verhalten, sich als Persönlichkeit ihrer zwischenmenschlichen Verhältnisse darstellen und äußern.

Indem sich die Menschen durch ihre Selbstbehauptungen verwirklicht haben, haben sie sich gegen einander entwickelt und ihre wirklichen Wahrnehmungen für sich behalten, ihre Selbstgefühle totalisiert und als wechselseitige Totalitäten von eigenständigen Gefühlswelten gegen einander isoliert. Von daher zerfallen ihre Selbstwahrnehmungen in verschiedene Fragmente ihrer Entwicklung, sind durch die Geschichten ihres Selbsterlebens in einzelne Strukturen der Wahrnehmung aufgeteilt. Sie können durch sich nicht mehr richtig sein und einander nicht gerecht werden, benötigen daher eine ihnen äußerlich bestimmte Selbstbehauptung, eine Selbstbestätigung durch andere. Sie haben sich persönlich von der Wechselseitigkeit ihrer Gefühle abgesetzt und eine Person geschaffen, die sich wie die Ausgeburt ihrer individuellen Entwicklung, wie ein zwischenmenschliches Naturwesen ganz seiner selbst gerecht versteht und verhält. Allerdings kann sie durch die Zerteilung ihrer Selbstwahrnehmungen sich nicht mehr in der Geschichte ihrer Selbstverwirklichung erkennen, denn sie hat sich darin über sich selbst erhoben und muss sich doch im ständig wechselnden Verhältnis der Personen verhalten, sich als Persönlichkeit ihrer zwischenmenschlichen Verhältnisse darstellen und äußern.

An sich leben die Menschen ihr Leben mit allen Schwächen, Fehlern und Erfolgen durch ihre Tätigkeiten und ihr Leiden, durch das sie sich entwickeln und ihre Geschichte fortbilden, ohne dass sie sich hierfür als besondere Person, ohne sich als Persönlichkeit aufführen müssten. Um sich als Mensch zu achten genügt die wirkliche Beziehung in ihren gesellschaftlichen Verhältnissen, die auch möglich ist, wo Gesellschaft sich selbst unwirklich verhält. An und für sich gelten schon ihre Erzeugnisse als Zeugnis ihrer Fähigkeiten und Eigenschaften und bedürfen keiner sonderlichen Vorstellung einer Persönlichkeit, die sie hervorgebracht hätte. Es ist immer das gesellschaftliche Zusammenwirken der Menschen, das der letztliche Grund für jede menschliche Entwicklung und Geschichte ist, ganz gleich, ob diese in der Sache, im Wissen, der Kunst , der Politik usw. sich bildet. Der einzelne Mensch ist immer gesellschaftliches Zeugnis und Subjekt zugleich, wenn er sich äußert und auf andere Menschen bezieht. Nur das bürgerliche Subjekt versteht sich als Persönlichkeit ihres Eigenlebens, ihrer Selbstwahrnehmung, weil es sich als Verwirklichung seiner Selbst, in seiner Selbstverwirklichung begriffen haben will.

Eine Persönlichkeit erscheint als das Ganze einer individuellen Verkörperung, als das Ganze eines individuellen Lebenszusammenhangs von einzelnen Empfindungen und Gefühlen in einer Person, wie sie sich in ihrem sozialen Verhalten aus ihren Lebensverhältnissen entwickelt hat, worin also alle Beziehungen zu anderen Menschen so sind, wie sie sich in ihr als Verhältnis ihrer Geschichte in ihren Erinnerungen eingeprägt haben, so dass sie nun von dieser Person als ungebrochene Einheit ihrer Selbstgefühle erlebt werden. Darin werden diese Selbstgefühle zu einer persönlichen Wahrheit, aus der sie durch ihre Selbstgerechtigkeit bezieht und in ihren zwischenmenschlichen Verhältnissen sich selbst verallgemeinert und sich mit allgemeiner Geltung ihres Selbstwerts durchgesetzt sehen will (siehe hierzu auch Geltungsbedürfnis).

Doch so ungebrochen, wie diese Menschen sich durch ihre Selbstbeziehung in ihren zwischenmenschlichen Verhältnissen erscheinen, sind die nur als Form ihres Selbstwertgefühls, das sich im Kampf um ihre Selbstachtung ergeben hat. Sie selbst sind Resultat einer Geschichte ihrer Ohnmacht, die nur aufgehoben werden kann, wenn ihre Gefühle selbst gesellschaftlich mächtig geworden sind. Darin nämlich sind viele Verhältnisse geronnen, in denen sich Persönlichkeiten durch die Einverleibung ihrer Beziehungen gebildet haben, die sie nicht mehr für sich unmittelbar aufheben oder überwinden können. Ihre zwischenmenschlichen Beziehungen haben in ihrem geschichtlichen Verlauf eine Gefühlswelt dessen entwickelt, was ihnen zwischenmenschlich notwendig war und worin sie sich selbst in einer bestimmten Verarbeitungsweise bei der Bildung ihres Selbstwerts verfestigt haben und sich durch die Tätigkeiten ihrer Selbstgefühle äußern, erfüllen und gegen einander ausfüllen. In den zwischenmenschlichen Beziehungen dieser Persönlichkeiten geht ihre einzelne Geschichte unter und erzeugen eine Selbstvergegenwärtigung durch Selbstbehauptungen, die sich in einer Welt voller egozentrscher verhalten und und in den einzelnen Menschen einen inneren Zusammenhang psychischer Verhältnisse hinterlassen. Die Psychen der Individuen sind daher immer ein gesellschaftliches Produkt ihrer zwischenmenschichen Enstehungsgeschichte im Kampf um ihre Selbstvergegenwärtigung.

Die Individualpsychologie geht dagegen im Wesentlichen davon aus, dass sich eine solche Persönlichkeit aus sich heraus begründen könne, was sie durch sich geworden sei, also nun doch als ein wirkliches Individualwesen wäre, das sich auch durch sich selbst begründen können müsse. Die Fertigkeiten und Festigkeiten ihres Verhaltens bestehen aber nicht durch ihre Eigenheiten oder Eigenschaften, sondern aus der Not, in die ihre Selbstachtung vergangen war und wiederum vergeht, wenn sie ihrer Selbstachtung beraubt wird und ihren psychisch gewordenen Selbstwert nicht erhalten kann. Schließlich ist eine solche Persönlichkeit doch immer noch nur das Resultat von immer wieder erneuerter zwischenmenschlichen Verhältnissen, in denen sich die Selbstverwertung zur Selbstveredelung entwickeln muss, um darin als Subjekt ihrer Verhältnisse zu bestehen, um als ein Zwischenmensch der Psyche sich zu vergesellschaften.

Ihre Geschichte kann daher im Ganzen nicht auf einer bloßen Selbstbestimmung ihrer Gefühle begründet sein. Dies würde sich schnell verflüchtigen, sobald sich deren Objekte entfernen, sie empfindungslos für sich bleiben müsste. Und wozu dann all die Wirbel und Verstellungen nur um ihrer selbst willen? Nein. Die Psyche hat zwar ein Gedächtnis, das in ihren Gewohnheiten wiederkehrt und diese auch zur Wiederkehr, zu ihrer Selbstbestärkung bringt. Doch sobald ihr dieser Stoff ausgeht, sobald die Inhalte ausbleiben, die diese Bestärkung betreiben, wird sie auch schnell vergesslich. Gerade dann wird das scheinbar ausschließlich Selbstbezügliche außerordentlich sozial. Es kann sich nämlich nur nach sich selbst ausrichten, wenn es andere nach sich ausrichtet, also Menschen in Verhältnissen vorfindet, worin alle Beziehungen durch die Selbstwahrnehmung einer Person bestimmt sind, - wo es ihr also gelingt, ihre zwischenmenschlichen Beziehungen ganz nach ihrem Bilde zu gestalten.

Um diese Entwicklung geht es jetzt hier. Es muss darin praktisch jede Selbstwahrnehmung zu einer zwischenmenschlichen Beziehung veräußert werden, also au�erhalb des Menschen wirklich existieren. Es wird sich zeigen, dass dieser Veräußerungsprozess der Selbstwahrnehmung nicht einfach aufgehen kann, weil er in Wahrheit ein Prozess zwischenmenschlicher Entäußerung ist. Er führt dazu, dass sich die Antriebe eines Menschen selbst spalten, indem er die Gesellschaft seiner Selbstwahrnehmung sucht, in der er nurmehr wahrhaben kann, was er wahrnehmen muss, und von daher nur sein kann, was er für sich wahrnimmt. Weil er in dieser Form ja nur sich selbst in seiner Wahrnehmung außer sich, also von sich getrennt wahrhat, muss er sich in und mit dem identifizieren, was er ganz außer sich nur wahrmachen kann. So entsteht eine an sich verrückte Spirale der Selbstwahrnehmung, welche die Grundlage der Verrücktheiten aller Fremdwahrnehmungen sein wird, die zum Selbstläufer symbiotischer Selbstbehauptungen werden (siehe hierzu Band II: Die Zwischenmenschlichkeit der Selbstvergegenwärtigung).

Zunächst wird die Selbstwahrnehmung aber erst mal zu einem Verhältnis zu anderen werden. Im Triebverhältnis war sie ja noch ein bloßes Verhalten zu sich selbst. Jetzt sucht sie außer sich Werte, die sie für sich nutzen kann als Grundlage ihres Selbstwerts. Hierfür wird die Leiblichkeit ihrer Lebensform entstehen und bereitstehen, nicht mehr als Objekt der Triebe, sondern als Subjekt ihrer Beherrschung. Die Menschen müssen ihre Selbstwahrnehmungen als ihren Selbstwert wahrhaben, müssen sich durch die Entleibung anderer Menschen selbst so finden, wie sie diese sich einverleiben können, um vor allem Wert für sich haben können. Sie finden ihre Identität im Selbsterleben durch andere. Von da an existieren sie als eine Persönlichkeit jenseits dessen, was ihre Existenz bestimmt. Und das macht ihre Persönlichkeit frei für die Entfaltung ihrer Selbstbezogenheiten. Jede Beziehung auf andere ist ausschließlch dem Nutzen ihrer Selbstbezogenheit unterordnet. So tritt die Selbstwahrnehmung ihre Herrschaft in den zwischenmenschlichen Verhältnissen nun auch wirklich, also mit Wirkung an.

Dies unterstellt, dass ein Mensch anders erscheint als er ist, dass er als ein selbständiges Wesen von seiner Existenz unterschieden ist, dass er nicht ist, was er durch sich ist, sondern aus seinem Sein herausragt, aus der Seinsweise seiner Selbstwahrnehmung in den hieraus bestimmten zwischenmenschlichen Verhältnissen selbst ein eigenes Sein begründet. Ausdruck seiner zwischenmenschlichen Seinsweise war er im Prinzip schon in seinem psychischen Wesen, hatte als dieses aber noch keine wirkliche Existenz, hatte keine Wrkung als Mensch, sondern war menschliche Reflexion in reflektiertem Menschsein, ausdrücklich beeindruckt, aber nichts anderes im Sinn habend, als sich, sein Erleben und seine Befriedigung. Nun wird ein solcher Mensch handelnd, gestaltet sich sein persönliches Erkenntnis- und Erinnerungsvermögen und leitet hieraus die Art und Weise seiner Weltverarbeitung und seines Handelns ab, drückt sich nun selbst wirklich aus in den Verhältnissen die ihn ausdrücken. Hierdurch wird er zu einem bestimmten Charakter, wie er sich aus der psychischen Entwicklung ergeben hat und wie dies Ergebnis ihn umgibt.

Für Sigmund Freud entwickelt sich eine Persönlichkeit aus einem Triebschicksal heraus, das ein Kind in seiner Familie zu bewältigen hat. Aus seiner Liebe zu seinen Eltern entwickelt sich das Kind in der Art und Weise zum Erwachsenen, wie es sich in einem tiefgreifenden geschlechtlichen Konflikt bildet, der sich in der Konkurrenz mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil entzünden würde und aus Neid an dessen Geschlechtsrolle zum gegengeschlechtlichen Elternteil mit dessen seelischer Ermordung enden müsse. Dieser "Ödipuskomplex", wie Freud ihn nannte, sei die kulturelle Initialisierung des Menschen und also von überhistorischer Notwendigkeit. Er nämlich würde im werdenden Erwachsenen eine Instanz des Gewissens hinterlassen, die als Opponent der Triebe diese in Zaum hält und als Garant der Kulturfähigkeit die Sublimation "kulturunfähiger" Triebe betreibt. Die beiden Kräfte, das "Es" auf der Triebseite und das "Über-Ich" auf der Seite der Kultivation, bestünden in einem fortwährenden Konflikt, weshalb eine Persönlichkeit nur dadurch reifen könne, dass sie ein "Ich" erwirbt, welches in der Lage ist, die Ansprüche von "Es" und "Über-Ich" zu vermitteln.

Diese Ontologie der Seele erklärt die Gespaltenheit der bürgerlichen Persönlichkeit für ebenso kulturnotwendig, wie es die Triebbefriedigung als bloße Naturtatsache aufführt, die allerdings unnatürlich genug ist, sich an ihren natürlichen Erzeugern festzumachen.

Bei Freud ist alles Anschauungssache und von daher so logisch oder unlogisch, wie seine Anschauungen sind. Im Interesse, seine Psychoanalyse naturwissenschaftlich zu unterlegen, hat er der Kultur eine Naturbestimmtheit zugewiesen, die er nicht mit den wirklichen kulturellen Entwicklungen seiner Zeit, vor allem nicht mit dem ersten Weltkrieg in Einklang bringen konnte. Angesichts dessen musste er einen zweiten Naturtrieb annehmen, der auch in der Natur selbst ein Vernichtungspotenzial entdeckte: Den Todestrieb. Indem nun alles triebhaft ist, könnte man auch Kultur selbst als Triebschicksal annehmen, wodurch die Psychoanalyse endgültig zeigt, was sie ist: Eine Anpassungstheorie des Menschen an die bürgerliche Kultur. Gegen die wichtigste Entwicklung seiner Zeit, dem Nationalsozialismus, war sie daher völlig ohnmächtig und untauglich, konnte diesen lediglich als massenpsychologisches Triebphänomen einer kollektiven Verdrängung ansehen und dieses selbst nur moralisch verwerfen - gang im Widerspruch zu seiner sonstigen Behandlung von Verdrängungen.

Abstrakte Sinne können nur von dem zehren, was sie nicht sind, was also ihre bloße Form als Wert für sich, ihr Dasein als Selbstwert ausmacht. Sie treiben in ihrer Formbestimmtheit zu einer Ästhetik, worin sich ihre Leere mit Selbstwahrnehmung aus dem füllt, was sie als Stoff und Ereignis für sich vorfindet. In ihrer hierdurch bestimmten Selbstverwirklichung hat sich dieser Trieb auf das bloß körperliche Selbsterleben gebracht, der sich im Reiz des Erlebens selbst aufhebt. Nur durch die Hinzunahme fremder Leiblichkeit kann er sich erneuern und also reproduzieren. Darin aber vollzieht sich eine unendliche Notwendigkeit. Das beständige Beziehen auf sich selbst durch andere ist durch die Gewohnheit in zwischenmenschlichen Beziehungen zu einer Selbstverständlichkeit geworden, welche aus Einverleibungen, aus Aneignung fremder Wahrnehmungen und Kulturarbeiten in zwischenmenschlichen Beziehungen besteht, aber nun wie eine persönliche Eigenschaft sich gestaltet, als Fähigkeit und Vermögen, mit anderen Menschen in eigenen Maß und zum Vorteil der Selbstwahrnehmung "umzugehen".

Die Psyche hatte sich vom Selbstgefühl zum Antrieb der Selbstwahrnehmung gestaltet, zu einem Selbst, das die Autonomie der Wahrnehmung erstrebt. Von daher erlebt sie sich letztlich erst vollkommen aus den Notwendigkeiten ihrer Triebbefriedigung befreit und dennoch befriedigt. In ihrem Entwicklungprozess hatte sich Geist und Körper durch das Selbsterleben der Seele enzweit und worin rein sinnlichen Absichten der Selbstbeziehungen als Psyche mächtig geworden waren über die geistigen. In der Triebbefrierdigung wurde das Getrenntsein von Körper und Geist zwar überwunden, aber bloß negativ in einem Frieden, der in sich nichts ist und also die Unruhe auch wieder erzeugt, die ihm vorausging. Man könnte auch sagen: Die Triebbefriedigung hinterlässt einen Mangel, der die Seele beunruhigt, weil sie darin zwar gesättigt wird, aber noch nicht vollständig als Selbst verwirklicht ist. Sie erlebt sich unwirklich; Körper und Geist können nicht mit sich selbst genug sein. Ihre Befriedigung erreicht eine Sättigung, die ihre Einheit nicht wirklich herzustellen vermag, weil sie sich im Erleben vor ihre Erkenntnis enthält.

Geist und Körper können im Befriedigungserleben nicht aufgehen und hinterlassen von daher eine Notwendigkeit, sich aus ihrem Verhältnis herauszusetzen, indem sie sich als Person verhalten, die durch andere Personen die Leiblichkeit ihrer geistigen Interessen finden, wo sie von den Begierden der Sinne unabhängig sind. Das persönliche Verhältnis muss die Unmittelbarkeit seelischen Erlebens überwinden und steht zu ihr wie ein soziales Verhalten, worin sich Menschen über ihre Seelen erheben, ihren Trieben entfliehen und "vernünftig" miteinander umgehen.

Ihr soziales Verhältnis entwickelt ein soziales Verhalten, das sie zu einem ganzen Verhältnis in sich selbst so entwickeln, wie es sich nur in der Beziehung zu vielen anderen Menschen ergeben kann und sie darin ihre Wertschätzung erlangen, die Grundlage ihrer Selbstachtung. Diese Beziehung aber ist nicht wirkliches Bezogensein, wirkliche Auseinandersetzung mit anderen Menschen, sondern ein Prozess der Selbstbildung, welcher durch Erleben anderer Menschen in Gang gesetzt und so entwickelt wird, wie es die soziale Wertschätzung verlangt. Er ist notwendig, um sich selbst in der Anarchie der Gefühle als einen Menschen herauszubilden, der mit ihnen umzugehen weiß. Eine Persönlichkeit entsteht unter den Bedingungen der bürgerlichen Kultur in der Fähigkeit, eigene Empfindungen und Gefühle so zusammen zu halten, dass sie zu einem Verhalten als Ganzes werden, ohne sich darin aufzuzehren. Sie erstrebt die Einheit von Wahrnehmung und Selbstwahrnehmung in der einzelnen Ganzheit eines Menschen, einer Person, indem darin möglichst alle Selbstgefühle ihren Frieden finden.

Wenn Selbstgefühle befriedigt werden, machen sie sich hinfällig, da sie nicht mehr der seelischen Bereicherung dienen sondern sich stattdessen vernutzen, sich ihre Sinnentleerung offenbart. Das Erleben von Befriedigung unterscheidet sich vom Leben im Frieden eigener Sinne vor allem darin, dass es unentwegt Sinnerneuerung verlangt, neues Erleben, welches das vergangene und verbrauchte Leben ablöst, überwindet, verbessert, erweitert. Sinne, die nicht in ihrer Wirklichkeit zu ihrem Frieden und ihrer Bildung und Ausbildung finden können, verbleiben unverwirklicht als Sinn ohne Wirkung, von ihrem Wesen getrennt, sich selbst äüßerlich, abgebrochen und unstetig, leer und in der Hoffnung auf irgendeine Erfüllung. Sie müssen daher auf immer höherer Stufenleiter der Abstraktion befriedigt werden und erzeugen sich selbst aus ihrer Entleerung zu einer Gier nach immer höherem Genuss. Der Trieb hat daher in seinem objektiven, seinem formbestimmten Drang auch eine qualitative Seite und tritt damit aus der Zufälligkeit seiner Verwirklichung heraus. Er muss eine zunehmend persönliche Lebensqualität durch Gewöhnung und Erweiterung des Erlebensspektrums bekommen.

Dies aber erzielt eine Person nur durch Formalisierung der Selbstwahrnehmung zu einer Beziehung auf andere, die so bestimmend ist, wie sie auch bestimmt wird. Sie macht die Menschen für sich zu dem, was sie für sich ist und was sie für sich sein will. Dies erfolgt nicht mehr in der Beliebigkeit von Begegnungen, sondern durch deren Begrenzung und Konzentration auf einen bestimmten Lebensraum. Es vertieft sich das Erlebensspektrum in der Permamenz und Ausschließlichkeit der Begegnung und Wirkung, in der Formbestimmung der Erlebnis durch das, was Selbstwahrnehmung darin ausmacht und Wahrnehmung von anderem überhaupt erübrigt und somit Zweifel ausschließt. Die Wahrnehmung muss von der Selbstwahrnehmung abgetrennt, entfremdet, die öffentliche Welt durch eine private ersetzt werden. Die Persönlichkeit der Selbstwahrnehmung gibt es nur als private Persönlichkeit eines gesellschaftlichen Raums, dessen Grenzen durch die Grenzen einer bestimmten Zwischenmenschlichkeit gezogen werden.

Solcher Lebensraum ist die Grundform kultureller Selbstabgrenzung. Was darin eine Persönlichkeit ist, ist sie nicht mehr, wenn sie diesen Raum verlässt. Ein Deutscher mag in Deutschland eine deutsche Persönlichkeit sein, im Ausland hat er sie als anderer, z.B. als Tourist oder Politiker, unter der Bevölkerung eines Volksstamms in der Südsee wirkt er nur noch peinlich, wenn er auf deutsche Persönlichkeit abzielt.

Das Bestimmte wird darin zum Bestimmenden, die Menschen zu Objekten ihrer selbst, zu subjektiven Objekten, die andere als Menschen so bestimmen, wie sie durch ihre Selbstwahrnehmung bestimmt sind. Die Marionetten ihrs Erlebens brauchen Marionetten des Erlebnisses. Darin wird der persönliche Selbstwert versinnlicht und zu einem Stolz pervertiert, welcher die Selbstachtung ersetzt. In selber Weise werden die Beziehungen zu anderen Menschen durch Erlebnisse ersetzt, worin sie zu objektiven Lebensformen werden, sich wechselseitig als ihre persönlichen Lebensumstände haben. Das Verhältnis zu anderen Menschn existiert in diesen Umständen als wirkliches Verhältnis zu sich selbst, als Selbstverwirklichung, die aber lediglich das wahrhat, was ihrer Selbstwahrnehmung zufolge für sie wahr sein muss.

Alles Erleben darin ist innerhalb eines persönlich bestimmten Lebensraums nun allgemein wirkliches Selbsterleben, worin sich die Menschen als das erleben, was sie voneinander wahrnehmen. Aber die Wahrnehmung, welche nun dem Erleben vollkommmen ergeben ist, hat ihren eigenen wirklichen Kern, die Empfindung von Wirklichkeit und das Gefühl für ihre Wirkung, in Selbstwahrnehmung gewendet, in die Art und Weise des Fühlens gekehrt. Aber Erlebnisse sind ohne wirklichen Zusmammenhang nur Ereignisformen und von daher ohne deden seelischen Belang. Um diesen zu bekommen verlangt das, dass das Erlebsnesspektrum im Gedächtnis zusammengeführt wird, dass Erlebnisse in ihrer Nähe zu anderen Erlebnissen seelisch wahr gemacht werden, dass die Seele selbst ihren Erlebenszusammenhang finden muss, um sich zu erhalten und sich als Mittel der Befriedung ihres Mangels an Wirklichkeit zu entwickeln. Die Ausdehnung der seelischen Bestrebungen verlangt integratives Verhalten in dieser nun höheren Form der Selbstbeziehung. Sie verlangt Ordination ihrer Absichten zum Zweck der höheren Erlebensfähigkeit. Und das macht dann schließlich eine kultivierte Persönlichkeit aus. Sie ist der Mehrwert des Selbstgefühls, wie es sich in seinem seelischen Erleben bildet.

Dieser Wert vollzieht sich in der Bewertung ihrer Umstände, worunter vor allem die Menschen zu verstehen sind, deren Leib der persönlichen Wahrnehmung zur Verfügung steht, deren Anwesenheit ihre Welt ausmacht und beglückt. Die Bewertung einer solchen Beziehung bringt die Selbstwerte als Lebenswerte erst wirklich auf die Welt. Doch auf dieser werden sie auch selbst wirklich und werden tückisch.

Sie bestimmen zunächst den Träger des Selbstwerts selbst zu ihrem Objekt und verschaffen ihm eine bestimmte Verarbeitungsweise seiner Erlebnisse als Notwendigkeit einer Wahrnehmungshierarchie, die ihn zu einem autoritären Charakter ausprägen. Erlangt er die nötige Selbstlosigkeit, um sich dieser Hierarchie zu entziehen, so entschwindet er auch dem stofflichen Träger, der sinnlichen Abhängikeit. Die Seele bildet im Luftschloss ihrer Sinne für die Persönlichkeit einen esoterischen Charakter. Und hat sie darin ihren Sinn für sich endlich wirklich entdeckt, so wird sie zu einer Persönlichkeit, die dadurch mächtig über ihre Selbstwahrnehmung wird, dass sie sich in allen Beziehungen gleichgültig gegen ihre besondere Geschichte verhält: Flexible Persönlichkeit.

Die Entwicklung bis dahin nun im Einzelnen.

Lebensraum

Weiter mit Buch I: 131 Die private Persönlichkeit