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211. Das vergemeinschaftete Selbstgefühl der gewöhnlichen Zwischenmenschlichkeit

Im Allgemeinen setzt Selbstvergegenwärtigung eine Ungegenwärtigkeit objektiver Beziehungen voraus, also ein unwirkliches Verhältnis, worin ausschließlich ihre zwischenmenschliche Erscheinung aufeinander bezogen wird. Selbstvergegenwärtigung ist die Erzeugung einer Selbstgewissheit in Verhältnissen, deren Geltungen von Selbstbehauptungen bestimmt sind und durch sie als objektive Selbstgefühle gültig werden sollen. Ihr Zweck ist die Herstellung einer allgemeinen Selbstempfindung, also das Wahrmachen einer Empfindung, die unter diesen Bedingungen unmöglich wäre, die also ihren Sinn außer sich Sinnaufgehoben hat, und einen Sinn für sich herstellen muss, der sich in diesen Verhältnissen auch behaupten kann (siehe zwischenmenschliches Verhältnis), ohne für sich wahr zu sein, aber Wahrheit für sich hat.

In zwischenmenschlichen Beziehungen verhält sich durch die Abwesenheit einer gegenständlichen Wirklichkeit in den Menschen die Angst vor einem Selbstverlust, dem Verlust der Sinnlichkeit ihres Lebens, vor dem Nirwana, dem Loch einer fremden Wahrnehmungsidentität, die sich aus der Unmöglichkeit einer wesentlich sinnlichen Beziehung in zwischenmenschlichen Verhältnissen ergibt und immer wieder in dem scheitern kann, was darin zu verwirklichen versucht wird.

Weil sich im allgemeinen Erleben eine Gemeinschaft nur zwischen dem Lebensglück der Liebe und der Lebenspflichtigkeit ihrer Existenz, als ihrer negierten Wirklichkeit - als durch sich selbst schon verneintes Lebensglück (siehe hierzu auch Nichtungstrieb) ereignen kann - suchen die Zwischenmenschen eime Wahrnehmungsidentität in einer gemeinen Lebensstruktur aufzuheben, in der sie sich ihrer wechselseitigen Liebe durch die Lebensgemeinschaft einer Lebenspartnerschaft als Familie verbürgen indem sie die Entgegenwärtigungen ihrer narzisstische Selbstbezogenheiten aufheben, sich an einander und durch einander selbst vergegenwärtigen.

Selbstvergegenwärtigung ist eine Rückbeziehung auf sich selbst außer sich, die sich aus der Unwirklichkeit der Selbstwahrnehmung begründet. Es ist eine Vergewisserung einer persönlichen Identität, die in psychisch bestimmten Verhältnissen nötig geworden ist, weil sich die durch ihre Gefühle objektiv verunsicherten Menschen darin behaupten und veredeln müssen. Was der narzisstische Persönlichkeit entgangen war, wird im Nachhinein durch eigenmächtige Beziehungen über die Geborgenheiten der Selbstwahrnehmung zurück gewonnen. Ihr ausdrückliches Lebensverhältnis ist daher eine Lebensburg (siehe ierzu auch Familie), welche die darin vereinigten Selbstbeziehungen für sich behauptet und sie in der Ausschließlichkeit ihrer Selbstbehauptung bestätigt und eingrenzt und alle fremden Selbstwahrnehmung ausgrenzt. Darin entstehen schließlich die Verhältnisse der symbiotischen Selbstbehauptung.

Die bürgerliche Familie ist von da her der Zusammenschluss einer vergemeinschafteten subjektiven Selbstbehauptung zu einer Hausgemeinschaft der Generationen und ihren existenziellen Lebenspflichtigkeiten (siehe auch Lebenspflichten). Von daher stellt sie in ihrer einzelnen Existenzform die Form einer vergemeinschaftlichen Vereinzelung dar, einer symbiotische Gemeinschaft, die durch den persönlichen Gemeinsinn (siehe auch Familiensinn) ihrer Selbstbehauptung gegen das Elend von gesellschaftlich isolierten Menschen als Burg einer zwischenmenschlichen Gemeinschaft über die vereinzelte individualistische Existenz narzisstischer Persönlichkeiten hinweghilft.

Was mit der Selbstverwertung der zwischenmenschlichen Beziehungen noch den Anschein einer Selbstverwirklichung hatte, ist mit der Vergegenwärtigung dieser Wirklichkeit so ziemlich genau zu dessen Gegenteil geworden: Man muss sich hierauf verlassen können, weil man ohne diese nun auch wirklich verlassen ist, subjektiv wirklich isoliert ist in einer Welt, die höchste Gegenwärtigkeit von jedem Menschen verlangt und ihm zugleich höchste Abhängigkeit beschert. Nicht deren gegenständliche Beziehungen sind hier von Belang, sondern das Vermögen, sich als völlig von seiner zwischenmenschlichen Wirkung abhängiger Mensch eine eigene Welt zu schaffen, durch welche die gegenständliche Welt nicht nur ersetzt ist, sondern in jeder Form des Erlebens übertroffen werden muss, damit diese Welt auch funktioniert und zusammenhält. Was bisher noch unter eigener Kontrolle zu wachsen schien, wird hier zu einem Wildwuchs an Aufgaben, die sich jeder Kontrolle entziehen und sich als freie Notwendigkeiten in einem Lebensraum entwickeln, den man ebenso gut als einen Erlebnispark wie auch als eine pure Lebensverpflichtung ansehen kann. Der Doppelcharakter dieses Lebensraums zwingt die Beteiligten in ein Verhältnis, in dem sie sich sowohl objektiv wie eine Kulturpersönlichkeit verhalten müssen, wie sie diese zugleich auch nur ganz subjektiv, also aus ihrem bis dahin erworbenen subjektiven Vermögen erfüllen können. Objektiv wie in einer Symbiose müssen sie subjektiv ihren Anteil bringen, der darin eingeht wie ein Nährstoff, der ihre Welt lebendig hält. Da sich dieser aber eher verbraucht als dass er sich aus seinen Produkten ernähren kann, ist er die Grundlage für allerlei Lebensängste, die meist blind in diese symbiotische Selbstbehauptung eingehen. Vor allem die Familie als Form einer dem entsprechenden Lebenshaushaltung birgt die widersprüchlichen Bestrebungen in sich und macht unter ihren Gliedern nicht nur erzieherischen Beziehungen nötig, sondern schließt auch die Kraft, die noch in der Selbstbeziehung entstanden war, von sich aus und damit auch die Selbstgefühle, die desem Verhältnis entspringen, aber nur heimlich existieren dürfen, weil sie dessen Geborgenheit in Frage stellen. Das Bedrürfnis nach dieser schafft eigentümliche Beziehungswelt, die sich als Leben wie in einer Lebensburg darstellen lassen und worin erst eine symbiotische Selbstbehauptung so richtig gedeihen kann.

Eine Lebensburg ist zunächst eine Schutzeinrichtung, die im Inneren ihre Verhältnisse befrieden muss, um sie nach außen zu verteidigen und Feinde abzuwehren. Von daher stehen diese Verhältnisse in dem Widerspruch, einen Frieden zu bewahren, der durch die Verteidigung erst hergestellt werden muss, der also nur durch die Unterstellung unfriedlicher Beziehungen sich begründet und bestimmt. Damit ist allerdings eine widersinnige Friedenspflicht die Bedingung aller Verhältnisse innerhalb dieser Burg, die sich gegen jedes Aufkeimen von wirklichen Differenzen abschotten muss. Diese Friedenspflicht ist das hintersinnige Rechtsverhältnis innerhalb dieser Beziehungen und das Zentrum aller Schuldpflichtigkeiten und Schuldgefühle.

Was die Menschen darin aneinander finden können, folgt der mächtige nFormbestimmung einer Friedensagentur, die sich selbst in ihrem Widersinn gestalten und festigen muss. Diese Festigung ist daher eine Verfestigung der persönlichen Strukturen, die hier zugleich ihre Auflösung suchen und betreiben, damit sich die Menschen darin vereint finden, einander Zuneigung und Liebe zuwenden können. Sie muss das Unvermögen der Menschen, ihre äußere Bedrohung als ihre Lebenswirklichkeit zu erkennen, nutzen, um ihren Selbstwert durch ihre Rollen innerhalb dieer Burg, durch ihre strukturelle Notwendigkeiten zu verfestigen. Was dem Inhalt nach scheitert, wird in der Form versinnlicht, was keinen Boden findet, wird als Empfindung der Geborgenheit zu einem vergemeinschafteten Selbstgefühl. Von daher ist eine Lebensburg der geeignete Lebensraum für unreflektierte Gefühle, wie sie in der Grenzenlosigkeit der "ozeaniuschen Beziehungen" (S.Freud) narzisstischer Persönlichkeiten zu eigen sind.

Das bürgerliche Subjekt war in seiner Selbstbezogenheit ursprünglich zu einer Persönlichkeit geworden (siehe Band 1), die sich in ihrem Narzissmus vergemeinschaften konnte, weil dieser durch die ihm gemäße Lebensform überhaupt mit sich selbst durch die Verbindung mit anderen auch an seine Selbstwahrnehmung gebunden sein kann. Denn er droht immer wieder sich zu verlieren, wenn er sich nicht durch die Bestärkung seiner Selbstwahrnehmung und seines Edelmuts in den hierfür nötigen Ereignissen erneuert. Durch den vergemeinschafteten Narzissmus kann sich die bürgerliche Persönlichkeit schließlich immer wieder selbst vergegenwärtigen, soweit ihre persönlichen Beziehungen und die Lebensäußerungen darin reichen, soweit sie also in der Lage sind, zu einer ganzen Lebensform, möglichst auch zu einem geschlossenen Lebensraum zu werden, in welchem sich die Egozentrik solcher Persönlichkeiten akkumuliereen lässt, in welchem sie ihr Leben gegen die Widersinnigkeiten der gewöhnlichen Selbstbehauptungen bergen können, sich allerdings zugleich an ihre Abgeschlossenheit gewFamilieFamilieöhnen müssen. Das ist nicht ganz so leicht, wie es gewöhnlich versprochen und meist auch durch Verträge zur Verträglichkeit eingefordert wird. Denn ohne solche Lebenverträge über "Lebenspartnerschaften" ließe sich auf Dauer keine zwischenmenschliche Kultur und also auch keine kulturelle Subjektivität ihrer gesellschaftlichen Formation gemäß erhalten. Die hierauf gegründete Lebensburg ist somit die verfestigte und verfasste Form des Geschlechtsverhältnisses der Generationen, die in der Getrenntheit von ihrer gegenständlichen Wirklichkeit sich nicht fortbilden können, ohne sich durch einander zu verleiblichen. Das Unvermögen ihrer Geschlechtlichkeit hat darin seine Lebensgestalt - meist in der Formation einer Familie - gefunden.

Mit der Ausprägung und Ausbildung der bürgerlichen Persönlichkeit, mit der vollständigen Entfaltung ihrer Selbstbezogenheit in ihrer Egozentrik und ihrer Selbstveredelung in ihrem Narzissmus begegnen sich die Menschen in ihren zwischenmenschlichen Verhältnissen nun wie objektiv bestimmte Einzelwesen, die sich wie ein Ganzes vieler Eigenschaften zueinander verhalten, sich aber als diese Einzelwesen nicht genügen können. Ganz im Gegenteil. Eben weil sie sich als Ganzes ihrer individuellen Selbstverwirklichung als Mensch unverwirklicht erkennen müssen, müssen sie sich auch in ihrer gemeinschaftlichen Unwirklichkeit gemein machen, um sich überhaupt als Mensch wahr zu haben. Was im Narzissmus noch veredelt scheinen konnte, wird nun zur Notwendigkeit, sich - wenn auch oft unmutig - gemein zu machen. Was also übrig geblieben ist, ist dieses Glücksversprechen einer gemeinschaftlichen Persönlichkeit, die sich über ihre narzisstische Persönlichkeit und deren Vereinsamung in einer flexiblen Persönlichkeit hinaus zu entwickeln. Der wahre Edelmut kommt in einem vergemeinschafteten Narzissmus erst richtig zur Geltung, der sich nur in einer symbiotischen Selbstbehauptung verwirklichen kann.

So nehmen sie sich nun als Subjekte ihrer Selbstbeziehung wahr, während sie sich wechselseitig als Objekte ihrer zwischenmenschlichen Beziehung wahrhaben. Sie beziehen sie sich aufeinander subjektiv als Objekte ihrer Zwischenmenschlichkeit und entfalten in ihren Objekt-Objekt-Beziehungen eine eigene zwischenmenschliche Qualität ihrer Selbstwahrnehmung durch objektive Gefühle, die sich gegen ihre Empfindungen immer weitläufiger verselbständigen. Es geht daher jetzt um die Darstellung des darin entwickelten Subjekts, dem Zwischenmenschen, dem in vielerlei Formen die Selbstwahrnehmung einverleibt und somit zugleich deren Selbsterkenntnis entleiblicht wird.

Das "Ich" wird zum "Wir" und lässt darin ein menschliches Verhältnis erscheinen, das seine Zwischenmenschlichkeit in einer Gemeinschaft errichtet, die nun selbst unmittelbar menschlich erscheint und jede Selbstwahrnehmung hieran relativiert. Die Zwischenmenschen müssen hierfür allerdings erst mal die Egozentrik und Selbstgerechtigkeit ihrer Persönlichkeit verlassen, um den Zwischenmenschen selbst als Person wahrzumachen, um im Zwischenmenschlichen vertraut mit sich und anderen zu werden. Und darin wird sich die gemeinschaftliche Egozentrik zwischenmenschlicher Beziehungen, die Symbiose ihrer Selbstbehauptung erst wirklich entfalten zu einer symbiotische Selbstbehauptung entfalten können.

Eine symbiotische Selbstbehauptung ist eine doppelte Bindung durch den Mangel einer Selbstbeziehung, sich nicht wirklich aus sich selbst heraus äußern und beziehen zu können, der sich zugleich in den Konkurrenzverhältnissen des Geltungsbedürfnisses gegen die Absichten fremder Einverleibungen behaupten muss. Darin ist das Verhältnis von mindestens zwei Menschen bestimmt, die sich in unterschiedlichen Positionen befinden müssen, und dass diese Form der Selbstbehauptung im Ganzen auch gelingen kann, also unteilbar bleibt. Die eine Position muss hierfür die vergemeinschaftete Selbstbeziehung verfestigen, die andere hat diese zu ihrer Lebensbedingung und geht darin auf, weil sie hierüber zu sich kommen kann. Während die eine zum "Fels in der Brandung" wird und in ihren Bedürfnissen versteinert, erfährt die andere die Kräfte himmlicher Gewohnheiten, die nicht mehr an ihrer Wirklichkeit zerbrechen müssen, solange sich die Bindung und Gebundenheit in diesem Verhältnis vertiefen. Es ist dies die Grundlage einer ganz gewöhnlichen Lebensburg, die ihre Innenwelt solange genießen kann wie die Selbstbehauptung dieser Burg im Großen und Ganzen sich halten lässt. Allerdings ist sie auch sehr zerbrechlich, sobald ihre Mauern gläsern, ihre Positionen machtlos werden.

Die Menschen müssen sich darin vor allem als Subjekte erscheinen, während sie Objekte ihres Verhältnisses sind und verbinden sich daher nun scheinbar völlig ungegenständlich, frei in ihrer Liebe und in einem Leben füreinander, unbedingt und selbstlos jenseits aller gesellschaftlichen Vermittlung. Aber indem sie durch einander und für einander zum Gegenstand ihres Lebens werden, vermitteln sie dieses zugleich durch sich selbst, sind Mittel ihrer eigenen Gegnständlichkeit, Maß und Ziel ihrer Selbstvergegenständlichung. Um ihre Lebensbedingung als ihren persönlichen Lebenszusammenhang zu haben und als zwischenmenschliche Persönlichkeit zu sein und zu tragen, um sich durch den anderen als diese wahr zu haben, um unter dieser Bedingung für einander bedingungslos da zu sein, muss ihre Liebe nicht nur da sein, sondern auch dazu taugen, in wechselseitiger Gegenständlichkeit selbst objekt werden. Sie wird darin doppelbödig: Zum Maßstab ihres Verhältnisses in der Ausschließlichkeit ihres Verhaltens - ein Widerspruch in sich.

Die Menschen erscheinen sich in diesem Verhältnis als Individuen mit der ganzen Ausstattung des menschlichen Wesens, als Subjekte ihrer Geschichte, während sie als einzelne Menschenwesen nur in der Ergänzung ihrer Sinne, die in ihren zwischenmenschlichen Beziehungen aufgehen, um ihre Selbstachtung kämpfen können. Ihr Selbstgefühl gründet in diesen Verhältnissen auf dem Dilemma ihres Selbstwerts, für den sie sich als Individuen veredelt haben, um ihr ganzes Menschsein zu bewahren, doch ihre Selbstveredelung können sie nur bewähren, indem sie Verhältnisse gründen, in denen sie durch die Anwesenheit von Menschen in ihrem Sinn bestärkt werden, der nur durch diese menschlich sein kann, weil sie sich wechselseitig nutzen, um ihre persönlich gewordene Menschlichkeit auch am Leben zu halten. Doch als Mensch werden sie dabei zwiegespalten, denn ein persönlicher Mensch ist ein Widersinn in sich. Er soll praktisch privatim das sein, was seine gesellschaftliche Existenz verneint, was aber seine private Gesellschaft nur durch diese verwirklichen kann. Er ist gesellschaftlich nur dadurch, dass er privat in Gesellschaft ist, Gesellschaft und deren Kultur und Lebensmittel aber nötig hat, um privat sein zu können. Im Widerspruch solcher Existenz entwickelt sich aus dem zwischenmenschlichen Verhältnis das Verhalten von Zwischenmenschen zur Lebensgrundlage.

Indem sie sich vereinen erweist sich ihre persönliche Menschlichkeit nun auch wirklich als Zwischenmenschlichkeit darin, dass sie ihren Sinn nicht mehr außer sich in ihrer gesellschaftlichen Lebenserzeugung finden müssen, sondern in der Ergänzung ihres persönlichen Menschseins zwischen ihrem Menschsein finden und erhalten. Aber in dem sie sich jenseits ihrer wirklichen Gesellschaft verhalten, werden sie sich zum Gegenstand ihres Verhältnisses, dem sie als Einzelwesen unterworfen sind. Ihre Individualität erweist sich dabei aber dennoch als gesellschaftliche Reflexion, als Daseinsform eines Menschen, der jenseits seiner gegenständlichen Gesellschaft sich durch eine Gemeinschaft begründet, indem er sich von dieser trennt und für sich ein ganzes Leben behauptet, das nun auch einen wirklich privaten Lebensraum ausfüllen muss. Indem er hier als gesellschaftlicher Mensch lebt und wirkliche Gesellschaft zugleich negiert, lebt er mit seiner Selbstbehauptung in einem Widerspruch, der sich in seinem sehr beschränkten Vermögen verwirklichen muss, sich im Ganzen lebend zu erhalten, um als Teil einer zwischenmenschlichen Gemeinschaft leben zu können. Es ist ein Leben, das dadurch bestimmt ist, dass er für andere da sein muss, um sich selbst nicht zu verlieren. Und er kann sich hierin nur durch seine Teilhabe überhaupt gewinnen. Damit wird seine Beziehung zu sich nun auch zu einem persönlichen Wert, worin sein Leben das werden soll, was es sich selbst wert ist. In diesem Verhältnis sind die Menschen dem Erhalt ihres Selbstwerts unterworfen, auch und gerade weil sie darin beständig um ihre Selbstachtung kämpfen müssen. Es ist einerseits die Wahrheit ihrer Individualität, zugleich aber auch ihre absolute Grenze als deren eigene Lebensbedingung.

Menschen können ja schon von Natur aus nicht ohne Menschen, ohne menschliche Gesellschaft sein. Doch hier geht es jetzt um eine Menschlichkeit im Privaten, eine Menschlichkeit im Nachhinein ihrer gesellschaftlichen Sinnbildung und Vergegenständlichung und getrennt von dieser, abgespalten als zur Persönlichkeit gebrachter menschlichen Eigenschaften, die von ihrer Gegenständlichkeit nun auch wirklich getrennt sind. Es ist die Falle der Zwischenmenschlichkeit, dass sich Menschen in dem finden und lieben, was sie nicht sein können, weil sie jenseits ihrer gegenständlichen Verhältnisse das sein müssen, was für sie lieblos ist. Erst im Nachhinein wird hier das Verlangen des Menschen nach dem Menschen zu einer menschlichen Not und von daher zur gesellschaftlichen Notwendigkeit, zum Begehren der Menschen nach Ergänzung, nach dem wirklich anderen Menschen, worin sich ihr Geschlecht nun auch in der Entfremdung von seinem Gattungswesen äußert (siehe Gattungsbegriff).

So wird die Lebenserzeugung zu einer rein zwischenmenschlichen Tatsache der Geschlechter, die sich nur in einem abgetrennten und ausschließlichen, einem privaten Lebensraum wirklich füreinander offen begegnen, sich zusammen- und und auseinandersetzen können, gleich, ob sie nur biologisch, nur geistig, nur kulturell oder alles zusammen als Lebensgemeinschaft gründen. Ihre wechselseitige Sinnesbeziehung besteht hier daher in einer eigenen Arbeitsform: Der Geschlechtsarbeit. Und von daher wird die Form der Lebensgemeinschaft auch davon bestimmt, dass alles gesellschaftliche Leben einer Waren produzierenden Gesellschaft ihr äußerlich bleibt, obwohl gerade in dieser Form ihr Leben nun auch zwischenmenschlich abstrakt vermittelt, ökonomisch und kulturell gebrochen, zertrennt und partikularisiert ist.

Indem die Menschen zu Persönlichkeiten ihrer Selbstverwirklichung geworden waren, hat ihre zwischenmenschliche Beziehung jetzt einen Sinn bekommen, den sie selbst nicht mehr wirklich äußern müssen, weil sie ihn schon dadurch haben, dass sie als Persönlichkeiten ihres zwischenmenschlichen Lebens in dessen Zwischenraum nun selbst zum Zwischenmenschen ihrer Persönlichkeit geworden sind und nun auch als diese miteinander verkehren und Sinn füreinander haben müssen, also alles wirklich persönlich nehmen, was durch sie geschieht. Aber es ist nur der Sinn dieser Verhältnisse, an dem sie sich gegenseitig bestärken und zugleich aneinander abarbeiten. Nicht mehr nur ihre Psyche, die Subjektivität ihrer Gefühlszusammenhänge, nicht der innere Drang zur Verwirklichung eigener Absichten, sondern ihr Verhältnis selbst wird zur objektiven Bestimmung ihrer Beziehungen in einer Welt, die sich überhaupt nur noch aus dem Verhalten von den Persönlichkeiten des zwischenmenschlichen Daseins zu begründen scheint. Sinn hat darin, was hierfür Sinn macht. Ein Verhältnis von wechselseitiger Sinngebung wird hierdurch zur Lebensbestimmung, zur Bestimmung dessen, was für dieses Leben erbracht werden muss.

War ihre Psyche bisher noch ganz einfältig mit ihrer Selbstverwertung beschäftigt gewesen, so muss sie nun dem eigenen Dasein als wirklicher Zwischenmensch folgen und sich in dem beschränken, was hierfür auch da sein muss. Psychisch müssen die Menschen in diesem Zwischenraum des Lebens jetzt so sein, wie sie sich als Zwischenmenschen auch wirklich persönlich haben und sie haben sich so, wie sie ihre Selbstwahrnehmung auch so beherrschen können, wie sie sinnlich da sein müssen, um sich ergänzen zu können. Deshalb stehen sie jetzt in psychischer Schuld, weil so sein sollen, wie sie sie auch für sich und gegen andere sein müssen. Was sie für sich in ihrer bisherigen Geschichte gebildet und ausgebildet haben, muss sich nu aus seinem Wachstum heraussetzen und als erwachsene Geschichte zwischenmenschlicher Verhältnisse sich nun auch wirklich selbst verwirklichen. Die Selbstverwirklichung bekommt hierdurch nun erst ihre wahre Welt und Wirklichkeit.

Doch die kommt nicht von Ungefähr. Es ist die Welt, worin die persönlichen Eigenschaften der Menschen selbst zur Lebensbedingung werden, worin sie sich als Fähigkeit bewähren müssen, diese Welt auch am Leben zu halten und zu beleben. Von daher ergänzen sich die Menschen durch ihre Verschiedenheiten in einer Eigenwelt, worin sie sich durch die Rollen bewähren müssen, die sie darin erwerben. Tasächlich ist es eine Erwerbung, in der das gewonnen wird, was dieses Verhältnis bietet: Schutz, Nähe, Geborgenheit und Sinn füreinander. Die Unterschiede enthalten Konflikte, die aus einer anderen Welt kommen. Doch hier werden sie als persönliche Unterschiedenheiten verwesentlicht, zu einem persönlichen Wesen, das nur durch seine Eigenheiten da ist, Eigenes in einem Lebenraum, in dem sie sich in dem Maß totalisieren, wie sie sich von ihrer Herkunft abtrennen, sich ihrer wirklichen Gesellschaft entziehen. Sie erscheinen jetzt wie persönliche Naturen, die mit all ihren Sinne dieses apart gewordene "Reich der Sinne" erobert haben - und bewältigen müssen. Sie "erweltlichen" sich hierbei ihre persönlich scheinende Natur.

Und diese bildet eine Welt voller Gefühle, die darin aufkommen. Es sind Gefühle, die durch diesen Lebensraum selbst bestimmt sind und aus den Empfindungen entstehen, die darin die Menschen zwischen sich und den anderen in dieser Geschlossenheit haben. Die unterscheiden sich nun wesentlich von den Empfindungen, welche zwischen die Privatpersönlichkeiten der bürgerlichen Kultur haben. Wesenlich ist ihre wirkliche Einheit, die Einheit der Empfindungen als Gefühl, in der sich das Leben in diesem Raum äußert und die sich aus dem Erleben darin ergibt. Im Grunde ist es für diese Einheit ganz gleich, was die Menschen darin tun und sich antun. Es ist eine Welt symbiotischer Wahrehmungen, in der alles fremd wird, was außer ihr existiert.

Die zwischenmenschlichen Verhältnisse teilen sich als solche Welten auf in Lebensräume der Geschlechter, die als Paare, Gruppen oder Familien einander gegenüberstehen. Die Konkurrenz der zwischenmenschlichen Persönlichkeiten ist innerhalb dieser Räume aufgehoben, auch wenn sie im Sinn ihres Zusammenlebens strittig sind und um ihre Liebe konkurrieren. Aber sie machen dies mit sich selbst und tragen es auch notwendig nur in sich aus. Äußerlich erscheint dies dennoch als Liebesverhältnis. Es bekommt ihre Psyche daher nun auch ihre äußere Bestimmtheit, die aus ihren inneren Verhältnissen herausgesetzt ist, wird real, soweit die Selbstbezogenheiten darin aufgehen können.

Sigmund Freud hatte aus diesem Verhältnis der Selbstbeschränkung sein Realitätsprinzip abgeleitet und dieses mit der Notwendigkeit einer Vernunft begründet, wie sie ganz dem Dogma der Aufklärung entspricht. Es ist hier aber gerade nichts real sondern schlichter Lebensumstand, der bewältigt werden muss, weil er keinen anderen Sinn hat, als den, Lebensraum der Sinne zu sein. Und gerade deshalb muss diese Bewältigung solch scheinbarer Realität zu einem Lebensprinzip, als Leistung der vergemeinschafteten Persönlichkeiten unterstellt werden, wiewohl es nur ihre Leistungsbereitschaft für eine ihnen äußerliche Realität formulieren kann. In dieser Wirklichkeit wird die Psyche zu einem symbiotischen Gefühl der Gemeinschaft und alles andere zum Lebensumstand, der dann mit Realität zusammengefasst wird. So teilt sich erst unter der Bedingung dieser Gemeinschaftlichkeit die Persönlichkeit in ein unergründliches Seelenwesen und einem Wirklichkeitsvermögen, das lediglich die "Umwege zur Wunscherfüllung" (Sigmund Freud) zu verstehen hat.

Bisher hatten die Persönlichkeiten in ihren zwischenmenschlichen Verhältnissen ja nur ihre Selbstbezogenheiten verwirklicht. Jetzt beziehen sie sich in dieser Wirklichkeit wie Objekte einer vergemeinschafteten, einer höheren Subjektivität, deren Gelingen erst die psychische Bildung, die sie in ihrer Selbstverwirklichung entwickelt haben, auch wirklich bewähren muss. Nicht die Selbstwahrnehmung verwirklicht sich darin, sondern die zwischenmenschliche Existenz der Liebesbeziehungen, wie sie aus Natur ihres Verhältnisses heraus nun wirksam werden muss. Sie erfahren sich nun objektiv als psychisches Verhältnis der Geschlechter, das davon bestimmt ist, was sie füreinander existenziell aufbringen und wahr machen können. Es ist nicht die Natur ihres Geschlechts, die darin wirkt, sondern die durch den Mangel des Lebens bestimmte Natur, die in dieser Negation kultivierte Natur. Das Kulturereignis, das sie bisher zu ihrer Bildung erleben konnten, sind sie nun selbst, ist das, was sie durch einander aneignen und für einander ereignen und aus dem Erleben ihr Leben vollziehen, so wie es ihnen möglich ist. Obwohl menschliche Natur und menschliche Kultur wesentlich identisch sind, entzweien sie sich mit der Objektivierung ihres zwischenmenschlichen Daseins.

In solchem Verhältnis können sie sich Menschen nicht mehr frei verhalten. Auch besteht darin das zum Leben Notwendige nicht aus der wirklichen Not des Lebens. Doch in der Privatheit dieses Lebensraums jenseits der gesellschaftlichen Lebensproduktion erscheint jedes Tun als Bewältigung einer natürlichen Notwendigkeit. Alles ist dazu getrieben, eine Natur zu erfüllen, die aus der Abtrennung des Lebensraums von seinen gesellschaftlichen Beziehungen erst entstanden war, wesentlich also aus der Formbestimmtheit dieser Existenz begründet ist. Die Menschen müssen sich darin selbst die Lebensgrundlagen ihrer abgetrennten Beziehungen schaffen, mit denen sie hierfür existieren können. Sie werden ihr Leben hiernach ausrichten und also jetzt auch einrichten und aus den Beziehungen innerhalb ihres persönlichen Vermögens, wird nun eine vermögende Lebensform geschaffen, in der sie ihren Selbstgefühlen den Raum ihrer Verwirklichung geben können, in der sie aber in Wirklichkeit dann auch vollständig zwischen allem Menschsein, als vollständiger Zwischenmensch nur gegenwärtig sind, weil sie ihren Lebensraum zum Maß ihrer Selbstentfaltung machen müssen und sich von daher die Dichte ihrer Beziehungen in der Bestimmung ihrer Anweseheit nun auch wirklich räumlich begründet. Dieses Selbstgefühl existiert einerseits objektiv durch diesen Raum, bekommt zugleich aber auch die allgemeine Macht der ausschließlichen Selbstwahrnehmung, die auf der Anwesenheit vollständig selbstbezüglicher Menschen, auf der Gemeinschaft der Selbstbeziehungen gründet. Weil sie in solcher Wirklichkeit in vollständiger Symbiose leben um wirklich als ganzer Mensch zu leben, können sie sich niemals ganz sein lassen, fungieren sie nurmehr als Teil ihrer Lebensform und werden sich auch nur als dieser zwischenmenschlich mitteilen.

In ihren zwischenmenschlichen Beziehungen können sie nun aber bei aller Beschränktheit sich selbst als die Persönlichkeit vergegenwärtigen, die sie darin sein müssen, indem sie sich in ihren Selbstgefühlen einrichten, ihren Lebensraum so gestalten, dass sie dann auch einander objektiv haben und als Objekte dieser Räumlichkeit sich subjektiv erscheinen können. Ihre Selbstverwirklichung vergemeinschaftet sich in den Formationen ihrer so gegründeten Lebenswelt, in der sie zwar nicht wirklich sie selbst sein, sich aber gerade deshalb in dieser Wirklichkeit vergegenwärtigen können. Stück um Stück verschwindet ihre Selbstverwirklichung in ihren Selbstvergegenwärtigungen, geht ganz in jenen Äußerungen auf, in denen ihre Selbstgefühle sich objektiv einig sein müssen, um die Wahrnehmungen durch ihre Empfindungen zu bereichern. War bisher solche Vergegenwärtigung ein Resultat der Selbstverwirklichung, so wird sie nun zum selbständigen Antrieb in Verhältnissen, in welchen solche Wirklichkeit zwar vorausgesezt, aber in ihnen an und für sich nicht möglich ist, weil Empfindungen ein Finden nötig haben, nur entstehen, wo sich was Finden lässt, wo also Unbekanntes bekannt wird. Dieses kann es unter den Bedingungen ihrer Räumlichkeit nur in der Geschichte von Sinnbildungen geben.

Wie das psychische, so wird auch das zwischenmenschliche Verhältnis zweigeteilt in die Notwendigkeiten der ausschließlichen Selbstbezogenheiten einerseits und die Notwendigkeiten der Erneuerung der sinnlichen Lebensinhalte andererseits. Daher können solche Verbindungen solange relativ gut existieren, wie darin etwas wächst, wie also z.B. Kinder entstehen oder neue Formen von Gemeinschaft (z.B. im Alter). Aber zugleich wird mit der Selbstbezogenheit in dieser Räumlichkeit doch auch nur ein gesellschaftlicher Mangel kompensiert, der sich hier umgekehrt als Entzug von gesellschaftlichem Leben darstellt. Die Menschen in diesem Verhältnis sind in ihrem Verhalten darauf beschränkt, dass sie sich auf die Ausschließlichkeit eines darin nötig gewordenen objektiven Selbstgefühls einlassen müssen. Sie gewöhnen sich an das zwischenmenschliche Verhältnis als ein Ganzes, was sie in ihren Selbstgefühlen bestimmt, indem sie darin auch wohnen. Sie äußern sich auf diese Weise als personifizierte Sinne, die für sich keinen Sinn haben, die aber durch sinnlichen Umgang mit Menschen in abgeschlossener Räumlichkeit Sinn bekommen, durch die Sinnbildungen von Menschen persönlichen Sinn haben, bevor sie ihn überhaupt entwickeln müssen. Getrennt von den öffentlichen Lebenswelten der Kultur gewinnen und vermehren sie ihre Sinne alleine durch persönliche Sinneseindrücke, indem sie sich selbst als Umstand ihrer Sinne aufeinander beziehen und sich auch gegen die Umständlichkeit ihres Lebens behaupten, sich als Persönlichkeit, als das Persönliche gegenüber der Welt ihrer Umstände vergegenwärtigen, sich als das bestärken, was sie für sich sind.

Was in ihnen in solchen Verhältnissen geschieht, ist jetzt nichts anderes, als was ihre Wohnlichkeit ausmacht. Im Heim ihrer Selbstbezogenheiten wird alles heimlich, was in der Öffentlichkeit - in den Maßstäben der Normalität der persönlichen Entwicklung - im Kampf der allgemeinen Selbstverwirklichungen seine Schranke erfahren müsste. Aber auch der Glaube, dass dieser Raum endlich selbstbestimmt ist, weicht früher oder später oder auch nie dem ungläubigen Erstaunen, dass sich hier Öffentlichkeit auch privat durchsetzt, wenn auch in einer in sich selbst verkehrten Form: Hier erst bricht das Entnormte, das an und für sich Unnormale irgendwann und irgendwie erst wirklich durch. Es ist die Schranke jeder Selbstverwirklichung, die doch davon abhängig ist, wieweit sich die Persönlichkeiten der zwischenmenschlichen Verhältnisse frei von ihren Lebensräumen erscheinen können. Jetzt geht es darum, wieweit sie sich gegen diese Freiheit durchsetzen, wieweit sie also sich darin selbst vergegenwärtigen, sich selbst als bestimmte und zugleich bestimmende Notwendigkeit ihres Lebens behaupten können.

Die Menschen vergegenwärtigen sich jetzt dadurch, dass sie einander als Gegenwart ihrer Beziehung haben, als wirklich notwendige Anwesenheit in der Dichte ihrer ausschließlichen Selbstwahrnehmung. Ihre Selbstvergegenwärtigung kann aber nichts von dem sein, was sie als ihre Selbstverwirklichung empfinden und fühlen konnten, was sie in sich und durch sich verwirklicht haben. Im Gegenteil: Je nach Art ihres Einsatzes bestimmen sich die sinnlichen Verhältnisse nun zwischen den Persönlichkeiten durch den Sinn, den sie darin für sich finden, ohne dass sie selbst einen anderen Sinn haben müssen, also im Wesentlichen doch nur das Empfinden, was sie für sich darin auch fühlen können, was sie spüren und bestärken. Ihre Selbsterneuerung besteht nur aus dieser Selbstempfindung. Es ist nun der Sinn für ein angemessenes Verhalten ihrer Wertschätzung als Funktionäre abgeschlossener Lebenswelten in der Meisterschaft ihrer besonderen Lebenform gefordert, die kulturell, also auch von den normativen Beziehungen der Kultur weitgehed freigestellt ist. In diesem Sinn werden ihre zwischenmenschlichen Verhältnisse nun zum Verhältnis von zwischenmenschlicher Kultur jenseits der kulturellen Verhältnisse der Zwischenmenschlichkeit. Sie werden selbst zu deren Kulturpersönlichkeiten. Aber nur das, was sich darin auch als Wirklichkeit ihres Verhältnisses gegenwärtig macht, kann sich auch in die Gestaltung dieser Kultur einbringen, muss also ihre Selbstbeziehung verlassen, unwirklich werden, um wirkliche Gegenwart zu erlangen. Ihre Selbstverwirklichung ist darin überwunden, dass sie sich in ihrer persönlichen Gegenwärtigkeit erweisen, bewähren und erneuern muss. Es ist eine hohe Pflicht, die aus der Ausgrenzung des Zwischenmenschlichen aus der Gesellschaft entstanden ist und als die ausschließliche allgemeine Lebensform der Selbstbezogenheiten herrscht.

Die Menschen sind durch ihre Natur und Geschichte ganz unterschiedliche Einzelwesen, die ihr Menschsein in ihren Verhältnissen zusammenführen und daraus wiederum auch unterschiedliche Geschichten bilden. In ihren Wahrnehmungen fühlen sie das, was sie darin empfinden und beziehen daraus ihre Erkenntnisse - in fortwährender Erneuerung und Fortbildung ihrer Gefühle aus den Empfindungen, die sie in diesen Verhältnissen haben. Und sie äußern sich aus dem, was darin als eigene Lebenswelt erscheint, entwickeln ihre Bedürfnisse und Tätigkeiten nach dem Sinn, den sie darin finden und tragen. Soweit diese Lebenswelt auch Leben in der Welt ist, werden diese Sinnbildungen durch die gesellschaftlichen Lebenszusammenhänge auch bestimmt und in dem Maß für das gesellschaftliche Leben bestimmend, wie ihre Bedürfnisse darin aufgehen und durch ihre Arbeit verwirklicht werden können.

Weil aber dieses Verhältnis nun ein hiervon abgetrennter Lebensraum ist, in welchem sich nur noch das Leben einer aparten Zwischenmenschlichkeit aufeinander beziehen lässt und Persönlichkeiten erfüllt, die sich eine eigen Kultur schaffen, können sich darin auch nur Gefühle bilden, die ihren gesellschaftlichen Sinn nur noch persönlich haben und in diesem Lebensraum daher mit den zwischenmenschlichen Gefühlen zusammenfallen, darin aufgehoben und bewahrt sind, sich als das erzeugen, was das Leben in diesen Verhältnissen ausmacht. So wie dieser Lebensraum aus den Gefühlen der Persönlichkeiten darin bestimmt wird, so bestimmt er auch ihre Empfindungen. Es schließt sich die persönliche Entwicklung im Kreislauf der Empfindungen in einem Selbstgefühl, das ekeinen anderen Sinn mehr hat, das das, was es darin für sich findet. Die Empfindung wird daher zu dem, was in der Sprache schon mit diesem Wort erkannt war: Emp-Findung meint "Zu Ende finden". Es herrschen daher hier nur noch Gefühle, die wechselseitig vergegenwärtigen, was sie aneinander von einander wahrhaben. Doch darin ist die gesellschaftliche Lebenswelt abgetrennt und was sie den Individuen abverlangt hatte, wird nun im Lebensraum zwischenmenschlicher Gefühle allein schon durch die Anwesenheit der Menschen darin gewonnen. Die Mangelempfindungen der gesellschaftlich isolierten Individuum erscheinen in dieser Gefühlswelt daher nun auch gänzlich in einer empfindungslosen Zuwendung aufgehoben.

Was die Menschen an natürlichen Eigenschaften der Geschlechter und Generationen noch an sich hatten und in ihen Selbstgefühlen zu verwirklichen suchten, wird nun in den zwischenmenschlich begründeten Lebensräumen des Beisammenseins und Wohnens zum gewöhnlichen Ereignis ihres Menschseins, zur Selbstverständlichkeit ihrer Alltagstätigkeit und Alltagstauglichkeit, in der sie sich wechselseitig mit der Gewöhnung zum Maß ihrer Gewohnheiten machen, ihre sinnlichen, geschlechtlichen und generativen Eigenschaften zum Regenerationsorgan ihres Lebens werden lassen, zur Einrichtung, zur Institution wohnlich gewordener Selbstentfremdung machen. Ihre unmittelbare Sinnnlichkeit gliedert sich somit in die Selbstverständlichkeit ihrer Gewohnheiten in der Tat so ein, wie es Immanuel Kant dem sittlichen Verhältnis der Ehe zugeschrieben hatte, ihr den "wechselseitigen Gebrauch der Geschlechtsorgane" zum kulturellen Wert, zum Wert ihrer Kulturerhaltung gemacht hat. Doch dieser Wert kann sich nur in der Einfältigkeit gediegener Befriedigungen und ebensolcher Befriedungen vollstrecken. Der darin keimende Unfrieden muss in den Lebenspflichten des Wohnens und seiner Gewohnheiten zergehen und in persönlicher Selbstaufgabe zerinnen - wenigstens soweit, wie es als privates Glück einer persönlichen Zuwendung in der Nutzung dieses Lebens noch erscheinen kann. Die fatale Folge hiervon ist allerdings, dass die hieraus entstehenden Institutionen der Befriedung zum Zweck und Ziel der Selbsterkenntnis der darin bestimmten Menschen gemünzt sind und eigene Geltungsbedürfnisse schaffen und daher auch befriedigen müssen.

Alles Leben der Kultur ist unmittelbar sinnlich. Aber als Lebensform eines gesellschaftlichen Mangels ist es politisch so bestimmt, wie der Mangel selbst bestimmt ist: Als Entzug des gesellschaftlichen Lebens, der sich nun als Notwendigkeit einer Selbstvergegenwärtigung äußert, durch welche die Menschen für einander gegenwärtig sind, ohne sich gesellschaftlich, also in ihren wirlklichen Lebensverhältnissen auch wirklich aufeinander zu beziehen. Ihre Eigenschaften werden daher unmittelbar zum Träger eine Verhältnisses, in welchem sie als Fähigkeit zur Existenz unmittelbarer Beziehung existieren. Aus der bürgerlichen Persönlichkeit wird ein wirklicher Mensch, allerdings einer, der nicht sein kann, was er sein muss, der nicht fühlen kann, was er empfindet und der sein muss, was er nicht ist: ein wirklich abstrakter Mensch - ein Mensch, der vor allem davon absieht, was er erkennt, um wahr zu haben, was er wahrnimmt. Die Verhältnisse der an und für sich egozentrischen Persönlichkeiten kehren sich um in ein Verhalten des gemeinen Menschseins, des Gemeinmenschen, der sich an das gewöhnen muss, was ihn überhaupt Mensch sein lässt, was ihn sein lässt, was er nur in Absehung von sich als Mensch ist. Der Selbstwert ist dabei zum allgemeinen Wert einer Gemeinschaft geworden, die sich vereint hat, um sich im allgemeinen auch zu finden und damit als Mensch zu empfinden.

Was die Menschen gesellschaftlich gebildet haben wird nun zur Grundlage einer selbständigen zwischenmenschlichen Existenz, die sich als eine eigene Kultur von Gefühlen entfaltet, welche alle Empfindungen darin bestimmen. Erst hierdurch wird diese Kultur zu einem Lebensraum, in dem sich die Verhältnisse einer warenförmigen Gesellschaft nun auch wirklich subjektiv aufheben, sich als ihr Negativ so entwickelt, wie darin aufgehoben sind, wie die private Welt der Gefühle nun als Gesellschaft für sich erscheinen kann.

Aus der Existenz in einer bürgerlichen Gesellschaft heraus wird daher nun auch die bürgerlichen Kultur durch den Mangel einer warenförmigen Gesellschaft darin bestimmt, dass ein Reichtum an zwischenmenschlichen Gefühlen die sinnliche Ödnis einer Welt der Geldverhältnisse ausgleicht. So kann es in diesen Verhältnissen auch so erscheinen, dass diese Bürgerwelt ihren Reichtum zwar nicht wirklich in einem gesellschaftlich wirklichen Verhältnis der Menschen leben, wohl aber als Reichtum einer Gefühlswelt für sich haben kann. Was dort in der Form des Mehrwerts gescht, der als verselbständigtes Kapital existiert und die Menschen wirtschaftlich nötigt und verschuldet, wird hier zwischnemscnhlich genutzt und in den privaten Lebenswelten als Selbstwahrnehmung verfüllt - und als diese auch aufgebraucht.

Was die Menschen im Grunde zwischenmenschlich verbuinden hatte, wird hier zu einem existenziellen Bündnis gegen ihre gesellschaftliche Abhängigkeit; was sie als an Liebe füreinander gesellschaft gefunden hatten, wird hier in Gefühlen verbraucht, die gegen diese Bildung nützlich sein muss. In diesem Nutzen verschwindet ihre Sinn so, wie er überhaupt in der Vernutzung untergehen muss. Was hier als Liebe erscheint und verstetigt wird, ist in Wahrheit der Entzug einer Liebe, wie sie für diese privaten Verhältnisse nötig ist, darin objektiv aufgebraucht wird, was sie in Gesellschaft geworden war. In den Notwendigkeiten des zwischenmenschlichen Lebens, die ihr diese Räumlichkeit aufnötigen, ist eine Liebesschuld begründet, die ihr Scheitern und Untergehen zu bewältigen hat, um als privates Glück ausgemacht zu werden und zu sein.

Indem die Menschen als Persönlichkeiten ihrer zwischenmenschlichen Beziehungen für ihr Leben in Gänze zusammengefunden haben, kann ihre Persönlichkeit daher auch nicht bleiben, was sie als Ganzes war. So edel sie aus den Verhältnissen der Selbstveredelung hervorgegangen war, so gebrochen wird ihr Edelmut nun in der Beziehung der Geschlechter und Generationen werden, denen es völlig gleichgültig ist, was die persönlichen Egozentrik erstrebt. Denn nun kommt ihre eigentümliche Natur zum Tragen und ihre Beziehungen verlangen nach gänzlich anderen Eigenschaften und Fähigkeiten, als jene, die ihre Persönlichkeit gebildet hatten. Durch ihre Beziehung sind es Eigenheiten ihres ganzen Verhältnisses und werden von daher wesentlich für dieses. In der Fähigkeit, dieses Verhältnis zu gestalten werden ihre Fähigkeiten verwesentlicht und ihre Eigenschaften verweltlicht. Es wird zu einer Welt verwesentlichter Eigenheiten, in der jeder Mensch sich so erscheint, wie er darin auch ist: als wesentliches Moment einer eigenen Kultur, die das Ganze seines Lebens enthält. Er wird zu einem objektiven Subjekt seines Lebens, indem er sich dem unterwirft, was hierfür nötig zu tun ist. Es hebt sich seine Selbstverwirklichung darin in einer objektiven Selbstgestaltung auf. Die Körperform dieses Lebens, die im Körperfetischismus der bloß ästhetischen Wahrnehmung noch reizvoll war, wird hier zum Träger eines Lebens, das sich seine Welt als Ganzes zu gestalten sucht und sich als Ganzes zu bewähren hat, wo es nur Teil desselben sein kann. Alles darin geschieht unbedingt wie aus einer dinglichen Not jeder einzelnen Natur folgend. Alles hat darin sein Recht auf Entfaltung eines Lebens, das sich nicht mehr durch ihn begründet, sondern einen allgemeinen Daseinsgrund in diesem Verhältnis schon hat, bevor es sich gestalten kann. Der einzelne Mensch in diesem bedingungslosen Verhältnis wird sich selbst allgemein zum Medium des notwendigen Verhaltens darin. Seine sozialen Eigenschaften erscheinen darin jetzt als Natureigenschaften seiner Rolle, die durch das genze Verhältnis bestimmt ist. Er wird zum leibhaftigen Privatmenschen - ein menschlicher Widersinn in sich.

Als Menschen für sich und für einander, als Lebensgemeinschaft, müssen sie sich eigenschaftlich für ihre somit gegründete Kulturgemeinschaft bilden, ob diese aus einer oder mehreren Generationen bestehen, ob sie diese sexuell oder ideell, homosexuell oder heterosexuell betreiben. Es muss dies alles nun in einer Lebensform aufgehen, in welcher das Gattungsverhältnis zu einem selbständigen Akt der Gattung, zu einem Begattungsverhältnis im weitesten Sinn des Wortes wird. Der abstrakt menschliche Sinn der bürgerlichen Kultur wird darin zum Inhalt der zwischenmenschlich bestimmten Lebensform und die Verhältnisse der Menschen darin zur Elementarform einer familiären Sinnesgemeinschaft. Die Sinne ergänzen sich in diesem Verhältnis im Allgemein zwischen Mann und Frau und Kind, im Besonderen aber auch in jedweder Beziehungsform. In der Formbestimmung des Mangels ihrer Gesellschaft erscheinen sich ihre Beziehungen daher nicht wirklich befreiend, nicht als freie Zusammenfügung des Lebens selbst, sondern als Notwendigkeit einer Existenz, die alles auftrennt, was ihrer abstrakten Allgemeinheit nötig ist.

Die Persönlichkeiten werden nun erst richtig privat, indem sie sich als Teilhaber von Sinneswelten begegnen, in welchen es vor allem darum geht, das Leben, wie es gegeben erscheint, auch sinnvoll für sich zu gestalten, - aus dem, was gegeben ist, den Raum zu bilden, in welchem es gewöhnlich wird und also auch die Gegebenheiten ihres Lebens in diesem Sinn zu ihren Lebensgewohnheiten werden können. Darin gleichen sich die Menschen als kultivierte Persönlichkeiten an und kultivieren damit ihre Person zu einer kulturellen Personifikation allgemeiner Sinnesweltlichkeit, zu einer weltlichen Kulturpersönlichkeit. Alles hat darin Sinn, weil und sofern es keinen Sinn für sich hat. Es ist eine familiäre Sinnlichkeit die auch als Familiensinn existiert.

In ihrer Notwendigkeit zu einer Selbstvergegenwärtigung verlieren die privaten Persönlichkeiten darin ihre kulturelle Passivität, ihre Selbstwahrnehmungs- und Erlebensform, streifen die Blüten ihrer Selbstverwirklichung ab, um in Beziehung auf andere das sein zu können, was sie für sich sein müssen, um mit ihnen auszukommen. So werden ihre unmittelbaren Lebenszusammenhänge jetzt selbst zu kulturellen Zusammenhängen, ihre Selbstgefühle zu zwischenmenschlichen Gefühlen, die aneinander nicht mehr unbedingt das Erleben von Kultur suchen, sondern zunehmend tatsächlich ihre zwischenmenschliche Wirklichkeit erfahren. Darin erkennen sie ihre bislang unwirklichen Selbstgefühle zugleich als wirkliche Gefühle zwischen den Menschen, die sich darin finden, die darin ihre Gemeinschaft dadurch haben, dass sie ihr Selbstgefühl im anderen fühlen, also dadurch, dass sie sich wirklich im anderen Menschen fühlen. Das schließt zwar wirkliches Gefühl für andere Menschen aus, erbringt aber als ein Gefühl dazwischen eine hohe Gemeinschaft an Selbstgefühligkeit.

Diese verschafft über die Menschen hinweg eine Identität, an welcher sie teilhaben, ohne darin unbedingt mit sich identisch, also für sich wahr sein zu müssen. Es ist eine mühevolle Identität, die von den vielfältigen Ereignissen in zwischenmenschlichen Verhältnissen abhängig ist, Beziehungsarbeit, Geschlechtsarbeit und manchmal auch Kulturarbeit nötig hat. Die Sinnbildung der Menschen gerät hierdurch in gegensinnige Rollen und Positionen, die sich besonders zwischen den Geschlechtern dadurch auszeichnet, dass Mann und Frau auch durch ihre natürlichen Eigenschaften gegensinnig im wahrsten Sinne des Wortes aneinander gebunden sind. Und darin hat es nun eine schier übermenschliche Bewandnis. Ihr Lebensraum wird hierdurch zum Verhängnis ihrer Bindung: Er stellt an ihre Liebe Anforderungen, die innerhalb dieser Existenzform nicht zu erfüllen und auf Dauer auch nicht ohne Weiteres zu ertragen sind, denn Liebe wird zu einem Synonym der Wechselseitigkeit, der Existenzweise einer beständig wechselnden Leidenschaft und Zuneigung. Sie kann jederzeit, d.h. ohne einen sinnfälligen Grund abbrechen, soweit die Existenzform nicht entscheidend für diese Gebundenheit ist, und muss immer wieder mit einigem Aufwand erneuert werden. Daher hat sie etwas Bedrohliches, das viele Konflikte auf einer Ebene mit sich bringt, auf der sie unauflösbar sind, weil sie hier nur grundlos erscheinen können. Doch die Mühe einer zwischenmenschlichen Identität lohnt sich, solange darin der Frieden gefunden wird, der die persönliche Identitätslosigkeit aufhebt.

Doch dahinter lauert immer aber auch ein Monster: Die auf diese Weise vergemeinschaftete Selbstwahrnehmung hat den großen Mangel, dass sie für sich nicht wirklich sein kann. Sie lässt sich zwar genießen in trautem Beisammensein, in höheren Kunstgenüssen oder in romantischer oder liturgischer Erbauung, aber sobald diese irgenwo und irgendwie abbricht, herrscht Unpersönlichkeit, schlimmer noch: Das Antipersönliche, das Böse. Ohne eine Form der Vergemeinschaftung von Selbstgefühl wäre eine zwischenmenschliche Identität nichts, eigentlich unnötig, gäbe es nicht zugleich Identitätslosigkeit als das wirklich Andere, von dem sie sich abstößt und abhält und unterscheidet: Das Fremdgefühl, das all dem gilt, was nicht im Selbstgefühl vergemeinschaftet ist, das Monster des Unerkennbaren, das nicht Fassbare, weil nicht Identische. Gegen dieses werden nun die zwischenmenschlichen Gefühle tragend für menschliche Beziehungen. Gerade das macht ihre Qualität aus: Das sie Gründende ist die Fremde, in welche die Selbstgefühle in den privaten Persönlichkeiten geraten sind und von daher bestehen sie aus der Abstoßung von allem, was sie zumindest für ihre Erkenntnis ausgegrenzt haben wollen. Das Private wird geborgen gegen das Fremde und auf diese Weise wird das vergemeinschaftete Selbstgefühl zu einer quasi zwischenmenschlichen Persönlichkeit, an welcher sich die Menschen treffen, zu einer kultivierten Persönlichkeit als Kulturpersönlichkeit. Zwischenmenschliche Beziehungen mögen immer unmittelbar erscheinen, haben sie aber keinen wirklichen Gegenstand des Lebensalltags und verlieren darin ihre Zwischenmenschlichkeit, so werden sie schnell um eine solche Kulturpersönlichkeit kreisen, an welcher alle Menschenliebe sich als Liebe der Kultivation bricht.

Auch in ihrer persönlichen Liebe verwirklicht sich immer mehr auch allgemeine Liebe, Menschenliebe als bestimmte kulturelle Beziehung, ob die Menschen das wissen oder nicht und ob sie das verspüren oder nicht. Sogar die pure Selbstliebe wird zu einer Form von Menschliebe, insofern sie sich in zwischenmenschlicher Interaktion begründet und bestätigt, sich selbst äußerlich wird. So mächtig wie auch verzweifelt sie sein mag, sie erfährt dies eben auch nur noch in der Wirklichkeit mit anderen, und sei es auch nur in einem Gefühl der Ausgeschlossenheit, in einem Hass auf sie. Man sieht: Die menschliche Beziehung zeigt sich auch in iher privatesten Form immer wieder als gesellschaftliche Beziehung, weil dies leetztlicch auch ihre Wahrheit ist. Wie immer ihre Form ist, so ist diese Beziehung eben auch in ihrer Kultur.

Innerhalb der Verhältnisse dieser Kultur erkennen die Menschen ein kulturelles Subjekt als Kulturpersönlichkeit an, an welchem gemessen sie ihre Beziehungen auch einrichten, sei dieses persönlicher Natur oder irgendwie allgemeiner,.z.B. politische Gruppe, Verein usw. Ohne dieses halten zwischenmenschliche Beziehungen nicht lange, weil sie sich ohne solche Relativierung nur verabsolutieren können. Weil sich die Menschen eben nur als Persönlichkeiten ihrer Selbstwahrnehmung im zwischenmenschlichen Erleben aufeinander beziehen können, also vermittels ihrer Empfindungen und Gefühle in den Erlebnissen, die sie als einzelne private Personen miteinander haben, aufeinander bezogen sind, bedarf es einer persönlichen Qualität der Kultur, die allgemein anerkannt ist, eine leibhaftig persönliche Sinnesform als eine nicht sinnliche Gestalt, als etwas gänzlich unsinnliches oder sogar unsinniges, ihnen sinnlich gänzlich Äußerliches. Sie teilen darin ihr Leben mit, wie sie es für sich haben und vermitteln es in dieser äußeren Gestalt so, wie es sich auf andere beziehen lässt - eben so, wie eine Kulturposition in eine andere greift, eine Empfindung ihr Gefühl in anderer findet. Und indem sie Leben nach Maßgabe ihrer Beziehungsmöglichkeiten darin teilen und mitteilen, bestätigt sich ihnen darin auch ihr Lebensgefühl als dessen äußere Gestalt, als Resultat ihrer Lebensgestaltung, worin sich ihre Seele ausdrückt und ihre Persönlichkeit einreiht. Von daher erscheint ihnen jetzt ihr Leben einzig durch das zwischenmenschliche Erleben von Menschen beseelt, ihre Gefühlswelt als Erlebenswelt von und für Menschen und ihr wirkliches Verhältnis als Verhältnis ihrer Gefühle vermittelst der Natur ihrer Seelen in denen und durch welche sie sich lieben. Diese Liebe erscheint daher natürlich und ursprünglich, was auch immer sie sein lässt und aus welcher Anwesenheit und Dichte von Wahrnehmungen sie entstanden sein mag. Sie selbst ist nun eine wechselseitige Beseelung, vermittelt Seele, wo sonst nichts wäre und wärmt auch in der kühlen Höhenluft der kulturellen Abstraktion, verschafft Identität, wo Menschen ineinander verfallen und erhebt sie zugleich über alle Welt in einer Glückseligkeit, die von ihrer Ausschließlichkeit zehrt. Der Absturz mag früher oder später ziemlich grob werden, aber in der wechselseitigen Selbstverliebtheit kultivierter Persönlichkeiten zählt nur der Augenblick, lässt sich hier doch kein wirklicher Zusammenhang finden und empfinden. So wird die Zwischenmenschlichkeit zur Liebeswelt der Seelen und es totalisiert sich darin die Seele als Verhältnis für sich. In dieser Form gilt sie als der Sinn zwischenmenschlicher Liebe überhaupt.

Das bestimmt vor allem die Liebesbeziehungen der Menschen zu Beziehungen der Selbstgefühligkeit ihrer Geschlechtlichkeit, wie sie sich seelisch darstellt. Mann und Frau unterscheiden sich seelisch, wie sie körperlich verschieden sind. Das ist eine Selbstverständlichkeit, wo ihre Beziehung gegenständlich sein kann. In der bürgerlichen Kultur, worin ihre Beziehung als privater Lebensraum vergegenständlicht ist, stellen sie sich darin von verschiedener Herkunft ein. Während Frauen sich eher aus ihrem leiblichen Dasein, aus ihrem "Innern" heraus äußern, sind Männer eher existenziell aus ihrer Wirklichkeit heraus da. Ihr Sinn hierfür stößt auf den weiblichen Sinn für Leib und Leben auf unerwartete Konflikte, die in der Form des kulturellen Lebens versteckt sind: Körperliche und Wirkliches kämpfen um eine Identität, die es hier nicht wirklich geben kann. Im Streit um den eigenen Selbstwert entfernen sich die Geschlechter in dem Maß, wie ihnen dieses Verhältnis ihre Liebe und also ihre Seele bestimmt. Doch das verlangt eine stabile Persönlichkeit, die nicht hiervon überfordert ist und sich nun auch geschlechtlich entsprechend verhalten kann. Oft scheitert hier die Beziehung durch den Selbstverlust des einen oder anderen Partners.

Für für ein Auskommen in solchen zwischenmenschliche Beziehungen wäre maßgeblich, wie sich Selbstwahrnehmungen als seelische Selbtverständlichkeiten mitteilen und austauschen lassen und wie sich hierdurch zwischenmenschliche Persönlichkeiten als Persönlichkeiten der Liebe ergeben. Das verlangt zunächst das ausschließliche Sein ihrer Seele, die ihre Gefühle in ihrer Einzigartigkeit finden und erleben. Jede mehrseitige Existenz solcher Gefühlswelt würde sie unmittelbar aufheben, weil sie ihre Kritik wäre. Das einzigartige Gefühl ist die Verdichtung der Seele im Gefühl selbst, die Ausschließlichkeit des Gefühls gegen alles, was hiergegen fremd wird, das absolute Vertrauen in die Verdichtung, welche die Seele antreibt, betreibt und beabsichtigt. Das persönliche Fühlen, Erleben und Empfinden fällt in das zusammen, was es für die Seele ist: Bereicherung durch die Beziehung von Persönlichkeiten, die darin ihre Selbstgefühle und Selbstwerte aufs höchste Maß ihres Selbsterlebeens bringen, auf ihre Glückseligkeit.

Diese ist immer wieder äußerst gefährdet, weil sie sich tatsächlich nur im Glücksfall ereignet, dann nämlich, wo sich kulturelles Erleben seelisch vereinigen lässt. Und das geschieht nicht mehr unmittelbar aus den Trieben und Gefühlen, welche die persönliche Wahrnehmung so an sich hat, sondern aus dem Miteinander von seelischem Erleben, dem seelischen Erlebnis, welches die Persönlichkeiten der Kultur in ihren Selbstwahrnehmungen so zusammenführt, wie es sich in den Ereignissen der Kultur je nach den Charaktereigenschaften der Personen einrichten lässt.

Die Formverwandlung von Selbstwahrnehmungen zur Mitteilung von Gefühlen ist aber zunächst ein Salto Mortale der Selbstbezogenheit. Diese bildet sich nicht aus Gefühlen, sondern verursacht und bewegt sie, macht selbst wahr, was der Selbstwahrnehmung nötig ist zu fühlen, macht aus Geistern Gesichter und aus Abstraktion das Glück einer Begegnung. Selbst die einfache Anwesenheit von Menschen gehört dazu, um so mehr, wie sie der Selbstwahrnehmung förderlich sind. Dicht wird dabei alles, auch wenn es weit gestreut ist, weil gerade mit der Weite des Raums die Ausschließlichkeit der Selbstwahrnehmung sich verstärkt. Starke Gefühle blenden die Empfindung, aber sie fördern das Selbsterleben. Es sind ja nicht einfache Heftigkeiten von bestimmten Regungen, sondern Erlebensgrößen von Beziehungen, die sich Form geben.

Das Bilden solcher Stärke verlangt in der zwischenmenschlichen Beziehung, mit Gefühlen wie mit nützlichen Dingen umzugehen, sie also wie objektive Gegebenheiten zu behandeln, sie zu vermitteln, als sei man dies nicht selbst. Da werden dann Stimmungen erzeugt, Selbsterleben stimuliert und Rolle und Status kultiviert, nur damit sich die Selbstwahrnehmung in die Gefühlsweilt eingewöhnen kann. Ohne Kultur geht hier gar nichts mehr, weil sich Persönlichkeiten zwar anfühlen lassen, aber nichts für's Gefühl sind. Hierfür sind sie lediglich Bannerträger, Mitstreiter oder Fürsorger. Das höchste, wozu solche Persönlichkeiten es hierbei bringen können, ist, dafür nützlich zu sein, füreinander einzustehen und einander zu helfen, sich als Mittel ihres Lebens mit all ihrem Sinn, mit Haut und Haar zu gebrauchen. Die Welt der Zwischenmenschlichkeit verliert die Selbstwahrnehmung in dem Maß, wie solcher Gebrauch gelingt. Sie scheint daher weitaus konkreter und menschlicher. Aber sie ist lediglich die praktische Auflösung einer isolierten Selbstbeziehung in eine vergemeinschaftete, in welcher allerdings die Sinne nicht mehr Ereignisse bilden und Absichten hiernach verfolgen, sondern sich selbst wechselseitig nutzen, wie sie füreinander erlebt werden können. Es ist die unmittelbar scheinende und doch weit vermittelte Beziehungswelt der privaten Persönlichkeiten der Zwischenmenschlichkeit, wie sie einander in ihrer Liebe erleben.

Die zwischenmenschlichen Beziehungen entwickelt nun selbst das zwischenmenschliche Leben zu Lebensräumen der Erlebensweisen, der Gewohnheiten und Geborgenheiten und dem darin Verborgenen, dem unheimlichen, dem eingeschlossenen Sinn, der sich als Unbewusstes zu Tage bringt, indem er die Lebensgestaltung zur Pflicht werden lässt und die Sinne von ihrem Leben entrückt. Diese werden schließlich nur noch in der Lebensform eines ausgeschlossenen Sinns erfahren, worin jener Sinn nur noch verrückt erscheinen wird.




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211.1 Die zwischenmenschliche Beziehung der Kulturpersönlichkeiten
(oder der Lebensraum der Entgegenwärtigung)

In zwischenmenschlichen Beziehungen sind Menschen sich selbst Gegenstand und Mittel ihres Lebens in einem. Sie haben darin zwar unmittelbare Beziehungen von Mensch zu Mensch, so, wie sich der eine im anderen findet und empfindet Und sie beziehen sich auf einander durch die Gefühle, die hierbei entstehen, so wie sie ihr diesbezügliches Erleben empfinden. Es sind aber keine wirklichen Selbstgefühle mehr, sondern Gefühle der vergemeinschafteten Wahrnehmung, zur Empfindung einer Gemeinschaft, in der sie sich gemein machen uind nun als Kulturpersönlichkeit mit Gefühlen begegnen, in der sie ihre Selbswahrnehmung vereinen und sich zunächst durch ihre Gefühle tragen lassen, durch ihre Liebesgefühle und Gewohnheiten, durch die sie zugleich zum Träger dieser Beziehungen werden. Es sind Gefühle für einander, die so sind, wie sich die Kenntnis voneinander entwickelt, ohne dass Erkenntnis dazwischen tritt. Es fühlt sich ein Mensch eben so an, wie man ihn kennt, ohne zu erkennen, was er wirklich ist. Es ist eine Gefühlswelt der Selbstgefühligkeiten, die sich von jeder Wirklichkeit getrennt hat und sich nur an den Erlebnissen reflektiert, die man miteinander hat. Von daher sind die Gefühle zugleich Empfindungen, Gefühle die man durch einander hat, sich selbst als anderer im anderen Gegenstand seiner Empfindungen ist. In diesen aber sind die Menschen wesentlich nur durch den Lebensraum aufeinander bezogen, für sich selbst entgegenwärtigt.

Aber zwischenmenschliche Beziehungen sind deshalb also nicht wirklungslos; sie wirken aber vor allem in den Menschen, in ihren Vorstellungen und Erwartungen von einander und ihrem Glück oder Unglück miteinander, kurz: in ihrer psychischen Identität, die sie durch ihre kulturelle Identität finden. Das erschien in der Selbstwahrnehmung noch als eine rein innere Identität, erweist sich jetzt aber auch wirklich als die äußere Identität einer Kultur, die sie ist und in welcher die gegensätzlichsten Persönlichkeiten sich darin gerade dadurch finden, dass sie sich auch wirklich in ihren Gefühlen zueinander entgegensetzen, um sich darin zu verbinden. Die Persönlichkeiten der Selbstwahrnehmung werden hierin zu einer Welt, in der sie aneinander ihr Leben durch einander in einem zwischenmenschlichen Verhältnis vermittelt fühlen; aber es ist nicht ihr Leben, sondern das Leben des Zwischenmenschlichen, der Persönlichkeit der bürgerlichen Kultur.

Diese Persönlichkeit kann sich nicht mehr durch Selbstwahrnehmung entwickeln, da sie nur dadurch entstanden ist, dass sich Personen auf eine Kulturgemeinschaft berufen, in der sie ihre Beziehung zu bergen gedenken. Um eine Persönlichkeit des Zwischenmenschen in dieser Beziehung zu entfalten und zu gewährleisten, muss ein Lebensraum als Lebensrahmen gefunden werden, in welchem dies möglich wird, eine Gewähr innerer Gütlichkeit, welche die Bedrängung durch die Erlebniswelt der bürgerlichen Kultur ausschließt. Solcher Lebensraum versetzt die Gegenwärtigkeit der darin geborgenen Beziehungen gegen die Reize und Events der allgemeinen zwischenmenschlichen Kultur. Es entsteht der Lebensraum einer eigenen Kultur.

Dieser Raum wird dadurch ungeheuer mächtig, dass er sich gegen die Mängel der Selbstsucht in der bürgerlichen Kultur bewährt. Was nun persönlich gilt, wird zur Bedingung eigener Persönlichkeit. Eigene Kultur wird zum sozialen Subjekt jeglicher Beziehung und besonders zum Subjekt aller Liebesbeziehungen. Die Menschen können sich hierin als unmitelbare Gesellschaft wie ein Zusammensein voraussetzungsloser Individuen wahrnehmen, die allerdings zwischen dem, was sie wahrhaben und dem, was sie wahrnehmen nicht mehr unterscheiden, und die von daher ihre Empfindungen wie Gefühle haben, die nichts auffassen, wie es ist, sondern dem Gefühl unterworfen sind, wie es im Selbstgefühl beabsichtigt ist, wie es also für das zwischenmenschliche Dasein der Selbstgefühle sein muss. Ihre Wahrnehmungen bestehen daher aus Selbstwahrnehmungen, die sie durch einander, also jeder durch den anderen nun im wirklichen Erleben so hat, wie dieses für solche Verhältnisse sein muss.

Die Sinne der Menschen stehen daher nicht mehr für sich, sondern im Dienst dieser Verhältnisse, die Selbstgefühle hängen ausdrücklich von ihrem Gelingen ab, also davon, sich in dem Geltung zu verschaffen, was das Selbstgefühl darin erwarten kann und was es von anderem Selbstgefühl für sich hat, was es durch dessen Tätigkeit und Absicht erleben kann. Die einzelnen Persönlichkeiten müssen erkennen, dass ihre Selbstgefühle sich im Kreis bewegen, dass ihr einzelnen Selbstgefühle äußerst mangelhaft sind, wenn sie sich nicht durch einander darin ergänzen, dass sie füreinander da sind. Die Einzigartigkeit der Persönlichkeit wird hierdurch im Privaten sehr relativ und verliert notwendig den Schein ihrer ausschließlichen Selbstbestimmung. Denn wie alle Menschen ist sie auf Fleisch und Blut und kann sich nur vermittelst ihrer Natur verhalten. Diese wird selbst zum Ort ihrer Vermittlung und ist von daher nicht nur durch sich bestimmt, sondern vor allem Organ ihrer Beziehungen. Erst hierdurch vergegenwärtigt sich, was in der Wahrnehmung vergangen und aufgehoben ist. Es scheint, als ob jetzt erst wirklich sinnlich wird, was in den Selbstgefühlen abstrakt geblieben war. Doch es ist nur die Rückkehr der Abstraktionen, welche die Wahrnehmung darin vollzogen hatte, in einem vergemeinschafteten Organismus der Gefühle, insbesondere der von Frau und Mann und Kind.




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211.2. Die Kulturpersönlichkeiten der Geschlechter

In den Lebensräumen der zwischenmenschlichen Verhältnisse entsteht nun ein Mensch, der ihre kulturelle Beziehungen dadurch personifiziert, dass er sie Personen durch diese Räume als Kulturpersönlichkeit durch und vermittelst dieser Verhältnisse, also als Mitmensch ihrer Verhältnismäßigkeit bestimmt. Nur durch die Begrenztheit der Substanzen dieser Lebensformen setzt sich die Art und Weise und Dichte ihrer Beziehungen durch und macht aus jedem Menschen eine Persönlichkeit, die nicht mehr durch sich selbst sondrn in der Art und Weise ihres Auftretens und Verhaltens unterschieden und zugleich durch diese Form bestimmt ist. Die Menschen können nun sein und meinen und handeln, wie ihnen Kopf und Leib steht, es bleibt die räumliche Lebensform die einzige Substanz ihrer Wirklichkeit. Natürlich bleibt ihre Willkür immer noch durch ihre Einsicht in die Notwendigkeiten ihres Tuns beschränkt, doch ist diese Einsicht nicht wirklich frei, um aus den Raumbestimmungen heraustreten zu können, sich aus ihrer Beschränktheit zu emanzipieren. Der Lebensraum selbst bestimmt sie zu einem unwirklichen Verhältnis, indem sie zwar verwirklichen, was sie für notwendig erachten, was aber zugleich sie immer wieder nur auf ihre Beschränktheit im Wollen, Dürfen, Handeln und Verhalten zurückwirft. Was sie in ihrer Unwirklichkeit als Mensch verwirklichen, ist die Wirklichkeit ihrer Selbstbeschränkung, die durch und für ihren Lebensraum notwendig ist und nur dadurch als Selbstverwirklichung erscheint, dass sie mit allen Substanzen des Menschseins körperlich präsent ist und körperlich auch präsentiert wird, soweit es ihre Seelen tragen und ertragen können. Aber es gibt auch unter dieser Bestimmtheit genug Ereignisse, die erlebt werden, so dass sich die Menschen nicht wirklich gewiss darüber werden müssen, dass sie einander zwar immer besser kennen, sich aber immer weniger als Mensch erkennen können.

Es ist ein schleichender Prozess, in welchem die Menschen ihre Erkenntnisse auf die Selbsterkenntnis reduzieren müssen, die sie als Persönlichkeiten ihrer kulturellen Räumlichkeit, als Kulturpersönlichkeit ihrer zwischenmenschlichen Beziehungen bewahren und bewähren können. Eine solche Persönlichkeit ist daher nicht ein Mensch, sondern das Zwischenmenschliche als Körper von Menschen, wie es in seinem Lebensraum sich wahrnimmt und wahrhat. Es entsteht aus der Relativität der einzigartigen Privatpersonen gegenüber der allgemeinen Persönlichkeit, welche die Kultur daselbst durch das Verhalten und Verhältnis personifizierter Menschen erlangt. Was die bürgerliche Persönlichkeit bisher noch beschränkte, ihre bornierte Egozentrik noch an ihrer Entwicklung zu einer freien Persönlichkeit hinderte, war ihre Beschränkung auf den konkreten Nutzen ihrer Beziehungen. Zwischenmenschliche Beziehungen vernutzen sich, wo sie sich nicht als kulturelles Verhältnis gestalten. Sie müssen sich früher oder später in ihrer Wechselwirkung anerkennen, müssen die "inneren Gesetze" erfassen, in welche sie durch ihre zwischenmenschliche Kultur gestellt sind. Was der eine darin tut, muss der andere lassen, damit er tun kann, was der andere zu lassen hat. Das Wechselwirken der Persönlichkeiten erweist sich somit als Erweiterung und Beschränkung des Welterlebens und muss zwangsläufig in ihrer Relation dahin befolgt werden, dass zwischenmenschliche Kultur selbst zum Träger ihrer Beziehungen wird. Die Kultur erfährt daher jetzt einen ganz spezifischen Grund in den zwischenmenschlichen Beziehungen, indem sie zu deren wirkliche Überlebensform wird. Die bürgerliche Persönlichkeit, das bürgerliche Subjekt schlechthin tritt nun als Kulturprodukt in Erscheinung.

Schon die klassischen Kulturprodukte zeugen von dieser Notwendigkeit eines Verhältnisses, das nicht als das Wahr sein kann, was es in Wirklichkeit ist. Die tragischen Persönlichkeiten der Antike gelten auch in der modernen Literatur als Urformen des Zwischenmenschlichen. Freud hatte dies z.B. an seiner Fassung des Ödipuskomplexes verdeutlicht. Für den Bildungsbürger handelt sich dabei um Parallelfigurationen, wodurch reale Konflikte mythologiert und als quasi ontologische Verpflichtung den Menschen auferlegt sind. Aber darum handelt es sich hier überhaupt nicht. Es sind wikliche Beziehungsprobleme, wie sie in den Verhältnissen von kultivierten Persönlichkeiten tatsächlich schon seit der Antike zu erkennen sind, auch wenn dort noch kein Geld die zwischenmenschlichen Beziehungen die Verhätnisse begründete - es waren dennoch fremde Lebensgrundlagen, denn das Reich der antiken Gottheiten reflektierte ausschließlich die Beziehungen der Aristrokraten und Kriegsherrschaften.

Von daher wird nun die Persönlichkeit zu einem Sinnbild überindividueller Kultureigenschaften, zu einer Lebensform der Kultur selbst, worin alles in Form gegossen ist, was ohne dies nur noch unförmig wäre: Die Mitmenschlichkeit schlechthin, die durch Mitgefühl durchbrochene Selbstbezogenheit. Der Lebensraum der zwischenmenschlichen Beziehung stiftet daher einen Raum für ein Mitgefühl, das sich allen bisherigen Selbstbezogenheiten überordnet und jetzt erst den wirklichen Zwischenmenschen zu einem verselbständigten Kultursubjekt, zu einer Formation des Gattungswesens Mensch zwischen dem Menschsein entwickelt.

Die Menschen sind nun geläutert durch die Kenntnis der Bitternis, welche die vollendete Selbstverwirklichung, die aus der Selbstwahrnehmung hervorgegangene Egozentrik, hinterlässt. Aber zugleich bleiben sie für sich selbst gefühltes Mitgefühl, mitgeteilte Selbstbeziehung als einander empfindende Gattungswesen jenseits ihrer wirklichen Gattung, als Begattungswesen, die sich unter sich fühlen, soweit sie sich aus ihrer gesellschaftlichen Öffenlichkeit aussondern. Als diese haben sie den Status einer Lebensgröße zwischenmenschlicher Kultur, vor der jede Selbstwahrnehmung sich beugt. Es wird diese daher zum Medium eines Lebensgefühls, das sich unmittelbar nur in zwischenmenschlichen Lebensräumen entfaltet. Das in ihnen geborgene Leben modifiziert sich daher zu einer Kulturgestalt des Lebens schlechthin als Geschlechtswesen, das seine Form außer sich in seinen Lebensräumen nicht nur empfinden, sondern wirklich finden muss.

Alle Lebensmomente, soweit sie kulturell existieren und für sich unabhängig, also frei erscheinen können, gehen darin ein: Das Leben der Generationen, der Geschlechter, der Lebensbedürfnisse, der Kunst und anderes mehr. Nur die Lebensnotwendigkeiten bleiben außen vor. Die zwischenmenschliche Persönlichkeit, welche sich darin verwirklicht, verwirklicht zugleich die Kultur der zwischenmenschlichen Geschlechtlichkeit schlechthin und wird zum Träger eines Gattungswesens, das seine Gattung unmittelbar allgemein durch sich selbst äußert und konsumiert. Männer und Frauen einigen sich in dieser Gemeinschaft auf ihr geschlechtliches Dasein, wie es gekommen ist und gehen mag, denn sie bilden die ursprünglichen Pole dieser Kulturbeziehung.

Doch zunächst ist dies das Resultat einer konkurrierenden Selbstbezogenheit, die sich gerade durch ihre unterschiedlichen Charaktere des Zwischenmenschlichen erst finden muss, um sich als Gattungswesen zu veräußern - in dem Maße, wie ihre öffentliche Gesellschaft ihre kulturelle Substanz, ihre gesellschaftliche Natur verliert. Es treten daher damit die natürlichen Eigenschaften des Gattungswesens Mensch wie eine kulturelle Tatsache in Erscheinung.




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211.2.1 Das äußere Geschlecht

Weil ihre gesellschaftliche Natur sich zu einer Natur ihrer Kulturpersönlichkeit formiert, treten die natürlichen Eigenschaften der Menschen, das Geschlecht ihres Gattungswesens, wie eine Naturmacht auf, die sich in dem Maß als Kulturmacht gestaltet, wie sich ihre Gesellschaft denaturiert. Was noch in der Selbstgerechtigkeit der Privatpersönlichkeit selbstbestimmt erscheinen konnte, wird nun zum Bindemittel einer Gemeinschaft, die sich durch ihre symbiotische Kraft zu behaupten sucht, die sie aus ihrer Natur gewinnt.

Ganz gleich, wie es in der Geschichte der Menschheit bisher gewesen, ob Männer Jäger und Frauen Sammlerinnen waren oder nicht, tatsächlich richtet sich die Wahrnehmung der Geschlechter von Natur unterschiedlich aus, weil sie sich körperlich auch unterschiedlich wahrhaben. Gerade in ihrer Unterschiedlichkeit bestärken sie sich als Menschen, weil sie ohne einander nicht wirklich sein können. Was von Natur aus selbstverständlich ist, wird in der zwischenmenschlichen Kultur zur Selbstbehauptung gegen die Welt der Sachen, gegen die Sachlichkeit des Weltlichen und ihrer gegenständlichen Formen, gegen die politische Macht ihrer Wirtschaft und Lebensgestaltung. In dieser symbiotischen Selbstbehauptung werden die unterschiedlichen Geschlechtseigenschaften für das ganze Verhältnis in der Art und Weise bestimmend, wie sie unter den Lebensbedingungen ihres Lebensraumes erlebt werden. Erleben vereint die Getrenntheit von Form und Inhalt und bestärkt sie zugleich, lässt die Wahrnehmung in der Trennung auf sich zurückfallen. Von daher trennen sich die Wahrnehmungen des Geschlechterlebens in eine äußere und innere Geschlechtlichkeit auf, die von Mann und Frau auch verschieden erlebt wird.

Innerhalb solcher Kulturverhältnisse sind Männer getrieben, sich verbindlich zu zeigen, weil die Verbindung vor allem von Frauen nur gewährt werden kann. Sie erleben sich aus sich heraus voller Getriebenheiten, um als männliche Persönlichkeit der zwischenemschlichen Kultur gelten zu können und zu bewähren. Sie konkurrieren nicht nur um ihren Arbeitsplatz sondern auch um ihr Liebesglück, sind oft gieriger und unbeherrschter als Frauen, kampfesmutiger, viellleicht auch eher mal todesmutig. In der formalen Durchsetzungsfähigkeit sind sie meist immer noch mächtiger als es Frauen durch ihre zum kulturellen "Handicap" gewordenen "Natureigenschaften" sein können und werden auch wirtschaftlich in ihrer Arbeit aus selbem Grund eher bestätigt und bestärkt. Während Frauen in ihren Wahrnehmungen eher auf sich selbst achten müssen, befinden sich Männer eher in der Position des Fürsorgens. Innerhalb solcher Kultur unterliegen sie in ihrer Selbstwahrnehmung und stehen damit im Gegensatz zu den Frauen. Indem sie dies immer noch meist mit einer dominierenden Trägerfunktion der Zuarbeit im Verborgenen ausgleichen machen sie sich zwar unabkömmlich, veräußern damit aber zugleich ihre Selbstwahrnehmung in der Selbstbehauptung von "höherer Ordnung" einer medialen Macht, von Politik, Krieg und Frieden und wirtschaftlichem Durchsatz. Darin wird die Kulturpersönlichkeit in ihrer äußeren Geschlechtlichkeit weltlich und verlässt die innere Geschlechtlichkeit des unmittelbaren Lebens selbst durch seine Besorgungen im Dienst des Selbsterhalts der Geschlechter und ihrer Lebensräume. Männlichkeit ist eben nicht einfach das Gegenteil zur Weiblichkeit weil der Mann nicht von Natur, sondern aus der Kultur heraus sich unterscheiden und bestehen muss, in der auch er durch die Rolle bestimmt ist, in welcher seine Natur formiert sein muss.

Ihm ist die äußere Subjektivität näher, weil auch sein Körper eher sich nach außen bezieht, ungeschützter vor allen Einwirkungen und von äußeren Einwirkungen weitgehender bedroht ist, daher auch aufmerksamer auf Wirksamkeit und Wirklichkeit überhaupt. Von daher mag er natürlch bestimmte Präferenzen von Verhaltensweisen haben, die ihm selbst als Natureigenschaft erscheinen, aber nun selbst auch in der gesellschaftlichen Rolle übertragen werden, die er damit bevorzugt hat. Er ist eher in die Welt hinein drängend und weniger von innen verletztlich als von außen. Das mag die Basis der Vorstellungen sein, die Männlichkeit in der Kultur auch bekommen hat.

Was immer Männer in ihrer Naturbildung hinter sich gebracht haben, sie haben es immer nur zusammen mit Frauen erreicht. Als Ergänzung zu ihnen mögen ihre Naturbedingungen auch nötig gewesen sein, nun erscheinen sie als Naturalkraft des männlichen Individuums hiergegen selbstständig, als seine Fähigkeit und sein Bedürfnis, sich durchzusetzen, zu herrschen und zu erobern. Das Gefühl des Erorberns aber wird zu einem Grundgefühl einer Sinnesform der Männlichkeit nur, weil sich diese in einer Kulturpersönlichkeit identifiziert, um überhaupt eine persönliche Identität zu vermitteln - und Männer greifen danach, um sich damit eindeutig verhalten zu können. Die Wahrnehmung von Bedrohlichkeiten und Ohnmacht, wie sie einer männlichen Natur vielleicht irgendwie entsprechen mag, gibt dem Mann auch in der Kultur des Erlebens eher die Rolle des Existenzträgers, des Beiträgers und Zuträgers zum Lebensunterhalt. Es kann ihm schmeicheln oder nicht: Sein Körper erträgt beim Menschen wie beim Affen härtere Momentanbelastungen, sein Gehirn funktioniert einfacher und damit zielgenauer und sein Sinn steht auf Machterhalt und Selbstverteidigung. Aber was ihn erst richtig zum Funktionär der Kultur macht, ist die männliche Persönlichkeit, die er mehr oder weniger als Sinnbild der Selbstbehauptung darstellt. Darin wird er als Kulturträger begehrt und auch mehr oder weniger benötigt.

Das ist zwar eine abgeleitete Rolle, in welcher sein Sinn vor allem nach außen gerichtet ist, aber gerade das entspricht ja überhaupt dem bürgerlichen Selbsterhalt, also der Selbsterhaltung der Menschen in der bürgerlichen Gesellschaft. Mann und Frau ergänzen sich nicht nur durch ihre Natur, sondern auch durch den Sinn, den sie in ihrer Kultur entwickeln. Hier wird aber gerade dieser Sinn durch die Not der Selbsterhaltung zu eienr überhobenen Selbstbeziehung, zu einem Kult der veräußerten Sexualität. Die Naturalisierung dieser Entäußerung ist eine Affirmation solcher Selbstbezogenheit, deren Verfremdung damit hinweggetäuscht wird. Auch Tierbeispiele (z.B. Schweinezucht) zeigen, dass dort Inzucht oder Homosexualität unter Bedingung einer zu engen Domestizierung sehr viel häufiger vorkommen.

Tatsächlich ist unter diesen Verhältnissen der Mann abhängiger von einer sinnlichen Zuwendung, als die Frau. Sein Leben füllt sich dann erst wirlich sinnlich aus, wenn er die Zuneigung einer Frau erfährt. Seine Sinne sind deutlicher auf sie gerichtet, als umgekehrt, weil unter der Bedingung, dass kulturell nur gilt, was unmittelbar naturbedingt auftritt, er seiner Sinne nicht mächtig sein kann. Seine natürlich scheinende Not, die Selbstwahrnehmung der Mangelhaiftigkeit wird durch die in ihm höher konzentrierte Triebhaftigkeit verstärkt. Diese Konzentration, wenn er sie besonders als "einsamer Wolf" leidet, kann ihn aggressiv und unberechenbar werden lassen. Sein Begehren erscheint schnell als Begierde und mass daher natürlich auch öfter in seine Schranken gewiesen werden. Allein Gesetz und Exekutive können dann, wenn er durchdreht, die Menschen vor Übergriffen schützen. In der Rolle des Überlebensträgers erweisen sich Männer oft überfordert und versuchen, ihren persönlichen Untergang mit Aggression und Gewalt abzuwenden.




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211.2.2 Das innere Geschlecht

Frauen unterscheiden sich zwar von Natur aus von Männern, aber getrennt von ihnen sind sie nur durch die Kultur der zwischenmenschlichen Persönlichkeit. Als totalisierter Organismus des Geschlechts erschien der Mann als ein äußerlich beeindrucktes Naturwesen. Indem weibliche Eigenschaften zur Weiblichkeit schlechthin substantiviert werden, erscheint dagegen jetzt das Leben der Frauen viel inniger. Auf ein vermeintliches Naturwesen reduziert sollen Frauen eher aus der Substanz des Lebens bestimmt sein, aus ihren Fähigkeiten, den Menschen als Naturwesen zu bewahren und zu reproduzieren, ihn also im Bereich der Eigenwirtschaft des Körpers wahr zu nehmen und wahrzumachen. Im Körperlichen selbst erscheint das Leben aber zugleich expansiv und gefährdet. "Von Haus aus" zur Vorsicht geboten, fällen Frauen daher ihre Urteile substanzieller und behaupten sich eher durch Geschick und Bildung, als durch offene Gewaltanwendung. Sie wirken von daher "von Natur aus bodenständiger" und sind als Naturwesen umworben, stellen für sich die Blüte des Geschlechts, seine Schönheit dar. Von daher tragen Frauen in einer geschlechtlich gespaltenen Kultur nicht nur werdendes Leben, sondern den Reiz der Geschlechtlichkeit auch allgemein als Wesen seiner Ästhetik in sich. Darin erscheinen sie wie ein Subjekt der Geschlechtsliebe, das sich aus ihrer Natur selbst begründet verstehen kann.

In einer Kultur, worin Durchsetzungskraft als Maßstab der Persönlichkeit verlangt ist, realisieren aber auch Männer ihre scheinbar "natürlichen Vorteile", um darin Frauen gegenüber vorteilhaft zu erscheinen, um durch sie einen Lebensgrund zu finden, den sie als solche "Naturerscheinung" natürlich nicht für sich haben können. Die Männerkulte mögen zwar auch wirtschaftlichem "Wettbewerb" entsprechen, aber sie sind nur deshalb voller Geltungssucht , weil darin um das Geschlecht gekämpft wird, das dem kultivierten Mann als Lebensgrundlage seiner Sinnlichkeit dient.

Tatsächlich ist auch die Bewunderung solcher Kulthaftigkeit des Männlichen umgekehrt eine Beziehungsform der Frauen. Sie haben darin Teil an der Kultur, dass sie den Mann für ihre zwischenmenschliche Selbstverwirklichung begehren. Auch darin wird Geschlechtssinn kultiviert, dass er sich der kraftvoll erscheinenden Naturmächtigkeit des männlichen Personenkults als Naturmacht der zwischenmenschlichen Beziehung selbst herausstellt. Im Selbstbewusstsein der Begehrlichkeit und der Fähigkeit, Menschen zu gebären, also "das Menschliche" aus sich herauszusetzen, wird Weiblichkeit zu einem kulturellen Synonym für die Lebensbasis, die Frauen in solcher Kultur auch wirklich darstellen. Die Befruchtung erscheint als bloßer Akt der Lust, das Austragen der Frucht als bloßer Akt des Notwendigen. Zwischen Lust und Notwendigkeit wird die Geschlechterkultur auf diese Weise zerteilt.

Von da her wird der weibliche Sinn zu einer Beziehung nach innen, zu einer verinnerten Subjektivität des Empfindens und Empfangens, also das, was man in sich findet und spürt, was im Fühlen und Denken sinnlich vor sich geht. Nicht nur weil das weibliche Gehirn komplexer ist als das männliche und die weiblichen Geschlechtsorgane dem Leben umfänglicher begegnen, sondern vor allem, weil das weibliche Erleben in dieser Kultur weit tragfähiger ist als das männliche, bekommt es eine bestimmte, eine tragende Funktion in diesen Verhältnissen, die unerkannt bleiben muss, um für die Kultur zu funktionieren. Selbstvertändlich ist dabei nicht weibliche Geschlechtlichkeit, sondern die Rolle, die sie in der Kultur einnimmt, also das, womit Weiblichkeit wahrgenommen wird und wodurch sie der Selbstwahrnehmung dient. So werden Frauen schnell zu Funktionärinnen der Fürsorglichkeit, der Nothelferin, der Mutter und Kindererzieherin und Ernährerin. Frauen gelten als die besseren Bewahrerinnen von Sinn und sind von daher dessen besondere Kulturträgerinnen als Persönlichkeiten des Weiblichen schlechthin, das "alles hinanzieht" (Goethe).

Die Kehrseite davon ist, dass sie als solche benutzt werden, dass sie Sinn stiften sollen, wo Sinnlosigkeit herrscht, Leib beleben sollen, wo er verletzt oder tot ist. Ihre Entleibung entspricht der Rolle, welche die bürgerliche Kultur auf Grund ihrer Körperlichkeit ihnen zuweist, wie sie erlebt wird: Bewahrerin von Leben zu sein, wo Wesenlosigkeit entsteht und wo Verwesung herrscht. Soweit sie dies erfüllen wollen oder aufgrund ihrer Lebenslage erfüllen müssen, ernähren sie diese Kultur und die Geschlechtlichkeit überhaupt mit Sinn, der aus dem Innern, dem eigenen Leben kommt. Ihr entäußertes Geschlecht ist unmittelbar auch ihre Lebensentäußerung, die nichts außer Selbstentfremdung ist, die allerdings zugleich innerhalb dieser Verhältnisse lebensnotwendig ist. Weil das Leben in der Kulturpersönlichkeit eine selbständige Naturform des Überlebens bekommen hat, muss diese auch dem Leben dienstbar sein, solange sie nicht von den Menschen, und das sind nicht nur die Frauen, überwunden wird.




211.2.3 Das versachlichte Geschlecht: Das burgherrliche Generationenverhältnis


In der Abschirmung des Geschlechtsvrhältnisses von ihrer gesellschaftlichen Wirklichkeit wird das zwischenmenschliche Verhältnis selbst zu einem Lebensverhältnis, worin sich die Geschlechter so verhalten, wie sie sich in ihrer Geborgenheit überhaupt verhalten können. Sie zeugen dabei nicht nur Kinder, sondern bezeugen zugleich ein Verhältnis, worin die Generationen sich frei einverleiben können. Indem sie sich äußern, veräußern sie zugleich ihren Sinn, den sie für ihr Leben haben.

Durch diese Veräußerungen werden Vater und Mutter zu Kultursubjekten, egal ob vollständig oder nicht. Alleine durch die Kinder der Kultursubjekte selbst erscheint die Kultur allgemein als vollendete Kulturgemeinschaft, die zugleich eine zwangsläufige Notgemeinschaft ist, welche die Familien zur Aufzuchtstätte allgemeiner Notwendigkeiten des isolierten Hegens und Pflegens werden lassen. Sie sind in dieser Allgemeinheit, wiewohl einzeln in bester oder schechtester Verschmelzung mit ihren Eltern, unmittelbares Objekt einer Gesellschaft, bevor sie überhaupt erkennen können, was diese ist. Sie erfahren es völlig geschichtslos, lediglich durch ihre natürliche Abhängigkeit von deren kultureller Ganzheit ohne Bezug auf ihr Gewordensein, auf die ganze Geschichte der gebrochenen Zwischenmenschlichkeit, die nur ihr Überleben sucht. Sie müssen erstmal das werden, was sie für die Erwachsenen sind, weil Gesellschaft ihnen nur durch diese gegenübersteht. Und sie müssen leiden, was diese in der Privatform der Familie gesellschaftlich ausgegrenzt haben. Als Liebe und Fürsorge erscheint, was denen als gesellschaftlich notwendig gilt. Erziehung bekommt somit selbst eine Objektivität, die sich nun auch durch den Staat vermittelt.

Es ist nicht leicht für die Kinder, als menschliche Sache und mit versachlichter Kultur groß zu werden, um schließlich selbst nur fortbestimmen zu können, was ihnen bestimmt ist. Es erscheinen ihnen die Mängel der bürgerlichen Kultur als Mangel ihrer werdenden Menschlichkeit, ihrer Subjektivität: Sie erscheinen immer als werdende Menschen, gerade weil sie in ihrer Unterworfenheit unter die kulturbestimmte Allgemeinheit der Selbstwerte überhaupt noch menschlichen Sinn äußern. Das Kind wird zum Lebensinhalt der Kultur ganz allgemein, zum ausschließlichen Träger menschlicher Sinne, die in ihnen gehegt und gepflegt werden von denen, die darin einen Sinn für sich finden können und hierauf also auch ihr Leben beschränken wollen und können.

Von daher geht es nicht nur um das wirkliche Kindsein, sondern um die Verniedlichung des Geschlechtsverhältnis, das letztlich das Verhältnis der Gattung Mensch selbst ist. Das Zusammenwirken von Mann und Frau wird zu einer Frage des Umgangs in der äußerlich bestimmten Selbstbeschränkung einer Individualität, die für sich als ein Ganzes, als totale Individualität der Natur gelten muss. Dies ist ein Unding, das in der Natur selbst nirgendwo vorkommt. Aber unter der Bedingung bürgerlicher Lebensverhältnisse reduziert sich die menschliche Natur nun auf die Natur der individuellen Erscheinungsform der Geschlechter und die Menschen reduzieren ihre Beziehungen auf die Naturfunktionen ihrer hierfür bestimmten Organe, die nurmehr in ihrer rein ästhetischen Gestalt objektive Wirkung auf die Menschen haben, weil sie zugleich Objekte ihres Erlebens sind. Je unterschiedlicher die kulturelle Selbstwahrnehmung von Mann und Frau ist, desto getrennter sind ihre Selbsterfahrungen in diesem Erleben und desto ästhetischer ist ihre Wirkung aufeinander - denn verselbständigte Selbstwahrnehmung ist die ästhetische Wahrnehmung des Selbsterlebens, objektivierte Selbstwahrnehmung, die zur Gewohnheit werden wird. In der Ästhetik ist es die reine Wahrnehmungsobjektivität des Gedächtnisses, welche sich darin substantiviert, vergangenes Erleben als subjektiver Inhalt einer objektiven Wahrnehmung.

Die Organe der Geschlechtlichkeit werden als Objekte der erlebnisbestimmten Wahrnehmungsform zu einer politischen Bestimmung des Überlebens in den kultivierten Geschlechtsverhältnissen und von daher selbst sinnlos. Das in dieser Form einzelne Geschlecht erleidet das Martyrium der allgemeinen Vereinzelung und Entfremdung. Die wesentliche zwischenmenschliche Entfremdung, wie wir sie in der Selbstverwirklichung begonnen hatten, vollzieht sich nun im Geschlechtsverhältnis, also im Verhältnis zwischen Mann und Frau, als ästhetisches Verhältnis. Das Geschlecht wird somit selbst zu einer im Grunde unwirklichen Beziehung, unwirklich, weil von aller Wirklichkeit und wirklichen Beziehung herausgelöst, nurmehr im einzelnen Akt tätiges Verhalten, das so objektiv existiert, wie jede andere Eigenschaft der Personen überhaupt, wenn sie für sich, also isoliert aus ihrem wirklichen Zusammenhang objektiert wird.

Damit wird jedes Bedürfnis von seinem Entstehungsgrund und seiner Geschichte abgetrennt, lediglich zum Inhalt einzelner Anlässe. Es entsteht selbst nur mehr im Mangel wirklicher Bezogenheit, wie das Kind einer Geschlechtlichkeit, die nicht wehr wirklich zur Welt, zur Geschichte und Blüte kommen kann. Es erfährt sich schon in seiner Bildung objektiv, - und es erfährt zugleich in der Absicht der anderen Bedürfnisse seine Schranke.

Waren sich doch einst die Menschen darin einig gewesenen, dass sie in ihrem Geschlechtsleben ihre bloße Natur befriedigen und in der Naturbefriedigung ihr Leben aufeinander beziehen, so ist dies nun umgekehrt: Das Geschlechtsleben wird zur Bedingung eines Lebens, das im Grunde völlig ungeschlechtlich ist. Die Organe mögen sich regen wie eh und jeh; aber es ist eine zwischenmenschliche Wirklichkeit, die ihre Freiheit beengt, indem das Geschlechtsleben selbst zur zwingenden Tatsache ihrer Beziehungen wird. Alles, was es erzeugt, macht die Menschen, die sich in der schieren Freiheit ihrer Selbstgefühle und Erregungen zusammengefunden und zusammengetan hatten, wird unter der Hand zu einer Lebensbestimmung, in welcher alles danach verläuft, was Leben sein soll. Nicht, wie es wirklich ist, und auch nicht, wie es erlebt wird, sondern nurmehr wie es sein soll, damit es lebend verbleibt, macht die Bestimmung von allem aus, was nun zwischen den Menschen aus ihrem Erleben entstanden ist.

Der hiervon bestimmte Mensch ist das Kind seiner Geschlechtlichkeit. Er kommt als Erzeugnis einer Geschichte zur Welt, die nicht wirklich stattgefunden hat und er verwirklicht auch kein Geschlecht in seinen Geschlechtsbeziehungen. Er sucht lediglich Geschlechtserlebnisse wie ein Kind seine Wahrnehmung in den Glitzerreizen seiner Erlebniswielt begeistert. Es gilt daher auch als Naturprodukt, das den anderen Naturprodukten vor allem vorraus hat, dass es eigene Subjektivität hat und als solche für entleerte Geschlechtlichkeit auch nötig ist. Hierdurch endlich bekommt sie wieder einen Sinn, und wenn es auch der rein selbständig entäußerte Sinn ist. Das Kind muss in vollem Umfang die Kultur als Mensch ertragen, denn es ist alles, was hieraus nur werden kann: Das Grundeigentum der Kultur. Darin hat sie ihre wesentliche Ressource, zieht sie ihren Anspruch auf das Monopol notwendiger Sinnlichkeit, also sinnlich bestimmter Notwendigkeiten, welche die Aufzucht dieses Kulturguts sicherstellen sollen. Kinder sollen werden, was die Gesellschaft nötig hat, um als deren menschliche Natur zu gelten. Als solche Kulturbegründung stehen sie nun über allen Lebensbestimmungen, die für sich keinen Sinn mehr haben.





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211.3. Die Lebenswelt des kultivierten Zwischenmenschen

Wirkliche Kultur wird nun durch die Kultur zwischenmenschlicher Persönlichkeit ersetzt und hat nur dies unmittelbare Andersein mit ihr gemein. Sie erweist sich nicht in menschlichen Figurationen des Persönlichen als Kultur, sondern an der Güte der Güter, welche menschliche Produkte ausmachen und wordurch die Menschen ihre Lebensäußerungen gegenständlich finden und empfinden. Wo Kultur zu einer zwischenmenschlichen Persönlichkeit wird, zerrinnt dies alles in einer Vorstellungswelt, die nur dadurch Wirklichkeit hat, dass sie zwischen den Menschen als Grundlage ihres zwischenmenschlichen Bezugs vorkommt und wirkliche Kultur unnötig macht.

Das verlangt nach einer Kultur von eigener Wirklichkeit, im Grunde eine Art Parallelgesellschaft. Es ist aber eine Gesellschaft, die an sich dennoch voll bestimmt ist durch die ursprüngliche Kultur, in welcher sie entstanden ist. Sie hat nur eine neue eigene Substanz, die aus dem Lebenskreis bürgerliche Egozentrik herausgewachsen ist und die jetzt dessen Mängel auflöst: Zwischen den Menschen wird ihre Anwesenheit selbstverständlich, Bedingung eigener Geschichte. Und dies ist die einzige Geschichte, die es in einer Gesellschaft gibt, die auf Kapital gründet. Sie bildet Beziehungen, in denen Menschen sich an ihrer zwischenmenschlichen Kultur entwickeln und eigene Squären ihrer Liebeswelt entdecken und entfalten. In der aber auch eigene Notwendigkeiten entstehen, die sie scheitern und tief stürzen lassen können. Es ist ein Kampf um die Existenz einer eigenen Liebeskultur, in welcher ihr Leben sich geborgen und sicher fühlen kann, wolange sie besteht, und alles nieder schmettert, wo sie zerbricht.

Damit sie gelingt verlangt das, dass diese Kultur der Eigenwelt auch die Menschen erfü+llt und durch sie bestärkt und bestätigt und darurch auch entwickelt wird. Einen kultivierten Menschen kann es nicht für sich geben, ohne dass hierin der Mensch wesentlich verkommt, sein gesellschaftliches Wesen als sein persönliches Wesen hervorgekehrt und in seiner Besonderheit gebildet und ausgebildet wird. Was egozentrisch an ihm war, wird nun fürsorglich. Er muss seine gesellschaftliche Persönlichkeit leugnen, um als eine zwischenmenschliche Persönlichkeit sich zu verwirklichen. Alle gesellschattlichen Güter gelten nurmehr als Mittel dieser Selbstbildung, in welcher alles, was Menschenliebe gegründet hatte, zur Eigenliebe genutzt wird. Und in dieser wird egozentrische Beziehung grund- und nutzlos. Wo sie sich erhält, stört sie die zwischenemenchliche Kultur erkeblich und kann sie sogar zerstören. Das macht auch die Konflikte und Kämpfe aus, die im Übergang von gesellschaftlicher und privater Zwischenmenschlichkeit ausgetragen werden müssen. Es herrscht darin die Notwendigkeit, alle kulturelle Bezogenheit auf Eigenheiten zu reduzieren. Von daher muss auch die gesellschaftliche Beziehung dieser unterworfen und zu einer Kultur der Persönlichkeiten werden.

Die bürgerliche Kultur als politische Form einer Reduktion der Kultur auf einzelne Persönlichkeiten macht aus jedem Kulturgut eine Personifikation einer übermenschlich scheinenden Gesellschaft. Es ist die sogenannte Hochkultur, in welcher diese Reduktion allgemein und öffentlich betrieben und bewahrt wird. Von daher wird die Kultur zur zivilisatorischen Gewalt über die Menschen, die sich über ihrem Leben errichtet wie eine Lebensnotwendigkeit der Zivilisation überhaupt. Doch diese hat weder mit Menschen, noch mit Kultur zu schaffen, ist sie doch nur das theoretische Konstrukt, womit die Herrschaft des Menschen über seine Natur gefasst wird. Zivilisation ist die ideologisierte Naturmacht, die implizite Behauptung, dass der Mensch von Natur her wild wäre, wäre er nicht zivilisiert.

Die Hochkultur besteht aus einer gigantischen Vorstellungswelt des kultuivierten Menschen, der als Grundlage menschlicher Zivilisation darin einbegriffen sein soll. Das macht ihren politischen Zweck aus: Indem sie die kultivierte Persönlichkeit darstellt, behauptet sie die bürgerliche Kultur als menschliche Kultur schlechthin, die Persönlichkeit als Kulturmensch. Natürlich "bedenkt" solche Kultur auch alle Niederungen dieses Soseins, aber in der Form der Personifikation von Wahrnehmungen werden Lebenswelten zu bloßen Umständen von persönlicher Vermittlung des Menschseins. Das wirkliche Leben der Menschen wird auf diese Weise in ganz sublimer Weise bedrängt: Einerseits in seiner Mühe, seinem Leiden, seinen Schmerz anerkannt und doch abgewiesen als bloßes Beispiel einer ausschließlichen Kultur. Hierbei werden aauch die Menschen zu Beispielen ihrer Kultur, die Kultur selbst zum notwendigen Spiel einer Absurdität: Einer Kultur, welche als Zivilisation über die Menschen herrscht; einer Kultur, die an und für sich ohne die Menschen und nur durch ihr notwendiges Dasein selbst bestimmt ist.

Hiergegen müssen die Menschen ihren Lebensraum bewahren, sich schützen vor der öffentlichen Kulturmacht. Der Schutzraum aber enthält auch in der Entgegnung immer noch diese Macht, wenn auch negativ, also als bloßes Anderssein einer Kultur, welche zwar für die Menschen nichts sein kann, welche aber zugleich ihnen den Raum gewährt, als Mensch zu sein.





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211.3.1 Das kultivierte Leben als Lebensgewohnheit

Kultur ist eine mit Sinn geschaffene Lebensgestaltung. Das kultivierte Leben aber ist die Gewöhnung an Lebensgestalten, die unmittelbar für die Menschen keinen Sinn haben. Solche Lebensgestaltung werden zu Lebensräumen, worin das Gewohnte herrscht, zu Wohnungen herrschender Gegebenheiten.

Gewohnheit setzt voraus, dass eine Unabänderlichkeit als Umstand festgestellt war, als eine Notwendigkeit der Sache, das zu sein, wie sie für sich ist, ohne für den Menschen zu sein. Gewohnheit setzt eine Sachlichkeit voraus, die bewahrt und festgehalten sein muss, wie sie gegeben ist, um existieren zu können, und die so existiert, wie sie für gewöhnlich auch als Gegebenheit erscheint. Aber so genommen wäre die Gewohnheit nur die zirkelschlüssige Selbstbestätigung der Ideologie vom Sachzwang, Gewaltigkeit der Sachlichkeit.

Tatsächlich beruht sie auf einer Beziehung, die aus kontinuierlicher Anwesenheit von Menschen und Sachen besteht, also aus der Wesenlosigkeit einer Beziehung, die durch Anwesenheit unnötig ist, bzw. nichts anderes ist, als das Gewohnte. Umgekehrt hat die Nicht-Anwesenheit des Gewohnten eine gewisse Magie dadurch, dass das Abwesende sich alleine durch sein Nichtsein bemerkbar macht. Man kann es unter Umständen dann sogar hören, riechen, schmecken usw. weil es eigentlich da, aber nicht wirklich da ist (siehe Dasein). Die Gewohnheit macht in diesem Sinne eine nicht vorhandene Beziehung hörig. Von daher erzeugt die Gewohnheit eine sinnliche Abtrennung der Wahrnehmung von ihrer Beziehung auf andere und mcht im Bezug selbst dann auch Angst hiervor. Die meisten Angstzustände haben ihre sinnliche Basis in dieser Abstraktion, in der Abtrennung von Gewohntem als etwas, was ohne Beziehung wahrgehabt wird, gegen den Sinn der Wahrnehmung, welcher dies wahrnimmt. So wird z.B. in der Platzangst durchaus die Beengung der gewohnten Lebensräume empfunden, die ansonsten genussvoll wahrgehabt wurden, solange die Beziehungslosigkeit des Gewohnten nicht wahr werden musste (und die Erfolge der VerhaltenstherapeutInnen auf diesem Gebiet gründen eben auch darauf, dass ihr Verhalten hierbei selbst schon so ungewohnt gewöhnlich ist, dass sie tatsächlich helfen können).

Aber die Gewohnheit ist auch eine Lebensform, wo Geld selbst die Grundlage des Lebens ist (siehe Geldbesitz), wo also keine Wirklichkeit der Lebenserzeugung mehr zu bestehen scheint. Dann wird die Gewohnheit zu einem Element der bürgerlichen Kultur, ja, zu ihrem Elixier, worin sich ihre zirkulären Erkenntnisse als sich selbst begründende Wahrnehmungsformen, als das Verhältnis von Selbstwahrnehmungen bewegen. Die Menschen gelten sich darin als das, was sie füreinander als Umstand ihres Lebens sind, als das eben, was jeder vom anderen hat. In der Gewohnheit eigenen sich die Menschen ihre Umstände an, machen sie sich zu Eigen und zu Eigenschaften ihre Verhaltens. In der Wahrnehmung stellt sich dies dar als Gefühl des Schönen und Guten (siehe schön und gut), als die Ästhetik des Alltags (siehe auch Kitsch).

In der Gewohnheit bewegen sich die Sinne, wie sie wohnen. Was ihnen in alltäglicher Routine geläufig ist, das läuft in ihnen, findet seinen Weg ohne Aufmerksamkeit, Beachtung und Achtung. Und ist erst mal die Achtung verloren, so auch die Selbstachtung. Gewohnheit ist die Routine einer Ökonomie der Gegebenheit. Das Ungewöhnliche tut sich hierin nur als Zwischenfall oder Zufall hervor und erfordert eigens Kraft, die notwendig begründet sein müsste, um aufgewendet zu werden. Es ist im Allgemeinen einfacher, der Gewohnheit zu folgen, als sie in ihrer Begebenheit, ihrem Werden und Gewordensein, zu verstehen, in ihrer Geschichte zu erkennen (siehe Brauch).

Allerdings kann dies auch sinnvoll sein. Nicht jedes Fakt ist immer wieder von Neuem zu begreifen, wenn es keine Notwendigkeit mehr hat. Es kann sich als Selbstverständlichkeit des Alltags zutragen, weil es nicht mehr verstanden werden muss und keiner Aufmerksamkheit und keines sonderlichen Gedächtnisses bedarf. Von dieser Seite erscheint Gewohnheit geradezu als die Ökonomie der Selbstverständlichkeit. Aber diese hat eigentlicch nicchts mit Gewohnheit zu tun. Jede Arbeit, jede Handreichung, lässt sich zwar leichter vollziehen, wenn man an sie gewöhnt ist, aber sie setzt eben den Verstand voraus und ist dessen Tätigkeit. Der Algorithmus einer Maschine, das Prinzip der Automation, muss nicht beständig verstanden sein, damit sie funktiert. Er muss nur - wie jede Selbstverständlichkeit - begriffen sein, wenn sie nicht funktioniert. All dies muss als Wissen gegenwärtig sein, nicht nur als Verstand eines Ablaufs.

Geht allerdings Wissen zugrunde, so ist auch die Selbstverständlichkeit des Gewöhnlichen zerstört. Es zeigt sich darin, wie weit das Gewöhnliche schon sich selbst nicht verstanden hatte, eben keine wirkliche Selbstverständlichkeit war. Die Achtlosigkeit ist in eine Falle geraten. Alle Aufmerksamkeit wird sich nun für das scheinbar bisher Gewöhnliche entfachen, ungewöhnliche Mittel und Fähigkeiten sind plötzlich gefragt. Selbstverständliche Gewöhnungen sind eben doch auch relativ und durch ihre Vergänglichkeit, durch ihre Zeit bestimmt.

Gewöhnen kann man sich auch nur an das, was einem im Grunde fremd ist, was man nicht empfindet, weil es grundlose Lebensbedingungung ist, und dem man wie aus der Fremde beiwohnt, und mit dem man gerade deshalb wie selbstverständlich auskommt, weil man nichts wirklich damit zu tun hat, weil man es eben besitzt. Es ist dann eine gänzlich äußerliche Selbstwahrnehmung, die über die Fremde hinwegtäuscht, weil für sie das eigentlich Nötige das schlechthin zu Ertragenende, das gewöhnliche Leiden ist. So erschreckt nichts mehr, an das man gewohnt ist; wenn es sich an die gewohnte Erscheinungsweise hält. Es kann sein, was will, wenn es so erscheint, wie es gewohnt ist; die größten Verbrecher sind die gewöhnlichsten Menschen.

Gewohnheit ist sowohl die Leugnung und Verleugnung von Fremdheit, wie auch die Ignoranz gegen sie, abgetötete Neugier, die sich in ihrem Sinn getäuscht hat. Der Grund hierfür ist das Ertragen von Gegebenheiten, die keinen Sinn haben, keine Liebe und keine Gegenwart, keine Neugier machen und keine Arbeit, die für sie nötig ist, Lebensräume ohne Sinn für das Leben, aber doch Gefühle, die sich aus der Lebensform begründen: objektive Gefühle. Darin ist das Sinnlose als Bedingung der Wahrnehmung bewahrt, weil der darin verschwundene Sinn seine Gefangenschaft nicht erkennt, solchen Raum nicht durchbricht. Es ist nicht die Liebe, die sich in der Gewohnheit verliert, wodurch sie zu einem objektiven Gefühl wurde. Es ist der Lebensraum, der zu ihrem Mittel geworden war, worin sie sich entäußert hat. Mag es ausgänglich eine Frage der Lebensökonomie gewesen sein, sich den Raum seiner Liebe zu schaffen, der Raum wird zu einem verhängnisvollen Mittel jeder Zwischenmenschlichkeit, weil er ihre Vermittlung ausmisst, ihr Maß, ihre Ausdehnung und Grenze bestimmt. Er erfordert unendlich viele Ereignisse, um Leben zu bewegen - und er begrenzt das Zwischenmenschliche auf sein nötiges Minimum, auf die Erträglichkeit von Neuem im Gewohnten; er überfordert und ist Anmaßung (siehe hierzu auch Familie). Gewohnheit ist nicht nur ein Produkt der Überforderung von Menschen durch Gegebenheiten, sondern auch ihre ausdrückliche und gewollte Affirmation als objektives Gefühl, das hinter allem Erleben entsteht, indem es gewöhlich wird. Von daher ist die Gewohnheit nicht einfach konservativ, sondern auch oft die Grundlage für reaktionäre Urteile und Verhaltensweisen. Das Neue ängstigt mehr, als das Gewöhnliche, weil dieses doch immerhin im Augenschein bewährt ist und jenes Aufmerksamkeit erfordert - und das reicht hin, wo der Schein auch schon alles ist, was sich bewähren kann, wo also schon alles als Unerkennbar anerkannt ist. Gewohnheit ist die tote Erkenntnis.

Gewohnheit ist die zur Angewöhnung gewordene Eigenschaft fremder Sinne, das Fremde als Umstand, als Wohnung einer Sinnlichkeit, die keinen wirklichen Sinn hat. Die "Macht der Gewohnheit" besteht in der Möglichkeit, die sie bietet, Leben zu können ohne erkennen zu müssen, also in einer doppelten Verneinung der Erkenntnis zum Sein: etwas ohne Notwendigkeit zu können ohne es zu sein. Die Gewohnheit erhebt sich über den Schmerz der Erkenntnis des Bürgers, und ist in dieser Negation seine allseitige Beziehung, also sein allgemeines menschlich sein und wirklich als Mensch sein zu müssen. Im Besitz seiner Lebensumstände hat der Bürger seine Gewohnheiten darin versachlicht; zwischen Mein und Dein liegt ein Lebensabgrund, der ihm unüberwindlich erscheint. Für seine Gewohnheiten ist sein Besitz so konstitutiv, dass er ihm wie seine Lebensgewohnheit überhaupt vorkommt, wie etwas, das für sein Leben höchste Notwendigkeit hat. In ihrem Besitz sind sich die Bürger gleich; es ist lediglich die Besonderung ihres Lebensraumes, den sie darauf gründen, dass sie auch die besonderen Gewohnheiten darin haben. Als dieser gewöhnliche Mensch unterscheidet er sich von anderen Menschen nicht durch sein Leben und seine Erkenntnis, sondern durch seine Meinung. Was er von sich hält und wofür er ist, das bedeutet ihm seine Meinung. Das Dafür under Dagegen sein unterstellt eben die Bestimmung von Gegebenheiten, an die er gewohnt ist oder nicht und an die er sich gewöhnen will oder nicht. In der Meinung wird die Lebenswelt eben vor allem als Gegebenheit bestätigt, mal so oder mal anders: Es sind lediglich Positionen des Gegebenen. Von daher ist für die bürgerliche Politik die Wählermeinung auch konstitutiv (siehe bürgerliche Demokratie).

Auch hinter der Behauptung, dass etwas menschlich sei, verbirgt sich meist die Menschlichkeit als Gewohnheit, und kann daher geradezu hervorragend für die Legimitation von Unmenschlichkeit genommen werden (siehe z.B. den Psychiater Dörner, der mit der Feststellung, dass Irren menschlich sei und auch der Arzt, der den Irren behandelt dieser Menschlichkeit unterliegt, eben auch Elektroschock geben können muss, "wenn eben nichts anderes hilft"). Somit hat in der Gewohnheit nichts Lebendes mehr Fortbestand: Weder der Zweifel über die eigene Tätigkeit, noch die Erkenntnis der Not. Alles bleibt beim Alten, weil das Alte zur Gewohnheit geworden ist. Gewohnheit ist tote Wahrnehmung, die von den Sinnen lebt, die ihr unterworfen sind. Sie ist ihre Gestalt ohne Leben, gewohnter Lebensraum mit gewohntem Lebensgefühl, Gefühl für sich ohne Sinn durch sich. Alle Bewegung, sofern sie substantiell ist, hat darin keine Sinn. Jede Auseinandersetzunmg, jeder Streit verhallt in der Notdurft des Immergleichen und erfüllt dessen Hässlichket: Die Herabsetzung jedweden Sinnes unter die Bewahrung der Lähmung seiner eigenen Form. Die Selbstlähmung wird als Schmach der eigenen Gewissheit erfahren, welche ausgeplündertes Leben als selbstverständlicher Umstand, welche also zur eigenen Gegebenheit als Ergebenheit geworden ist. Hiergegen errichtet sich die Schönheit des Andersseins als gesellschaftliche Notwendigkeit der Selbstverleugnung, die politische Ästhetik , welche sich notwendig als ästhetischer Wille entfaltet (siehe Kritik der politischen Ästhetik).

In Lebensräumen, worin Gewohnheiten den Zusammenhang der Menschen ausmachen, hatten sich Eigensinnigkeiten entwickelt, die in keiner wirklichen Beziehung mehr zu einander stehen. Solcher Raum ist ein Heim, das den wirklichen Zusammenhang der Menschen darin verheimlicht. Jeder Mensch ist unter dieser Bedingung ein verheimlichter Mensch, dessen Gegenwärtigkeit keinen wirklichen Sinn mehr hat außer dem, was er für andere sein muss. Hierbei entsteht die Nichtigkeit als Sinn für sich, als Erleben dessen, was nicht ist. Das unkenntliche Leiden erzeugt Wirklichkeit. Die Form, in welcher es für sich erschien, war der verrückte, der gewähnte und der entrückte Sinn.

Gegen alles Mißtrauen, das in solcher Lebenswelt entsteht, hilt das Vertraute, das duch dauerhafte Anwesenheit gewöhnlich gewordene. Daher wird durch dieses der Zustand der Selbstwahrnehmung überwunden, welche soviele Gefahren erbracht hat. Wahrnehmung ist durch ihre Gewohnheiten selbst objektiv und wird auch hierdurch zu einer objektiven Form gebracht.

Gewohnheit ist an sich eine senhr naturwüchsige Angelegenheit, ist doch z.B. jeder Lernprozess damit verbunden, dass Fähigkeiten durch Einübungen erworben werden, indem sich Menschen an bestimmte Bewegungsabläufe oder geistige Inhalte gewöhnen. Durch Gewohnheit wird das Leben zudem leichter und oft effektiver, ist doch jeder Automatismus ein Algorithmus der Gewöhnung, der Neues auf der Basis übernommener Gewqohnheiten erst möglich macht. Wo sich Menschen mit ihrer Umwelt widerspruchsfrei befassen können, da werden sie sich auch immer an deren Gepfolgenheiten anpassen und auch fremde Geohnheiten als eigene übernehmen.

Die Gewohnheiten der Wahrnehmung aber sind ihre eigenen Geschöpfe, ihre Figurationen, die Bilder, worin sich Menschen gewöhnlich verständigen, Sprache, Ordnung, Stil usw.. Indem sich hierdurch Wahrnehmung wirklich zu sich selbst verhält, nicht als einfache Selbstwahrnehmung und nicht als zwischenmenschliche, Beziehung, worin sich Lebensräume gebildet und gestaltet hatten, sondern als Selbstwahrnehmung des eigenen Lebensraums, wird sie selbst zur Grundlage ihrer öffentlichen wie auch eigenen Wirklichkeit. Was darin gelernt und erworben wird, das ist lediglich die Reduktion der Wahrnehmung auf eine öffentliche Selbstwahrnehmung. Die Gewöhnung an die eigenen Lebensumstände, worin sich die Selbstwahrnehmung optimiert, befördert zugleich die Macht der gegebenheiten, werden zu dem, was Menschen stillschweigend wahrhaben, ohne es wahrzunehmen. Daher ist die Gewöhnung die Form, worin die Oberflächen der Kultur sich gegenseitig ergänzen, worin die Teile der Kultur nun wirklich wahrgehabt werden.

In der Gewöhnung entsteht der Inhalt, der bestimmt, was zu finden und zu fühlen ist. Und was wirklich hierbei wahrgenommen wird, das wird hierdurch nun auch wirklich interpretiert. Was wirkliche Empfindung und wirkliches Gefühl war, was also das Leiden der Wahrnehmung überhaupt ausmacht und was sich wie ihre eigene Lebensäußerung verstehen lässt, ist somit zugleich ihre eigene Lebensbedingung. Jede Wahrnehmung ist drin bedingt, dass sie nur Wahrheit nimmt, die sie wirklich wahr hat. Wahnrehmung wird dadurch Bedingungslos, dass sie ihre Bedingtheiot in sich trägt und als ihre Selbstverständlichkeit durchsetzt. Das Leiden, das darin zur Selbstverständlichkeit geworden war, wird zu einer selbstverständlichen Wahrnehmung, die allerdings für sich öde und nichtig wäre, würde sie nicht durch die Erzeugung von Erleben in seiner Negativität, dem Erleben fremder Menschen tätig werden. Sie wird hierdurch zu einem Selbsterleben der besonderen Art: Zum Erleben der Selbstverständlichkeit, worin es sich zur wirklichen Eigenheit der Wahrnehmung totalisiert. Sie wird hierdurch nurmehr im Unterschied zum Anderssein, zum Fremden schlechthin bestimmt. Und sie wird auf diese Weise zur Gewohnheit, welche diesem Selbsterleben zu einer mächtigen Grundlage wird. Erleben betimmt sich jetzt als die Außerordentllichkeit des Eigentlichen, das sich selbst genug ist. Von daher wird es zu einer Gewohnheit, die alle Wahrheit in der Wahrnehmung selbst hat und diese daher auch gegen alles Fremde bestimmt, das nurmehr unwahr sein kann. Die Gewohnheit bestimmt damit die Wahrnehmung selbst zur Existenzform, als die Stetigkeit, die sie zu ihrer Grundlage nötig hat.

Das stetige Dasein besteht sowohl aus Wiederholung, als auch aus Veränderung. Unter der Bestimmung des Habens trennt sich Wiederholung von der Geschichte ab und wird zur Gewohnheit. Schon Hegel hat dies so verstanden, seine Ableitung aber nur ideell aus der "Leiblichkeit der Seele" gewonnen und damit jeder Kritik entzogen (was ja überhaupt seine letztendliche Bemühung ist). Immerhin lässt sich bei ihm Besitz konstatieren, wenn auch als notwendige Bedingung einer notwendigen "Abhärtung" gegen die "unmittelbare Empfindung".

"Daß die Seele sich so zum abstrakten allgemeinen Sein macht und das Besondere der Gefühle (auch des Bewusstseins) zu einer nur seienden Bestimmung an ihr reduziert, ist die Gewohnheit." (Hegel, Enzyklopädie § 410)

Wenn man davon absieht, dass Hegel das "abstrakt allgemeine Sein" affirmativ verstanden haben will, so spricht er doch von einer Reduktion, worin das Besondere aufgehoben wird - allerdings müsste man gegen Hegel sagen: untergeht, veschwindet. Weil auch bei ihm Gewohnheit ein Moment der Sittlichkeit ist, diese aber als Notwendigkeit des objektiven Geistes aller Kritik enthoben ist, so enthält sie für ihn auch die "vernünftige Befreiuung" des Geistes von der "Unmittelbarkeit der Begierden und Triebe" (ebd.), die ihn zur Geschicklichkeit im Umgang mit der Sache bringt.

Gewohnheit wird somit zur Grundlage des Geschicks, worin der "objektive Geist" seine Gestalt bekommen soll, und so ist die Gewohnheit die Bestimmung, wodurch das Rechte zu seiner Sittlichkeit gelangt.

Das ist ein doppelter Trugschluss bei Hegel: Gewohnheit resultiert aus dem öffentlichen Recht (und nicht umgekehrt), und Sittlichkeit beruht auf der Notwendigkeit des geschicks (und nicht umgekehrt Geschick als Negation der Sittlichkeit). Zwar enthält jedes Lernen Gewöhnung, aber das Geschick selbst entsteht nur im Konflikt, in der Lösung von Widernissen, also in der Veränderung. So muss die konservative Intelligenz des Altvaters der modernen Dialektik auch hier auf die Füße gestellt werden: Gewohnheit kommt allleine aus der Formbestimmung der bürgerlichen Kultur, aus den seinsnotwendigen Routinen ihrer Lebensräume, die nur dadurch befreiend wirken, dass man sich in der Gewöhnung ihnen unterwirft.

Wo Wohnen gewöhnlich wird, da bekommen die Umstände eine eigene Kultur; darin herrschen dann die Gewohnheiten des Umgangs, die Art und Weise der Beziehung aufeinander. Die Selbstwahrnehmung wird zur Wahrnehmung dessen, was sie durch die Gewöhnung zum Ausdruck bringt. Sie ist von sich selbst beeindruckt als eine über die Zeit der Gewöhnung verlaufende Allgemeinheit, die ihren Lebensraum ausfüllt, ihm die Unendlichkeit seiner Umstände als Dichte ihrer Anwesenheit vermittelt. Als solche sind sie in der Tat, in der alltäglichen Tätigkeit zu einer Tätigkeit des Wahrnehmens, Denkens und Fühlens verdichtet, so dass alles dem äußerlich bleibt, was ihm eingedenk ist, mit ihm zusammenhängt und also als verbleibendes Gedächtnis für die Wirklichkeit zunichte wird.

Wirtschaftlich genommen können Gewohnheiten natürlich praktisch sein, Handlungsabläufe zu Routinen von höherem Nutzen und geringerem Ausfwand machen (siehe Automation). Aber In dem Maße, wie sie die Wahrnehmung ausfüllen, erzeugen und bewahren sie nur die immer dichter werdende Anwesenheit immer sinnloser werdenden Umstände und betreiben von da her ihre alltägliche Sinnentleerung und Sinnlosigkeit im Selbstgefühl der Menschen. Darin werden sie ebenso leer, wie sie ihre Umstände durch bloße Anwesenheiten füllen, diese idealisieren und schließlich verherrlichen. Und weil sie - hiervon leer geworden - ihre Nichtigkeit in solcher Welt auch fühlen (siehe Lebensburg), entsteht darin eine tiefe Lebensangst , die sie an ihre Umstände um so mehr bindet. In den Gewohnheiten des Alltags geht diese zwar im Eifer der Selbstwahrnehmung unter, die erfüllt ist von ihrem Kontinuum, dem Einerlei der Welt, aber in ihrer Wendung nach außen und gegen andere wird sie um so machtgieriger und - wo es gelingt - auch mächtiger. Durch Abgrenzung nach außen wird das Nichts im Innern erträglich und bald werden sich alle Steigerungsformen von Fremdenfeindlichkeit in unbegreifbatren Dimensionen auftürmen, die nichts anderes betreiben, als die innere Leere zu überwinden.

Nur in einzelnen Momenten der Selbstwahrnehmung lässt sich ihre Sinnentleerung verspüren. Ihre Nichtigkeit hat vor allem alle Eigenheiten beängstigt und darin aufgehoben, dass Eigenes nur Form haben kann: Sicherheit, Anstand, Ordnung, Sitte. Die Moral wird allmächtig und "die Macht der Gewohnheit" wird real, weil sie darin ihre einzige Lebensform hat.

Wo sich ein Kontinuum von Anwesenheiten zu einem Umstand aufmassiert, wo eine Masse von unbestimmter Bedingtheit im eigenen Lebensraum anwesend ist, da ist Eigenes ohne Gegenwart, ungegenwärtig, nichts - aber das Nichts ist auch von der Angst der Vernichtung befreit. Die Gewohnheit ist der Fortschritt einer Gleichgültigkeit gegen jede Bestimmtheit. In der Gewohnheit ist jede Vernichtungsangst aufgelöst, weil ihre Vernichtungslogik sich nur innerhalb ihrer Gegebenheiten unbestimmt vollzieht. Es der Lebensraum durch schlichte Anwesenheit besetzt und so wird unterschiedsloser Besitz durch die Dichte der Ereignisse darin der Wahrnehmung zu eigen gemacht, als Notwendigkeit, ihn so zu genießen, zu ertragen und zu bewahren, wie er ist. Die Gewohnheit ist das Resultat einer Seinsbestimmung des Raums im Verlauf unendlicher Zeit, nicht des Raums an sich, sondern des Lebensraumes, wie er umständehalber bestimmt ist und wie dies durch das Wohnen selbst grundlos geworden ist, die Gewohnheit zur Erscheinung von Grundlosigkeit wird. Alle Ereignisse erscheinen nurmehr für sich relativ zur Gewohnheit an sie, also wie gewöhnlich oder ungewöhnlich sie sind.

Die Gewohnheit ist der allgemeinste Grund des Fortbestands von unbegründeter Realität, die Aufhebung jedweden Anlasses zur Veränderung. Ereignisse können erst mal für kurze Zeit erschrecken, aufwühlen, nach Änderung verlangen usw. Hat man sich aber an sie gewöhnt, weil sie als Umstand unaufhebbar erscheinen, so werden sie nicht nur ertragen, man vermisst sie sogar, wenn sie nicht mehr sein sollten, man vermisst das Potential der Gleichgültigkeit und verweigert sich notwendiger Aufmerksamkeit.

Die äußerste Form der Gewohnheit ist die reine Ordnung, das Immergleiche, das sich als Wesensbehauptung (siehe Archetypus) oder auch als Algorithmus formulieren lässt. So lassen sich alle Routinen in der Arbeit wie im sonstigen Leben (bis hin zum Inhalt der Kühlschränke) als Gewohnheiten erfassen und von Automaten übernehmen.




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211.3.2 Das zwischenmenschliche Erleben des gewöhnlichen Lebens

Das Selbstgefühl lebt nun wirklich auf als ein Erleben in zwischenmenschlicher Bezogenheit, in den zwischenmenschlichen Erlebnissen. Was noch unmittelbarer Event des Selbsterlebens war, wird nun zum Selbstgefühl für sich, zum Selbstgefühl des gewohnten, gewohnter Liebe, gewohnter Abneigung, gewohnter Strenge usw. Darin ist auch das Selbstgefühl nicht mehr unmittelbar, sondern muss sich beständig aus der Vermittlung ermitteln, in der es steht. Es erfährt seine Wahrheit nicht mehr aus der Wahrnehmung, sondern aus deren wirklichem Verhältnis selbst, aus den Geschichten, welche die zwischenmenschlichen Beziehungen bilden.

Das macht eine Geschichte, die aus konkreten Erlebnissen heraus sich zu ergeben scheint, die aber zugleich nichts anderes entwickelt als den abstrakten Sinn, der sich darin vergegenwärtigt aus der Not heraus, in welcher jede Erkenntnis darin ist. Solche Not wendet sich in der Nichterkenntnis, im Ausschluss von dem, was dem Selbstgefühl gefährlich würde. Es eint sich im Erleben zwischenmenschlicher Kulturereignisse das Leben der einzelnen in der Gemeinschaft von Lebensereignisse, die als solche die Menschen ergreifen. Sie macht die Ergriffenheit ihrer Regungen und Erregungen zu Lebensereignissen, in welchen zwar ihr Leben keine Geschichte bekommt, aber jedes Erlebnis zum Moment abstrakter Sinneszusammenhänge wird. Es entsteht zwischenmenschliche Kultur der Lebensereignisse, der sich jede wirkliche Geschichte unterordnet, die also jede individuelle Geschichte in sich und ihren Ereignissen aufhebt.




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211.3.3 Die Gegebenheit, Ergebenheit und Geborgenheit des zwischenmenschlichen Lebens und seiner Lebensangst

Das Selbstgefühl der Menschen in zwischenmenschlichen Beziehungen verwirklicht sich daher auch nicht als solches. Im Gegenteil: Nur durch selne Unterwerfung an die Erlebnisse in der zwischenmenschlichen Lebenswelt kann es sich füllen und erfüllen. Es wird selbst zu einer Art Ereignis, das sich aus zwischenmenschlicher Nähe und Dichte speist. Es verlangt vielerlei Beiträge hierfür, die den Einfällen der Menschen zur Herstellung von Kulturereignissen entspringen, die aber selbst nicht Zufälle sind, sondern einer Absicht folgen, diese Verhältnisse durch Ausdehnung des Lebensraumes von Menschen zu erweitern. Das Leben wird zur Bühne dieser Ereignisse und das Posium lebt nur solange, wie das Parkett gefüllt ist.

Es ist die erste Form, worin das Bedürfnis nach Gewöhnung und Vermengung entsteht, die Form, worin das Gefühl für eine Menschenmasse keimt, die letztlich die Gewähr für das Potanzial vieler Selbstgefühle ist. Doch innerhalb wirklicher zwischenmenschlicher Verhältnisse kann sie sich noch nicht ausbilden.

Das Erleben einer Kultur voller Lebensereignisse erweitert zwar den Lebensraum, nicht aber das Leben. Im Gegenteil es beengt dieses, erzeugt sich darin doch auch nur Leben wie es sein soll und nicht, wie es ist. Alles ist hier nur eine Begebenheit, was im Leben wirklich ist, also Wirkung hat, aber für sich nicht leben kann, keine Geschichte bildet, keine eigene Bewegung zulässt, lediglich zu einer Welt voller Erregungen gerät. Und als diese ist es zugleich Gegebenheit, die zur Bedingung menschlicher Verhältnisse geworden ist.

Dem Leben wird seine Wirklichkeit durch Lebensereignisse genommen, die als Gegebenheit für Lebensverhältnisse Bedingung ist. Wer an solcher Lebensdarstellung mitwirken kann, kommt auf die Bühne, wer gerne dabei ist, aufs Parkett. Jene, die in einem solchen Lebensraum noch wirklich leben, stürzen in den Keller, wenn sie sich nicht als Bühnenarbeiter nützlich machen können.

Die Lebensenge, in die sie gestürzt sind, ihre Lebensangst, trennt sie von denen, die mit den Gegebenheiten des Lebens zurecht kommen, weil sie die nicht so ernst nehmen, die Lebensbühne als Grundlage ihres Lebensgefühls akzeptieren und nutzen. Doch die Lebensangst ist die ausschließliche Wirklichkeit einer öffentlich erregenden Kultur, ihr Abriss und ihre Abgerissenheit. Oft verbleibt sie lediglich als deren Nachlass, als Geschichte, die keine Geschichte hat, als Isolation ohne Grund, oder als freudlose Geburt eines Kindes von abgerissenen Freuden. Von daher öffnet und löst sich diese Angst erst in der Bildung eines Raumes für sich, der die Zwischenmenschen vor der eigenen Kultur schützt, der sich der Gleichgültigkeit der zwischenmenschlichen Kultur dem Leben der Menschen entgegensetzt und eigenen Schutzraum begründet, der eigene Geschichte verspricht: Eine Lebensburg.

Das mag für die Selbstwahrnehmung Schutz bieten. Für die Wahrnehmung überhaupt und den Erkenntnisprozess, der sich aus ihr ergeben kann, führt dies zu einer inneren Verarmung. Es fehlen nicht nur die Erfahrungen mit fremden Welten und Kulturen, sondern auch die Auseinander-Setzung mit ihnen. Und so entsteht auch ein Verlust über die Gewissheit des eigenen Lebensraums, der eigenen Lebensbasis und Herkunft. Es ergibt sich ein Selbstverlust, der aus der räumlichen Entfremdung entspringt, dessen verzerrte Gefühle für Heimliches und Unheimliches um so tückischer aus dem Boden und den Wänden dieser Schutzmacht quellen und das Selbstgefühl so nach und nach beherrschen, sich in immer tiefere Kreise verinnerlicht und mit dem entsprechenden Hüllen ummantelt und seine Privatheit totalisiert.




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