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223. Die Pubertät des ausgeschlossenen Selbstgefühls

Mit "Pubertät" wird in der einschlägigen Fachliteratur (immer noch) die Entwicklungszeit der sogenannten Geschlechtsreife benannt, was schon in dieser Begrifflichkeit Unsinn ist, da das Geschlecht immer schon reift wie alle anderen Sinne und Körperteile und -aktivitäten auch und es von daher auch nicht einen Zustand eines "geschlechtlichen Erwachsens" gibt. Diese sei die Folge einer Hormonausschüttung. Doch gerade das widerspricht naturwissenschaftlicher Erkenntnis, denn Hormone können hiernach als Botenstoffe nur Prozesse sichtbar machen, nicht aber aus dem Nichts heraus auslösen. Pubertät ist kein "Naturprodukt".

Solche Naturverklärung war besonders die Sichtweise der Aufklärung, nach welcher junge Menschen in eine "wilde Entwicklkungsphase", in eine Art persönliche "Sturm- und Drangzeit" geraten würden, wenn sie ihrer Geschlechtsreize entdecken und ausprobieren. Es wird so der Anschein erweckt, dass die Pubertät ein rein naturhafter Prozess der Organentwicklung sei, der zwar auch gesellschaftliche Inhalte habe, die aber eben nur aus dem Naturprozess heraus erfolgen würden, also nicht nur durch diese verursacht, sondern vor allem eine Folge rein natürlicher Veränderungen sei.

Dabei wird aber auch meist nebenbei bemerkt, dass das Bewusstsein eigener zwischenmenschlicher Beziehungen - wenn auch auf der Grundlage eigener Körperlichkeit und Welterfahrung - entsteht. Und dies erfasst schon eher etwas von der Dramatik einer Entwicklung, in welcher die Lebensgeborgenheit (siehe Lebensbergung) von ganz bestimmten gesellschaftlichen Erfahrungen im Leben von Jugendlichen in der bürgerlichen Kultur bedrängt wird. Mehr als die tatsächlichen Körperveränderungen geht es um die Veränderung der Selbstwahrnehmung in einer Zeit, wo gesellschaftliche Erfahrungen in den Widerstreit zur Erfahrung einer oft "heilen Welt" kindlicher Geborgenheit in einer Familie gerät.

Die bürgerliche Familie ist nicht nur eine Institution des öffentlichen Rechts (siehe auch bürgerlicher Staat), sondern vor allem auch die Lebensburg einer narzisstischen Sinnbildung der Selbstveredelung. Diese ist gespalten in das Bildungsvermögen einer erzieherishcn Beziehung der Kinder mit ihren Eltern (siehe auch Bildungsbürgertum). Denn darin aufgeteilt (siehe Teilung der Wahrnehmung) in die Sinnstiftung der Kinder für das Leben ihrer Eltern und der Fürsorge der Eltern für die Existenz ihrer Kinder (siehe auch Lebenspflicht). Für sie erscheint dies als Selbstverständlichkeit ihrer subjektiven Erfahrungen, ihrer Gefühle und Stimmungen. Für die Eltern ist es das Glück ihrer Selbsterneuerung, das ihnen ihre Kinder objektiv bieten können. Von daher ist die Familie eine Lebenswelt, die Kultur einer objektiven Subjektivität an deren subjektiver Bruchstelle (siehe subjektive Objektivität) ihre bürgerliche Existenz gelingen soll (siehe auch Existenzwert.

Eine jede Familie, die sich als Institution eines besonderen zwischenmenschlichen Verhältnisse begründet, ist der Lebensraum lebenspflichtiger Beziehungen der beteiligten Persönlichkeiten. Sowohl das Leben wie auch das, was ihm verpflichtet ist, erscheint hier ausschließlich persönlich, weil darin die Personen als Eltern und Kinder sich zu einer wechselseitigen Bedingung ihres Lebens, zu einer persönlichen Lebensbedingung geworden sind. Sie können daher nicht durch sich das sein, worüber sie sich aufeinander beziehen. Ihre Beziehung zieht sie zu einer Gemeinschaft, die einen hierfür notwendigen Gemeinsinn durch jene entwickelt, die ihn als Mittel für ihre familiären Machtverhältnissen nötig haben, um das zu sein, für was sie unter deren Bedingtheiten füreinander pflichtschuldig sind. Ein allgemeines Schuldgefühl gegen die Macht einer hierfür aufbereitetn Lebensverantwortung prägt ihre Beziehung und macht sie hierdurch mehr oder weniger hörig.

Man muss zwischenmenschliche Beziehungen, die daraus bestehen dass Menschen andere Menschen nach sich ziehen oder vor sich herschieben, erzieherisch nennen, weil sie einem Zweck dienen, der außerhalb ihrer Beziehung liegt und in ihnen als bloße Lebenspflicht wirksam ist, und weil darin der Inhalt, der über eine Person einer anderen anerzogen und angezogen wird, sich nur persönlich darstellt, wiewohl er seinen Sinn nicht innerhalb dieser Beziehung haben kann. Diese hat sich von ihrem Grund entfernt und spielt daher keine wirkliche Rolle mehr, bleibt also als Grund ungerührt und objektiv jenseits aller Erfahrung, besteht nur abstrakt aus gesellschaftlicher Notwendigkeit heraus, als Gegebenheit ihrer Nöte, als unbefangene Bedingung der zwischenmenschlichen Verhältnisse in solchen Bezogenheiten, wie sie in öffentlichen Institutionen genauso vorkommen, wie in privaten Beziehungen, Familien, Arbeitsstätten und dergleichen mehr. Verfänglich sind sie daher gerade durch ihre persönliche Gebotenheiten mit abwesenden Inhalten, persönlicher Anwesenheit fremder Gebote.

Was die soziale Substanz hierbei ausmacht ist alleine die Dichte der Beziehung, wie sie durch den sozialen Raum und seiner Funktion bestimmt wird und sich von ihrem sinnlichen Zusammenhang, zur eigenen Generation, zur Lebenserfahrung und Subjektivität in eignem Leben dadurch entfernt hat, dass sie das Denken der Abhängigen zwischen Empfindung und Gefühl auf die Formen beschränkt, in der sie unter dieser Bedingung bestimmt sind (siehe Formbestimmung). Was im Lebensraum solcher Beziehungen zur Bedrängung wird, ds wird auch im Gefühl bedrängt und im Selbstgefühl ausgeschlossen. Als Glück erscheint, was hier alle bestätigt und bestärkt, die darin verbunden sind. Und dies wird schließlich auch zu einem Willen des bereinigten Selbstgefühls, zu seinem ästhetischen Willen, der schließlich ein hiervon bestimmtes Selbstbewusstsein entwickelt, ein Bewusstsein, welches seiner Selbst nur darin bewusst sein kann, was es in diesem Verhältnis fühlt. Und darin verfestigt sich als Gewohnheit der Wahrnehmung, was es ihm schluldig bleiben muss, weil es eben nur aus der Lebensform seiner Empfindungen darin fühlen kann. Es ist das sie tragende Schuldgefühl.

Alle erzieherischen Beziehungen, ob sie zwischen Generationen oder Paaren oder in oder zwischen Familien oder Institutionen stattfanden, heben sich darin auf, dass die Selbstgefühle darin mit ihrer Gewohnheit, mit der Einverleibung aller Empfindungen in die Selbstgefühle nicht mehr kontrolliert sind, weil sie selbst gewöhnlich wurden. Mit den Gewohnheiten der Selbstkontrolle war eine Aufmerksamkeit entstanden, die sich zu den eigenen Gefühlen unmittelbar selbst wie ein Gewissen ohne wirkliche Gewisssheit verhält und hierbei eine Macht repräsentiert, die weder weltlich, noch persönlich erkennbar ist, durch ihre Gewöhnung keinen Gedanken mehr nötig hat und als "verloren gegangenes Gedächtnis" sowohl ihre Selbstkontrollle wie auch ihre Pflichtschuldigkeit aus dem zwischenmenschlichen Verhältnis der erzieherischen Beziehung in sich selbst als Gewohnheit von eigener Sinnhaftigkeit bewahrt und bewährt. Ihr Lebensraum und die darin bestimmte Dichte der zwischenmenschlichen Beziehungen haben den sinnlichen Gehalt ihrer Gefühle nun also selbst zur Gewohnheit gemacht und von daher ihre Empfindungen so bestimmt, wie sie sich darin fühlen müssen, um überhaupt noch gefunden zu werden. Aus ihrem Selbstgefühl ist eine schlichte Gewohnheit geworden, die den Lebensraum und die Beziehungen darin im Grunde verneint, während sie sich ihm zugleich entäußern, sich über ihn durch das errichten, wohin sie in diesen Verhältnissen gezogen wurden, sich diese durch Einverleibung selbst anerzogen haben. Ihre Subjektivität ist hierdurch nun selbst objektiv bestimmt und fühlt sich darin sowohl fremd wie auch durch eigne Eigenschaften erfüllt, die ihr Innenleben nicht mehr als das äußern können, wodurch es entstanden war, weil es durch ihre eigene Gegenwärtigkeit schon verneint ist - schließlich untersscheidet sie sich nicht wirklich mehr von den Beziehungen in diesem Raum.

Ihre Subjektivität fungiert jetzt als ein Selbstgefühl, das aus den hierauf gegründenten zwischenmenschlichen Beziehungen zu einem objektives Selbstgefühl im wahrnehmenden Subjekt geworden ist und selbst dessen Empfindungen in dieser Lebenswelt bestimmt weiß. So hat dieser Lebensraum vermittelst der darin ausschließlich ins Verhältnis gesetzten Persönlichkeiten ein Objekt geschaffen, das sich selbst ausschließlich subjektiv verhält, um objektiv anerkannt zu sein. Diese subjektive Objektivität verselbständigt sich in einem Menschen im Maß seiner Distanz zu anderen Lebensräumen, also mit dem Grad seiner Isolationn und der darin bestimmten persönlichen Dichte seiner Lebenswelt.

Die Gebotenheiten eines isolierten Lebens, die in der erzieherischen Beziehung als Notwendigkeiten des Lebens überhaupt vermittelt wurden, bestimmen sich daher jetzt im Objekt dieser Beziehung fort als subjektive Notwendigkeit, als eine nun subjektiv wirksame Lebenspflicht, ein Sein-Sollen von privater Identität, wie sie sich nur persönlich vermitteln kann. Eine Persönlichkeit erscheint von daher nun als Integrität dieser Pflichterfüllung. So wurden diese Gebotenheiten in der Form einer abstrakten Integrierung, der Integration einer Entfremdung, zu einer Bedingung des Selbstgefühls, das den Lebensraum dieser nun notwendig scheinenden Beziehung, die sich als körperliche und geistige Identität fortträgt - nicht einfach als vermittelter Inhalt, sondern als ein durch diesen Raum und seine Lebenssubstanzen zu eigen gewordenes Gefühl. An diesem machen sich die Identitfikationen der Wahrnehmung fest, indem ein derartiges Selbstgefühl zu einem Objekt aller Selbstgefühle verdichtet wird, welches mit der Dichte dieses Raums schließlich die Identät der Wahrnehmung bestimmt und von daher zu einem Subjekt der Wahrnehmung geworden ist. Es handelt sich hierbei nicht um ein wirkliches Selbstgefühl, wie es in der Selbstwahrnehmung ensteht, sondern um ein Gefühl, an welchem sich die Selbstgefühle so objektivieren, wie sie in diesem Raum Halt suchen und finden, solange es darin also körperliche oder auch gegenständliche Wahrnehmungsformen hierfür gibt, die ihre Aufmerksamkeit in dem Maß begründen, wie sie das Gedächtnis ihrer Gefühle, die Psyche, scheinbar überflüssig machen. Erst hierin, wo das Selbstgefühl sich durch seinen Lebensraum auch wirklich behaupten kann, wird die symbiotische Selbstbehauptung vollständig und in sich geschlossen.

Das in einer erzieherischen Beziehung ausgeschlossene Selbstgefühl hält trotz seiner Äußerlicheit die Empfindungen eines Menschen zusammen und bewahrt die Psyche vor ihrem Auseinanderfallen in ihren vielen auseinandertreibenden Gefühlen. Selbstverlust ist der Verlust ihrer Selbstbezehung, der Verlust von Selbstwahrnehmung durch die Veräußerung und Unterwerfung seiner Selbst in einer symbiotischer Selbstbehauptung, die außer sich geraten ist und ihren Halt verloren hat. Darin wird das Vermögen der Selbsterkenntnis an den Anderen seiner selbst mit der Symbiose einer Selbstbehauptung abgetreten und die Selbstwahrnehmung in einer Selbstentfremdung verschlossen, in der sich die Selbstgefühle durch die ihnen fremd gebliebenen Empfindungen aufheben.

Aus der äußerlichen Identität, welche überhaupt nur in der Lebensbergung einer Lebensburg möglich ist, hat sichsomit eine Heimat der Gefühle gebildet, in der sie durch die Umstände ihrer Gewohnheit zu sich kommen - nicht als Gefühl, sondern als Geborgenheit der Gefühle, was immer auch ihr Inhat sein mag. Das Wiedererkennen einer Kenntnis ersetzt die Notwendigkeit der Erkenntnis in solchen Welten; die Geborgenheit des Gemeinsinns wird zum Maßstab der Verhältnisse darin - auch wenn sie ihre Unsicherheit entbergen und über nichts anders streiten, als über das, was ihnen fehlt: Selbstgewissheit. Und deren Mangel ist nun systematisch geworden, weil ihr das Wissen über sich abgegangen ist.

Die Hörigkeit, welche in der Erziehung noch maßgebliche Sucht nach Identität war, hebt sich daher nun auf in einer Wahrnehmungsgewissheit, die an ihren Lebesraum gebunden, hiervon vollständig abhängig ist. Allerdings wird sie von daher nun in umgekehrter Weise wirklich gegenständlich, Gefühl von wirklich wahrnehmbarer Gewohnheit, Gefühlsgewohnheit der Selbstwahrnehmung unter denLebensbedingungen eines anerzogenen Lebensraums. Solange sie auf diese Weise gegenständlich sein kann, solange also der entsprechende Lebensraum existiert oder entsprechende Gegenstände, werden diese zum äußeren Subjekt der Wahrnehmung, die sich nur noch hierüber ihrer selbst gewiss wird, ihr Gedächtnis also in dieser Gestalt objektiv hat. Damit allerdings heben sie ihr eigenes Gedächtnis nun vollständig auf. Was sie durch sich selbst wissen könnten, wird beherrscht von der Notwendigkeit, sich durch das gewohnte Selbstgefühl seiner selbst zu vergewissern.

Die Gebote und Notwendigkeiten der erzieherischen Verhältnisse heben sich somit zu einer äußerlichen Gewissheit auf, an der sich die damit erzeugte Ungewissheit fixiert. Die Beziehungen zu Menschen sind von daher nicht mehr nötig, um Identität zu haben; im Gegenteil: Sie werden dieser objektiven Identität des Selbstgefühls unterworfen, um Gewissheit zu verschaffen. Es ist eine erzwungene Selbstgewissheit, welche als eine unendlich gewordene Identitäsangst die Auseinandersetzungen der Menschen bestimmt. Sie werden füreinander zum Beispiel ihrer Not und verlangen von einander, dieser zu gehorchen, sie aüber ihr objektiv gewordenes Gefühl wie die seelische Moral ihrer Selbstgerechtigkeit anzuerkennen und als Gewissen für sich zu haben.

Das Resultat höriger Sinne war somit die Erzeugung einer Gewissheit aus einem Gewissen, das zur Gewohnheit geworden ist und das sich der Selbstkontrolle entwöhnt hat, also sich in der Bindung an eine objektiv gewordene Gewissheit quasi von seiner Erziehung "befreit". Die Gewohnheit der Selbstwahrnehmung in einem erzieherisch bestimmten Lebensraum, welche das Zugehörige gegen das Hörige errichtet hat, wird auf seine Weise subkjektiv, wenngleich dies nur objektiv möglich ist. Man kann daher auch sagen: Die Hörigkeit der Selbstwahrnehmung emanzipiert sich gegen die erzieherische Beziehung und entzieht damit objektiv ihre Selbstverlorenheit, welche ihre Selbstaufhebung mit sich gebracht hatte. Indem sie auf ihr Gewissen hört, das ihr eine "höhere Identität" verschafft, wendet sie sich gegen ihre Herkunft und wird durch das objektive Selbstgefühl zu einer objektiven Gegenmaccht. In diesem ist schließlich alles bewahrt, was aus der Geschichte der Menschen unter gegebenen Bedingungen, also den Bedingungen der Lebensburg, als eigene Wahrheit bewahrt ist.

Das Gewissen ist keine Instanz, welche den Menschen quasi kulturfähig hält, wie es etwa Sigmund Freud annahm, der es als Resultat eines inzestuösen Triebkonflikts wissen wollte. Es ist das Mittel einer Identitätsbildung und Sicherung, die sich aus der Hörigkeit in erzieherischen Verhältnissen heraussetzt. Es ist eine Form entäußerter Selbstgewissheit, in der sich ein Individuum aus der gesellschaftlichen Macht der Lebenspflicht, wie sie in der Lebensbergung besteht, entzieht. Es wird der Träger eigener Geborgenheit inmitten einer Welt, worin die Selbstaufhebung gefordert ist.

Es ist daher auch mitnichten kollektiv und auch nicht metaphysische Allgemeinheit im Individuum, archetypisch, wie es etwa von C.G.Jung dargestellt wurde. Es rekrutiert sich auch nicht aus sittlichen oder allgemein kulturellen Erfahrungen oder moralischen Werten; es wäre lediglich moralisches Bewusstsein. Es mag vielerlei Allgemeinheiten enthalten, aber eben nur in der Form, wie sich Erfahrungen als Gewohnheiten in jedem einzelnen Menschen unter den Bedingungen erzieherischer Verhältnisse verallgemeinert haben.

Unter den Bedingungen der Lebensbergung waren Gewissheiten entstanden, die sich aus unterworfenen Beziehungen ergeben hatten. Gewiss war vor allem, dass Selbstbeziehung nicht ohne Selbstkontrolle, nicht ohne Erziehung möglich ist, dass in solchen Verhältnissen Selbstwert nur entsteht und bewahrt bleibt, wenn die Beziehung auf andere sich durch diesen Lebensraum auch bestimmt und Selbstwert durch ihn bestimmt ist. Und dies geht nun in die Gefühle über, die hier Gewissheit erlangen, soweit sie dem Gewissen dieser Verhältnisse auch entsprechen und von daher selbst wie objektive Tatsachen fungieren.

Objektive Gefühle wären eigentlich alle Gefühle, die gegenständlichen Ausdruck haben (z.B. in Grafik, Kunst, Architektur usw.), wenn sie ihre subjektive Herkunft verloren, ihre Welt verlassen hätten. Das reicht aber nicht zur Erklärung, warum sie eigene Wirkung haben. Objektiv können Gefühle nicht durch bestimmte Wahrnehmung von bestimmten Lebensäußerungen werden, sondern durch unbestimmte: Durch eine Gewohnheit, in welcher das Subjekt der Beziehung gegenständlich aufgehoben ist, also durch den Ersatz eines Subjekts durch die Gewohnheit eines erzieherischen Verhältnisses. Objektive Gefühle selbst haben keinen anderen Sinn als den, den sie ersetzen, an dessen Stelle sich ihre Gewohnheiten setzen. Eigentlich sind sie also die Negation einer ganz bestimmten Gefühlswelt, welche durch diese Gewohnheiten ausgeschlossen ist. Aber als solche können sie nicht wirklich sein.

Objektiv sind solche Gefühle dadurch, dass sie von einem subjektiven Objekt bestimmt sind, das objektiv notwendig ist, um subjektiv zu sein. Und sie treten auf, wenn nur zu fühlen ist, was objektiv gegeben ist, was menschliche Notwendigkeit dadurch hat, dass es unwahrnehmbar ist. Solche Gefühle setzen also voraus, dass durch deren verinnerte Objektivität eine subjektive Not aufgehoben ist, dass also eine objektive Notwendung zugleich die Aufhebung einer subjektiven Not betreibt und darin Subjekt und Objekt wirklich ununterschieden und also ohne Bewusstsein auch ununterscheidbar sind. Objektiv sind Gefühle dann total, wenn menschliche Wirklichkeit nichts anderes zulässt, als eine Beziehung von Subjekten durch Gefühle, welche nur außer ihnen objekte Gestalt haben oder bekommen können.

Es gibt für solche Objektivität nicht unbedingt einen "Schuldigen". Oft können die Menschen gar nichts dafür, dass sie unter bestimmten Umständen ihrer Sinnbildung so aneinander geraten waren, dass ihre Beziehung objektiv zu einer Erziehung wurde. Es ist meist auch der Mangel der wirklichen Umstände selbst, der dazu führt, dass die Menschen durcheinander zu Sinnbildungen kommen, die jenseits von ihnen ausgeschlossen und daher ausschließlich sind. Besonders deutlich wird dies an den Beziehungen, welche in der Erziehung von Kindern auftreten: Je weniger eigene Welt Kindern wie Eltern bleibt, desto objektiver und zugleich inniger wird ihre Beziehung bestimmt sein. Solche innige Objektivität vereinigt alle subjektiven und Objektiven Inhalte der Gefühle.

Die Entwicklung eines einzelnen Menschen macht immer einen Werdegang von objektiven zu subjektiven Gefühlen aus. Eltern sind der Form nach zu allererst Subjekte, welche ein Kind hervorbringen, das objektiv von ihnen abhängig ist. Von daher erfährt es sie auch als objektives Subjekt seiner Beziehung auf die Welt überhaupt. In dieser Beziehungen erscheint objektives Fühlen noch naturnotwendig, wiewohl hierbei zweifellos ein Mensch fühlt, weil er schon vor seiner Geburt Sinn hat für das, was seine Eltern ihm zu vermitteln haben, und sei es auch nur ein Sinn für die Brust der Mutter oder ähnlich anderes. Aber sosehr dies auch als Naturempfindung erscheint, so schnell wird darin auch eine menschliche Beziehung wach. Schon im Mutterleib bezieht sich das Kind auf Menschen, auf seine Muttter und alles, was es vom menschliche Leben sonst auch mitbekommt (Geräusche, Licht, Berührungen, Musik, Sprache usw.). Es hat Eindrücke, die ohne andere Menschen nicht vorhanden wären. In einem künstlichen Uterus würde es schon vor seiner Geburt verkümmern.

Soweit Menschen in ihrer Entwicklung frei von subjektiven Mächten sind, entwickeln sich ihre Gefühle sowohl objektiv wie auch subjektiv, ermöglichen ihnen also die Bildung einer Identität als Subjekt, soweit wie dieses gesellschaftlich schon möglich ist, wie es also die Sinnbildung der bisherigen menschlichen Geschichte schon erreicht hat. In dem Maße, wie objektiv begründete Gefühle einer solchen Macht aber unterworfen werden, verselbständigen sich Gefühle, sondern sich ab und wirken unmittelbar objektiv als wirklich objektive Gefühle, als Gefühlsmacht. Dies, aber nur dies, macht die Wahrheit des psychoanalytischen Verdrängungsbegriffs aus

Allgemein ist dies nur möglich, wo Lebensräume selbst zum objektiven Träger der Selbstgefühle geworden sind, worin also menschliche Subjektivität nicht möglich ist, noch nicht geworden ist oder sich verliert, weil eine solche Lebensburg sich gegen das Selbsterleben errichtet hat. Indem Menschen sich in der Selbstenfremdung geborgen fühlen, Haben sie keine lebendige Identität für sich. Sie erleben die Gefühle selbst ausschließlich objektiv und als Macht, welche gegen ihre Selbstwahrnehmung gerichtet ist. Die Wirklichkeit ihrer Selbstgefühle haben sie noch nicht oder nur durch fremde Kräfte, durch Kräfte der Entfremdung, in denen sie selbst auch wirklich aufgehoben werd, um irgendeine Gefühle ihrer Gefühle zu erlangen.

Wo einem Menschen diese Gewissheit unmöglich, zerfallen oder zerflossen ist, wird ihm die Objektivität solcher Gefühle unmittelbar notwendig, wird ihm die objektive Vermittlung zu einer Selbstbestimmung, zur Bestimmung seiner als seine Notwendigkeit. Die subjektive Not kann aber nicht objektiv aufgehoben werden, da sie ihren Schmerz nur durch sich hat. Es kann sich nur das objektiv Notwendige als subjektive Notwendigkeit andienen, kann sich in dieser Bestimmung ihm angleichen, indem es zu seiner Gewohnheit wird. Wo Erkenntnis nicht mehr nottut, wird Leidenschaft zur Zierde, wo die Liebe keinen Sinn mehr hat, kann sie als angenehmer Umstand fortbestehen - bis er zur Hölle wird. In objektiven Gefühlen zirkuliert die bürgerliche Kultur. Aber die Erkenntnis duldet keine Umstände.

Für sich existieren solche Gefühle erst, wenn sie eigene Wirkung und damit Wirklichkeit bekommen: In den Lebensräumen, die sich darauf gründen (siehe Lebensburg). Dort werden sie zu Gefühlen, welche eine objektive Notwendigkeit subjektiv wahrmachen, also fremden Sinn als einen Übersinn wie eine eigene Wahrheit dadurch wahrmachen, dass sie die Wahrnehmung des Einzelnen für sich aufheben (s.a. Gemeinsinn, Familiensinn). Die Macht dieses Sinns setzt eine Beziehung in einem notwendigen Lebensraum voraus und setzt sich gewöhnlich durch ein Schuldgefühl um, in welchem die Unterworfenheit eigener Wahrheit anerkannt ist. Es ist die Grundlage für seelische Bedrängung (siehe Verrücktheit).

Gefühle mögen scheinbar oder vorgetäuscht sein. Es gibt dennoch keine richtigen oder falschen Gefühle, auch nicht in der Täuschung, ist darin doch gerade nur das vertauscht, was man fühlt und eben nur dadurch zur Täuschung fähig. Eine Täuschung hat ihren Grund letztlich im Subjekt. Gefühle mögen zwar zwiespältig sein und die Frage aufwerfen, was nun in der Beziehung zu den Empfindungen wahr und was Täuschung sei, aber sie können nicht selbst unwahr sein.

Und darum ist schwer einzusehen, warum Gefühle objektiv sein sollen. Vorgetäuschte Gefühle sind mit Empfindungen vertauscht und als solche durch ihre Vermittlung selbst erzeugte Gefühle. Sie sind ebenso wie alle anderen Gefühle - auch wie enttäuschte Gefühle - substanzielle Grundlage der Erkenntnis, auch wenn ihre Vermittlung erst noch begriffen werden muss.

Auch in der bloßen Objektform, wie sie z.B. in der Architektur oder Kunst vergegenständlicht sind, können Gefühle nicht von den Menschen unabhängig sein. Sie können zwar mächtig Eindruck machen, nicht aber den Menschen objektiv bestimmt gegenübertreten, wirklich objektiv für sich und also mächtig sein.

In ihrem Sinn können Gefühle eigentlich nicht objektiv sein und es schiene widersinnig, von objektiven Gefühlen zu reden, wäre dieser Schein nicht Wirklichkeit. Gefühle werden objektiv, wenn sie als eigenständige Notwendigkeit erscheinen, von einem Objekt bestimmt sind, das eine Lebensnotwendigkeit darstellt und zugleich ausschließlicher Gegenstand der Wahrnehmung ist. Objektiv werden Gefühle also erst dann, wenn über ihren Gegenstand nur zu fühlen ist, was objektive Notwendigkeit hat.

Das setzt voraus, dass objektive Notwendigkeit eine subjektive Not aufhebt, also eine objektive Notwendung zugleich die Aufhebung einer subjektiven Not betreibt und darin Subjekt und Objekt wirklich ununterschieden und also ohne Bewusstsein auch ununterscheidbar sind. Objektiv sind Gefühle dann total, wenn menschliche Wirklichkeit ausschließlich nur zu fühlen ist, sie in einem Lebensraum eingeschlossen ist, der nichts anderes zulässt, als eine Beziehung von Subjekten als Objekte ihrer Gefühle.

Die Entwicklung eines einzelnen Menschen macht in der bürgerlichen Gesellschaft immer schon einen Werdegang von objektiven zu subjektiven Gefühlen aus. Eltern sind der Form nach zu allererst Subjekte, welche ein Kind hervorbringen, das objektiv von ihnen abhängig ist, weil und solange es keine andere Gesellschaft als die der Kleinfamilie hat. Von daher erfährt es sie auch als objektives Subjekt seiner Beziehung auf die Welt überhaupt. In dieser Beziehung erscheint objektives Fühlen noch naturnotwendig, wiewohl hierbei zweifellos ein Mensch fühlt, weil er schon vor seiner Geburt Sinn hat für das, was seine Eltern ihm zu vermitteln haben, und sei es auch nur ein Sinn für die Brust der Mutter oder ähnlich anderes. Aber sosehr dies auch als Naturempfindung erscheint, so schnell wird darin auch eine menschliche Beziehung wach, in welcher der Mensch Gegenstand für den Menschen ist. Schon im Mutterleib bezieht sich das Kind auf Menschen, auf seine Muttter und alles, was es vom menschliche Leben sonst auch mitbekommt (Geräusche, Licht, Berührungen, Musik, Sprache usw.). Es hat Eindrücke, die ohne andere Menschen nicht vorhanden wären. Aber in dieser natürlichen Unterschiedslosgkeit des leiblichen Gefühls bestehen doch alle Gefühle zugleich subjektiv, keimt darin eine werdende Subjektivität aus der Symbiose der Naturbeziehung zu einem eigenständig werdenen Menschen.

Durch die subjektive Wendung objektiver Lebensbedingungen gibt es in der Wahrnehmung Gefühle, die wie ein fremdes Subjekt die Wahrnehmung bestimmen, die eine Macht in sich haben, die objektiv wirksam ist. Sie werden es dadurch, dass sie in Beziehungen nötig sind, die erzieherisch bestimmt sind und die durch diese erzieherischen Beziehungen ein eigenes Sein geschaffen haben, welche diese Beziehung ausgestaltet hat. Es geht hierbei nicht nur um Beziehungen zwischen Generationen, also meist Eltern und Kinder, sondern um Liebesbeziehungen überhaupt, in denen auf eine Objektivität hingezogen und also auch einseitig oder beidseitig erzogen wird, die nicht unbedingt so sachlich ist, wie sie vorgestellt wird. So müssen z.B. Kinder ihren Eltern glauben, was sie vermitteln, gleich wie das Vermittelte in Wirklichkeit ist. Die Vermittlung der Objelktivität geschieht innerhalb der erzieherschen Verhältnisse nun mal vor allem subjektiv. Und so wandert oft genug auch eine subjektive Absicht in diese Beziehung ein, die objektiv vorgestellt wird, um das erzieherischen Verhältnis zu bestimmen oder zu verewigen.

Und innerhalb der persönlichen Beziehungen ist zwangsläufig jede solche "Erziehung" die Vermittlung einer Selbstermächtigung, einer subjektiven Objektivität, die einen Menschen, der da nichts entgegenstellen kann, verrückt macht. Der durch sie erwirkte Einfluss auf die erzieherische Beziehungen erzeugt für diese eine Objektivierung ihrer Gefühle, objektive Selbstgefühle, welche ihren Sinn bestimmt und die substanziellen Gefühle darin verrückt und entrückt. Die Wahrnehmung wird hierdurch entgegenwärtigt und durch eine fremde Selbstwahrnehmung auch ohne Anwesenheit ihrer Beziehung bestimmt. In den Verrücktheiten erweisen sich diese als eigenständige Wahrnehmungskreisläufe, als zirkuläre Selbstwahrnehmungen, als Wahrnehmungszustände, die wie aus sich selbst heraus begründet erscheinen.

Der Rückstand der erzieherischen Selbstermächtigung ist eben nur das Gefühl, welches diese Beziehung verobjektiviert und wie eine Objektivität dieser Beziehung diese beherrscht. Es erscheint - wiewohl nur objektiv notwendiges Gefühl - subjektiv, und erfordert von daher, das zu sein und zu glauben, was in dieser Beziehung gefühlsnotwendig ist, was also die Beziehung dadurch zusammenhält, dass die Menschen sich in ihren Selbstgefühlen überhaupt nur objektiv wahrhaben, aneinander ein objektives Selbstgefühl gewinnen und dieses hegen und pfegen, also füreinander kulturvieren. Jeder Mensch in diesem Verhältnis objektiviert den anderen zu seiner Persönlichkeit, dass dieser so werden muss, wie es jenem nötig ist - vice versa. Die bornierte bürgerliche Persönlichkeit entfalten nun selbst einen Lebensraum ihrer selbst, in welchem ihre Egozentrik auch wirklich aufgehoben ist, wenn auch unter dem Schmerz einer Notwendigkeit, die nicht ganz geheuer, fast unheimlich ist. Es ist ein Grundgefühl einer selbstbezogenen Verbundenheit, die für jeden die Pflicht darstellt, zu fühlen wie der andere, zu sein, wie der andere und zu lieben, wie der andere, die Liebe selbst wird zu einem Subjekt aller Zugehörigkeiten, das aber nurmehr als Gewohnheit wirkt und ein unheimliches Schuldgefühl hervorruft. Es verlangt nun objektiv, dass jede Persönlichkeit in diesem Verhältnis Lebensstoff für jeden anderen ist. Seine Einverleibung ist hier nicht nur selbstverständlich, sondern notwendig.

Als Kind kann solches Verhältnis noch als Glück erfahren werden, muss es doch nur erkennen, was es lieb sein lässt, was also hier anerkannt und Lebensstoff ist. Es nimmt sehr wohl wahr, welche Bestimmung es in solchem Lebensraum hat. Es eignet sich auch selbst die eigene Wahrnehmung aus Selbstwahrnehmungen an, die es darin wahrhat. Erst wenn es sich auch die Welt jenseits solcher Verbundenheit verhält, kann es einen Konflikt mit sich selbst bekommen, den es nicht erkennen kann, weil es ja lediglich eine Objektivität seiner Gefühle verloren hat, die ihm notwendig war, um seine Welt ungebrochen erleben zu können.

Ein objektives Gefühl ist von daher ein Gefühl, welches zwar die Einheit einer erzieherischen Beziehung darstellt, dieses aber als Grundgefühl einer Selbstbeziehung nun auch nötig hat. Und das ist ein Gefühl, das niemand für sich hat und das auch nicht wirklich auf einen anderen Menschen bezogen ist, sondern das nur unter den objektiven Bedingungen der Umstände und Lebensräume solcher Beziehungen überhaupt auftreten kann. Allerdings bestehen die Umstände hier nicht aus reinen Sachen, sondern aus Menschen, die dennoch als Lebensbedingung sachlich bestimmt wurden. Objektive Gefühle sind also das Resultat einer erzieherischen Beziehung, in welcher Hörigkeit entstanden war, so dass sich die Menschen, welche sich körperlich und augenscheinlich freilich als Menschen wahrgehabt haben, sich als Menschen nur sachlich vergegenwärtigen können. Das spaltet ihr Menschsein selbst und damit die Wahrheit ihres Lebens in ihren Gefühlen. Sie ist doppelt: Einmal die Wahrnehmung objektiver Bestimmtheit, also eines objektiven Sollens, das Grundlage ihrer Selbstgefühle ist, und zugleich notwendige Bezogenheit einer sich selbst fremd gewordenen Liebesbeziehung, negierte Liebe, die zugleich Bedingung der Verbundenheit selbst ist. Die Menschen erleben sich selbst nur in dieser doppelten Ausschließlichkeit, durch welche ihre Erkenntnis selbst gegen sie bestimmt wird, ihre Selbsterkenntnis praktisch ausgeschlossen ist. Ihr Fühlen selbst wird objektiv, wiewohl dessen Grund außer ihnen nur unheimlich heimlich wahr sein kann. Die Basis ihrer Beziehung ist notwendig unbewusst. Als objektives Fühlen veräußert sich die Wahrnehmung zu dem, was sie in sochem Lebenraum sein muss.

Objektive Gefühle erweisen sich schließlich als Gefühle, deren subjektive Herkunft verschwunden ist, die also selbständig und völlig unabhängig zu bestehen scheinen und doch ebenso vollständige Wirkung auf die Menschen haben, weil sie als Macht einer Naturempfindung wirken - so, als wären sie eine "Klimaanlage des Gefühls". Ausgerechnet die Parapsychologen haben den ersten empirischen Nachweis gebracht, dass es Gefühle gibt, die sich jenseits aller wirklichen Beziehungen und Verhältnisse zu begründen scheinen. Zur Untersuchung von Geisterwahrnehmungen, die systematisch bei den Besuchern im Tower von Edinburg auftraten, wenn sie alleine in dessen gespenstischen Kellerräumen waren, rekonstruierten sie diese Räume virtuell als Computersimulation, die, wenn sie mit einer 3D-Brille und Kopfhörer in Abhängigkeit von eigener Bewegung wahrgenommen wurden, diesselben Geisterwahrnehmungen hervorriefen: Das Gefühl, dass da jemand um den Besucher schleicht, ein seltsamer Windhauch umgeht, die Haut an den Armen zu brennen beginnt und ein sich bis zu einer raunenden Sprache steigernden Stimme aus entfernten Fluren hallt (Richard Wiseman, 2001). Es scheint visuelle Formen und Strukturen zu geben (hier sind es weit verwinkelte leere Kellerfluren mit fremden Raumklang und Nachhall), die das Selbsterleben in ganz bestimmte Wahrnehmungen zwingt. Einzig, was sie unter der Bedinguing absoluter Isolation in Gang setzen, unheimliche Gefühle von Gespenstern oder ähnlichem, ist als eine besondere Art von Lebensangst nachvollziehbar. Propagandisten, Psychologen und andere Gurus kennen dieses Phänomen zur Genüge und setzen es für ihre Zwecke nach Belieben ein (vergleiche z.B. die Isolation bei der sogenannten Urschrei-Therapie nach Janov, die Hyperventilationsübungen vor "Transzendezerfahrungen" asiatisch ausgerichteter Selbsterfahrungsgruppen, spezifisch instrumentalisierte sexuelle Stimulationen als Mittel esoterischer "Bewusstseinserweiterung", oder auch die Empfindungen in Menschenmassen, die gesetzmäßige objektive Abläufe haben (s.a. Populismus), - und nicht zuletzt der gesamte Drogenkonsum, der den Körper objektiv so stimuliert, dass er für bestimmte Wahrnehmungen oder einfach auch nur Enthemmungen der Seele bereit ist (s.a. Sucht).

Aber völlig grundlos können auch solche Gefühle nicht existieren. Auch wenn sie unmittelbar jede Empathie aufheben, so haben sie dennoch einen tiefen Grund. Doch ihr Tiefsinn erscheint nurmehr in ihrem Anlass und ihrer Absicht. Was aus gänzlich anderen Anlässen auch wohlbegründet sein mag und - wenn auch vielleicht weiter vermittelt - voller Sinn, erscheint nun subjektiv fremd und zufällig, außer Reichweite jedweder Geschichte. Wo wir z.B. Unheimliches noch einfach wahrgenommen hatten, ließ sich durchaus erschließen, welche Heimlichkeiten wir dabei wahrhatten, z.B. die eng begrenzten Grenzenlosigkeiten unserer Liebe und Kultur, den Konsum von Nutzen, dessen gegenständlicher Zusammenhang (s.a. Ware) uns vielleicht auch gänzlich fremd ist (s.a. Warenfetischismus). Jetzt scheint Gegenwart und Wahrheit vollständig getrennt. Zwar gibt auch jedes objektive Gefühl, selbst als "psychisches Symptom" (z.B. Depression, Platzangst, Panikattacken, Wahnsinn) nach hinreichend gründlichem empathischen Verstehen Auskunft über die Grundbefindlichkeiten eines Lebens, wie wir es - für die unmittelbare Wahrnehmung manchmal unerkennbar - wahrhaben. Aber in Wahrheit ist es nicht dieses, welches objektiv wirksam geworden ist, sondern das Gegenteil: Eine Lebensbestimmung, die gegen den lebenden Menschen selbst sich verhält, ihn bedrängt, einengt und verengt - ihm Angst macht.

 



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223.1 Die subjektive Selbstvermeidung, das Unbewusste oder die Angst des Bewusstseins

Es ist das Resultat der symbiotischen Verhältnisse, das in den erzieherischen Beziehungen der Lebenspflichtigkeit entsteht, dass ihre Selbstbehauptungen jenseits dieser Verhältnisse nicht mehr gelingen können. Es drängt sich dort nämlich das Unvermögen vor, sich als ein ganzer Mensch zu fühlen. Mit der Verwirklichung der symbiotischen Selbstbehauptung verwirklicht sich in der Lebenswirklichkeit des erwachsenen Menschen ein ängstlicher, ein gespaltener Sinn, der zunehmend von dem abwesend gewordenen Teil seiner Sinne in der Selbstvergegenwärtigung seiner Symbiose beherrscht wird und seinen Selbstverlust wahrmacht. Darin gerät die Psyche außer sich, verliert ihre wirklichen Absichten und spaltet sie von ihrem Wissen ab zu einem unbewussten Verlangen, in dem sich die Bilder ihrer abgespaltenen Inhalte mit der Kraft ihrer sich selbst fremd gewordenen Gedanken als psychische Regungen behaupten und die Psyche als Ganzes erregen. Hierbei geben sie allerdings auch das verselbständigtes Denken ihrer Gefühle preis.

In allen zu einer Lebensform gewordenen symbiotischen Beziehung in zwischenmenschlichen Verhältnissen, die zur Selbstbehauptung genutzt und einverleibt werden (siehe auch Selbstvergegenwärtigung, erzieherische Beziehung, prothetische Beziehung), ist das Potenzial eines Selbstverlustes in dem Maß geborgen, wie sich darin aus der wirklichen Beziehungslosigkeit deren Mangel als Gefaht um das eigene Leben aufbraucht. Die wirkliche Gefahr kehrt dann darin in einer Angst hervor, die ihren Sinn für sich durch sich selbst in eine Beziehung außer sich abgeführt und verloren hat. Es ist die Angst eines Gefühls der Substanzlosihgkeit um das eigene Lebens, das als Angst um den Verlust der Fähigkeiten der Selbstbehauptung sich im Zweifel an ihrer zwischenmenschlichen Lebensform gegen sich selbst richtet. Weil ihr Sinn sich zunehmend dispensiert (abwesend macht), kann sie keinen Grund durch sich, sich nicht mehr aus sich sebst heraus, sich also nicht bergründet finden. Und weil sie hierbei ihre Empfindungen für sich verloren hat ist Lebensangst an dessen Stelle getreten, die Angst um die Nichtigkeit des eigenen Lebens im "Abgrund" seiner Selbstbezogenheit, in der die Selbstwahrnehmung sich um sich selbst dreht und sich im Schwindel der eigenen Bewegung, der "Emotionen" auflöst.

Es sind nur abstrakte Empfindungen dessen, was Menschen für sich in dieser Beziehung wahrnehmen und die eine latente Angst bereiten, weil sie nur als Entzug von einer Wahrheit der Wahrnehmung erkannt werden, als Verlust der Wahrheit, eigener Erkenntnis, die nicht mehr wirklich wahr sein kann. Die Bewältigung einer Lebenssituation innerhalb einer erzieherischen Beziehung hat unendlich viel Raum und Bewegung nötig, um überhaupt die Bedingungen diess Verhältnisses erkennen zu können. Indem aber nur die Begrenzung ihrer Wahrnehmbarkeit wahrgenommen wird, entsteht eine grundlos erscheindende Beengung, eine Angst, die lediglich eine räumliche Beengung abstrakt und unabhängig hiervon empfindet. Diese latente Angst ist die Grundlage eines Selbstgefühls, das sich totalisiert und oft erst dann auch ausbricht, wenn es in spätern Situationen fixiert, also situativ festgehalten und wirklich beschränkt wird (vergleiche z.B. Platzangst, Phobien), wo die Bewältigung einer Lebenssituation unendlich viel Raum und Bewegung nötig hätte, die Beschränkung einer räumliche Bewegung aber nur abstrakt und unabhängig hiervon empfunden werden kann, weil die anerzogenen Selbstgefühls auf ihrem Ausschluss beruhen. Darin wird der Kreis geschlossen, der als Nichtung einer Lebenssubstanz des Erkenntnisvermögens - z.B. als Panikattacke - empfunden wird und als dessen Verlust sehr wohl wahrgehabt, als Identitätsverlust eigener Wahrheit empfunden wird.

Es ist die Angst aus der Symbiose, die in der Formbestimmung einer zwischenmenschlichen Gemeinschaft entsteht und nicht ohne die Anderen leben kann, die Angst, die sich mit der Energie einer substanziellen Selbstverlorenheit auflädt, weil sie im Anderen sich nicht kennt und ihre Erkenntnis auße1r sich nicht finden kann, für sich selbst also abwesend wird. Es ist Liebesangst, die Angst im Selbstverlust durch ein zwischenmenschliches Verhältnis, worin das Erkenntnisvermögen aufgehoben wurde. Es ist die Angst einer bodenlos gewordenen Selbstwahrnehmung, einer verlorenen Gewissheit, die wie eine aufgelöste Wahrnehmungsidentität empfunden wird, weil sich darin ihre Selbstentfremdung äußert. Es ist das Resultat einer symbiotische Selbstbehauptung, das sich im Innern ihrer an und für sich gegensinnigen Beziehungen entäußert, aber außer sich nicht wirklich ganz sein kann und sich verloren fühlt. Was in der Symbiose noch Selbstbehauptung war, wird jetzt zum Selbstverlust.

Sigmund Freud wollte das Unbewusste als die "innere Natur" der Psyche als ihr letztes Geheimnis verstehen. Doch in dieser Mythologie verkennt er die Notwendigkeiten der Lebensbergung (siehe Lebensburg) von zwischenmenschlichen Verhältnissen, die ihm als Geheimnis der bürgerlichen Kultur verblieben waren, zum psychischen Wesen seiner Individualpsychologie. Darin beziehen die Menschen ihre Gewohnheiten aus den Ungewissheiten ihrer Selbstwahrnehmungen, den Interessen ihrer Selbstveredelung und Selbstvergegenwärtigung ihres Wohnens, worin sie ihren Narzissmus durch einander geborgen haben und von daher in einer symbiotischen Selbstbehauptung existieren. Was sie sich hierin gegenseitig einverleiben und aneinander erziehen, widerspricht oft dem Vermögen ihres Selbstbewusstseins, das im Zweifel zu seiner zwischenmenschlichen Wirklichkeit zwischen seinen inneren Beweggründen, seinen Selbstgefühlen befangen ist. Darin sind nicht nur die Erinnerungen ihrer Gefühle enthalten, sondern auch die Erkenntnisse ihrer Lebensängste, ihres Unheils. Das so genannte Unbewusste ist eine dem Bewusstsein entzogene Wahrnehmungsidentität, welche die Absichten und Getriebenheiten der Psyche verfolgt, die ihm oft auch entgegenstehen, weil sie sich in der Symbiose ihrer Selbstbehauptung aneinander festhalten und begründen, also nur als feste Teile ganz sein können. In der Trennung spalten sie sich ab und bilden durch ihre Unvollständigkeit in Abwesenheit ihrer Ganzheit ein Bedürfnis, das dem Bewusstsein entwunden ist, ein unbewusstes Verlangen des Selbstgefühls, das in jeder zwischenemnschlichen Beziehung nach dem entwundenen Inhalt seiner Selbstwahrnehmung verlangt und mit der Kraft seiner abwesenden Sinne (siehe abstrakt menschlicher Sinn) sich auflädt und erregt.

Von daher galt das Unbewusste für Sigmund Freud (siehe hierzu auch Aufklärung) und C.G. Jung (siehe hierzu auch Esoterik) - nicht aber Wilhelm Reich - als Substanz des Seelischen, bzw. als die Psyche schlechthin, wodurch deren Beziehung zum Bewusstsein notwendig verkehrt begrifffen wurde. Für Sigmund Freud ist die Unterscheidung von Bewusstem und Unbewusstem kein Resultat, sondern schon eine wesentliche "Grundvoraussetzung" seiner Psychoanalyse, worin er folglich das Unbewusste zu einer höheren Wahrheit des Bewusstseins machte und diesem als eine eigenständige Form der Subjektivität überordnet:

"Die Unterscheidung des Psychischen in Bewußtes und Unbewußtes ist die Grundvoraussetzung der Psychoanalyse und gibt ihr allein die Möglichkeit, die ebenso häufigen als wichtigen pathologischen Vorgänge im Seelenleben zu verstehen, der Wissenschaß einzuordnen. Nochmals und anders gesagt: Die Psychoanalyse kann das Wesen des Psychischen nicht ins Bewußtsein verlegen, sondern muß das Bewußtsein als eine Qualität des Psychischen ansehen, die zu anderen Qualitäten hinzukommen oder wegbleiben mag." (S. Freud, 1923, Das Ich und das Es, S. 283, S. Fischer-Verlag, Studienausgabe)

Wenn man etwas nicht weiß, so hat das vielleicht Folgen in der Handhabung von einem Gegenstand, nicht aber in einem Menschen. Dagegen muss ein Unbewusstes als Substantiv für eine Art und Weise der Wahrnehmung eine eigene Substanz haben, die es aus einer Ungewissheit in zwischenmenschlichen Beziehungen bezieht. Das Unbewusste formuliert daher etwas, das ihre Erkenntnis behindert, weil es einer Täuschung unterliegt, vertauschte Wahrheit darstellt und sich die damit abwesende Wahrheit in einem Fühlen und Handeln durchsetzen muss, das der Empfindung ihrer Verhältnisse widerspricht (siehe z.B. Zwangshandlungen). Unbewusst benennt man daher psychische Kräfte, die das Bewusstsein überkommen, es durch irrational erscheinende Motive "überfallen", deren Bezug auf die Wahrnehmung nicht unmittelbar erkennbar ist und von daher einer Analyse bedarf. Für positivistische Erkenntnisinteressen ist die Feststellung, dass es solche Kräfte gibt, reine Spekulation einer willkürlichen Theorie der Introspektion. Dem halten solche Positionen dann meist eine biologistische, genetische, stoffwechselbedingte oder systemtheoretische Begründung entgegen, mit der sie schon vor jeder Analyse das so genannte Leib-Seele-Problem aufgelöst wissen wollen. Sigmund Freud war umgekehrt aber als junger Arzt schon zuBeginn des 20. Jahrhunderts gerade von naturwissenschaftlichen Intersessen ausgehend auf das Problem gestoßen, dass vor allem verdrängte soziale Inhalte in solchen Kräften ganz offensichtlich erkennbar und nachweisbar sind. Der Streit innerhalb der bürgerlichen Wissenschaften war in ihren entsprechenden Ausrichtungen damit allerdings nicht aufgelöst und ist es bis heute nicht.

Selbstverlust bezeichnet den Verlust einer Selbstbezehung, die ihre Selbstwahrnehmung aufgelöst hat, die also durch die Lebenszusammenhänge ihrer unmittelbar zwischenmenschlichen Lebensverhältnisse (siehe z.B. Familie) die ihr nötige Selbstbehauptung verloren hat, wenn diese darin selbst ausschließlich und ausschließend geworden ist. Es ist das Resultat narzisstischer Beziehungen, die einander aufbrauchen, wenn sie außer sich erschöpft sind und in sich zusammenfallen, wenn also die äußeren zwischenmenschlichen Beziehungen der in ihrer Selbstwahrnehmung eingeschlossenen Menschen nicht mehr vollzogen und also auch nicht mehr empfunden werden und sich die inneren Beziehungen ihrer Selbstgefühle durch einander aufgehoben haben, in ihren zwischenmenschlichen Verhältnissen noch anwesend sind, auch wenn sie sich abwesend verhalten, ihre Abwesenheit als ihr Lebensverhältnis vollziehen und gestalten.

In der Absehung von einem wirklichen Sinn entstehen Absichten, die keinen sinnlichen Gegenstand mehr haben. Nicht die persönliche Beziehung auf andere noch zu sich selbst wird hierbei sinnlich bejaht. Im Grunde besteht die Substanz der Selbstwahrnehmung in solchen erzieherischen Beziehungsverhältnissen aus der Verneinung der eigenen sinnlichen Erkenntnis. Wo dem keine andere Welt mehr zugeordnet ist, ist jedes Erkennen innerhalb dieser Verhältnisse ein Verkennen der eigenen Wahrnehmungsinhalte und also eine Aufhebung der Selbstgewissheit. Die herrschenden Gewohnheiten mögen zwar noch als Zankapfel dienen, als Träger objektivierter Auseiandersetzungen, aber aus ihnen ist kein wirklicher Sinn mehr erkennbar.

Diese Verhältnisse entleeren die Beziehung der Menschen in dem Maße, wie sie sich als gewöhnliches Leben etablieren. In Wahrheit erleben sich die Menschen darin ihrer Sinnlichkeit entrückt und täuschen sich hierüber vermittelst ihrer Gewohnheiten dadurch hinweg, dass sie sich verrückt zueinander verhalten. Der gewöhnliche Mensch, der das Leben nur noch als völlig veräußertes Erleben zu sich nimmt, erfährt sich selbst jetzt auch allgemein als Mensch voller Erlebnisse, die sich über die Gewohnheiten des Lebens erheben und ihn nun als Mensch schlechthin auszumachen scheinen. Wie ein Tourist die Kulturlandschaften der Einheimischen je nach Angebotslage und Preis deren ihm fremde Geschichte durchpflügt, so durchpflügt er die Seelenlandschaften der Menschen nach ihrem Erlebenswert. Er schafft sich so selbst die Grundlage seiner Beziehungen, die nötig machen, dass er seine Unheimlichkeiten abstreift und sich entheimlicht, sich veröffentlicht.

Doch diese Veröffentlichung ist nur die Eröffnung seiner Selbstentfremdung und verallgemeinert sich in einer Kumpanei objektiv gewordener Gefühlswelten, in denen zwischenmenschliche Beziehungen, wie sie als Erziehung noch bestimmt waren, hiervon emanzipiert erscheinen können. Jeder Mensch kann so zu einem objektiven Subjekt in seiner Selbstentfremdung werden und seine Persönlichkeit dahin "kanalisieren", indem er seine Regungen beherrscht, sich selbst hiervon enteignet.

Indem aber ein Mensch in solcher Objektivität sich eigene Regungen wirklich austreibt, seine Gefühle selbst negieren muss, um frei zu sein für die Wahrnehmung der Selbstenfremdung als eigentümliche Erlebenswelt, treibt er auch seine eigene Erregung aus. Er vermittelt sich selbst in einer Welt, wo er seine Zwecke verwirklicht sieht, macht sein Leben zum Selbstzweck dieser Welt. Alle Formen seiner Persönlichkeit beugen sich dieser Vermittlung, die durch die Erziehung erzwungen wurde und jetzt schlichte Notwendigkeit für "intakte Beziehung" ist.

Und gerade diese kann nicht wahr sein, weil sie den Verhältnissen eines bestimmten Lebensraums entspricht, also objektiv bestimmt ist. Jede Beziehung, die etwas sein muss, was sie nicht sein kann, erzeugt eine Unruhe aus der nichtigen Bewegung, die sie in ihrem Verlauf betreibt. Wie durch einen Trieb zur Bewegung erscheint jede Gegenwärtigkeit bestimmt zu sein, wesenlos und unwirklich, weil die wesentliche Wirkung die Entfremdung von den eigenen Lebensbedürfnissen ist, die Bedrängung des Lebens, das sich selbst in die Flucht getrieben hat.

 



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223.2 Die objektive Selbstvermeidung einer bewusstlosen Institution der Angst

Ein Leben, das für sich selbst flüchtig geworden ist, leidet daran, dass Leben sich nicht verflüchtigtigen kann. Es besteht darin, dass es sich selbst unentwegt bedrängt, wo es sich bewegt, sich meidet, wo es seine Entfremdung wahrnimmt. Es ist aber kein fremder Inhalt, dier sie bestimmt, sondern die Lebensform selbst, die ihre Lebensnotwendigkeit gegen die darin einbezogenen Menschen richten muss, weil sie ihrem Leben entzogen wurden und ihre Entfremdung nurmehr als Selbstentfremdung leiden können müssen. Ihre Angst ist nichts anderes als diese Form und um ihr Leben zu erhalten müssen sie ihr auch "blind" folgen. Während die erzieherischen Beziehung auf einer allgemeinen Selbstbehauptung beruht und dahin ziehen will, ist sie selbst schon durch ihre Wirklichkeit die bloße Behauptung einer allgemeinen Wahrnehmung, denn nichts kann darin gewiss und muss deshalb vor allem unwahr sein. Ihre Angst ist daher von selbst zu einer Institution geworden, die ihr Leben rettten muss, indem es außer sich verbleibt, seine Lebenspflichtigkeit als Schuldgefühl an sich selbst vollstreckt und in seiner haltlosen Welt alles behalten will, was es selbst nicht mehr sein kann. "Die Kinder sind zur Rettung ihrer Eltern da" schreibt Franz Kafka und beschreibt damit das fatale Rollenverhältnis in diesem Beziehungsgeflecht, in dem sich die Generationen wahrhaben.

Jede Selbstbehauptung will eine Selbstbeziehung verwirklichen und so mächtig machen, wie es der Selbstwahrnehmung nötig ist. Sie bestimmt die Wahrnehmung aus den Selbstgefühlen so, wie sie sich als Formbestimmung zwischenmenschlicher Beziehungen wahrmachen und sich hierdurch selbst wahrhaben kann. Eine symbiotische Selbstbehauptung ist die zwischenmenschliche Lebensform eines narzisstischen Verhältnisses, ist eine Behauptung seiner selbst, in der sich Menschen in ihrer Ausschließichkeit und Ausgeschlossenheit lebendig erscheinen, indem sie sich ihre Eigenheiten, und damit ihre Selbstachtung durch fremde Bestimmung aufheben lassen. Auch wenn sie dabei nicht als Menschen "auf eigenen Füßen" stehen, ihr Leben in ihrer Gesellschaft, im Verhältnis zu sich und zu anderen und zu ihrer Natur nicht selbst verantworten, nicht durch sich begründet einander wahrhaben, nichts Eigenes sind, weil sie es nicht sein können, können sie sich dennoch durch eine Gemeinschaft ihrer Sinnesbeziehung menschlich verkörpern und behaupten, indem sie ihre Selbstwahrnehmung voneinander abhängig machen und durch einander erleben. In soweit reduzieren sie ihr Verhalten als Menschen zu Menschen darauf, dass es vor allem ihre Sinnesgemeinschaft behaupten und bestärken kann (siehe hierzu auch erzieherischen Beziehung).

In ihrem vergemeinschafteten Narzissmus beziehen sie die Substanz ihres Lebens aus einer Gemeinschaft ihrer Selbstwahrnehmung, aus einer Beziehung, die ihre Kraft durch die Symbiose ihrer Empfindungen hat, um ein gemeinschaftliches Selbstgefühl zu beschaffen und zu bestärken, worin ihre Subjektivität in ihrem Einklang zugleich objektiv wird, ununterscheidbar, identisch, im Grunde aber nur fremde Identität für jeden sein kann. Bei einer solchen Beziehung ist ein innerer Stoffwechsel unterstellt, der sich vom äußeren darin unterscheidet, dass er diesen ununterschieden, also gleichgültig aufnimmt, weil er dessen Nutzung in sich  für sich schon gemeinschaftlich angleicht und mit seinen Ausscheidungen sich auf keine äußere Welt bezieht, sondern dort lediglich seine Abfälle hinterlässt. Symbiotisch wird eine solche Selbstbehauptung dadurch, dass sie ausschließlich durch eine zwischenmenschliche Beziehung besteht, die sich in ihrer Ausschließlichkeit gegen alle Eindrücke und Reize der Selbstwahrnehmung in ihren zwischenmenschlichen Verhältnisse abschottet und verfestigt. Sie ist die Bedingung dafür, dass Menschen von ihrer Lebenswelt entrückt und verrückt werden können, wenn sie sich in einer Lebensangst dieser Symbiose selbst vertauschen und also einer Selbttäuschung erliegen, die Identitätsangst zur Folge hat.

Durch die Beziehung in solcher Gemeinschaft wird die Selbstbeziehung der Beteiligten fragmentiert, denn was darin den Sinn des Einen verwirklicht, ist für den anderen bloße Behauptung, die zugleich seiner Selbstbehauptung sowohl dienlich wie auch abwesend ist. Was die Fähigkeiten der Wahrnehmung des Einen bildet, ist für den anderen äußerlich, seiner Selbstbehauptung entzogen und nur in der Gemeinschaft der Selbstbehauptung wahr und ohne für sich sie verloren. Von daher besteht in den darin verschmolzenen Menschen eine Lebensangst, die nur strukturell durch die Lebensform ihrer erzieherischen Beziehung existiert und noch nicht wirklich wahrgenommen wird, solange sie darin lebensräumlich - z.B. in ihrer Familie - beisammen sind. Aber beim Verlassen einer solchen Beziehung müssen die Menschen ihre gesellschaftliche Wahrnehmung, also die Wahrnehmung ihrer gesellschaftlichen Wirklichkeit aus ihrer abwesenden Selbstgewissheit heraus jenseits ihrer herkömmlichen Fähigkeiten erst bilden und geraten von daher in zwischenmenschliche Beziehungen, in denen diese hierfür instrumentalisiert sind, also nicht ganz wirklich da (siehe Gegenwärtigkeit) und in Wirklichkeit nicht ganz wirklich sind. So entstehen durch die Absichten aus dem Außersichsein Gegensätze in einem entäußerten symbiotischen Interesse, die diese Beziehungen zu einer "weltlichen Symbiose" treiben und ihr Geltungsstreben verkehren und unmittelbar von sich entrücken, in ihrer Selbstentfremdung sich verrückt machen.

Unmittelbar entwickelt sich in solchen Verhältnissen eine Identifikation aller Beziehung mit diesem Verhältnis, also auch der Gefühle mit den Empfindungen darin. Widersprüche werden damit der Wahrnehmung entzogen. Und weil in Verhältnissen, die nur als Beziehung wahrgenommen werden, alles nur als das wahrgenommen wird, als was es wahrgehabt wird, entsteht darin eine Art ästhetische Weltfremdheit, also Entfremdung der Lebensgefühle von der Welt, weil darin die zwischenmenschlichen Gefühle ihren Empfindungen vorausgesetzt sind und zugleich als Lebensbedingung empfunden werden. Es entsteht hieraus eine Art Verhältnisschwachsinn zu wirklichen sozialen Beziehungen und den wirklichen Dingen und vor allem den Bedingungen einer Lebensgewissheit. Dieser Verhältnisschwachsinn, der in seiner chronischen Verständigkeit jeden Verstand in sich auflöst und also auch kein Bewusstsein nötig hat, verschafft sich sein Verständnis aus den Gewohnheiten seiner Lebenswelt. Dies zerstört vor allem die Fähigkeit zu deren Kritik. Denn die setzt eine Erkenntnis widersinniger Wahrnehmungen voraus, aus der ihrer Widersprüche überhaupt erst begreifbar werden.

Das Leben kann auf vielfache Weise bedroht sein, aber durch sich selbst wird es zu einer inneren Lebensbedrohung, die keinen Bezug zu ihrer Welt mehr haben kann. Von Lebensangst spricht man, wenn es durch sich selbst beengt ist, wenn es durch seine Körperform, seinen Lebensraum sich selbst bedrängt, durch die anwesenden Körper seine Gegenwärtigeit verliert, abwesend wird, ohne dass erkannt werden kann, was durch diese bewirkt ist, was wirklich mit dem Leben geschieht, was überhaupt die Ursache der Angst sein könnte. Es ist die Unwirklichkeit der Köperformen selbst, die diese Angst ausmacht und erfüllt, die eigene Körperlichkeit, auf welche die Wahrnehmung zurückfällt, weil sie sich selbst bedrängt, weil sie voller Inhalte ist, die sich widersprechen und ihre Substanz aufzehren müssen, solange sie ohne Welt bleibt. Es ist die Angst der Weltenlosigkeit, der absoluten Egozentrik, die letztlich genau das nichtet, was sie nötig hat: Wirklichkeit, das Leben, wie es wirklich ist.

Lebensangst ist eine Angst, die durch Lebensverhältnissen (siehe z.B. Familie) auftritt, worin Menschen ihre Gegenwärtigkeit verlieren oder verloren haben, durch die Form ihres Lebens (siehe z.B. auch Lebensburg) ihre Lebensinhalte aufgezehrt werden, sie sich hiervon selbst bedrängt fühlen, weil sie darin untergehen oder von einem Selbstverlust bedroht sind. Wesentlicher Grund hierfür ist die darin strukturierte Selbstbeziehung, mit der sie sich außer sich vergemeinschaftet haben (siehe z.B. symbiotische Selbstbehauptung) und ihre Gemeinschaft zugleich ihre Selbstentfremdung produziert (siehe z.B. auch erzieherische Beziehung).

Lebensangst ist eine Angst um das Leben im Leben selbst, lebendige Angst, nicht Angst vor dem Tod. Es ist die Angst um die Wahrnehmung, um eigene Wahrheit, um eigene Identität, die Erkennbarkeit von Widersinnigem, die Furcht davor, dass alles Leben mit einem Mal ein ungeheuerliches Nichts sein könnte, ein tiefes Loch, ein unendlicher Abgrund. Es ist die Form einer ausgeschlossenen, einer negierten Selbstwahrnehmung, die sich selbst bedrängt, weil sie außer sich nichts mehr finden, also auch nichts empfinden kann. Dies entspringt einer Selbstwahrnehmung, in der Leben im Grunde abwesend ist. Bei all den vielen Anwesenheiten lebendiger Menschen, Tiere usw., die wahrgenommen werden, wird darin nur eins verspürt, nur eins wahrgehabt: Nichts von alledem ist als Leben erkennbar. In einer erzieherischen Beziehung soll die Selbstwahrnehmung als Kontrolle über die Selbstwahrnehmung zur Gewohnheit werden, sich also gerade dann von sich ausschließen, wo sich ihre Wahrheit regt. Das macht Angst ausschließlich. Sie ist das fatale Resultat einer anerzogenen Selbstveredelung, die irgendwann erkennen muss, dass nichts von dem wirklich für sie da ist, was sie für sich an Beziehungsinhalten wahr gemacht hat. Sie ist ihren Schuldgefühlen entwachsen, muss sich selbst eingestehen, dass sie in der Form selbst ihr Leben nicht retten kann, ihre Lebenspflichtigkeit hinfällig ist.




223.2.1 Die ausgeschlossene Angst



Lebensangst ist eine Angst um die eigene Erkenntnistätigkeit. Es ist die innerste Angst der Selbstwahrnehmung, ohne Boden, grundlos, also ohne Erkenntnis zu sein, weil alles getragen ist von leerer Anwesenheit lebendiger Körper und Sinne, also von Körpern, die für alles nutzbar sind, aber außer dieser Nützlichkeit nichts verkörpern. Lebensangst ist die sinnliche Wahrnehmung der Sinne, die nur abstrakten Sinn wahr haben und darin immer dichter auf sich selbst verworfen werden. Lebensangst ist somit also nicht einfach die Beziehung eines Menschen auf sich, sondern auf das, was im Selbstbezug zugleich Beziehung auf andere ist, was andere durch ihre Selbstbezogenheit hierfür auch wirklich sind. Lebensangst ist also eine doppelte Negation: Die Negation seiner Selbstbezogenheit als negative Beziehung auf die Selbstbezogenheiten anderer, als Nichtung jeglicher Selbstgewissheit. Sie hebt sich auf in der Bejahung des Selbstbezugs als Bezug auf andere, als Wiedererkennen der eigenen Wahrnehmungsform in anderen, als Formbestimmung des Lebens. Diese Erkenntnis muss zur Basis der Selbsterkenntnis werden, um lben zu können. Sie ist die Rückkunft des Menschen auf sich als Lebewesen, was sowohl Grund wie auch Tätigkeit jeder Erkenntnis ist.

Lebensangst kann vielleicht als eine Angst vor dem Leben erscheinen, soweit sie sich in einer Depression verschlossen hat. Die Depression ist gelähmte Lebensangst, Leben ohne die Angst, die es enhält, unerkannte Lebensangst, von der Wahrnehmung ausgeschlossene Angst. Diese selbst ist zwar beengend, aber wahr in ihrem Widerspruch: Beengung weiß auch von Beengendem, und kennt das Weite. Und weil Lebensangst widersinnig ist, ist solche Angst doch äußerst lebendig, damit äußerste Lebensbejahung, wenn auch im Zweifel. Jedenfalls ist sie keine Angst um den Tod oder vor dem Tod, eher eine Angst, dass man dem Leben entschwindet, dass man darin abwesend wird. Dies ist höchst abstrakt und die Angst geht auch um diese Abstraktion, ist ein konkreter Widerstand hiergegen. Denn es ist tatsächlich absurd, dass lebende Menschen sich darum ängstigen, dass kein Leben mehr in ihnen sein könnte, dass ihnen die Beziehungen zum Leben, zu Menschen und Kultur entschwinden könnten. Aber in solcher Absurdität werden Abstraktionen erfahren, und es ist die höchste Abstraktion der bürgerlichen Kultur, dass darin Leben letztlich überhaupt nur durch die Anwesenheit von Menschen gegeben erscheint, Leben so etwas wie ein Anwesen ist.





223.2.2 Die eingeschlossene Angst



Angst ist im Grunde eine wirkliche Wahrnehmung, also auch eine Wahrnhemung von Wirklichkeit. Doch wo diese aus den Wirkungen einer erzieherischen Beziehung besteht, ist Angst nur durch diese wirklich wahr.

Lebensangst ist der lebende Widerspruch einer Angst, die nicht erkennbar ist, weil sie den Kern der Lebenswirklichkeit einer zwischenmenschlichen Kultur betrifft, worauf das Leben befestigt werden oder sein soll, zur Lebensburg gemacht wird, in welcher und durch diese Menschen an die Grenzen ihrer Befestigungen verwiesen werden - nicht in ihnen, sondern im Streit mit anderen um diese. Dieser Streit kann vernichtend sein, wenn die Angst darin ausgeschlossen wird. So widersinnig dies auch ist, sow erfährt die Angst darin den ausschließlichen Inhalt, dass es bei alle dem um das Leben selbst gehen muss. In der Lebensbergung wird an sich zwar Vernichtungsmacht aufgehoben und Lebensräume geschaffen, die ihre Grenzen nach Maßgabe des Geborgenen bestimmen und verteidigen (siehe hierzu Logik der Kultur Teil2). Aber als Raum erzieherischer Beziehungen kehrt sich dies gegen die Menschen, die darin zur Gewohnheit ihrer Selbstkontrolle gezogen werden.

In der Lebensangst äußert sich also auch begründete Angst, sich deshalb nicht verteidigen und daher nicht mehr ohne diesen Schutzraum leben zu können. Da Menschen nicht durch Grenzen leben, sondern bestenfalls mit ihnen, also begrenzt, ist ihre menschliche Identität dadurch auch bedroht. Was hinter den Grenzen lebt, bedroht, was vor ihnen lebt. Im Grunde ist Lebensangst eine Identitätsangst. Die Angst entspringt einem Lebensgrund, Lebensbedingungen, die sich gegeneinander bestimmen und in den Seelen der Menschen Lebensabsichten erzeugen, die nicht unbedingt selbst lebendig werden können, wenn sie nicht wahrmachen können, was ihre Absicht ist. Das macht ihre Seele bodenlos. Sie ist erfüllt mit Wahrnehmungen, mit Empfindungen und Gefühlen, die sie nicht in sich vereinen kann, wiewohl doch ihr Selbstgefühl nur hieraus sich bildet. In der Seele ist der Widerspruch der Wahrnehmungen aufgehoben und lebt in der Aufhebung fort, indem die wirklichen Wahrnehmungen von den seelischen getrennt werden.





223.2.3 Der Selbstverlust der Lebensangst



Lebensangst ist Liebesangst, die Angst im Selbstverlust durch ein zwischenmenschliches Verhältnis, worin das Erkenntnisvermögen aufgehoben wurde. Es ist die Angst einer bodenlos gewordenen Selbstwahrnehmung, einer verlorenen Gewissheit, die wie eine aufgelöste Wahrnehmungsidentität empfunden wird, weil sich darin ihre Selbstentfremdung äußert. Es ist das Resultat einer symbiotische Selbstbehauptung, das sich im Innern ihrer an und für sich gegensinnigen Beziehungen entäußert, aber außer sich nicht wirklich ganz sein kann und sich verloren fühlt. Was in der Symbiose noch Selbstbehauptung war, wird jetzt zum Selbstverlust. Weil deren Wahrheit ohne Haupt dann gegen sich selbst gerichtet ist, ist auch ihr Widerspruch in gegensinnigen Gefühlen und Erinnerungen veräußern. Weil die Menschen in irher Symbiose sich gegen ihre Liebe verweltichen und in der allgemeinen Wahrnehmung nicht mehr erkennen können, steht die ganze Selbstwahrnehmung in einer Selbstauflösung, die als Selbstverlust erlebt wird. Es wird hierdurch eine geistige Isolation und Verdrängung wahr, die ihre Ausgeschlossenheit durch ausschließliche Lebensermächtigungen in den psychischen Beziehungen (siehe hierzu auch erzieherische Beziehung) verfestigt hatten. Ein Teil ihres Erkenntnisvermögens, das sich auf ihr unmittelbares Dasein bezieht, wird hierdurch abgespalten und gegen ihre Wahrnehmung verinnerlicht. Ihre Selbstwahrnehmung kann sich nicht wirklich behaupten, wo Selbstbehauptung eine objektive Notwendigkeit ist, weil sie z.B. auch anderweitig in symbiotischen Beziehungen als symbiotischer Selbstbehauptung "an der Macht" ist.

Selbstverlust ist der Verlust einer Selbstbezehung, der Verlust von Selbstwahrnehmung durch die Veräußerung und Unterwerfung seiner Selbst in symbiotischer Selbstbehauptung. Darin wird das Vermögen der Selbsterkenntnis an den Anderen seiner selbst mit der Symbiose einer Selbstbehauptung abgetreten und die Selbstwahrnehmung in einer Selbstentfremdung. verschlossen, in der sich die Selbstgefühle durch ihnen fremd gebliebene Empfindungen aufheben. Weil die Selbstwahrnehmung sich nicht mehr zwischen dem Verhältnis der Selbstgefühle verhalten kann, sondern sich vor allem durch die Absichten ihres ästhetischen Willens behaupten muss, verliert sie ihre sinnliche Gewissheit, die durch fremde Selbstwertgefühle ästhetisch bestimmt und in dieser Bestimmung untergegangen ist (siehe auch Minderwertigkeitsgefühl). Sie verliert sich in den allgemeinen Verhältnissen der Wahrnehmung durch die Entgegenwärtigung ihrer Selbstwahrnehmung und damit vor allem ihre Selbstachtung, also auch das Vermögen, sich selbst entsprechend zu äußern und auseinander zu setzen.

Die Auflösung einer Symbiose stellt sich als Selbstverlust dar, weil die Selbstbezehung damit aufgehoben ist und der Schmerz der Auflösung sich hiergegen als verlorenes Selbstgefühl einstellt, dieses in eine leere Erregung treibt und damit das Gefühl der Verlorenheit einer fremd gewordenen Zwischenmenschlichkeit verdoppelt, - sich auch endlos verdoppeln kann, wenn sie sich in ihrer Erregung selbst in eine schlechte Unendlichkeit treibt, sich in ihrer Äußerlichkeit verallgemeinert, so sie sich nicht durch andere zwischenmenschliche Beziehungen aufheben lässt.

Selbstverlust entsteht durch die Lebenszusammenhänge einer zwischen dem Menschen durch bloße Selbstbehauptung aufgehobenen Selbsterkenntnis, die ihre sinnliche Gewissheit entfremdet (siehe Selbstentfremdung), in ihren unmittelbaren zwischenmenschlichen Lebensverhältnisse (siehe z.B. Familie) die ihr nötige Selbstbehauptung verloren hat, wenn diese darin selbst ausschließlich und ausschließend geworden ist. Es ist das Resultat narzisstischer Verhältnisse, die einander aufbrauchen, wenn sie außer sich erschöpft sind und in sich zusammenfallen, wenn also die äußeren zwischenmenschlichen Beziehungen der in ihrer Selbstwahrnehmung eingeschlossenen Menschen nicht mehr vollzogen und also auch nicht mehr empfunden werden und sich die inneren Beziehungen ihrer Selbstgefühle durch einander aufgehoben haben, in ihren zwischenmenschlichen Verhältnissen noch anwesend sind, auch wenn sie sich abwesend verhalten, ihre Abwesenheit also als ihr Lebensverhältnis vollziehen und gestalten.

Hierbei entsteht Lebensangst, eine Angst, die durch Lebensverhältnisse auftritt, worin Menschen ihre Gegenwärtigkeit verlieren oder verloren haben, durch die Form ihres Lebens (siehe z.B. auch Lebensburg) ihre Lebensinhalte aufgezehrt werden, sie sich hiervon selbst bedrängt fühlen, weil sie darin untergehen oder von einem Selbstverlust bedroht sind. Wesentlicher Grund hierfür ist die darin strukturierte Selbstbeziehung, mit der sie sich außer sich vergemeinschaftet haben (siehe z.B. symbiotische Selbstbehauptung) und ihre Gemeinschaft zugleich ihre Selbstentfremdung produziert.

Lebensangst ist also eine Angst, die einer Selbstentfremdung durch fremde Einverleibungen entspringt, die als Verlust der gewohnten Geborgenheit (siehe auch Lebensburg) erlebt wird, deren Selbstgefühle durch Wahrnehmungen ihrer Wirklichkeit unter ihnen fremden Umständen in Abwesenheit geraten sind und nur noch als Selbstverlust wahrgenommen werden. Es geht hierbei um eine wesentliche Enttäuschung der gewohnten Lebensbedingungen, worin Angst ohne Sinn für sich empfunden wird, ohne Beziehung auf die Möglichkeiten ihrer Überwindung, ohne gesellschaftliche Erfahrung zur Bearbeitung verselbständigter Bedrängungsgefühle, wie sie sich in den Verhältnissen der Selbstbehauotungen und ihres Geltungsstrebens in zwischenmenschlichen Verhältnissen immer wieder ergeben.

In der seelischen Entwicklung eines Menschen macht sich die Abtrennung seelischer Wahrnehmung von wirklicher darin geltend, dass er Wirklichkeit als Gegebenheit zur Kenntnis nimmt, an der er sich nur seelisch bilden kann. Er erscheint sich als Wunderwerk seiner Seele, die nicht wirklich leben muss, sondern in der Entwirklichung des Lebens ihre Kraft sammelt (Freud nannte dies die Libido und machte sie flugs zu einer ontologischen Kategorie). In der Äußerlichkeit von wirklicher Wahrnehmung ist die dem Leben äußerliche Bedingung nicht erkennbar und stellt sich daher gegen die Identitätsbestrebung der Erkenntnis. Es ist das Wahrhaben entäußerter Erkenntnis; Selbstentfremdung.

Lebensangst entsteht als Gefühl einer Bedrohung des eigenen Lebens durch eine Gefahr, die unkenntlich ist, einer Bodenlosigkeit, in der jeder Halt verloren geht, einer Ohnmacht der Wahrnehmung, die sich verloren fühlt, weil sie sich selbst fremdw geworden ist (siehe Selbstentfremdung). Sie ist das Gefühl eines Selbstverlustes gerade dort, wo das Selbstvertrauen zu Hause sein müsste, der Verfall der Wahrnehmungsidentität durch ganz gewöhnliche Wahrnehmungsinhalte. Sie ist die Selbstwahrnehmung einer Nichtung der Selbstachtung, die einem bestmmten Lebensraum entspringt, der die eigenen Kräfte beengt (Angst kommt von Angustia=Enge), der die Entwicklung eigener Selbstverwirklichung ins Leere geführt hat und darin - oft schlagartig - einen Lebensabriss, einen Abgrund, eine Auflösung der Gegenwärtigkeit der eigenen Sinnlichkeit, der Erinnerung, die Entgegenwärtigung von eigener Geschichtlichkeit verspürt, z.B. als Panikattacke oder als Depression.

Lebensangst ist eine Angst, die einer Selbstentfremdung entspringt, die als Verlust einer Geborgenheit (siehe auch Lebensburg) erlebt wird, deren Selbstgefühle durch Wahrnehmungen ihrer Wirklichkeit unter ihnen fremden Umständen in Abwesenheit geraten sind. Es geht hierbei um eine wesentliche Enttäuschung der gewohnten Lebensbedingungen, die als Verlust der eigenen Lebenskraft empfunden wird und in der Angst einer ungewohnten Bodenlosigkeit auftritt. Lebensangst entsteht also in Verhältnissen, worin die Menschen in der symbiotischen Gemeinschaft ihrer Selbstbehauptung ihren Selbstwert fanden und empfinden mussten, um ihre Selbstgefühle zu bewahren. Weil sie diese dann nur durch ihre symbiotische Selbstbehauptung identifizieren können, ist ihr Erlkenntnisvermögen mit dem Verlust solcher Beziehungen (z.B. nach dem Verlassen ihrer Famllie) bedroht, wenn ihre Wahrnehmungen durch ihre Selbstwahrnehmungen bestimmt und durch andere Lebensumstände aufgelöst werden.

Lebensangst ist eine Angst, die sich aus dem Nichts heraus wie ein Zustand einstellt, in dem das Leben sich gegen sich selbst wendet, das Leben sich aufzulösen scheint. Es ist eine Angst des Lebens um die eigene Lebendigkeit. Diese kann aber nicht aus dem Leben selbst entstanden sein, weil das Leben sich immer durch sich und außer sich bewegt. Sie ensteht durch Lebenspflichtigkeiten, die sich dem Leben entzogen haben, verdrängt sind und die wahrgehabt werden, wo sich Leben gegen sie rührt. Von daher könnte man sagen, dass Lebensangst eine negierte Lebendigkeit ist, die ihre Negation empfindet und sich hierdurch bedroht fühlt. Es ist das innerste Gefühl einer totalen Lebensbedrohung durch den Verlust der Freiheit des Lebens.

"Die Lebensgefahr für jedes Wesen besteht darin, sich selbst zu verlieren. Die Unfreiheit ist daher die eigentliche Todesgefahr für den Menschen." (K. Marx, MEW 1, 60)

Im Unterschied zur Existenzangst wirkt Lebensangst daher nicht "von außen" im Bangen um die Selbsterhaltung aus der Furcht vor existenziellem Niedergang. Sie entsteht aus dem zwischenmenschlichen Leben und Lieben, aus der Selbstentfremdung einer Lebensgeschichte, die sich in Verhältnissen verfangen hat, in der Leben nichtig geworden ist, sich in Nichts aufgehoben hat, weil sich seine Liebe ihrer Erkenntnis entzogen hat, sich unterschiedslos in allem mit jedem identifiziert, zu einer allgemeinen Identität geworden war. Es ist das Resultat einer symbiotischen Selbstbehauptung, die sich gegen sich selbst wendet, weil sie sich in der Empfindung ihrer Selbstgefühle beengt fühlt.

Angst kommt von Angustia, das heißt Enge. Lebensangst ist ein durch seine Form beengtes Leben. Sie entsteht als das Gefühl einer Enge des eigenen Lebensraums, der eine Weite in der Welt nötig hätte, die durch die Welt der eigenen Existenz selbst verunmöglicht ist. Sie ist der leibhaft empfundene Widerspruch zwischen Form und Inhalt des eigenen Lebens, das Gefühl einer Bedrohung des Lebens durch die Gefahr einer Existenzform, die in ihrer Räumlichkeit unkenntlich ist, einer Bodenlosigkeit, in der jeder Halt verloren geht, einer Ohnmacht der Wahrnehmung, die sich verloren fühlt, weil sie sich selbst fremd geworden ist (siehe Selbstentfremdung). Sie ist das Gefühl eines Selbstverlustes gerade dort, wo das Selbstvertrauen zu Hause sein müsste, der Verfall der Wahrnehmungsidentität durch ganz gewöhnliche Wahrnehmungsinhalte. Sie ist die Selbstwahrnehmung einer Nichtung der Selbstachtung, die einem bestmmten Lebensraum entspringt, der die eigenen Kräfte beengt, der die Entwicklung eigener Selbstverwirklichung ins Leere geführt hat und darin - oft schlagartig - einen Lebensabriss, einen Abgrund, eine Auflösung der Gegenwärtigkeit der eigenen Sinnlichkeit, der Erinnerung, die Entgegenwärtigung von eigener Geschichtlichkeit verspürt, z.B. als Panikattacke oder als Depression.

Dies entsteht, wenn der Lebensraum selbst das Selbstgefühl dieser Selbstbehauptung verkörpert, wenn er an dessen Stelle getreten ist, sich dieses Gefühl im Gemäuer und den Atitüden eines Glücks struktueriert hat, das weder seinen Grund noch seinen Sinn mehr erkennen kann, weil es getragen war von der räumlichen Gemeinschaft der Lebensträger, durch die Anwesenheit von Menschen in den zwischenmenschlichen Verhältnissen dieses Raums. Durch die Form dieser Anwesenheit in zwischenmenschlichen Lebensräumen (z.B. der Kleinfamilie) werden Verbindungen (siehe z.B. Familiensinn) gehalten, die nicht durch Anziehung, sondern durch Erziehung ihre Inhalte erfahren und bewirken. Lebensangst ist das Gewahrwerden einer lebensumfänglichen erzieherischen Beziehungswelt, die ihren Sinn verloren hat und keinen Sinn finden kann, weil dieser nur durch Lebensstrukturen erkennbar war. Wahr wird dabei im Grunde nur, dass Erziehung keinen Sinn haben kann, weil sie Sinn machen muss und nur durch die strukturelle Gewalt ihrer Lebensverhältnisse funktionieren kann. Wenn diese abwesend sind, entsteht eine innere Beengung durch äußere Freiheiten.

Das zwischenmenschliche Leben, das in der Abfolge des Erlebens von Ereignissen sich vollzieht, zerfällt in seiner Geschichte in Augenblicke, die unmittelbar keinen Sinn in ihrem Zusammenhang erkennen lassen, wenn sich darin kein Selbstgefühl mehr empfindet und bestärkt. In seiner Wirklichkeit ist es von dem bedroht, wovon es in seinen Erlebnissen abgesehen hat, wenn es nicht dauerhaft seine Absichten zu einem ihnen entsprechenden Ereignis bringen konnte, wenn also keine Erlebnisse mehr stattfinden, die solches Leben mit Sinn begeistern und füllen, auch wenn dieser nur einverleibt und nichts Eigenes ist (siehe auch Kulturkonsum). Mehr oder weniger plötzlich kann es dabei zu einem Nichtigkeitsgefühl, zur Empfindung eines Nichts kommen, das substanzielle Gewalt allein durch die Abwesenheit von Sinn, also als eine Gefahr durch Nichts erfährt.

Lebensangst erscheint wie eine Angst vor dem Nichts, Angst im Untergang, um den Tod, vor dem Tod. Doch Leben kann auf vielfache Weise bedroht sein. Eine Angst vor etwas, kann aber keine Angst vor nichts sein. Den Tod kennt kein lebendes Wesen. Eigentlich spricht man von Lebensangst, wenn es durch sich selbst beengt ist, wenn es durch seine Körperform, seinen Lebensraum sich selbst bedrängt, durch die anwesenden Körper seine Gegenwärtigeit verliert, abwesend wird, ohne dass erkannt werden kann, was durch diese bewirkt ist, was wirklich mit dem Leben geschieht, was überhaupt die Ursache der Angst sein könnte. Es ist die Unwirklichkeit der Köperformen selbst, die diese Angst ausmacht und erfüllt, die eigene Körperlichkeit, auf welche die Wahrnehmung zurückfällt, weil sie sich selbst bedrängt, weil sie voller Inhalte ist, die sich widersprechen und ihre Substanz in Widersinnigkeiten aufzehren müssen, solange sie ohne Welt - und also grundlos - bleibt. Es ist die Angst der Weltenlosigkeit, einer unendlichen Unergründlichkeit, welche jede Egozentrik irgendwann absolut macht, weil sie letztlich genau das nichtet, was sie nötig hat: Wirklichkeit, das Leben, wie es wirklich ist. Der in den Beliebigkeiten der Geldverhältnisse, in den dementsprechenden Einverleibungen der zwischenmenschlichen Beziehungen unendlich verlorene Grund des Lebens - sein aufgezehrter Körper -  kehrt sich darin als verselbständigte Erregung gegen die Gegenwärtigkeit der Selbstwahrnehmung in ihren zwischenmenschlichen Verhältnissen und deren aktuelle Lebensformen.

Die Lebensangst ist die Grundlage aller Verselbständigungen der Wahrnehmung zu Wahrnehmungszuständen, also Angstzustände, Zwangsverhalten, Depressionen und Sucht. Erst im Wahnsinn ist sie wirklich aufgehoben, indem dort die Wirklichkeit seelisch aufgehoben ist.

Als Bedingung kann Leben niemals sein, weil kein Ding lebt, auch wenn viele Dinge zum Leben gehören. Die Unterscheidung der Dingwelt vom eigenen Leben ist Grundlage jeglicher Erkenntnis und also notwendig, um die Lebensnöte zu erkennen. Werden Lebensbedingungen unmittelbar gelebt, so müssen sie unendlich viel Angst machen, weil sie zugleich den Tod bedeuten. Leben kann nur in der Gewissheit um seine Bedingungen frei sein, frei, dass es diese von seinem Tod unterscheiden kann. Wo tote Bedingungen herrschen (siehe tote Arbeit), ist die Erkenntnis dieser Herrschaft unmittelbare Lebenstätigkeit. Sie schließt ein, den Tod als dem Leben immanentes Moment anzuerkennen. Was sonst kann im Leben Angst machen, wenn es von seinem Tod weiß? Leben hat den Tod als sein verschwindendes Moment. Es kann hiervon nur gekränkt werden, wenn es sich als Überleben in Isolation vom Leben, als vom gesellschaftlichen Leben getrenntes Leben erkennen muss.

Lebensangst als Lebenszustand (siehe Angstzustand) rührt aus dem Sinn, den ein Leben unter der Bestimmung eines übersinnlichen Lebens erfährt, meist aus dem Familiensinn, der auf dem Ausschluss vom gesellschaftlichen Leben gründet und Selbstunterwerfung verlangt (siehe Lebensangst).

In dieser Selbstunterwerfung wird jede Erkenntnis durch negierte Selbsterkenntnis bedrängt. Die Angst als Gefühl dieser Bedrängung wird hierdurch zu einer Selbstverständlichkeit der Wahrnehmung, welche entweder verrückt macht (siehe auch Wahrnehmungszustand) oder durch kultivierte Ästhetik aufgehoben wird.





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223.3 Die Abwehrmechanismen der Selbstvergegenwärtigung
(Verdrängungen der Selbstwahrnehmung)

Die Psyche muss sich zum Erhalt ihrer Selbstbehauptungen nun gegen die sie hierbei störenden Wahrnehmungen verhalten und das ausschließenen, was sie in Frage stellen könnte, was sie also wahr hat und nicht wahrnehmen darf, weil ihr nun hoch entwickelter und in der Symbiose ihrer Selbstbehauptungen verselbständigter Narzissmus jeden Zweifel fürchtet, weil er unbrüchlich, also unbezweifelbar sein muss, denn er gründet gerade darauf, das ihre symbiotische Selbstbehauptung aus den Einverleibungen ihrer zwischenmenschlichen Verhältnissen zehrt und deren Widersprüche zugleich aufzulösen hat und sie entgegenwärtigen muss.

Entgegenwärtigung entsteht aus der Entwirklichung eines Verhältnisses, das sich widerspricht. Sein Grund zeigt sich nicht, sondern setzt sich hinter dem Rücken der Beteiligten durch und verlangt nach einer Gegenwärtigkeit, die substanziell grundlos erscheint. Vergegenwärtigung soll das abwesend gemachte der Form nach herstellen, ist das zur Anwesenheit bringen eines abwesenden Sinns, der im Gedächtnis sein muss, weil er die Form dieses Verhältnises als bestimmte Form wahrhat, als diese aber nicht erkennen kann.

So wird eine objektive Formbestimmung dadurch zu einer subjektiven, dass sie in ihrer psychisch gewordenen Absicht nach Vergenwärtigung strebt. Was eine Seele zu ihrer Selbstvergegenwärtigung nötig hat, wird hierdurch zu einem psychischen Verhältnis, das sich ihrer Selbstwahrnehmung entfremdet. Durch den Drang nach deren Vergegenwärtigung, wenn er zum Trieb wird, wird das Gedächtnis zum Ort einer negativen Bestimmtheit der Wahrnehmung und vor allem der Empfindung. Die Psychologie spricht dann von Verdrängung.

Die von der Psyche ausgeschlossene Selbstwahrnehmung treibt nun ihre Blüten aus der Form dessen heraus, was sie außer sich von sich selbst in ihrer Wahrnehmung ausgeschlossen hat. In Wahrheit treten hieraus nämlich nicht einfache Selbstbestätigungen hervor, sondern ganz im Gegenteil: Verneinungen. Aber ganz von ihrer narzistischen Bestätigungssucht beherrscht muss die Psyche nun auch diese beherrschen. Sie muss abwehren, was ihrer Beziehungen auf andere als Form ihrer Selbstbeziehung zur Folge hat: Sie muss die Wahrheit dieser Wirkung unterbinden.

Wir hatten bereits die ersten Bestimmungen der Selbstvergegenwärtigung des Narzissmus oben erwähnt: Die Nichtigsetzung aller dem Narziss fremden Selbstwahrnehmung. Diese geschieht aber nicht einfach durch wegsehen, sondern muss von einem Selbst betrieben werden, das in der Lage ist, fremde Selbstwahrnehmungen so zu nutzen, dass sie zum Inhalt des Selbstgefühls werden. Das war ihre zweite Bestimmung. Diese versetzt die in der seelischen Beziehung schon angelegte Egozentrik in die Notwendigkeit, sich gegen die Wirkungen fremder Gefühle überhaupt zu wehren, indem diese den eigenen Gefühlen unterstellt und als solche empfunden werden. Es findet damit eine Wendung in der Wahrnehmung selbst statt: Als Inhalt eigener Gefühle wird das Fremde dadurch zu eigen gemacht, dass es in seiner Wirklichkeit negiert wird, dass also alle Wirkung, die es hat, als Wirklichkeit einer an und für sich fremden Wirklichkeit empfunden wird und sich hierdurch ein Selbstgefühl errichtet, das gegen alles Fremde immun ist, sich als eine allgemein besonderte Selbstwahrnehmung verhält. Die Selbstentfremdung der Wahrnehmung erscheint nun dadurch als Selbstverwirklichung, dass die Wirklichkeit als Macht der Entfremdung empfunden wird.

Im Grunde handelt es sich um eine Verkehrung aller Wahrnehmungsinhalte zu Objekten der Selbstwahrnehmung, die mehr oder weniger vollständig von den wirklichen Inhalten der zwischenmenschlichen Beziehungen, auf denen sie beruhen, absehen und sich doch gerade hierzu verhalten. Sie müssen sich dahin entwickeln, diese Beziehungen selbst zum Mittel einer verkehrten Selbstwahrnehmung werden zu lassen, weil sie nicht wahrnehmen können, was sie durch sich wahrhaben. Dieses Nichts, das sie geadeltn haben, erbringt zugleich ihren Zerfall, wenn sie in ihren Beziehungen erkennen müssen, dass da etwas ist, das "nicht wahr sein darf".

Die von Sigmund Freud beschriebenen Abwehrmechanismen sind nichts anderes als die Form, mit solcher Erkenntnis umzugehen. Aber nicht eine verborgene Absicht betreibt eine Verdrängung oder Verschiebung oder Verkehrung der Beziehungsinhalte in der Wahrnehmung, sondern die Notwendigkeit der Selbstvergegenwärtigung in Verhältnissen, worin sie selbst nur durch Selbstgewinn zu bewähren sind. Eine Verdrängung erfolgt also nicht aus gierigem Bedarf, sondern aus dem Selbsterhalt einer notwendig gewordenen Selbstentfremdung.

Die Menschen müssen sich daher gegen die Wahrheit zur Wehr setzen, die nicht sein darf, weil nicht sein kann, was Nichts ist. Und dies erfordert einige Wahrnehmungskunst, die sich in den ästhetischen Figurationen der Wahrnehmung bis zum Wahnsinn verselbständigen kann (hierüber mehr im 2. Buch). Doch zunächst handelt es sich lediglich um eine Bedrängung der Wahrnehmung, die sich aus der Verdrängung ihrer Inhalte ergibt und bis zu deren Verkehrung in ihr Gegenteil reicht.

Die Verdrängung einer Wahrnehmung wird durch einen Gegensinn betrieben, der als eigenständige Wahrnehmungsform gegen einen Inhalt auftritt, der wahr gehabt wird, aber nicht wahr sein soll, um eine notwendige Selbstbehauptung nicht zu gefährden. Dieser Gegensinn wird in der Absicht betrieben, diese Wahrnehmung durch eine Vorstellung auszuschließen, die sie verstellt und verkehrt. Er bezieht seine Substanz aus dem abwesenden Sinn einer Symbiose, der durch diese Vorstellung vergegenwärtigt wird. Es handelt sich also um eine in sich verkehrte Selbstvergegenwärtigung, die sich dadurch beweist, dass es Angst macht, ihre Absicht zu erkennen. Diese Verkehrung zu bearbeiten erfordert die Verarbeitung der Angst als Ausdruck einer symbiotischen Selbstbehauptung.

Verdrängen kann man etwas oder jemanden, indem man es oder ihn in den Hintergrund drängt, ausschließt oder ersetzt. Es ist lediglich die Art, worin sich die Erzeugung einer Abwesenheit unterscheidet. Aber seine Anwesenheit, die damit ja nicht ausgeschaltet ist, wirkt dennoch ganz verschieden, je nach dem, in welcher Form sie fortbesteht. Im Hintergrund wirkt sie durch den Vordergrund hindurch, also durch das, mit was sie verstellt ist. Als Ausgeschlossenes wirkt es durch die Grenzen hindurch, durch die Mauern, die es verheimlichen, unheimlich machen. Im Ersatz wirkt es unmittelbar durch Täuschung, also dadurch, dass es sich als etwas anderes dasrstellt, als es in Wahrheit ist. In diesen Unterschieden wirken die Verdängungsmechanismen, die allerdings etwas ganz anderes sind, als eine Mechanik es sein kann, denn sie stehen in einer dialektischen Beziehung, in der substanziell eine Form durch das bestimmt ist, was sie nicht sein kann und dennoch sein muss, was ihren Inhalt ausmacht (siehe Formbestimmung). Es ist die doppelte Bestimmung des Verhaltens, das sich in seinem Verhältnis verfangen hat, in dem was unmöglich sein kann, obwohl es wahr ist. Es erscheint daher in einer verkehrten Form, in einer Verkehrung seiner Wahrheit als Täuschung.

Wenn die eigene Gegenwärtigkeit durch Erinnerungen, Gefühle oder Ereignisse bedrängt wird, die für sie nicht wahr sein dürfen, weil sie auf deren Verdrängung beruht, so kommen diese nicht als solche wahrnehmbar für die Selbstwahrnehmung auf, sondern dadurch, dass sie diese Gegenwärtigkeit als solche beeinflussen oder blockieren, sich als Entgegenwärtigung bemerkbar machen, die sinnliche Wahrnehmung selbst beeinträchtigen oder sogar ganz ausschalten. Die Verdrängung beruht darauf, dass eine Wahrheit vergegenwärtigt wird, weil sie der Selbstwahrnehmung widerspricht, weil sie das wäre, was für ihren Narzissmus nicht gelten darf. Sie beruht also auf der Selbstwahrnehmung einer Unwahrheit, welche sich im Narzissmus zu sich selbst verhält. Sie ist die leibhaftige Kritik des Narzissmus. Und diese macht den verdrängten Gehalt der Selbstwahrnehmung aus - nicht direkt als Inhalt, sondern als bloßer Sinn des Ungegenwärtigen in der Form der Selbstvergegenwärtigung, also in der Art und Weise ihrer Beeinflussung.

Die narzistische Identität ist von dieser Seite her recht mühsam. Immer wieder geraten Gefühle in die Wahrnehmung, die sie nicht wahrhaben kann. Deren Verdrängung blockiert gerade die wesentliche Absicht der narzisstischen Wahrnehmung, sich durch Selbstveredelung zu vergegenwärtigen. So werden diese Gefühle (und Erinnerungen) als Verräter behandelt und geahndet. Es kostet Kraft und Ausdauer und verlangt vor allem eine Selbstkontrolle, die über ihren ursprünglichen Zweck, die Selbstwahrnehmung auf ihre Selbstverwirklichung auszurichten, hinausgreift. Von daher sind verdrängte Gefühle Kraft zehrend und beeinträchtigen die Fähigkeit, sich als das zu vergegenwärtigen, was der Selbstverwirklichung dienlich ist. Sie bewirken immmer wieder die Krisen der Selbstverwirklichung und können auf Dauer ein Desaster auslösen, besonders wenn sie den Lebensraum der Menschen selbst bestimmen (siehe Buch 2, z.B. Familie und objektives Selbstgefühl).

Der Grund für die Selbsttäuschung der Wahrnehmung ist ein wesentlicher Mangel der Selbstwahrnehmung: sie hat sich selbst wahr und muss ihre Wahrheit zugleich meiden. Es ist die durch eine Empfindung negierte Gefühlsidentität, die durch das ausgeschlossen wird, was darin wahrgehabt ist. Die Psyche schließt sich als Gedächtnis der Selbstgefühle gegen diese Wahrheit ab, um ein Selbstgefühl zu bewahren, das sich nicht mehr bewähren kann, das also eine Psyche gegen diese Wahrnehmung bewahrheiten muss, die durch diese in Frage gestellt ist. Sie erzeugt daher eine "Fehlleistung", die im Grunde nur ihre eigene Wahrheit alseine Täuschung herrichtet, mit der die Wahrnehmung "reibungslos" intakt zu bleiben scheint, während sie allerding ihre Gegenwärtigkeit in dem Maße verliert, wie sie hiermit ihre Gewissheit sich entfremdet. Ihre Gegenwart wird durch die psychischen Absichten bestimmt, die sich gegen ihre Wahrnehmung als Ganzes richten.

Diese "Fehlleistungen" werden in der Psychoanalyse als Verdrängungsmechanismen beschrieben, die sich dort allerdings nicht stimmig erschließen lassen, weil sie bloß aus dem Subjekt der Verdrängung begriffen werden, meist als Verstoß gegen selbvst gesetzte Tabus oder Moralvorstellungen. Die bekannten Fehlleistungen bestehen als Verkehrung ins Gegenteil, Verschiebung oder Projektion, Ungeschehen machen, Vergessen. Durch diese finden Reaktionsbildung statt, die sich als Konversion und Regression erkennen lassen. Was bei Freud noch substanziell als "triebökonomischer Gewinn" verstanden wird, wird von anderen Autoren immer substanzloser aufgefasst. So werden diese Mechanismen bei anderen Autoren auch als Aggression, Isolation, Sublimation, Rationalisierung, Kompensation beschrieben.

Die Psychoanalyse sieht Verdrängung in einem rein subjektiven Zweck des Erlebens begründet, nämlich der Unlust-Vermeidung, in welcher aber zur Aufrechterhaltung der Verdrängungsarbeit Energie verbraucht würde. Sie ist hiernach eine zrikulär gewordene Unlust zugunsten einer ihr fremd gewordenen Lust, also nicht durch eine widersprüchliche Erkenntnisse begründet (siehe hierzu den Widerspruch von Empfindung und Gefühl oder dem Wahrnehmen und dem Wahrhaben). Weil sie darin nicht den Ausschluss eines unmöglich gewordenen Bewusstseins begreift, kann sie auch nicht die Unmöglichkeit einer Gewissheit in bestimmten zwischenmenschlichen Verhältnissen auffassen. Verdrängung ist nach ihrer Auffassung ein rein innersubjektiver Vorgang, der sich gegen bestimmte Wirkungen der Wahrnehmung verhält. Daher begründet sie das Interesse an der Abwehr bestimmter Erlebensweisen, die durch Verdängungsmechanismen sich erklären ließen (z.B. Verkehrung ins Gegenteil, Ungeschehen machen), durch ein innerpsychisches Triebgeschehen, dem eine Person nicht gewachsen sei. Nicht die Verhältnisse bestimmen damit eine Wahrnehmung so, dass sie sich dagegen setzt, was sie wahrhat. Stattdessen soll es die Psyche selbst sein, die durch die Verschiebung von verdrängten Wahrnehmungsinhalten in unbewusste Bereiche des "psychischen Apparats" (Freud) , die lediglich durch Introspektion zugänglich sind, sich vor ihrem Begehren schützt. Es würden hierdurch Verhaltensweisen bestimmt, die alleine der Integrität der Psyche dienen, also dazu da sind, das Ich funktional zu halten.

Weil das Unbewusste nach dem Verständnis der Psychoanalyse als Trieb einen eigenen "innerpsychischen" Machtbereich mit entsprechenden "Mechanismen" errichtet, der durch den Notwendigkeit einer Not bei der Realisierung eines unmöglichen Wunsches quasi automatisch in Gang gesetzt wird, um letztlich einen Triebkonflikt zu beherrschen, sei seine Abdrängung von den "Ich-Leistungen" nötig. Die Verdrängung ist hiernach ein Begriff konflikthaften Begehrens, welcher aufgelöst werden müsse durch Bewusstsein und Selbstdisziplin (Funktionen des sogenannten Über-Ichs) und Selbstbescheidung, die zu einer Versöhnung gegensätzlicher Persönlichkeitsanteile in einem Menschen nötig sei. Was die Selbstverwertung in zwischenmenschlichen Verhältnissen objektiv aufzwingt, wird somit als Kraftakt der Selbstbeschränkung für notwendig gehalten. Darin verbirgt sich der Zynismus der Psychoanalyse gegen den Schmerz der Erkenntnis (s.a. Verzweiflung), wie er ihr in der ganzen Fassung des Verhältnisses von Bedürfnis (Begehren) und Wirklichkeit (Realität) zugegen und wie er als Zwangsverhältnis von Geist und Sinn der ganzen Aufklärung zu eigen ist.

Es ist diese Ausgeschlossenheit der Selbstwahrnehmung, welche die objektibv gewordenen Selbstgefühle angetrieben hatte, Selbstentfremdung als wirkliches Leiden erfahren zu müssen, um die Wahrnehmung mit sich zusammenzuführen, Selbstwahrnehmung durch erzwungene Fremdwahrnehmung zu ermöglichen. Darin brachte sich schon ein Sinn zur Wirkung, der in der Wahrnehmung selbst ausgeschlossen ist, der also nur unter der Veräußerung einer Selbstwahrnehmung wahrnehmbar wird. Jetzt ist dieser Sinn zu einem wirklich unheimlichen Sinn geworden, der sich gegen seine eigene Gegenwärtigkeit verhält, der Macht über die Wahrnehmung dadurch hat, dass er ihren Sinn so bestimmt, damit sie überhaupt wahr nehmen kann, damit sie überhaupt existieren kann. Dieser Sinn produziert nun Wahrnehmung für eine Wahrheit, die es in Wirklichkeit nur dadurch gibt, dass diese selbst zum Objekt dieses Sinnes wird. Das objektive Gefühl hat sich darin aufgehoben, dass der Mensch seine Wahrheit durch einen Sinn erfäkrt, der seine Wahrheit in der Wahrnehmung selbst produziert, also die zwischenmenschlichen Verhältnisse durch die Inhalte seiner Liebe bewirkt, die ihn in seiner Ausgeschlossenheit auch ausschließlich bestätigen und bestärken. Es ist eine Liebe, die gegen sich selbst gerichtet ist und in der Gegnerschaft zu sich Beziehung zu anderen Menschen sucht.

Dieser Sinn ist aber selbst auch von der sinnlichen Existenz eines Menschen bestimmt und ist in seiner Kraft auch hierin beschränkt, wirkt nicht unentwegt. Was ein Mensch sinnlich gegen sich hat, das tritt nur als Vorwegnahme auf, als eine Kraft, die diese Gegnerschaft in ihm selbst auflöst, die seine Selbstenfremdung versinnlicht und sich doch zugleich als Sinn erhält. Sie scheint daher auch oft nur in Intervallen zwischen Entfremdung und Versinnlichung zu existieren. Die Sinne, welche die Wahrnehmung ausmachen, sind in zwei gegensinnige Seinsweisen zerfallen. Wirkliche Sinnlichkeit ist durch sie selbst ausgeschlossen. Wirklichen Sinn kann es nur zwischen den Zuständen der Wahrnehmung geben, als völlig gegensinnige sinnliche Wirklichkeiten, die einen Sinn verwirklichen, der von der Selbstwahrnehmung nicht nur getrennt ist, sondern sie selbst als dieser abgetrennte und abstrakte Sinn bestimmt, für sich also sinnlos, wiewohl Subjekt aller sinnlichen Beziehungen ist.

Ein vom Menschen vollständig abgetrennter Sinn kann aber nicht wirklich sinnlos sein, eben weil er Sinn hat. Er treibt eigenartige Wirkungen hervorvor, welche die Wahrnehmung in ihrer Form bestimmen und welche der Form nach durchaus eine Absicht einlösen, die einen Frieden verschafft, der letztlich eine sinnliche Objektivität befriedigt, eine Art Heimat in einem an und für sich sinnlosen Lebensraum dadurch hat, dass er sich gegenständlich macht, sich in anderem formiert, sich durch Entgegenwärtigung dieses Anderen vergegenwärtigt. Wie eine seelische Absicht, die keinen Sinn mehr hat, wirkt in der Wahrnehmung selbst eine sinnliche Kraft, die sie in dieser eigenartigen Sinngebung zu solcher Indentitätsfindung antreibt.

Dies ist die Form, worin objektive Gefühle subjektiv ertragen werden. Was in den Perversionen sich noch in gespaltenen Wirklichkeiten - wenn auch nur der Form nach - gewinnen konnte, wird nun zu einem inneren Kampf, in welchem die Wahrnehmung ihre eigene Gegenwärtigkeit aufheben muss und in welchem sie als eine wirklich zwiespältige Wahrnehmung absolut wird. Was die Perversionen noch vergegenwärtigt hatten, wird nun unter der Bedingung, dass sich Menschen als Mittel ihrer verobjektivierten Sinne auch wirklich wahrhaben, zu einer zwiespätigen Gegenwart ihrer Wahrnehmung selbst.

Zwiespalt kann nicht gelebt werden. Er besteht als prozessierende Selbstzersetzung in einem unendlichen Gezeter um die Wirklichkeit eigener Gegenwärtigkeit, also um das Auf- und Untergehen von wirklicher Wahrnehmungsidentität. Dieser Kampf findet still statt und bewegt sich nicht mehr in der Wahrnehmungswelt selbst, sondern außerhalb von ihr als Verhältnis der Selbstvergegenwärtigung in der Wahrnehmung. Es ist im Grunde ein Kampf um die eigene Wahrheit, um eine Identität, die durch die beständige Entgegenwärtigung des Wahrnehmungsvermögens zugrunde geht und sich bis zu ihrer vollständigen Ungegenwärtigkeit in den Irrsinn treiben lässt.

Innerhalb des objektiven Selbstgefühls hat sich das Selbstgefühl praktisch von allen Seiten her aufgehoben und ist von daher auch wirklich unwirklich geworden. Die Perversionen waren nur die erste, noch verzweifelte Form, worin sich ausgeschlossene Sinne noch ganz einseitig geltend gemacht hatten. Der Verwirklichungsprozess der entfremdeten Selbstwahrnehmung hat insgesamt eine sinnliche Objektivität zum Resultat, in welcher das, was in den Verhältnissen geborgener Sinne eigentlich als reine Subjektivität erworben werden sollte, nun objektiv erscheinen kann: Die Unerreichbarkeit einer heilen und unberührbare Selbstwahrnehmung, einer unendlichen Selbstgefühligkeit, die alle Sinne antreibt und sie zugleich in ihrer Wahrnehmungsform entgegenwärtigt, also unheimliche Wirkung hat..

Das geborgende Leben erfordert einen hohen Tribut, welcher in der Selbstauflösung betrieben wird, wenn die Lebensburg nicht überwunden werden kann, also endlos bliebe als "Innenleben" eines durch seine Selbstwahrnehmung geborgenen Menschen. Er betreibt seine zwischenmenschliche Beziehung als ein Verhältnis gegen sich und doch in der Verwirklichung aparter Regungen, die als solche keinen Sinn zu haben scheinen, aber durch ihre Wirkung in der Lage sind, sich die Anwesenheit anderer Menschen für sich einzuverleiben. Es entstehen Bindungen, die an und für sich endlos sind, weil ihr Subjekt nicht wirklich existiert, die aber zugleich sich permanent selbst überwinden, weil die darin eben ihren ausgeschlossenen Sinn auch ausschließlich verwirklichen.

So ist aber auch die Überwindung der darin gezeugten objektiven Gefühlswelt äußerst komplex und also auch so kompliziert, wie sich die Verhältnisse darin objektiviert haben. Der unendliche Selbstverlust droht dem, der sich darin zu bewahren sucht und seine Wahrheit nurmehr als Verwahrung in diesem Lebensraum bestätigt haben kann, dass ihn dies zur Verzweiflung treibt. Der Selbstzweifel bestätigt die Zweifelhaftigkeit seiner Wahrnehmung, den Zwiespalt seines Lebens überhaupt Es handelt sich daher bei diesem Selbstverlust nicht um eine Verdrängung, um ein unglückliches Begehren, wie das von seiten der Psychoanalyse behauptet wird, sondern um einen Sinn, der nur Sinn hat, wenn er sich gegen die sinnliche Gewissheit seiner objektiven Verzweiflung durchsetzen kann.

Meist treten die wirklichen Probleme, also die Probleme, worin die Entgegenwärtigung der Wahrnehmung durch ausgeschlossen Sinnlichkeit wirklich wahr wird, die so genannten psychischen Symptome, in den Ablösungsphasen auf, welche gerade den Sinn besonders lebhaft machen, der von den eingeschlossenen Sinnen bis dahin bedrängt war. Die Wahrnehmung solcher Verhältnisse kann nicht einfach und selbsttätig wirklich subjektiv sein, gerade wo sie ihre Objektivierung als Lebensraum verlässt. Sie ist für sich selbst unmöglich geworden, weil der in diesen Verhältnissen ausgeschlossene Sinn zugleich für sich selbst ausschließlich sinnlich werden muss. Sie wird doppelsinnig und lässt hierdurch ihre Selbstentfremdung erst überhaupt wirklich werden. Die Entrückung der Menschen von sich selbst hat sie im Grunde verrückt gemacht. Doch es ist alleine die Verrücktheit ihrer Lebensräume, die Formationen ihrer Kultur, die sie in ihrer Verrücktheit auch leiden kann - eben so lange, bis ihre Verzweiflung durch zwischenmenschliche Verhältnisse überwunden wird, in welcher sich Selbsterkenntnis verwirklichen lässt.

 

Weiter mit Buch II: 223. Verrücktheiten, Wahnsinn und Irrsinn