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230. Einleitung in eine Theorie der Selbstenfremdung im Selbstverlust einer ausgeschlossenen Sinnlichkeit

Die aus der Selbstbeziehung des bürgerlichen Subjekts notwendig gewordene Symbiose seiner Selbstbehauptung wirkt nun durch die Verhältnisse der symbiotische Selbstbehauptung auf die Selbstwahrnehmung eines jeden einzelnen Menschen. In seinen hart umkämpften zwischenmenschlichen Beziehungen ist er im Grunde schon verloren, wenn er deren an und für sich entrückten Beziehungen nicht entsprechen und genügen kann. Es war in diesem zweiten Band der Kritik der politischen Kultur ein Lebensverhältnis entwickelt worden, in dem das Leben selbst in die Pflicht genommen wurde Es muss "bewältigt" werden, um in der Welt zu sein und wurde zu einer Pflichtausübung der Erziehung in Lebensverhältnissen, die unntwegt vom Selbstverlust bedroht sind und zu einer Lebensform der Lebensangst geworden sind.

Diese entzieht den Menschen ihre Welt und macht die Welt zu einer übermächtigen Persönlichkeit, die ihre Selbstgefühle an sich durch Eingewöhnung und Wohnen anpasst und durch die sie sich von sich selbst entfremden. Die Wahrnehmung hat ihre Selbstgefühle aufgespalten und sich zu einer Lebensangst entwickelt, die sie in eine äußere und innere Seite so aufspaltet, wie sich ihre Spaltung in den Ereignissen der zwischenmenschlichen Selbstvergegenwärtigungen sowohl von innen wie von außen ausgebildet hat. Ihre Beziehung zu ihrer Wirklichkeit, ihre gegenwärtige Selbstbeziehung, wird auf diese Art ihrem Sinn für andere entrückt und in ihrem Eigensinn, in ihrem Sinn für sich selbst fremd, verrückt. Diese Selbstentfremdung stellt sich nun je nach den Bedingungen und Positionen ihrer Erziehungsverhältnisse in drei unterscheidbaren Formen entäußerter Selbstwahrnehmungen dar: als Wahrnehmungszustände einer entäußerten Symbiose, als Zwangsverhalten einer entäußerten Selbstbehauptung und als im Wahnsinn bezwungene Selbstbehauptung.

Die einen nennen es "Psychische Krankheit", die anderen "Abweichendes Verhalten" und wiederum andere "Seelische Krise", "psychische Defizite usw. - je nachdem, wie und warum sie das beurteilen, was sie als Störung im Maßstab eines "normalen Verhaltens" behandeln wollen (siehe hierzu auch "Was heißt da: Psychisch krank?"). Allen gemein ist, dass sie das Individuum selbst als gestört ansehen, weil es an etwas aus sich heraus leidet, was andere nicht leiden müssen und deshalb oft auch nicht leiden können.

Tatsache ist immerhin, dass die hiervon Betroffenen oft ohne fremde Hilfe nicht aus ihren Nöten herausfinden, dass es also eigene Institutionen dafür gibt, sie aus einer ihnen fremd gewordenen seelischen Zwangslage herauszufinden. Und das macht dann schließlich auch wirkliche Selbstentfremdung aus. Es ist eine Entfremdung von den eigenen Sinnern, den Organen der Erkenntnis schlechthin, die auch unmittelbar wie ein fremdes Leiden erfahren wird. Doch so fremd ist das garnicht. wenn man in die Stadien seiner Vermittlung Einblick gewinnt. Eines stellt sich dabei irgendwann immer heraus: Der betroffene Mensch mag zwar der Akteur gestörter Wahrnehmungsverhältnisse sein; aber die Störung ist nicht durch ihn begründet. Er vollzieht durch sich, durch seine Wahrnehmung und Selbstwahrnehmung längst vergangene Verhältnisse, die sich in ihm durch seine Erinnerung "eingegraben" und fixiert haben.

Die Frage ist an dieser Stelle, wie das möglich ist, wie ein Wahrnehmung, bzw. Selbstwahrnehmung dahin gelangen kann, dass es sich selbst als fremd begründet erleidet und wie durch inen inneren Trieb verursacht Bestimmungen folgen muss, die nicht wirklich sinnig zeu sein scheinen, die von daher auch im öffentlichen Verhältnis nicht wirklich sinnvoll sind. und eine weitere Frage läuft drauf hinaus, was dieses scheinbar "innere Leiden" mit der wirklichen Welt und den dort sich verhaltenden Leidenschaften zu tun haben kann. Es ist ja schließlich auf Dauer nicht zu übersehen, dass es sich nicht unmittelbar aus den wirklichen Lebensverhälnissen erklären lässt, wohl aber doch damit zu tun hat. Man muss es daher zwar nicht als Abweichung von irgendeiner Normalität klassifizieren, wohl aber als ein besonders abgeschlossenes, weil besonders verschlossenes psychisches Leiden anerkennen. Seine Ausschließliche Wirkung auf die sinnliche Gewissheit verrät ja schon vor aller Erkenntnis, dass es durch ausgeschlossene Sinne bewirkt sein muss.

Um uns den Prozess dieses Ausschlusses vor Augen zu führen, müssen wir dessen Entstehungsverhältnisse im Zeitverlauf vergegenwärtigen. Die Psyche ist durch ihre Verinnerlichung im Grunde zeitlos. Aber das Resultat ihrer Erinnerungen, ihr Gedächtnis, lässt sich durchaus auf die Zeit seiner Entstehung erkennen. Im ihrem Verlauf werden die Formbestimmungen ihrer Organe in ihrer Veränderung durchaus unterscheidbar, besonders in ihrem Wachstum, wie es analog im Wachstum der Sinne, in der Sinnbildung im Laufe jeder Ontogenese besonders im Verhältnis der Generationen und Geschlechter zustande kommt. Der neugeborene Mensch ist zunächst ziemlich unbelastet von den gesellschaftlich wirklichen Verhältnissen und zeigt an sich selbst von daher noch objektiv ihre Wirkung auf die Menschen, bevor sie selbst in diese auch subjektiv eintreten. Das ontogene Wachstum der einzelwesen Mensch zeigt in ihrer Differenziertheit die vielfältigen Möglichkeiten der psychischen Formatierung in der bürgerlichen Gesellschaft. Vom Resultat her lässt sich sagen und zeigen, was das erwachsene Leben durch seine Selbstwahrnehmung einfängt und beschränkt. Es lassen sich darin leicht die Folgen bürgherrlicher Selbstbeschränktheit zeigen, die Folgen einer mächtigen Selbstisolation, die Resultate einer Kultur, die sich in Lebensburgen vor der Welt schützten muss, der sie entsprungen ist. War dies schon der Grund einer Wendung der Selbstwahrnehmung gegen die Wahrnehmung, so wird sie nun zu einer Verkehrung der Selbstwahrnehmung überhaupt. Wir hatten den ersten Schritt hierzu ja bereits in den Perversionen kennengelernt, wo es noch um eine Wendung der Empfindung gegen ihre Existenzform in einer absolut gewordenen zwischenmenschlichen Beziehung, in einer erzieherischen Beziehung ging. Jetzt geht es um deren Ausschluss und Abschluss, der die psychischen Bezogenheiten in ihrer Lebensmächtigkeit total werden lässt.

Die Psyche hat sich in den erzieherischen Beziehungen, wie sie besonders in der Kindheit und Jugend und durch die geborgenen Lebensverhältnisse der Generationen z.B. in der Familie tragend sind, Absichten angeeignet, die den Ausschluss von bestimmten Eindrücken und Empfindungen und Gefühlen betreiben, um die Selbstwahrnehmung der eigenen Persönlichkeit im Ganzen so zu bewahren, wie sie bisher aus diesen Beziehungen hervorgegangen war. Doch nun tritt sie in eine Welt, in der diese Ausschließlichkeit nicht so ohne weiteres gelingen kann. Sie reagiert auf der Grundlage ihrer gewohnten Lebensverhältnisse in ihrer eigenen Art und Weise so, dass die zwischenmenschlichen Verhältnisse, in die sie außerhalb ihrer erzieherischen Bezogenheiten tritt, sie nicht gefährden oder auflösen. Die Psyche kann eben nur soweit sich bewahren, wie sie ihre Absichten auch verwirklichen kann, und verschafft sich von daher auch Selbstwahrnehmungen, die nur dieser Bewährung, also der ausschließlichen Fähigkeit ihrer ausschließlichen Selbstgefühle dienen und nützen. Von da her arrangiert sie sich Verhältnisse der Wahrnehmung und Selbstwahrnehmung, in der sie sich behaupten kann. Was sie dabei aber wahrhat, ist ihr insoweit fremd, wie dem ihre Absichten fremd sind. Soweit erscheint dies ihr nun gänzlich entzogen, entspringt einer Wahrheit, die außer ihr verblieben ist, weil sie deren Sinn nicht aufnehmen kann. Aber dies wird nun in den Verhältnissen der Selbstveräußerungen als Entäußerung ihrer sinnlichen Gegenwärtigkeit wirksam. Der ausgeschlossene Sinn mischt sich von daher in die Wahrnehmung diese nichtend ein, indem sie ihr den Sinn für ihre Wahrheit entzieht und sie verrückt macht.

Das geborgene Leben war ja bereits dadurch entstanden, dass es sich gegen das wirkliche Leben der egozentrischen Persönlichkeit stellen musste. Die Geborgenheit der zwischenmenschlichen Lebensverhältnisse war hierfür notwendig. Sie hat aber in der darin bestimmten Symbiose Lebensformen hervorgebracht, in denen sich menschliche Beziehungen zwar persönlich gestalten ließen, in denen aber auch eine subjektive Identität in einem wirklich menschliche Zusichkommen ausgeschlossen ist, weil es schon in einem objektiven Selbstgefühl in der Getrenntheit von ihrer Wirklichkeit vorbestimmt war.

In dieser Geborgenheit konnte sich das Leben durch die Ergänzung gegensinniger Identität immerhin auch wirklich beziehen - allerdings in Verhältnissen, in denen subjektive Bezogenheit einer objektiven Wirkung der Gefühle unterworfen bleibt. Das objektive Selbstgefühl hatte daher Beziehungen von Menschen bestimmt, die sich in Wahrheit ausschließen und nur durch Erziehung vereint sein konnten. Aber die Fremdidentität, welche hierdurch entstanden war, hatte die Selbstwahrnehmung zu einem Lebensraum pervertiert, in welchem ihre Gefühle und Empfindungen gegeneinander verkehrt wurden. Das Selbstgefühl wurde selbst zum Raum, zur räumlich identischen Form seiner Objektivität und hat sich als darin herrschendes objektives Selbstgefühl die Selbstwahrnehmung zur Veräußerung gezwungen, zu einem Dasein, das die eigenen Gefühle ausschließt (Angstprobleme und Depressionen), die eigenen Empfindungen zum Gebot einer fremden Notwendigkeit werden lässt (Zwangsprobleme) oder das Selbstgefühl als mehr oder weniger totale psychische Macht gegen sich wendet (Wahnsinn).

Die Selbstwahrnehmungen kreisen nun als Identitätsstrukturen zur Ergänzung der jeweils ausgeschlossenen Sinne ineinander, die der Symbiose ihrer Entstehung entsprechen. Aber diese Ergänzung findet nicht mehr in den Menschen, sondern in ihrer Wahrnehmung jenseits ihres Erkenntnisvermögens statt, die als Gedächtnis ihrer Psyche noch dem Gemäuer ihres Selbstgefühls folgt und dieses Heim unheimlicher Verbindungen selbst zu einem Umstand der Gefühle werden lässt, die durch Empfindungen nichtig werden können (z.B. Depressionen), weil sie in ihren Gefühlen keinen Sinn mehr finden, empfinden und haben. Und sie können auch die Empfindungen zu einer eigenen Gefühlswelt bis ins Unendliche fortspinnen, weil und wordurch jedes Selbstgefühl ausgeschlossen wird und Gefühle sich zu Zwangsproblemen (z.B. Angst vor Verunreinigung) verselbständigen können und sie können zu einer Macht ihrer Unheimlichkeit werden, indem sie die Verhältnisse der Wahrnehmung selbst totalisiert (z.B. Wahnsinn). Was die Menschen in solchen Beziehungen vor sich selbst bergen und verbergen müssen, um damit leben zu können, ist der Mangel ihrer eigenen Identität, die keine Gegenwart finden kann. Ihre Gemeinschaft in objektiv gewordenen Gefühlen ist ihnen hierfür notwendig. Doch solche Gefühle haben Wirkungen, die nicht einfach sind.

Die doppelte Wirklichkeit des objektiven Selbstgefühls hatte ja schon zwischen den Eigensinnigkeiten und Gemeinsinnigkeiten eine Hörigkeit bewahrheitet, worin die Menschen leiblich füreinander letztlich objektiv notwendig und in eine ausschließlich sinnliche Beziehung geraten waren. Sie hatten durch die hierin gegründete objektive Wahrnehmungsidentität, durch die objektiv gewordene Selbstwahrnehmung, sinnlich von sich ausgeschlossen, was sie in ihrer Ausschließlichkeit wahrhatten. Ihre Wahrnehmung wurde von dem getrennt, was die Wahrheit dieses Verhältnisses als Ganzes ausmachte. Es war der ausgeschlossene Sinn, der nun ihrem Erkenntnisvermögen unzugänglich geworden ist. Von ihm haben sich ihre Gefühle entrückt. Also nicht, weil sie miteinander zu tun haben oder ihre Erkenntnisse teilen, sondern weil sie ohne einander von ihren Gefühlen verrückt wären, wenn sie in ihren Wahrnehmungen isoliert sind. Es können aber solche Verhältnisse nicht unendlich gelitten werden.

Sobald Menschen aus diesen Verhältnissen heraustreten und aus sich und ihren Wahrnehmungen heraus Beziehungen gründen, kehrt sich das objektive Gefühl, welches diese Verrückung begründet hatte, in eine Subjektivität um, in welcher das Entrückte tätig wird, indem es die körperliche Gegenwärtigkeit bedrängt und die Wahrnehmung hierdurch Identitätsverlust erleidet. Die Wahrnehmungsidentität selbst ist bedrängt durch Wahrnehmung, weil sie eine ungegenwärtige Identität, eine ungegenwärtige Körperlichkeit aus dem Entrückten erfahren muss. Das Einverleibte kehrt sich um und entleibt die Wahrnehmung selbst. Eine entrückte Wahrnehmungsidentät hat sich zu einer Kraft gegen die Wahrnehmung selbst totalisiert und zwingt sie zum Zwiespalt gegen ihre gegenwärtige Wahrheit. Die eigenen Gefühle werden von ihren Empfindungen bedrängt und geraten durch ihre Ausschließlichkeit in eine Negativität, die ihre Gegenwärtigkeit bestimmt. Der ausgeschlossene Sinn wird somit in seiner unwirklichen Wirkung wahr, indem er wirkliche Gegenwart für die Wahrnehmung unwirklich macht, sie entgegenwärtigt.

Verrücktheit ist das Resultat einer systematisierten Selbstentfremdung, einer sinnlichen Verrückung durch objektive Gefühle, worin Menschen im Lebensraum ihrer zwischenmenschlichen Beziehung bestimmt waren und ihre Beziehungen in diesem Sinn selbst bestimmen, - eben in dem Sinn beabsichtigen, den sie für sich leiden können. In ihren Gefühlen wurde Eigenes und Fremdes dadurch vertauscht, dass der Lebensraum als ausschließliche Lebensbedingung bestimmt war und die Menschen darin selbst zu Lebensträgern einer ihnen äußerlichen Lebenspflicht geworden waren. In der Fixierung aneinander hat sich ihre subjektive Beziehung zu einer objektiven Wahrnehmungswelt verkehrt, welche eigene Wahrnehmungen ausgeschlossen hatte.

Von daher ist auch die Beziehung subjektiver Identität durch objektive Einverleibung verkehrt und wird zu einer zirkulären Selbstbeziehung verkehrter Empfindungen, also zu einer negierten Empfindung, die sich in der Entgegenwärtigung der Wahrnehmung in der Weise durchsetzt, wie diese in der Symbiose der objektiven Selbstgefühle entleibt worden waren. Es entsteht der entsprechende Bedarf nach Einverleibung, welcher die Selbstempfindung - und damit die Aufmerkamkeit der Wahrnehmung - bestimmt. Die von dieser Negation betroffenen Menschen müssen um die Gegenwärtigkeit ihrer Wahrnehmung kämpfen, sich auf Beziehungen einlassen, durch die sie sowohl erfüllt wie beherrscht sind. Sie erreichen ihre besondere Selbstvergegenwärtigung zuerst durch ein bestimmmtes Verhalten zu sich selbst, in welchem sie Wirkung auf ihr unwirklich gewordenes Verlangen erfahren (siehe Perversion). Als wirkliche Subjekte erleiden sie die Entfremdung ihrer Wahrnehmung schließlich als Selbstentfremdung, zunächst als eine Wahrnehmungsidentität, die sich ihnen entzieht und den Drang zu diesem Selbstenztug wahrmacht (siehe Angst, Depression) oder dann durch die Negation ihrer Selbstvergegenwärtigung, die sich selbst gegen sie wie eine fremde Kraft durchsetzt und behauptet (siehe Zwang) oder am Ende der möglichen Selbstverstellung als völlig aufgehobene Gegenwärtigkeit der Wahrnehmung, deren Wahrheit nurmehr gewähnt wird (siehe Wahnsinn).

In der Verrücktheit wird die Versetzung und Pervertierung der Sinne in den Lebensburgen gelitten, welche die Menschen sich gegen die Lebensangst der bürgerlichen Kultur geschaffen haben. Sie setzt sich heraus aus der Konkurrenz der Selbstbezogenheiten als deren ausgeschlossene Wahrheit, die Menschen in den verstellten Wahrnehmungen darin wahrhaben.

Die Menschen stehen in solchen Beziehungen zueinander einerseits in ihrem objektiven Gefühl eng verschmolzen, symbiotisch und voller Innigkeit, zugleich aber auch völlig gegensinnig als wechselseitige Bedrohung eigener Wahrnehmungsidentität. Sie vergegenwärtigen ihre Innigkeit, indem sie ihre Wahrnehmung durcheinander entgegenwärtigen. Dabei wird ihre Wahrnehmungsidentität selbst nur scheinbar und lässt ihnen jede Gegenwart zu, in der sich der Inhalt ihrer Beziehung formalisieren lässt. Und das kann nur eine Gegenwart sein, in der sie im wahrsten und vielfältigen Sinn des Wortes aufgehoben sind, gut aufgehoben und schlecht aufgehoben zugleich.

Ihr Leben besteht in einem Widerspruch, in welchem die Menschen sich in ihrer Lebenswahrheit von sich selbst trennen: Ihre Wahrnehmungen haben eine doppelte Wahrheit, nämlich die des ausschließlichen und die des ausgeschlossenen Sinnes. Durch diesen haben die Menschen ihre doppelten Verhältnissen überlebt, sind aber mit diesem Überleben zugleich in der äußerst schmerzhaften Erkenntnis verblieben, dass sie nun selbst doppelsinnig sind.

Die Selbstgefühle sind überlebensnotwendig, um eigenen Sinn wahr zu haben. Aber sie haben ausgeschlosssen, was sie für sich nötig haben: Die Wirklichkeit einer zwischenmenschlichen Beziehung. Diese ist in der Objektivität der Gefühle zergangen, welche die Menschen in ihrer Gemeinsinnigkeit entleibt hatte. Sie sind von daher im wahrsten Sinne des Wortes selbstlos geworden und von ihrer Wahrnehmung selbst abhängig. Selbstgefühle schließen sich darin von selbst aus. Die Wahrnehmung wirkt nun selbst wie eine Lebensverpflichung, wie das Naturprinzip einer Beziehung, in welcher jede Erkenntnis sich zwischen Wahrheit und Wahrnehmung bewegt. Deren Wahrheit kann nicht unmittelbar aus der Wahrnehmung hervorgehen, sondern besteht in dem Widerspruch der Empfindungen, welche sich auf die Gegenstände der Wahrnehmung beziehen einerseits und den Gefühlen andererseits, in welchen Menschen sich selbst sinnlich wahrhaben.

Es sind damit die Grenzen der wirklichen Selbstwahrnehmung zergangen und was die Selbstwahrnehmung den Menschen an Sicherheit gegeben hatte, hat sich nun gegenüber anderen Menschen entgrenzt, sobald diese nicht mehr erkennbar sind, sobald also sich der Sinn für sie von sich selbst abstößt und ausschließt. Es ist die "Nachgeburt" des ausgeschlossenen Sinnes, dass jeder andere Mensch zur Aiutorität über die eigene Wahrnehmung geworden ist, sobals er sinnlich nicht mehr erschließbar ist. Es ist aber auch nur die Nachgeburt eines Verhältnisses in den Lebensburgen der Sinne, der eingeschlossenen Sinnlichkeit.

Wo die Menschen nicht mehr wissen, was sie wirklich füreinander sind, wie sie aufeinander durch ihre Selbstbezogenheit wirken, da verselbständigt sich die Seele in einem unendlich bestimmten Sinn, der aus dem Jenseits dieser Wirklichkeit unendliche Wirkung hat. Gerade dadurch, dass sich die wirkliche Selbstwahrnehmung aufgelöst, also nichtig gesetzt hat, hat sie ihren Sinn für das Wirkliche ihrer selbst ausgeschlossen. Hierdurch verbleibt die Wahrnehmung überhaupt als einzig bestimmmtes Verhältnis des Erkenntnisprozesses, in welchem dieser ausgeschlossene Sinn nun wirksam wird, als aus der Nichtigkeit und Vernichtung der Selbstwahrnehmung hervorgegangener Sinn die Wahrnehmung nach dem bestimmt, was sie nicht ist und nicht sein darf. Die Sinne der Wahrnehmung werden hierdurch zu etwas anderem, sie werden verückt. Sie stellen die Negation eines Gemeinsinns im Wahrnehmungsprozess eines Individuums dar, also nicht als Negation von Wahrnehmiungsinhalten (wie es etwa Freuds Unbewusstes behauptet), sondern aals Umkehrung ihrer Form und Absicht.

Für die Wahrnehmung ist es ihr aufgelöster Widerspruch, die Erscheinung einer Kraft, die stärker ist als ihr Vermögen, Wirklichkeit und Sein, Empfindung und Gefühl zu unterscheiden. Ein ausgeschlossener Sinn ist eine fremde Kraft, die ihre Eigentümlichkeit verloren hat, aber nicht ohne sie sein kann. Sie macht sich deshalb in dem Leben, zu dem sie gehört, geltend als Kraft der Bedrängung. Sie überbrückt ein Loch ihres Lebens durch den Sinn, der es auszufüllen hatte, der sich gebildet hatte, nur um im Nichts zu sein, etwas zu sein, was ohne ihn nichts wäre. Er ist im Gedächtnis der Sinne bewahrt, der nicht bedacht ist, aber Sinn stiftet, und wenn der auch nur darin besteht, die Sinne zusammen zu halten.

Durch eine Lebensveränderung, mit welcher die Lebensburg verlassen wird, beginnt er seine eigene Wirklichkeit zu entwickeln. Jetzt wirkt er als ein Sinn, der diese Nichtigkeit ausgehalten und ausgefüllt hatte, der nicht mehr nötig ist und in seiner Unnötigkeit als Kraft wirklich wird, ohne sich auf Wirklichkeit zu beziehen. Notwendigkeit hatte er für das Erkenntnisvermögen der Menschen, die ihre Entleibung in den Verhältnissen ihres Familiensinns überleben mussten. Er wendete dies, indem er sie befähigte, in einem Widersinn zu leben. Jetzt kehrt sich die Nichtigkeit des Widersinns als Kraft heraus, die sich gegen die Sinne der Wahrnehmung selbst wendet.

Nur solange er die wirkliche Wahrnehmung beherrscht, ist er in dem bestätigt, was ihn ausmacht, und was er macht und treibt, das macht ihn unerträglich. Er ist die Selbstbestätigung eines fremden Sinns in der Beherrschung des eigenen Erkenntnisvermögens, worin er seine Eigenheit aus seiner Entwicklung, seiner isolierten Geschichte hat. Die Wahrnehmungsidentität ist darin jenseits der Wahrheit, die sie für ihren Gegenstand hat. Was sie von ihm wahrhat, das nimmt sie in einer Form wahr, worin sie verschlossen ist, in einem Zustand, worin diese Wahrheit ihre selbständige Form hat, die allerdings so sich auch ihres wirklichen Sinns enthebt, ihn lediglich in seiner Verkehrung lebt.

Alles Unheimliche, was sich in der Lebensburg der bürgerlichen Kultur entwickelt hatte, führte dazu, dass sich in vergemeinschafteter Isolation zwischenmenschlicher Abhängigkeit und Geborgenheit die Menschen von ihrem Sinn füreinander entrückt haben. Die scheinhafte Identität der Verhältnisse ihrer vertrauten Gewohnheiten und Wohnlichkeiten hat sie sich selbst entfremdet, sich in ihnen aufgehoben.

Aber Sinn kann nicht einfach verschwinden. Er kann nur seine Gegenwart verlieren und sich in einen anderen Sinn wandeln, hintersinnig, verrückt und irrsinnig werden. In Lebensräumen, worin Gewohnheiten den Zusammenhang der Menschen ausmachen, hatten sich Eigensinnigkeiten entwickelt, die in keiner wirklichen Beziehung mehr zu einander stehen. Solcher Raum ist ein Heim, das den wirklichen Zusammenhang der Menschen darin verheimlicht. Jeder Mensch ist unter dieser Bedingung ein verheimlichter Mensch, dessen Gegenwärtigkeit keinen wirklichen Sinn mehr hat außer dem, was er für andere sein muss. Hierbei entsteht die Nichtigkeit als Sinn für sich, als Erleben dessen, was nicht ist. Das unkenntliche Leiden erzeugt eine eigene Wirklichkeit, welche die Selbstwahrnehmung überfällt, sie in einen Zustand treibt, worin sie unweigerlich hineingerät, solange sie sich selbst als Erleben vergegenwärtigt, sie sich selbst in dem wahrhat, was sie wahrnimmt.

So kommt es, dass das, was ihre Sinne belebt, zu ihrer Bedrängnis wird. Die bedrängte und in sich aufgehobene Wahrnehmungsidentität stellt sich daher zunächst als Angstzustand heraus, als ein Zustand, worin die Selbstaufhebung wahrgehabt wird und in der Wendung gegen sich zu einer Depression werden kann, die letztlich im Autismus aufgeht. Die flüchtige Wahrnehmungsidentität bestimmt sich aus der Wahrnehmung eines Jenseiten der wahrgehabten Wahrnehmung, als süchtiges Verlangen, das sich auch selbst gegen die Wahrnehmung stellen kann und sie dann zu bezwingen hat. Als Selbstgefühl, das sich darin entwickeln kann, erkennt sich die Wahrnehmung als verfolgt von einer fremden Identität, die sie bestimmt. Dies hat sie als Wahnsinn wahr und kann sich darin in den Irrsinn treiben, wenn der Wahnsinn der Lebensverfolgung zur Lebensgrundlage geworden ist.

Weiter mit Buch II: 231 Der Wahrnehmungszustand