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311. Das objektive Geschlecht (Die vernutzte Selbstwahrnehmung)

Die Selbstvergegenwärtigung der Menschen in den Verhältnissen ihrer Lebensburgen konnten auf Dauer den Sinn ihrer zwischenmenschlichen Beziehungen nur durch die Gegenwärtigkeit ihrer Persönlichkeit über ihre erzieherischen Beziehungen bewahren und bewähren. Ihre Beziehungen sind durch ihre Lebensbewertungen in der wechselseitigen Einverleibung ihrer persönlichen Eigenschaften und Fähigkeiten im Nutzen ihrer symbiotische Selbstbehauptungen bestimmt und verlieren ihren Sinn in der ausschließlichen Selbstbezogenheit ihrer Lebensburgen (siehe z.B. Familie). Durch die Ausschließlichkeit ihrer persönlichen Integrität in ihren geschlossenen und mehr oder weniger abgeschiedenen Lebensverhältnissen, durch die permanente Sinnentleerung der persönlichen Regeneration in zwischenmenschlichen Beziehungen wurden die Menschen wesentlich ihrer eigenen Wirklichkeit entrückt, sich selbst fremd und für einander verrückt. Auf Dauer müssen sie sich den Notwendigkeiten einer endlosen Selbstvergegenwärtigung unterwerfen, denn in den zwischenmenschlichen Verhältnissen der Einverleibung von fremden Lebensäußerungen entsteht Fremdes in eigener Wahrnehmung, entfremdete Selbstwahrnehmung, letztlich tote Wahrnehmung. Lebensangst bricht über eine aufgelöste Fremdidentität aus, verwirklicht sich in einem zirkulären, also tautologischen Bewusstsein (siehe auch reaktionäres Bewusstsein) durch die abstrakte Auflösung traditionierter Symbiosen. Dadurch wird eigene Identität sich selbst fremd und also eine Wahrheit des Selbstbewusstseins unmöglich gemacht (siehe hierzu Buch II "230. Einleitung in eine Theorie der Selbstenfremdung im Selbstverlust einer ausgeschlossenen Sinnlichkeit").

In einer Wirklichkeit, die sich nur durch die Interpretation ihrer Beziehungen vergegenwärtigen kann, entsteht ein systematischer Mangel an Gegenwärtigkeit. In der individuellen Angst der Selbstentfremdung bietet die bürgerliche Familie zunächst einen persönlichen Rückzug aus dieser Welt und begründet somit den Lebensraum eines persönlichen Verhältnisses einer zwischenmenschlicher Beziehung, durch die alle Beziehungen außerhalb mehr oder weniger gründlich ausgeschlossen werden und worin durch die Beziehungen zwischen den Familienmitgliedern ihre Gesellschaft als ihre Außenwelt wahrgenommen wird. Sie müssen daher ihre intime Gemeinschaft hiergegen abschirmen und sich ausschließlich schon durch ihr blankes Leben behaupten (siehe Selbstbehauptung), weil sie es vor allem darin vergegenwärtigen können. Die bürgerliche Familie scheint diese zu gewähren oder zu sichern. Die mittelbaren Folgen sind allerdings zwischenmenschlicher Beziehungen der symbiotischen Selbstbehauptung. Darin herrscht ein ausschließliches Nutzungsverhältnis der Selbstgefühle im Zweck einer allgemeinen Selbstwahrnehmung. Deren Nutzen hat eine eigenständige Bewandnis.

So sehr er dem einzelnen Subjekt dienlich ist, so verbleibt im Nutzen allgemein dennoch nur die Objektivität des Gebrauchs, Verfügung über dessen Sache bis zu ihrem Niedergang, ihrer Nichtung. Soweit ihm diese Beziehung gleichgültig bleibt zergeht die Not der Bedürfnisse, deren Notwendigkeit es befriedet, indem diese sich im bloßen Vernutzen entgegenständlicht. Was im Nutzen verbraucht wurde existiert kulturell als Brauch seiner Gewohnheit fort (siehe Brauchtum), worin sich sein Sinn getrennt von seiner Nützlichkeit - also abstrakt – fortsetzt (siehe abstrakt menschlicher Sinn).

Durch die selbstsüchtige Beziehung eines Subjekts auf seinen Gegenstand ist dieser durch seinen Nutzen begründet und unterbricht im Verbrauch lediglich sein Verhältnis hierzu. Mit dessen Verbrauch verbleibt der Zusammenhang lediglich in der Abstraktion seiner Existenz durch all das, was durch seineAbwesenheit sich als ein gesellschaftlicher Mangel herausstellt, weil er nicht mehr funktioniert. Darin löst sich sein konkreter Sinn im Ungewissen auf, überhebt sich gegen sein Material im leeren Frieden mit sich selbst, als Bild einer konservierten Befriedigung in seiner Erinnerung (siehe Konservatismus). Aber das Bedürfnis weiß darin nichts mehr über das Objekt seiner Beziehung, verbleibt für sich ohne sinnliche Gewissheit seines Verzehrs, weil es durch dessen Einverleibung einfach schon zufrieden ist. Im Allgemeinen wird es durch die Selbstlosigkeit einer ihm fremden Wirklichkeit auf sich zurück gedrängt und auf sein Selbstgefühl verwiesen.

>Wer eine Sache oder Menschen für sich benutzen kann herrscht darüber, ist Subjekt derer Nutzung. Von daher ist Nutzen ein Herrschaftsbegriff (siehe hierzu auch Nützlichkeit), auch wenn er wechselseitig, also in wirklichen Verhältnissen objektiviert ist. Durch seine Entgegenständlichung in der wechselseitigen Vernutzung verliert allerdings jeder Gegenstand - auch ein Mensch – seine Wirklichkeit, wird selbst unwirklich. So auch im Nutzen zwischenmenschlicher Beziehungen: Wenn der Eine den Anderen benutzt und ihn für sich nutzt, wird er zugleich von ihm vernutzt, als Subjekt unterliegt er seiner eigenen Objektivität im Nutzen seiner Lebensverhältnissen (siehe hierzu auch Selbstentfremdung). Und so heben beide sich in ihren wechselseitigen Wirkungen ihrer Subjektivität, in ihrer wechselseitigen Negation durch die objektive Wirklichkeit ihrer Vernutzung auf (siehe Entwirklichung).

Durch ihre allgemeine Entwirklichung erzeugen sie eine Scheinwelt. Und darin töten sie zugleich ab, was sie erzeugen, sowohl in der Wirklichkeit ihrer Gesellschaftlichen Vermitlung – z.B. abstrakter Arbeit als Tatsächlichkeit einer toten Arbeit, wie auch in der Wirklichkeit abstrakter Wahrheit als bloße Gegebenheit der Wahrnehmungen in den Verhältnisseneiner entwirklichten, also toten Wahrnehmung.

Lebensangst ist eine Angst, die ihren Gegenstand nicht kennt, weil seine Entwirklichung selbst schon strukturel verwirklicht ist, weil sie eine Angst um die Nichtigkeit ihrer Existenzform ist, Angst vor einer abwesenden Macht ist, die ihre Entwirklichung dadurch bestimmt, dass sie in der Psyche die objektive Strukturierung ihrer Lebensverhältnisse für sich selbst subjektiv strukturiert, und also die Struktur ihres Lebens über ihr Selbstgefühl in sich selbst psychisch verdoppelt hat. Als diese gedoppelte, als subjektive wie objektive Angst wird die Wahrnehmung selbst von einem subjektiven Objektivismus bestimmt, in dem sie ein Heil im Kampf gegen ihre Objekte sucht. Aber es ist ihr dadurch zugleich unmöglich, ihre Erlösung über ein Bewusstsein ihres objektiven Unheils zu erlangen (siehe Heilserwartung). Die Unwirklichkeit ihrer Wahrnehmung entwickelt das Fiasko einer unwirksamen, einer abgetöteten Wahrnehmung, die sich dem Potential ihrer Erkenntnis entgegenstellt.

Lebensangst ist daher eine Angst, die ihren Gegenstand nicht kennt, weil seine Entwirklichung selbst schon strukturel verwirklicht ist, weil sie eine Angst um die Nichtigkeit ihrer Existenzform ist, Angst vor einer abwesenden Macht ist, die ihre Entwirklichung dadurch bestimmt, dass sie in der Psyche die objektive Strukturierung ihrer Lebensverhältnisse für sich selbst subjektiv strukturiert, und also die Struktur ihres Lebens über ihr Selbstgefühl in sich selbst psychisch verdoppelt hat und darin die Wahrnehmung als Ganzes entgegenwärtigt ist.

Vom Standpunkt eines Individuums (siehe auch Individualismus) erscheint es vielleicht verrückt, wie und warum sich Menschen in der Masse ihrer versammelten Gefühle vergessen, bzw. ihre Selbstvergessenheit (siehe hierzu auch Seinsvergessenheit) im Kollektiv einer Welt voller Selbstgefühle kultivieren (siehe Kult). Doch einem solchen Individuum ist vielleicht entgangen, dass auch seine Selbstgefühle zu einem großen Teil ein objektives Selbstgefühl reflektieren, das sich im Kult der Ereignisse seiner bevorzugten Beziehungen und Lebensäußerungen, in den Liebhabereien seines Kulturkonsums breit gemacht hat. Aber natürlich hat es die Masse der Anderen zu fürchten, die in den Stadien der Freizeitindustrie, in den Wahlkabinen der repräsentativen Demokratie, in den Ressentiments der Politik und ihrer Medien oder in der Gerüchteküche der Nachbarschaften Recht schaffender Bürgerinnen und Bürger über die Maßen laut und deutlich werden. Es ahnt vielleicht nicht mal, dass dies alles nur ein spärlicher Ausschnitt eines massenhaften Selbstverlustes eines ästhetischen Willens ist, dass es das allgemeinste Resultat der Lebensverhältnisse einer abgetöteten Wahrnehmung (siehe tote Wahrnehmung), der Selbstlosigkeit ihrer Empfindungen entsprungen ist. Vielleicht sehnt auch jedes vereinzelte Individuum sich längst heimlich nach der heilen Welt, die in seinen zwischenmenschlichen Verhältnissen erkundet wird, wo nichts anderes mehr für wahr genommen werden kann, wo bloße Gemeimsinnigkeiten herrschen (siehe auch Familiensinn).

In den Verhältnissen der Selbstgefühle entstehen mangels substanzieller Inhalte immer wieder Zweifel an der Gewissheit ihrer zwischenmenschlichen Beziehung, weil darin die Position der einen Beziehung immer nur die Form für den Inhalt der anderen, wie auch umgekehrt diese bloße Form ihres Andersseins, unerfülltes Verlangen nach der Änderung ihrer Inhalte sein kann. Der ästhetische Wille verlangt daher nach einer allgemeinen Form ihrer subjektiven Wirkungen, nach einem objektiven Gefühl, in dem sie für sich und allen gemein dargestellt sind, um sich schließlich in einem objektiven Selbstgefühl zu verallgemeinern, das die Menschen nurmehr in dem erkennen können, was es mit ihnen macht un wozu es sie zu einm Massengefühl treibt (siehe auch Trieb).

Erbrachte noch im ersten Band dieser Entwicklung des Begriffs der politischen Wahrnehmung eine flexible Persönlichkeit in narzisstischen Beziehungen, so wird diese nun gänzlich darin verschwinden, dass sie nur durch eine gesittete Kulturverbindlichkeit unter Menschen sein kann, dass sie also in der Bindung an die gesellschaftliche Selbstüberhöhung ihrer persönlichen Selbstveredelung nur sich behaupten kann. So kommt es, dass gerade diese Felexibilität zu einer Herrschaftsform des Allgemeinen wird. Niemand hatte das bisher besser beschrieben als George Orwell, der darin den "Großen Bruder" entwickelt sah. Er war nicht als eine wirkliche Persönlichkeit entstanden, sondern als bloßes Diktat einer Masse von gesellschaftlichen Ungewissheiten.

Die Masse an sich gibt es nämlich nicht wirklich. Sie besteht lediglich aus der Anhäufung von einzelnen formlos gewordenen Existenzen, also aus der Überzahl gleich geltender Inhalte (siehe Gleichgültigkeit), als Formation einer Energie, die durch die Häufigkeit ihrer beliebigen Erscheinungsweisen sich verselbständigt und zu einer Abstraktionskraft wird. Sie ist ein Gemenge abstrakter Beziehungen, deren Sinn sich im Zweck einer körperlichen Verdichtung aufhebt und zu einer leibbhaftgen Abstraktionskraft wird. Darin vereinigt sich die Kraft der Menge im Maß der Dichte ihrer Ungewissheit, der Abwesenheit ihrer wirklichen Bezogenheiten durch die Gegenwärtigkeit bzw. Anwesenheit ihrer abstrakten Elemente, ihrer Begriffssubstanz. Masse wird darin zur Beschreibung einer unbestimmten Quantität, die Vermengung von Vielem durch ihre Verallgemeinerung in einem bestimmungslosen Zusammengehen unterschiedlichster Qualitäten, die nur durch ihre Dichte über eine Kraft ihrer Wirklichkeit verfügen. Vieles wird auf diese Weise zu einem Gemenge wie etwas Ganzes, das nichts Ganzes zum Inhalt hat, sondern gerade hiervon abstrahiert. So bekommt jede Masse eine eigene Substanz ihrer Form, die als Formbestimmung durch die Abstraktionskraft ihrer Begriffsssubstanz sich aus ihrer bloßen Masse mit einer unbestimmten Kraft aufdrängt (siehe Begriffsgröße), die dadurch leicht "von Sinnen" ist, sich durch ihre Verdichtung zu einer inneren Gewalt verselbständigen, die schließlich nurmehr technokratisch zu beherrschen ist.

Alle kulturellen Verhältnisse von Persönlichkeiten der Selbstwahrnehmung werden früher oder später hierin zu einem kultiverten als einem kulturbestimmten Leben erweckt und können ihre persönliche Wahrnehmung in und mit der allgemeinen vergleichen und angleichen und hierdurch für sich selbst gleichgültig werden. Sie tauschen die Funktionen ihrer Sinne in ihrer zwischenmenschlichen Gesellschaft aus und vermengen ihre Gegenwart im Anschein ihrer ganz persönlichen Geschichte, mit den Formbestimmungen ihrer Vergangenheit zu einer Genealogie ihrer Individualität, die ihre wirkliche Gesellschaft an der Garderobe ihrer objektivierten Körper, an die Organisation eines allgemein veräußerten ästhetischen Willens aufgegeben hat. So treten sie nun zwar aus ihrer Isolation heraus, - allerdings ohne diese aufzugeben. Sie heben diese lediglich in Beziehungen auf, worin es ihnen gelingt, sich in ihrem Erleben herauszuheben, als existente Persönlichkeiten ihrer Selbstbeziehung zu überleben. Denn dies allein schützt sie noch vor der allgemeinen Niedertracht, welche in der Herrschaft der Selbstigkeiten aufkommt. Die Menschen beginnen, sich dadurch fortzuentwickeln, dass sie eine überragende Existenz ihrer selbst mit einem Sinn füllen, der vor allem praktisch für das Überleben in solchen Verhältnissen ist.

Der ästhetische Wille tritt daher nun als eine Notwendigkeit der zwischenmenschlichen Verhältnisse auf, die vor allem durch ihre objektiv gewordenen Selbstgefühle funktionieren, in der sich durch die Teilhabe an den allen gemeinen Selbstgefühle das jeweils einzelne Gefühl ausrichtet und in seiner Erscheinungsform bestimmt. So wird der Körperfetischismus zur Scheinwelt einer Gesellschaft, die alle Sinne hiernach zu einem Lebensumstand verdinglicht, Sie vermitteln jetzt ihr Leben im Zweck eines besseren, eines höheren Lebens, einer erhabenen Sinnlichkeit. Nicht ihre Lebensäußerungen gestalten nun ihr Leben. In der Gestalt ihrer Lebensvermittlung erleben sie es wie gottgegeben.

Deshalb beginnen wir die Beschreibung der Oberfläche der politischen Kultur jetzt mit dem Anschein der einfachen Naturbestimmung einer kultivierten Sinnlichkeit. Diese besteht daraus, dass jede Persönlichkeit in ihren Begierden nun auch einfach und persönlich getrieben erscheint. Diese Getriebenheit (siehe Trieb) drückt sich in der Abwesenheit der nun in der Naturalform der Sinnlichkeiten der von der Wahrnehmungswelt bestimmten zwischenmenschlichen Lebensbedingungen. Die zwischenmenschlichen Beziehungen der kultivierten Persönlichkeit ist nun also wirklich das, was sie schon ihrem Wesen entsprechend war: Die entleibte Natur ihrer Absicht, die ihre Absicht als ihre Natur hat. Es sind keine abwesenden Sinne mehr, es ist eine entleibte Lebenswelt einer toten Wahrnehmung selbst, die nun ihre hieraus objektiv bestimmten Begierden selbst zu zwischenmenschlichen Notwendigkeiten entäußert hat. Sie sind zu einem notwendigen Verlangen naturhaft scheindender Bedürfnisse geworden, ihre Beziehungen in der Naturalform ihrer Sinne/lex.php?lex=gesellschaft" target="info">Gesellschaft nicht nur zu erhalten, sondern darin ihre Kultur zu naturalisieren. Hierzu werden alle Naturalformen der Sinne/lex.php?lex=gesellschaft" target="info">Gesellschaft durchlebt und deren Inhalte selbst zu einer zwischenmenschlichen Lebensform, z.B. zur Ehe und dergleichen, worin das Gattungsleben nun als rein natürliches Begattungsverhältnis erscheinen kann. Der Sinn aller Sinne ist der Geschlechtssinn, worin der Mensch auf sich selbst unmittelbar zurückkommt und wodurch er auch sich selbst zugleich erneuert, reproduziert und vermehrt. Hierin vollzieht sich diese naturhafte Rückbeziehung der zwischenmenschlichen Natur vollständig durch die Fetische ihrer körperlichen Anziehung, durch die sich tote Wahrnehmungen veräußern.

Eine tote Wahrnehmung ist eine Wahrnehmung, die ihre Herkunft aus dem wirklichen Leben von sich ausgeschlossen hat, die also ausschließlich eine entäußerte Wahrheit, eine Wahrnehmung ohne Sinn und ohne irgendeine Empathie, eine reine Formation einer selbstbezogenen und auf sich selbst reduzierte Wahrnehmung ist, eine Selbstwahrnehmung die sich nicht mal wirklich auf sich selbst bezieht und von daher von jeder sinnlichen Gewissheit abgespalten, nicht beziehbar und auch ohne Gefühl für sich oder für andere ist. Es ist deshalb nötig, dass die Gründe für diese Selbstreduktion nicht nur im Einzelnen, sondern in der ganzen gesellschaftlichen Geschichte erkannt werden.

Die wesentliche Folge der gesellschaftlichen Macht einer Abstraktion (siehe abstrakt Allgemeines) ist die Verkehrung ihrer Inhalte zur Bestärkung der Form ihrer Ermächtigung, in der ihre Inhalte eine verkehrte Wirkung, eine verkehrte Wirklichkeit betreiben (siehe hierzu auch Formbestimmung). Wirklichkeit wird unwirklich, wo sie unsinnig wird, wo sie ihren Sinn verliert, wo sie als lebloses Bildnis einer bereinigten Wahrnehmung zum Gleichnis einer leeren Form, zum Symbol einer entleerten Wahrheit verkehrt wird, die sich nurmehr in ihrer Sehnsucht äußern kann.

Und weil sie in dieser so vollzogenen Trennung von ihrem Gegenstand, also durch ihre abstrakte Beziehung auf ihn sich gegen den Sinn ihrer Wahrnehmung, gegen ihre Empfindung wendet, wird auch dieser Sinn entgegenständlicht. Und wo dieser selbst nur als Bild einer fremden Wirklichkeit verbleibt, selbst nur abstrakt erscheint, wird er als fremdes Objekt einverleibt und in seiner Entfremdung subjektiv (siehe Selbstentfremdung). Mit dem Zusammenfallen seiner Unwirklichkeit mit der Unwirklichkeit der Wahrnehmung wird diese mit dem entfremdeten Sinn ihres Gegenstands vertauscht (siehe Täuschung) und zu einem abstrakten Wesen einer toten Wahrnehmung entäußert (siehe hierzu auch Religion) und von da her die Wahrnehmung selbst triebhaft (siehe hierzu auch Fetisch).

Tote Wahrnehmung ist eine Wahrnehmung, die ihre Wahrheit durch sich selbst, durch ihre Selbstreflektion in einer grenzenlosen, einer unendlichen Selbstwahrnehmung verloren hat (siehe hierzu symbiotische Selbstbehauptung). Selbstverlust ist eine Unfähigkeit der Wahrnehmung, sich als Verstand ihrer Wahrheit zu verhalten. Wenn und weil ihre Gefühle durch das Selbsterleben ihrer Empfindungen beherrscht wurden, kann sie nicht mehr wirklich wahr sein (siehe auch tote Wahrnehmung). In der Psyche fassen sich nicht nur die Selbstgefühle eines Menschen zusammen. Sie verhalten sich darin im Gegensatz ihrer Triebe als Abstraktionskraft ihrer Selbstbehauptung insgesamt, um sich im Kampf um ihre Sebstverwirklichung durchzusetzen. Dabei trägt die Entwicklung und Bildung ihrer Gewohnheiten wesentlich zur Bestärkung ihrer Selbstvergegenwärtigung bei, die in ihrem Gedächtnis ihrer Erinnerungen ihre Kraft gewinnen und haben.

Er wird daher zum ersten Inhalt der zwischenmenschlichen Persönlichkeit. Doch aus der gesellschaftlich formbestimmten Konkurrenz der noch ganz privat für sich auftretenden Persönlichkeiten (siehe Privatperson) wird die Lebensangst, die in den Lebensburgen ihrer isolierten Individualität noch strukturell geborgen war, nun selbst zum einem Inhalt ihrer gesellschaftlichen Beziehungen, die alles zu ihrem Mittel machen, verdinglichen muss, was ihre Sinne in einer Gesellschaft zwischen den Menschen (siehe auch Dazwischensein) hierfür funktional macht. Zum hervorstechenden Phänomen dieser Gesellschaft wird zunächst das versachlichte Geschlecht, das schließlich in ästhetisch bestimmten Verhältnissen über ihren ästhetischen Willen verkehrt und aus jeder Wirklichkeit ein nurmehr gefühltes Verhältnis machen soll.

Was Angst macht, schreckt allerdings erst mal ab. In der Wahrnehmung der Menschen ersucht es eine Macht, die in der Lage sein soll, es zu kontrollieren (siehe auch Kontrollbedürfnis), es aus der Wahrnehmung auszuschließen (siehe auch Verdrängung) und es abwesend zu halten, aus ihren Zusammenhängen zu verleugnen. Es erzeugt Ferne, Entfremdung und vertieft die Unkenntnis über sein Werden und Vergehen. Nur ein kritisches Interesse wird auf seine Spur kommen können, denn es wiederholt sich im Schrecken solange, bis es in den Zusammenhängen der Wirklichkeit seiner Lebensverhältnisse erkannt und damit dem Menschen vertraut wird. Wo ein dem entsprechendes Erkenntnisinteresse sich nicht bilden kann, kehrt es sich um und wendet sich selbst gegen die Wahrnehmung, tötet sie ab.

In den Verrücktheiten der symbiotischen Selbstbehauptung wird Selbstlosigkeit zur Gewohnheit, zur Gewohnheit einer sich verschließenden Wahrnehmung, die sich nur noch in der Ausschließlichkeit einer toten Wahrnehmung bewähren kann. Selbstlosigkeit wird oft als das Gegenteil von Selbstbezogenheiten (z.B. Egozentrik, Egoismus, Egomanie, Narzissmus u.a.) verstanden. Doch als Begriff einer Wertschätzung des gewöhnlichen Bewusstseins ist Selbstlosigkeit die Verdopplung ihrer Selbstauflösung. Durch den Austausch ihrer immer wiederkehrende Form mit den Inhalten ihrer Vermittlung wird Selbstlosigkeit zum selbstverständlichen Wesen des bürgerlichen Bewusstseins und entwickelt durch dessen Verselbständigung die Verkehrung seiner Subjektivität, indem sie sich in ihren objektivierten Selbstgefühlen verallgemeinert. Sie selbst werden durch ihr Verhalten in einer Kultur der Zwischenmenschlichkeit als Norm des Normalen zum Maß ihrer Verhältnisse und hierdurch unmittelbar objektiv. Sie entwickeln sich zur allmächtigen Objektivität ihrer Selbstbezogenheit, zu einer totalisierten Selbstgerechtigkeit, zur Bigotterie eines subjektiven Objektivismus (siehe auch Selbstveredelung). Die darin sich selbst endlos gleich gebliebenen Moralisten sind zu politischen Narzissten gewordenen, die durch die Leugnung ihrer Selbstbezogenheit, durch die Selbsttäuschung über ihre wahren Absichten und Antriebe sich vergesellschaften. Sie können allerdings nichts anderes sein als Menschen, die in der Lauterkeit der Gotteskindschaft einer abgetöteten Wahrnehmung, einer unendlichen, einer übermenschlichen Tugend, sich andienen, sich durch die "Wahrheit" eines in Ewigkeit bestimmten persönlichen Lebens zu bestärken (siehe hierzu auch Religion).

Wer sein Handeln selbstlos versteht, nichtet sich selbst, abstrahiert von seinen wirklichen und ihm selbst auch vorausgesetzten Beziehungen durch Absichten, die von jedwedem Grund einer Beziehung auf sich selbst absehen sollen - so, als ob durch Selbstlosigkeit eine höhere Beziehung zu sich selbst zu verwirklichen sei, eine Beziehung, die "nicht von dieser Welt" wäre, wohl aber sich durch ihre Selbstlosigkeit bewahrheiten könnte. Aber es ist nicht der Ausschluss eines irgendwie zu verstehenden "Selbst". Dieses kann es ja nicht wirklich geben, weil es als Subjekt einer Selbstbeziehung widersinnig wäre. Selbstlosigkeit ist daher lediglich die Zutat verborgener oder verdrängter Inhalte der Selbstbeziehung, die eine Selbstwahrnehmung veredeln wollen (siehe Selbstveredelung), um ihren Edelmut als eine übermenschliche Moralität zu veräußern. Sie kann sich daher auch nur in der edlen Welt einer himmlischen Kultur verwirklichen, einer Religion, in der sich jede wirkliche Beziehung einfinden kann, wenn sie sich darin aufheben lässt.

Wo die Widersprüche und Probleme einer Gesellschaft monströs werden, wo die Welt selbst nur noch verrückt zu sein scheint, da erscheint die Selbstaufopferung der Menschen als ultimative Notwendigkeit eines kleinbürgerlichen Selbstverständnisses. Ihre Selbstwahrnehmung ist durch den Verlust und die Abwesenheit ihrer gesellschaftlichen Beziehungen von einer übernatürlich scheinenden Ohnmacht einer im Allgemeinen abgetöteten Wahrnehmung (siehe tote Wahrnehmung) bestimmt und mit den Inhalten gefüllt, die objektiv geboten sind und hierdurch Macht über die einzelne und oft durch ihre Ohnmacht vereinzelte Erkenntnis gewinnen.

Die in ihren Lebensburgen eingeschlossenen Menschen, die darin den Echoraum eines entfesselten Irrsinn unter sich entwickeln konnten, hatten sich hierdurch aus ihrem Selbstverlust befreit. In den symbiotischen Selbstbehauptungen ihrer Lebensburgen haben sie ihre Lebensangst dadurch überwunden, dass sie diese strukturiert hatten, an der sie verrückt geworden waren, und nun in ihren Entrückungn damit auskommen. Aber sie können sich jetzt nicht mehr auf sich berufen, weil sie sich selbst verloren haben. Ihre bodenlos gewordene Selbstwahrnehmungen lassen alle Bedeutungen und Deutungen zu, die ihre Lebensangst zu überwinden versprechen, indem sie sich über die Gewissheiten ihrer Lebensinhalte erheben, sich von ihnen absetzen und entrücken, um ihrer Dekadenz einen höheren Sinn so zu verleihen, wie er sich in ihren verfestigten Lebensstrukturen verstehen lässt, ohne begriffen zu sein. Ihr Verstand hat sich seinem Begriff entzogen und so bekommen diese Strukturen nun selbst den Sinn, den sie längst überwunden haben und der lediglich ihre Lebensverhältnisse bestärken und deren Bedürfnisse befriedet (siehe hierzu auch Selbstveredelung), ihre darin geborgenen und verborgenen Ängste verewigt.

Das Dilemma der toten Wahrnehmung besteht in der Selbsttäuschung ihrer Interpretationen. Weil sie sich gegen den Sinn ihrer Struktur bestimmt, wird sie einerseits selbst von ihrer Angst strukturiert. Andererseits verlässt sie sich auf die Notwendigkeit ihrer Lebenstrukturen, ohne deren wirkliche Not zu wenden. Von daher besteht ihre Wahrheit eben auch nur nach aus den Interpretationen ihrer strukturellen Bedingungen. Sie sind ihrer Selbstbezogenheit entrückt und suchen ihren Sinn für sich in Selbstwahrnehmungen, die ihre entäußerte Wahrheit in einer entäußerten Wahrnehmung versinnlichen müssen, um sich in einer selbstlos gewordenn Welt zu erhalten. Durch ihre Lebensängste war ihnen die Wirklichkeit ihrer Kultur versperrt und hatte ihre entrückten Beziehungen als Enttäuschungen ihres geborgenen Lebens erwiesen und sie schließlich verrückt gemacht, sobald sie ihre Burgen, ihre herkömmlichen, ihre gewohnten Lebensräume verlassen mussten. In der Psychose war die Psyche zur äußersten Innerlichkeit der Geborgenheiten und unheimlichen Verborgenheiten gelangt und hatte sich als Selbstgefühl der Dekadenz in und durch sich selbst in ihrem Gemeinsinn als Sinn für das Gemeine verwirklicht.

Das Dilemma im Verrrückstsein dekadent gewordener Lebensverhältnisse ist der Zirkelschluss der Angst, der unendlich gewordene Kreislauf von ihrer Selbsterzeugung zu ihrer Selbstbewahrung, wie er schon strukturell in den Lebensburgen, den Lebenformen der Zwischenmenschen angelegt ist. Die Hochform der Lebensangst, wie sie sich aus den strukturellen Geborgenheiten der bürgerlichen Einrichtungen (Familie, Nationalstaat usw,) im Jenseits ihrer gegenständlichen Wirklichkeit gegen ihre eigene Dekadenz, gegen die Verrücktheiten der zwischenmenschlichen Isolation entwickelt hat, ist der Verstand einer abgetöteten Wahrnehmung, die Selbstwahrnehmung einer Unvernunft, die vor allem Selbstkontrolle nötig hat, um sich gegen den Selbstverlust zu schützen und zu wehren. Wo sich die Wahrnehmung aus der Nichtigkeit ihrer Selbsterkenntnisse bestimmt (siehe auch Formbestimmung), begründet sie sich gegen sich selbst, gegen die Möglichkeiten, sich im anderen Menschen zu erkennen und zu begreifen. Um ihre daraus bezogene Unfähigkeit zu einer Empathie in ihren zwischenmenschlichen Beziehungen zu beherrschen, muss sie sich eigene Lebenswelten schaffen und bestärken, die ein Heil durch ein Glück bestimmen sollen, das es nicht wirklich geben kann, das außer der Lebenserfahrung der Zwischenmenschen sich nurmehr im Zweck der Selbstbestätigung und Selbstbehauptung verrückt gewordener Selbstgerechtigkeiten entfaltet. Es herrscht daher nun die Gewalt selbstsüchtiger (siehe Egomanie) Entscheidungen vor, die sich zunächst gegen andere und schließlich gegen sich selbst richten. So entsteht die Welt einer eigenständigen, einer verselbständigten Lebensangst, die sich die Waffen einer absoluten Selbstverteidigung aus dem Arsenal bürgerlicher Lebenspflichten und Lebensstrategien besorgt, die sich im Alltag einer zwischenmenschlichen Gesellschaft (siehe abstrakt menschliche Gesellschaft) als Spieße der Selbstveredelung im Kampf um eine heile Welt auffinden lassen. Hierbei vergesellschaftet sich vor allem, was letztlich eine Allgemeinheit von Spießbürger ausmacht.

Durch den Selbstverlust, den die Menschen durch die strukturelle Lebensangst ihrer Lebensburgen erlitten hatten, erscheint die Selbstverleugnung des hiervon abhängigen Menschen über die radikale und ausschließliche Selbstverwertung als Selbstgewinn, weil über die Vernutzung rein sachlicher Beziehungen und Lebensformen, über die Nutzbarkeiten höherer Werte und Kulte eine Gegnerschaft gegen die vesagten und versagenden Lebenswelten möglich ist, die man überwunden glaubt, wenn man die eigene Sinnbildung (siehe auch Kultur) ihnen entzieht. Solcher Gewinn wird allerdings durch den Verzicht auf eigene Lebensäußerungen erkauft, die nun selbst wie ein objektives Selbstgefühl funktionieren. Denn das Eigene ist jetzt durch Fremdes ersetzt und hat vor allem Fremdes zu eigen, ist zu einer eigenständigen Form (siehe auch Verselbständigung) einer Selbstbeziehung geworden, die nur durch ihre Entfremdung von sich und zugleich deren Fortbestimmung außer sich als verdoppelte Selbstentfremdung gelingen kann - soweit eben, wie diese durch ihre Selbstbehauptung narzisstisch befriedet wird.

Und so scheint es im Bezug auf die Selbstwahrnehmung in ihren persönlich bestimmten Lebenswelten eben zugleich auch absurd, wenn dort von ihrer Selbstlosigkeit die Rede ist - besonders wenn der Begriff eines Selbst schon als Widersinn in sich befunden worden war. Dieses kann es ja tatsächlich nicht wirklich geben. Aber die Selbstwahrnehmung ist ja auch nicht wirklich verloren, sondern zu einer allgemeinen - wenn auch so ausschließlichen wie selbstverständlichen- Form eines vergesellschafteten Narzissmus geworden. Der verhält sich nämlich jetzt zu sich selbst verkehrt, weil er nur noch in verkehrten Verhältnissen sich ereignen kann, weil er sich in der Objektivität seiner Verhältnisse selbst liebt, sich nur darin bewähren und bestärken kann, weil er außer sich geraden ist und sich in seiner Selbstenfremdung finden und einfinden muss. Und diese Form der Bestätigung ist in der Tat - also wirklich - absurd, weil sich der Begriff von Selbstlosigkeit tatsächlich nur dadurch begründen lässt, dass alles, was die Selbstwahrnehmung ausmacht durch ein selbstloses Verhältnis der Wahrnehmung zu sich selbst in der Selbstreflexion eines vermeintlich geborgenen Lebens zu verstehen ist. Die darin aufgehobene Selbstwahrnehmung gerät in die Falle einer fremden Allgemeinheit ihrer Beziehungen und wird durch deren gesellschaftliche Macht zu einem Lebensverhältnis außer sich, durch die Macht einer allgemein strukturierten Zwischenmenschlichkeit zu einer eigenständigen Kulturmacht. Sie war nötig geworden, weil ihre Selbstbezogenheit durch ein objektives Selbstgefühl erhalten wird, das sich nun abstrakt allgemein verdoppelt, zu einer fremden Kraft der Selbstwahrnehmung in der Wahrnehmung ihrer symbiotischer Selbstbehauptungen entwickelt und darstellt und diese nun auch wirklich für wahr befindet (siehe Empfindung) und bestimmt. Sie verwirklicht allerdings nichts anderes als ihre Widersinnigkeit, die sie über ihre Verrücktheit hinaus für sich selbst und durch sich betreibt, sich zu sich rein strategisch, also ohne irgendeine inhaltliche Beziehung auf sich verwirklicht. Ihre zur Scheinwelt gewordene Wirklichkeit entsteht, sobald die Selbstwahnehmung sich der Verrücktheit ihrer Selbsttäuschung gewahr geworden ist.

Ihre Verrücktheit ist also lediglich der Ausschluss und die Abschottung einer Konstruktion, die zu einem Instrumnt der Lebensstruktur ihrer Selbstwahrnehmung gewworden ist - eine Gegenstruktur, die sich gegen ihre eigene Wahrheit richten muss, um nicht verrückt zu werden oder zu bleiben, soweit sie ihre wahre Identität verloren hat. Sie betreibt eine aus ihrem Widersinn selbst nötige, eine rein strategisch notwendige Wendung der Selbstwahrnehmung, die sich ihrer Wahrheit entzieht, um für sich und durch sich, um also an und für sich autistisch bestehen zu künnen, während sie allen Zuständen des Selbstzweifels ausgesetzt ist. Die Macht ihres Instrumentariums begründet sich aus der abwesenden Beziehung in ihren ihren zwischenmenschliche Verhältnissen, in denen die Menschen nichts mehr von sich durch andere und nichts mehr durch sich in anderen erkennen können, weil sie sich nurmehr selbst bespiegeln, ihre Wahrnehmungsblasen außer sich als ihre Wirklichkeit anerkennen müssen (siehe hierzu auch tote Wahrnehmung).

Doch auch wenn die Verrückheit ihrer Beziehungen vor allem nur persönlich auftritt, so zeigt doch die Angst vor dem Verrücktwerden ihren objektiven Kern: die Angst vor ihrer Unausweichlichkeit im Allgemeinen. Im Besonderen will sich jeder hiergegen schützen und behaupten. Und so wird die Selbstbehauptung nun allgemein und für jeden einzelnen Menschen in seinen zwischenmenschlichen Verhältnissen übermächtig und hierdurch total notwendig, weil die sich jetzt wie eine abgeschlossene Geselschaft übermenschlicher Kräfte anfühlen. Die Menschen wollen nun endlich wirklich den Sinn an sich selbst in der Form eines allgemein gewordenen ästhetischen Willens finden, den sie nötig haben, um für sich durch andere mit ihnen zu sein. Sie suchen nichts anderes außer sich, weil sie nur noch empfinden können, wo sie sich selbst erleben. So gelangen sie durch ihre Selbstverlorenheit in eine Welt, in der auch sie zunächst nur durch ihre Selbstlosigkeit gegenwärtig sein können, weil sie darin ihre Ohnmacht zumindest leben können. Dadurch werden sie zu Kindern ihrer entrückten Wahrnehmungen, die nichts mehr von ihrer Verrückheit wissen wollen. Ihnen wird dabei allerdings eine Macht vermittelt, die nichts anderes als die Macht einer unendlichen Selbstreflexion betreibt, ihre Lebensangst in ihrer gesellschaftlichen Unsicherheit und Verwirrung in ihnen das Bedürfnis nach der Heilsamkeit eines an und für sich fremden Lebens begründet (siehe auch Heilserwartung). Es ist das fremd gewordene Bedürfnis nach Gesundung einer noch nicht erkannten und nicht mehr erkennbaren Krankheit. Von daher wird ihre Selbstlosigkeit aus der Machtfantasie eines abstrakt gesellschaftlichen Heils bestimmt, das ihnen in dem Maß entsagt wird, wie sie es in ihrer Zwischenmenschlichkeit zu leben versuchen.

Von daher müssen die Zwischenmenschen in den nun geöffneten und also öffentlichen zwischenmenschlichen Verhältnissen sich einer Kultur zuwenden, die überhaupt nur noch objektive Form einer ihnen fremden Kultur durch die Verwirklichung ihres ästhetischen Willens als Grundlage eines gesellschaftlichen Verhältnisses sein kann. Aber gerade darin hatten sie ihren gesellschaftlichn Ursprucng, ihren ursprünglich gewohnten Halt verloren und wenden in ihrer Ursprungssehnsucht sich nun an eine Macht und Größe einer Gemeinschaft, in der sie sich eine kollektive Selbstverwirklichung erhoffen. Sie müssen daher ihren Sinn für sich erst mal aus der aufgehobenen Symbiose ihrer Herkunft, aus der Nichtung ihrer Selbstbezogenheit entwickeln, indem sie alle Beziehungen nutzen, die ihnen hierfür dienlich sind. Weil ihre gesellschaftlichen Beziehungen nun durch eine zwischenmenschliche Nützlichkeit für ihre kollektive Selbstverwirklichung bestimmt sind, müssen sie sich durch die Einverleibungen ihrer Objekte fortbilden. Jetzt erst werden ihre Objekt-Objekt-Beziehungen zu wirklichen Verhältnissen, indem sie ihre Objektivität in ihrem Objektsein durch Selbstermächtigungen gegen andere subjektiv verdoppeln, indem sie sich in ihrer Selbstlosigkeit objektiv durch das Anderssein ihrer selbstveredelten Selbstwahrnehmung (siehe Edelmut) über andere außer sich fortentwickeln.

Doch um wahr zu sein verlangt Wahrnehmung nach dem Zusammenhang ihrer Empfindungen mit ihren Gefühlen. Objektiv besteht dieser durch die Erlebnisse und Eindrücke, wie sie durch ihre gesellschaftlichen Verhältnisse mehr oder weniger notwendig sich ereignen. Wo sie aber nicht mehr wirklich wahr sein kann, weil die zu fremd, zu ungewohnt, zu weit weg entstanden sind, wird sich die Wahrnehmung selbst ungewiss. Aber an der Gewissheit seiner Wahrheit kann niemand vorbei. Um sich ihre eigene Wahrheit zu bewahren, muss sie resistent gegen die Reize und Eindrücke durch Gefühle werden, die sie nicht mehr mit wirklichen Empfindungen verbinden kann. Die Wahrnehmung ist mit der anwachsender Dichte socher Eindrücke irgendwann prinzipiell überfordert, verliert daher ihre Neugierde und stellt sich wie ein Spießbürger vor dem Stadttor vor das Einfallstor ihrer Wahrheit, um deren Eindringen zu verhindern, ohne zu bemerken, dass die hierdurch zunehmens verkümmert und langeweilig wird. Sie wird auf diese Weise zwar diese Eindrücke ausschalten, nicht aber sich so verändern, dass sie verarbeitet werden können. Aber immerhin kann sie sich selbst ablenken und damit erreichen, dass sie wieder auf einfacherem - wenn auch einfältigerem - Niveau funktioniert.

Wo Wahrnehmung selbst nur Gegenstand einer zwischenmenschlichen Wahrnehmung ist, hat sie sich gegen ihre Wahrheit entgegenständlicht, zu einem bloßen Bild ihrer Wahrheit gemacht. Aber nicht das Bild selbst ist der Grund ihrer Entgegenständlichung, sondern das, was es unter den Menschen kommuniziert, was zum Mittel ihrer entleerten Zwischenmenschlichkeit wird. Es ist lediglich die Vorstellung einer Beziehung. Wo es selbst zwischenmenschliche Beziehungen schafft, wo es als Bebilderung ihrer Verhältnisse diese auch begründet, enthebt es sie der Möglichkeit, ihre Wahrheit in irgendeiner Form zu erkennen. Durch ihre Inhaltslosigkeit werden zwischenmenschliche Verhältnisse selbst beliebig und finden ihre Wahrheit nurmehr in sich selbst als vergemeinschaftete Selbstgewissheit im Gewissen ihrer gemeinen Schuldpflichtigkeiten gegen ihre Mitmenschen. Sie empfinden jetzt ihre Selbstgerechtigkeit in der bloßen Existenz ihrer Gefühle, in denen sie für ihre abwesenden Empfindungen eine Form fremder Inhalte vermitteln.

Von daher findet ihre eigene Wahrnehmung einen für sie beliebigen Sinn und Verstand, kennt keinerlei Empathie, weil ihr das Material ihrer Erkenntnis als Selbsttäuschung einer vergemenschafteten Selbstwahrnehmung zugemutet wird, nur um sich durch sie mit anderen Zwischenmenschen auszutauschen, um ihren Selbstwert außer sich zu vergemeinschaften. Und so muss sich die persönliche Selbstwahrnehmung ihr selbst fremde Selbstgefühle als eigene Gefühle aneignen. Um sich auf andere Menschen beziehen zu können, muss sie ihre Scheinwelt zum Maß und Mittel ihrer persönlichen Selbstvergegenwärtigung, als Machtmittel ihrer Persönlichkeit gebrauchen. Darin überwinden die Menschen ihre Herkunft, ihre Familien, ihre Verrückheit und die Erfolglosigkeit ihrer Geltungsbedürfnisse. In den daraus entstehenden zwischenmenschlichen Beziehungen lässt sich nun ihre Selbstwahrnehmung von allem bestimmen, was ihr in diesen Verhältnissen einen Eindruck von sich selbst über sich selbst vermittelt und daher über sich selbst hinaus erhebt. Sie werden zur wahren Selbsterhebung eines vergemeinschafteten Narzissmus und totalisieren ihre Selbstveredelung im Jenseits ihrer Empfindungen. Sie machen diese selbst zum Material ihrer Selbstbildung, zum Wahn ihrer Selbstwahrnehmung, der ihre bornierte Selbstbezogenheit zu einer höheren Gemeinschaft regeneriert und ihren Edelmut für ein im Allgemein empfindungsloses Selbstverständnis hernimmt.

Es war ja schon in ihrem Narzissmus angelegt, dass die hiervon beherrschten Menschen sich durch allles zu begeistern sind, worin sie sich ausgedrückt sehen und sich nurmehr durch ihre Selbstwahrnehmung bewahrheitet findet. Und weil sie sich nur noch über die Wahrnehmungsform ihrer selbst idolisiert verstehen kann, stirbt ihr Erkenntnisinteresse an anderen Menschen. Sie findet zugleich in ihnen immer nur sich selbst, um das Bild von sich als Format ihrer Selbstbildung durch die Wahrnehmung der anderen zu gestalten, sich in ihrem leeren Anderssein ohne jedwede Selbsterkenntnis wiederzufinden, eigene Regungen durch Erregungen abstrakt algemeiner Verhältnisse zu empfinden..

Tote Wahrnehmung ist die auf ihre reine, auf die abstrakte Form ihrer isolierten Regung reduzierte Wahrnehmung, die als Ressentiment wirkende Verkehrung einer durch ihren Narzissmus selbstlos gewordenen zwischenmenschlichen Beziehung, die überhaupt nur noch ästhetische Urteile kennt. Sie ist der Rückstand der Wahrnehmung, die sich bald gegen alle Empfindung als ein durch Gewöhnung verschlossenes Selbstgefühl in einzelnen Menschen verhält und ihre reduzierte, ihre abstrakte Gefühlswelt totalisiert, ihre ausschließliche Wahrheit als Ursprung wie Resultat ihrer Abspaltung behaupten kann (siehe auch Selbstbehauptung). Ihre Gefühle haben ihre Empfindungen verloren, weil ihre Gefühle sie beherrschen, weil sie der Erkenntnis durch ihre Abspaltung entzogen sind. So ist eine Wahrnehmung als absolute Selbstwahrnehmung entstanden, die sich aus der Abspaltung ihrer Gefühle durch die Ausgrenzung ihrer Empfindungen ergibt. Tote Wahrnehmung ist empfindungslose Wahrnehmung, nimmt die abstrakte Wahrheit sinnlos gewordener Verhältnisse als eigene Wahrheit und als Maß ihres Erkenntnisinteresses auf (siehe auch abstrakt menschlicher Sinn).

Doch tote Wahrnehmung hat ihre Empfindung nicht wirklich verloren. Sie hat sie in ihr Gegenteil verkehrt, weil sie nur erkennen kann, dass die Verhältnisse der Selbstgerechtigkeit sich im satten Nichts verlaufen. Sie ist nicht das positive Maß ihrer Urteilskraft, sondern ihr Opfer, ihre Negation. Denn sie transportiert in ihren Positionen keine wirkliche Negation, sondern im Großen und Ganzen einen Selbstverlust. Und das hat im Nachhinein eine totale Wirkung auf ihre Wahrheit dadurch, dass sie die darin aufgehobenen Verschmelzungen aus vergangenen, im Gedächtnis akkumulierten Gefühle als eine nichtige Wahrheit birgt, sich in einer Nichtung der Wahrnehmung absichern muss, weil und solange sie ihre Lebnswirklichkeit nicht mehr erkennt, nicht mehr ins wirkliche Leben findet (siehe hierzu auch Trauma). Sie rächt ihre Isolation mit der Abstraktionskraft ihres abhanden gekommenen Lebens, kehrt ihr Erkenntnisinteresse um, um sich aus ihrer Isolation selbst zu verwirklichen, ihr abgespaltenes Lebensinteresse gegen das Leben selbst als verlorenes Selbstgefühl gegen die Welt zu wenden, ihren Selbstverlust zu vergegenständlichen, ihn gegen seine Wahrheit zu veredeln (siehe auch Selbsveredelung) um sich endlich in einer gewaltigen Selbsttäuschung wieder zu finden. Aus den Trümmern ihrer Verscmelzungen werden Konstrukte, die eine herbe Durchsetzungskraft ihrer Nichtung (siehe Abstraktionskraft) einfordern.

Das hieraus entstehende Lebensinteresse kennt allerdings nur den Tod (siehe hierzu auch Todestrieb) und sucht ihn als ihre Lebenbasis zu verallgemeinern, sich als hohere Menschlichkeit gegen die wirkliche zu erheben.Von daher bestärkt sich tote Wahrnehmung aus dem Jenseits der Gefühle und wird durch deren Ressentiments gegen das Leben fanatisiert - einfach nur um selbst zu überleben.Die vollständige Selbstentfremdung, wie sie schon durch Selbstveredlung angelegt und verstetigt ist, entsteht nicht durch die Beziehungen, auf denen sie beruht. Diese haben immer noch den "Mangel" einer Wirklichkeit an sich. Und diese verunmöglicht es, den allgemeinen Narzissmus in der Wahrnehmung auch vollständig durchzusetzen. Sie "stört" eben permanent. Von daher wird sich die Selbstwahrnehmung erst vollständig fremd, indem sie sich selbst ästhetisiert, indem sie also jenseits aller Beziehungen auf Menschen ihrem abgehobenen Wesen in seinem Edelmut verfällt. In einer permanenten Selbstbereinigung verschaffen sich Menschen das Gesicht, durch welches sie sich in ihrer Selbstveredelung dadurch wahrhaben wollen, dass sein Abbild Wirkung hat, zu zwischenmenschlicher Wirklichkeit wird, wenn also das, was Menschen von sich wahrnehmen, gewendet ist in eine Wirklichkeit, in der allgemein das zum Ausdruck kommt, was sie von sich wahrmachen müssen, um ihre durch sich selbst beschränkte Einzelheit in ihrer persönlichen Allgemeinform wahrhaben zu können.

Mit der Selbstbestimmung ihrer Egozentrik entwickelt jede Selbstbeziehung durch ihre Selbstbehauptungen vielfältige Empfindungen, die auf den Selbstgefühlen der Psyche gründen. also nur das finden können, was die Psyche je beeindruckt hat und ihr Gedächtnis ausfüllt. Das ist nicht der "innere Reichtum" einer irgendwie ausgefüllten Libido, wie die Psychoanalyse behauptet, sondern das Resultat vieler Einverleibungen, die ihre Selbstwahrnehmung nun aus fremden Selbstgefühlen dadurch beziehen müssen, dass sie sich gegen andere Gefühle behaupten. Doch mit der Selbstbehauptung entstehen vielerlei schlechte Gefühle, die der hierfür nötigen Selbstkontrolle entspringen und mit dem Abwehrverhalten der Psyche (siehe auch Verdrängungsmechanismus) deren wesentlichen Mangel darstellen: Darin verkehren sich ihre Empfindungen ins Gegenteil des ihr nötigen Selbstgefühls. Sie findet sich in der Behauptung ihrer Selbstgefühle verloren, also selbstverloren und findet sich in der Isolation ihrer Selbstbezogenheit ausgeschlossen und muss von daher für sich selbst ausschließlich werden. Sie muss sich hierfür aber gegen sich selbst wenden und bezichtigt sich ihres eigenen Mangels und wendet ihre Selbstkontrolle zur Kontrolle über ihre zwischenmenschlichen Beziehungen, indem sie diese zu ihrer Selbstveredelung nutzt.

Erst in der Maske ihrer Edelmütigkeit finden sie für die Verwirklichung ihrer Gefühlsempfindungen die nötige Allgemeinheit für sich, aus der sich nun ihre Person zu klären vermag. Diese Klärung wäre ein bloßer Selbstverlust, wenn sich nicht die ganze Wahrnehmung hiernach personifizieren würde. Die bürgerliche Persönlichkeit entsteht aus der allgemeinen Objektivation ihrer Selbstgefühle zu einer Seinsweise ihrer Selbstveredelung, also als eine nur auf sich selbst zurückfallende Wahrnehmung, durch die sie ihrer Gegenwärtigkeit durch die Einverleibung veräußerter Selbstgefühle erlangt, aber zugleich ihre Wahrheit verkehren müssen, um sich in diesem Verhältnis auch zu finden und zu bestärken. Jede Gewissheit beschränkt sich somit unmitelbar nur auf das Selbstgefühl einer Selbstveredelung und wird hierdurch zu einer ungebrochenen Selbstüberhebung über alle Wirkungen, welche diese Welt hat. Der "Gewinn" an dieser verkehrten Welt ist immerhin dann das Gefühl einer Selbstbestimmtheit, einer autarken Wahrnehmung, die sich nicht mehr mitteilen muss, so dass ihr gelungen ist, sich selbst zu vergessen, also vor allem vergessen hat, dass sie sich garnicht mehr mitteilen kann. Die Psyche hat somit ihre eigenen Grundlagen, das Gedächtnis ihrer Gefühle aufgehoben.

In den geöffneten und also öffentlichen zwischenmenschliche Verhältnissen mussten sie sich einer Kultur zuwenden, die überhaupt nur objektiv als Kultur einer gesellschaftlichen Zwischenmenschlichkeit bestimmt ist. Sie hatten ihren gewohnten Halt verloren und müssen ihren Sinn für sich daher erst mal aus der aufgehobenen Symbiose ihrer Herkunft, aus dem Nichts ihrer Selbstbezogenheit entwickeln, indem sie alle Beziehungen nutzen, die ihnen hierfür dienlich sind. Weil ihre gesellschaftlichn Beziehungen nun durch eine zwischenmenschliche Nützlichkit bestimmt sind, müssen sie sich durch die Einverleibungen ihrer Objekte fortbilden. Jetzt erst werden ihre Objekt-Objekt-Beziehungen zu wirklichen Verhältnissen, indem sie ihre Objektivität durch ihr Objektsein für andere verdoppeln, indem sie ihre Selbstlosikeit objektiv durch andere, durch ihr Anderssein außer sich forbilden.

Ein "Jeder ist ein Kind Gottes" (Friedrich Nietzsche, Der Antichrist), der seine Liebe über das wirkliche Leben stellt, der ohne Distanz sich selbst allgemein macht indem er sich durch seine Gefühle als Subjektivität einer allgemeinen Liebe vermittelt (siehe hierzu auch Fan-Kult). Tote Wahrnehmung ist eine Wahrnehmung, die durch die Gewohnheiten ihrer Selbstgefühle Empfindungen vorwegnimmt, die ihre Wahrheit auf eine ihnen vorausgesetzte Wahrnehmungsidentität, einem objektiven Gefühl ihrer Selbstwahrnehmung reduziert. Tote Wahrnehmung ist der Selbstläufer einer abstrakten Wahrheit, die hörig macht, indem sie das bestärkt, wovon sie absieht (siehe auch Ideologie) und ein abwesendes Wesen unmittelbar und allgemein zu verwirklichen sucht, zur Sehnsucht des Massengefühls einer abstrakten Wirklichkeit wird. Sie ist daher das Medium einer Selbstlosigkeit des gewohnten Menschseins, das sich als abstrakte Allgemeinheit eines in seiner Gewöhnlichkeit kultivierten Lebens der Selbstgefühle verobjektiviert.

Jede Empfindung hat im Menschen ihre unmittelbare Wahrheit durch die hieraus gebildeten Gefühle, in der das Wahrgenommene als ein auch wirklich Wahrgehabtes sich bewährt und sich darin bilden und fortbilden kann. Oft kann man diesen Prozess an Traumbildern erkennen, die ihre Verbindung in der Traumarbeit erneuern und rekonstruieren. Wo dies - z.B. durch Schlafstörungen - nicht geschieht, können sich Gefühle auch im Menschen selbst durch Erregungen isolierter Regungen verrücken, ihn verrückt machen.

Wenn sich die Gefühle in psychisch bestimmten Verhältnissen über ihre zwischenmenschlichen Beziehungen selbständig zu einander verhalten - und somit ihre Empfindungen sich schon von sich ausschließen und isolieren - werden die Selbstgefühle zu ausschließlichen Subjekten ihrer zwischenmenschlichen Verhältnisse, die ihre Inhalte abtöten, jede Empathie verunmöglichen. Die ganze Wahrnehmung wird dadurch in einzelne Momente (siehe Ereignis) zergliedert und aufgelöst, im Ganzen sinnlos, in sich selbst ohne Beziehung zu ihrem Gegenstand, ohne eigene Wahrheit selbslos zu einer toten Wahrnehmung. Die ist eine empfindungslose, eine gleichgültige, eine selbslose Wahrnehmung, die immer schon außer sich ist, bevor sie zu sich kommen kann. Von daher bestimmt das Vergangene, die Erinnerung selbst schon ihre Wahrheit. Ihre Urteile ergehen aus einem "Gebälk von Begriffen" (Friedrich Nietzsche) in ästhetischen Strukturen, die sie vor allem vor Verunsicherung schützen, eine abwesende Wahrheit verteidigen, durch die ihre Wahrnehmung als Ganzes über sich selbst verfügt (siehe Selbstwahrnehmung) und zusammmenhält (siehe hierzu auch Kontrollbedürfnis).

Wenn sich die Gefühle in psychisch bestimmten Verhältnissen über ihre zwischenmenschlichen Beziehungen selbständig zu einander verhalten - und somit ihre Empfindungen von sich ausschließen und isolieren - werden die Selbstgefühle zu ausschließlichen Subjekten ihrer zwischenmenschlichen Verhältnisse, die ihre Inhalte abtöten, jede Empathie verunmöglichen. Die ganze Wahrnehmung wird dadurch in einzelne Momente (siehe Ereignis) zergliedert und aufgelöst, im Ganzen sinnlos, in sich selbst ohne Beziehung zu ihrem Gegenstand, ohne eigene Wahrheit selbslos zu einer toten Wahrnehmung. Die ist eine empfindungslose, eine gleichgültige, eine selbslose Wahrnehmung, die immer schon außer sich ist, bevor sie zu sich kommen kann. Von daher bestimmt das Vergangene, die Erinnerung selbst schon ihre Wahrheit. Ihre Urteile ergehen aus einem "Gebälk von Begriffen" (Friedrich Nietzsche) in ästhetischen Strukturen, die sie vor allem vor Verunsicherung schützen, eine abwesende Wahrheit verteidigen, durch die ihre Wahrnehmung als Ganzes über sich selbst verfügt (siehe Selbstwahrnehmung) und zusammmenhält (siehe hierzu auch Kontrollbedürfnis).

In einer Welt, in der das Geltungsstreben der Selbstgefühle sich fremde Gefühle einverleibt, werden die eigenen Empfindungen ihrer Wahrheit beraubt, sich selbst fremd und damit die eigene Wahrnehmung ihrer konkreten Sinnlichkeit enteignet, abgetötet und im Ganzen entgegenwärtigt. Was die Menschen dann im Sinn haben ist der Sinn von und für Andere, die sie in Wahrheit nicht mehr wirklich erkennen können. Ihre Selbstlosigkeit erscheint dann wie der Sieg ihres Altruismus gegen die profanen Bedürfnisse der Selbstwahrnehmung., die im Wesentlichen gegen sich gleichgültig sein muss und unterschiedslose Wahrheit für sich als eigene, wenn auch in ihrer Wirklichkeit fremde Wahrheit nimmt (siehe Identität), um der Notwendigkeit ihrer Erkenntnis zu entgehen. Es verfestigt sich daher in der Wahrnehmung eine Selbstentfremdung, die mit ihrer Abtötung einen vampiristischen Nutzen entwickelt: Den Nutzen einer objektivistischen Selbstbeziehung, die durch ihre Selbstlosigkeit im Kulturkonsum zu einer verselbständigten Kulturmacht wird.

Nicht völlig grundlos beschrieb Sigmund Freud in seiner Individualpsychologischen Psychoanalyse die Kulurnotwendigkeit eines "Über-Ich", dessen Entstehung er allerdings im Liebesverhältnis der Kleinfamilie verortet, die aber durch ihre Verrückheit es gerade notwendig gemacht hatte, sie - oft Hals über Kopf" - zu verlassen. Was die Selbstvergegenwärtigung in den Lebensburgen der Selbstverwirklichung noch krank gemacht hat (siehe Band II, 2.3. Der Selbstverlust in den Formen der Selbstenfremdung), wird nun zum Zustand einer abstrakt menschlichen Gesellschaft, die ihre Psychose von sich ausgeschlossen hat.

Mit der Verrückheit von Wahrnehmungszuständen einer symbiotischen Selbstbehauptung war die zwischenmenschliche Kultur zu ihrem innersten Ausdruck gekommen . Die Psyche hatte sich bislang ungehimdert bis zur Psychose verwirklicht. Sie hat hierbei allerdings ihre Grundlagen aus der Welt der Empfindungen und Gefühle verloren und muss sich jetzt vernünftig geben, um ihre Ohnmacht in ihren zwischenmenschlichen Verhältnissen zu überwinden. Allerdings wird ihre subjektiv begründete Vernunft hierdurch in der Selbstwahrnehmung objektiv und verhält sich im Widerstreit zu ihrem subjekiven Erleben - etwa so, wie S. Freud dies als Konflikt zwischen seinem "Über-Ich" und "Ich" zu beschreiben versucht hatte. Die Wahrnehmung wird dadurch nicht nur selbstlos, sondern für sich selbst wirkungslos, unwirklich. Sie stellt sich ihrem unmittelbaren Erkenntnisvermögen entgegen, fürchtet ihre Verrücktheit und reduziert ihre Wahrnehmung auf das, was sie mit ihrer Gefühlswelt im Jenseits ihrer Empfindungen wahrmachen kann. "Wie fühlt sich das an?" wird zu einer geläufigen Redewendung.

In einer im Allgemeinen kulturbestimmtn Welt, in der das Geltungsstreben der Selbstgefühle sich fremde Gefühle einverleibt, werden die eigenen Empfindungen ihrer Wahrheit beraubt, sich selbst fremd und damit die eigene Wahrnehmung ihrer konkreten Sinnlichkeit enteignet, abgetötet und im Ganzen entgegenwärtigt. Was die Menschen dann im Sinn haben ist der Sinn von und für Andere, die sie in Wahrheit nicht mehr wirklich erkennen können. Ihre Selbstlosigkeit erscheint dann wie der Sieg ihres Altruismus gegen die profanen Bedürfnisse der Selbstwahrnehmung. die im Wesentlichen gegen sich gleichgültig sein muss und unterschiedslose Wahrheit für sich als eigene, wenn auch in ihrer Wirklichkeit fremde Wahrheit nimmt (siehe Identität), um der Notwendigkeit ihrer Erkenntnis zu entgehen. Es verfestigt sich daher in der Wahrnehmung eine Selbstentfremdung, die mit ihrer Abtötung einen vampiristischen Nutzen entwickelt: Den Nutzen einer objektivistischen Selbstbeziehung, die durch ihre Selbstlosigkeit im Kulturkonsum zu einer verselbständigten Kulturmacht wird.

Tote Wahrnehmung ist unterschiedslose Wahrnehmung, objektive Wahrnehmung, die nurmehr Eindrücke für wahr zu haben versteht, weil sie alles nur für sich selbst, für ihre Selbstgefühle wahrhaben kann und sich hieraus auch bestimmt. Was die Empfindungen noch im Unterschied erkennen, wird von ihr schon aus Gewohnheit ausgeglichen, bewor ihre Wahrheit genommen werden kann. Die Langeweile, die ihre Unterschiedslosigkeit mit sich bringt, verlangt eine Welt voller Ereignisse (siehe Eventkultr), deren Erleben keinen Lebensausdruck mehr vermittelt, sondern vor allem Gefühle bedient, die keine Empfindungen mehr nötig, sich ihrer Geschichte entzogen haben (siehe hierzu auch Tourismus), Von da her sucht solche Wahrnehmung unentwegt nach Erlebnissen, durch die sie sich beeindrucken lässt und konsumiert alles, was sie anreizt, was überhaupt durch die Wirkung auf ihre Wahrnehmung eindrucksvoll erscheint (siehe hierzu auch Kulturkonsum), ganz gleich, was sich darin ausdrückt und mitteilt.

Die Menschen einverleiben sich daher in den allgemeinen Verhältnissen der politischen Kultur nicht mehr ihre Selbstgefühle. Sie nutzen sie für ihr Überleben in einer zwischenmenschlichen Gesellschaft. Dieser Nutzen zieht alle Gefühle an sich, die er verbraucht und die er ausschließt, sobald sie ihren gesellschaftlichen Rang verlieren. Sie werden daher zu ständig wechselnden und zugleich flüchtige Gefühle, die sich als Gebotenheiten dessen, was hierfür nötig ist, vermitteln. Das verlangt vor allem eine Selbstlosigkeit iin einem Sein für sich durch ein Dasein außer sich. Darin scheint durch die gesellschaftliche Gleichstellung der zwischenmenschllichen Bezogenheiten zwar ihre Isolation überwunden zu sein. Doch zugleich beherrscht die Nützlichkeit der Selbstgefühle im Allgemeinen alle Ereignisse, die das Leben der Einzelnen ausmachen.

Aber damit haben sich die Selbstwahrnehmungen natürlich nicht einfach aufgelöst; sie sind lediglich unerkennbar, weil sie sich in allem, was sich in den zwischenmenschlichen Beziehungen regt, in der Form ihrer Gegebenheiten bestimmt erscheinen. Ihre Subjektivität erscheint nun in ihrer Selbstsucht selbst objektiv gänzlich vorgegeben. Sobald in den zwischenmenschliches Verhältnissen der Menschen die Selbstbeziehung ihrer Verücktheit überwunden haben, wird diese nun auch wirklich objektiv, also kulturell veräußert und es können ihre Gefühle für sich selbst vollständig selbstlos auftreten. Um sich über ihr zwischenmenschliches Verhältnis als eine objektive Persönlichkeit der Kultur zu gewinnen, sich also selbst aus ihrer objektiven Selbstveräußerung im Ganzen zu bilden und zu enttwickeln. wird durch deren Objektivität jede Selbsterkenntnis gänzlich ausgeschlossen. Was sie in ihrer Selbstentfremdung noch im Verhältnis zu sich in ihren Verrücktheiten wahr hatten, gerät nun außer sich. Damit eine solche Selbstlosigkeit gelingen kann, müssen darin alle menschlichen Äußerungen versammelt, ihr zwischenmenschliches und kulturelles Verhältnis überhaupt objektiv existent sein, um von allen, also algemein genutzt und vernutz zu werden, in seiner Nützlichkeit für andere sich selbst zu entäußern. Doch in solchem Nutzen verliert sich jeder Sinn im Verbrauch. Er wird durch beliebige Einverleibungn konsumiert. In seiner Objektivität kehrt sich seine subjektive Beziehung allerdings um und wird zu einer "Beziehungsfalle".

Weil ihr Sinn außer sich geraten ist entsteht eine Scheinwelt zwischenmenschlicher Beziehungen der Menschen, die nicht mehr wissen können, auf wen oder was sie sich wirklich beziehen können. Ihre Verücktheit mag überwunden sein, nicht aber ihre Lebensangst, die ihnen durch die mit der objektivierten Selbstwahnehmung ihrer Kultur immer noch nötigen erzieherischen Beziehung jede Gewissheit entzieht. Die Menschen veralllgemeinern daher ihre Lebensangst zu einer zwischenmenschlichen Persönlichkeit, die den Einzelnen hiervon beftreit und seine Verrücktheiten durch die Vernunft eines selbstlosen Subjekts bändigt. Die Selbstwahrnehmung, die zur Selstentfremdung geworden war, kommt damit zu einer Gesellschaft, in der sich alle zwar fremd sind, zugleich aber sich über die kulturellen Rollen ihrer politischen Kultur zusammenfinden, einen kultivierten Gemeinsinn finden, in welchem alle zwischenmenschlichen Beziehungen zum gemeinschaftlichen Verhältnis einer Zwischenmenschlichkeit werden, in der sie sich wechselseitig als kulturelle Persönlichkeit empfinden und in ihren nun selbstlosen Selbstgefühlen bestätigen und bestärken können. Was die Mensche in ihrer Selbstlosigkeit aufeinder beziehen ist nur noch das, was sie von einander wahrhaben, was sie nicht mehr empfinden, wohl aber als Mittel ihrer Beziehungen nutzen: Tote Wahrnehmung.

Dies allerdings unterstellt, dass in ihren Lebensverhältnissen ihre Selbstbeziehung auch wirklich objektiv, also kulturell veräußert ist, dass die Menschen selbst für sich vollständig selbstlos auftreten können, um sich ihrer Verrücktheiten zu entledigen, um sich über ihr zwischenmenschliches Verhältnis als eine objektive Persönlichkeit der Kultur zu gewinnen, sich also selbst aus ihrer objektiven Selbstveräußerung im Ganzen bilden und entwickeln. Was sie in ihrer Selbstentfremdung noch im Verhältnis zu sich wahr hatten, gerät nun außer sich. Damit eine solche Selbstlosigkeit gelingen kann, müssen darin alle menschlichen Äußerungen versammelt, ihr zwischenmenschliches und kulturelles Verhältnis überhaupt objektiv existent sein, um von allen, also algemein genutzt und vernutz zu werden.

Und wo diese selbst als Entfremdungsmacht übermächtig werden, weil sie vorgeblich ein unterstelltes Kollektiv, eine zwingende Gemeinschaft aus zwischenmenschlichen Verhältnissen darstellen, also Isolation per se überwunden haben wollen, da werden die wirklichen Beziehungen der Zwischenmenschen schon im Vorhinein abstrakt aufgehoben, in ihrer abstrakten Allgemeinheit ihrer Unterschiedenheit selbst zu einer allgemeinen Artigkeit, zu einer Art von Leben, das sich im Unterschied von sich selbst enthebt, weil es sich darin nur versöhnen darf. Und wenn sich in solchem artigen Leben die Beziehungen der Menschen gegeneinander abscheiden, sich entgegenwärtigen und in ihrer Abwesenheit als permanente Störung anwesend sind, entsteht eine Unfähigkeit, Sinn und Unsinn dieser Verhältnisse zu unterscheiden. Und dies beinhaltet eine Einheit in der Entgrenzung, ein Gefühl, das sich in einem allgemeinen Ekel zusammenfasst. Denn wo der einzelne Mensch sich in seiner isolierten Selbstwahrnehmung allgemein nicht mehr in irgendeiner Form bestätigt und bestärkt findet, empfindet er das Allgemeine als eine Prominenz, an der er gemessen wird und kann sich somit natürlich nurmehr im Mangel gegen diese empfinden, sich als unprominente Einzelheit in einer Welt voller prominenter Selbstwahrnehmungen fühlen. Ein solches Selbstgefühl steht in der Notwendigkeit, sich zumindest dem anzugleichen, was ihm als Wahrnehmung prominent erscheint und ihm somit als allgemeine Gebotenheit erscheint.

In diesem Sinne wird damit einer Welt gedient, deren Verstand mit ihrer Vernunft unentwegt in Konflikt gerät und deshalb ihre Probleme gerade dort verstärkt, wo sie ihrer Logik nurmehr blind gehorchen können und sich der Wahrnehmung entziehen müssen. Und wo die Wahrnehmung sich nicht mehr weltlich verstehen kann, weil die Welt sich nicht mehr wahr haben lässt, da stellt sie sich gegen diese in der Isolation von ihr, in ihrer Selbstisolation ins Jenseits ihrer Natur und bezieht sich selbst nurmehr auf ihre Naturalformen, auf die Organe ihrer Selbstwahrnehmung. Wahrheit nimmt sie dann in der bloßen Abstraktion, der Absehung von jeglichem weltlichen Inhalt und versetzt sich von daher in die Absicht der Bereinigung, in der Selbstbehauptung einer Reinheit, durch die Abstraktion von den Inhalten, die sie für wahr nicht mehr nehmen kann. Sie bezieht sich auf die Reinheit der Form, auf die reine Form.

Wo unter dieser Bedingung Auszuscheidendes nicht abgeschieden werden kann, weil es Bestandteil einer notwendigen Selbstwahrnehmung ist, entsteht Ekel. Er ist die Empfindung einer unmöglich gewordenen Scheidung, die das Auszuschließende gegenwärtig mächtig macht, also eine verkehrte Entscheidung offenbart. Was abwesend sein soll wird mächtig und das Ausgeschlossene bleibt im Ekel anwesend. Ekel ist von daher die Empfindung einer Abweisung, die nicht wirklich abgewendet ist nd von daher das Selbstgefühl beherrscht.

Wenn Ekel nicht mehr in Abwendung verwirklicht werden kann, so wendet er sich zur Ästhetik der Selbstwahrnehmung, oft auch nur in der Abweisung von fremden Selbstgefühlen als ästhetisches Selbstgefühl, das dadurch gewonnen wird, dass es den Ekel, der ein Ekel vor sich selbst werden würde, einfach verdrängt. Damit allerdings wird aus einem Verhältnis der Wahrnehmung eine Selbstwahrnehmung, die sich zu einem Verhängnis in den zwischenmenschlichen Verhältnissen entwickelt.

Weil er in der Isolation seiner Verdrängung keinen Gegenstand finden kann und somit ausschließlich wirkt, wird der Ekel unerkennbar mächtig, übernimmt eine unerkennbare Herrschaft über die Selbstwahrnehmung, die sie über das Wahrnehmungsverhältnis überhaupt gewinnt, indem sie jeden aufkommenden Selbstwert darin bekämpfen muss. Sie enthebt von daher die Selbstwahrnehmung der ihr nötigen Gewissheit, indem sie ihre Verhältnisse beherrscht. Was in Wahrheit ihre Selbstentfremdung ist, wird darin als Selbst zwang zur Selbstlosigkeit bestimmend. In diesen Verhältnissen können die Menschen ihren Schmerz nicht mehr erkennen, denn sie können sich von ihrer WAhrnehmng nicht mehr unterscheiden und verlieren die Möglichkeiten einer Kritik, durch die sie ihre Selbstachtung erlangen könnten. Es kann dies nurmehr durch die Erzeugung eines ästhetischen Willens überwunden werden. Dieser wird somit allgemein in der zwischenmenschlichen Wahrnehmung zu einem meist völlig verkannten Machtfaktor, weil er alle Selbstwahrnehmungen isoliert und gegen sich wendet.

Denn wo der einzelne Mensch sich in seiner isolierten Selbstwahrnehmung allgemein nicht mehr in irgendeiner Form bestätigt und bestärkt findet, empfindet er das Allgemeine als eine Prominenz, an der er gemessen wird und kann sich somit natürlich nurmehr im Mangel gegen diese empfinden, sich als unprominente Einzelheit in einer Welt voller prominenter Selbstwahrnehmungen fühlen. Ein solches Selbstgefühl steht in der Notwendigkeit, sich zumindest dem anzugleichen, was ihm als Wahrnehmung prominent erscheint und ihm somit als allgemeine Gebotenheit erscheint. Sein Wille wird in dieser Notwendigkeit nur aus seiner Selbstwahrnehmung in einer Welt selbstveredelter Sitten begründet und wird hierdurch in dem, wo diese sich Eindruck verschaffen kann, wo sie prominent wird, zu einem ästhetischen Willen.

Die Menschen veralllgemeinern darin jetzt ihre Lebensangst zu einer zwischenmenschlichen Persönlichkeit, die den Einzelnen hiervon beftreit und seine Verrücktheiten durch die Vernunft eines selbstlosen Subjekts bändigt. Die Selbstwahrnehmung, die zur Selstentfremdung geworden war, kommt damit zu einer Gesellschaft, in der sich alle zwar fremd sind, zugleich aber sich über die kulturellen Rollen ihrer politischen Kultur zusammenfinden, einen kultivierten Gemeinsinn finden, in welchem alle zwischenmenschlichen Beziehungen zum gemeinschaftlichen Verhältnis einer Zwischenmenschlichkeit werden, in der sie sich wechselseitig als kulturelle Persönlichkeit empfinden und in ihren nun selbstlosen Selbstgefühlen bestätigen und bestärken können. Was die Mensche in ihrer Selbstlosigkeit aufeinder beziehen ist nur noch das, was sie von einander wahrhaben, was sie nicht mehr empfinden, wohl aber als Mittel ihrer Beziehungen nutzen: Tote Wahrnehmung.

Tote Wahrnehmung ist eine gleichgültige, eine selbslose Wahrnehmung, die immer schon außer sich ist, bevor sie zu sich kommen kann. Von daher bestimmt das Vergangene, die Erinnerung, selbst schon ihre Wahrheit. Ihre Urteile ergehen aus einem "Gebälk von Begriffen" (Friedrich Nietzsche) in ästhetischen Strukturen, die sie vor allem vor Verunsicherung schützen, eine abwesende Wahrheit verteidigen, durch die ihre Wahrnehmung als Ganzes über sich selbst verfügt (siehe Selbstwahrnehmung), ihren Sinn allerdings in derVernutzung der Wahrnehmung übrhaupt zusammfallen lässt und ihren Zusammenhang nun vor allem zusammmenhalten muss (siehe hierzu auch Kontrollbedürfnis).

Tote Wahrnehmung ist selbstlose, und daher unterschiedslose Wahrnehmung, objektive Wahrnehmung, die nurmehr Eindrücke für wahr zu haben versteht, weil sie alles nur für sich selbst, für ihre Selbstgefühle wahrhaben kann und sich hieraus auch bestimmt. Was die Empfindungen noch im Unterschied erkennen, wird von ihr schon aus Gewohnheit ausgeglichen, bevor ihre Wahrheit genommen werden kann. Die Langeweile, die ihre Unterschiedslosigkeit mit sich bringt, verlangt eine Welt voller Ereignisse (siehe Eventkultr), deren Erleben keinen Lebensausdruck mehr vermittelt, sondern vor allem Gefühle bedient, die keine Empfindungen mehr nötig, sich ihrer Geschichte entzogen haben, Von da her sucht solche Wahrnehmung unentwegt nach Erlebnissen, durch die sie sich beeindrucken lässt und konsumiert alles, was sie anreizt, was überhaupt durch die Wirkung auf ihre Wahrnehmung eindrucksvoll erscheint (siehe hierzu auch Kulturkonsum), ganz gleich, was sich darin ausdrückt und mitteilt.

Tote Wahrnehmung ist der Rückstand der Wahrnehmung, die ihre Empfindungen "nicht mehr leiden kann" und sich bald gegen alle Empfindung als ein durch Gewöhnung verschlossenes Selbstgefühl in einzelnen Menschen verhält und ihre reduzierte, ihre abstrakte Gefühlswelt totalisiert, ihre ausschließliche Wahrheit als Ursprung wie Resultat ihrer Abspaltung behaupten kann (siehe auch Selbstbehauptung). Ihre Gefühle haben ihre Empfindungen verloren, weil ihre Gefühle sie beherrschen, weil sie der Erkenntnis durch ihre Abspaltung entzogen sind. So ist eine Wahrnehmung als absolute Selbstwahrnehmung entstanden, die sich aus der Abspaltung ihrer Gefühle durch die Ausgrenzung ihrer Empfindungen ergibt. Tote Wahrnehmung ist empfindungslose Wahrnehmung, nimmt die abstrakte Wahrheit sinnlos gewordener Verhältnisse als eigene Wahrheit und als Maß ihres Erkenntnisinteresses auf (siehe auch abstrakt menschlicher Sinn).

Doch tote Wahrnehmung hat ihre Empfindung nicht wirklich verloren. Sie hat sie in ihr Gegenteil verkehrt, weil sie nur erkennen kann, dass die Verhältnisse der Selbstgerechtigkeit sich im satten Nichts verlaufen. Sie ist nicht das positive Maß ihrer Urteilskraft, sondern ihr Opfer, ihre Negation. Denn sie transportiert in ihren Positionen keine wirkliche Negation, sondern im Großen und Ganzen einen Selbstverlust. Und das hat im Nachhinein eine totale Wirkung auf ihre Wahrheit dadurch, dass sie die darin aufgehobenen Verschmelzungen aus vergangenen, im Gedächtnis akkumulierten Gefühle als eine nichtige Wahrheit birgt, sich in einer Nichtung der Wahrnehmung absichern muss, weil und solange sie ihre Lebnswirklichkeit nicht mehr erkennt, nicht mehr ins wirkliche Leben findet (siehe hierzu auch Trauma). Sie rächt ihre Isolation mit der Abstraktionskraft ihres abhanden gekommenen Lebens, kehrt ihr Erkenntnisinteresse um, um sich aus ihrer Isolation selbst zu verwirklichen, ihr abgespaltenes Lebensinteresse gegen das Leben selbst als verlorenes Selbstgefühl gegen die Welt zu wenden, ihren Selbstverlust zu vergegenständlichen, ihn gegen seine Wahrheit zu veredeln (siehe auch Selbsveredelung) um sich endlich in einer gewaltigen Selbsttäuschung wieder zu finden. Aus den Trümmern ihrer Verscmelzungen werden Konstrukte, die eine herbe Durchsetzungskraft ihrer Nichtung (siehe Abstraktionskraft) einfordern.

Ihre Natur war eigentlich allen Lebensverhältnissen unterstellt; sie ging schon immer in jede Verbindung der Menschen (und Tiere) ein, sei es in ihrem Stoffwechsel, ihrer Ernährung oder ihrem Geschlecht. In den zwischenmenschlichen Beziehungen aber, welche sich über die Selbstverwirklichung zunächst ausschließlich hiergegen aus der selbständigen "Natürlichkeit" der Selbstwahrnehmung zum Verhältnis von Kulturpersönlichkeiten entwickelt haben, erscheint die menschliche Natur nun als der natürliche Rest des Menschseins, der auch Verbindungen sucht, wo gesellschaftlich keine mehr sind. Was den Menschen in ihren zwischenmenschlichen Verhältnissen, in ihren Lebensburgen, selbstlos und also unheimlich geworden war, das tritt nun als selbständige und einzelne Natur in ihnen hervor als reine Erregung ihrer naturhaft scheinenden Individualität. Ihr gesellschaftliches Sein, das in Wirklichkeit menschliche Naturmacht ist, erscheint nun selbst von einem Wesen beherrscht, das als das "natürliches Wesen des einzelnen und vereinzelten Menschen", als Natur seiner Persönlichkeit, seiner individuellen Notwendigkeit auftritt, die aber nicht erst sich hierfür vergesellschaften muss, sondern selbst schon das "Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse" (Marx) verkörpert, weil sie auch unmittelbar Gattungswesen ist.

Darin existiert schließlich die ganze gesellschaftliche Wirklichkeit der Menschen jetzt als das leibhaftige Vermögen, ihre gesellschaftliche Natur zu verwirklichen, indem sie sich nicht nur ihre Natur aneignen, ihre natürliche Welt außer sich vermenschlichen und sich selbst als Naturmacht entwickeln, sondern auch ihre eigene Natur für sich kultivieren, sich selbst als einen natürlichen Körper ihrer Welt empfinden, ihre Kultur durch sich selbst, durch ihre Selbstwahrnehmung verweltlichen indem sie sich selbst als deren Naturalform verstehen. Ihre subjektive Vernunft bleibt auch in ihrer Selbstbezüglichkeit die Substanz der menschlichen Sinnbildung als das Dasein ihres Geschlechtes in den Generationen ihrer wirklichen Kulurbeziehung.

Geschlecht kommt vom Mittelhochdeutschen "geslähte" (Stamm, Eigenschaften, ursprüngliche Bedürfnisse) und hat mit dem germanischen Wort Slahan (Richtung einschlagen) zu tun, was auch in dem Wort ga-slahta (dieselbe Richtung einschlagen) vorkommt. Im Althochdeutschen meint Geschlecht die kulturelle Ausrichtung von Klassen und Herrscherhäuser (gislaht bedeutet hier wohlgeartet, edel). Zusammenfassend kann man für Menschen den Begriff als Bezeichnung einer elementaren Grundausrichtung im Sinn der auf Fortbestimmung des menschlichen Lebens bestimmten Strebungen verwenden. Geschlecht ist daher nicht individuell bestimmbar, auch nicht als Wesensunterschied von Mann und Frau. Es ist ein Gattungsbegriff und erstrebt in dieser Ganzheit menschlicher Lebensbestimmungen Befriedigung und Entwicklung zugleich und hat von daher immer schon eine elementare Ausrichtung in jedem einzelnen Menschen, die über seine Individualität weit hinausgreift. Diese erwirbt er sehr früh, schon durch seine Zeugung und Geburt, aber auch später durch soziale und kulturelle Einwirkungen seines Lebensraums.

"In dem Verhältnis zum Weib, als dem Raub und der Magd der gemeinschaftlichen Wollust, ist die unendliche Degradation ausgesprochen, in welcher der Mensch für sich selbst existiert, denn das Geheimnis dieses Verhältnisses hat seinen unzweideutigen, entschiednen, offenbaren, enthüllten Ausdruck in dem Verhältnisse des Mannes zum Weibe und in der Weise, wie das unmittelbare, natürliche Gattungsverhältnis gefaßt wird. Das unmittelbare, natürliche, notwendige Verhältnis des Menschen zum Menschen ist das Verhältnis des Mannes zum Weibe. In diesem natürlichen Gattungsverhältnis ist das Verhältnis des Menschen zur Natur unmittelbar sein Verhältnis zum Menschen, wie das Verhältnis zum Menschen unmittelbar sein Verhältnis zur Natur, seine eigne natürliche Bestimmung ist. In diesem Verhältnis erscheint also sinnlich, auf ein anschaubares Faktum reduziert, inwieweit dem Menschen das menschliche Wesen zur Natur oder die Natur zum menschlichen Wesen des Menschen geworden ist. Aus diesem Verhältnis kann man also die ganze Bildungsstufe des Menschen beurteilen. Aus dem Charakter dieses Verhältnisses folgt, inwieweit der Mensch als Gattungswesen, als Mensch sich geworden ist und erfaßt hat; das Verhältnis des Mannes zum Weib ist das natürlichste Verhältnis des Menschen zum Menschen. in ihm zeigt sich also, in[wie]weit das natürliche Verhalten des Menschen menschlich oder inwieweit das menschliche Wesen ihm zum natürlichen Wesen, inwieweit seine menschliche Natur ihm zur Natur geworden ist. In diesem Verhältnis zeigt sich auch, in[wie]weit das Bedürfnis des Menschen zum menschlichen Bedürfnis, inwieweit ihm also der andre Mensch als Mensch zum Bedürfnis geworden ist, inwieweit er in seinem individuellsten Dasein zugleich Gemeinwesen ist."
(Marx-Engels-Werke Bd. 40, S. 535)

Inwieweit der Mensch schon Mensch als Gattungswesen geworden ist, erweist sich besonders in seiner Geschlechtsbeziehung, also darin, wieweit Mann und Frau selbst sich menschlich erkennen, sowohl Lust, wie Begehren und Erzeugen (siehe Geschlechtsarbeit) aneinander zu erneuern vermögen. In geschlechtlicher Verknechtung drückt sich die Niedertracht einer Habgier aus, die immer Macht als fremde Kraft, als Befriedigung einer allgemeinen Geschlechtsästhetik, als chronifizierte Macht der Selbstentfremdung nötig hat.

Die Geschlechter leben für sich niemals ohne einander, auch wenn sie ohne einander existieren oder gegeneinander kämpfen oder sich nur auf das eigene Geschlecht oder nur auf sich selbst beziehen. Auch in der absurdesten Existenzform ist Geschlecht Lebenserneuerung. Es ist das durch sich selbst begründete und auf sich gründende Leben und von daher auch ein Antrieb, der immer Gefahr läuft, sich in Selbstbeziehungen zu einem Trieb zu verselbständigen, worin es sich in seinem Bezug verkehrt und pervertiert. Alle menschlichen Beziehungen sind immer auch geschlechtliche Beziehungen, insofern sie als gesellschaftliche Beziehungen sind und sich aus dem Verlangen der Menschen nach einander, dem Verlangen des Gattungswesens gründen. Auch der Geschlechterkampf gründet auf dem Verlangen nach einander, das notwendig ist, um sich menschlich zu verwirklichen und das zugleich als menschliche Wirklichkeit die Bestimmung des Geschlechts ausmacht.

Durch ihre Selbstwahrnehmung hat sich die Kultur des Gattungswesens Mensch in seine Vereinzelung zurückgenommen. Es ist damit ein sehr widersinniges Verhältnis ihrer Kultur entstanden. Die Vermenschlichung der Natur war immer schon die geschichtliche Produktion und Aneignung ihres Lebens, das Lebensverhältnis ihrer Geschichte, in welchem sie ihr Leben verwirklichen. Ihre Lebenswirklichkeit ist der gesellschaftliche Reichtum, worin sie dieses vergegenständlicht haben, in welcher Form auch immer er existiert. Was sie als sachlich objektiven Reichtum bilden, ist zugleich das Vermögen ihrer geschichtlich entwickelten Macht im Verhältnis zu ihrer gesellschaftlichen Subjektivität, die Vergegenständlichung ihrer Natur: ihre Kultur als ihre objektiv gewordene Sinnbildung. Aber als ein derart selbstloses Verhältnis zu sich selbst erscheinen sie sich jetzt selbst höchst unnatürlich als Gegenstand ihrer wechselseitigen Kultivierung, als ein Objekt ihrer Kultur, als Gegenstand einer ungegenständlichen, weil nur wechselseitigen Sinnbildung ihrer Zwischenmenschlickeit.

In jeder Kultur ist die Sinnbildung vor allem durch das Lebensverhältnis der Geschlechter bestimmt. So auch in einer Kultur, in der die Empfindungen der Menschen ihren Selbstgefühlen unterworfen sind, sich in einer rein ästhetischen Wahrnehmung in zwischenmenschlichen Beziehungen verhalten, in der sie sich durch die wechselseitige Einverleibung ihres Lebens behaupten müssen, im Geltungsstreben ihrer Selbstverwertung sich zugleich persönlich entziehen und nun in ihrer bürgerlichen Kultur nur außer sich verkehren können. Es ist die Anarchie ihrer Gefühle, die ihre Lebenswelt beherrscht und in ihrer veräußerten Selbstsucht ihre Gesellschaftlichkeit zweifelhaft sein lässt. Von daher müssen sich die Menschen darin zumindest gesittet verhalten, sich gesellschaftlich selbstlos beziehen, aus ihren persönlichen Verrücktheiten den Gemeinsinn ihrer Sitten und Gebräuche vorkehren und durch ihre Sittlichkeit die Widersprüche ihrer Sinnbildung zwischen ihren Empfindungen und Gefühlen, zwischen Frauen und Männern, zwischen Familie und Kultur, zwischen Individuum und Gesellschaft usw. aufheben.

Losgelöst durch ihre Selbstwahrnehmungen, also in der Trennung von ihrer gegenständlichen Welt, erscheint ihre Kultur nurmehr als ihr subjektives Vermögen in der bloßen Formation ihrer kulturellen Verhältnisse aus ihren Lebensburgen heraus als ihre bürgerlichen Kultur. Ihr ganzes Gattungsverhältnis wird zu einem Begattungsverhältnis, worin ihr subjektives Vermögen sich aus ihrer zwischenmenschlichen Lebenswelt zu einer Objektivität ihrer zwischenmenschlichen Verhältnisse über sie erhebt und diese bestimmt. Um diese Bestimmungen geht es in diesem Teil der Kritik der Kultur des Kapitals. Sie entwickeln sich im Vermögen der Menschen in ihrem Dasein als Persönlichkeiten der Kultur, als Kulturpersönlichkeiten, welche die Kultur zur formellen und realen Formation einer übermenschlichen Zwischenmenschlichkeit entwickeln.

Solchen Persönlichkeiten ist Kultur als ihre Lebensgewohnheit vorausgesetzt. Doch diese hat den Mangel, dass sie das gewöhnliche Leben nicht mehr bildet, sondern nurmehr reflektiert, sich darin eingenistet hat und sich als ihr Reflex aus ihr erhebt und jedes einzelne Verhältnis in sich aufzuheben sucht. Von daher ist ihr Vermögen auch nur dort gegenwärtig, wo Kultur nicht als gesellschaftliche Wirklichkeit existiert, sondern nur gesellschaftliche Wirkung hat im Heim ihrer zwischenmenschlichen Besonderungen, sich also in gesellschaftlicher Heimlichkeit entfaltet und eine Welt voller gesellschaftlicher Unheimlichkeiten entwickelt.

Die zwischenmenschliche Persönlichkeit, die aus der Selbstverwirklichung, aus der Wirklichkeit ihrer Selbstgefühle entstanden war und ihre Vergegenwärtigung in ihren Lebensburgen erfahren hat, erscheint daher jetzt von ihrer Ungegenwärtigkeit bedrängt und sucht ihr Überleben als Subjekt ihrer kulturell verselbständigten Lebenswelten in der Selbstlosigkeit einer kulturellen Vernunft, die sich aus den Notwendigkeiten bedrohter Eigenheiten ergibt. Solche Vernunft versinnlicht sich in der Aufhebung besonderer Sinnlichkeiten. Sie wird hierin zum Subjekt ihrer Gewohnheiten durch die Beherrschung ihrer Gewöhnlichkeit, ihrer Sitte, und also zum Subjekt der bürgerlichen Sittlichkeit, in der sich die Menschen in ihren zwischenmenschlichen Verhältnissen aus ihrer familiären Verrücktheit heraussetzen und sich hiergegen veredeln.

Selbstveredelung benutzt Menschen in zwischenmenschlichen Verhältnissen als Attribut der Selbstwahrnehmung, um diese aufzureizen, um ihr einen Sinn zu verschaffen, den es nicht gibt, der aber als Reflexion der Selbstwahrnehmung auf diese Weise eine Wirkung so bekommt, wie sie inszeniert wird. In Verhältnissen, worin wirklicher Sinn ausgeschlossen ist und Selbstlosigkeit herrscht, entsteht von daher eine Wirklichkeit, worin Menschen nur als Rolle dieses Wirkungsinteresses bestimmt sind. Hierfür entscheidend und scheidend ist das Ausgeschlossene, was sinnlich nicht sein kann, weil es in sich verrückt ist.

Selbstveredelung will die Herstellung einer erhöhten Selbstwertigkeit im Sinne einer Güte, die sittlich im Maßstab einer Vorstellung bemessen wird. Diese entspringt einem gesellschaftlichen Interesse an Selbstkontrolle - besonders in Verhältnissen, worin soziale Konflikte sich nurmehr subjektiv als Verhalten (siehe Verwahrlosung) vermitteln. Sie entsteht daher zum einen in einem besonderen erzieherischen Interesse, zum anderen auch als Prinzip einer Selbstverstärkung, die sich gegen die eigene beziehungslose Selbstlosigkeit und Verwahrlosung wendet

 

Die bürgerliche Persönlichkeit hatte sich bisher noch aus ihrer Selbstverwirklichung in den zwischenmenschlichen Verhältnissen begründet und war in ihrer objektiven Geborgenheit als personifizierter Zwischenmensch verrückt geworden, weil sie ihre Selbstwahrnehmung entrückt, weil sie sich durch ein zur reinen Obejktivität entrücktes Selbstgefühl bestimmt hatte. Ihre Lebensburg erwies sich zwangsläufig als Falle ihrer Selbstbezogenheit, weil sie diese von ihren wahren Grundlagen, der gesellschaftlichen Wahrnehmung entzogen hatte. Nun kommt sie auf ihre Gesellschaft zurück, indem sie sich gegen ihre Wohnstatt richtet.

Sie muss hierbei ihre Selbstverrückung umkehren, um endlich als eine "normale" gesellschaftliche und gesellschaftsfähige Persönlichkeit zu leben. Doch die Gesellschaftlichkeit auf der Grundlage von Selbstwahrnehmung ist lediglich eine gesellschaftlich verallgemeinerte Vereinzelung. Es geht also jetzt darum, wie aus den vielen Individualisierungen, die der Bildungsprozess solcher Persönlichkeit hinter sich gelassen hat, eine gesellschaftliche Form sich bilden und fortbestimmen kann, in welcher solche verrückte Individualisierung aufgehoben ist und gesellschaftlich als eigenständige Kultur verwirklicht wird, als ein Sinn, in welchem sich die Verrücktheit der isolierten Sinnlichkeit einfindet und aufhebt..

Die Menschen, die sich gerade noch in der Symbiose ihrer Lebensburgen abstrakt verallgemeinert hatten, müssen daher jetzt von sich selbst absehen, um sich in ihrer Wahrnehmung zu vergesellschaften, und sie müssen sich zugleich ästhetisch verwirklichen, um ihre Gesellschaftlichkeit zu kultivieren. Ihre Anreize und Befriedigungen stehen daher nicht mehr in einem unmittelbaren Verhältnis. Sie werden füreinander ungewöhnlich, benötigen ihr bestimmtes Anderssein, um durch ihre Besonderheit gesellschaftliche Wirkung zu erlangen. Sie ziehen sich an, indem sie sich abstoßen und sie stoßen sich ab, um durch ihre Abwesenheit anziehende Wirkung zu haben. Ihre Ästhetik bekommt jetzt erst den Reiz einer an und für sich wesenlosen Anwesenheit, einer wirklich abstrakten Sinnlichkeit, die weder im Wahn noch in der Wirklichkeit der Selbstbezogenheit aufgehen kann, sondern selbst zu einer gesellschaftlichen Form bürgerlicher Ästhetik, wirklich bürgerliche Kultur wird. Hierdurch erst wird ihre Kultur gesellschaftlich mächtig als politisches Verhältnis der Selbstwahrnehmung, das sich voll und ganz bestimmend verhält und alle Erkenntnis beherrschen kann, die von ihr ausgeschlossen werden muss. Doch ausgeschlossene Erkenntnis kann es nicht wirklich geben, selbst wenn sie "verdrängt" würde. Ausgeschlossen wird Erkenntnis nur dadurch, dass sie schon unterstellt ist, dass also die gewohnte Wahrnehmung an ihre Stelle tritt.

Die Erkenntnis wird daher nurmehr wahr gehabt, aus sich selbst erschlossen und in sich verschlossen. Sie ist nun vollständig von der Wahrnehmung dadurch bestimmt, dass diese vor die Erkenntnis tritt, das schon für wahr immt, was erkennbar für sie ist. Die gewohnte Wahrnehmung wird zum Subjekt der Erkenntnis und die Inhalte der Erkenntnis nur wahrnehmbar, wenn sie ungewöhlich erscheinen, ungewöhnlich reizvoll, ungewohnt abartig usw. So wird Erkenntnis zur Aufhebung von Selbsterkenntnis. Sie wird in ihrem Sinn nun auch wirklich vertauscht und zu einer Erkenntnis außer sich: Erkannt wird alles in der Form, worin es unter dieser Bestimmung für wahr genommen werden kann. Der Sinn der Erkenntnis wird mit dem wirklich tätigen Sinn der Selbstwahrnehmung vertauscht. Von daher betreibt diese Form eine fortwährende und absolut werdende Selbsttäuschung, ein totalitäres Prinzip der Selbstwahrnehmung, die zum vollständigen Erlebensinhalt der Menschen in und durch diese Aussonderung nun auch politisch nötig wird, nötig als Selbstwert eines politischen Prinzips, das sich nur dadurch bewähren kann, dass sich die Menschen in ihm täuschen.

Die Bildung einer zwischenmenschlichen Kultur von Einzelpersönlichkeiten war noch aus dem Mangel heraus geschehen, dass etwas nur Sinn haben kann, wenn dieser für andere auch ist, dass also das wechselnde Anderssein der Sinne sich über die Persönlichkeiten hinweg erst als sinnvoll erweist. Jede der beteiligten Personen beachtet hiernach die anderen nur in dem Zweck, eine optimale persönliche Verwirklichung in ihrer Gemeinschaft zu finden. Hatte sich im ersten Teil dieses Textes noch die Selbstwahrnehmung im Selbstwert der einzelnen Persönlichkeiten sinnlich und reizvoll verwirklicht und im zweiten Teil auf sich als solche Persönlichkeitswelt, als Gewohnheit des geborgenen Lebens bezogen, so gestaltet sie sich jetzt zu einer selbständigen und verselbständigten Kulturmacht der persönlichen Anreizungen, worin diese zunehmend selbstlos werden und sich als objektiver Wille einer politisch wirksamen Kultur durch die Anreize ungewöhnlicher Selbstwahrnehmungen durchsetzen.

Von da her sind die sinnlichen Verhältnisse nicht mehr nur ästhetisch, also in reizvollen Verhältnissen. Ästhetik wird selbst zu einem Sinn. Der Sinn selbst hat daher eine rein ästhetische Form, deren Inhalt der bloße Sinneswandel der Menschen ist. In ihren Verhältnissen finden die Menschen nichts mehr, was für sie Sinn hat; sie gewinnen ihre Sinnlichkeit nurmehr aus der Teilhabe an einem Sinn, den ihre Gesellschaft ihnen abverlangt. Dieser erscheint so, wie er als Reiz auf die Selbstwahrnehmung wirkt und darin auch sinnlich gilt. Von daher enthebt er sich den Lebensgewohnheiten und gestaltet sich wesentlich im bloßen Reiz einer Allgemeinheit des Außergewöhnlichen. Er wird so zur Grundlage einer allgemeinen Vertauschung von Sinn und Reiz, Grundlage einer gewaltigen Selbsttäuschung.

Alle Not, welche die Kultur der persönlichen Zwischenmenschlichkeit in ihrer Geborgenheit und Verborgenheit entwickelt hatte, wird nun darin gewendet, dass sie durch die Reize ihrer Selbstwahrnehmung wirkliche Überlebensverhältnisse entwickelt, worin sich das einst Private nun selbst als öffentliche Kulturform hervorkehrt. Es ist dies der Zusammenschluss einer Selbstwahrnehmung, die aus der Not einer sinnlos gewordenen Kultur entsteht, also die Notwendigkeit eines Überlebens in dieser Kultur verwirklicht. Das öffentliche Kulturerleben wird zum Inhalt der politischen Kultur und der Politik mit Kultur bestimmt. Sie erscheint von daher durch sich selbst, also durch ihre Fähigkeit, Überleben zu versichern, vernünftig. Alles Ästhetische wird nun dadurch lebendig, dass es als Lebensträger zu einer eigenen Wirkung gelangt.

Man kann die Wirklichkeit, wo sie nicht mehr hinreicht, menschliche Gesellschaft darzustellen, drehen und wenden, wie man will: als Kultur erscheint sie immer menschlich, da sie zwischenmenschlich immer real ist und als Form der Zwischenmenschlichkeit auch Natur hat - auch wenn sie nicht unbedingt natürlich ist. Der Mensch wird in unmenschlichen gesellschaftlichen Verhältnissen kulturell "zurückgewonnen", indem man diese Verhältnisse kulturalisiert. Aus demselben Grund nutzt man auch die Medien und öffentlichen Kulturüberlieferungen, um darin zu ergattern, was optimalen zwischenmenschlichen Verkehr ermöglicht. Die auf diese Weise gebildeten Wahrnehmungen vermittelten das in der Abstraktion gewiss gewordene Erleben, das Kulturerleben, wie eine zwischenmenschliche Persönlichkeit, die durch sich nichts wirklich bildet, die aber alle Kulturgebilde reflektiert und in sich zu einem Kulturwissen aufgehoben und vereint hat, durch welches sich alles Leben in der zwischenmenschlichen Kultur zu arrangieren vermag. Die Kultur erscheint daher getrennt von allem wirklichen Leben selbst wie die Allgemeinheit personifizierter Selbstwahnehmungen, wie eine allgemein menschliche Persönlichkeit, worin alle Sinnzusammenhänge gegeben und bestätigt sind und wodurch alle Menschen an einem gesellschaftlichen Leben teilhaben, das sich in dieser Personifikation wie von selbst versteht, selbstverständlich und also natürlich erscheint.

Dies ist aber ein Leben, wie es natürlich nicht sein kann, wie es aber als notwendige Natur erscheint, weil es Not wendend auch nachvollziehen muss, was nicht wirklich, was aber nötig ist: die Kultur als Verwirklichung der menschlichen Natur. Die gewendete Kultur aber ist bloße Formation einer Natur, die nicht wirklich sein kann, weil sie selbst nur Reflexion, nicht wirklich menschliche Natur ist. Die Kultur wird von daher selbst zur Reaktion auf natürlich scheinende Gegebenheiten des Lebens, also wesentlich reaktionär. Jeder Mensch, der als Kulturbürger bzw. als Kulturbürgerin dieser Welt lebt, kann in solcher Kultur finden und empfinden, was ihm als lebensnotwendig erscheint, ohne dass er oder sie hierin sein oder ihr Leben geäußert haben muss. Und weil das Leben darin überhaupt nur abstrakt vermittelt, also an und für sich vollständig veräußerlicht ist, stürzt er von einem Loch ins andere und hat mehr damit zu tun, sich von seinen Blessuren zu erholen, als irgendeinen Sinn darin zu finden. Es ist ein unendlich tragisches Leben, dass sich nur daraus bestärken kann, dass die Tragödien auf der Bühne davon entlasten, wirkliche Lösungen für sich finden zu müssen. Sie bestätigen den Selbstgefühlen einerseits ihre ungebrochene Einzigartigkeit und vermitteln zugleich deren Schmerz in die Allgemeinheit eines Publikums, das zumindest zu dessen Wahrnehmung in der Lage ist - meist aber auch nicht zu mehr.

Eine seltsame Unwirklichkeit entsteht in diesen Verhältnissen, die sich vor allem dadurch auszeichnet, dass sie als ausschließliche Wirklichkeit gilt. Natürlich ist alles, was sich im Kreis drehen muss, ausschließlich, solange sich dieses Müssen nicht durchbrechen lässt, solange also der Begriff seines Treibens nicht gefunden ist. Hier aber herrscht zugleich die ausschließliche Begriffslosigkeit als das Bedürfnis nach der Endlosigkeit solcher Triebe. Es war das Bedürfnis nach Bergung einzelner Personifikationen für Beziehungen, welche durch ihre Verallgemeinerung im Gemeinen der zwischenmenschlichen Persönlichkeit aufgehoben und also möglich erscheinen kann. Jeder Mensch wird darin zur Metapher einer Persönlichkeit, die es gar nicht wirklich gibt, worin aber die Wirklichkeit persönlicher Kulturen erscheinen kann.

Der Bedarf an Hilfsmittel hierfür ist enorm. Man muss jedes Kulturereignis als Maßstab der eigenen Persönlichkeitsbildung erhaschen und jedes dargebotene Ereignis als Selbsterlebnis empfinden. Doch solange für alles, was abgeht, ein Ereignis verfügbar ist, wird der ewige Kreislauf abstrakter Kultivation irgendwie gelingen. Um sich glücklich zu fühlen, genügt dann eben auch ein Film zum großen Glück; und um sich kritisch zu verstehen, genügt auch schon die Befassung mit einer kritischen Dokumentation oder Lektüre. Sofern sich ganze Personengruppen damit begnügen, werden die kursierenden Verhältnisse letztlich durch die Heimatgefühle bestätigt, welche die entsprechenden Geisteshaltungen hierbei aneinander finden und durch die persönlichen Beziehungen, die sie darin empfinden und schließlich als Gesinnungsgrundlage ihrer Gefühle erwerben, lassen sich die Bornierungen des Sinneslebens auch ertragen, wird darin "das Menschliche" doch zumindest theoretisch gewahr. Hierin unterscheiden sich auch "linke Gruppierungen" wenig von den "rechten Gruppen", solange dies ihren ausschließlichen Zweck ausmacht.

Jeder Mensch ist durch die Verrücktheiten der Seele jedem anderen Menschen gänzlich äußerlich, sich selbst gänzlich innerlich geworden. Die Erfahrung ihrer verrückten Selbstbezogenheiten, die ihren entrückten Lebensräumen entsprechen, würde die erschrecken und den Umgang beschweren. Die Menschen sind daher zueinander in eine ängstlichen Beziehung geraten und spalten sich in eine vorsichtige Äußerlichkeit ihrer Bezugnahme und einer an und für sich geschützen Innenwelt, eine Welt, die ihren wirklichen Lebensraum aufgehoben und diesen auch in sich bewahrt hat. Sie verhalten sich daher nun öffentlich und wirklich zueinander wechselseitig als Inneres und Äußeres ihrer zwischenmenschlicher Beziehungen. Was dem einen zu innerst, verheimlicht sich dem anderen zu etwas Äußerlichem, stellt sich ihm nun wirklich unheimlich dar, als etwas, worin sein Menschsein verheimlicht ist. Alle Gefühle, soweit sie in zwischenmenschliche Beziehung geraten, sind im Grunde beängstigend. Sie eröffnen ungemeine Fallstricke, und locken und untergraben, was zum geistigen Selbsterhalt eines Menschen nötig bleibt. So werden sie zu einer bloßen Darstellungsform der Verheimlichung, zum Stoff der zwischenmenschlichen Gewohnheit.

Alles Unheimliche, was sich in den Wohnwelten der Seelen, in der Lebensburg der bürgerlichen Kultur entwickelt hatte, führte dazu, dass sich in vergemeinschafteter Isolation zwischenmenschlicher Abhängigkeit und Geborgenheit die Menschen von ihrem Sinn füreinander entrückt hatten und verrückt geworden waren, die einen in ihrer Selbstlosigkeit, die anderen durch Selbstvergewisserung in einer wirklichen Verrücktheit ihrer Wahrnehmung. Die scheinhafte Identität der Verhältnisse ihrer vertrauten Gewohnheiten und Wohnlichkeiten hat sie sich selbst entfremdet, sich in ihnen aufgehoben und Zustände der Wahrnehmung erzeugt, in denen dies sich ausgedrückt hatte.

Es war das Verhältnis der Selbstgefühle, welches in seiner kultiviertesten Form, im Wohnverhältnis selbst, ihre Selbstaufhebung aus Gewohnheit betrieben hatte. Die Kultur hat darin sich als Identität des zwischenmenschlichen Lebens überhaupt entäußert und sich den sinnlichen Grundlagen der Selbstwahrnehmung enthoben. Kultur kann sich daher nicht länger einfach ergeben; es bedarf einer allgemeinen Sinnstiftung, in welcher sie aufgehen muss, woraus ihre Verhältnisse nicht mehr resultieren, sondern wodurch sie bestimmt werden.

Sinn kann nicht einfach geschaffen werden, genau so wenig, wie er einfach verschwinden kann. Er kann nur seine Gegenwart verlieren und sich in einen anderen Sinn wandeln, hintersinnig werden und darin erneuert erscheinen. Indem die Menschen in ihrer öffentlichen Kultur ihr Menschsein allgemein und abstrakt versammeln, können sie sowohl ihre Selbstgefühle geborgen halten und zugleich ihr heimliches Menschsein in der Masse als öffentliche Menschen betreiben. Solche massenhafte Selbstverwirklichung steht im Widerspruch zu sich selbst und kann von daher sich nur in einer allgemeine Selbsttäuschung entfalten.

Doch in der Masse gelingt, was sonst Unsinn wäre. Kaum sind viele Menschen unter sich, da werden sie auch schon als Menschen anders. Da werden sie zu öffentlichen Menschen, die ihr eigenes Menschsein hinter sich lassen und jeden Menschen unter das Gebot des öffentlichen Menschseins zwingen. Sie bringen damit den Begriff der bürgerlichen Kultur, den abstrakt menschlichen Sinn, mit seiner Begriffsgröße, der Dichte menschlicher Anwesenheit in eins. Indem sich die Menschen aus eigener Not und jenseits ihrer Wirklichkeit in Masse zusammentun, wird dem Einzelnen das eigene Menschsein zum Überleben in dieser Masse aufgenötigt.

Darin steckt das Geheimnis der massenhaften Anwesenheit, - also der Anwesenheitsmasse, die sich selbst zu bestimmen scheint, indem sie sich im Zeitlauf des Raumes ohne Wirkung fortbestimmt, also alles zur Wirkungslosigkeit bestimmt: Durch beständige Anwesenheit gewöhnt man sich an alles, was jenseits seiner Wirkungen anwesend ist, was also unwirklich ist und nur durch seine Ungewöhnlichkeit Wirkung hat. Umgekehrt gewöhnt man sich nicht nur durch die Massierung von Anwesenheiten an die eigene Unwirklichkeit. Durch anwesende Menschenmassen wird das Gewöhnliche selbst auch ungewöhnlich, das Moment zu seiner Allgemeinheit: Durch die unbestimmte Ausdehnung von Körperlichkeit entsteht mit der Macht der Ungewohnten zugleich die Gewöhnung an die Macht des Herausragenden, welche die Masse in einem bestimmten Lebensraum alleine schon durch sich selbst hat. Sie wird hierduch selbst zu einer formbestimmten Masse. Als Masse des Hervorragenden kann jeder Mensch darin sich wieder geborgen fühlen, wenn er das Gewöhnlich als seine Eigenart darin wiederfindet. Was auf der Bühne geschieht, hat für die Masse der Anwesenden immer Wirkung, wie unwirklich es für sich auch sein mag. Es ist die Grundlage der Oberfläche der politischen Kultur. Die einstigen Gründe für jene umständliche Gegenwärtigkeit der zwischenmenschlichen Beziehungen sind zu Umständen der Masse aufgehoben und das Hervoragen darin gewöhnt die Wahrnehmung an ihre Grundlosigkeit, macht sie zum bloßen Moment der Selbstwahrnehmung, zu dem, was diese an Eindruck überhaupt bereitet. Darin verhalten sich jetzt die Unwirklichkeiten abstrakter Substanzen, das Quantum ihrer werdenden Masse und ihrer sich fortbestimmenden Masse, wodurch sie sich auch selbst als Masse ausdrückt, indem sie den Anschein einer Menschenmasse annimmt.

Das Hervorragende, das Ungewöhnliche ist vor allem zur Fixation des Gewöhnlichen selbst geworden, das Gewöhnliche zum Massenmenschen. Dieser ist der von allem isolierte Mensch, wie er in einer Menschenmasse überlebt. Er muss ja nur am allgemeinen Überleben sich beteiligen, darin eine ungewöhnliche Form für sich, eine ungewöhnliche Selbstwahrnehmung entwickeln.

Aber der Aufwand hierfür ist groß, besteht doch gerade die ungewöhnliche Selbstwahrnehmung aus Hervorkehrungen, die sich gegen die Masse abstoßen müssen. So potenziert sich die Arbeit an der Hervorkehrung ins Unermessliche. Sie kann nur durch eine Massenkultur getragen werden, bei der eine Menge Menschen mitwirken und sich darin eingewöhnen, dass sie ungewöhnlich sind. Es verlangt eine Kultur der Kitsch- und Schund-Produktion für ungewöhnliches Selbsterleben.

Von daher wird die reaktionäre Seite der Gewohnheit total: Alles hängt von den Angeboten zur Vermittlung des Gewöhnlichen mit dem Ungewöhnlichen ab (z.B. Hard- und Softwareentwicklung). Darin ist jeder beteiligte Mensch immer ungewöhnlich und erlebt sich selbst im Wechselspiel von Gewohntem und Ungewohntem, in einem Zirkus und Zirkelschlusss unendlicher Selbsterfahrung, im ganz gewöhnlichen und beständig wechselndem Anderssein, so wie es aus einem totalen Fürsichsein gewollt wird, wenn dieses ausgehalten werden muss. Natürlich hat dies erhebliche Auswirkungen auf das Selbstverständnis der Menschen für ihr eigenes Tun. Es relativiert sich zunehmend und in Masse an den gegebenen Möglichkeiten der Selbstveränderung - vermittelst der Illusion, der Akklamation und der Automation. Den Fortschritt erbringt so nur noch der Massenmensch, wie er sich in dem automatisierten Selbsterleben einbringt, sei es in der Gefolgschaft eines Führers, eines Massenkults oder eines Befriedungsautomaten. Das besondere Massenerleben verschafft das Überleben einer Kultur, worin die Menschen keine wirkliche Bedeutung haben und die Bedeutung der Masse übermenschlich erlebt wird. Darin allerdings entsteht ein enormes Potential an Vernichtungslogik.

 



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311.1 Die selbstlose Persönlichkeit als veräußertes Gattungswesen

Unter der Bedingung der bürgerlichen Kultur, also der Vereinzelung und Isolation menschlicher Sinnlichkeit, sind auch die Organe dieser Sinne selbständig, bleiben zunächst für sich, als ob sie von Natur aus durch sich selbst bestimmt wären, als hätten sie keinerlei gesellschaftlichen Sinn. Die Selbstwahrnehmung hatte sich daran gewöhnt. Aber gerade deshalb erscheinen jetzt die Regungen in den Organen, die ihrer Deprivation entstammt, nicht mehr als Getriebenheit enttäuschter Selbstbezogenheiten, sondern als Natur schlechthin. War Natur bisher darin verfälscht, als sei sie unmittelbar zwischenmenschliche Kultur, als enthalte sie keine wirklich organischen Beziehungen und sei bloß als heimliche Gewohnheit der Regungen und Erregungen im Menschen wahrzunehmen, als Triebe, welche die Selbstwahrnehmung und damit die Selbstverwirklichung antreiben, so wird sie jetzt zum Träger einer Bezogenheit getrennter Sinne, die sich selbst nur organisch verwirklichen kann. Um die jetzt gebotene gesellschaftliche Wirklichkeit, die allgemeine Entpersonifikation, auszuhalten, welche die gesellschaftliche Versachlichung der Menschen betreibt, wird diese Getriebenheit selbst zur Kultstätte zwischenmenschlicher Erfahrung.

Alles Persönliche, das noch Inhalt der zwischenmenschlichen Beziehungen in der Geborgenheit privater Lebensräume war, erscheint nun in der öffentlichen Zwischenmenschlichkeit fremd und also unheimlich bestimmt. Dort, wo es räumlich am Vertrautesten ist, wird es gänzlich selbstlos, wird es bloße Form einer "höheren Vermittlung": In den menschlichen Organen, worin sich die Bedürfnisse bilden. Die Bedürfnisse der Menschen werden quasi entpersonifiziert. Das Verlangen des Menschen nach dem Menschen wird selbst zu einer unheimlichen Notwendigkeit, zu einer wirklichen Not, welche ihrer Vereinzelung entsprungen ist und was diese nicht mehr begreifen kann.

Nicht aus sich selbst bestimmten sich diese Bedürfnisse als notwendige menschliche Beziehung, sondern aus ihrem Gegenstand, aus Menschen, die gesellschaflich einfach da sind, weil öffentlich und allgemein verfügbar. Die zwischenmenschlichen Beziehungen haben keinerlei Selbstverwirklichung mehr im Sinn und auch keine Lebensbergung mehr nötig; sie sind durch ihren Gegenstand voll und ganz in ihrer Anwesenheit bestimmt, weil die Selbstwahrnehmung durch sich keinen Sinn mehr hat, weil sie keine Erkenntnis mehr nötig hat, weil sie also selbst die Überlebensform der Erkenntnis als Kenntnis ihres Gegenstands ist. In der Selbstlosigkeit der Wahrnehmung erscheinen nun alle zwischenmenschlichen Bedürfnisse als bloße Naturbestimmung einer Selbsterregung, einer Erregung die nun auch wirklich ohne jede Beziehung ist. In solcher Kultur erscheint der Mensch also nun selbst als Personifizierung von Natur überhaupt. Die Menschen bekommen als Menschen ein Verhältnis zu sich, indem sie sich wechselseitig in einer zum Individuum verselbständigten Natur bestätigen. Indem jeder Mensch den anderen als Individuum einer darin ganzen Natur verselbständigt wahrnimmt, totalisisiert er das Individuum zu einem Naturwesen schlechthin. Das Verlangen des Menschen nach dem Menschen erscheint jetzt nicht mehr als natürliches menschliches Verlangen, sondern als ausschließliches Verlangen der Natur in den zu Kulturpersönlichkeiten reduzierten Menschen.

Da gehen die Tiere doch in ihrer Natur selbst noch gesellschaftlicher miteinander um. Sogar in ihren tierischen Trieben geht mehr gesellschaftliche Beziehung ein, als in denen der menschlichen Kultivierung. Dies ist vielleicht ein Grund dafür, dass Menschen in den Tieren noch jene Subjektivität verspüren, die ihnen selbst nicht mehr möglich ist. Das Haustier kann höchsten Stellenwert für eine menschliche Beziehung auf sie bekommen und Ersatz für entbehrte Lebendigkeit, Bezogenheit und Geborgenheit sein. Der Zoologische Garten befriedigt dann weniger die Neugier, als er vielmehr mit den Tieren eine natürliche scheinende Subjektivität aussstellt.

Natur bekommt eine schlichte Form der Selbsterregung, die in jedem Individdduum nicht nur entsteht, sondern durch unheimliche Kräfte auch beherrscht ist. Das Heim ist verlassen und die Öffentlichkeit ohne Sinn. Jede sinnliche Öffnung verlangt daher die Anleitung der Individuen durch eine Kultur, die nur duch sie selbst öffentlich ist. In fieser widersprüchlichen Bestimmung von Sinn und Verhältnisform wird die Substanz der kulturellen Formbestimmung zur Substanzialisierung des Individuums durch die Natur. In Ermangelung menschlicher Bezogenheit in der so kultivierten Gesellschaft regen sich die Organe dieser Beziehung selbst nun zwar weiterhin in einem Mangelgefühl an zwischenmenschlicher Wirklichkeit, aber dieses wird nun zur menschlichen Natur schlechthin, zur Gemeinschaft einer kultivierten Natur.

Das allgemeinste Verhältnis, worin sich Personen im Mangelgefühl ihrer Einzigartigkeit ergänzen, erscheint daher als ein übermächtiges Naturwesen, worin menschliche Sinne wie Teile einer allgemeinen Naturmacht hervortreten. Geteilter Sinn kann aber nicht wirklih sein. Er kann sich überhaupt nur ästhetisch verwirklichen. Und wo man eigentlich konstatieren müsste, dass die bürgerliche Kultur durch ihre Selbstzerteilung mißraten ist; erfährt der an sich selbst gewöhnte Kulturbürger dies nur in der willkürlich scheinenden Natur seiner Sinne. Diese ist im Nachhinein ihrer Entstehung wie eine ihm äußere Persönlichkeit einer ihm nun innerlich gewordenenen Macht, welche die Menschen sowohl beglückt, als sie diese auch verrückt macht: Eine unheimliche Persönlichkeit.

Die zwischenmenschlichen Verhältnisse haben nun ihr eigenes Potenzial als eine dem Menschen entfremdete Naturmacht zur Oberfläche ihrer Beziehungen verkehrt, sich selbst zu einer unheimlichen Natur gebracht. Sie sind zu einem entheimlichten Naturwesen geworden, welches die mächtigsten Erscheinungen im Geschlechtsverhältnis zeitigt, dem sie sich nun entgegenstellen müssen, um ihre Kultur zu erhalten und zu bewahren. Die Gefahr dieser Natur erscheint nun im Menschen selbst, in der Horde seiner Begierden und Triebe. Alles Verhältnis zur eigenen Natur und Geschlechlichkeit ist somit zu einem politischen Verhältnis geworden. Nirgendwo deutlicher wurde dies zu einem politischen Anliegen, wie in der Aufklärung, worin alle Geisteskräfte ermächtigt werden sollten, um solcherlei menschliches Herdenwesen zu bändigen. Im deutschen Faschismus wurde es zum staatspolitischen Anliegen eines "Kulturstaats".

Damit ist jede menschliche Kultur auf den Kopf gestellt: Ihre menschliche Naturmächtigkeit wird zur Ohnmacht des Menschen vor seiner Natur. Es geht bei diesem politischen Verhältnis, mit dem sie nun beherrscht werden soll, in Wirklichkeit natürlich nicht um ein übergeschichtliches Verhältnis der Natur und der Geschlechtstriebe, sondern um das, was es in der bürgerlichen Kultur ist: Das Erleben von Geschlecht als Geschlechtsverhalten der Sinne, die für sich selbst einander begehren. Die sind zum einen so, wie sie von Natur da sind, wenn man von aller Gewordenheit und Kultur absieht. Aber als dieses sind sie nicht wirklich da. Die geschlechtlichen Beziehungen sind somit ihrer Gattungs- und Begattungsgeschichte enthoben und erscheinen nun als die wesenlichen Beziehungen der Zwischenmenschen, die ihr Gattungswesen darin aufgehoben haben, weil sie nurmehr zwischen ihren vereinzelten Sinnen sich als Mensch fühlen können.

Das Geschlechtsverhältnis ist daher die unmittelbarste Gesellschaftsform der Kultur zerteilter Sinne und von daher formbestimmend für ihre Selbstlosigkeit. Die Geschlechtsbeziehung wird zur Substanz ihrer Oberfläche, betreibt ihre ganze politische Ästhetik bis hin zur vollständigen Selbstauflösung der Menschen in einem abstrakten Gemeinwesen, das sich wie aus ihrer Natur heraus zu errichten scheint, aus der Lust und Not ihrer Geschlechtsbeziehungen. Das "Spiel der Geschlechter" wird zu eiem Gesellschaftsspiel und betreibt das Wechselverhältnis der Zwischenmenschen als gesellschaftliches Verhältnis, worin die Geschlechtswahrnehmung sich zum Allgemeinwesen der Wahrnehmung selbst entfaltet. Der ästhetische Wille tritt nun als Wille einer Formbestimmung ausdrücklich hervor, wird selbst zum unmittelbar gesellschaftlichen Willen, in welchem die Beziehungen der Menschen sich schon rein formell bestimmen.

Geschlechtlichkeit für sich gibt es ja auch nicht wirklich. In der Tat sind geschlechtliche Beziehungen immer auch gesellschaftliche Beziehungen. Aber hier erscheinen sie nicht gesellschaftlich, sondern lediglich als Form einer unheimlichen Vereinzelung, die einem geschlechtlichen Willen gebeut ist. Wirklich sind die Sinne des Geschlechts in der bürgerlichen Kultur daher nur als notwendiges Verlangen nach Geschlechtserleben, als selbständiges Verlangen, das Geschlechtsnot zu wenden sucht (siehe Trieb). Und diese selbst ist schon dadurch gegeben, dass Identität solchem Verlangen nicht vorausgesetzt ist, sondern dass sie in solchen Verhältnissen erst durch das Erleben gefunden wird. So ist nicht das Verhalten der Gattung, das Gattungsverhältnis als Mann und Frau tragend, sondern das Verlangen nach Begattung, durch welche Männer und Frauen sich als Mensch fühlen können, weil sie menschliche Natur aneinander gefunden haben. Von daher sind sie keine Subjekte ihres Geschlechts, die sich in dem ergänzen, was ihr Menschsein erfüllt, sondern dessen Objekte, die vollständig davon abhängig sind, dass ihnen ihr Geschlechtlich-Sein auch gelingt, dass sie erreichen, was sie nicht kennen, was aber ihrem Streben nach Lebenserfüllung entsprechen soll.

Keine wirkliche Empfindung geht mehr in solches Erfüllungs- und Überlebensverhältnis ein. Die Naturgestalt der Menschen schafft die Anreize in einer menschenlosen Gesellschaft. Gerade weil sie keine wirkliche Beziehung zueinander haben, erscheinen sich die Geschlechter als ästhetische Natur, als Wahrnehmungsgegenstand ihrer Erregung, die von zwiespältiger, also auch zweifelhafter Natur sind. Eben weil sie hier nur finden, was sie in ihrer Erregung nicht suchen können, weil sie unter dieser Bestimmung nicht wissen können, was ihre wirklichen Bedürfnisse nach einander sind, sind sie Objekte ihrer Geschlechtsnot. Diese bestimmt daher nun auch die Form ihrer Ästhetik, den Anreiz ihrer gesellschaftlichen Beziehung allein und ausschließlich durch die unerfüllte Geschlechtlichkeit ihrer zerteilten Sinne, die sich in den Geschlechtsrollen verselbständigen.

 



12

311.2 Geschlechtskulte (Das enteignete Geschlecht)

Das erste Resultat der selbstlosen Beziehungen zwischen den Menschen ist die Rücknahme ihrer sinnlichen Wahrnehmung, in der ihre Gattungsbeziehung, die sie dabei wahrhaben, in einer Geschlechtlichkeit aufgehobenwird, die nurmehr bloßes Ereignis sein kann und sich hierbei als Event kultiviert. Darin verschwindet ihr wirkliches Begehren und wird zu einem abstrakten Verlangen, das seine Not mit seiner Verwirklichung hat und erlebt. Die Geschlechtkulturen geraten in eine Beziehung, in der sich ihr Geschlecht nur noch mehr oder weniger gewaltsam durch setzen kann und als gewaltiges Triebereignis seine Verhältnisse bestimmt.

Es gibt unter den Bedingungen einer Kultur, in welcher die Menschen ihre Not als Gewalt eines abstrakten Verlangens vollziehen und wenden, keine wirkliche Geschlechtlichkeit, keine gesellschaftlich verwirklichte Geschlechtskultur. Ihr Geschlechtsverlangen selbst trennt ihr Begehren und bestimmt es gegensinnig. Was sie noch im bloßen Erleben vereinigen und befriedigen kann, wird als gesellschaftliche Beziehung mächtig gegen sie, weil es sie wesentlich verschieden bestimmt, indem sie die Art und Weise ihrer Geschlechtlichkeit durch ihre Erlebensgemeinschaft voneinander trennt.

Die Geschlechter waren für die Wahrnehmung schon immer verschieden und haben sich nur durch dies aufeinander bezogen und aus ihrer Verschiedenheit Leben gezeugt. So verschieden sie aussehen, so verschieden sind sie auch in der bürgerlichen Kultur, aber nicht als Verschiedenheit in ein und demselben Sinn, dem Geschlechtssinn, der nur durch einander wirklich und verwirklichbar ist, sondern als gesellschaftliche Form einer Geschlechtsästhetik, in welcher sie sich nurmehr aufreizen, um das zu erleben, was ihre Geschlechtsnot zu wenden vermag.

Aus ihrer als Natur erscheinende Geschlechtlichkeit treiben sie ihr gesellschaftliches Gattungswesen auseinander, bis nur das übrigbleibt, was sich als ihr empirischer Unterschied ausmachen lässt. So wie ihre Organe sich unterscheiden, so unterscheiden sie sich jetzt auch in dem Sinn, der sich darin so äußert, wie er geschlechtlich kultiviert wurde, wie er sich also als männlicher und weiblicher Geschlechtssinn verselbständigt hat. Hierdurch hat auch das Geschlechtsverlangen eine gegensinnige Entwicklung zu durchlaufen. Männer und Frauen haben nicht nur körperlich, sondern auch in ihrem seelischen Verlangen völlig anderes im Sinn und erreichen auch unterschiedliche Ebenen ihrer Geschlechtlichkeit, ihrer Beziehung auf ihr individuelles, weil individualisiertes Geschlecht. Gerade der Sinn, der ganz wesentlich die gesellschaftliche Entwicklung der Kultur bestimmt, wird zu einer Ursprungsform einer Natur individualisiert, die in dieser Form niemals ihren Zweck vermitteln kann. Diese Individualität, das weibliche und das männliche Geschlechtsindividuum lässt sich so auch beschreiben: Zunächst ist dieser Sinn vollständig subjektiv, zu Innerst. Und das kann man natürlich weiblich nennen, gleich, zu wieviel Anteil diese Innerlichkeit auch in Männern vorkommt. Aber nur äußerliche Sinnlichkeit kann solchen Sinn auch erfüllen. Von daher entsteht eine Kultur der sinnlichen Unterworfenheit der Geschlechter unter die Kulturbestimmtheit ihres Zusammenlebens.

In den zwischenmenschliche Beziehungen der Selbstverwirklichung waren sich die Menschen noch selbst Gegenstand und Mittel ihres Lebens, ausschließlicher Sinn füreinander, der sich schließlich von sich selbst ausgeschlossen hatte. Sie hatten darin zwar unmittelbare Beziehungen von Mensch zu Mensch - eben so, wie sich der eine im anderen findet und empfindet - und sie bezogen sich durch die Gefühle, die hierbei entstanden, so aufeinander, wie sich der eine durch den anderen fühlte. Aber sie hatten sich gegenseitig nicht als Menschen wahr, sondern nur darin wahr, wie sie sich wahrnahmen, wie sie also Wahrheit für sich und ohne weiterreichende Erkenntnis durch einander fanden.

Es sind nun aber keine wirklichen Selbstgefühle im Prozess der Selbstverwirklichung mehr, welche ihre Verhältnisse begründen, sondern Gefühle der vergemeinschafteten Wahrnehmung zu einer gesellschaftlichen Form der Geschlechtlichkeit, zu einer Kulturform, worin diese Gefühle durch individualisierte Geschlechtspersönlichkeiten wahrgehabt werden. Diese Form hat zwar nach wie vor menschliche Gestalt und Natur, sie ist aber keine Gestaltung eines unmittelbaren menschlichen Lebens, sondern lediglich die Form der Erlebenswirklichkeit ihrer verselbständigten Geschlechtlichkeit. Sie ist das Gelbilde des Erlebens zwischenmenschlicher Beziehungen, ist wie eine Kulturpersönlichkeit, worin die Gefühle, die zum Träger dieser Beziehungen geworden waren, sich einigen, indem sie sich gegeneinander kultivieren, jeder das hervorkehrt, wonach ihm der Sinn steht und was seinem Sinn entspricht, ohne dass seine Sinnbildung hierfür verlangt ist. Es sind Gefühle für einander, die so sind, wie sich die Kenntnis dieser Vorkehrungen entwickelt, ohne dass eine Erkenntnis dazwischen tritt, welche dies als kulturbedingt wissen kann. Es fühlt sich ein Mensch eben so an, wie man ihn kennt, ohne zu erkennen, was er wirklich ist. Es ist eine Gefühlswelt der Selbstgefühligkeiten, die sich von jeder Wirklichkeit getrennt hat und sich nur an den Erlebnissen voneinander und durcheinander so reflektiert, wie er sich darin auch als besonderes Wesen hervortun kann. Es sind dies Erlebnisse, die man miteinander so hat, wie man sie für sich beabsichtigt. Von daher sind die Gefühle zugleich Empfindungen und Gefühle die man durch einander hat, ohne darin sich wirklich wahr zu haben, sich also selbst nur durch andere wahrzuhaben. Das Geschlecht wird hierdurch zum Notbehelf kultureller Absichten, wie sie den Geschlechtern in den Vorkehrungen ihrer Selbstwahrnehmung vermittelt sind.

Solche Beziehungen sind wesentlich unwirklich. Aber zwischenmenschliche Beziehungen sind deshalb nicht wirklungslos; sie wirken aber jetzt vor allem in den Menschen, in ihren Vorstellungen und Erwartungen von einander und ihrem Glück oder Unglück miteinander, kurz: in ihrer seelischen Identität, die sie durch ihre kulturelle Identität finden und die sich hieran auch relativieren. Das erschien in der Selbstwahrnehmung noch als eine wirklich innere Identität, als Seele, erweist sich jetzt aber auch wirklich als eine äußere Identität einer Kultur, in welcher die gegensätzlichen Persönlichkeiten sich gerade dadurch finden, dass sie sich als ungewöhnliche Menschen hervorkehren und sich auch wirklich in ihren Gefühlen zueinander entgegensetzen, um sich darin zu verbinden. Die Persönlichkeiten der Selbstwahrnehmung werden hierin zu einer Welt, in der sie aneinander ihr Leben vermittelt fühlen; aber es ist nicht ihr Leben, sondern das Leben des Zwischenmenschlichen, der Persönlichkeit der bürgerlichen Kultur.

Diese wird dadurch ungeheuer mächtig. Was darin persönlich gilt, wird zur Bedingung eigener Persönlichkeit. Kultur wird zum sozialen Subjekt jeglicher Beziehung und besonders zum Subjekt aller Liebesbeziehungen. Die Menschen können sich hierin als unmitelbare Gesellschaft wie ein Zusammensein voraussetzungsloser Individuen wahrnehmen, die allerdings zwischen dem, was sie wahrhaben und dem, was sie wahrnehmen nicht mehr unterscheiden, und die von daher ihre Empfindungen wie Gefühle haben, die nichts auffassen, wie es ist, sondern dem Gefühl unterworfen sind, wie es im Selbstgefühl beabsichtigt ist, wie es also für die zwischenmenschliche Hervorkehrung der Selbstgefühle sein muss. Ihre Wahrnehmungen bestehen daher aus Selbstwahrnehmungen, die sie durch einander, also jeder durch den anderen nun im wirklichen Erleben so hat, wie dieses zum überleben solcher Verhältnisse sein muss.

Die Sinne der Menschen stehen daher nicht mehr für sich, sondern im Dienst dieser Verhältnisse, die Selbstgefühle hängen ausdrücklich von ihrem Gelingen ab, also davon, sich in dem Geltung zu verschaffen, was das Selbstgefühl darin erwarten kann und was es von anderem Selbstgefühl für sich hat, was es durch dessen Tätigkeit und Absicht erleben kann. Die einzelnen Persönlichkeiten müssen erkennen, dass ihre Selbstgefühle sich im Kreis bewegen, dass ihr Selbstgefühl äußerst mangelhaft ist, wenn sie sich nicht durch einander darin ergänzen, einzigartig zu sein. Die Einzigartigkeit der Persönlichkeit wird aber hierdurch im Privaten sehr relativ und verliert notwendig den Schein ihrer ausschließlichen Selbstbestimmung, denn sie ist nur vermittelst dessen, was sie zugleich nicht ist und von daher im Selbstwiderspruch.

Wie bereits gezeigt, sind unter der Bedingung der bürgerlichen Kultur, also der Vereinzelung und Isolation menschlicher Sinnlichkeit, die Organe der Menschen verselbständigt. Natur geht somit nicht als Natur, sondern als Substanz ihrer Formbestimmung in die kulturellen Beziehungen ein. In Ermangelung menschlicher Bezogenheit in der so kultivierten Gesellschaft regen sich die Organe dieser Beziehung selbst als Mangelgefühl an zwischenmenschlicher Wirklichkeit.

Das Geschlechtsverhältnis, das allgemeinste Verhältnis, worin sich Personen im Mangelgefühl ihrer Einzigartigkeit ergänzen, ist daher wesentlich formbestimmt. Durch dieses besteht das Geschlechtswesen nicht wirklich aus dem Zusammenwirken der Geschlechter, sondern aus ihrer Trennung voneinander, aus dem Zusammenwirken von getrennten Geschlechtlichkeiten. Sieht man davon ab, dass das menschliche Geschlecht nur im Zusammenwirken der Geschlechter bestehen kann, so erscheint jedes Geschlecht in der Abtrennung für sich wie ein Organismus, der in sich total ist. Die Geschlechtseigenschaft eines Menschen wird zu einem menschlichen Substantiv, zur Männlichkeit oder zur Weiblichkeit schlechthin. So setzt sich die Teilung der Verhältnisse in den Körpern fort, die sich wie getrennte Naturwesen geschlechtlich begegenen, die nicht in einem Grund füreinander bestimmt sind, sondern einander nurmehr als Mittel nötig haben. Mann und Frau sind durch ihre körperliche Eigenständigkeit und Verselbständigung selbst nur bloße Mittel ihrer geschlechtlichen Interessen und Organe. Das Geschlecht findet sich daher im Geschlechtsakt nur aus seiner Teilung heraus verwirklicht.

Die Form des Geschlechtsinns wird somit selbst zu einer Form der Selbstverwirklichung, nicht weil die Menschen sich darin aus ihrer Isolation heraus verwirklichen, sondern weil sie sich als Objekte ihrer Natur verwirklicht erscheinen, weil sich Kultur nun in ihrer sinnlichen Selbständigkeit als Geschlechtspersönlichkeit, als persönliches Natural darstellt. Dieses besteht zwar nicht aus Natur, sondern vor allem aus den kulturellen Vorstellungen, die damit verbunden sind, aber es herrscht in dem Maße wie eine Naturkraft, wie die Menschen darin kulturelle Identität finden. Sie mögen in ihrer Bildung, in ihrer Geschichte aus gesellschaftlicher Naturerfahrung entstanden sein, in ihrer kultivierten Form zählt aber nicht dies, was selbstverständlich sein könnte, sondern das, was eine Identität des Überlebens stiftet. Die Geschlechter tragen die Bestimmungen der Kultur aus, um als vereinzelte Menschen in der Selbstwahrnehmung der Vereinzelung zu überleben. Damit ist ihr Geschlecht selbst negativ bestimmt, dessen Erlebensform im Widerspruch zum Inhalt seiner Bezogenheit. Als Kultur für sich bekommen Geschlechtseigenschaften die Form kultureller Sinngebung überlebensnotwendiger Fähigkeiten. Mann und Frau werden zu unterschiedlichen Träger hiervon und stellen ein Verhältnis heraus, das wie die innere und äußere Seite natürlich scheinender Lebensnotwendigkeiten erscheint.

Zur Selbstbehauptung in einer Kultur, worin nur zählt, wie man sich durchsetzt, erschien der Mann zunächst begabter, um als Geschlechtspersönlichkeit Anerkennung zu finden. Er begründete sich ja auch schon länger aus seinem Durchsetzungsvermögen in den Arbeitswelten und auf den Märkten. Frauen waren schon im Feudalismus eher mit Arbeiten von sensiblerer Natur befasst, und bewahrten eher die Reproduktion und Haushaltung der zwischenmenschlichen Welt, als dies Männern unter gegebenen Bedingungen möglich war. So erschien der Mann als die Persönlichkeit für das Grobe, Persönlichkeit der Kraft und Naturmächtigkeit und Unempfindlichkeit und Unempfindsamkeit, wohingegen die Frau als empfindsame Mutter und Haushälterin und Lebensspenderin galt. Das ganze Verhältnis schien aus der Natur begründet, denn Frauen stehen als Gebärerinnen der Kinder den Naturanforderungen des Lebens innerlich näher als Männer und diese Männer erscheinen im Durschschnitt kräftiger und empfindungsloser als Frauen. Während hiernach Frauen naturwesentlicher und von daher auch schützenswerter gelten, wird Männern überdimensionierte Überlebensgewandheit zugesprochen, wie sie auf den Kampfplätzen der Arbeit, der Kultur und in den Arenen hervorgehoben werden.





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311.2.1 Das äußerliche Geschlecht


Die Gewalt einer veräußerlichten Geschlechtlichkeit besteht aus der Verwirklichung, die besonders sich im männlichen Geschlecht äußert. Tatsächlich befinden  sich die Männer innerhalb solcher Kultur im Gegensatz zu den Frauen und besorgen ob ihrer Geschlechtlichen Verlegenheiten immer noch meist die dominierende Trägerfunktion des Überlebens, die sie als Nothelfer gütlich sein lässt, bemüht um die Notwendigkeit einer geschlechtskultur, die das Begehren auf das bloße Vernutzen von Geschlechtseigenschaften reduziert. Das Gegenstück zur Weiblichkeit ist der Mann aber eben nicht von Natur, sondern aus der Kultur heraus, in der auch er durch die Rolle bestimmt ist, in welcher seine Natur formiert sein soll.

Ihm ist die äußere Subjektivität nah, weil auch sein Körper eher sich nach außen bezieht, ungeschützter vor allen Einwirkungen und von äußeren Einwirkungen weitgehender bedroht ist, daher auch aufmerksamer auf Wirksamkeit und Wirklichkeit überhaupt. Von daher mag er natürlch bestimmte Präferenzen von Verhaltensweisen haben, die ihm selbst als Natureigenschaft erscheinen, aber nun selbst auch in der gesellschaftlichen Rolle übertragen werden, die er damit bevorzugt hat. Er ist eher in die Welt hinein drängend und weniger von innen verletztlich als von außen. Das mag die Basis der Vorstellungen sein, die Männlichkeit in der Kultur auch bekommen hat.

Was immer Männer in ihrer Naturbildung hinter sich gebracht haben, sie haben es immer nur zusammen mit Frauen erreicht. Als Ergänzung zu ihnen mögen ihre Naturbedingungen auch nötig gewesen sein, nun erscheinen sie als Naturalkraft des männlichen Indivisuums hiergegen selbstständig, als seine Fähigkeit und sein Bedürfnis, sich durchzusetzen, zu herrschen und zu erobern. Das Gefühl des Erorberns aber wird zu einem Grundgefühl einer Sinnesform der Männlichkeit nur, weil sich diese in einer Kulturpersönlichkeit identifiziert, um überhaupt eine persönliche Identität zu vermitteln - und Männer greifen danach, um sich damit eindeutig verhalten zu können. Die Wahrnehmung von Bedrohlichkeiten und Ohnmacht, wie sie einer männlichen Natur vielleicht irgendwie entsprechen mag, gibt dem Mann auch in der Kultur des Erlebens eher die Rolle des Existenzträgers, des Beiträgers und Zuträgers zum Lebensunterhalt. Es kann ihm schmeicheln oder nicht: Sein Körper erträgt beim Menschen wie beim Affen härtere Momentanbelastungen, sein Gehirn funktioniert einfacher und damit zielgenauer und sein Sinn steht auf Machterhalt und Selbstverteidigung. Aber was ihn erst richtig zum Funktionär der Kultur macht, ist die männliche Persönlichkeit, die er mehr oder weniger als Sinnbild der Selbstbehauptung, als Patriarch der Verhältnisse darstellt. Darin wird er als Kulturträger begehrt und auch mehr oder weniger benötigt.

Das ist zwar eine abgeleitete Rolle, in welcher sein Sinn vor allem nach außen gerichtet ist, aber gerade das entspricht ja überhaupt dem bürgerlichen Selbsterhalt, also der Selbsterhaltung der Menschen in der bürgerlichen Gesellschaft. Mann und Frau ergänzen sich nicht nur durch ihre Natur, sondern auch durch den Sinn, den sie in ihrer Kultur entwickeln. Hier wird aber gerade dieser Sinn durch die Not der Selbsterhaltung zu eienr überhobenen Selbstbeziehung, zu einem Kult der veräußerten Sexualität. Die Naturalisierung dieser Entäußerung ist eine Affirmation solcher Selbstbezogenheit, deren Verfremdung damit hinweggetäuscht wird.

Tatsächlich aber ist unter diesen Verhältnissen der Mann abhängiger von einer sinnlichen Zuwendung, als die Frau. Sein Leben füllt sich dann erst wirlich sinnlich aus, wenn er die Zuneigung einer Frau erfährt. Seine Sinne sind deutlicher auf sie gerichtet, als umgekehrt, weil unter der Bedingung, dass kulturell nur gilt, was unmittelbar naturbedingt auftritt, er seiner Sinne nicht mächtig sein kann. Seine natürlich scheinende Not, die Selbstwahrnehmung der Mangelhaiftigkeit wird durch die in ihm höher konzentrierte Triebhaftigkeit verstärkt.




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311.2.2 Das verinnerlichte Geschlecht


Die Rückbeziehung eines abstrakt gewordenen Begehrens besteht in der Rücknahme zu einer unwirklichen Geschlechtlichkeit, zu einer Verinnerlichung des Geschlechts in den Individuen, die sich in den Geschlechtsevents auf sich besinnen müssen, um überhaupt sich geschlechtlich verhalten zu können.

Von da her wird der weibliche Sinn zu einer vorherrschenden Beziehung in einer Kultur, in der Geschlecht sich nurmaher nach innen bewahrheiten kann und zu einer verinnerten Subjektivität des Empfindens und Empfangens wird, also zu dem, was man in sich findet und spürt, was im Fühlen und Denken sinnlich vor sich geht. Nicht nur weil das weibliche Gehirn komplexer ist als das männliche und die weiblichen Geschlechtsorgane dem Leben umfänglicher begegnen, sondern vor allem, weil das weibliche Erleben in dieser Kultur weit tragfähiger ist als das männliche, bekommt es eine bestimmende, eine tragende Funktion in diesen Verhältnissen, die unerkannt bleiben muss, um für die Kultur zu funktionieren. Selbstvertändlich ist dabei nicht weibliche Geschlechtlichkeit, sondern die Rolle, die sie in der Kultur einnimmt, also das, womit Weiblichkeit wahrgenommen wird und wodurch sie der Selbstwahrnehmung dient. So werden Frauen schnell zu Funktionärinnen der Fürsorglichkeit, der Nothelferin, der Mutter und Kindererzieherin und Ernährerin. Frauen gelten als die besseren Bewahrerinnen von Sinn und sind von daher dessen besondere Kulturträgerinnen als Persönlichkeiten des Geschlechts schlechthin.

Die Kehrseite davon ist, dass sie als solche benutzt werden, dass sie Sinn stiften sollen, wo Sinnlosigkeit herrscht, Leib beleben sollen, wo er verletzt oder tot ist. Ihre Entleibung entspricht der Rolle, welche die bürgerliche Kultur auf Grund ihrer Körperlichkeit ihnen zuweist, wie sie erlebt wird: Bewahrerin von Leben zu sein, wo Wesenlosigkeit entsteht und wo Verwesung herrscht. Soweit sie dies erfüllen wollen oder aufgrund ihrer Lebenslage erfüllen müssen, ernähren sie diese Kultur und die Geschlechtlichkeit überhaupt mit Sinn, der aus dem Innern, dem eigenen Leben kommt. Ihr entäußertes Geschlecht ist unmittelbar auch ihre Lebensentäußerung, die im Allgemeinen nichts außer Selbstentfremdung ist. Weil das Leben in der Kulturpersönlichkeit eine selbständige Naturform des Überlebens bekommen hat, muss diese auch dem Leben dienstbar sein, solange sie nicht von den Menschen, und das sind nicht nur die Frauen, überwunden wird.




311.2.3 Das versachlichte Geschlecht (Das veräußerte Geschlecht)


Das Überleben der Geschlechter in einer politisierten Kultur erfordert ihre Versachlichung, ihre Reduktion auf das, was aus ihr hervorgehen kann, auch wenn sie dem Menschen vollständig entfremdet ist: Das Kind. Ihre Lebensformen müssen sich früher oder später hierauf fokusieren, weil nur in der sachlichen Versinnlichung die allgemeine Sinnentleerung aufgehen kann. Die Kinder veräußern hierdurch die Geschlechtsrollen der Familie als Keimzelle einer Gemeinschaft, die sich aus einer allgemeinen Natur des Menschen heraus begründen soll. Wir werden sehen, dass dies das erste Moment des Kulturstaats sein wird.

Durch diese Veräußerunge werden Vater und Mutter zu Kultursubjekten, egal ob vollständig oder nicht. Alleine durch die Kinder der Kultursubjekte selbst erscheint die Kultur allgemein als eine zwangsläufige Notgemeinschaft, welche die Familien zur Aufzuchtstätte allgemeiner Notwendigkeiten des isolierten Hegens und Pflegens werden lassen. Sie sind in dieser Allgemeinheit, wiewohl einzeln in bester oder schechtester Verschmelzung mit ihren Eltern, unmittelbares Objekt einer Gesellschaft, bevor sie überhaupt erkennen können, was diese ist. Sie erfahren es völlig geschichtslos, lediglich durch ihre natürliche Abhängigkeit von deren kultureller Ganzheit ohne Bezug auf ihr Gewordensein, auf die ganze Geschichte der gebrochenen Zwischenmenschlichkeit, die nur ihr Überleben sucht. Sie müssen erstmal das werden, was sie für die Erwachsenen sind, weil Gesellschaft ihnen nur durch diese gegenübersteht. Und sie müssen leiden, was diese in der Privatform der Familie gesellschaftlich ausgegrenzt haben. Als Liebe und Fürsorge erscheint, was denen als gesellschaftlich notwendig gilt. Erziehung bekommt somit selbst eine Objektivität, die sich nun auch durch den Staat vermittelt.

Es ist nicht leicht für die Kinder, als menschliche Sache und mit versachlichter Kultur groß zu werden, um schließlich selbst nur fortbestimmen zu können, was ihnen bestimmt ist. Es erscheinen ihnen die Mängel der bürgerlichen Kultur als Mangel ihrer werdenden Menschlichkeit, ihrer Subjektivität: Sie erscheinen immer als werdende Menschen, gerade weil sie in ihrer Unterworfenheit unter die kulturbestimmte Allgemeinheit der Selbstwerte überhaupt noch menschlichen Sinn äußern. Das Kind wird zum Lebensinhalt der Kultur ganz allgemein, zum ausschließlichen Träger menschlicher Sinne, die in ihnen gehegt und gepflegt werden von denen, die darin einen Sinn für sich finden können und hierauf also auch ihr Leben beschränken wollen und können.

Von daher geht es nicht nur um das wirkliche Kindsein, sondern um die Verniedlichung des Geschlechtsverhältnis, das letztlich das Verhältnis der Gattung Mensch selbst ist. Das Zusammenwirken von Mann und Frau wird zu einer Frage des Umgangs in der äußerlich bestimmten Selbstbeschränkung einer Individualität, die für sich als ein Ganzes, als totale Individualität der Natur gelten muss. Dies ist ein Unding, das in der Natur selbst nirgendwo vorkommt. Aber unter der Bedingung bürgerlicher Lebensverhältnisse reduziert sich die menschliche Natur nun auf die Natur der individuellen Erscheinungsform der Geschlechter und die Menschen reduzieren ihre Beziehungen auf die Naturfunktionen ihrer hierfür bestimmten Organe, die nurmehr in ihrer rein ästhetischen Gestalt objektive Wirkung auf die Menschen haben, weil sie zugleich Objekte ihres Erlebens sind. Je unterschiedlicher die kulturelle Selbstwahrnehmung von Mann und Frau ist, desto getrennter sind ihre Selbsterfahrungen in diesem Erleben und desto ästhetischer ist ihre Wirkung aufeinander - denn verselbständigte Selbstwahrnehmung ist die ästhetische Wahrnehmung des Selbsterlebens, objektivierte Selbstwahrnehmung, die zur Gewohnheit werden wird. In der Ästhetik ist es die reine Wahrnehmungsobjektivität des Gedächtnisses, welche sich darin substantiviert, vergangenes Erleben als subjektiver Inhalt einer objektiven Wahrnehmung.

Die Organe der Geschlechtlichkeit werden als Objekte der erlebnisbestimmten Wahrnehmungsform zu einer politischen Bestimmung des Überlebens in den kultivierten Geschlechtsverhältnissen und von daher selbst sinnlos. Das in dieser Form einzelne Geschlecht erleidet das Martyrium der allgemeinen Vereinzelung und Entfremdung. Die wesentliche zwischenmenschliche Entfremdung, wie wir sie in der Selbstverwirklichung begonnen hatten, vollzieht sich nun im Geschlechtsverhältnis, also im Verhältnis zwischen Mann und Frau, als ästhetisches Verhältnis. Das Geschlecht wird somit selbst zu einer im Grunde unwirklichen Beziehung, unwirklich, weil von aller Wirklichkeit und wirklichen Beziehung herausgelöst, nurmehr im einzelnen Akt tätiges Verhalten, das so objektiv existiert, wie jede andere Eigenschaft der Personen überhaupt, wenn sie für sich, also isoliert aus ihrem wirklichen Zusammenhang objektiert wird.

Damit wird jedes Bedürfnis von seinem Entstehungsgrund und seiner Geschichte abgetrennt, lediglich zum Inhalt einzelner Anlässe. Es entsteht selbst nur mehr im Mangel wirklicher Bezogenheit, wie das Kind einer Geschlechtlichkeit, die nicht wehr wirklich zur Welt, zur Geschichte und Blüte kommen kann. Es erfährt sich schon in seiner Bildung objektiv, - und es erfährt zugleich in der Absicht der anderen Bedürfnisse seine Schranke.

Waren sich doch einst die Menschen darin einig gewesenen, dass sie in ihrem Geschlechtsleben ihre bloße Natur befriedigen und in der Naturbefriedigung ihr Leben aufeinander beziehen, so ist dies nun umgekehrt: Das Geschlechtsleben wird zur Bedingung eines Lebens, das im Grunde völlig ungeschlechtlich ist. Die Organe mögen sich regen wie eh und jeh; aber es ist eine zwischenmenschliche Wirklichkeit, die ihre Freiheit beengt, indem das Geschlechtsleben selbst zur zwingenden Tatsache ihrer Beziehungen wird. Alles, was es erzeugt, macht die Menschen, die sich in der schieren Freiheit ihrer Selbstgefühle und Erregungen zusammengefunden und zusammengetan hatten, wird unter der Hand zu einer Lebensbestimmung, in welcher alles danach verläuft, was Leben sein soll. Nicht, wie es wirklich ist, und auch nicht, wie es erlebt wird, sondern nurmehr wie es sein soll, damit es lebend verbleibt, macht die Bestimmung von allem aus, was nun zwischen den Menschen aus ihrem Erleben entstanden ist.

Der hiervon bestimmte Mensch ist das Kind seiner Geschlechtlichkeit. Er kommt als Erzeugnis einer Geschichte zur Welt, die nicht wirklich stattgefunden hat und er verwirklicht auch kein Geschlecht in seinen Geschlechtsbeziehungen. Er sucht lediglich Geschlechtserlebnisse wie ein Kind seine Wahrnehmung in den Glitzerreizen seiner Erlebniswielt begeistert. Es gilt daher auch als Naturprodukt, das den anderen Naturprodukten vor allem vorraus hat, dass es eigene Subjektivität hat und als solche für entleerte Geschlechtlichkeit auch nötig ist. Hierdurch endlich bekommt sie wieder einen Sinn, und wenn es auch der rein selbständig entäußerte Sinn ist. Das Kind muss in vollem Umfang die Kultur als Mensch ertragen, denn es ist alles, was hieraus nur werden kann: Das Grundeigentum der Kultur. Darin hat sie ihre wesentliche Ressource, zieht sie ihren Anspruch auf das Monopol notwendiger Sinnlichkeit, also sinnlich bestimmter Notwendigkeiten, welche die Aufzucht dieses Kulturguts sicherstellen sollen. Kinder sollen werden, was die Gesellschaft nötig hat, um als deren menschliche Natur zu gelten. Als solche Kulturbegründung stehen sie nun über allen Lebensbestimmungen, die für sich keinen Sinn mehr haben.





311.3 Die misslungene Begattung oder die Ästhetik des Geschlechts


Eine Gesellschaft besteht durch das Zusammenwirken von Menschen, also Männer und Frauen und Kinder, wie sie von Natur aus und zugleich auch in Gesellschaft sind. Aber es ist weder ihre Natur für sich, welche ihre Gesellschaft begründet, noch ihre Kultur. Auf jeden Fall lässt sich kein gesellschaftliches Wesen so einfach durch Natureigenschaften von seinem wirklichen Sein in der Beziehung zu einem Gesellschaftswesen als Kulturwesen abtrennen. Wenn keine gesellschaftliche Macht dazwischen tritt, so besteht menschliche Gesellschaft als natürliches Kulturwesen, worin die Natur im Menschen wirkliche Naturmacht entwickelt hat und menschlichen Gesellschaft deren geschichtliches Dasein ausmacht - in dem Maß, wie die menschlichen Sinne als Sinne der Natur zum Sinn menschlicher Kultur geworden sind. Jede Geschlechtsbeziehung ist eine gesellschaftliche Beziehung, weil darin das Leben der Geschlechter und Generationen sich sowohl einzeln wie allgemein aufeinander bezieht, also auch die entsprechenden Lebenshintergründe und Lebensgeschichten selbst aufeinander bezogen sind. Sexualität als Begriff für geschlechtliche Äußerung und Befriedigung ist lediglich deren Phänomen und für sich ohne Sinn.

In der bloß sexuellen Erscheinung solchen Lebens zerteilt sich das gesellschaftliche Gattungsverhältnis auf zwei Geschlechter jenseits ihrer Regeneration, also auch ohne Generationen. Darin erscheinen sich diese wie autonome Wesen, wie der Mann an sich, die Frau an sich, die sich vor allem und oft auch nur ausschließlich im Geschlecht begegnen. Solange das Verhältnis dabei bleibt, stehen die Geschlechter zwangsläufig ausschließlich, also auch einander ausschließend gegenüber. Darin wird das Geschlecht selbst eigenartig, zu einem geschlechtlichen Eigensinn von Personen, die durch ihre Natur unmittelbar bestimmt erscheinen und in ihrer Ausschließlichkeit also auch gegen einander stehen und Geschlecht zum Geschlechterkampf wird. Das allerding ist einmalig in der Natur und wäre es natürlich, so wären in den Menschen so ziemlich die dümmste Form der Geschlechtlichkeit.

Dennoch wird das Geschlecht meist wie ein eigener und selbständiger Sinn der Geschlechter begriffen, als bloßer Befriedigungsbedarf vereinzelter Geschlechtsorgane. Der wird von daher schnell zu deren Maßstab als Maß des geschlechtlichen Erlebens: Wer befriedigt wen und wer kommt dabei zu kurz und wer leidet darunter. Es ist eine absurde Quantifizierung, die zwar ausdrücken mag, dass da etwas nicht stimmt, wenn sich ein Geschlecht am anderen bloß befriedigt, aber qualitativ ist dadurch das Verhältnis entstellt. Die kulturellen Erfordernisse werden mit Naturinhalten vertauscht, sodass die Täuschung über das wirkliche Gattungsleben sich auch zwischen den Geschlechtern abspielt.

Das Geschlechtsleben ist als Ausdruck des Lebenshintergrunds und der Lebensgeschichten der Geschlechter das Leben eines Begattungsverhältnisses, welches nur durch seine einzelne wie allgemeine Geschichte Betand und Bildung hat. Es ist von daher im Verlauf der Generationsverhältnisse zu begreifen, gleich, in welchem Maß sich die einzelnen Menschen daran beteiligen oder nicht. Es ist die Arbeitsteilung überhaupt, die sich auch im Verhältnis von Mann und Frau darstellt und auch sie betrifft. Mann und Frau können auch ohne Kinder in selber Weise in der gesellschaftlichen Arbeitsteilung beteiligt sein, insgesamt aber vollbringen sie die Regeneration und Entfaltung der menschlichen Gattung, wie sie unmittelbar, wie sie also jenseits ihrer wirklichen Vermittlung ist.

Es könnte gleichgültig sein, welche Eigenschaften das eine oder andere Geschlecht "von Natur aus" hat und es könnte auch in Frage stehen, ob wirklich, das, was natürlich zu sein scheint nicht doch auch durch die Hervorkehrungen der Selbstwahrnehmung oder der Kultur so ist, wenn die Geschlechter vor derselben Gegenständlichkeit und Wirklichkeit stünden. Ihr Zusammenwirken wäre darin genauso natürlich, wie wirtschaftlich und wie in kultureller Einigkeit. Sofern sie sich auf Kinder beziehen, hätten sie auch tatsächlich einen Grund, der sie wirklich verbindet. Aber so einfach geht das in einer Kultur, die auf einem Selbstwert der Wahrnehmung gründet, nicht zusammen. Mann und Frau stoßen sich in ihrer Selbstverwirklichung gerade dort ab, wo sie sich anziehen: In ihrer jeweiligen Geschlechtlichkeit. Die Geschlechter haben ein Problem miteinander: Sie können sich nicht zusammen verwirklichen. Sie müssen sich voreinander hüten, auf sich aufpassen, um der zur Ästhetik gewordenen Anziehung nicht zu erliegen. Was sie miteinander zu tun haben, verschwindet schnell im Gegeneinander der geschlechtlichen Kulturpersönlichkeiten.

Die Kultur der Selbstverwirklichung hatte das Geschlecht domestiziert, zum Haushaltungsmittel der Beherrschung von kultureller Getriebenheit gemacht, aus welcher die bürgerliche Persönlichkeit hervorgegangen war. In der persönlichen Zwischenmenschlichkeit war diese im Irrsinn ihrer Liebesschuld verstrickt. Jetzt aber gerät sie vollständig außer sich.

In der zwischenmenschlichen Kultur werden Männer wie Frauen zu Persönlichkeiten einer Fremdidentität, die sie durch ihre Beteiligung beleben, sich ihr einverleiben, um für sich überleben zu können. Aber darin sind sie für sich selbst, für ihre eigene Geschlechtlichkeit verloren, denn sie begegnen sich nicht mehr als wirklich geschlechtliche Menschen, als Wesen, welche ihren jeweiligen Anteil an ihrer gesellschaftlichen Natur haben. Sie verhalten sich, wie sie füreinander sein müssen. Sie ergänzen sich durch ihre kulturellen Bestimmungen, in welchen ihre Geschlechtseigenschaften im Geschlechtserleben aufgehoben und zu Kultureigenschaften des Menschen als Bestimmung seiner Gattungseigenschaften werden, zu einer naturalisierten Kultur. Deren eigene Reproduktion als Gattungswesen ist somit auch davon abhängig, wie diese zwischenmenschliche Kultur funktioniert und welche Lebensformen sie findet, um ihre Entäußerung gesellschaftlich zu gestalten.

Auch wenn der Mann zuvorderst den Eigenarten der bürgerlichen Kultur zu entsprechen scheint, so ist er nicht ohne die Frau bürgerlich - und umgekehrt. Man kann seine Rolle Patriarchisch nennen, wenn man hinzunimmt, dass es diese nur im Bezug auf die bürgerliche Frau gibt, die ihn bemuttert und mit Liebe versorgt. Im Grunde sind beide Objekte ihrer Kultur, in welcher sie solche elendigen Rollen der Selbstentleibung nur deshalb bekommen und einnehmen, weil und solange sie ihrer zwischenmenschlichen Lebenswelt nicht entfliehen oder entsagen können. Sie kehren ihre Sinne als das vor, was sie dem anderen Geschlecht zu bieten haben, um mit ihm im Geschlechtserleben vereint zu sein, um darin keine Brüche ihrer Lebenswelt ertragen zu müssen. Allerdings kann sich dies, was nichts ist, ohne diese Rolle, nicht auf Dauer erhalten.

Die Wirklichkeit einer Gattung besteht aber aus der Geschichte, welche sie hat, aus den Tätigkeiten, Bedürfnissen und dem Reichtum aln Lebensvielfalt, die sie erbringt. Die bürgerliche Kultur erzeugt unter der Bestimmtheit abstrakt menschlicher Sinne eine Einfalt des menschlichen Zusammenlebens, die sich in den Rollen von Mann und Frau getrennt und einseitig verwirklicht. Ihre Begattung bringt die Gattung nicht mehr weiter. Sie befriedigt verselbständigte Geschlechtlichkeiten ohne Verwirklichung eines Gattungszusammenhangs. Was das Gattungsleben weiterbingen kann, ereignet sich zufällig und vereinzelt. Kinder werden geboren, Reproduktion ermöglicht und auch Mehrprodukte darüber hinaus erzeugt. Aber der Zusammenhang von alledem existiert nicht wirklich. Die Privatexistenzen erzeugen einen Lebensreichtum, den sie zugleich unterworfen sind bis hin zur vollständigen Verarmung.

So ist es auch mit dem Liebesleben der Menschen in dieser Kultur. Nur selten gelingt es in dem Sinn, dass menschliche Reichhaltigkeit hieraus hervorgeht. Meist verliert es sich in der Not der verselbständigten Bedürfnisse, deren vereinzelter Sinn auch nur Vereinzelung erzeugt und befriedigt. Der Selbstwert der Einzelheiten ist hiergegen die Form des Reichtums, worin sich vereinzelte Menschen gut dünken dürfen. Aber er bedeutet menschlich eine Auflösung gesellschaftlicher Zusammenhänge und Wirklichkeiten und stellt eigentlich eine kulturelle Verarmung des Menschen dar. Die Vereinzelung der Wahrnehmung wird zur Privatsache der eigenen Wahrheit, zur Notwendigkeit, sich als Persönlichkeit der Kultur kulturell zu vernutzen. Je geschlechtlicher solches Leben erscheint, desto deutlicher wird, dass hier lediglich Kultur in der Form abstrakt menschlicher Sinnlichkeit sexualisiert wird.

Das kultivierte Geschlechterleben ist durch die Vorstellungen und Rollen, die es in der Kultur einnimmt im Grunde desexualisiert. Mann und Fraus verhalten sich nicht sexuell, sie benutzen ihre Sexualität, um sich dann noch aufeinder zu beziehen, wo keine andere Beziehung mehr möglich scheint. Sie vermitteln und übermitteln kein Leben füreinander, sondern erleben sich gegeneinander als Geschlechtswesen, die einem unendlichen Bedarf nach Befriedigung in einer friedlosen Kultur folgen. Das Geschlecht umfasst das ganze Leben, die Generationen und Regeneration der ganzen Gesellschaft. Wird der Geschlechtssinn auf ein bloß abstraktes Dasein als Sinn geschlechtlicher Regungen und Erregungen verworfen, so geht er darin in dem Maße auf, wie er gesellschaftlich wirklich sinnlos wird. Er entwickelt sich in dieser Formbestimmtheit zum Unvermögen der Regeneration der Gesellschaft, zu einem zwischenmenschlichen Leben, das sich allein auf den Reiz des Geschlechterlebens konzentriert und totalisiert und also degeneriert.




311.3.1 Das sinnlose Geschlecht
(Die Geschlechtlichkeit als Ereignis des Erlebens)



Das Selbstgefühl lebt nun wirklich auf als eigenständiger Selbstwert des Überlebens in zwischenmenschlicher Bezogenheit, in den zwischenmenschlichen Erlebnissen. Darin ist jedes Selbstgefühl dem Allgemeingefühl der Geschlechtlichkeit der Erlebnisse gebeugt. Es hat keine unmittelbare Gegenwärtigkeit, sondern muss sich beständig aus der Vermittlung ermitteln, in der es steht. Es erfährt seine Wahrheit nicht mehr aus der Wahrnehmung, sondern aus deren wirklichem Verhältnis selbst, aus den Geschichten, welche zwischenmenschlichen Beziehungen überleben lassen. Die Entgegenwärtigung jeder wirklichen Zwischenmenschlichkeit in diesen Verhältnissen überwindet immerhin die Angst, welche die Geschlechter zueinander entwickeln müssten. Sie stehen mit Vorsicht voreinander, um ihre individualisierte Natur zu befriedigen. Es ist im Grunde eine Geschichte der Beziehungslosigkeiten, bei denen es gleichgültig ist, was sich darin bezieht. Im Grunde überlebt das Geschlecht nurmehr autoerotisch, in welcher Form auch immer.

Das macht eine Geschichte, die aus konkreten Erlebnissen heraus sich zu ergeben scheint, die aber zugleich nichts anderes entwickelt als den abstrakten Sinn, der sich darin vergegenwärtigt aus der Not heraus, in welcher jedes Verlangen darin ist. Solche Not wendet sich in der Nichterkenntnis, im Ausschluss von dem, was dem Selbstgefühl gefährlich würde. Es eint sich im Erleben zwischenmenschlicher Kulturereignisse das Leben der einzelnen in der Gemeinschaft von Lebensereignisse, die als solche die Menschen ergreifen. Sie macht die Ergriffenheit ihrer Regungen und Erregungen zu Lebensereignissen, in welchen zwar ihr Leben keine Geschichte bekommt, aber jedes Erlebnis zum Moment abstrakter Sinneszusammenhänge homoerotischen Kultur wird. Es entsteht zwischenmenschliche Kultur der autoerotischen Lebensereignisse, der sich auch geschlechtliche Beziehungen unterordnen. Die individuelle Geschichte des eigenen Geschlechts wird bestimmt durch die Grenzen und Abgrenzungen einer allgemeinen Geschlechtlichkeit der Kulur überhaupt, wie sie sich in sich in den einzelnen Ereignissen des Geschlechtserlebens wechselseitig aufhebt.





311.3.2 Das wirklich entleibte Leben (Gegebenheiten der Sinnlosigkeiten)



Das Selbstgefühl der Menschen in zwischenmenschlichen Beziehungen verwirklicht sich nicht mehr als ihr Selbstgefühl, als Baisis ihrer Selbstverwirklichung, sondern als Geschlechterleben, welches ihre Unwirklichkeit betreibt, sie als Menschen selbst unwirklich macht. Durch ihre Unterwerfung unter die Erlebnisse in der zwischenmenschlichen Geschlechterwelt können sich die Menschen zwar fühlen, aber zugleich füllen und erfüllen sie sich mit fremder Sinnlichkeit, mit einem Sinn, den sie selbst nicht mehr "gewachsen sind". Das kulturelle Leben selbst wird zu einer Art Ereignis, das sich aus zwischenmenschlicher Nähe und Dichte speist. Es beengt die Menschen in ihren unmittelbaren Lebensäußerungen, verengt ihre Ausdruckskraft und erfordert zugleich zur Überwindung dieser Lebensenge immer größere Ausdehnung und immer höhere Konzentration der Wechseitigkeit individualisierter Natur. Unendliche Ausdehnung und unendliche Dichte zugleich hat solches Erleben nötig: ein Widerspruch in sich.

Das verlangt vor allem auch vielerlei Beiträge hierfür, die den Einfällen der Menschen zur Herstellung von Kulturereignissen entspringen, die aber selbst nicht Zufälle sind, sondern einer Absicht folgen, diese Verhältnisse durch Ausdehnung des Lebensraumes von Menschen und zur Vertiefung ihrer Eindrücklichkeit zu erweitern. Das Leben wird zur Bühne dieser strahlenden Ereignisse und das Podium besteht solange, wie das Parkett gefüllt ist und dunkel bleibt. Solange sich die Menschen darin nicht begreifen müssen, verlieren sie mit der Ausdehnung und Vertiefung ihres Kulturraums immerhin die Verengung ihres einzelnen Daseins als individualisierter Naturkörper. Aber in dieser Enge ist das Leben bedrängt. Es ist im Begriff, sich beständig aufzuheben, durch anderes Leben zu füllen ohne ein wirklich anderes Leben zu sein. Solches Leben besteht aus Lebensangst und ist immer wieder im Gefühl, durch vernichtende Lebensgewalten oder "Lebensschicksale" vernichtet zu werden.

Die Menschen scheinen durch sich selbst, durch ihren zwischenmenschlichen Verkehr bedroht, haben sich selbst als potenziell vernichtet war, wenn sie dem nicht standhalten. Solange es für sie noch keines gemeines Menschsein wirklich gibt, unterliegen sie immer wieder dem vermeintlichen "Schicksal" ihrer Bedürfnisse, besonders ihres Geschlechtslebens. Dieses erscheint gegeben und verlangt daher auch Ergebenheit. Doch immer seltener gelingt es, sich darin einzufügen, das immer mächtiger die Ereinisse des Lebens werden, das Erleben immer zwingender. Die klassische Form der Ergebenheit, der Ehevertrag zum "wechselseitigen Gebrauch der Geschlechtsorgane" (Immanuel Kant) funktioniert nicht mehr.

Es ist die erste Form, worin das Bedürfnis nach Gewöhnung und Vermengung wie eine äußere Notwendigkeit entsteht, die Form, worin das Gefühl für eine Menschenmasse keimt, die letztlich die Gewähr für das Potenzial vieler Selbstgefühle ist. Doch innerhalb wirklicher zwischenmenschlicher Verhältnisse kann sie sich noch nicht ausbilden.





311.3.3 Die Prominenz einer toten Wahrnehmung (Die Kultur der Aufreizung - der verheimlichte Mensch)



Mit der Versachlichung der Geschlechtsbeziehungen wurde nicht nur das Geschlecht zu einer Sache, sondern die Menschen auch geschlechtslos in dem Sinne, dass nicht mehr ihre menschlichen Beziehungen geschlechtlich wahrgemacht werden, sondern umgekehrt das Geschlecht selbst zum Mittel ihres Verhältnisses wird, zu einem Anreiz für Beziehungen, in denen Geschlecht benutzt wird, um reizvolle Erlebnisse zu produzieren. Von daher wurde es zum ausschließlichen Objekt einer Wahrnehmung, die sich alles einverleibt, was ihr leiblich - und also sinnlich - vorausgesetzter Beziehungsinhalt ist, der als das, was davon wahrgehabt wird, sich der Wahrnehmung und damit auch dem Bewusstsein entzieht. Der sinnliche Reiz des Geschlechtlichen gerät in eine veräußerte Körperwelt voller Nutzeffekte, die zwar im Erleben imponieren, in ihrer Beziehung aber sich schnell entleeren, sich sinnlos machen, weil ihr Sinn nur verbraucht wird. Das macht eben jede Nutzung aus, die sich von der Entstehung seiner nutzbaren Eigenschaften abgehoben hat. Deren Sinn benötigt vielfältige Beziehungen, um sich zu einem menschlichen Sinn zu entwickeln, ist aber schnell außer sich, wenn er nurmehr dem Anreiz für Beziehungen dient, die sich auf Ereignisse reduzieren, also eine Geschichte ihrer Verhältnisse schon von vorn herein aufgegeben haben, indem sie lediglich Zustände eines Verhaltens kassieren.

Hinter dem Reiz der Gegebenheiten wird Lebensangst unwirklich. Sie tritt vielleicht hie und da als Albtraum oder Panik hervor, beruhigt sich aber zunehmend in der Teilhabe an der Erlebenskultur. Diese ist die eigentliche Form der Überwindung jedweder Ängstlichkeit. Nicht muss Angst machen, nichts das Leben verengen, wenn die Weite und Unendlichkeit, also die Beliebigkeit der Reize, sich dem gewöhnlichen Leben überordnet.

Das Wesentliche, was es die Menschen in dieser Kultur treibt, ist daher die Gemeinschaft, welche im Erleben auch wirklich entsteht. Der vereinzelte Sinn, das vereinzelte Geschlecht, der vereinzelte Geschmack, die vereinzelte Wahrnehmung überhaupt findet im allgemeinen öffentlichen Erleben einen nun auch allgemein ölffentlichen Zusammenhang. Was im ersten Teil das Erleben als Grundlage der Selbstverwirklichung war, wird nun zum öffentlichen Erlebnis, das als allgemeine Selbstverwirklichung der Kulturpersönlichkeiten erscheint.

Dies verändert die Sinne der Menschen nun wirklich, macht aus dem Geschlecht ebenso ein allgemein menschliches Erlebnis, wie aus dem Geschmack, aus dem Gespühr, aus den Gefühlen und Empfindungen überhaupt. Die Empfindungen verschwinden in einem Matsch von Gefühlen, die durch Anzeize gebündelt und ausgerichtet werden.

Der Gefühlsbrei bliebe endlos, würde nicht die entsprechende Dosis Ketchup den Geschmack ausrichten, das Besondere im Brei des Erlebens. MacDonald besteht nicht als bloßes Fast-Food-Geschäft sondern. Dieser Konzern ist vor allem als Kulturmedium des unendlich leer bestimmten Geschmacks vonnöten. Daher soll der Mac-Burger überall auf der Welt auch gleich schmecken und auch im "Grundrauschen" des Geschmacks überall vertraut sein, denn das verschafft dem entleerten Gefühl wenigstens eine Heimat, und garantiert natürlich zugleich auch volle Kassen.

Erst hierdurch kommt jede Geschichte nun wirklich an ihr Ende, denn sie kann sich nur in dem aufheben, von dem sie ausgegangen war. Das Erleben wird selbst zur auschließlichen Empfindung, Resultat und Ursprung in sich selbst verkehrt. Das ist die wesentliche Grundlage jeder Selbsttäuschung: Man empfindet, was man erlebt und hat dadurch das Gefühl, gelebt zu haben, gleich wie das Leben auch sein mag. Das überlebende Gefühl wird zur einzigen Selbstgewissheit, dass das Überlebte auch Leben ist. Der Selbstwert begründet sich nur auf dieser Überlebensfähigkeit, worin alle kulturellen Reize aufgehen. Auch wenn sie das menschliche Leben entgegenwärtigen, so vergegenwärtigen sie sinnliche Erregungen, die im Trubel der Gefühle ihre Bewegung und Sättigung haben, die also darin zur Aufhebung gelangen, dass die eine Menge Selbstgefühl produzieren.

Das Gemenge aus den Versinnlichungen wird zum Kulturträger schlechthin, zum allgemein angereizten Sinn, dem Reiz des Geschmacks, der Sexualität, der Selbstwahrnehmung usw. Hierdurch verlieren die ursprünglichen Sinnstifter ihre Funktion, treten weder als Zweck, noch als Schranke auf. Der zwischenmenschliche Grund wird selbst zum Phänomen des zwischenmenschlichen Lebens, zum allgemeinen Lebensphänomen, worin das Kapital nun wirklich seine Kultur findet und dies in aller Regel irgendwann auch begreift.

Doch die erste Position hierzu ist konservativ: Das Bedürfnis, die Menschen jenseits ihrer konkreten Sinnlichkeit zu kultivierten, ihre Gewohnheiten und Bedürfnisse dem Maßstab eines gesitteten Lebens zu unterwerfen, ist die erste Reaktion auf die Entleerung der Bedürfnisse selbst. Sie erscheinen jetzt sinnlus und müssen aus diesem Grund selbst Sinn erfahren, den sie für sich nicht mehr haben. Das Leben wird nach einer Sinnstiftung durchpflügt, die höher stehen muss als es selbst sein kann. Um diese geht es deshalb jetzt.


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