312. Die Perversionen eines veräußerten Selbstgefähls

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Das Erleben einer Kultur voller Lebensereignisse erweitert zwar den Lebensraum des Überlebens, indem er sich auf nahezu beliebig viele Menschen ausdehen und verdichten lässt, nicht aber das Leben selbst. Ein selbstlos gewordenes Leben, das sich seinem Sinn und damit auch seiner Kraft nicht mehr gewiss werden kann, das keinerlei Bewahrheitung seines Gehalts mehr erkennen kann, hat sich aus jeder sinnlichen Beziehung herausgesetzt und seine Entsinnlichung in den Zweck des Überlebens jedweder Sinnwidrigkeit gestellt. In den Sinnwiderigkeiten einer Kultur, in welcher das Geschlecht und seine Gattung selbst nur Sache ist, wird auch diese Kultur zu einer Sache, die ihre Beziehung entmenschlicht, sich jedem sinnnlichen Ausdruck entzieht. Darin hat jede Beziehung also nicht nur keinen Sinn, sondern wird in ihrem Verlangen nach Sinn selbst schon verhöhnt, wird zu einer Sache, die jeden Sinn ausdrücklich meidet, indem sie jedem Anreiz Folge leistet: Die Reizkultur erhebt sich über ihre eigene Gründe, wird zynisch gegen das lebendige Verlangen, über das sie sich erhebt, worin sie sich aber selbst auch unentwegt begründet. Es ist diese Abhebung daher nicht unbedingt eine elitäre, wohl aber eine, die eine Selbstermächtigung durch Meidung jeder Beziehung betreibt. In ihrer Gemeinschaft verwirklickt sich eine tote Wahrnehmung, die den isolierten Menschen bestimmt.

In einer geschlossenen Welt toter Wahrnehmungen erliegen alle Regungen den Erregungen einer aufgereizten Scheinwelt. Darin herrscht die scheinbare Selbstwahrnehmung von übermenschlicher Bedeutung, der Schein des Anscheins schlechthin, der doppelte Schein, der sich nurmehr ausschließlich in Selstgefühlen und diesen entsprechenden Stimmungen vergegenwärtigen kann, die sich durch die aussschließliche Sinnlosigkeit ihrer zwischenmenschlichen Verhältnisse begründen, erhalten und beschränken. Darin hat nichts mehr wirkliche Substanz (siehe hierzu auch Todestrieb). Und darin überlagern sich die Eindrücke beliebiger Gefühle, die durch Ereignisproduktion erzeugt und befriedet werden müssen, weil sie keinen eigenen Ausdruck mehr darstellen können. Vom Standpunkt ihrer isolierten Abstraktionskraft ihrer Gefühle wird die Selbstwahrnehmung zu einer gewöhnlichen Form einer ausdrücklichen Welt der Aufreizung, zu einer totalen Selbstwahrnehmmung, die für sich total empfindungslos ist, weil sie ihren wirklichen Körper verlassen hat. In dieser Selbstentleibung der zwischenmenschlichen Beziehungen entsteht eine unerträgliche Leere ihrer Nichtigkeit (siehe auch Langeweile). Darin herrscht schließlich das absolut drängende Verlangen nach dem entsprechenden Empfindungen, die nurmehr durch totale Eindrücklichkeit produziert werden können (siehe hierzu auch Zwangshandlung).

Der Sinn einer solchen Ausdruckslosigkeit entwickelt eine spezifische Aufmerksamkeit für die Reproduktion ausgeschlossener Seelen. Die darin erzeugten Empfindungen kultivieren zugleich eine Welt isolierter Gefühle, worin sich ihre Empfindungen gegen ihren Sinn verkehren und diese in die Sucht nach einer endlosen sinnlicher Gewissheit treiben, zu einem ausschliesslichen Sinn eines absoluten Verlangens nach einer absolut ausgeschlossene Selbstwahrmehmung durch seine Wirkung auf andere. Dieser Trieb verengt die Wahrheit ihrer Wahrnehmungen (siehe Angst), töten sie durch ihre Lebensangst (siehe tote Wahrnehmung) und verwahrlosen daran (siehe auch Dekadenz). Schließlich kehren sie ihren Sinn gegen ihre Kultur, trennen ihren Leib von ihrer Seele und pervertieren sich selbst zu einem Zwang entäußerter Wahrheit (siehe hierzu auch Perversion). Was ursprünglich die Grundlage einer selbständigen Selbstveredelung war, wird zu einerAbstraktionskraft, die jeden Reiz umkehrt, ihn in eine Selbsterregung gegen seine Wirklichkeit durchsetzen will. Die Abhebung von den gewöhnlichen Begierden wird zu einem Selbsterregungsprinzip, in welchem die Besonderung durch Verkehrung zu einem hinterhältigen Trieb zur Nichtung dessen, was den Menschen Lebenswert zu haben scheint. Denn das so bewertete Leben sondert die Ideologie eines "unwerten Lebens" ab, die politsch genutzt werden kann (siehe hierzu Populismus).

Die Begierde ist ein spontan auftretendes heftiges Verlangen, dessen Anlass und Absicht nicht erkennbar ist, weil es aus der selbstverlorenen Selbsbeziehung eines äathetischen Willens entspringt. Im Unterschied zum Bedürfnis bezieht sich die Begierde daher auch nur abstrakt auf ihren Gegenstand, der dann vollkommen ist, wenn er als Gegenstand einer abstrakten Wahrnehmng taugt (sihe hierzu auch Kulturbürger), wenn er für die Ästhetik einer abstrakt menschlichen Sinnlichkeit nützlich ist (siehe hierzu auch Mode, Kunst). Sie ist ein verselbständigtes Verlangen des Selbstgefühls, das durch dessen Triebhaftigkeit (siehe auch Abstraktionskraft) uneinig mit sich seinen Sinn verloren hat und in seiner Langeweile nach einem unendlich bestimmten Dasein seiner ungewissen Sinne sucht. Es ist das Verlangn nach einer ewigen Sinngestalt seiner unendich verödeten Selbstbeziehung, aus dem sich ein Begehren konstruiert (siehe Konstruktivismus), das aus einem Einfall besteht, der nicht von dieser Welt ist. Es ist das Dasein einer Enttäuschung in einem Verlangen nach dem einen, das zugleich zum Verlangen nach anderem wird, das im Grunde beliebig austauschbar ist und von daher jedes Eine die Langeweile in sich trägt, die erst in einer allgemeinen persöniche Prominenz ihre Welt finden kann und als Kult seines ausgeweiteten und unendlichen Verlangens erfahren wird.

Im Unterschied zum Bedürfnis als notwendiges Verlangen ist das Begehren ein Verlangen, das die Getrenntheit des Subjekts vom Objekt der Begierde voraussetzt und zugleich nicht notwendig ein natürliches Verlangen, also nicht ein Verlangen, das aus der Natur eines Wesens, sondern aus der Wahrnehmungsform desselben entstanden ist. Es ist eher eine Geistesreflektion, die unmittelbar keine natürliche Not hat, auch wenn sie dieser entspringen mag. Es hat ästhetische Inhalte und ist von daher ein Verlangen der Selbstgefühle nach einer eigenen Wahrheit, die durch die Erfüllung ihrer Wünsche wahrgemacht werden soll. Von daher ist das Begehren eine Sehnsucht nach Erfüllung einer Wahrnehmungsidentität der Selbstgefühle, das Verlangen nach einer Verwirklichung einer Identität, die diese nicht haben, aber wahrmachen können, wo sich das Ziel des Begehrens als Wunscherfüllung vollziehen lässt. Sie geschieht daher in seelischer Absicht, in der Absicht "höherer Antriebe", die zu Gefühlen gelangen, die sie aus sich heraus nicht empfinden, sich ihnen also auch nicht gewiss sein, wohl aber sich wahrmachen können, in dem sie sich einverleiben, was ihnen unterworfen werden kann, Beziehungen begründen, die selbst nur psychischen Inhalt haben.

Inzwischen stellen die zwischenmenschlichen Ereignisse in ihrem beständigen Wechsel alleine eine Beständigkeit der Abwechslung dar, die ihren Sinn verloren hat und die sich hierüber zugleich erregt, in dem sie ihre Sinnlosigkeit kultiiviert. Die Ereignisse, die in solcher Dekadenz befriedigen, sind die Exaltierung des Geleugneten, des Geschlechts und der Ästhetik, die sich nur noch verkümmert und also auch kümmerlich darstellt. Die Selbstüberhebung wird zum Erlebnis einer Selbstzbeziehung, die nur daraus besteht, sich in ihrer Selbstlosigkeit zu bestätigen. Ihr Gegenstand sind die Verkümmerungen, die sie an sich selbst nicht mehr bemerken muss, weil sie dies außer sich gewiss macht, ihre Ereignisse und Erlebnisse daraus bildet, dass sie das Scheitern jedweden Sinns durch Öberreizung produziert, ein Leben erzeugt, dass sie sich durch permanente Erregtheit dem Sinn und Inhalt ihres Lebens entzieht. Eine Kultur, welche durch die Erregung zwischenmenschlicher Wahrnehmungen sich entfaltet und dabei ihren Sinn verloren hat, bedarf nun endlich auch der Inhalte von dem, was ihr noch lebendig erscheinen kann, wiewohl es in ihrem Leben praktisch nicht merh vorkommen kann.

Es sind die allgemein gültige Gewohnheiten des Bürgertums, der überschüssige Lebensstandard ihrer Selbsterhaltung, ihrer Arbeiten und Institutionen, des Handwerks und der Landwirtschaft, der Männer und Frauen und Kinder aus den Familien und Gemeinden, worin sich nicht nur die Generationen erhalten, sondern worin sie auch zusammenfinden können, wo nichts anderes mehr ist. Das Brauchtum gründet auf Lebensprozessen, meist aus der Arbeit im Verhalten zur Natur und im Glauben an deren Allmacht, ist somit die Gewohnheit einer kulturell aufgehobebn Naturmächtigkeit und zugleich deren hintersinnige Verewigung (siehe auch Liturgie). So dient das Brauchtum auch als Lebensform für sich, als Kult der Geschichte. Darin hat es die Funktion, Gemeinschaften auf der Basis ihrer Kulte zusammenzuhalten und auch darin als Sitte zu fungieren, die ihm Brauch überschaubar ist, als die "Sittlichkeit des kleinen Mannes" der Großes tut und als Edelmut des Kulturbürgertums, das sich damit seine allgemeine Kultiviertheit auch im Besonderen beweist.

So voller Lebensfülle die Erlebnisse erscheinen, so leer sind sie daher auch auf Dauer, weil sie selbst nur der Kurzweil der permanenten Negation folgen. Substanz bildet sich eben nur in menschlichen Beziehungen, in Zusammenhängen ihres wirklichen Seins, die auch die Reize ansprechen und in der damit erreichten Selbstwahrnehmung bezwecken. In einer Kultur der Reize aber verliert sich nicht nur der Inhalt ihrer Selbstwahrnehmung sondern auch der Inhalt ihrer Wahrnehmungen überhaupt. Im Grund nehmen sie nurmehr das wahr, was sie längst wahrhaben, was ihnen also bloße Gewähr einer Beziehung ist und bietet. Aber sie haben sich dabei nur in ihrer Nichtigkeit als Menschen wahr, weil ihnen nichts bleibt, außer ihre Wahrnehmung selbst, ihrre Wahrnehmung jenseits aller Selbstwahrnehmung, die aber keinen Gegenstand außer sich mehr kennt und erkennt. Die Dekadenz, welche solche Wahrnehmungsverhältnisse ausmacht, ist eine durch nichts aufgehobene, also eine alles aufbrauchende Selbstwahrnehmung. Denn was nichts ist, verbraucht jeden Stoff für sich, den es sich endlos, also unendlich oft einverleiben kann.

Für einander sind die Menschen nur das, was sie reizend macht, ohne wirklich reizvoll zu sein. Ihre Selbstlosigkeit hat sich nicht nur in ihren reizvollen Erlebnissen nun wirklich erfüllt; sie füllt ihre Wirklichkeit jetzt auch durch Reize, in denen sie sich wirklich aufheben. Schlagartig tritt an die Stelle der Kurzweil, wie sie ihr Sinnesleben als Naturerleben gerade noch hatte, eine unendliche Langeweile.

Die Menschen können in ihren Beziehungen selbst nicht mehr das geben, was sie voneinander erwarten. Sie erleben sich selbst als eine Beschränkung ihrer Selbstentfaltung, sich selbst als unangemessen. Es beziehen sich zwar die Absichten der persönlichen Gefühle weiterhin aufeinander. Sie können sich aber nur gegeneinander verwirklichen. Was der einen Persönlichkeit nötig ist, das bedrängt die andere. Die Selbstverwirklichung dadurch an ihre Grenzen, dass die Menschen in ihrem Erleben sich selbst ausschließlicher Gegenstand und daher auch einander ausschließend geworden sind. Sie entleeren ihre Beziehungen durch ihre Selbstwahrnehmungen, die sie darin haben. In diesem Zirkel um die somit total gewordene Selbbstwahrnehmung muss gerade das untergehen, was von lebendig zu sein scheint. Es ist eine Art Vampirismus der Wahrnehmung, was auf dieser Stufe der Kultur geschieht: Die Menschen können nur ihrem Untergang begegnen, wo sie Leben suchen. Ihr Leben ist gerade durch den Schein ihrer Lebendigkeit im Ausschluss von sich negiert.

Von da her ist es nötig, dem Leben, wo es nicht ist, eine Form zu geben, eine Gestalt, worin es sich äußern kann, auch wenn es so nicht sein kann, weil es nur außer sich ist. Es ist keine wirklich reizvolle Wahrnehmung mehr, über welche sich Menschen in einer dekadent gewordenen Kultur beziehen; ihre Beziehung selbst erregt den einzigen Sinn, den sie in Wirklichkeit hat: Die Erregung von Wahrnehmung durch das Erheischen von Aufmerksamkeit. Der Reiz hat daher keine Schönheit mehr; Schönheit wird als Kulturform selbst reizend. Die Form des Lebens, das im Erleben noch als Anreiz aufleuchtete, wird nun zum Reiz einer Kultur, die sich im Grunde satt hat. Die Menschen verlassen dadurch die Ödnis ihrer zwischenmenschlichen Bezogenheit, dass sie ihrem Sinn eine Gestalt geben, die ihn hervorlockt, die ihn anreizt, anstachelt und anmacht. Die "Anmache" ist das hervortretende Merkmal solcher Reizkultur.

312.1. Der veräußerte Gebrauch (Die allgemein selbstlose Selbstbehauptung)

Hatte sich in der Selbstverwirklichung, wie sie im ersten Teil dargestellt worden war, noch eine abstrakte Entfaltung der sinnlichen Beziehungen ergeben, so muss sich jetzt eine Beziehung erst durch sich selbst gestalten, um solcherlei Beziehung überhaupt wahrnehmen zu können. Es genügt hierfür nicht reizvolles Erleben; das Leben muss in seinem Anreiz so gestaltet werden, dass die Menschen darin sich wie sie selbst auch fühlen. Nicht ihr wirkliches Selbstgefühl kann dies sein, sondern ein Gefühl für sich, durch bloße Einverleibung eines anderen Lebens, das nur durch seine besondere Allgemeinheit besonders ist: Das besondere Selbst in einem selbstlosen Leben - man muss besser sagen: Das objektive Selbst als übermenschliches Selbstgefühl. Weil dieses selbstlos geworden ist, kann es sich nur behaupten, indem es sich als Form einer allgemeinen Nützlichkeit erweist, also sich darin sozial bindet, dass es seinen Sinn aus seinem Nutzen für die Gemeinschaft erfährt.

Brauchtum kommt vom Gebräuchlichen, von der Beständigkeit des Nutzens, den jeder Gebrauch erbringt und für die Form eines menschlichen Verhältnisses Sinn hat und dieses zugleich darin formell bestärkt, dass es seinen Sinn an seine Gemeinschaft bindet und damit Gemeinsinn macht. Dessen Form wird damit zum Sinn einer Formbestimmung, die sich im Gebrauch verstetigt hat und als Gegewärtigkeit sinnvoll erscheint, wiewohl sie nur vergangen Nutzen bestätigt. In dieser Verdoppplung erscheint im Brauchtum ein Sinn bewahrheitet, weil dieses Verhältnis als seine Bewährung betrieben wird, wiewohl es nur aus seiner Vergangenheit besteht und diese zu konservieren sucht. Es wird somit das gemeinsinnige Verhältnis von Sinn und Nutzen zu einer Herrschaft des Nutzens über jeden Sinn, indem sich dieser als stetige Vergangenheit in der Gegenwart darstellen soll, um die Selbstentfremdung der kultivierten Sinne als Edelmut eines entsinnlichten Verhältnisses erscheinen zu lassen.

Dieses allerdings wäre in seinem Bezug auf Vergangenheit des Nutzens schnell verschliessen und von daher höchst langeweilig, würde sich darin nicht gerade der besondere Reiz des Augenblicks bilden, der Reiz der Ereignisse, welche sich aus dem Gebräuchlichen dadurch hervortun, dass sie es als Erlebnis ungewöhnlich machen, dass das Ungewöhnliche selbst zum Kulturereignis wird.

312.2 Die Reizkultur der Selbstentfremdung

Die Selbstlosigkeit der Kultur erfüllt sich in den Menschen darin, dass sie einerseits ihre Gewohnheiten bestärkt, diese aber zugleich durch Ereignisse aufhebt, die sie als persönliche Lebensform darin verwirklicht, dass sie darin sich auf ihre Körperlichkeit zurückbesinnnt, auf den Reiz des Erlebens, der die Selbstwahrnehmung in ihrer Selbstlosigkeit an ihre Sinnlichkeit erinnert. Indem die Menschen ihre Körper hierfür benutzen, verschaffen sie sich Sinn, indem sie diese Körperlichkeit entgrenzen, sich in einer allgemeinen Selbstwahrnehmung der Selbstgefühle treffen, die mal diesem oder jenem dazu verhelfen, sich über alles Zwischenmenschliche zu erheben. In dieser Öberhebung versetzt jeder den anderen in eine erniedrigte Wahrnehmung. Es entsteht eine allgemeine Niedertracht, in der sich die Arroganz der Eitelkeiten bewegt und dadurch vermehrt, dass immer meht Menschen sich ihr unterwerfen müssen, um der allgemein gewordenen Lebensgefahr, die sich über ihre Gefährten vermittelt, zu entgehen. Indem sie ihren Leib selbst ihrer ihnen fremd gewordenen Selbstwahrnehmung unterwerfen, konsumieren sie den Reiz ihrer Unterwerfung als Selbstgewinn. Derauf beruht das Prinzip der Selbstgestaltung, indem jeder sich als Herr fühlen darf, wenn er als Knecht der allgemeinen Selbstunterwerfung ästhetisch zu gewinnen vermag. Es ist das Prinzip einer Konsumkultur, die sich als Produzent ihrer Selbstverliebtheit versteht.

Indem sich Kultur in dem Sinn entäußert, den sie mitteilt und aufteilt, wird sie selbst zu einer Hülle, worin das gemeine Funktionieren selbst verbindlich wird. Was bis hierhin noch Bedingung war, dass nämlich sich sinnliche Beziehungen veräußern und mitteilen lassen, wird nun selbst zur funktionalen Entäußerung durch seine Reize, durch den Reiz als Gemeinsinn. Das Gemeine erhält seinen Sinn durch Vereinnahmung, durch allgemeine Einverleibung des gemeinhin Reizvollen: Durch Anmache. Ein Reiz will ein Verhältnis wahrmachen, das ohne ihn nicht bestehen würde. Und so soll er etwas vorstellen, was Vorstellungen zu einem bestimmten Verhalten treibt, was also eine Vorstellung befördert und veranstaltet.

Reize verschaffen Eindruck, erzeugen Aufmerksamkeit, wo Menschen von sich aus nicht aufmerken würden. Diese entsteht durch die Besonderheit einer Wirkung des Eindrucks auf andere dadurch, dass jener einen Druck auf die Wahrnehmung über die Gewohnheiten der geschichtlich gegebenen Sinnbildung hinaus bewirkt. Durch besondere Ereignisse (Events) vermittelt er Signale für besondere Regungen, welche schon durch sich erregend sein können und die von daher eine selbstbezogene Gewissheit erzeugen (siehe auch Eventkultur). Immerhin erleben die Menschen durch Reize etwas, was nicht aus ihrer Lebenstätigkeit kommt und dennoch Wirkung auf das Leben hat. Zwar hat auch jede Schönheit ihren Reiz. Aber um wirkliche Schönheit geht es selten, wenn von Reiz die Rede ist, bestenfalls von einer ausgefallenen Schönheit, einer besonderen ästhetischen Wirkung, welche einem bestimmten Erleben zukommt.

Reize können nur durch ihre Darbietungsform einen ästhetischen Druck erzeugen, also damit, wie sie auf natürliche Wahrnehmung einwirken, also durch die Form, in der sie diese bestimmen. Jeder Reiz ist für sich genommen nur ein Ereignis, in einem systematischen Zweck aber ist er das Mittel, Aufmerksamkeit zu heischen und durch das so erzeugte Selbstgefühl Selbstwert zu bilden und zu bestärken. In diesem Zusammenhang werden Reize zu einer Formbestimmung der Wahrnehmung und hierdurch das Medium des Erlebens, des für wahr genommenen Lebens, die Bedingung also, Lebenswerte konstatieren zu können und hierdurch Selbstwert zu erlangen.

Nun erst wird jeder seines Nächsten Freund, weil in der Verallgemeinerung der Verwirklichung von Selbstwert durch die Reizverarbeitung eine wirkliche Gleichheit in den zwischenmenschlichen Beziehungen entstanden ist. Das Geimeine ist das, worauf sich eine gut formalisierte Gleichheit reduzieren lässt; und je aufwändiger die zwischenmenschlichen Beziehungen werden, desto mehr wird ein solcher Gemeinsinn angestrebt und notwendig. Dieser Sinn bezieht seine Macht aus der Vergemeinschaftlichung solcher Notwendigkeiten, wie sie sich in den Partikularisierungen des informellen Lebens ergeben und auftun. Der veräußerte Gemeinsinn ist daher zunächst mal nur eine Autorität der Gewohnheit und damit des Gewöhnlichen, wie es in Form gebracht werden kann: Es ist die erste formierte Allgemeinheit, worin die Sitte der Alltäglichkeiten zusammengefasst wird.

Doch in dieser rein formellen Allgemeinheit würde es weiter nur Sinn aufzehren und entleeren, wenn sich zwischen den Menschen nicht eine neue Güte auftun würde, wenn sie nicht den Zweck ihre Gemeinsinns außer sich auf aufgreifen und nutzen könnten. Sie entdecken in dieser Form ihrer Beziehungen erst die unmittelbare gesellschaftliche Form ihrer Befriedigung, die Friedensgemeinschaft der Gemeinde, worin sie einen Gemeinsinn auch wirklich haben können. Es entsteht auf diese Weise eine Befriedungskultur.

312.2.1 Die entäußerte Selbstgestaltung

Um sich selbst mitzuteilen und um sich dabei zu vermitteln, müssen die Menschen in den Verhältnissen des Kulturerlebens sich vor allem selbst gestalten. Ihre Originalität ist gefragt, aber nur im Sinn dieser Verhältnisse. Sie muss daher ausgestattet werden mit den Merkmalen ihrer Zeit und deren Reize.

Wenn die Arbeit von Menschen keine Gegenstände mehr gestalten sondern sie selbst, so muss sich diese Gestaltung an den unmittelbaren Ausdrucksweisen von Menschen orientieren und sich an diese auch wenden. Die Selbstgestaltung wird zum Design einer allgemeinen Selbstwahrnehmung, die aus dem versachlichten Zwischenmenschen selbst eine Sache des Designs macht, die ästhetisch das formuliert und formatisiert, was ein allgemeiner Ausdruck der Selbstwahrnehmung sein soll. Doch woraus kann sich der begründen? Was kann der Inhalt dessen sein, was einen Menschen als Zwischenmenschen ausdrücklich sein lässt, der sich über sein gegenständliches Leben verloren und zugleich darüber erhoben hat?

Wo Menschen sich in dieser Kultur selbst zu ihrem Gegenstand machen, müssen sie sich einerseits dem anpassen, was diese zwischen den Menschen vor allem allgemein formuliert und sie andererseits für sich im Einelnen reizvoll sein lässt, indem sie die Gleichgültigkeit der Kultur gegen sich überwinden. Es wird der Unterschied hierin substanziell herausgestellt, der besondere Sinn für das Reizvolle, der zu einer eigenständigen Darbietung einer besonderen Zwischenmenschlichkeit wird. Der einzelne Mensch bringt sich hierin allgemein durch einen besonderen Sinn gegen die Kultur der Selbstlosigkeit zur Darstellung, indem er diesen so gestaltet, wie er allgemein dadurch wirkungsvoll ist, dass er seine Gleichgültigkeit verliert. Die selbstlose Kultur bekommt hierdurch einen übernatürlichen Sinn, der sich lediglich ihrer Materialien besinnt und diese als Reflexionsform, als Spiegel seiner Selbstdarstellung nutzt.

Was erst die Religion geistig erreichen kann, wird hier schon ästhetisch eingeführt. Der zerfallende Mensch wird zum Gott der nurmehr zwischenmenschlich existenten Kultur. Jeder verzehrt sich im Ausdruck göttlicher Selbstwahrnehmung und verschafft sich den Eindruck eines über alle Wirklichkeit erhabenen Lebens. Der Fetisch des Kulturerlebens wird selbst zur Kultur.

312.2.2 Die Mode als Darbietung einer selbstbestimmten Ästhetik

Mode ist ein Signal der Selbstwahrnehmung, dient also eigentlich dem profanen Zweck, eigene Haltungen und Gewohnheiten zu signalisieren, um eine hierdurch bestimmte Beziehung zu erwerben und zu bestärken. In der Reizkultur aber wird Mode von ihrer profanen Herkunft enthoben und zum Medium des Ausdrucks von Konsumerwartungen. Erst durch Mode wird die zeitgerechte Ausstattung der Selbstdarstellung durch Symbole der Selbstwahrnehmung, welche eine Kenntlichkeit solcher Absichten zwischenmenschlicher Beziehung bezweckt. Sie ist Zeitgeist und Lifestyle in einem, das aktuell Moderne an Kleidung, Einrichtung, Architektur usw., was dem Selbstgefühl und der Selbstdarstellung als gängigiges Design zur Verfügung steht, die Art und Weise des Ausdrucks, mit dem man auf andere Menschen am ehesten Eindruck machen und sich darin erleben kann. Sie drückt damit die objektive Selbstwahrnehmung als allgemein kulturelles Medium der Selbstverwirklichung aus, wie es im Zweck von zwischenmenschlichen Beziehungen nötig erscheint, sofern sie dem Selbsterleben dienlich sein müssen.

Mode überwindet leere objektive Kulturbestimmungen durch ihre ästhetischen Reize. Sie promeniert nicht nur auf Laufstegen, sondern in der Selbstwahrnehmung selbst. Die Selbstwahrnehmung wird durch die Mode prominent. Der ästhetische Wille beginnt daher auch wirkliche Gestalt anzunehmen. Allerdings fristet er innerhalb der Sitten noch ein kümmerliches Dasein.

312.2.3 Die Mode und der Gebrauch des Anreizes

Die Selbstgestaltung, die auf dem Konsum der ästhetischen Unterwerfung beruht, beruht in Wahrheit darauf, dass sie durch die absolut vereinzelte und zugleich allgemeine Selbstüberhebung getragen ist, dass sie den Niedergang ihrer Selbstwahrnehmung dadurch befördert, dass sie ihn als Aufgang ihrer Eindrücklichkeit auf andere bezieht, dass sie Eindruck zu machen sucht, indem sie sich im Wechsel zu sich, im zeitlichen Verlauf ihrer Seölbstveränderung gestaltet - eben modisch wird. Ob Frühjahr, Sommer, Herbst oder Winter, an all den Selbstgefühlen, die damit zu verbinden sind, lässt sich persönliche Beziehung zur Zeit gestalten. So auch an der Zeitgeschichte selbst, an den Jahren, Jahrzehnten und Jahrhunderten. Aber die Zeitgeschichte kommt in der Mode nicht als Geschte einer bestimmten Zeit zum Tragen, sondern als Anreiz, wie er in dieser Zeit möglich ist, als Form eines Lebensausdrucks, wie er darin verlangt, nötig iat, um reizvoll zu sein - also als subjektive Öberwindung dessen, was in der Zeit fehlt, was durch Reize anwesend gemacht werden muss, weil es darin nur in der Besonderung, über den Durchschnitt des Gewöhnlichen hinaus wirken kann.

Mode wird zu einem Kult der Besonderheiten, die den Gewohnheiten enthoben werden, um deren Zerfall zu entgehen. Es ist der Kult einer Welt, die im Grunde nur abgesondert, also auch absonderlich ist, um die in ihrer Stetigkeit sinnentleerte, die enttäuschte Gewohnheit zu überstehen. Indem sie ihre Selbstwahrnehmung darin verneint, bestätigt sie zum einen, dass ihre Gewohnheiten selbst schon Täuschungen, ihre Selbstlosigkeit nur täuschend echt sein konnte, und zum anderen gewinnt sich darin die selbstverneinende Wahrnehmung in einer ungewohnte Form der Selbstveredelung als Öberlebensprinzip der Selbstwahrnehmung, als Selbstbeziehung, die sich in ihrem Verfall gegen andere Wahrnehmng bestärkt, durch Fremdwahrnehmung die Beziehung ihrer Anreize konsumiert, und somit letztlich selbst ihrem Verfall verfällt. So produziert sich hieraus eine Konsumkultur, in welcher der über alles erhabene Ausdruck beeindruckt und als dieser konsumiert und also erlebt wird. Die Menschen werden sich gänzlich gleichgültig, indem sie einander nurmehr durch sich selbst, durch ihre Selbstdarstellung gewinnen wollen, und sich somit einer selbstgewinnenden Wahrnehmung unterwerfen. Und sie erleben damit eine Selbsterhabenheit, die sie emporzieht, indem sie ihren Verfall in seiner Ungewöhnlichkeit zelebrieren.

Aber im Design verlebt sich der Anreiz und kann sich nicht aus sich selbet heraus fortbestimmen, Mode muss immer das Ungewöhnliche suchen, das sich im Verfall auftut und wird dadurch zu einem ästhetischen Prinzip, das sich fortwährend selbst aufbraucht, sich in seiner Selbstwahrnehmung nur entleeren kann. Mode gerät dadurch zur Langeweile, dass ihre Bedürfnisse selbst nur in der Zeit sind und mit der Zeit untergehen. Mode kann selbstbestimmt wirken, niemals aber selbst bestimmmt sein.

Von der Mode selbst entsteht eine Notwendigkeit zur Unterhaltung, die sich dem anwesenden Sinn entzieht, die im Grunde völlig Ungegenwärtig ist, weil sie sich aus ihrer Abwesenheit heraus auf ihre Zeit bezieht. Ob im Smalltalk, in der Kleidung oder im Verkehr jedweder Art: Es wird schal, was in der Mode sich nur verbrauchen kann und sich zu gewinnen sucht, weil es verbraucht ist. Der Gebrauch besteht allein im Wechsel der Gegenärtigkeiten, der Zeit im Verlauf von Abwesendem. Das Gängige in der Wellenform des Wiederkehrenden (en vogue) macht die Unterhaltung aus. Kultur wird zur Gegebenheit des beständigen Wechsels. Unterhaltung ist die herausragende Beziehung, worin sich der Zeitgeist bewegt. Er befriedet die Langeweile alleine durch seine Bewegung.

312.3 Die entäußerte Aufmerksamkeit der Dekadenz (Der Zeitgeist und der Gestaltungsfetisch der Aufreizung)

Die Mode hat ihre Beziehung selbst nur in ihrem Reiz und bestätigt aufgereizte Sinne. Sie ist damit das Medium dessen, was nur als Zeitgeist Zusammenhang findet - einen Zusammenhang in einer Vergegenwärtiguzng, die an und für sich nur durch Abwesenheit begründet ist, also sinnlos ist. Dieser Zusammenhang der Sinnlosigkeit erscheint nun als ästhetische Gestalt und als ästhetisches Interesse allgemein. Doch er kann nicht wirklich als Allgemeines bestehen. Er verwirklicht sich allgemein nur in der hervorragenden Gestalt, in seiner ästhetischen Prominenz.

Die hierin hervorgekehrte Selbstwahrnehmung wird nun tatsächlich in den Lebensgestaltungen des Zeitgeistes als "Lifestyle" wahrgehabt. Die gesellschaftliche Wahrnehmung erscheint hierdurch verkehrt: Die Prominenz ist nicht Wahrnehmung einer wirklich gesellschaftlichen Gestalt der Wahrnehmung, sondern die gesellschaftlich bedurfte Wahrnehmung. Sie ist die Notdurft der Wahrnehmung in einer Gesellschaft, in welcher die Menschen keine Beziehung mehr zu sich selbst haben. Die Art und Weise des Vortragens dieser prominenten Gestaltenwird zu einem allgemein notwendigen Zweck, zu einer Gesellschaft, in der sich nur Gefälligkeit und Gfallsucht ausbreiten kann. Das Prominete wird zum Maß der Durchsetzungsfähigkeit des ästhetischen Willens, zum Maßstab der öffentlichen Wahrnehmung als allgemeine Selbstwahrnehmung.

Allgemein tut sich im modischen Zeitgeist die ästhetische Abgrenzung gegen das Individuum hervor. Im Einzelnen entwickelt sich darin die Urteilsbildung einer kulturellen Führerschaft, einer Kulturelite. Ihr Urteil steht gegen jede bestimmzte Selbstwahrnehmung und vermittelt durch ihre allgemeine Selbstwertigkeit ein allgemeines Minderwertigkeitsgefühl, was zur Grundlage aller gesellschaftlichen Ressentiments wird.

Als Inhalt der prominenten Wahrnehmung entsteht somit die ästhetische Prominenz des politischen Zwecks im allgemeinen, welche sich in der Voraussehung des Hervorragenden zu verwirklichen strebt. Im einzelnen entsteht so die Vorsicht, in welcher die allgemeine Voraussicht sich geltend macht. Der Reiz der Wahrnehmung, hat seinen Sinn verloren und muss nun in seinem bloßen Bedarf mächtig werden, im Bedarf nach einen Sinn, der nur noch durch seine Prominenz existiert, durch die Ereignisproduktion einer Eventkultur, die gerade den Sinn vernutzt, der sich von ihre aufreizen lässt. Das Erleben einer Kultur voller Events erweitert zwar den Lebensraum des Öberlebens, indem er sich auf nahezu beliebig viele Menschen ausdehen und verdichten lässt, nicht aber das Leben selbst. Ein Leben, das sich seinem Sinn und damit auch seiner Kraft nicht mehr gewiss werden kann, das keinerlei Bewahrheitung seines Gehalts mehr erkennen kann, hat sich aus jeder sinnlichen Beziehung herausgesetzt und seine Entsinnlichung in den Zweck des Öberlebens jedweder Sinnwidrigkeit gestellt.

In den Sinnwiderigkeiten einer Kultur, in welcher der Leib selbst nur Sache ist, wird jede Kultur zu einer Sache, die ihre Beziehung entmenschlicht, sich jeder Ästhetik ihrer Selbstwahrnehmung entzieht, indem sie Ästhetik zu ihrem leibhaftigen Medium, zu ihrem völlig veräußerten Mitel macht. Darin hat jede Beziehung nicht nur keinen Sinn, sondern wird in ihrem Verlangen nach Sinn selbst schon verhöhnt, wird zu einer Sache, die jeden Sinn ausdrücklich meidet: Die Reizkultur erhebt sich über ihre eigene Gründe, wird zynisch gegen das Verlangen, über das sie sich erhebt, worin sie sich aber selbst auch unentwegt begründet. Es ist diese Abhebung daher nicht unbedingt eine elitäre, wohl aber eine, die eine Selbstermächtigung durch Meidung jeder Beziehung betreibt, Grundlage einer Selbstveredelung, die jeden Reiz umkehrt in eine Selbsterregung gegen seine Wirklichkeit. Die Abhebung von den gewöhnlichen Begierden wird zu einem Selbsterregungsprinzip, in welchem die Besonderung durch Verkehrung zu einem hinterhältigen Trieb wird.

Der sinnliche Reiz gerät in eine veräußerte Körperwelt voller Nutzeffekte, die zwar im Erleben imponieren, in ihrer Beziehung aber sich schnell entleeren, sich sinnlos machen, weil ihr Sinn nur verbraucht wird. Das macht eben jede Nutzung aus, die sich von der Entstehung seiner nutzbaren Eigenschaften abgehoben hat. Deren Sinn benötigt vielfältige Beziehungen, um sich zu einem menschlichen Sinn zu entwickeln, ist aber schnell außer sich, wenn er nurmehr dem Anreiz für Beziehungen dient, die sich auf Ereignisse reduzieren, also eine Geschichte ihrer Verhältnisse schon von vorn herein aufgegeben haben, indem sie lediglich Zustände eines Verhaltens kassieren.

Aber das Urteil des Zeitgeistes entspringt ja in Wahrheit nur dem allgemeinen Mangel, den Prominenz ausmacht: Die Abwesenheit wirklicher Wahrnehmung. Die hervorgekehrte Wahrnehmung kann nur Anwesenheit erhalten, indem sie durch ihre Vorsicht Eindruck macht, sich als Brauchtum popularisiert, was nichts anderes ist, als Selbstverlust, wie er schon in der Selbstlosigkeit der Kultur angelegt, nun aber als individueller Edelmut in der Gefolgschaft einer prominet gewordenen Kultur ausgelegt wird.

Die reizvollen Großtaten, wie sie sich in den Medien darstellen. Die Medien treten aus der Vermittlung von Wahrnehmungen und Informationen dadurch heraus, dass sie den Zeitgeist selbst unterhalten und ihn zum allgemeinen Träger kultureller Vermittlung, zum allgemeinen Medium der Lebensgestaltung machen, indem ihre Mittel und Begriffe sich zum Medium einer allgemeinen Selbstgerechtigkeit entfalten. Darin wird das Brauchtum sittlich, findet seinen höheren Sinn im allgemeinen Nutzen der Kultur und entwickelt sich in seiner Sittlichkeit zu ihrem Öbersinn.

Aufmerksamkeit ist die Gegenwärtigkeit des Gedächtnisses für die Wahrnehmung, also das, was sie aufmerken lässt. Sie wird beeindruckt durch die Gefühle, welche von dort in die Empfindungen eingehen. Von da her ist die Aufmerksamkeit abhängig von den Umständen und Inhalten der Wahrnehmung.

Sie kann aber auch durch Öberreizung (siehe Reiz) mehr ocer weniger vollständig zu selbständigen Wahrnehmungszuständen aufgehoben werden, weil sie sich auf wesentliche Inhalte ebenso fokussieren und verselbständigen kann, wie auf die Ästhetik einer Begegebenheit (z.B. übermächtige Geruchsempfindlichkeit). Damit einher geht dann eine Abwehr gegen bestimmte Wahrnehmungsinhalte, ohne dass diese verdrängt würden und ohne dass darin bestimmte Ursachen wirksam wären, diese unbestimmbar aber als leere Erregung in einem Menschen fortwirken. Es sind dies dann Surrogate von Inhalten, die übermäßig bestimmt sind (siehe auch Formbestimmung) und von daher ihren Lebensraum überdehnen würden und sich in ihrer Wirkung komprimieren (siehe Dichte), von daher sich ganz unbestimmt gegen dessen bestimmte Inhalte in der Wahrnehmung und sich schließlich gegen deren Aufmerksamkeit selbst richten (siehe das sogenannte "Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom").

In der Absehung von einem wirklichen Sinn entstehen Absichten, die keinen sinnlichen Gegenstand mehr haben. Nicht die persönliche Beziehung auf andere noch zu sich selbst wird hierbei sinnlich bejaht. Im Grunde besteht die Substanz der Selbstwahrnehmung in solchen erzieherischen Beziehungsverhältnissen aus der Verneinung der eigenen sinnlichen Erkenntnis. Wo dem keine andere Welt mehr zugeordnet ist, ist jedes Erkennen innerhalb dieser Verhältnisse ein Verkennen der eigenen Wahrnehmungsinhalte und also eine Aufhebung der Selbstgewissheit. Die herrschenden Gewohnheiten mögen zwar noch als Zankapfel dienen, als Träger objektivierter Auseiandersetzungen, aber aus ihnen ist kein wirklicher Sinn mehr erkennbar.

Diese Verhältnisse entleeren die Beziehung der Menschen in dem Maße, wie sie sich als gewöhnliches Leben etablieren. In Wahrheit erleben sich die Menschen darin ihrer Sinnlichkeit entrückt und täuschen sich hierüber vermittelst ihrer Gewohnheiten dadurch hinweg, dass sie sich verrückt zueinander verhalten. Der gewöhnliche Mensch, der das Leben nur noch als völlig veräußertes Erleben zu sich nimmt, erfährt sich selbst jetzt auch allgemein als Mensch voller Erlebnisse, die sich über die Gewohnheiten des Lebens erheben und ihn nun als Mensch schlechthin auszumachen scheinen. Wie ein Tourist die Kulturlandschaften der Einheimischen je nach Angebotslage und Preis deren ihm fremde Geschichte durchpflügt, so durchpflügt er die Seelenlandschaften der Menschen nach ihrem Erlebenswert. Er schafft sich so selbst die Grundlage seiner Beziehungen, die nötig machen, dass er seine Unheimlichkeiten abstreift und sich entheimlicht, sich veröffentlicht.

Doch diese Veröffentlichung ist nur die Eröffnung seiner Selbstentfremdung und verallgemeinert sich in einer Kumpanei objektiv gewordener Gefühlswelten, in denen zwischenmenschliche Beziehungen, wie sie als Erziehung noch bestimmt waren, hiervon emanzipiert erscheinen können. Jeder Mensch kann so zu einem objektiven Subjekt in seiner Selbstentfremdung werden und seine Persönlichkeit dahin "kanalisieren", indem er seine Regungen beherrscht, sich selbst hiervon enteignet.

Indem aber ein Mensch in solcher Objektivität sich eigene Regungen wirklich austreibt, seine Gefühle selbst negieren muss, um frei zu sein für die Wahrnehmung der Selbstenfremdung als eigentümliche Erlebenswelt, treibt er auch seine eigene Erregung aus. Er vermittelt sich selbst in einer Welt, wo er seine Zwecke verwirklicht sieht, macht sein Leben zum Selbstzweck dieser Welt. Alle Formen seiner Persönlichkeit beugen sich dieser Vermittlung, die durch die Erziehung erzwungen wurde und jetzt schlichte Notwendigkeit für "intakte Beziehung" ist. Die Menschen leiden unter diesen Verhältnissen nicht mehr wirklich an deren Gewalt, sondern äußern ihre Identätslosigkeit durch Gewalt gegen sich selbst, werden selbst zum Schauplatz öffentlicher Gewalt. Ein Mensch kann sich hierbei genauso gegen andere wie gegen sich selbst verhalten - es ist ununterschieden und für ihn ununterscheidbar. Das macht für ihn allerding nötig, seine Sinne selbst zum öffentlichen Medium zu machen, sie in einer Form dem öffentlichen Nutzen des Selbsterlebens verfügbar zu machen, in welcher er darin so genommen werden kann, wie er für andere wahrnehmbar sein soll.

Die Menschen leiden unter diesen Verhältnissen nicht mehr wirklich an deren Gewalt, sondern äußern ihre Identätslosigkeit durch Gewalt gegen sich selbst, werden selbst zum Schauplatz öffentlicher Gewalt. Ein Mensch kann sich hierbei genauso gegen andere wie gegen sich selbst verhalten - es ist ununterschieden und für ihn ununterscheidbar. Das macht für ihn allerding nötig, seine Sinne selbst zum öffentlichen Medium zu machen, sie in einer Form dem öffentlichen Nutzen des Selbsterlebens verfügbar zu machen, in welcher er darin so genommen werden kann, wie er für andere wahrnehmbar sein soll.

Für sich lebt er zugleich in einer Selbstwahrnehmung, sie sich in Gefühlen regt, durch welche er andere Menschen nurmehr heimlich wahrnehmen kann. Er hat nur sich wahr, indem er andere wahrnimmt - aber nicht in eigener Wahrheit, sondern als Selbstgefühl für andere. Seine Beziehung zu sich ist die seiner Negation, also eine Beziehung, die er durch die Beziehung auf andere gegen sich erzeugt. Das macht jetzt die erste Position einer verkehrten Welt der Gefühle aus, die Stiftung verkehrter Sinne: Die Perversion.

Diese "Sinnstiftung" ist kein Akt der Erbauung, sondern der Erzwingung. Der nicht mehr gegenwärtige Sinn muss aus seiner Negativität heraus ein Erleben erzwingen, das den Sinn erfüllt, der ohne dieses nicht mehr ist. Das sinnlos scheinende Leiden besteht aus den Gefühl, sich nicht mehr zu spüren, nichts mehr zu fühlen und zu sein. Die Sinnstiftung ist die Erzwingung von Selbstgefühl. Es wird hierdurch mit Sinn erfüllt, was erst im Nachhinein des Verlustes von Selbstgewissheit entsteht, was also nicht aus dem Erlebten erzeugt wird, sondern Leben dadurch erzwingt, dass den Sinnen dadurch Lebendigkeit dadurch vermittelt wird, dass Empfindungen regelrecht beigebracht werden, dass Gefühle sie mit dem erregt, was aus sich nicht wirklich ist, durch Einwirkung auf das abstrakt gewordene Selbstbefinden aber als Empfindung wirkt.

Die Grundform hiervon ist eine Autoaggression, die z.B. oft durch das Einritzen der Haut mit Rasierklinken oder gergeleichen zu einem Selbstgefühl kommt. Im Grunde ist eine Pervrsion die durch beigebrachte Empfindungen erzeugte Herstellung von Selbstgefühlen in Verhältnissen, worin diese aufgehoben und im wahrsten Sinne ausgetrieben sind - aber nicht durch einen schmerzhaften Vorgang, sondern schmerzlos. Die Empfindung befördert das entschwundene Selbstgefühl hiernach.

Das Wahrnehmen eines anderen Menschen, welcher der Vernichtung seiner Gegenwart ausgesetzt wird, erzeugt ein Selbstgefühl gegen die eigene Sinneslähmung. Das Erleiden der zur Unwirklichkeit verdammten eigenen Sinne durch andere verschafft die Erregung einer Nähe zu sich selbst. Der anonyme Sinn fremder Menschen wird zum Stellvertreter des eigenen Lebens, wird in seiner Verkehrung erlebt, um dem Tod der eigenen Sinne zu widerstehen. In steter Regel tritt die perverse Regung auf und erzwingt Befriedigung, die ohne dies ein Gefühl der Selbstvernichtung entwickeln würde, weil es das ist, was der Betroffene wahrhat.

Perversionen sind die Lebensformen abgetöteter Selbstvergegenwärtigung, die durch die Beherrschung der Gegenwart anderer Menschen im Erleben verkehrt wird. Sie dienen einer Identitätsgewinnung durch Herstellung von sinnlicher Gegenwart dessen, was in der Macht der Gewohnheiten untergegangen ist. Sie beziehen sich auf die Vergegenwärtigungsformen eigener Lebendigkeit, meist der eigenen Geschlechtlichkeit. Deren einfachste Form ist der Schau- und Zeigetrieb, der Exhibitionismus. Die Erlebenssucht des Leidens, der Masochismus, vergegenwärtigt eine entäußerte Selbstbeherrschung. Und die Quälsucht, der Sadismus, will eigenes Leiden durch andere entäußert wissen und an ihnen erleben.

 

312.3.1 Das pervertierte Selbstgefühl (Der Exhibitionismus)

Die Selbstvergegenwärtigung eigener Erregung durch Erschrecken anderer kennt man schon als Kind z.B. beim "Versteckspiel". Kinder erleben sich, indem sie sich durch Versteck entziehen und plötzlich und "wie aus dem Nichts" heraus auftauschen. So ähnlich kann man sich den bloßen Akt der Entblößung vorstellen. Doch es ist nicht die einfache Neugierde auf die eigene Wirkung auf andere, die dahin treibt, sondern die Unmöglichkeit des Selbsterlebens, wie sie unter der Bedingung objektiver Gefühle bestimmt ist: Nicht einfach Angst oder Sucht treibt zur Exhibition (Selbstausstellung), sondern die Notwendigkeit von Selbstvergegenwärtigung eines Gefühls für sich. Gerade in den Ruinen wohlständiger Ereignisse, nach der Ruinierung eigener Lebensäußerung, tritt diese selbst wie ein hintergründiges Verlangen auf: Sie will Wirkung haben.

Das hat eigentlich nicchts mit Verdrängung zu tun, wie es die Psychoanalyse meint, sondern mit einem Lebensverhältnis voller Entgegenwärtigungen. Es ist von daher die ursprünglichste Sinnverkehrung der sogenannte Zeigetrieb. Das Eigene ist in solchen Verhältnissen nicht verdrängt - so, als hätte es dieses eigentlich schon gegeben, sondern es ist verheimlicht und drängt auf Entheimlichung. Es lebt von seiner Heimlichkeit und wirkt nur dadurch unheimlich, dass es schlagartig und urplötzlich in den Alltag der gewöhnlichen zwischenmenschlichen Begegnungen eindringt. Im Grunde ist das ein Protest gegen die mächtigen Gewohnheiten objektiver Gefühlswelten, durch den hier Sinnerleben sprichwörtlich "gewonnen" wird. Menschen, die selbst in solchen Lebenswelten der Lebensburgen untergegangen waren, treten hierbei immerhin als lebende Menschen zu Tage.

Von daher ist dies auch die "angepasste Perversion", also eine Sinnverkehrung, welche nur bei äußerst angepassten Menschen zu finden ist. Wo sie mit ihren Bedürfnissen und Gelüsten harmonieren können, wird sich kein Zeigetrieb ergeben. Es ist also zunächst einmal die einfach gescheiterte Anpassung, welche der Exhibitionist entblößt.

 

312.3.2 Das pervertierte Selbsterleben (Der Masochismus)

Im Masochismus werden Schmerzen als Notwendigeit eines Gefühls der Unterworfenheit erlebt. Letztres macht die Grundefahrung des objektiven Gefühls einer Lebensburg aus, worin die Mächtigen nur durch Unterwerfung geliebt werden konnten. Und sie waren und bleiben in solchen Gefühlen zugleich die Subjekte dieser Unterwerfung, weil eigene Gegenwart nur dadurch möglich ist, weil also die Selbstvergegenwärtigung als notwendige Identitätsstiftung dies nötig macht. Es geht hierbei also nicht um die Inhalte der Unterwerfung - die sind vollständig gleichgültig - sondern um die bloße Form. Nur in der schmerzhafte Beziehung des Selbstgefühls wird noch eigene Wirklichkeit geschaffen.

Das vorherrschende objektive Gefühl besteht auch hier aus einer allgemeinen Gleichgültigkeit, die nur im Durchbruch des Schmerzes, der hierbei entäußert ist, gewonnen wird. Es ist sozusagen der Protest gegen das gleichgültige Gefühl, dessen Schmerz hier gelitten werden muss, um zu einer Identität zu gelangen.

 

312.3.3 Die pervertierte Selbstbehauptung (Der Sadismus)

Die "Quälsucht" hat eigentlich nichts mit wirklichem Quälen zu tun, sondern eher mit den Qualen der Selbsterniedrigung, denen ein Sadist oder eine Sadistin durch Quälen anderer Menschen zuvorkommt. Auch er oder sie erleidet eine verstellte Selbstgewissheit unter der Herrschaft eines objektiven Gefühls, das ihn nicht sein lässt, was er oder sie ist, sondern sich der Selbstbeherrschung ergeben hat. Aber er oder sie hat sich bereits längst gegen diese gestellt. Als Domina oder Dominus vollziehten sich die Qualen mehr oder weniger kulthaft an anderen Menschen und entäußern Selbstbeherrschung durch Leiden anderer.

Die noch verinnerlichte Macht der objektiven Gefühle wird als permanenter Kampf um seine oder ihre Selbstgewissheit, um Selbstempfindung geführt, also um eine Empfindung, deren Unbestimmtheit so unendlich ist, dass er oder sie sich erniedrigt fühlt, wenn er oder sie nicht darüber herrschen kann. Es gewinnt sich Selbstgewissheit durch Züchtigung anderer und hat in der Teilhabe an derselben Objektivität eine Gemeinschaft mit dem Masochismus.

Die Entgegenwärtigung aber treibt auch zur Aufhebung dieser Gemeinschaft, zur Totalität einer vollständig ausgeschlossenen Sinnlichkeit, die ihren Sinn selbst als Macht über die Selbstwahrnehmung errichtet.

Ein Bedürfnis nach Vernichtung entsteht in einer ausgeschlossenen, einer ausschließlich durch sich selbst entwickelten Wahrnehmungsidentität in der Ausschließlichkeit einer übermächtigen Beziehungswelt entfremdeter Selbstbehauptungen, in der Ohnmacht einer verlorenen Subjektivität, im Selbstverlust einer zwischenmenschlichen Wahrnehmungsidentität einer Ausschließlichkeit, worin sich die Abstraktionskraft abgebrochener zwischenmenschlicher Bezogenheit immer wieder verdoppelt, sich in der TriebFormbestimmung ihrer Selbstbezogenheit selbst vermehrt und den Trieb nach eigener Wahrheit durch die Macht einer Selbstisolation verkehrt hat. Ein Nichtungstrieb wirkt in der Selbstwahrnehmung wie eine negative Wahrnehmungsidentität als eine Abstraktionskraft, die eine Vernichtung ihrer Beziehungen anstrebt, weil sie alles von sich abwehrt, das sich darin wahrzumachen sucht (siehe auch psychische Depression). Er begründet damit eine negative Selbstbehauptung, eine Selbstbehauptung welche die Vernichtung fremder Selbstbezogenheiten nötig hat (siehe Todestrieb).

Schon der einfache Hass beflügelt Kräfte, die den Selbstverlust in einer wesentlichen Kränkung nicht vergessen können, aus ihrem Trauma nach einer "Rache" verlangt, das nichts wieder gut machen oder sein lassen kann, wenn und weil sich darin keine Änderung erschließen lässt und frei machen kann, weil sie eine Ausweglosigkeit bestätigt und bestärkt, die ihre Lebensangst in ihrer Abstraktionskraft schon enthielt und verdoppelt hat, weil sie keine Negation finden und empfinden kann, kein Anderssein und also auch kein Anders werden zulässt, weil es im Dasein, im Dazwischensein seiner zwischenmenschlichen Existenz aus dem Gefängnis einer traumatisch gewordenen Selbstwahrnehmung, im Tunnel ihrer Selbstbezogenheit sich gegen sich selbst richtet und totalisiert. In der Blase der isolierten Selbstwahrnehmung einer nichtig gemachten Selbstbehauptung gibt es kein Entrinnen aus der aufgelösten Wahrnehmungsidentität, solange diese über die Erinnerungen ihres körperlichen Gedächtnisses immer wieder nur bei sich selbst endet und die Kraft ihrer Negation durch die Abstraktionskraft eines gehässigen Selbstgefühls gegen sich verdoppelt, das jede wirkliche Wahrnehmung in der abwesenden Bestimmtheit ihrer Empfindung nieder macht, durch die Bodenlosigkeit ihrer verselbständigten Lebensangst in einer schlechten Unendlichkeit vertieft.

Weiter mit Buch III: 313. Die Ästhetik als Öbersinn