Anti-Schelling

Schelling über Hegel

Von Friedrich Oswald

["Telegraph für Deutschland" Nr. 207, Dezember 1841]

<163>Wenn ihr jetzt hier in Berlin irgendeinen Menschen, der auch nur eine Ahnung von der Macht des Geistes über die Welt hat, nach dem Kampf platze fraget, auf dem um die Herrschaft über die öffentliche Meinung Deutschlands in Politik und Religion, also über Deutschland selbst, gestritten wird, so wird er euch antworten, dieser Kampfplatz sei in der Universität, und zwar das Auditorium Nr. 6, wo Schelling seine Vorlesungen über Philosophie der Offenbarung hält. Denn für den Augenblick sind alle einzelnen Gegensätze, die der Hegeischen Philosophie jene Herrschaft streitig machen, gegen die eine Opposition Schellings verdunkelt, verwischt und zurückgetreten; alle die Angreifer, die außerhalb der Philosophie stehen, Stahl, Hengstenberg, Neander, machen einem Streiter Platz, von dem man sich versieht, daß er den Unbesiegten auf seinem eignen Gebiet bekämpfen wird. Und der Kampf ist wirklich eigentümlich genug. Zwei alte Jugendfreunde, Stubengenossen im Tübinger Stift, treten sich nach vierzig Jahren als Gegner wieder unter die Augen; der eine tot seit zehn Jahren, aber lebendiger als je in seinen Schülern; der andere seit drei Dezennien, wie jene sagen, geistig tot, nun urplötzlich des Lebens volle Kraft und Geltung für sich ansprechend. Wer "unparteiisch" genug ist, sich beiden gleich fremd zu wissen, d. h. kein Hegelianer zu sein - denn zu Schelling kann nach den paar Worten, die er gesagt hat, sich bis jetzt wohl niemand bekennen wer also diesen vielberühmten Vorzug der "Unparteilichkeit" hat, der wird in der Todeserklärung Hegels, die durch Schellings Auftreten in Berlin ausgesprochen ist, die Rache der Götter sehen für die Todeserklärung Schellings, die Hegel seiner Zeit verkündete.

Ein bedeutendes, bunt gemischtes Auditorium hat sich eingefunden, um dieses Kampfes Zeuge zu sein. An der Spitze die Notabilitäten derO<164> Universität, die Koryphäen der Wissenschaft, Männer, deren jeder eine eigentümliche Richtung hervorgerufen hat, ihnen sind die nächsten Plätze um das Katheder überlassen, und hinter ihnen, durcheinandergewürfelt, wie der Zufall sie zusammenführte, Repräsentanten aller Lebensstellungen, Nationen und Glaubensbekenntnisse. Mitten zwischen der übermütigen Jugend sitzt hier und da ein graubärtiger Stabsoffizier und neben ihm wohl gar ganz ungeniert ein Freiwilliger, der in anderer Gesellschaft sich vor Devotion gegen den hohen Vorgesetzten nicht zu lassen wüßte. Alte Doktoren und Geistliche, deren Matrikel bald ihr Jubiläum feiern kann, fühlen den langvergessenen Burschen wieder im Kopfe spuken und gehen ins Kolleg, Judentum und Islam wollen sehen, was es für eine Bewandtnis mit der christlichen Offenbarung hat; man hört deutsch, französisch, englisch, ungarisch, polnisch, russisch, neugriechisch und türkisch durcheinander sprechen -, da ertönt das Zeichen zum Schweigen, und Schelling besteigt das Katheder.

Ein Mann von mittlerer Statur, mit weißem Haar und hellblauem, heiterm Auge, dessen Ausdruck eher ins Muntere als ins Imponierende spielt, und, vereint mit einigem Embonpoint, mehr auf den gemütlichen Hausvater als auf den genialen Denker schließen läßt, ein hartes, aber kräftiges Organ, schwäbisch-bayrischer Dialekt mit beständigem "eppes" für etwas, das ist Schellings äußere Erscheinung.

Ich übergehe den Inhalt seiner ersten Vorlesungen1"1, um sogleich zu seinen Äußerungen über Hegel zu kommen, und behalte mir nur vor, zur Erläuterung derselben das Nötige nachzuschicken. Ich gebe sie wieder, wie ich sie in der Vorlesung selbst nachgeschrieben habe.

"Die Identitätsphilosophie, wie ich sie aufstellte, war nur eine Seite der ganzen Philosophie, nämlich die negative. Dieses Negative mußte entweder durch die Darstellung des Positiven befriedigt werden oder, den positiven Gehalt der früheren Philosophien verschlingend, sich selbst als das Positive setzen und sich so zur absoluten Philosophie aufwerfen. Auch über dem Geschick des Menschen schwebt eine Vernunft, die ihn in der Einseitigkeit verharren läßt, bis er alle Möglichkeiten derselben erschöpft hat. So war es Hegel, der die negative Philosophie als die absolute aufstellte.

Ich nenne Herrn Hegels Namen zum ersten Male. So wie ich mich über Kant und Fichte frei ausgesprochen habe, die meine Lehrer gewesen sind, so werde ich es auch über Hegel tun, obgleich mir dies eben keine Freude macht. Aber um der Offenheit willen, die ich Ihnen, meine Herren, versprochen habe, will ich es tun. Es soll nicht scheinen, als hätte ich irgend etwas zu scheuen, als gäbe es Punkte, worüber ich mich nicht frei aussprechen dürfte. Ich gedenke der Zeit, wo Hegel mein Zuhörer, mein Lebensgenoß war, und ich muß sagen, daß, während die Identitätsphilosophie allgemein seicht und flach aufgefaßt wurde, er es war, der ihren Grundgedanken in die spätere <165> Zeit hinübergerettet und bis zuletzt fortwährend anerkannt hat, wie mir dies vor allem seine .Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie' bezeugten, Er, der den großen Stoff schon bewältigt vorfand, hielt sich hauptsächlich an die Methode, während wir andern vorzugsweise das Materielle behaupteten. Ich selbst, dem die gewonnenen negativen Resultate nicht genügten, hätte gern jeden befriedigenden Abschluß, auch von fremder Hand, entgegengenommen.

Übrigens handelt es sich hier darum, ob Hegels Stelle in der Geschichte der Philosophie, die Stelle, die ihm unter den großen Denkern anzuweisen ist, eben diese ist, daß er die Identitätsphilosophie zur absoluten, zur letzten zu erheben versuchte, was freilich nur mit bedeutenden Veränderungen geschehen konnte; und dies gedenke ich aus seinen eignen, aller Welt offenstehenden Schriften zu beweisen. Wollte man sagen, daß darin eben der Tadel für Hegel liege, so antworte ich, daß Hegel getan hat, was ihm zunächst lag. Die Identitätsphilosophie mußte mit sich selber ringen, über sich selbst hinausgehen, solange jene Wissenschaft des Positiven, die sich auch über die Existenz erstreckt, noch nicht da war. Darum mußte Hegel in jenem Bestreben die Identitätsphilosophie über ihre Schranke, die Potenz des Seins, das reine Seinkönnen, hinausführen und die Existenz ihr unterwürfig machen.

,Hegel, der sich mit Schelling zur Anerkennung des Absoluten erhob, wich von diesem ab, indem er dasselbe nicht in der intellektuellen Anschauung vorausgesetzt, sondern auf wissenschaftlichem Wege gefunden wissen wollte.' Diese Worte bilden den Text, über den ich jetzt zu Ihnen reden werde. - In obiger Stelle liegt die Meinung zugrunde, die Identitätsphilosophie habe das Absolute nicht bloß der Sache, sondern auch der Existenz nach zum Resultate; da nun der Ausgangspunkt der Identitätsphilosophie die Indifferenz von Subjekt und Objekt ist, so wird auch deren Existenz, als durch die intellektuelle Anschauung erwiesen, eingenommen. Auf diese Weise nimmt Hegel ganz arglos an, ich habe die Existenz, das Sein jener Indifferenz durch die intellektuelle Anschauung beweisen wollen und tadelt mich wegen des mangelhaften Beweises. Daß ich dies nicht wollte,, zeigt die von mir so häufig ausgesprochene Verwahrung, die Identitätsphilosophie sei kein System der Existenz, und was die intellektuelle Anschauung betrifft, so kommt diese Bestimmung in derjenigen Darstellung der Identitätsphilosophie, die ich einzig und allein für die wissenschaftliche aus früherer Zeit anerkenne, gar nicht vor. Diese Darstellung befindet sich da, wo sie kein Mensch sucht, nämlich in der .Zeitschrift für spekulative Physik', zweiten Bandes zweites Heft. Sonst wohl kommt sie allerdings vor und ist ein Erbstück der Fichteschen Verlassenschaft. Fichte, mit dem ich nicht geradezu brechen wollte, gelangt durch sie zu seinem unmittelbaren Gewissen, dem Ich; ich knüpfte daran an, um auf diesem Wege zur Indifferenz zu gelangen. Indem nun das Ich in der intellektuellen Anschauung nicht mehr subjektiv betrachtet wird, tritt es in die Sphäre des Gedankens und ist so nicht mehr unmittelbar gewiß existierend. Sonach würde die intellektuelle Anschauung selbst nicht einmal die Existenz des Ich beweisen; und wenn Fichte sie zu diesem Zwecke braucht, so kann ich mich doch nicht auf sie berufen, um die Existenz des Absoluten daraus zu demonstrieren. So konnte mich Hegel nicht wegen der Mangelhaftigkeit eines Beweises tadeln, den ich nie führen wollte, sondern nur deswegen, daß<166> ich nicht ausdrücklich genug sagte, daß es mir überhaupt um die Existenz nicht zu tun sei. Denn wenn Hegel den Beweis des Seins der unendlichen Potenz verlangt, so geht er über die Vernunft hinaus; sollte die unendliche Potenz sein, so wäre die Philosophie nicht frei vom Sein; und hier ist denn die Frage aufzustellen, ob das Prius der Existenz zu denken ist? Hegel negiert es, denn er fängt seine Logik mit dem Sein an und geht sogleich auf ein Existentialsystem los. Wir aber bejahen es, indem wir mit der reinen Potenz des Seins als nur im Denken existierend beginnen. Hegel, der so viel von der Immanenz spricht, ist doch nur immanent in dem dem Denken nicht Immanenten, denn das Sein ist dies Nichtimmanente. Sich ins reine Denken zurückziehen, heißt insbesondere sich von allem Sein außer dem Gedanken zurückziehen. Die Behauptung Hegels, die Existenz des Absoluten sei in der Logik bewiesen, hat dann noch den Nachteil, daß man auf diese Weise das Unendliche zweimal hat, am Ende der Logik und dann noch einmal am Ende des ganzen Prozesses. Uberhaupt sieht man nicht ein, warum die Logik bei der ,Enzyklopädie' vorausgeschickt wird, anstatt daß sie den ganzen Zyklus belebend durchdringt."

["Telegraph für Deutschland" Nr. 208, Dezember 1841]

Soweit Schelling. Ich habe zum großen Teil und soviel es mir möglich war, seine eignen Worte angeführt und kann dreist behaupten, daß er die Unterschreibung dieser Auszüge nicht weigern dürfte. Zur Ergänzung füge ich aus den vorhergehenden Vorlesungen bei, daß er die Dinge nach zwei Seiten betrachtet, das quid von dem quod1, das Wesen und den Begriff von der Existenz trennt; ersteres der reinen Vernunftwissenschaft oder negativen Philosophie, letzteres einer neuzugründenden Wissenschaft mit empirischen Elementen, der positiven Philosophie, zuweist. Von der letzteren verlautete bis jetzt noch nichts, die erstere trat vor vierzig Jahren in mangelhafter, von Schelling selbst preisgegebener Fassung auf und wird von ihm jetzt in ihrem wahren, adäquaten Ausdruck entwickelt. Ihre Basis ist die Vernunft, die reine Potenz des Erkennens, welche die reine Potenz des Seins, das unendliche Seinkönnen zu ihrem unmittelbaren Inhalt hat. Das notwendige Dritte hierzu ist nun die Potenz über das Sein, die sich nicht mehr entäußern könnende, und diese ist das Absolute, der Geist, das, was von der Notwendigkeit des Uberganges in das Sein freigesprochen ist und in ewiger Freiheit gegen das Sein verharrt. Auch die "orphische" Einheit jener Potenzen kann das Absolute genannt werden, als das, außer dem nichts ist. Treten die Potenzen in Gegensatz zueinander, so ist diese ihre Ausschließlichkeit die Endlichkeit.

1 Vgl. vorl. Band, S. 181

<167> Diese wenigen Sätze genügen, denk* ich, zum Verständnis des Vorhergehenden und als Grundzüge des Neuschellingianismus, soweit diese hier und bis jetzt gegeben werden können. Es bleibt mir nun noch übrig, die von Schelling wohl absichtlich verschwiegenen Konsequenzen hieraus zu ziehen und für den großen Toten in die Schranken zu treten.

Wenn man das Schellingsche Todesurteil des Hegeischen Systems seiner Kurialsprache entkleidet, so kommt folgendes heraus: Hegel hat eigentlich gar kein eignes System gehabt, sondern vom Abfall meiner Gedanken kümmerlich sein Leben gefristet; während ich mit der partie brillante1, der positiven Philosophie, mich beschäftigte, schwelgte er in der partie honteuse2, der negativen, und übernahm, da ich keine Zeit hierzu hatte, ihre Vervollständigung und Ausarbeitung, unendlich beglückt dadurch, daß ich ihm dies noch anvertraute. Wollt Ihr ihn deshalb tadeln? "Er tat, was ihm zunächst lag." Er hat dennoch "eine Stelle unter den großen Denkern", denn "er war der einzige, der den Grundgedanken der Identitätsphilosophie anerkannte, während alle andern sie flach und seicht auffaßten". Aber dennoch sah es schlimm mit ihm aus, denn er wollte die halbe Philosophie zur ganzen machen.

Man erzählt ein bekanntes Wort, angeblich aus Hegels Munde, das aber nach obigen Äußerungen unzweifelhaft von Schelling herrührt: "Nur einer meiner Schüler verstand mich, und auch dieser verstand mich leider falsch."

Aber im Ernste, dürfen solche Schmähungen auf den Grabstein Hegels geschrieben werden, ohne daß wir, die wir ihm mehr verdanken, als er Schelling schuldig war, zur Ehre des Toten eine Herausforderung wagen, und sei der Gegner noch so furchtbar? Und Schmähungen sind dies doch, da mag Schelling sagen, was er will, da mag die Form scheinbar noch so wissenschaftlich sein. O, ich könnte den Herrn von Schelling und jeden beliebigen, wenn es verlangt würde, "auf rein wissenschaftliche Weise" so grundschlecht darstellen, daß er die Vorzüge der "wissenschaftlichen Methode" gewiß einsehen würde; aber was sollte mir das? Es wäre ohnehin frivol, wollte ich, der Jüngling, einen Greis meistern und vollends Schelling, der, mag er noch so entschieden von der Freiheit abgefallen sein, immer der Entdecker des Absoluten bleibt und, sobald er als Hegels Vorgänger auftritt, nur mit der tiefsten Ehrfurcht von uns allen genannt wird. Aber Schelling, der Nachfolger Hegels, hat nur auf einige Pietät Anspruch und wird von mir am allerwenigsten Ruhe und Kälte verlangen; denn ich bin für einen Toten eingetreten, und dem Kämpfenden steht etwas Leiden

1 glänzenden Seite -2 düsteren Seite

<168> schaft doch wohl an, wer mit kaltem Blut seine Klinge zieht, hat selten viel Begeisterung für die Sache, die er verficht.

Ich muß sagen, daß das hiesige Auftreten Schellings und namentlich diese Invektiven gegen Hegel wenig Zweifel mehr an dem übriglassen, was man bisher nicht glauben wollte, nämlich, daß das in der Vorrede zu Riedels bekannter jüngster Broschüre[10°3 gezeichnete Porträt ähnlich sei. Wenn diese Art, die ganze Entwickelung der Philosophie in diesem Jahrhundert, Hegel, Gans, Feuerbach, Strauß, Rüge und die "Deutschen Jahrbücher" zuerst von sich abhängig zu machen und sie dann nicht nur zu negieren, nein, sie mit einer Floskel, die nur ihn besser ins Licht stellen soll, als einen Luxus, den der Geist mit sich selber treibt, ein Kuriosum von Mißverständnis, eine Galerie von unnützen Verirrungen darzustellen - wenn das nicht alles übertrifft, was in jener Broschüre Schelling vorgeworfen wird, so hab' ich keine Ahnung von dem, was im gegenseitigen Verkehr Sitte ist. Freilich mochte es für Schelling schwer sein, einen Mittelweg zu finden, der weder ihn noch Hegeln kompromittierte, und der Egoismus wäre verzeihlich der ihn um sich zu halten zur Aufo^ferun0, des Freundes veranlaßte. Aber es ist doch etwas zu stark, wenn Schelling dem Jahrhundert zumutet, vierzig Jahre voll Mühen und Arbeit, vierzig Jahre des Denkens, des Aüfopferns der liebsten Interessen und der heiligsten Überlieferungen als vergeudete Zeit, verfehlte Richtung zurückzunehmen, bloß damit er nicht diese vierzig Jahre zu lange gelebt habe; es klingt wie mehr als Ironie, wenn er Hegeln eben dadurch eine Stelle unter den großen Denkern anweist, daß er ihn aus ihrer Zahl der Sache nach ausstreicht, ihn wie sein Geschöpf, seinen Diener behandelt; und endlich erscheint es doch einigermaßen wie Gedankengeiz, wie kleinlicher - wie nennt man doch die bekannte blaßgelbe Leidenschaft? wenn Schelling alles und jedes, was er bei Hegel anerkennt, als sein Eigentum, ja als Fleisch von seinem Fleisch, reklamiert. Es wäre doch sonderbar, wenn die alte Schellingsche Wahrheit nur in der schlechten Hegeischen Form sich hätte halten können, und dann fiele der Vorwurf des dunklen Ausdrucks, den Schelling seinem Angegriffenen vorgestern machte, doch notwendig auf ihn selbst zurück, was er freilich nach allgemeinem Urteil schon jetzt tut, trotz der versprochenen Deutlichkeit. Wer sich in solchen Perioden ergeht, wie Schelling es fortwährend tut, wer Ausdrücke wie Quidditativ und Quodditativ, orphische Einheit usw. gebraucht und selbst mit diesen noch so wenig auskommt, daß lateinische und griechische Sätze und Wörter jeden Augenblick aushelfen müssen, der begibt sich denn doch wohl des Rechtes, über Hegels Stil zu schelten.

<169> Am meisten zu bedauern ist übrigens Schelling wegen des unglücklichen Mißverständnisses in Beziehung auf die Existenz. Der gute, naive Hegel mit seinem Glauben an die Existenz philosophischer Resultate, an die Berechtigung der Vernunft, in die Existenz zu treten, das Sein zu beherrschen! Aber merkwürdig wäre es doch, wenn er, der Schelling denn doch gehörig studiert und lange persönlichen Umgang mit ihm gepflogen hatte, wenn alle andern, die die Identitätsphilosophie zu durchdringen suchten, gar nichts gemerkt hätten von dem Hauptspaß, nämlich, daß das all nur Flausen sind, die nur in Schellings Kopf existierten und gar keine Ansprüche darauf machten, auf die Außenwelt einigen Einfluß zu haben. Irgendwo müßte das doch wohl geschrieben stehen, und einer hätt' es doch gewiß gefunden. Aber man kommt wirklich in Versuchung, daran zu zweifeln, ob dies von vornherein Schellings Ansichten gewesen, oder ob es spätere Zutat sei.

Und die neue Fassung der Identitätsphilosophie? Kant befreite das vernünftige Denken von Raum und Zeit, Schelling nimmt uns noch die Existenz. Was bleibt uns dann noch? Es ist hier nicht der Ort, gegen ihn zu beweisen, daß die Existenz allerdings in den Gedanken fällt, das Sein dem Geiste immanent ist und der Grundsatz aller modernen Philosophie, das cogito, ergo sum, nicht so im Sturm umgerannt werden kann; aber man wird mir die Fragen erlauben, ob eine Potenz, die selbst kein Sein hat, ein Sein erzeugen kann, ob eine Potenz, die sich nicht mehr entäußern kann, noch Potenz ist, und ob die Trichotomie der Potenzen der aus Hegels "Enzyklopädie" sich entwickelnden Dreieinigkeit von Idee, Natur und Geist nicht auf eine merkwürdige Weise entspricht?

Und was wird sich aus dem allen für die Philosophie der Offenbarung ergeben? Sie fällt natürlich in die positive Philosophie, in die empirische Seite. Schelling wird sich nicht anders helfen können als durch die Annahme des Faktums einer Offenbarung, das er vielleicht auf irgendeine Weise, nur nicht vernünftig, denn dazu hat er sich ja die Türe versperrt, begründet. Hegel hat es sich doch ein klein wenig saurer gemacht - oder sollte Schelling andere Auskunftsmittel in der Tasche haben? So läßt sich denn diese Philosophie ganz richtig die empirische nennen, ihre Theologie die positive, und ihre Jurisprudenz wird wohl die historische sein. Das wäre freilich einer Niederlage nicht unähnlich, denn das kannten wir alles schon, ehe Schelling nach Berlin kam.

Unsere Sache wird es sein, seinen Gedankengang zu verfolgen und des großen Meisters Grab vor Beschimpfungen zu schützen. Wir scheuen den Kampf nicht. Uns konnte nichts Wünschenswerteres geschehen, als für <170> eine Zeitlang ecclesia pressa1 zu sein. Da scheiden sich die Gemüter. Was echt ist, bleibt im Feuer bewährt, was unecht ist, vermissen wir gern in unseren Reihen. Die Gegner müssen uns zugestehen, daß niemals die Jugend so zahlreich zu unsern Fahnen strömte, niemals der Gedanke, der uns beherrscht, sich so reich entfaltete, Mut, Gesinnung, Talent so sehr auf unserer Seite war als jetzt. So wollen wir denn getrost aufstehen gegen den neuen Feind; am Ende findet sich doch einer unter uns, der es bewährt, daß das Schwert der Begeisterung ebensogut ist wie das Schwert des Genies.

Schelling aber mag sehen, ob er eine Schule zusammenbekommt. Viele schließen sich jetzt bloß deshalb an ihn an, weil sie, wie er, gegen Hegel sind und jeden, der ihn angreift, und wär* es Leo oder Schubarth, mit Dank annehmen. Für diese ist aber Schelling, denk* ich, viel zu gut. Ob er außerdem Anhänger bekommt, wird sich zeigen. Ich glaub* es noch nicht, obgleich einige seiner Zuhörer Fortschritte machen und es schon bis zur Indifferenz gebracht haben.