Anti-Schelling

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Schelling und die Offenbarung

Kritik des neuesten Reaktionsversuchs gegen die freie Philosophie

Seit einem Jahrzehend hing an den Bergen Süddeutschlands eine Gewitterwolke, die sich immer dräuender und finstrer für die norddeutsche Philosophie zusammenzog. Schelling trat in München wieder auf; man vernahm, daß sein neues System sich dem Abschluß nähere und dem Übergewicht der Hegeischen Schule sich entgegenstellen werde. Er selbst sprach sich entschieden gegen diese Richtung aus, und den übrigen Gegnern derselben blieb immer noch der Rückhalt, wenn alle Gründe der siegenden Gewalt jener Lehre weichen mußten, auf Schelling als den Mann hinzuweisen, der sie in letzter Instanz vertilgen werde.

Erwünscht mußte es daher den Jüngern Hegels sein, als vor einem halben Jahre Schelling nach Berlin kam und sein nunmehr fertiges System dem öffentlichen Urteile preiszugeben versprach. So durfte man hoffen, das lästige, leere Gerede von ihm, dem großen Unbekannten, endlich nicht mehr hören zu müssen und einmal zu sehen, was denn daran sei. Ohnehin war bei dem kampflustigen Sinn, der die Hegeische Schule immer auszeichnete, bei dem Selbstvertrauen, das sie besaß, die Gelegenheit ihr nur willkommen, sich mit einem berühmten Gegner messen zu können; längst war Schelling ja von Gans, Michelet und dem "Athenäum", seine jüngeren Schüler von den "Deutschen Jahrbüchern" herausgefordert.

So zog denn die Gewitterwolke herauf und entlud sich in Donner und Blitz, die von Schellings Katheder aus ganz Berlin aufzuregen begannen. Jetzt ist der Donner verhallt, der Blitz leuchtet nicht mehr; hat er sein Ziel getroffen, schlägt das Gerüste des Hegeischen Systems, dieser stolze Palast des Gedankens, in Flammen auf, eilen die Hegelianer zu retten, was noch zu retten ist? Bis jetzt hat das noch niemand gesehen.

Und doch hatte man von Schelling alles erwartet. Lagen nicht die "Positiven" auf den Knien und ächzten über die große Dürre im Lande des Herrn und flehten die Regenwolke heran, die am fernen Horizont hing? <174> War es nicht gerade wie damals in Israel, wo Elias beschworen wurde, die weiland Baalspfaffen zu vertreiben? Und als er nun kam, der große Teufelsbanner, wie verstummte da auf einmal all die laute, schamlose Denunziation, all das wüste Toben und Schreien, damit nur ja kein Wort verlorengehe von der neuen Offenbarung! Wie zogen sich die tapfern Helden von der "Evangelischen" und "Allgemeinen Berliner Kirchenzeitung", vom "Literarischen Anzeiger", von der Fichteschen Zeitschrift[101] bescheiden zurück, um dem Sankt Georg Platz zu machen, der den greulichen Lindwurm der Hegelei, dessen Odem Flammen der Gottlosigkeit und Rauch der Verfinsterung war, erlegen sollte! War nicht eine Stille im Lande, als sollte der heilige Geist herniederfahren, als wollte Gott selbst aus den Wolken reden?

Und als der philosophische Messias nun seinen hölzernen, sehr schlecht gepolsterten Thron im Auditorium maximum bestieg, als er Taten des Glaubens und Wunder der Offenbarung versprach, welch jubelnder Zuruf scholl Ihm aus dem Heerlager der Positiven entgegen! Wie waren alle Zungen voll von ihm, auf den die "Christlichen" ihre Hoffnung gesetzt hatten! Hieß es nicht, der kühne Recke werde allein, wie Roland, auf feindliches Gebiet gehen, im Herzen des feindlichen Landes seine Fahne aufpflanzen, die innerste Burg der Verruchtheit, die nie bewältigte Feste der Idee in die Luft sprengen, daß die Feinde ohne Basis, ohne Zentrum, in ihrem eignen Lande keinen Rat, keine sichere Stätte mehr finden könnten? Proklamierte man nicht schon den bis zu Ostern 1842 erwarteten Sturz des Hegelianismus, den Tod aller Atheisten und Unchristen?

Alles ist anders gekommen. Die Hegeische Philosophie lebt nach wie vor auf dem Katheder, in der Literatur, in der Jugend; sie weiß, daß alle bis jetzt gegen sie geführten Streiche ihr nichts anhaben konnten, und geht ruhig ihren eignen innern Entwicklungsgang fort. Ihr Einfluß auf die Nation ist, wie schon die vermehrte Wut und Tätigkeit der Gegner beweist, in raschem Steigen, und Schelling hat fast alle seine Zuhörer unbefriedigt gelassen.

Das sind Tatsachen, gegen die etwas Stichhaltiges einzuwenden selbst den wenigen Anhängern der neuschellingschen Weisheit unmöglich sein wird. Als man merkte, daß die in bezug auf Schelling gefaßten Vorurteile sich nur zu sehr bestätigten, war man anfangs etwas verlegen, wie man die Pietät gegen den Altmeister der Wissenschaft mit jener offenen, entschiedenen Zurückweisung seiner Ansprüche, die man Hegeln schuldig war, vereinigen sollte. Er tat uns indes bald den Gefallen, uns aus diesem Dilemma zu befreien, indem er sich über Hegel in einer Weise aussprach, die uns von jeder Rücksicht gegen den angeblichen Nachfolger und Uberwinder <175> desselben entband. Darum wird man auch mir es nicht verübeln können, wenn ich ein demokratisches Prinzip in meiner Beurteilung befolge und ohne Ansehen der Person rein auf die Sache und ihre Geschichte mich beschränke.

Als Hegel im Jahre 1831 sterbend seinen Jüngern das Vermächtnis seines Systems hinterließ, war ihre Zahl noch verhältnismäßig gering. Das System war nur in jener zwar strengen und starren, aber auch gediegenen Form vorhanden, die seitdem soviel getadelt worden ist, die aber nichts andres als eine Notwendigkeit war. Hegel selbst hatte, im stolzen Vertrauen auf die Kraft der Idee, wenig zur Popularisierung seiner Lehre getan. Die Schriften, die er veröffentlicht hatte, waren alle in einem streng-wissenschaftlichen, ja fast dornigen Stile geschrieben und konnten, wie die "Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik", wo seine Schüler in derselben Weise schrieben, nur auf ein geringes, noch dazu präokkupiertes Publikum von Gelehrten rechnen. Die Sprache durfte sich der im Kampf mit dem Gedanken erworbenen Narben nicht schämen; es kam fürs erste darauf an, alles Vor- stellungsmäßige, Phantastische, Gefühlige entschieden abzuweisen und den reinen Gedanken in seiner Selbstschöpfung zu erfassen. War diese sichere Operationsbasis erst gewonnen, so konnte man einer späteren Reaktion der ausgeschlossenen Elemente ruhig entgegensehen und selbst in das unphilosophische Bewußtsein herabsteigen, da der Rücken gedeckt blieb. Die Wirkung der Hegeischen Vorlesungen blieb immer auf einen kleinen Kreis beschränkt, und so bedeutend sie da auch gewesen ist, so konnte sie doch erst in späteren Jahren Früchte tragen.

Als aber Hegel gestorben war, begann seine Philosophie erst recht zu leben. Die Herausgabe seiner sämtlichen Werke, besonders der Vorlesungen, machte eine unermeßliche Wirkung. Neue Pforten taten sich auf zu dem verborgenen, wundervollen Schatze, der im verschwiegnen Berges- schoße lag, und dessen Herrlichkeit nur für wenige bisher geschimmert hatte. Klein war die Zahl derer gewesen, die den Mut hatten, auf eigne Faust sich in das Labyrinth der Zugänge zu wagen; jetzt war eine gerade, bequeme Bahn da, auf der das märchenhafte Kleinod erreicht werden konnte. Zugleich nahm die Lehre im Munde der Schüler Hegels eine menschlichere, anschaulichere Gestalt an, die Opposition von seiten der Philosophie selbst wurde immer schwächer und bedeutungsloser, und allmählich hörte man nur noch den theologischen und juristischen Schlendrian sich über die Impertinenz beklagen, mit der ein Unberufener sich in seine Fachgelehrsamkeit eindränge. Die Jugend bemächtigte sich des dargebotenen Neuen um so begieriger, als inzwischen in der Schule selbst ein <176> Fortschritt eingetreten war, der zu den bedeutungsvollsten, auf die Lebensfragen der Wissenschaft wie der Praxis sich beziehenden Diskussionen antrieb.

Die Schranken, in die Hegel selbst den gewaltigen, jugendlich aufbrausenden Konsequenzenstrom seiner Lehre eindämmte, waren teils von seiner Zeit, teils von seiner Persönlichkeit bedingt. Das System war in seinen Grundzügen vor 1810 fertig, die Weltanschauung Hegels mit 1*820 abgeschlossen. Seine politische Ansicht, seine im Hinblick auf England entwickelte Staatslehre tragen unverkennbar das Gepräge der Restaurationszeit, wie ihm denn auch die Julirevolution in ihrer welthistorischen Notwendigkeit nicht klar wurde. So fiel er selbst seinem eignen Ausspruch anheim, daß jede Philosophie nur der Gedankeninhalt ihrer Zeit ist. Andrerseits wurden zwar seine persönlichen Meinungen durch das System geläutert, aber nicht ohne auf die Konsequenzen desselben zu influieren. So wäre die Religions- und Rechtsphilosophie unbedingt ganz anders ausgefallen, wenn er mehr von den positiven Elementen, die nach der Bildung seiner Zeit in ihm lagen, abstrahiert und dafür aus dem reinen Gedanken entwickelt hätte. Hierauf lassen sich alle Inkonsequenzen, alle Widersprüche in Hegel reduzieren. Alles, was in der Religionsphilosophie zu orthodox, im Staatsrecht zu pseudohistorisch erscheint, ist unter diesen Gesichtspunkt zu fassen. Die Prinzipien sind immer unabhängig und freisinnig, die Folgerungen - das leugnet kein Mensch - hier und da verhalten, ja illiberal. Hier trat nun ein Teil seiner Schüler auf, hielt sich an die Prinzipien und verwarf die Konsequenzen, wenn sie sich nicht rechtfertigen konnten. Die linke Seite bildete sich, Rüge schuf ihr in den "Hallischen Jahrbüchern" ein Organ, und über Nacht war der Abfall von der Herrschaft des Positiven erklärt. Aber noch wagte man nicht, alle Konsequenzen offen auszusprechen. Man glaubte, selbst nach Strauß noch innerhalb des Christentums zu stehen, ja, man pochte, den Juden gegenüber, auf die Christlichkeit; man war sich über Fragen wie die von der Persönlichkeit Gottes und der individuellen Unsterblichkeit selbst noch nicht klar genug, um ein .rückhaltloses Urteil fällen zu können; ja man war im Zweifel, wenn man die unausbleiblichen Konsequenzen herannahen sah, ob die neue Lehre nicht esoterisches Eigentum der Schule und für die Nation ein Geheimnis bleiben müsse. Da trat Leo mit den "Hegelingen" auf und erwies seinen Gegnern dadurch den größesten Dienst; wie denn überhaupt alles, was auf den Untergang dieser Richtung berechnet war, zu ihrem Vorteil ausschlug und ihr aufs deutlichste bewies, daß sie mit dem Weltgeiste Hand in Hand geht. Leo hat den Hegelingen Klarheit über sich selbst verschafft, <177> hat in ihnen den stolzen Mut wieder erweckt, der die Wahrheit bis in ihre äußersten Folgerungen begleitet und sie offen und verständlich ausspricht, mag daraus kommen, was da wolle. Es ist ergötzlich, jetzt die damals gegen Leo erschienenen Verteidigungen zu lesen, wie die armen Hegelinge zappeln und sich gegen Leos Schlüsse verwahren und verklausulieren. Jetzt fällt es keinem von ihnen ein, die Anklagepunkte Leos abzuleugnen; so hoch ist ihre Frechheit seit drei Jahren gestiegen. Feuerbachs "Wesen des Christen- thums", Strauß' "Dogmatik"[l02] und die "Deutschen Jahrbücher" zeigen die Früchte, die Leos Denunziation getragen hat; ja die "Posaune"[108] weist die Konsequenzen, auf die es ankommt, schon bei Hegel nach. Dies Buch ist schon darum für die Stellung Hegels so wichtig, weil es zeigt, wie oft in Hegel der unabhängige, kühne Denker über den tausend Einflüssen unterworfenen Professor gesiegt hat. Es ist eine Ehrenrettung der Persönlichkeit des Mannes, dem man zumutete, nicht nur da, wo er genial war, über seine Zeit hinauszugehen, sondern auch da, wo er es nicht war. Hier ist der Beweis, daß er auch dies getan hat.

So hat es denn die "hegelingische Rotte" kein Hehl mehr, daß sie das Christentum nicht mehr als ihre Schranke ansehen kann und will. Alle Grundprinzipien des Christentums, ja sogar dessen, was man bisher überhaupt Religion nannte, sind gefallen vor der unerbittlichen Kritik der Vernunft; die absolute Idee macht Anspruch darauf, die Gründerin einer neuen Ära zu sein. Die große Umwälzung, von der die französischen Philosophen des vorigen Jahrhunderts nur die Vorläufer waren, hat ihre Vollendung im Reiche des Gedankens, ihre Selbstschöpfung vollbracht. Die Philosophie des Protestantismus, von Descartes an, ist geschlossen; eine neue Zeit ist angebrochen, und es ist die heiligste Pflicht aller, die der Selbstentwicklung des Geistes gefolgt sind, das ungeheure Resultat ins Bewußtsein der Nation überzuführen und zum Lebensprinzip Deutschlands zu erheben.

Während dieser innern Entwicklung der Hegeischen Philosophie blieb ihre äußere Stellung auch nicht unverändert. Der Minister Altenstein, durch dessen Vermittlung der neuen Lehre eine Wiege in Preußen bereitet war, starb; mit den folgenden Veränderungen hörte nicht nur alle Begünstigung jener Lehre auf, sondern man bestrebte sich auch, sie allmählich vom Staate auszuschließen. Es war dies die Folge der sowohl auf Seite des Staats als der Philosophie stärker hervorgehobenen Prinzipien; wie diese sich nicht scheute, das Notwendige auszusprechen, so war es auch ganz natürlich, daß jener seine Konsequenzen bestimmter geltend machte. Preußen ist ein christlich-monarchischer Staat, und seine welthistorische Stellung gibt ihm ein Recht auf Anerkennung seiner Prinzipien als faktisch <178> gültiger. Man mag sie teilen oder nicht, genug, sie sind da, und Preußen ist stark genug, sie nötigenfalls vertreten zu können. Zudem hat die Hegeische Philosophie keine Ursache, sich darüber zu beklagen. Ihre frühere Stellung warf einen falschen Schein auf sie und zog ihr scheinbar eine Menge Anhänger zu, auf die in Zeiten des Kampfes nicht zu rechnen war. Ihre falschen Freunde, die Egoisten, die Oberflächlichen, die Halben, die Unfreien, sind jetzt glücklich zurückgetreten, und sie weiß jetzt, woran sie ist und auf wen sie zählen kann. Zudem kann es ihr nur lieb sein, wenn die Gegensätze sich scharf hervorheben, da ihr endlicher Sieg doch gewiß ist. So war es denn ganz natürlich, daß als Gegengewicht der bisher vorherrschenden Tendenzen Männer von der entgegengesetzten Richtung berufen wurden; der Kampf gegen jene wurde wieder angefacht, und als die historisch-positive Fraktion wieder einigen Mut bekommen hatte, wurde Schelling nach Berlin berufen, um dem Streite den Ausschlag zu geben und die Hegeische Lehre auf ihrem eignen philosophischen Gebiet zu ächten

Sein Auftreten in Berlin mußte allgemein Spannung erregen. Er hatte in der Geschichte der neueren Philosophie eine so bedeutende Rolle gespielt; trotz aller von ihm herrührenden Anregungen hatte er indes nie ein fertiges System gegeben und seinen Abschluß mit der Wissenschaft immer noch hinausgeschoben, bis er jetzt endlich diese große Abrechnung über seine ganze Lebenstätigkeit zu geben versprach. Er übernahm es auch wirklich, die Versöhnung von Glauben und Wissen, von Philosophie und Offenbarung zustande zu bringen und was er weiter in seiner ersten Vorlesung aussprach.[99] Ein andres, wichtiges Moment, das erhöhtes Interesse für ihn einflößte, war seine Stellung zu dem, den er zu besiegen gekommen war. Freunde und Stubengenossen schon auf der Universität, lebten beide Männer nachher in Jena so vertraut zusammen, daß es bis auf den heutigen Tag unentschieden bleiben muß, welchen Einfluß sie aufeinander hatten. Nur dies ist gewiß, daß Hegel es war, der es Schelling zum Bewußtsein brachte, wieweit er bereits, ohne zu wissen, über Fichte hinausgegangen war*. Nach ihrer Trennung indes begannen ihre bisher parallel laufenden Entwick-

*Wenn Schelling wirklich die "Geradsinnigkeit und Offenheit", mit der er sich brüstet, besitzt, wenn er seine Behauptungen über Hegel wirklich aufrichtig meint und Grund dazu hat, so beweise er das durch die Herausgabe seines Briefwechsels mit Hegel, den er besitzen soll, wie es heißt, oder dessen Veröffentlichung doch nur von ihm abhängt. Aber da liegt der wunde Fleck. Verlangt er also Glauben an seine Wahrhaftigkeit, so rücke er heraus mit diesem Beweise, der alle deshalb erhobenen Streitigkeiten lösen würde.

<179> lungsbahnen bald auseinander zu gehen. Hegel, dessen tiefinnerliche, ruhelose Dialektik erst jetzt sich recht zu entfalten anfing, nachdem Schellings Einfluß zurückgetreten war, tat 1806 in der "Phänomenologie des Geistes" einen Riesenschritt über den naturphilosophischen Standpunkt hinaus und erklärte seine Unabhängigkeit von diesem; Schelling verzweifelte immer mehr daran, auf dem bisherigen Wege zu den erstrebten großen Resultaten zu gelangen, und versuchte bereits zu jener Zeit, sich des Absoluten auf unmittelbare Weise durch die erfahrungsmäßige Voraussetzung einer höheren Offenbarung zu bemächtigen. .Während Hegels gedankenschaffende Kraft immer energischer, lebendiger, tätiger sich zeigte, versank Schelling, wie schon eine solche Annahme beweist, in eine träge Ermattung, die sich auch in seiner bald einschlummernden literarischen Tätigkeit äußerte. Er mag jetzt immerhin selbstzufrieden Von seiner langen, verschwiegnen philosophischen Arbeit, von den geheimen Schätzen seines Pultes, von seinem dreißigjährigen Krieg mit dem Gedanken sprechen, es glaubt ihm das kein Mensch. Wer alle Anstrengung seines Geistes auf einen Punkt verwendet, wer die Jugendkraft noch in Anspruch" nimmt;ödie einen Fichte überwand, der ein Heros der Wissenschaft, ein Genie ersten Ranges sein will - und nur ein solches würde Hegeln stürzen können, das muß jeder zugeben -, der sollte dreißig Jahre und mehr gebrauchen, um einige unbedeutende Resultate zutage zu fördern? Hätte Schelling es sich nicht so bequem mit dem Philosophieren gemächt, würden da nicht alle Stufen seines Gedankenganges der Welt in einzelnen Schriften vorliegen? Ohnehin hat er von jeher in dieser Beziehung wenig Selbstbeherrschung gezeigt und alles Neue, das er fand, gleich ohne viel Kritik in die Welt geschickt. Fühlte er sich noch immer als König der Wissenschaft, wie konnte er ohne die Anerkennung seines Volkes leben, wie konnte ihm die armselige Existenz eines abgesetzten Fürsten, eines Karl X., wie konnte ihm der längst verschlissene und verbleichte Purpur der Identitätsphilosophie genügen? Mußte er nicht alles daran wagen, sich in seine verlornen Rechte zu restituieren, den Thron, den ein "später Gekommener" ihm geraubt, wieder zu erobern? Statt dessen ließ er die Bahn des reinen Gedankens liegen, vergrub sich in mythologische und theosophische Phantastereien und hielt, wie es scheinen muß, sein System zur Verfügung des Königs von Preußen1, denn auf dessen Ruf war das nie Vollendete sogleich fertig. So kam er denn her, mit der Versöhnung von Glauben und Wissen im Koffer, machte von sich reden und stieg endlich aufs Katheder. Und was war das Neue, das er brachte, das Unerhörte,

Friedrich Wilhelm IV. <180> womit er Wunder wirken wollte? Die Philosophie der Offenbarung, die er "seit 1831 ganz in derselben Weise" in München vorgetragen hatte, und die Philosophie der Mythologie, die "aus noch früherer Zeit her sich datiert". Ganz alte Sachen, die seit zehn Jahren in München fruchtlos verkündigt waren, die nur einen Ringseis, einen Stahl zu kapern imstande waren. Das also nennt Schelling sein "System"! Da liegen die welterlösen- den Kräfte, die Bannsprüche für die Gottlosigkeit, in dem Samen, der in München nicht aufkeimen wollte! Warum hat dehn Schelling diese seit zehn Jahren fertigen Vorlesungen nicht drucken lassen? Bei all dem Selbstvertrauen und der Zuversicht des Erfolges muß doch noch etwas dahinterstecken, muß irgendein geheimer Zweifel ihn doch von diesem Schritte abhalten.

Indem er vor das Berliner Publikum trat, stellte er sich allerdings der Öffentlichkeit etwas näher als bisher in München. Was dort leicht esoterische Geheimlehre bleiben konnte, weil kein Mensch sich darum kümmerte, muß hier ohne Gnade ans Tageslicht. Keiner wird in den Himmel eingelassen, ehe er durch das Fegefeuer der Kritik gegangen ist. Was hier in der Universität heute Auffallendes gesagt wird, steht morgen in allen deutschen Zeitungen. So mußten Schelling alle Gründe, die ihn vom Druck seiner Vorlesungen abhielten, auch von der Übersiedelung nach Berlin zurückhalten. Ja noch mehr, denn das gedruckte Wort läßt kein Mißverständnis zu, während das einmal flüchtig gesprochene, eilig nachgeschriebene und vielleicht nur halb gehörte allerdings falschen Auffassungen ausgesetzt sein muß. Aber freilich war nun kein andrer Rat; er mußte nach Berlin, oder er erkannte durch die Tat seine Unfähigkeit an, den Hegelianismus zu besiegen. Auch zum Druck war es nun zu spät, denn er mußte etwas Neues, Ungedrucktes nach Berlin bringen, und daß er nicht noch andere Dinge "im Pulte" hat, zeigt sein Auftreten hier.

So trat er denn zuversichtlich, und gleich von vornherein seinen Zuhörern das Ungeheuerste versprechend, aufs Katheder und begann vor fast vierhundert Menschen aus allen Ständen und Nationen seine Vorträge. Aus ihnen werde ich nun, meine eignen mit andern möglichst treuen Heften verglichenen Notizen zugrunde legend, das mitteilen, was zur Rechtfertigung meines Urteils nötig ist.

Alle Philosophie hat es sich bisher zur Aufgabe gestellt, die Welt als vernünftig zu begreifen. Was vernünftig ist, das ist nun freilich auch notwendig, was notwendig ist, muß wirklich sein oder doch werden. Dies ist die Brücke zu den großen praktischen Resultaten der neueren Philosophie. Wenn nun Schelling diese Resultate nicht anerkennt, so war es konsequent, <181> die Vernünftigkeit der Welt auch zu leugnen. Dies geradezu auszusprechen, hat er indes nicht gewagt, sondern es vorgezogen, die Vernünftigkeit der Philosophie zu leugnen. So zieht er sich denn zwischen Vernunft und Unvernunft auf einem möglichst krummen Wege durch, nennt das Vernünftige a priori begreiflich, das Unvernünftige a posteriori begreiflich, und weist das erste der "reinen Vernunftwissenschaft oder negativen Philosophie", das zweite der neu zu begründenden "positiven Philosophie" zu.

Hier ist die erste, große Kluft zwischen Schelling und allen andern Philosophen; hier der erste Versuch, Autoritätsglauben, Gefühlsmystik, gnostische Phantasterei in die freie Wissenschaft des Denkens hineinzuschmuggeln. Die Einheit der Philosophie, die Ganzheit aller Weltanschauung wird zum unbefriedigendsten Dualismus zerrissen, der Widerspruch, der die welthistorische Bedeutung des Christentums ausmacht, zum Prinzip auch der Philosophie erhoben. Gleich von vornherein also müssen wir gegen diese Spaltung protestieren. Wie nichtig sie außerdem ist, wird sich zeigen, wenn wir den Gedankengang verfolgen, mit dem Schelling seine Unfähigkeit, das Universum als Vernünftiges und Ganzes zu begreifen, zu rechtfertigen sucht. Er geht von dem scholastischen Satze aus, daß an den Dingen das quid und das quod, das Was und das Daß zu unterscheiden sei. Was die Dinge seien, lehre die Vernunft, daß sie seien, beweise die Erfahrung. Wolle man diese Unterscheidung durch die Behauptung der Identität von Denken und Sein aufheben, so sei das ein Mißbrauch dieses Satzes. Das Resultat des logischen Denkprozesses sei nur der Gedanke der Welt, nicht die reale Welt. Die Vernunft sei schlechthin impotent, die Existenz von irgend etwas zu beweisen, und habe in dieser Beziehung das Zeugnis der Erfahrung für genügend anzunehmen. Nun habe sich die Philosophie aber auch mit Dingen beschäftig, die über alle Erfahrung hinausgingen, z.B. mit Gott; es frage sich also, ob die Vernunft für die Existenz derselben Beweise zu liefern imstande sei. Um diese Frage beantworten zu können, läßt sich Schelling auf eine lange Diskussion ein, die hier ganz überflüssig ist, da obige Prämissen keine Antwort zulassen als ein entschiedenes Nein. Dies ist denn auch das Resultat der Schellingschen Erörterung. So folgt denn hieraus nach Schelling notwendig, daß die Vernunft im reinen Denken sich nicht mit den wirklich existierenden Dingen, sondern mit den Dingen als möglichen zu beschäftigen habe, mit ihrem Wesen, nicht mit ihrem Sein; so daß wohl Gottes Wesen, aber nicht seine Existenz ihr Gegenstand sei. Für den wirklichen Gott müsse also eine andre als die rein vernünftige Sphäre gesucht werden, es müssen Dinge die <182> Voraussetzung der Existenz erhalten, die sich erst später, a posteriori, als möglich oder vernünftig und als in ihren Folgen erfahrungsmäßig, d.h. wirklich zu erweisen haben.

Hier ist der Gegensatz gegen Hegel bereits in seiner ganzen Schärfe ausgesprochen. Hegel, in jenem naiven Glauben an die Idee, über den Schelling so erhaben ist, behauptet, was vernünftig sei, das sei auch wirklich; Schelling sagt aber, was vernünftig ist, das ist möglich und stellt sich dadurch sicher, denn dieser Satz ist bei der bekannten Weitschichtigkeit der Möglichkeit unumstößlich. Zugleich aber beweist er schon hierdurch, wie sich später zeigen wird, seine Unklarheit in Beziehung auf alle rein logischen Kategorien. Ich könnte zwar gleich jetzt die Lücke in der obigen Schlachtordnung von Schlüssen aufzeigen, durch die der böse Feind der Abhängigkeit sich in die Reihe der freien Gedanken stahl, aber ich will es auf spätere Gelegenheit versparen, um mich nicht zu wiederholen, und sogleich zum Inhalt der reinen Vernunftwissenschaft übergehen, wie ihn Schelling zum großen Ergötzen aller Hegelianer seinen Zuhörern vorkonstruiert hat. Er ist folgender:

Die Vernunft ist die unendliche Potenz des Erkennens. Potenz ist dasselbe wie Vermögen (Kants Erkennungsvermögen). Sie scheint als solche ohne allen Inhalt, doch hat sie allerdings einen solchen, und zwar ohne Zutun, ohne Aktus von ihrer Seite, denn sonst hörte sie ja auf, Potenz zu sein, da Potenz und Aktus sich gegenüberstehen. Dieser, notwendigerweise also unmittelbare, angeborene Inhalt wird, da allem Erkennen ein Sein entspricht, nur die unendliche Potenz des Seins, entsprechend der unendlichen Potenz des Erkennens, sein können. Diese Potenz des Seins, dies unendliche Seinkönnen ist die Substanz, aus der wir unsre Begriffe abzuleiten haben. Die Beschäftigung mit ihr ist das reine, sich selbst immanente Denken. Dieses reine Seinkönnen ist nun nicht bloß eine Bereitschaft zu existieren, sondern der Begriff des Seins selbst, das seiner Natur nach ewig in den Begriff Ubergehende, oder im Begriff, ins Sein überzugehen, Seiende, das vom Sein nicht Abzuhaltende und darum vom Denken ins Sein Übergehende. Dies ist die bewegliche Natur des Denkens, wonach es nicht beim bloßen Denken stehenbleiben kann, sondern ewig ins Sein übergehen muß. Doch ist dies kein Übergang ins reale Sein, sondern bloß ein logischer. So erscheint anstatt der reinen Potenz ein logisch Seiendes. Indem nun aber die unendliche Potenz als das Prius dessen sich verhält, was im Denken selbst durch Übergehen ins Sein entsteht, und der unendlichen Potenz nur alles wirkliche Sein entspricht, so besitzt die Vernunft die Potenz als ihr mit ihr verwachsener Inhalt, eine apriorische Stellung gegen <183> das Sein anzunehmen und so, ohne die Erfahrung zu Hülfe zu nehmen, zum Inhalt alles wirklichen Seins zu gelangen. Was in der Wirklichkeit vorkommt, hat sie als logisch notwendige Möglichkeit erkannt. Sie weiß nicht, ob die Welt existiert, sie weiß bloß, daß, wenn sie existiert, sie so und so beschaffen sein muß.

Daß die Vernunft Potenz ist, nötigt uns also, den Inhalt derselben auch für potenziell zu erklären. Gott also kann nicht unmittelbarer Inhalt der Vernunft sein, denn er ist etwas Wirkliches, nichts bloß Potentielles, Mögliches. In der Potenz des Seins entdecken wir nun zuerst die Möglichkeit, ins Sein überzugehen. Dies Sein nimmt ihr die Herrschaft über sich selbst. Vorher war sie des Seins mächtig, sie konnte übergehen und auch nicht; jetzt ist sie dem Sein verfallen, in seiner Gewalt. Dies ist entgei- stetes Sein, begriffloses, denn Geist ist Macht über das Sein. In der Natur ist dies begrifflose Sein nicht mehr anzutreffen, es ist schon alles von der Form in Beschlag genommen, aber es ist leicht zu sehen, daß diesem ein blindes, schrankenloses Sein vorausging, als Materie zugrunde liegt. Nun aber ist die Potenz dies Freie, Unendliche, das ins Sein übergehen kann und auch nicht, so daß sich zwei kontradiktorische Gegensätze, Sein und Nichtsein, in ihr nicht ausschließen. Dies Auch-nicht-übergehen- Können ist, solange das erste in der Potenz bleibt, diesem gleich. Erst wenn das unmittelbar Seinkönnende wirklich übergeht, wird das andre von ihm ausgeschlossen. Die Indifferenz beider in der Potenz hört auf, denn jetzt setzt die erste Möglichkeit die* zweite außer sich. Dieser zweiten wird das Können erst gegeben durch die Ausschließung der ersten. Wie in der unendlichen Potenz das Übergehen-Können und das Nichtübergehen- Können sich nicht ausschließen, so schließen sie auch das zwischen Sein und Nichtsein Freischwebende nicht aus. So haben wir drei Potenzen. In der ersten ein unmittelbares Verhältnis zum Sein, in der zweiten ein mittelbares, erst durch die Ausschließung von der ersten sein Könnendes. So haben wir also 1. das zum Sein sich Neigende, 2. das zum Nichtsein sich Neigende, 3. das zwischen Sein und Nichtsein Freischwebende. Vor dem Übergange ist das dritte von der unmittelbaren Potenz nicht unterschieden und wird so erst dann ein Sein werden, wenn es von den ersten beiden ausgeschlossen ist; es kann erst zustande kommen, wenn die beiden ersten ins Sein übergegangen sind. Hiermit sind alle Möglichkeiten geschlossen, und der innere Organismus der Vernunft ist in dieser Totalität der Potenzen erschöpft. Die erste Möglichkeit ist nur die, vor welcher nur die unendliche Potenz selbst sein kann. Es gibt etwas, das, wenn es den Ort der Möglichkeit verlassen hat, nur eines ist, aber bis es sich hierzu ent <184> schieden hat, ist es instar omnium, das zunächst Bevorstehende, auch das Widerstehende, das dem andern, ihm zu folgen Bestimmten, Widerstand leistet. Indem es aus seiner Stelle weicht, überträgt es seine Macht einem andern, dieses zur Potenz erhebend. Diesem andern, zur Potenz Erhobenen, wird es sich selbst als relativ Nichtseiendes unterordnen. Zuerst tritt hervor das im transitiven Sinne Seinkönnende, das daher auch das Zufälligste, Unbegründetste ist, das seinen Grund nur im Folgenden, nicht im Vorhergehenden, finden kann. Indem es sich diesem Folgenden unterordnet, gegen es ein relativ Nichtseiendes wird, wird es hierdurch selbst erst begründet, wird erst etwas, da es allein nur das Verlorene wäre. Dies erste ist die prima materia alles Seins, selbst zum bestimmten Sein gelangend, indem es ein Höheres über sich setzt. Das zweite Seinkönnende wird erst durch die obige Ausschließung des ersten aus seiner Gelassenheit gesetzt und in seine Potenz erhoben; das an sich noch nicht Seinkönnende wird jetzt Seinkönnendes durch die Negation. Aus seinem ursprünglichen Nicht-unmittelbar-seinkönnen ist es gesetzt als das gelassene ruhige Wollen und wird so notwendig dahin wirken, dasjenige, wodurch es negiert wurde, selbst zu negieren und sich in sein gelassenes Sein zurückzuführen. Dies kann nur dadurch geschehen, daß das erste aus seiner absoluten Entäußerung in sein Seinkönnen zurückgebracht wird. So erhalten wir ein höheres Seinkönnen, ein in sein Können zurückgebrachtes Sein, das als ein Höheres ein seiner selbst mächtiges Sein ist. Da nach dem unmittelbaren Seinkönnen die unendliche Potenz nicht erschöpft ist, so muß das zweite, was in ihr liegt, das unmittelbar nur-nicht-sein-Können sein. Aber das unmittelbar Seinkönnende ist schon über das Können heraus; daher muß die zweite Potenz das unmittelbar Nicht-Nichtseinkönnen sein, das ganz reine Sein, denn nur das Seiende ist nicht das Seinkönnende. Das reine Sein kann allerdings, mag es auch noch so widersprechend scheinen, Potenz sein, denn es ist nicht das wirkliche Sein, es ist nicht wie dieses a potentia ad actum1 übergegangen, sondern actus purus2. Unmittelbare Potenz ist es freilich .nicht, aber daraus folgt nicht, daß es überhaupt nicht Potenz sein könne. Es muß negiert werden, damit es verwirklicht werde; so ist es nicht überall und durchaus Potenz, kann aber durch Negation Potenz werden. Solange das unmittelbar Seinkönnende bloß Potenz blieb, war es selbst im reinen Sein; sowie es sich über die Potenz erhebt, verdrängt es das reine Sein aus seinem Sein, um selbst Sein zu werden. Das Reinseiende als actus purus negiert, wird so Potenz. So hat es keine Freiheit des Willens, sondern es

1 von der Potenz zum Aktus -2 reiner Aktus <185> muß wirken, seine Negation wieder zu negieren. Auf diese Weise könnte es allerdings ab actu ad potentiam1 übergehen und so außer sich verwirklicht werden. Das erste, das schrankenlose Sein, war das Nichtgewollte, die Hyle, mit der der Demiurg zu ringen hat. Es ist gesetzt, um sogleich durch die zweite Potenz verneint zu werden. An die Stelle des schrankenlosen Seins muß ein gefaßtes treten, es muß stufenweise ins Seinkönnen zurückgeführt werden und ist dann ein sich besitzendes und auf der höchsten Stufe selbstbewußtes Können. So liegt also zwischen der ersten und zweiten Möglichkeit eine Menge abgeleiteter Möglichkeiten und Mittelpotenzen. Diese sind schon die konkrete Welt. Ist nun die außer sich gesetzte Potenz ins Können ganz zurückgebracht, zur sich besitzenden Potenz, so wird auch die zweite vom Schauplatz abtreten, weil sie nur da ist, um die erste zu negieren und in dem Negationsakt der ersten sich selbst als Potenz auflöst. Je mehr sie das Entgegenstehende überwindet, vernichtet sie sich selbst. Hier kann nun nicht stehengeblieben werden. Soll im Sein das Vollendete sein, so muß an die Stelle des durch die zweite Potenz ganz überwundenen Seins ein drittes gesetzt werden, dem die zweite Potenz ihre Macht ganz überträgt. Dies kann weder reines Seinkönnen noch reines Seinsein, sondern nur das, was im Sein Seinkönnen und im Seinkönnen Sein ist, der Widerspruch von Potenz und Sein als Identität gesetzt, das zwischen beiden frei Schwebende, der Geist, eine unerschöpfliche Quelle von Sein, die ganz frei ist und nicht aufhört, im Sein Potenz zu bleiben. Diese kann nicht unmittelbar wirken, sondern nur durch die zweite verwirklicht werden. Da nun das zweite das Vermittelnde zwischen dem ersten und dritten ist, so ist das dritte gesetzt durch das vom zweiten überwundene erste. Dies dritte, im Sein unbesiegt Gebliebene, ist als Geist gesetzt das Seinkönnende und Vollendende, so daß mit seinem Eintritte in das Sein das vollendete Sein da ist. In dem sich selbst besitzenden Können, im Geist, ist der Schluß der Natur. Dieses letzte kann nun auch einer neuen, mit Bewußtsein bewirkten Bewegung sich hingeben und so über der Natur eine neue, intellektuelle Welt sich bilden. Auch diese Möglichkeit muß von der Wissenschaft erschöpft werden, die damit Natur- und Geistesphilosophie wird.

Durch diesen Prozeß ist alles dem Denken nicht Immanente, ins Sein Übergegangene ausgeschieden, und es bleibt die Potenz, die nicht mehr ins Sein überzugehen braucht, die das Sein nicht mehr außer sich hat, deren Seinkönnen ihr Sein ist; das Wesen, das dem Sein nicht mehr unterworfen ist, sondern sein Sein in seiner Wahrheit ist, das sogenannte höchste Wesen. So ist das höchste Gesetz des Denkens erfüllt, Potenz und Aktus sind in

1 vom Aktus zur Potenz <186> einem Wesen zusammen, das Denken ist nun bei sich selber und somit freies Denken, nicht mehr einer unaufhaltsamen, notwendigen Bewegung unterworfen. Hier ist das am Anfang Gewollte erreicht, der sich selbst besitzende Begriff (denn Begriff und Potenz sind identisch), der, weil er der einzige seiner Art ist, einen besondern Namen hat, und weil er das von Anfang Gewollte ist, Idee heißt. Denn wer im Denken nicht aufs Resultat sehen will, wessen Philosophie sich ihres Zweckes nicht bewußt ist, der gleicht jenem Maler, der drauflosmalte, mochte herauskommen, was da wollte.

Soweit hat uns Schelling den Inhalt seiner negativen Philosophie mitgeteilt, und diese Umrisse reichen vollkommen hin, um den phantastischen, unlogischen Charakter seiner Denkweise zu erkennen. Er ist nicht mehr fähig, sich im reinen Denken auch nur eine kurze Zeit zu bewegen; jeden Augenblick laufen ihm die märchenhaftesten, bizarrsten Phantome über den Weg, daß die Rosse seines Gedankenwagens scheu sieh bäumen und er selbst sein Ziel liegenläßt, um jenen Nebelgestalten nachzujagen. Daß die drei Potenzen, wenn man sie auf ihren nackten Gedankengehalt reduziert, nichts andres sind als die drei Momente des Hegeischen Entwicklungsganges durch die Negation, nur auseinandergezerrt, in ihrer Trennung fixiert und von der "ihres Zweckes bewußten Philosophie" diesem Zwecke gemäß zugerichtet, sieht man auf den ersten Blick. Es ist ein trauriges Schauspiel, wie Schelling den Gedanken aus seinem erhabenen, reinen Äther in das Gebiet der sinnlichen Vorstellung herabreißt, ihm die echte Goldkrone vom Haupte schlägt und ihn zum Spott der Straßenjungen mit einer goldpapiernen Krone, von dem Nebel und Dunst der ungewohnten, romantischen Atmosphäre berauscht, umhertaumeln läßt. Diese sogenannten Potenzen sind gar keine Gedanken mehr, es sind nebulose, phantastische Gestalten, an denen die Umrisse der drei göttlichen Hypostasen bereits deutlich durch den Wolkenschleier schimmern, der sie geheimnisvoll umhüllt. Ja, sie haben bereits ein gewisses Selbstbewußtsein, die eine "neigt sich" zum Sein, die andere zum Nichtsein, die dritte "schwebt frei" zwischen beiden. Sie "geben einander Raum", sie haben verschiedene "Stellen", sie "verdrängen" einander, sie "widerstehen", sie bekämpfen einander, sie "suchen sich zu negieren", sie "wirken" und "streben" usw. Diese seltsame Versinnlichung des Gedankens ist wieder aus einem Mißverständnisse der Hegeischen Logik entstanden. Jene gewaltige Dialektik, jene innere, treibende Kraft, die die einzelnen Gedankenbestimmungen, als wäre sie das böse Gewissen ihrer Unvollkommenheit und Einseitigkeit, zu immer neuer Entwicklung und Wiedergeburt forttreibt, bis sie endlich als absolute Idee in unvergänglicher, fleckenloser Herrlichkeit zum letzten <187> Male aus dem Grab der Negation erstehen, hat Schelling nicht anders fassen können denn als Selbstbewußtsein der einzelnen Kategorien, während sie doch das Selbstbewußtsein des Allgemeinen, des Denkens, der Idee ist. Er will die Sprache des Pathos zur absolut wissenschaftlichen erheben, ohne vorher uns den reinen Gedanken in der ihm allein passenden Sprache gezeigt zu haben. Auf der andern Seite ist er ebensowenig fähig, den Gedanken des Seins in seiner vollständigen Abstraktion zu erfassen, wie er schon dadurch zeigt, daß er die Bestimmungen Sein und Seiendes fortwährend als gleichbedeutend gebraucht. Das Sein ist ihm nur als Materie, als Hyle, als wüstes Chaos denkbar. Dazu haben wir jetzt schon mehrere solche Materien, ein "schrankenloses Sein", ein "gefaßtes Sein", ein "reines Sein", ein "logisches Sein", ein "wirkliches Sein", ein "gelassenes Sein", und wir werden später noch ein "unvordenkliches Sein" und ein "konträres Sein" hinzubekommen. Es ist spaßhaft anzusehen, wie diese verschiedenen Sein zusammenstoßen und einander verdrängen, wie die Potenz nur die Wahl hat, sich in diese wüste Masse zu verlieren oder ein leeres Phantom zu bleiben. Man sage mir nicht, das liege bloß an der bildlichen Ausdrucksweise, im Gegenteil ist dieses gnostisch-orientalische Traumdenken, das jede Gedankenbestimmung entweder als Persönlichkeit oder Materie erfaßt, die Grundlage des ganzen Prozesses. Man nehme die Anschauungsweise weg, und alles fällt zusammen. Schon die Grundkategorien, Potenz und Aktus, rühren aus einer verworrenen Zeit her, und Hegel hatte ganz recht, wenn er diese unklaren Bestimmungen aus der Logik herauswarf. Schelling vollends macht die Konfusion noch größer und gebraucht diesen Gegensatz abwechselnd, wie es ihm beliebt, für folgende Hegeische Bestimmungen: Ansichsein und Fürsichsein, Idealität und Realität, Kraft und Äußerung, Möglichkeit und Wirklichkeit, und bei alledem ist die Potenz noch ein apartes, sinnlich-übersinnliches Wesen. Die hauptsächliche Bedeutung, die ihr Schelling beilegt, ist indes die der Möglichkeit, und so haben wir hier eine auf Möglichkeit begründete Philosophie. In dieser Beziehung nennt Schelling seine Vernunftwissenschaft mit Recht die "Nichtsausschließende", denn möglich ist am Ende alles. Es kommt aber darauf an, daß der Gedanke sich bewähre durch seine innere Kraft, sich zu verwirklichen. Die Deutschen werden für eine Philosophie danken, die sie auf einem holprigen Wege durch die unendlich langweilige Sahara der Möglichkeit schleppt, ohne ihnen etwas Reelles zu essen und zu trinken zu geben und ohne sie zu einem andern Ziel zu führen als dahin, wo nach ihrer Aussage die Welt für die Vernunft mit Brettern zugenagelt ist. <188> Doch geben wir uns die Mühe, den Weg durch das Nichts nachzugehen. Schelling sagt: Das Wesen ist für den Begriff, das Sein für das Erkennen. Vernunft ist unendliche Potenz des Erkennens, ihr Inhalt unendliche Potenz des Seins, wie oben ausgeführt. Jetzt aber fängt er mit einem Male an, die unendliche Potenz des Seins mit der Potenz des Erkennens wirklich zu erkennen. Kann er das? Nein, Erkennen ist Aktus, dem Aktus entspricht Aktus, "dem Erkennen entspricht ein Sein", also dem obigen aktuellen Erkennen das aktuelle, wirkliche Sein. So würde die Vernunft also doch wider Willen das wirkliche Sein erkennen müssen, und trotz aller Mühe, die hohe See der Möglichkeit zu halten, wären wir gleich an den verhaßten Strand der Wirklichkeit geschleudert.

Aber, wendet man ein, die Potenz des Seins wird ja erst nach ihrem Übergange, der freilich ein logischer ist, erkannt. Schelling selbst sagt ja, daß logisches Sein und Potenz des Seins, Begriff und Potenz identisch ist. Wenn also die Potenz des Erkennens wirklich zum Aktus übergeht, so darf die Potenz des Seins sich nicht mit einem vorgespiegelten Scheinübergange begnügen. Geht die Potenz des Seins nicht wirklich über, so bleibt die Potenz, kann von der Vernunft nicht erkannt werden, ist also nicht der "notwendige Inhalt der Vernunft", sondern gerade das absolut Unvernünftige.

Oder will Schelling die Tätigkeit, die die Vernunft ihrem Inhalte zuwendet, nicht Erkennen, sondern etwa Begreifen nennen? Dann müßte die Vernunft die unendliche Potenz, des Begreifens sein, da sie in ihrer eigenen Wissenschaft gar nicht zum Erkennen käme.

Auf der einen Seite schließt Schelling die Existenz von der Vernunft aus, auf der andern Seite gibt er sie ihr mit dem Erkennen wieder. Erkennen ist ihm Einheit von Begriff und Existenz, von Logik und Empirie. Also Widersprüche, wohin wir uns wenden. Wie geht das zu?

Ist die Vernunft denn die unendliche Potenz des Erkennens? Ist das Auge die Potenz des Sehens? Das Auge, selbst das geschlossene, sieht immerfort, es sieht, wenn es sogar nichts zu sehen glaubt, immer noch die Finsternis. Nur das kranke Auge, das heilbar-blinde, ist Potenz des Sehens, ohne Aktus zu sein, nur die unentwickelte oder momentan verworrene Vernunft ist die bloße Potenz des Erkennens. Aber es scheint doch so plausibel, die Vernunft als Potenz zu fassen? Sie ist es auch und nicht bloß Möglichkeit, sondern absolute Kraft, Notwendigkeit des Erkennens. Diese aber muß sich äußern, muß erkennen. Die Trennung von Potenz und Aktus, von Kraft undAußerung, gehört nur der Endlichkeit an, im Unendlichen ist die Potenz selbst ihr Aktus, die Kraft ihre eigene Äußerung. Denn das Unendliche duldet keinen Widerspruch in sich. Ist nun die Vernunft unendliche <189> Potenz, so ist sie dieser Unendlichkeit halber auch unendlicher Aktus. Sonst wäre die Potenz selbst endlich gefaßt. Das liegt auch schon im unbefangenen Bewußtsein. Vernunft, die in der Potenz des Erkennens stehenbleibt, heißt man Unvernunft. Nur die Vernunft gilt für Vernunft, die wirklich sich durch Erkennen bewährt, das Auge nur für ein rechtes Auge, das auch sieht. Hier zeigt sich also gleich der Gegensatz von Potenz und Aktus als ein lösbarer, nichtiger in letzter Instanz, und diese Lösung ist ein Triumph der Hegeischen Dialektik über die Beschränktheit Schellings, die über diesen Gegensatz nicht hinauskam; denn selbst da, wo in der Idee Potenz und Aktus zusammenfallen sollen, wird dies bloß behauptet, das Überfließen beider Bestimmungen ineinander aber nicht gezeigt.

Sagt aber Schelling: Die Vernunft ist Begreifen, und da Begriff Potenz ist, Potenz des Erkennens, die erst dann wirkliches Erkennen wird, wenn sie etwas Reelles zu erkennen findet; dagegen in der reinen Vernunft- wissenschaft, wo sie sich mit der Potenz des Seins beschäftigt, bleibt sie innerhalb der Potenz des Erkennens stehen und begreift bloß - so wird doch kein Mensch, auch abgesehen von der obigen Erörterung über Potenz und Aktus - leugnen, daß es der Zweck der Potenz des Erkennens ist, wirklich zum Erkennen überzugehen, und sie ein Nichts ist, solange sie dies nicht tut. So zeigt sich, daß der Inhalt der reinen Vernunftwissenschaft ein hohler, leerer, unnützer ist, und die Vernunft, wenn sie ihren Zweck erfüllt und wirklich erkennt, Unvernunft wird. Wenn Schelling das zugibt, daß das Wesen der Vernunft die Unvernunft sei, so habe ich freilich nichts mehr zu sagen.

So hat sich Schelling gleich von vornherein mit seinen Potenzen, Übergängen und Entsprechenden so festgefahren, daß aus der Verwirrung von logischem und realem Sein, die er sich vom Halse halten will, nur durch Anerkennung eines andern Gedankenweges, als seines eignen, herauszukommen ist. Doch gehen wir weiter.

Auf diese Weise soll nun die Vernunft den Inhalt alles wirklichen Seins erfassen und eine apriorische Stellung dagegen einnehmen; sie soll nicht beweisen können, daß etwas existiere, sondern, wenn etwas existiere, es so und so beschaffen sein müsse, im Gegensatz zur Hegeischen Behauptung, daß mit dem Gedanken auch die reale Existenz gegeben sei. Diese Sätze sind wieder durchaus verworren. Es ist weder Hegel noch sonst jemand eingefallen, die Existenz irgendeines Dinges ohne empirische Prämissen beweisen zu wollen; er beweist bloß die Notwendigkeit des Existierenden. Schelling faßt die Vernunft hier ebenso abstrakt wie früher Potenz und Aktus und wird dadurch in die Konsequenz gejagt, ihr eine vorweltliche, <190> von aller andern Existenz getrennte Existenz anzuweisen. Die Konsequenz der neueren Philosophie, die Schelling in seiner früheren Philosophie wenigstens in den Prämissen hatte und die erst Feuerbach in ihrer ganzen Schärfe zum Bewußtsein gebracht hat, ist, daß die Vernunft schlechterdings nur als Geist und dieser nur in und mit der Natur existieren könne, nicht aber etwa abgesondert von ihr, Gott weiß wo, ein apartes Leben führt. Dies gibt auch Schelling zu, wenn er als Ziel der individuellen Unsterblichkeit nicht die Befreiung des Geistes von der Natur, sondern erst das rechte Gleichgewicht beider hinstellt; wenn er ferner von Christus sagt, er sei nicht in das All zerflogen, sondern als Mensch zur Rechten Gottes erhoben. (Also müßten die übrigen beiden göttlichen Persönlichkeiten doch wohl im All zerflogen sein?) Existiert nun aber die Vernunft, so ist ihre eigene Existenz der Beweis für die Existenz der Natur. So ist die Notwendigkeit da, daß die Potenz des Seins sogleich in den Aktus des Seins übergehen muß. Oder um an einen ganz alltäglichen, auch ohne Feuerbach und Hegel verständlichen Satz anzuknüpfen: Solange man von aller Existenz abstrahiert, kann überhaupt nicht die Rede von ihr sein. Knüpft man aber an etwas Existierendes an, so kann man von diesem aus allerdings zu andern Dingen fortschreiten, die, wenn alle Schlußfolgerungen richtig waren, ebenfalls existieren müssen. Ist die Existenz der Prämissen zugegeben, so ist die Existenz der Folgerung selbst verstanden, Nun ist die Basis aller Philosophie die Existenz der Vernunft; diese Existenz ist durch ihre Tätigkeit bewiesen (cogito, ergo sum); geht man also von ihr als existierend aus, so folgt die Existenz aller ihrer Konsequenzen von selbst. Daß die Existenz der Vernunft eine Voraussetzung sei, hat noch kein Philosoph geleugnet; will Schelling indes diese Voraussetzung nicht anerkennen, so bleibe er aus der Philosophie ganz heraus. So konnte Hegel allerdings die Existenz der Natur beweisen, d.h. ihre notwendige Konsequenz aus dem Dasein der Vernunft. Schelling aber, der in eine abstrakte und nichtige Immanenz des Denkens hinein will, vergißt, daß allen seinen Operationen die Existenz der Vernunft von selbst zugrunde liegt und stellt die lächerliche Forderung, daß die wirkliche Vernunft unwirkliche, bloß logische Resultate haben, ein wirklicher Apfelbaum nur logische, potentielle Äpfel hervorbringen soll. Einen solchen Apfelbaum pflegt man unfruchtbar zu nennen; Schelling würde sagen: Die unendliche Potenz eines Apfelbaums.

Wenn Hegels Kategorien also nicht nur die Vorbilder, nach denen die Dinge dieser Welt, sondern auch die zeugenden Kräfte, durch die sie geschaffen worden sind, genannt werden, so heißt dies nichts andres, als daß sie den Gedankeninhalt der Welt und ihre notwendige Folge aus dem <191> Dasein der Vernunft aussprechen. Schelling dagegen hält wirklich die Vernunft für etwas, das auch außerhalb des Weltorganismus existieren könne und stellt damit das wahre Reich derselben in die hohle, leere Abstraktion, in den "Aon vor Erschaffung der Welt", der aber glücklicherweise nie dagewesen ist und in dem die Vernunft sich noch weit weniger herumgetrieben oder gar selig gefühlt hat. Es zeigt sich aber hier, wie die Extreme sich berühren; Schelling kann den konkreten Gedanken nicht fassen und treibt ihn in die schwindelndste Abstraktion hinauf, die ihm sogleich wieder als sinnliches Bild erscheint, so daß gerade dies Durcheinander von Abstraktion und Vorstellung das Charakteristische der Schellingschen scholastisch-mystischen Denkweise ist.

Hierfür haben wir wieder neue Beweise, wenn wir uns zur Inhaltsentwicklung der "negativen Philosophie" wenden. Die Potenz des Seins dient zur Basis. Die Karikierung der Hegeischen Dialektik tritt aufs deutlichste hervor. Die Potenz kann übergehen, kann dies aber auch unterlassen, wie es ihr gefällt. So scheiden sich aus der neutralen Potenz in der Retorte der Vernunft die beiden chemischen Bestandteile: Sein und Nichtsein. Wäre es überhaupt möglich, die Potenzenwirtschaft auf die gesunde Vernunft zurückzuführen, so wäre hier der Ort, wo sich ein dialektisches Moment zeigt und Schelling zu ahnen scheint, daß das Wesen der Potenz die Notwendigkeit des Übergangs und die Potenz aus dem Aktus der Wirklichkeit erst abstrahiert sei. Aber nein, er verfängt sich immer tiefer in die einseitige Abstraktion. Er läßt die Potenz zur Probe einmal übergehen und findet den großen Gedanken, daß nach diesem Übergange sie die Chance verscherzt hat, auch nicht überzugehen. Zugleich entdeckt er in der Potenz ein drittes, die Möglichkeit, keins von beiden zu tun und zwischen beiden frei zu schweben. Diese drei Möglichkeiten oder Potenzen sollen allen vernünftigen Inhalt, alles mögliche Sein in sich schließen.

Die Möglichkeit, sein zu können, wird wirkliches Sein. Dadurch wird die zweite Möglichkeit, auch nicht sein zu können, negiert. Wird diese sich wiederherzustellen suchen? Wie kann sie das, denn es ist nicht bloß eine Negation im Hegeischen Sinne, der sie unterliegt, sie ist total vernichtet, auf ein Garnichts reduziert, ein so radikales Nichtsein, wie es nur in einer Philosophie der Möglichkeit vorkommen kann. Woher soll diese ekrasierte, verschlungene, aufgefressene Möglichkeit noch Kraft haben, sich zu restituieren? Denn nicht bloß die zweite Möglichkeit, sondern sogar die Urpotenz, das Subjekt, dessen bloßes Prädikat jene zweite Möglichkeit ist, wird negiert, und da müßte nicht diese, sondern jene, die Urpotenz, sich zu restituieren suchen. Das aber kann ihre Absicht gar nicht sein - um in <192> Schellings Beschauungsweise zu bleiben denn das mußte sie vorher wissen, daß sie, Aktus werdend, sich selbst als Potenz negieren werde. Eine solche Wiederherstellung kann überhaupt nur stattfinden, wo Personen, nicht Kategorien, sich negieren. Nur ein grenzenloses Mißverständnis, nur eine ungeheure Verballhornisierungswut konnte das Prinzip der Hegeischen Dialektik, das hier offenbar zugrunde liegt, auf eine so gedankenlose Weise entstellen. Wie undialektisch der ganze Prozeß ist, zeigt sich auch so: Wenn die beiden Seiten in der Potenz gleiche Kraft haben, so entscheidet sie sich doch wohl, ohne Anstoß von außen, gar nicht zum Ubergange und bleibt. Dann freilich fände der ganze Prozeß nicht statt, und Schelling wüßte keinen Rat, woher er die Prototypen der Welt, des Geistes und der christlichen Dreieinigkeit holen sollte. So sieht man die Notwendigkeit des Ganzen nicht ein, es bleibt dunkel, weshalb die Potenz ihren schönen potentiellen Frieden fahrenläßt, sich dem Sein unterwirft usw., und der ganze Prozeß ruht von vornherein auf einer Willkürlichkeit. Wenn das im "notwendigen" Denken geschieht, was wird im "freien" Denken erst kommen! Das ist's aber, dieser Übergang muß willkürlich bleiben, denn sondt erkennte Schelling ja die Notwendigkeit der Welt an, und diese paßt nicht in seinen Positivismus. Hier liegt aber wieder ein Beweis dafür, daß Potenz nur Potenz als Aktus, dagegen ohne Aktus ein hohles, leeres Unding ist, mit dem sich Schelling selbst nicht zufrieden geben kann. Denn an der leeren Potenz hat er keinen Inhalt; dieser tritt erst ein, wenn sie Aktus wird, und so muß er die Unwahrheit des Gegensatzes von Potenz und Aktus wider Willen anerkennen.

Kommen wir noch einmal auf die zweite Potenz zurück, aus der Schelling das wunderbarste Wesen macht. Wir haben oben gesehen, wie sie negiert, auf nichts reduziert wurde. Jetzt sagt Schelling weiter: Da die erste das Seinkönnende ist, so ist sie sein Gegenteil, alles, nur nicht das Seinkönnende, also das ganz reine Seiende, actus purus! Dieser muß nun aber auch schon in der Urpotenz gelegen haben, aber wie kommt er hinein? Wie wird jenes "dem Sein abgewandte, zum Nichtsein sich neigende" usw. auf einmal das ganz reine Sein, wie unterscheidet sich das "reine Sein" vom "schrankenlosen Sein", warum gibt es für das Nichtseinkönnende keine andre Möglichkeit, als das Seiende zu sein? Darauf erhalten wir keine Antwort. Statt dessen wird uns versichert, daß diese zweite Potenz die erste, schrankenlos gewordene, ins Können zurückführt, sich dadurch restituiert und zugleich - vernichtet. Das begreife einer! Ferner ist dieser Reduktionsprozeß in seinen Stufen fixiert in den Stufen der Natur. Daß dabei die Natur herauskommen soll, sieht keiner ein. Weshalb ist denn z.B. das <193> schrankenlose Sein die Hyle? Weil Schelling von vornherein an diese Hyle gedacht, auf sie losgearbeitet hat, sonst könnte dieses Sein auch alles andre zum sinnlichen oder geistigen Inhalt haben. Daß die Naturstufen als Potenzen zu fassen sind, ist auch nicht einzusehen. Auf diese Weise müßte das Toteste, Anorganische das am meisten Seiende, das Organische das mehr Seinkönnende sein; man kann dies aber nur als mystisches Bild ansehen, in dem aller Gedankeninhalt untergegangen ist.

Statt nun die dritte Potenz, den Geist - denn auf diesen sieht man Schelling schon wieder von weitem losarbeiten - als die höchste quantitative Stufe der durch die zweite überwundenen ersten, worin zugleich eine qualitative Änderung vorgeht, zu begreifen, weiß Schelling wieder nicht Rat, woher er sie holen soll. "Die Wissenschaft sieht sich nach einem dritten um." "Hier kann nun nicht stehengeblieben werden." "Es muß an die Stelle des durch die zweite Potenz überwundenen Seins ein drittes gesetzt werden." Das sind die Zauberfloskeln, mit denen er den Geist beschwört. Wie dieser durch generatio primitiva1 hereingekommene Geist beschaffen sei, wird uns nun gelehrt. Denken wir an die Natur, so ist es allerdings einleuchtend, daß nach den gegebenen Prämissen der Geist als das sich selbst besitzende Seinkönnen (nicht bloßes Können) zu fassen sei, was freilich schon schlimm genug ist; abstrahieren wir aber von dieser erst zukünftigen und vielleicht gar nicht einmal kommenden Natur, bleiben wir bei den reinen Potenzen, so ist nicht mit aller Mühe einzusehen, daß die durch die zweite ins Seinkönnen zurückgebrachte erste etwas andres sein könne als die Urpotenz. Schelling hat bei Hegel wohl die Tiefe der durch die Negation und den Gegensatz hindurchgegangenen Vermittlung geahnt, aber nachmachen kann er's nicht. Bei ihm sind zwei einander gleichgültige Dinge, von denen eins das andere verdrängt, worauf das zweite seinen Platz wiedererobert und das erste auf seinen ursprünglichen Ort zurücktreibt. Daß dabei etwas andres herauskommen soll als der anfängliche Zustand, ist unmöglich. Zudem, wenn das erste stark genug ist, das zweite zu verdrängen, woher kommt dem zweiten auf einmal die Kraft, nach einer verunglückten Defensive die Offensive zu ergreifen und das erste zu verjagen? Von der unglücklichen Definition des Geistes will ich gar nicht sprechen; sie widerlegt sich selbst und den ganzen Prozeß, dessen Resultat sie ist.

So hätten wir uns denn glücklich durch diesen sogenannten Entwicklungsprozeß durchgearbeitet und könnten gleich zu andern Dingen über

1 Urzeugung

13 Marx/Engels, Werke, EB 2 <194> gehen, wenn uns nicht Schelling, nachdem der Geist das letzte war, der alles beschloß, eine andre, intellektuelle Welt in Aussicht stellte, als deren Schlußstein er uns die Idee nennt. Wie Schelling nun nach der konkreten Natur und dem lebendigen Geiste noch die abstrakte Idee (in dieser Stellung kann sie allerdings nur abstrakt sein) herausbekommen kann, ist allerdings unbegreiflich, und Schelling hätte dies rechtfertigen müssen, da er die Stellung der Hegeischen Idee gegen diese doch verwirft. Er kommt aber hierzu durch die Sucht, das Absolute platterdings am Ende der Philosophie haben zu wollen, und dadurch, daß er nicht begriff, wie Hegel dies auch wirklich geleistet hat. Das Absolute aber ist der sich selbst wissende Geist und das wird auch wohl Schellings Idee sein; dieser aber soll nach Schelling am Ende der negativen Philosophie Postulat sein. Da ist aber wieder ein Widerspruch. Die Geschichte kann nicht in sie hineinfallen, da sie mit der Wirklichkeit nichts zu schaffen hat; auf der andern Seite ist sie Geistesphilosophie, und deren Krone ist doch die Philosophie der Weltgeschichte; auch soll die negative Wissenschaft "jene letzte Möglichkeit eines mit Bewußtsein vorgehenden Prozesses (der doch nur die Geschichte sein kann) erschöpfen". Wie sieht es nun damit aus? Soviel ist gewiß, daß, wenn Schelling eine Geschichtsphilosophie hätte, der sich wissende Geist ihm nicht als Postulat, sondern als Resultat erscheinen würde. Der sich wissende Geist ist aber noch lange nicht der Begriff des persönlichen Gottes, wie Schelling das von der Idee behauptet.

Nachdem Schelling dies absolviert hatte, behauptete er, diese eben dargestellte Wissenschaft in ihrem Zusammenhange zu geben, sei sein Bemühen vor vierzig Jahren gewesen. Die Identitätsphilosophie habe nur diese negative Philosophie sein wollen. Ihre langsame, allmähliche Erhebung über Fichte sei wenigstens teilweise absichtlich gewesen; "er habe alle schroffen Übergänge vermeiden, die Stetigkeit der philosophischen Entwicklung beibehalten wollen und sich sogar mit der Hoffnung geschmeichelt, vielleicht später einmal Fichte selbst auf seine Seite zu ziehen". Man müßte die obige Aussage Hegels und die geringe Selbstkenntnis Schellings nicht kennen. Das Subjekt, das in der Identitätsphilosophie allen positiven Inhalt in sich aufnahm, wird jetzt für die Potenz erklärt. Schon in ihr sollen die Stufen der Natur gegen die jedesmal höheren relativ Seiende, die höheren selbst Seinkönnende und gegen ihre höheren wieder relativ Seiende sein, so daß, was dort Subjekt und Objekt, hier Seinkönnen- des und Seiendes heißt, bis zuletzt das nicht mehr relativ Seiende, das absolut "Überseiende", die Identität, nicht mehr die bloße Indifferenz, von Denken und Sein, von Potenz und Aktus, Subjekt und Objekt heraus <195> kommt. Alles in ihr sei aber "in Voraussetzung der reinen Vernunftwissenschaft" gesagt worden, und der schlimmste Mißverstand sei der gewesen, daß man das Ganze für einen nicht bloß logischen, sondern auch wirklichen Hergang genommen habe, daß man meinte, sie schlösse von einem an sich wahren Prinzip auf die Wahrheit alles Folgenden. Erst an ihrem Ziel bleibe das sich nicht mehr entäußern Könnende, das Sein in seinem vollen Glänze stehen und sehe Natur und Geist als seinen Thron unter sich, auf den es erhöht worden; jedoch sei dies bei aller Erhabenheit ein bloßes Gedankengebilde und nur durch völlige Umkehr in einen wirklichen Hergang zu verwandeln.

Wir wollen es einstweilen dahingestellt sein lassen, ob diese Darstellung der Identitätsphilosophie nicht den jetzigen Ansichten Schellings akkommodiert ist, ob er vor vierzig Jahren ebensowenig auf die Realität seiner Gedanken gab als jetzt, und ob es nicht besser gewesen wäre, statt vornehmen Schweigens den "größten Mißverstand" mit zwei Worten, wie es leicht geschehen konnte, zu beseitigen; wir wollen gleich zur Beurteilung des Mannes übergehen, der Schellingen "aus seinem Ort verdrärgte", ohne daß dieser bisher "das ihn Negierende wieder negieren konnte".

Hegel, sagt Schelling, hat, während fast alle die Identitätsphilosophie falsch und flach auffaßten, ihren Grundgedanken gerettet und bis zuletzt anerkannt, worüber seine "Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie" Zeugnis geben. Hegel fehlte darin, daß er die Identitätsphilosophie für die absolute Philosophie hielt und nicht anerkannte, daß es Dinge gibt, die über sie hinausgehen. Ihre Grenze war das Seinkönnen; er ging darüber hinaus und zog das Sein in ihren Bereich. Daß er sie zu einem Existential- system machen wollte, war sein Grundfehler. Er glaubte, die Identitätsphilosophie habe das Absolute nicht bloß der Sache, sondern auch der Existenz nach zum Gegenstand gehabt. Indem er die Existenz hineinzieht, fällt er aus der Entwicklung der reinen Vernunft heraus. So ist es konsequent, wenn er seine Wissenschaft mit dem reinen Sein beginnt und damit das Prius der Existenz leugnet. Dadurch kam es, daß er nur immanent war im Nichtimmanenten, denn das Sein ist das im Denken Nichtimmanente. Darauf nun behauptet er, in der Logik das Absolute bewiesen zu haben. So hätte er denn das Absolute zweimal, am Ende der Logik, wo es genau so bestimmt ist wie am Ende der Identitätsphilosophie, und am Ende des ganzen Prozesses. Hier zeigt sich also, daß die Logik nicht als erster Teil der Entwicklung vorausgeschickt werden soll, sondern eben den ganzen Prozeß zu durchdringen hat. Bei Hegel bestimmt sich die Logik als subjektive Wissenschaft, worin das Denken in und mit sich allein ist, vor und außer <196> aller Wirklichkeit. Und doch soll es die wirkliche, reale Idee zu seinem Endpunkt haben. Während die Identitätsphilosophie mit ihrem ersten Schritt in der Natur ist, wirft Hegel die Natur aus der Logik heraus und erklärt sie dadurch für unlogisch. Die abstrakten Begriffe der Hegeischen Logik gehören eben nicht an den Anfang der Philosophie, sie können erst dann eintreten, wenn das Bewußtsein die ganze Natur in sich aufgenommen hat, denn sie sind erst die Abstraktionen aus der Natur. So kann bei Hegel von objektiver Logik nicht die Rede sein, denn da, wo die Natur, das Objekt anfängt, hört gerade die Logik auf. So ist in der Logik die Idee im Werden, aber nur im Gedanken des Philosophen, ihr objektives Leben fängt erst da an, wo sie zum Bewußtsein gekommen ist. Sie ist aber als wirklich existierende schon am Ende der Logik - also kann mit ihr nun doch nicht weiter fortgefahren werden. Denn die Idee, als absolutes Subjekt-Objekt, als ideal-real, ist in sich vollendet und keines Fortschritts mehr fähig; wie kann sie also ins andre, in die Natur, noch übergehen. Hier zeigt es sich schon, daß der reinen Vernunftwissenschaft von einer wirklich existierenden Natur nicht die Rede sein kann. Was die wirklice Existenz betrifft, muß eben der positiven Philosophie vorbehalten bleiben.

Das Verkehrte dieser Darstellung beruht hauptsächlich auf dem naiven Glauben, daß Hegel nicht über den Schellingschen Standpunkt hinausgekommen sei und diesen noch dazu mißverstanden habe. Daß Schelling bei aller Mühe nicht aus der Existenz herauskommen kann, haben wir gesehen, und es bedürfte also eigentlich keiner Rechtfertigung, daß Hegel diesen Anspruch der abstrakten Idealität nicht machte. Könnte Schelling auch in der reinen Potenz verharren, so müßte ihm seine eigene Existenz beweisen, daß die Potenz übergegangen ist, also alle Konsequenzen des bloß logischen Seins jetzt in das Reale fallen und das "Absolute" somit existiert. Was will er nun weiter mit der positiven Philosophie? Folgt aus der logischen Welt das logische Absolute, so folgt doch aus der existierenden Welt das existierende Absolute. Daß Schelling sich hierbei aber nicht begnügen kann, sondern nun noch eine positive Glaubensphilosophie annimmt, zeigt, wie sehr die empirische, außerweltliche Existenz des Absoluten aller Vernunft widerspricht, und wie sehr Schelling selbst dies empfindet. Weil nun Schelling die Hegeische Idee, die unendlich hoch über dem Absoluten der Identitätsphilosophie steht, weil sie das ist, was jenes zu sein nur behauptet, auf seinen niedrigen Standpunkt herabziehen will, kann er das Verhältnis der Idee zu Natur und Geist nicht fassen. Schelling stellt sich wieder die Idee als extramundanes Wesen, als persönlichen Gott vor, was Hegeln gar nicht eingefallen ist. Die Realität der Idee ist bei Hegel nichts <197> anderes als - Natur und Geist. Darum hat Hegel das Absolute auch nicht zweimal. Am Ende der Logik ist die Idee als ideal-real, aber eben darum ist sie ja sogleich Natur. Ist sie bloß als Idee ausgesprochen, so ist sie nur ideal, nur logisch existierend. Das ideal-reale, in sich vollendete Absolute ist eben nur die Einheit von Natur und Geist in der Idee. Schelling aber faßt das Absolute immer noch als absolutes Subjekt, denn, ob es vom Inhalt der Objektivität erfüllt ist, bleibt es doch noch Subjekt, ohne Objekt zu werden, d.h. ihm ist das Absolute nur in der Vorstellung des persönlichen Gottes real. Er lasse diesen doch aus dem Spiel und halte sich an die reine Gedankenbestimmung, in der es sich nicht um Persönlichkeit handelt. So ist das Absolute nicht real außer Natur und Geist. Wäre es das, so wären diese beiden ja überflüssig. Handelte es sich also in der Logik um die idealen Bestimmungen der Idee, als realer in Natur und Geist, so handelt es sich nun um diese Realität selbst, um den Nachweis dieser Bestimmungen in der Existenz, welcher die letzte Probe und zugleich die höchste Stufe der Philosophie ist. So ist aus der Logik allerdings ein Fortschritt nicht nur möglich, sondern notwendig, und eben dieser Fortschritt kehrt im selbstbewußten, unendlichen Geist zur Idee zurück. So zeigt sich die Nichtigkeit der Schellingschen Behauptungen: Hegel erkläre die Natur für unlogisch (wofür übrigens Schelling einmal die ganze Welt erklärt), seine Logik, die notwendige, selbsttätige Entwicklung des Gedankens sei "subjektive Wissenschaft, und die objektive Logik könne gar nicht stattfinden, da dies die Naturphilosophie sei und diese aus der Logik geworfen". Als ob die Objektivität der Wissenschaft darin bestände, daß sie ein äußerliches Objekt als solches betrachtet! Nennt Schelling die Logik subjektiv, so ist kein Grund vorhanden, die Naturphilosophie auch für subjektiv zu erklären, denn dasselbe Subjekt, das hier denkt, denkt auch da, und auf den betrachteten Inhalt kommt es ja nicht an. Hegels objektive Logik aber entwickelt nicht, sie läßt die Gedanken sich selbst entwickeln, und das denkende Subjekt ist als bloßer Zuschauer rein zufällig.

Hierauf knüpft Schelling, zur Geistesphilosophie übergehend, an die Äußerungen an, in denen die Philosophie Hegels mit seinen persönlichen Neigungen und Vorurteilen im Kampfe liegt. Die religions-philosophische Seite des Hegeischen Systems gibt ihm Anlaß, Widersprüche zwischen Prämissen und Folgerung aufzuzeigen, die längst von der junghegelschen Schule aufgedeckt und anerkannt worden sind. So sagt er ganz richtig: So will diese Philosophie christlich sein, wozu sie doch nichts zwingt; bliebe sie auf dem ersten Stand der Vernunftwissenschaft stehen, so hätte sie ihre Wahrheit in sich selbst. - Er schließt seine Bemerkungen dann mit der <198> Anerkennung des Hegeischen Ausspruchs, daß die letzten Formen der Erringung des Absoluten Kunst, Religion und Philosophie seien. Nur müsse, und dies gilt ihm für den dialektischen Punkt dieses Ausspruchs, da Kunst und Religion über die reine Vernunftwissenschaft hinausgingen, diese Philosophie dies auch tun und eine zweite, eine von der bisherigen verschiedene sein. Aber wo sagt denn Hegel dies? Am Ende der "Phänomenologie" , wo er die ganze Logik als zweite Philosophie vor sich hat. Die Phänomenologie war aber - hier tritt gerade das Gegenteil der Schelling- schen Auffassung hervor - nicht reine Vernunftwissenschaft, sondern grade erst der Weg zu ihr, die Erhebung des Empirischen, des sinnlichen Bewußt- seins auf den Standpunkt der reinen Vernunftwissenschaft. Nicht das logische, sondern das phänomenologische Bewußtsein findet diese drei als letzte "Möglichkeiten, sich der Existenz des absolut Uberseienden zu versichern", vor sich. Das logische, freie Bewußtsein sieht ganz andre Dinge, um die wir uns vorläufig indes noch nicht zu bekümmern haben, es hat das Absolute schon in sich.

So wäre der schwere Schritt getan, der Abfall von der reinen Vernunft offen ausgesprochen. Schelling ist seit den Scholastikern der erste, der diesen Schritt wagt; denn Jacobi und seinesgleichen zählen nicht, weil sie nur einzelne Seiten ihrer Zeit, nie ihre Ganzheit vertraten. Zum ersten Male seit fünfhundert Jahren tritt ein Heros der Wissenschaft auf und erklärt diese für die Magd des Glaubens. Er hat es getan - die Folgen fallen auf ihn. Uns kann es nur freuen, daß der Mann, der ein Träger seiner Zeit war wie keiner, in dem sein Jahrhundert zum Selbstbewußtsein kam, daß dieser Mann auch von Schelling für die höchste Blüte der Vernunftwissenschaft erklärt wird. Wer an die Allmacht der Vernunft glaubt, nehme sich dies Zeugnis eines Feindes zu Herzen.

Schelling schildert die positive Philosophie folgendermaßen: Sie ist von der negativen ganz unabhängig und kann nicht mit dem Ende dieser als einem Existierenden anfangen, sondern muß die Existenz erst selbst erweisen. Das Ende der negativen ist in der positiven nicht Prinzip, sondern Aufgabe; der Anfang der positiven ist durch sich selber absolut. Die Einheit beider ist nie vorhanden gewesen und war weder durch Unterdrückung einer, noch durch Vermischung beider zu erlangen. Es läßt sich nachweisen, daß beide von jeher im Widerstreite miteinander waren. (Hier folgt der Versuch eines solchen Nachweises von Sokrates bis zu Kant, in welchem Empirismus und Apriorismus wieder scharf getrennt seien. Wir müssen diesen übergehen, da er ganz ohne alle Resultate bleibt.) Nun ist die positive Philosophie aber nicht reiner Empirismus, am wenigsten aber solcher, der <199> sich auf innere, mystisch-theosophische Erfahrung basiert, sondern sie hat ihr Prinzip in dem, was weder im bloßen Denken ist, noch in der Erfahrung vorkommt, also im absolut Transzendenten, was über alle Erfahrung und alles Denken hinausgeht und beiden zuvorkommt. Daher muß der Anfang nicht relatives Prius sein, wie im reinen Denken, wo die Potenz den Übergang vor sich hat, sondern absolutes Prius, so daß nicht vom Begriff zum Sein, sondern vom Sein zum Begriffe fortgeschritten wird. Dieser Übergang ist nicht notwendig, wie der erste, sondern Folge einer freien, das Sein überwindenden Tat, die a posteriori durch die Empirie erwiesen wird. Denn wenn es der negativen Philosophie, die auf logischer Konsequenz beruht, gleichgültig sein kann, ob es eine Welt gibt und ob diese mit ihrer Konstruktion übereinstimmt, so schreitet die positive durch freies Denken fort und muß so ihre Bestätigung in der Erfahrung haben, mit der sie gleichen Schritt zu halten hat. Ist die negative Philosophie reiner Apriorismus, so ist die positive apriorischer Empirismus. Weil in ihr ein freies, d. h. wollendes Denken vorausgesetzt wird, so sind ihre Beweise auch nur für die Wollenden und "Klugen"; man muß sie nicht nur verstehen, sondern ihre Kraft auch fühlen wollen. Befindet sich unter den Erfahrungsgegenständen etwa auch die Offenbarung, so gehört sie dieser ebenso zu wie der Natur und Menschheit, und hat daher für diese keine andere Autorität wie für alles übrige; wie z.B. für die Astronomie die Planetenbewegungen allerdings Autoritäten sind, mit denen die Berechnungen übereinzustimmen haben. Sagt man, die Philosophie wäre ohne die vorhergegangene Offenbarung nicht zu diesem Resultate gekommen, so hat dies allerdings in etwas seine Richtigkeit, aber jetzt kann die Philosophie es auch allein; wie es Leute gibt, die kleine Fixsterne, nachdem sie sie einmal durch das Teleskop erkannt haben, nachher auch mit bloßen Augen entdecken können und somit nicht mehr vom Teleskop abhängig sind. Die Philosophie muß das Christentum, das ebensogut Realität ist wie Natur und Geist, in sich aufnehmen, aber nicht allein eine Offenbarung, sondern die innere Notwendigkeit der bloß logischen Philosophie zwingt diese, über sich selbst hinauszugehen. Die negative bringt alles zur bloßen Erkennbarkeit und gibt es dann an die andern Wissenschaften ab, nur das eine letzte kann sie nicht dahin bringen, und doch ist dies das am meisten Erkennenswerte; dies also muß sie in einer neuen Philosophie wieder aufnehmen, die die Aufgabe hat, eben dies letzte als Existierendes zu erweisen. So wird die negative erst Philosophie in Beziehung auf die positive. Wäre die negative allein, so hätte sie kein reales Resultat, und die Vernunft wäre nichtig, in der positiven triumphiert sie; in ihr wird die in der negativen gebeugte Vernunft wieder aufgerichtet.

<200> Ich brauche zur Erläuterung dieser Schellmgschen Sätze wohl nichts zu sagen, sie erklären sich von selbst. Aber vergleichen wir sie mit den Versprechungen, die Schelling am Anfange gab, welch ein Abstand zeigt sich da! Die Philosophie sollte revolutioniert werden, eine Lehre sollte sich entwickeln, die der Negation der letzten Jahre ein Ende machen werde, die Versöhnung von Glauben und Wissen war im Anzüge, und was kommt endlich heraus? Eine Lehre, die weder in sich selbst, noch in etwas anderem, Erwiesenem, ihren Grund hat. Hier stützt sie sich auf ein von aller logischen Notwendigkeit befreites, d.h. willkürliches, nichtiges Denken, und dort auf das, dessen Realität eben in Frage gestellt, dessen Behauptungen eben bestritten werden, auf die Offenbarung. Eine naive Forderung, daß man, um sich vom Zweifel zu kurieren, eben den Zweifel wegwerfen soll! "Ja, wenn ihr nicht glaubt, so kann euch nicht geholfen werden!" Was wollte denn Schelling hier in Berlin? Er hätte statt seines positiven Schatzes eine Widerlegung von Strauß' "Leben Jesu", von Feuerbachs "Wesen des Christenthums" usw. mitbringen sollen, da hätte er noch Geschäfte machen können; aber so bleiben die Hegelianer lieber in der bekannten "Sackgasse" stecken, als daß sie sich ihm "auf Gnade und Ungnade übergeben"; und die positiven Theologen werden auch lieber wie bisher aus der Offenbarung heraus als in sie hinein arbeiten. Hierzu paßt denn auch das seit Neujahr täglich wiederholte Geständnis, er wolle keinen Beweis des Christentums, auch keine spekulative Dogmatik, sondern nur einen Beitrag zur Erklärung des Christentums geben. Mit der Notwendigkeit der negativen Philosophie, über sich selbst hinauszugehen, ist es auch nicht weit her, wie wir gesehen haben. Führt die Voraussetzung des Übergangs a potentia ad actum notwendig auf den nur von dieser Voraussetzung abhängigen logischen Gott, so führt der durch die Erfahrung bewiesene wirkliche Übergang auch auf den wirklichen Gott, und die positive Wissenschaft ist überflüssig.

Den Übergang zur positiven Philosophie nimmt Schelling vom ontologischen Beweise für das Dasein Gottes. Gott kann nicht zufällig existieren, also "wenn er existiert", existiert er notwendig. Dieser Zwischensatz in die Lücke des Schlusses ist ganz richtig. So kann Gott nur das an und vor sich selbst (nicht für sich; - Schelling ist so erbost auf Hegel, daß er selbst seine Ausdrücke als sprachwidrig tadeln und verbessern zu müssen glaubt) Seiende sein, d.h. er existiert vor sich selbst, vor seiner Gottheit. So ist er das geradezu vor allem Denken Blindseiende. Da es nun aber zweifelhaft ist, ob er existiert, so müssen wir vom Blindseienden ausgehen und sehen, ob wir vielleicht von da zum Begriffe Gottes gelangen können. Wenn also <201> in der negativen Philosophie das allem Sein zuvorkommende Denken, so ist in der positiven das edlem Denken zuvorkommende Sein Prinzip. Dieses blinde Sein ist das notwendige Sein; Gott ist aber nicht dies, sondern das notwendig "Notwendigseiende"; das notwendige Sein ist allein das Sein- können des höchsten Wesens. Dies Blindseiende ist nun das, was keiner Begründung bedarf, weil es allem Denken zuvorkommt. So fängt die positive Philosophie mit dem ganz Begrifflosen an, um es a posteriori, als Gott, begreiflich und zum immanenten Inhalt der Vernunft zu machen. Diese ist hier erst frei und dem notwendigen Denken entkommen.

Dieses "Blindseiende" ist die Hyle, die ewige Materie früherer Philosophie. Daß diese sich zu Gott entwickelt, ist wenigstens neu. Bisher war sie immer das Gott entgegengesetzte, dualistische Prinzip. Doch sehen wir weiter den Inhalt der positiven Philosophie an.

Dieses Blindseiende, das auch das "unvordenkliche Sein" genannt werden kann, ist purus actus der Existenz und die Identität von Wesen und Sein (was von Gott als Aseität ausgesagt wird). Dies aber scheint nicht als Basis eines Prozesses dienen zu können, da ihm alle bewegende Kraft fehlt und diese nur in der Potenz liegt. Aber warum sollte dem actus purus die Möglichkeit abgeschnitten sein, hintennach auch Potenz werden zu können; die Konsequenz, daß das Seinseiende nicht auch post actum das Sein- könnende sei, ist nicht da. Dem unvordenklichen Sein kann sich - dem steht nichts entgegen - nach der Hand die Möglichkeit darstellen, ein zweites Sein aus sich hervorgehen zu lassen. Hierdurch wird das blinde Sein Potenz, denn es bekommt etwas, das es wollen kann, und wird so Herr seines eigenen blinden Seins. Entläßt es dies zweite Sein, so ist das erste blinde Sein nur potentia actus purus und somit sich selbst besitzendes Sein (doch ist dies alles erst Hypothese, die sich durch den Erfolg zu beweisen hat), es wird durch Unterscheidung von jenem erst seiner selbst bewußt als des seiner Natur nach notwendigen; das blinde Sein erscheint als zufällig, weil nicht vorhergesehen, und hat sich so durch Überwindung seines Gegenteils als notwendig zu erweisen. Dies ist der letzte Grund des ihm entgegentretenden Seins und somit der letzte Grund der Welt. Das Gesetz, daß alles klar werde und nichts verborgen bleibe, ist das höchste Gesetz edles Seins, zwar kein Gesetz, das über Gott steht, sondern ein solches, das ihn erst in Freiheit setzt, also schon selbst ein göttliches. Dieses große Weltgesetz, diese Weltdialektik will eben nicht, daß etwas Unentschiedenes sei. Nur sie kann die großen Rätsel lösen. Ja, Gott ist so gerecht, daß er jenes entgegengesetzte Prinzip anerkennt bis zum Ende und bis aller Widerspruch erschöpft ist. Alles unfreiwillige, unvordenkliche Sein ist <202> unfrei; der wahre Gott ist der lebendige, der etwas anderes als das Unvordenkliche werden kann. Sonst ist entweder mit Spinoza anzunehmen, daß alles aus der göttlichen Natur notwendig, ohne sein Zutun, emaniere (schlechter Pantheismus), oder daß der Begriff der Schöpfung ein für die Vernunft unfaßbarer sei (schaler Theismus, der den Pantheismus nicht überwinden kann). So wird das unvordenkliche Sein Potenz des entgegengesetzten, und da ihm die Potentialität etwas Unleidliches ist, so wird es notwendig wirken wollen, sich in den actus purus wiederherzustellen. So muß das zweite Sein vom ersten wieder negiert und in die Potenz zurückgeführt werden. So wird es nicht nur Herr der ersten Potenz, sondern auch der zweiten, sein Unvordenkliches in ein Seiendes zu verwandeln und dadurch von sich wegzubringen und so seine ganze Existenz aufzugeben.

In dieser liegt auch sein bisher vom Sein verhülltes Wesen; das reine Sein, das durch den Widerstand eine Potenz in sich bekommen hat, ist nun selbständig als Wesen. So ist dem Herrn der ersten Möglichkeit auch die sregeben, sich als sich selbst zu zeigen, als vom notwendigen Sem frei, als Geist sich zu setzen; denn Geist ist, was frei ist, zu wirken und nicht zu wirken, was im Sein seiner mächtig ist und auch seiend bleibt, wenn es sich nicht äußert. Dies ist aber nicht das unmittelbar Seinkönnende, noch auch das Seinmüssende, sondern das Seinkönnend-Seinmüssende. Diese drei Momente erscheinen dem unvordenklichen Sein als eigentlich seinsollende, so daß außer diesen drei Momenten es nichts andres gibt und alles Zukünftige ausgeschlossen ist.

Der Gedankengang in der positiven Philosophie ist, wie wir sehen, sehr "frei". Schelling hat es hier kein Hehl, daß er bloße Hypothesen macht, die sich erst durch den Erfolg, d. h. durch Übereinstimmung mit der Offenbarung, als richtig zu erweisen haben. Eine Folge dieses freien, wollenden Denkens ist, daß er das "unvordenkliche Sein" gerade so sich benehmen läßt, als wäre es bereits das, was erst daraus entwickelt werden soll, nämlich Gott. Das unvordenkliche Sein kann ja noch gar nicht sehen, wollen, entlassen, zurückführen. Es ist nichts als eine kahle Abstraktion von der Materie, die gerade von allem Persönlichen, Selbstbewußten am weitesten entfernt ist. Es ist durch keine Entwicklung möglich, in diese starre Kategorie Selbstbewußtsein zu bringen, es sei denn, daß sie als Materie gefaßt werde und durch die Natur zum Geist sich entwickle, wie das "schrankenlose Sein" in der negativen, das von diesem nur durch die nichtige Bestimmung der Unvordenklichkeit unterschieden ist. Diese Unvordenklichkeit kann nur zum Materialismus und höchstens zum Pantheismus führen, aber nie zum Monotheismus. Das Wort Cuviers <203> bewährt sich auch hier: "Schelling setzt Metaphern an die Stelle der Beweisgründe und verändert, statt Begriffe zu entwickeln, Bilder und Allegorien nach Bedürfnis."[1043 Zudem sind Entwicklungen, in denen jeder Fortschritt durch: es ist kein Grund vorhanden, daß dies nicht geschehe, die logische Konsequenz fehlt, warum dies nicht möglich sein sollte, usw., zurückgewiesen wird, wenigstens bis jetzt in der Philosophie nicht dagewesen. Auf diese Weise läßt sich auch die chinesische und otaheitische1 Religion aus dem "unvordenklichen Sein" entwickeln, und auch sie bewährt sich dadurch, daß sie ein Faktum ist, so gut wie das Christentum. Was aber das neuentdeckte Weltgesetz, daß alles klar werde, betrifft, so läßt sich nicht leugnen, daß hier wenigstens sehr wenig klar wird und sehr viel verborgen bleibt. Man sieht hier nur die Klarheit des Gedankens in den finstern Abgrund der Phantasterei versinken. Soll jenes Gesetz aber heißen, daß alles wegen seiner Existenz sich vor der Vernunft zu rechtfertigen habe, so ist dies wieder einer der Grundgedanken Hegels und noch dazu von Schelling selbst nicht angewandt. Den Schluß der obigen Darlegung mit seinem Können, Müssen, Sollen dahin zu bringen, daß alles klar werde, wird man wohl noch eine Zeitlang vergeblich sich bemühen. In welchem Verhältnis, fragt sich vor allem, stehen diese drei positiven Potenzen zu den drei negativen? Es wird nur das klar, daß sie jedenfalls zwar seinsollende, aber nicht seinkönnend-seinmüssende Möglichkeiten sind.

Dieser "eingreifendsten" Dialektik, behauptet Schelling, sei es allein möglich, von dem actu Notwendigexistierenden des Spinoza zum natura sua2 Notwendigseienden zu gelangen. Denn nur dies habe er wollen können, da er nicht die Existenz des Göttlichen, sondern nur die Gottheit des Existierenden beweisen wolle (gerade dasselbe tut die junghegelsche Philosophie auch), nämlich die Gottheit des actu ewig, von selbst Seienden. Wer aber beweist uns denn, daß etwas von Ewigkeit existiert? Das actu von selbst Seiende kann nur auf die Ewigkeit der Materie führen, sobald man logisch schließt. Unlogische Schlüsse gelten aber nicht, ob die Offenbarung auch dazu Ja sagt.

"Wollte man einer schwachen Dialektik zufolge sagen: Gott nimmt die Potenz des entgegengesetzten Seins nur an, um die blinde Affirmation seiner Existenz in eine durch Negation vermittelte zu verwandeln, so fragt sich, warum er dies tut? Nicht seiner selbst willen, denn er kennt seine Macht, nur für andre kann er das von ihm verschiedene Sein zum Gegenstand des Wollens machen. In diesem Von-sich-wegsein liegt erst Gottes Wesen, seine Seligkeit, alle seine Gedanken sind nur außer ihm, in der

1 Von Otaheiti, dem früheren Namen der Insel Tahiti -2 seiner Natur nach <204> Schöpfung. So ist es freilich ein Prozeß der Suspension und Wiederherstellung, aber dazwischen liegt die ganze Welt."

Wie lächerlich macht sich hier der Hochmut, mit dem die karikierte, eingreifendste Dialektik auf ihr "schwaches" Urbild herabsieht! Sie hat dies nicht einmal soweit verstanden, daß sie es richtig darstellen kann. Selbst Hegel denkt nach Schelling in dieser vorstellungsmäßigen Weise; Schelling läßt ihn etwa so deduzieren: Hier ist Gott. Dieser schafft die Welt. Sie negiert ihn. Weshalb, weil sie böse ist? Gott bewahre, bloß weil sie da ist. Sie nimmt allen Raum für sich, und Gott, der nicht weiß, wohin, sieht sich genötigt, sie wieder zu negieren. Da müßte er sie freilich vernichten. Die Tiefe aber, nach der die Negation notwendig aus dem erst Ansichseienden hervorgeht, als Entfaltung des innersten Wesens, als die Erweckerin des Bewußtseins, bis sie in ihrer höchsten Tätigkeit sich aus sich selbst wieder negieren muß und das Entwickelte, Beisichbleibende, Freie als Produkt hervorgehen läßt, von der kann Schelling keine Ahnung haben, denn sein Gott ist frei, d.h. willkürlich handelnd.

Gott oder das unvordenkliche Sein hat nun die Welt oder das konträre Sein gesetzt. Diese besteht eben nur im göttlichen Willen und hängt von ihm ab. Sie behufs seiner Wiederherstellung mit einem Schlage zu vernichten, läßt seine Gerechtigkeit nicht zu, denn das Konträre hat nun gewissermaßen ein Recht, einen von Gott unabhängigen Willen. Darum wird es allmählich und nach einem die Stufen des Ganges bestimmenden Prinzip durch die beiden letzten Potenzen zurückgeführt. War also die erste Potenz die veranlassende Ursache der ganzen Bewegung und des konträren Seins, so war die zweite die ex actu gesetzte, die sich in der Überwindung der ersten verwirklichende, die, auf das konträre Sein wirkend, dies der dritten Potenz unterwarf, so daß das konträre Sein als konkretes Ding zwischen die drei Potenzen trat. Diese erweisen sich nun als: causa materialis, ex qua, causa efficiens, per quam, causa finalis, in quam (secundum quam) omnia fiunt1.

Ist nun das unvordenkliche Sein Bedingung der Gottheit, so ist mit der Schöpfung Gott als solcher da, als Herr des Seins, in dessen Macht es steht, jene Möglichkeiten als wirklich zu setzen oder nicht. Er bleibt außerhalb des ganzen Prozesses und geht über jene Trias der Ursachen als causa causarum2 hinaus. Um nun die Welt nicht als Emanation seines Wesens erscheinen zu lassen, stand es bei Gott, alle möglichen Stellungen der Potenzen gegen

1 materielle Ursache, aus der, bewirkende Ursache, durch die, letzte Ursache, nach der (gemäß der) alles geschieht -2 Ursache der Ursachen <205> einander zu versuchen, d.h. die zukünftige Welt wie in einem Gesicht an sich vorübergehen zu lassen. Denn die bloße Allmacht und Allwissenheit vermittelt dies nicht allein, sondern die Werke sind als Visionen des Schöpfers vorhanden. Daher wurde jene Urpotenz, die erste Veranlassung des konträren Seins, immer besonders verherrlicht; sie ist die indische Maja (mit dem deutschen "Macht", Potenz, verwandt), die die Netze des bloß Erscheinenden ausspannt, um den Schöpfer zur wirklichen Schöpfung zu bewegen, sowie die Fortuna primigenia zu Präneste[105].

Ich setze kein Wort hinzu, um den mystischen Schmetterlingsstaub dieser Vision nicht zu verwischen.

Daß Gott nun wirklich schafft, läßt sich a priori nicht beweisen, es erklärt sich aus dem einzigen, bei Gott zulässigen Bedürfnis, erkannt zu sein, das grade den edelsten Naturen am meisten eigen ist. Der Gott der Schöpfung ist nicht der schlechthin Einfache, sondern der in einer Mehrheit Einfache, und da diese Mehrheit (jene Potenzen) eine in sich geschlossene ist, so ist der Schöpfer der AU-Eine, und dies ist Monotheismus. Weil er allem zuvorkommt, so kann er nicht seinesgleichen haben, denn das potenzlose Sein ^ann überhaupt nicht (!). Gott, von dem bloß nebenbei gesagt wird, er sei der Einzige, ist nur der Gott der Theisten; der Monotheismus erfordert die Einzigkeit, ohne die Gott nicht Gott ist, während der Theismus bei der unendlichen Substanz stehenbleibt. Der Fortschritt von hier aus zu dem, der im Verhältnis zu den Dingen als Gott ist, ist der Pantheismus; in ihm sind die Dinge Bestimmungen Gottes. Erst der Monotheismus enthält Gott als wirklichen Gott, als lebendigen, wo die Einheit der Substanz in der Potenz verschwunden ist und eine übersubstantielle Einheit an ihre Stelle trat, so daß Gott der unüberwindliche Eine gegen drei ist. Obgleich mehrere, sind doch nicht mehrere Götter, sondern nur ein Gott, nicht in der Gottheit mehrere. So sind Monotheismus und Pantheismus Fortschritte gegen den Theismus, der der letzte Ausdruck des Absoluten in der negativen Philosophie ist. Im Monotheismus ist der Ubergang zum Christentum, denn die Alleinheit hat ihren bestimmten Ausdruck in der Dreieinigkeit.

Man bemühe sich, diese Dreieinigkeit zu begreifen, wie man will, es bleiben immer drei gegen einen, einer gegen drei. Ist Gott die Einheit von dreien, so kann er dies nur als ein vierter sein, oder es bleiben drei Götter. Ist bloß die Gottheit ihre Einheit, so ist ebensogut die Menschheit die Einheit aller Menschen, und man hat, wie einen Gott, auch nur einen Menschen. Die vielen lassen sich aber ebensowenig wie die drei wegbringen, und es kommt nimmermehr aus drei Personen eine heraus. Der alte Widerspruch <206> der Dreieinigkeit liegt ganz offen da, und man erstaunt über die Kühnheit Schellings, zu behaupten, er sei gelöst. Daß die Dreiheit erst der wahre Ausdruck der Einheit sei, ist wieder aus Hegel entnommen, aber wie gewöhnlich zur baren Inhaltslosigkeit verflacht. Bei Hegel bleibt die Dreiheit eine Stufenfolge von Entwicklungsmomenten des Gottes, wenn man einen solchen einmal bei ihm statuieren will. Hier aber sollen die drei Momente als Persönlichkeiten nebeneinander stehen, und es ist originellerweise behauptet, die wahre Persönlichkeit einer Person sei, daß sie drei Personen sei.

Bis jetzt haben wir indes erst die eine Person, den Vater. Denn wenn ein zuvor Seiendes ein zu ihm Gehöriges von sich wegbringt, so daß dies sich notwendig selbst verwirklicht, so heißt das mit Recht Zeugen. Ist nun in diesem Verwirklichungsprozeß das konträre Sein (B) wirklich überwunden, so ist auch die zweite Potenz Herr desselben, wie die erste, und so die Gottheit des Sohnes gleich der des Vaters. So auch die dritte Potenz, die als das vom Sein freie Wesen erst nach Besiegung des B wieder ins Sein kommen kann; dann aber mit jenen gleiche Herrlichkeit und Persönlichkeit hat und als Geist erscheint. So sind am Ende drei Persönlichkeiten, aber nicht drei Götter, weil das Sein Eines, also auch die Herrlichkeit darüber nur Eine ist (als ob die beiden spartanischen Könige, weil ihre Herrschaft eine war, je nur ein König gewesen seien!). In den Potenzen, während sie in Spannung sind, sehen wir bloß die natürliche Seite des Prozesses ("Spannung" scheint der Prozeß der negativen Philosophie zu sein) als die Entstehung der Welt; mit den Personen eröffnet sich erst die Welt des Göttlichen und die göttliche Bedeutung jenes Prozesses, daß das Sein, ursprünglich als Möglichkeit beim Vater, dem Sohne gegeben und von diesem dem Vater als Überwundenes zurückgegeben wird. Außer dem Sohne ist es auch dem Geiste gegeben von Vater und Sohn, und er hat nur das beiden gemeinschaftliche Sein. Durch die ganze Natur geht die Spannung der Potenzen, und jedes Ding hat ein gewisses Verhältnis derselben. Jedes Entstehende ist ein viertes zwischen den Potenzen, der Mensch aber, in dem sich die Spannung völlig löst, hat schon ein Verhältnis zu den Persönlichkeiten als solchen, denn in ihm drückt sich jener letzte Moment der Verwirklichung aus, in dem die Potenzen zu wirklichen Persönlichkeiten werden. Dieser Prozeß ist also für die Dinge Schöpfungs-, für die Persönlichkeiten theogonischer Prozeß.

So hat uns denn Schelling den persönlichen nicht nur, sondern auch den dreieinigen Gott, Vater, Sohn und Geist, welcher letztere freilich nur mit Mühe untergebracht wurde, sodann die willkürlich geschaffene, von Willkür abhängige, also hohle und nichtige Welt aus dem Abgrunde des <207> unvordenklichen Seins ans Tageslicht gezaubert und hat so die Basis des Christentums. Die Inkonsequenzen, Willkürlichkeiten, kecken Behauptungen, Lücken, Sprünge, Suppositionen, Verwirrungen, die sich Schelling hier zuschulden kommen läßt, einzeln aufzuzeigen, kann meine Absicht nicht sein; war es schon im notwendigen Denken so arg damit, so durfte man im freien auf eine noch größere Verwirrung von Scholastik und Mystik- das ist das Wesen des Neuschellingianismus - rechnen. Weder kann der Leser solche übermenschliche Geduld von mir, noch ich von ihm solches Interesse an der Sache verlangen. Zudem, was auf der Hand liegt, braucht nicht erst aufgedeckt zu werden. Nur im allgemeinen den Gedankengang zu verfolgen, nur aufzuweisen, wie zwischen Hegel und Schelling gerade das Umgekehrte von dein stattfindet, was Schelling behauptet, ist mein Zweck. Jetzt, auf christlichem Boden, können wir die Tatsachen noch mehr sprechen lassen. Zunächst erklärt Schelling seine Unfähigkeit, die Welt zu begreifen, insofern, als er das Böse nicht begreifen kann. Der Mensch habe in Gott bleiben können und auch nicht, daß er es nicht getan habe, sei freier Wille von seiner Seite gewesen. Er habe sich dadurch an Gottes Statt gesetzt und da, wo alles geordnet schien, alles nochmals aufs Spiel gesetzt. Die Welt sei, von Gott getrennt, der Äußerlichkeit preisgegeben worden, das Moment habe seine Stellung als solches verloren. Der Vater sei "gleichsam" aus seiner Stelle verdrängt (später wird das Gleichsam ausgelassen).

Noch immer sei aber die christliche Dreieinigkeit nicht da, der eigne, vom Vater unabhängige Wille des Sohns noch nicht ausgesprochen. Jetzt aber tritt am Ende der Schöpfung etwas Neues ein, das im Menschen sich selbst besitzende B. In seiner Wahl liegt es, mit Gott Eins zu sein oder nicht. Er will nicht und drängt dadurch die höhere Potenz in die Potentialität zurück, die nun erst, durch den Willen des Menschen vom Vater getrennt, ebensosehr des Menschen Sohn wie Gottes Sohn ist (dies die Bedeutung des neutestamentlichen Ausdrucks) und ein göttlich-außer- göttliches Sein hat. Jetzt kann sie dem Sein in die Außergöttlichkeit folgen und es zu Gott zurückführen. Der Vater ist der Welt nun abgewandt und wirkt in ihr nicht mehr mit seinem Willen, sondern mit seinem Unwillen (dies die wahre Bedeutung des Zornes Gottes). So hat der Vater auch nicht die böse Welt vernichtet, sondern im Hinblick auf den Sohn erhalten, wie geschrieben steht. In ihm, d. h. im Hinblick auf ihn, sind alle Dinge gemacht. So haben wir hier zwei Zeiten, den Äon des Vaters, wo das Sein (die Welt) noch als Potenz im Vater lag und der Sohn noch nicht selbständig war, und den Äon des Sohns, die Zeit der Welt, deren Geschichte <208> die des Sohns ist. Diese Zeit hat wieder zwei Abschnitte; im ersten ist der Mensch ganz in der Gewalt des konträren Seins, des B, der kosmischen Potenzen. Hier ist der Sohn im Stande der Negation, des tiefsten Leidens, der Passivität, vom Sein (d. h. von der Welt) vorerst ausgeschlossen, unfrei, außer dem menschlichen Bewußtsein. Zur Eroberung des Seins kann sie nur auf natürliche Weise wirken. Dies ist die Zeit des alten Bundes, wo der Sohn nicht seinem Willen, sondern seiner Natur nach die Herrschaft des Seins anstrebt. Diese Bedeutung jener Zeit fehlte bisher in der Wissenschaft, dies hatte noch niemand. Es ist aufs bestimmteste im Alten Testament angedeutet, namentlich im 53. Kapitel des Jesaias, wo von einem gegenwärtigen Leiden des Messias die Rede ist. Erst mit der Erstarkung der zweiten Potenz, mit der errungenen Herrschaft über das Sein beginnt die zweite Zeit, wo sie frei und mit Willen handelt. Dies ist die Zeit ihres Erscheinens in Christo, die der Offenbarung. Dies ist der Schlüssel des Christentums, mit diesem Ariadnefaden ist es möglich, "sich durch das Labyrinth meiner Gedankenwege zu finden". - Durch die Empörung des Menschen werden die durch Uberwindung des B in der Schöpfung entstandenen Persönlichkeiten wieder zu bloßen Möglichkeiten, in die Potentialität zurückgedrängt und vom Bewußtsein ausgeschlossen, außergöttlich gesetzt. Hier ist nun die Ursache eines neuen Prozesses, der im Bewußtsein des Menschen vor sich geht und von dem die Gottheit ausgeschlossen ist, denn in ihrer Spannung sind die Potenzen außergöttlich. Dieser Prozeß der Unterwerfung des Bewußtseins unter die Herrschaft der Potenzen ist im Heidentum als mythologische Entwicklung vor sich gegangen. Die tiefere geschichtliche Voraussetzung der Offenbarung ist die Mythologie. Wir haben nun in der Philosophie der Mythologie die einzelnen Potenzen im mythologischen Bewußtsein nachzuweisen und das Bewußtsein darüber in den griechischen Mysterien.

Es fragt sich, ob der hier von Schelling behauptete Einfluß des Menschen auf die Selbstentwicklung Gottes - denn nur so kann dies genannt werden christlich ist? Der christliche Gott aber ist ein von Ewigkeit fertiger, dessen Ruhe selbst durch das temporäre Erdenleben des Sohns keine Veränderung erleidet. Überhaupt endigt die Schöpfung nach Schelling auf eine schmähliche Weise. Das Kartenhaus der "Mittelpotenzen, der relativ Seienden und Seinkönnenden", ist kaum aufgebaut, die drei Potenzen stehen auf dem Punkte, Persönlichkeiten zu werden - da macht der dumme Mensch einen leichtsinnigen Streich, und die ganze künstliche Architektonik stürzt übereinander, Und die Potenzen bleiben Potenzen wie bisher. Es ist gerade wie in dem Märchen, wo ein Schatz, von hellglänzenden Geister- <209> gestalten umgeben, aus der Tiefe beschworen wird; schon am Rande des Abgrundes schwebt das Ersehnte empor - da wird ein unbesonnenes Wort gesprochen, die Gestalten zerrinnen, der Schatz sinkt hinab und für immer schließt ihn die Tiefe ein. Der Schellingsche Gott hätte seine Sache auch etwas klüger machen können, da hätte er sich viele Mühe und uns die Philosophie der Offenbarung erspart. Die Blüte der Schellingschen Mystik entwickelt sich aber hier in dem Leidenszustande des Sohns. Dieses dunkle, geheimnisvolle Verhältnis göttlicher Außergöttlichkeit, bewußter Bewußtlosigkeit, tätiger Untätigkeit, willenlosen Willens, diese Überstürzung sich drängender Widersprüche ist für Schelling allerdings eine unschätzbare Fundgrube von Konsequenzen, denn daraus läßt sich alles ableiten. Noch unklarer ist das Verhältnis dieser Potenz zum Bewußtsein des Menschen. Hier wirken alle Potenzen als kosmische, natürliche, aber wie? Was sind kosmische Potenzen? Kein einziger Schüler Schellings, er selbst nicht, kann hierauf eine vernünftige Antwort geben. Es ist dies eben wieder eine der verworrenen, mystischen Denkbestimmungen, zu denen er seine Zuflucht nehmen muß, um selbst "mit freiem, wollendem Denken" zur Offenbarung zu gelangen. "Die mythologischen Vorstellungen lassen sich nicht anders erklären denn als notwendiges Erzeugnis des in die Gewalt der kosmischen Potenzen geratenen Bewußtseins." Die kosmischen Potenzen sind aber die in ihrer Spannung befindlichen göttlichen Potenzen, das Göttliche als Nichtgöttliches. Hierdurch soll denn auch der Bezug der Mythologie auf die Natur erklärt, hierdurch vollkommen neue Tatsachen und eine Ausfüllung des vorgeschichtlichen Zeitraums der Menschheit, nämlich durch die "ungeheuren Erregungen des Gemüts bei Erzeugung der Göttervorstellungen", gewonnen sein.

Wir können uns die Darstellung der "Philosophie der Mythologie" ersparen, da sie nicht unmittelbar in die Philosophie der Offenbarung gehört und außerdem Schelling im nächsten Semester sie ausführlicher vortragen wird. Dieser Teil der Vorlesungen war übrigens bei weitem der beste und enthält manches, das, wenn es von der mystischen, entstellenden Anschauungsweise befreit wird, auch der nicht verwerfen dürfte, der diese Phasen des Bewußtseins vom freien, rein menschlichen Standpunkte betrachtet. Es fragt sich nur, inwiefern eben dies Schellings Eigentum ist und ob es überhaupt nicht von Stuhr herrührt. Das Verkehrte der Schelling- schen Darstellung liegt hauptsächlich darin, daß er den mythologischen Prozeß nicht als freie Selbstentwicklung des Bewußtseins innerhalb der weltgeschichtlichen Notwendigkeit faßt, sondern immer übermenschliche Prinzipien und Kräfte wirken läßt, und zwar auf die verworrenste Weise, <210> so daß diese Potenzen zugleich die "Substanz des Bewußtseins" und doch wieder etwas mehr sind. Zu solchen Mitteln muß man sich freilich entschließen, wenn einmal absolut übermenschliche Einflüsse statuiert werden. So gebe ich Schelling seine Hauptresultate der Mythologie in Beziehung aufs Christentum gern zu, nur in andrer Weise, indem ich beide Erscheinungen nicht als dem Bewußtsein von außen her beigebracht, übernatürlich, sondern als innerste Produkte des Bewußtseins, als rein menschlich und natürlich fasse.

Wir kommen also jetzt endlich bei der durch die Mythologie vorbereiteten Offenbarung an. Diese ist das ganze Christentum. Darum hat die Philosophie derselben sich nicht um Dogmatik usw. zu bekümmern; sie will selbst keine Lehre aufstellen, sondern nur das historische Faktum des Christentums erklären. Wir werden indes sehen, wie allmählich die ganze Dogmatik herauskommt. Wir werden sehen, wie Schelling "das Christentum nur als Tatsache, wie das Heidentum auch" betrachtet. Die Tatsachen des Heidentums nahm er nicht, wie sie sich gaben, als wahr, z.B. Dionysos nicht als wirklichen Gott; die des Christentums dagegen sind ihm absolut, wenn Christus sich für den Messias erklärt, wenn Paulus dies oder jenes behauptet, so glaubt ihm Schelling unbedingt. Die mythologischen Tatsachen erklärte Schelling, wenigstens auf seine Weise, die des Christentums behauptet er. Und bei alledem schmeichelt er sich, "die Liebe der Jugend durch seine Geradheit und Offenheit erworben zu haben, und nicht nur die Liebe, sondern auch die Begeisterung".

Um nun die Offenbarung zu erklären, knüpft er an die Stelle Pauli im Philipperbriefe, Kap. 2, 6-8 an, die ich hier ausschreibe.

"Christus, ob er wohl in göttlicher Gestalt war (iv poQqnjfteov1), hielt er es nicht für einen Raub (ägitayfia2), Gott gleich sein, sondern [entläußerte (ixevcaoe3) sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward gleichwie ein andrer Mensch, an Gebärden wie ein Mensch erfunden; er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz."

Ohne mich in die weitläufigen exegetischen Untersuchungen einzulassen, mit denen Schelling seine philosophische Erklärung begleitete, will ich hier bloß die von Paulus erzählte Tatsache in Schellingscher Weise erzählen. Christus war in seinem Leidenszustande allmählich Herr des Bewußtseins geworden durch den mythologischen Prozeß. Unabhängig vom Vater, besaß er eine eigne Welt und konnte mit ihr schalten, wie er wollte. Er war der Gott der Welt, aber nicht der absolute Gott. Er konnte

1 en morphe theoy -2 harpagma -3 ekenöse <211> in diesem außergöttlich-göttlichen Zustande beharren. Dies nennt Paulus: in göttlicher Gestalt, £v ßOQffj &eov, sein. Aber er wollte dies nicht. Er wurde Mensch, entäußerte sich dieser seiner Herrlichkeit, um sie dem Vater zu übergeben und so die Welt mit Gott zu vereinigen. Hätte er dies nicht getan, so war für die Welt keine Möglichkeit mehr da, mit Gott sich zu vereinigen. Dies ist die wahre Bedeutung des Gehorsams Christi. In diesem Sinne ist auch die Versuchungsgeschichte zu erklären. Der Widersacher, das blinde kosmische Prinzip, ist so weit gebracht, daß er Christo sein Reich anbietet, wenn er ihn anbeten, d.h. selbst kosmische Potenz, iv fJLOQtpfj &sov, bleiben wolle. Christus aber schlägt diese Möglichkeit aus und unterwirft sein Sein dem Vater, indem er es zum kreatürlichen macht und Mensch wird.

"Gott behüte mich, daß ich philosophische Lehren als christlich deduziere, von denen das Christentum nichts weiß", schloß Schelling diese Deduktion. Uber die Christlichkeit dieser Lehren zu streiten, wäre Luxus, denn wäre diese auch erwiesen, so wäre ja damit für Schelling noch nichts gewonnen. Meiner Ansicht nach widerstreiten sie aber der ganzen Grundanschauungsweise des Christentums. Es ist keine Kunst, aus einzelnen Bibelstellen das Abnormste zu beweisen, aber darauf kann es ja gar nicht ankommen. Das Christentum ist bald zweitausend Jahre alt und hat Zeit genug gehabt, zu sich selbst zu kommen. Der Inhalt desselben ist in der Kirche ausgesprochen, und es ist unmöglich, daß außer diesem noch verborgener positiver Gehalt von Bedeutung darin stecke, oder gar erst jetzt der wahre Sinn verstanden wäre. Ohnehin käme dieser jetzt zu spät. Doch abgesehen davon liegt auch noch Erbauliches genug in der obigen Erklärung. War es eine freie Tat von Christus, daß er sich dem Vater unterwarf? Unmöglich, es war Naturnotwendigkeit. Die Möglichkeit des Bösen ist in Christo doch nicht füglich zu statuieren, ohne seine Gottheit zu vernichten. Wer Böses tun kann, kann nie Gott werden. Wie kann man überhaupt Gott werden? Aber nun den Fall gesetzt, daß Christus die Welt für sich behalten hätte? Einen so widersinnigen, komischen Zustand kann man sich gar nicht vorstellen als den, der da herausgekommen wäre. Hier Christus mit seiner schönen Welt herrlich und in Freuden lebend, die Blüte des Hellenismus im Himmel und auf Erden, und dort einsam und kinderlos der alte Gott, der über den mißlungenen Streich gegen die Welt sich grämt. Das ist der Hauptfehler des Schellingschen Gottes, daß er mehr Glück als Verstand hat. Es ist noch alles gut gegangen, aber es hätte auch ganz anders ausfallen können. Überhaupt ist die Schellingsche Got teslehre durch und durch anthropopathisch. Hätte der Teufel das Reich der Welt Christo <212> angeboten, ehe er Mensch wurde, so hatte er wenigstens Aussicht, ihn zu gewinnen, und wer weiß, was geschehen wäre; als aber Christus Mensch geworden war, hatte er dadurch seine Unterwerfung unter Gott bereits angetreten, und alle Hoffnung für den armen Teufel war vorbei. Außerdem hatte Christus nicht bereits im mythologischen Prozesse sich die Herrschaft der Welt errungen, was konnte ihm der Teufel also noch bieten?

Hiermit ist die Hauptsache von dem gegeben, was Schelling zur Erklärung des Christentums gesagt hat. Das übrige sind teils Belegstellen und ihre Exegese, teils Ausführungen in das Detail der Konsequenzen. Von diesen will ich die wichtigeren mitteilen.

Nach der früher angeführten Lehre von der Sukzession der Potenzen in der Herrschaft über die Welt ist es erklärlich, wie jedesmal die herrschende Potenz Verkündigerin der folgenden ist. So prophezeit im Alten Testament der Vater den Sohn, im Neuen der Sohn den Geist. In den prophetischen Büchern kehrt sich dies um, und die dritte Potenz weissagt von der zweiten. Hier zeigt sich nun ein Fortrücken der Potenzen mit der Zeit, namentlich an dem "Malach Jehovah", dem "Engel des Herrn", der zwar nicht die zweite Person unmittelbar, aber doch die zweite Potenz, die Ursache des Erscheinens der zweiten Potenz im B, ist. Er ist in verschiedenen Zeiten ein verschiedener, so daß an der Art seiner Erscheinung das Alter der einzelnen Bücher zu erkennen ist und so aus diesem Fortrücken der Potenzen "er- staunenswerte" Resultate zu erreichen sind, die alles übertreffen, was die Kritik bisher getan. Diese Bestimmung ist "der Schlüssel des Alten Testaments, aus dem die Realität der alttestamentlichen Vorstellungen in ihrer relativen Wahrheit zu erweisen ist".

Das Alte Testament hat seinen Grund und seine Voraussetzung mit dem Heidentum gemein. Daher das Heidnische so mancher mosaischen Gebräuche. So ist die Beschneidung offenbar nur die mildere Form für die Entmannung, die im ältesten Heidentume eine so große Rolle spielt und die Besiegung des ältesten Gottes, des Uranos, durch die folgende Stufe mimisch-symbolisch darstellt. So die Speiseverbote, die Einrichtung der Stiftshütte, die an ägyptische Heiligtümer erinnert, wie die Bundeslade an die heilige Kiste der Phönizier und Ägypter.

Die Erscheinung Christi selbst ist nun keine zufällige, sondern eine vorherbestimmte. Das Römertum war die Auflösung der Mythologie, indem es, selbst kein neues Moment darbietend, alle religiösen Vorstellungen der Welt, bis zu den ältesten orientalischen Religionen hinauf, in sich aufnahm und dadurch zu erkennen gab, daß es zur Hervorbringung eines Neuen unfähig sei. Zugleich entstand aus der Leerheit dieser ausgelebten Formen <213> das Gefühl, daß etwas Neues kommen müsse. Die Welt war still und harrte der Dinge, die da kommen sollten. Aus diesem äußerlichen römischen Weltreich, aus dieser Vernichtung der Nationalitäten ging das innere Gottesreich hervor. Als so die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn.

Christus, der pogqifj fteov1, des außergöttlichen Seins als Göttlichen sich entäußernd, wurde Mensch, seine in ihm fortdauernde Göttlichkeit so aufs hellste und glänzendste betätigend. Das Armwerden Christi um unsertwillen gilt nicht von der Entäußerung seiner Gottheit, nicht von dem non-usus derselben, sondern von der Ablegung der po(npfj fteov, der göttlichen Gestalt. Das göttliche Wesen bleibt in ihm. Nur er konnte vermitteln, da er aus Gott und im menschlichen Bewußtsein war. In seiner Wirkung im Heidentum und Judentum war das die Menschheit hemmende und sie wo möglich aufhebende Prinzip nicht aufgehoben; nur die Symptome, nicht der Grund der Krankheit wurde durch die wiederkehrenden Opfer beseitigt. Der Unwille des Vaters konnte nur aufgehoben werden durch einen andern Willen, der stärker war als er, als der Tod, als jeder andre Wille. Keine physische, nur moralische Uberwindung dieses Willens war statthaft, und zwar durch die größte freiwillige Unterwerfung des Vermittlers anstatt des Menschen. Die größte freiwillige Unterwerfung des Menschen war nie ganz freiwillig, dagegen die des Mittlers frei, ohne seinen Willen und seine Schuld frei gegen Gott. Daher der Prozeß durchs Heidentum, damit der Vermittler als Vertreter des Bewußtseins auftreten konnte. Der Entschluß hierzu war das größte Wunder göttlicher Gesinnung.

Die physische Seite der Menschwerdung kann freilich nicht bis ins kleinste klargemacht werden. Die materielle Möglichkeit hierzu hat er in sich. Materiell sein heißt, einer höhern Potenz zum Stoff dienen, ihr unterwürfig sein. Indem sich Christus so Gott unterwirft, wird er materiell gegen ihn. Aber nur kreaturisiert hat er das Recht, außer Gott zu sein. So muß er Mensch werden. Was im Anfang bei Gott war, was in göttlicher Gestalt das Bewußtsein im Heidentume beherrschte, wird in Bethlehem als Mensch vom Weibe geboren. Die Versöhnung war nur immer subjektiv gewesen, daher genügten auch schon subjektive Fakta. Hier aber galt es, den Unwillen des Vaters zu besiegen, und dies konnte nur ein objektives Faktum, die Menschwerdung.

Bei dieser tritt nun die dritte Potenz als vermittelnde Persönlichkeit ein. Christus ist aus, d. h. in Kraft des heiligen Geistes empfangen, ist aber nicht sein Sohn. Die demiurgische Funktion geht in die dritte Potenz über; ihre

1 (morphe theoü) göttlichen Gestalt <214> erste Äußerung ist der materielle Mensch Jesus. Die zweite Potenz ist der Stoff, die dritte die Bildnerin desselben. Der vorliegende Vorgang ist außerordentlich, materiell unbegreiflich, aber einer höhern Auffassung wohl verständlich. Den Stoff der Menschwerdung nahm Christus von sich selbst. Diese erste Bildung, deren Beschaffenheit uns hier nicht weiter angeht, wurde in den organischen Prozeß der Mutter aufgenommen. Mehr zu fragen, wäre mehr als Mikrologie.

Wenn Gott irgendwo mit seinem Willen wirkt, so ist das ein Wunder. In der Natur ist alles willenlos. So auch Christus. Die demiurgische Funktion hat er natura sua, ohne seinen Willen, also kann er sie als Mensch nicht ablegen; sie wird hier zum Leiter seines Willens. Daß der Sohn mit seinem Willen in der Natur ist, hängt vom Willen des Vaters ab, und so tut der Sohn die Wunder aus Kraft des Vaters. Wer nach diesen Vorträgen das Neue Testament liest, wird manches darin finden, was er bisher nicht darin sah.

Der Tod Christi war schon vor der Menschwerdung beschlossen, von Christo und vom Vater gebilligt. Er war also nicht zufällig, sondern ein Opfer, das die göttliche Gesinnung heischte. Es kam darauf an, dem bösen Prinzip alle Macht zu nehmen, es in seiner Potenz zu überwinden. Dies konnte nur die vermittelnde Potenz, aber nicht, indem sie jenem als bloß natürliche sich entgegenstellte. Da Gott die Uberwindung jenes Prinzips indes selbst wollte, so mußte sich die zweite Potenz diesem unterwerfen. Denn in Gottes Augen ist die zweite Potenz als natürliche nicht mehr wert als das Gott Negierende, wenn sie auch durch eigene Schuld nicht natürlich wurde, sondern durch Schuld des Menschen. Dieser letztere Umstand gibt ihr auch ein gewisses Recht, so außer Gott zu sein. Gott ist so gerecht, daß er das entgegengesetzte Prinzip nicht einseitig aufhebt, ja er ist so menschlich, daß er dies im Grunde bloß Zufällige, das ihm die Möglichkeit gab, als Gott zu sein, mehr liebt als das notwendige Moment, die Potenz aus sich selbst. Er ist so gut der Gott des konträren Prinzips wie der der zweiten Potenz. Dies ist seine Natur, die sogar über seinem Willen ist. Diese Alleinheit aller Prinzipien ist seine göttliche Majestät, und diese erlaubt nicht, daß jenes Prinzip einseitig gebrochen werde. Soll es aufgehoben werden, so ist es an der zweiten Potenz, diesem voranzugehen und sich in ihrem außergöttlichen Sein Gott gänzlich zu unterwerfen. Hier konnte die Menschwerdung noch nicht genügen. Christus war gleich nach dem Falle dem Menschen in die Gottentfremdung gefolgt und stellte sich zwischen die Welt und Gott. Auf die Seite des konträren Prinzips tretend, stellte er sich dem Vater gegenüber, trat mit ihm in Spannung, machte sich zum Mitschuldigen jenes Seins und mußte als der Unschuldig- <215> Schuldige, der sich für das gottentfremdete Sein Verbürgende, die Strafe erleiden. Diese seine Gleichstellung mit dem Konträren büßte er mit den auf sich genommenen Sünden der Welt im Tode. Dies ist der Grund seines Todes. Freilich sterben die anderen Menschen auch, aber er ist eines ganz andern Todes gestorben als sie. Dieser Tod ist ein Wunder, das wir zu glauben gar nicht wagen würden, wenn es nicht so gewiß wäre. Bei seinem Tode war die ganze Menschheit in ihren Repräsentanten gegenwärtig; Juden und Heiden wohnten ihm bei. Das Prinzip der Heiden mußte den Tod der Heiden sterben, den Kreuzestod; in diesem ist übrigens nichts Besondres zu suchen. Die Ausspannung am Kreuz war die Lösung der langen Spannung, in der sich Christus im Heidentum befunden hatte, wie geschrieben steht, er sei durch den Tod aus dem Gericht und der Angst (d.h. der Spannung) genommen worden. Dies ist das große Geheimnis, das auch heute noch den Juden (den Moralisten) ein Ärgernis und den Heiden (den bloß Rationalen) eine Torheit ist. Die Auferstehung Christi ist von je als eine Garantie der persönlichen Unsterblichkeit betrachtet worden. Uber diese Lehre ist, abgesehen von der Auferstehung Christi, folgendes zu bemerken. In diesem Leben herrscht die Natur über den Geist, und es setzt hiermit ein zweites voraus, indem dies durch die Herrschaft des Geistes über die Natur kompensiert wird, und ein drittes, letztes, worin beide Momente sich ausgleichen und in Harmonie stehen. Die Philosophie hatte bisher kein beruhigendes Ziel für die Unsterblichkeit, hier im Christentum ist es gegeben.

Die Auferstehung Christi selbst ist der Beweis für die Unwiderruflich- keit seiner Menschwerdung. In ihr wird das menschliche Sein von Gott wieder angenommen. Nicht die einzelne Tat des Menschen war Gott miß- fällig, sondern der ganze Zustand, in dem er sich befand, so also auch der einzelne, noch ehe er gesündigt. Daher konnte kein menschlicher Wille, keine Tat wirklich gut sein, ehe der Vater versöhnt war. Durch Christi Auferstehung ist dieser Zustand von Gott anerkannt, ist der Welt die Freudigkeit wiedergegeben. So wurde die Rechtfertigung erst durch die Auferstehung vollendet, indem Christus nicht in das All zerflogen ist, sondern als Mensch zur Rechten Gottes sitzt. Die Auferstehung ist ein Blitz der innern Geschichte in die äußere. Wer sie wegnimmt, hat bloß die Äußerlichkeit ohne göttlichen Inhalt, ohne jenes Transzendente, das die Geschichte erst zur Geschichte macht, hat eine bloße Gedächtnissache und steht da wie der große Haufe zu den Tagesbegebenheiten, deren innere Triebräder ihm unbekannt sind. Außerdem kommt er noch in die Hölle, d.h. "der Moment des Sterbens dehnt sich ihm zur Ewigkeit aus".

<216> Zuletzt kommt der heilige Geist und beschließt alles. Er kann nur erst ausgegossen werden, nachdem der Vater vollkommen versöhnt ist, und sein Kommen ist das Zeichen, daß dies geschehen ist.

Hier schob Schelling sein Urteil über die neueste Kritik seit Strauß ein. Sie hätte ihm nie eine Art von Polemik ablocken können, das er dadurch beweise, daß er diese Vorlesungen seit 1831 immer in derselben Weise, ohne Zusätze, gehalten habe. Die Philosophie der Mythologie datierte er noch weiter zurück. Dann sprach er von dem "gemeinen, eminent philisterhaften Verstände" dieser Leute, von ihrer "schülerhaften Behandlung unfertiger Sätze", von der " Impotenz ihrer Philosophie" usw. Gegen den Pietismus und das rein subjektive Christentum habe er dagegen nichts zu sagen, nur sei dies nicht das einzige und höchste.

Soll ich auch noch die Satanologie exzerpieren? Der Teufel ist nicht persönlich und nicht unpersönlich, er ist eine Potenz; die bösen Engel sind Potenzen, aber solche, die nicht sein sollen, indes durch den Fall des Menschen gesetzt sind; die guten Engel sind auch Potenzen, aber solche, die sein sollen und durch den Fall des Menschen nicht sind. Das ist vorläufig genug.

Die Kirche und ihre Geschichte entwickelt sich aus den drei Aposteln Petrus, Jakobus (nebst dessen Nachfolger Paulus) und Johannes. Neander ist derselben Ansicht. Die katholische Kirche ist die des Petrus, die konservative, jüdisch-formelle, die protestantische die des Paulus, die dritte, noch zu erwartende und wohl durch Schelling vorbereitete ist die des Johannes, der die Einfalt des Petrus und die dialektische Schärfe des Paulus in sich vereinigt. Petrus vertritt den Vater, Paulus den Sohn, Johannes den Geist. "Die der Herr liebt, denen gibt er das Geschäft des Vollendens. Hätte ich eine Kirche zu bauen, ich würde sie dem heiligen Johannes bauen. Einst aber wird allen drei Aposteln eine gemeinsame Kirche gebaut werden, und diese wird das wahre christliche Pantheon sein." Dies ist der Hauptinhalt der Schellingschen Vorlesungen, soweit er aus der Vergleichung dreier Hefte zu erkennen war. Ich bin mir bewußt, mit der größten Lauterkeit und Aufrichtigkeit zu Werke gegangen zu sein. Da haben wir ja die ganze Dogmatik, die Dreieinigkeit, die Schöpfung aus Nichts, den Sündenfall, die Erbsünde und Impotenz zum Guten, die Versöhnung durch den Tod Christi, die Auferstehung, die Ausgießung des Geistes, Gemeinschaft der Heiligen, Auferstehung von den Toten und ein ewiges Leben. Schelling hebt so selbst die Trennung von Faktum und Dogma, die er statuierte, wieder auf. Betrachten wir die Sache aber genauer, ist dann dies Christentum noch das alte? Wer ohne Vorurteil daran- <217> geht, wird sagen müssen: Ja und nein. Die Unvereinbarkeit von Philosophie und Christentum ist so weit gekommen, daß selbst Schelling in einen noch schlimmem Widerspruch gerät als Hegel. Dieser hatte doch eine Philosophie, wenn auch ein nur scheinbares Christentum dabei herauskam; was Schelling gibt, ist aber weder Christentum noch Philosophie und darin, daß er es für beides ausgibt, besteht die "Geradsinnigkeit und Offenheit", besteht das Verdienst, "denen, die Brot von ihm forderten, wirkliches Brot gegeben zu haben, nicht aber einen Stein, dabei sagend, das sei Brot". Daß Schelling sich selbst gar nicht kennt, bewies die Rede, der diese Worte entnommen sind, wiederum. Auf wie schweichen Füßen das heutige Christentum steht, kommt einem bei einer solchen Doktrin wieder einmal recht zum Bewußtsein.

Wenn wir das Ganze derselben noch einmal überschauen, gewinnen wir außer den bereits angeführten noch folgende Resultate zur Bestimmung der neuschellingschen Denkweise. Die Verwirrung der Freiheit und Willkür steht in der schönsten Blüte. Gott ist immer als menschlich-willkürlich handelnd gefaßt. Dies ist allerdings notwendig, solange Gott als einzelner gefaßt wird, nur philosophisch ist es nicht. Die Freiheit nur ist die wahre, die die Notwendigkeit in sich enthält, ja, die nur die Wahrheit, die Vernünftigkeit der Notwendigkeit ist. Darum kann Hegels Gott nun und nimmermehr eine einzelne Person sein, weil alles Willkürliche aus ihm entfernt ist. Darum muß Schelling das "freie" Denken anwenden, wenn er von Gott spricht, denn das notwendige Denken der logischen Konsequenz schließt alle göttliche Person aus. Die Hegeische Dialektik, diese gewaltige, nie ruhende Triebkraft des Gedankens, ist nichts anderes als das Bewußt- sein der Menschheit im reinen Denken, das Bewußtsein des Allgemeinen, das Gottesbewußtsein Hegels. Wo, wie bei Hegel, sich alles von selbst macht, ist eine göttliche Persönlichkeit überflüssig.

Ferner zeigt sich jetzt noch ein neuer Widerspruch in der Spaltung der Philosophie. Ist die negative Philosophie ohne allen Bezug auf die Existenz, so ist "die Konsequenz nicht da", weshalb sie nicht auch Dinge enthalten sollte, die in der wirklichen Welt nicht vorkommen. Schelling gibt dies zu, wenn er von ihr sagt, sie kümmere sich nicht um die Welt, und wenn diese mit ihren Konstruktionen übereinstimme, so sei dies zufällig. Auf diese Weise ist die negative Philosophie aber eine ganz leere, hohle, die sich in der willkürlichsten Möglichkeit herumtreibt und der Phantasie ihre Tore angelweit öffnet. Auf der andern Seite aber, wenn sie nur das enthält, was in der Natur und dem Geiste wirklich ist, so schließt sie die Realität ja ein und die positive ist überflüssig. Dies zeigt sich auch <218> von der andern Seite. Natur und Geist sind bei Schelling das einzige Vernünftige. Gott ist nicht vernünftig. So zeigt sich auch hier» daß das Unendliche nur dann vernünftigerweise real existieren kann, wenn es als Endlichkeit, als Natur und Geist erscheint und eine jenseitige extramundane Existenz des Unendlichen ins Reich der Abstraktionen zu verweisen ist. Jene aparte positive Philosophie hängt, wie wir gesehen haben, allein vom Glauben ab und existiert nur für den Glauben. Gibt nun ein Jude oder Muhamedaner die Prämissen Schellings in der negativen Wissenschaft zu, so wird er sich notwendig auch eine pidische oder muhamedanische positive Philosophie bilden. Ja, schon für den Katholizismus, für die anglikanische Kirche wird sie verschieden sein. Alle sind gleich berechtigt, denn "um das Dogma handelt es sich nicht, sondern um das Faktum". Und mit dem beliebten "freien" Denken läßt sich alles als absolut konstruieren. Namentlich im Muhamedanismus sind die Fakta weit besser konstruiert als im Christentum.

So wären wir denn mit Schellings Philosophie zu Ende und können nur bedauern, daß ein Mann wie er so in die Schlingen des Glaubens und der Unfreiheit gefallen ist. Als er noch jung war, da war er ein andrer. Da rangen sich aus seinem gärenden Haupte leuchtende Pallasgestalten empor, deren manche auch noch bei späteren Kämpfen vorauseilte; da segelte er frei und kühn ms offene Mssr des Gedankens hinaus, um1 die Atlantis, das Absolute zu entdecken, deren Abbild in träumerisch-schimmernder Fata Morgana er so oft aus fernem Meeresrande sich heben sah; da brach alles Feuer der Jugend in Flammender Begeisterung aus ihm, ein gottestrunkener Prophet, weissagte er von einer neuen Zeit; hingerissen von dem Geiste, der über ihn kam, kannte er die Bedeutung seiner Worte oft selber nicht. Er riß die Türflügel des Philosophierens weit auf, daß der frische Hauch der Natur durch die Räume des abstrakten Gedankens wehte, daß der warme Frühlingsstrahl auf den Samen der Kategorien fiel und alle schlummernden Kräfte erweckte. Aber das Feuer brannte zusammen, der Mut entschwand, der gärende Most, noch eh' er klarer Wein geworden war, ging in sauren Essig über. Das kecke, fröhlich die Wellen durchtanzende Schiff kehrte um und fuhr in den seichten Hafen des Glaubens ein, fuhr den Kiel so fest in den Sand, daß er noch jetzt darinsteckt. Da liegt es jetzt, und keiner erkennt in dem alten, hinfälligen Wrack das alte Schiff wieder, das mit vollen Segeln und wehenden Flaggen hinausfuhr. Die Segel sind längst vermodert, die Masten zerknickt, durch die klaffenden Planken strömen die Wellen hinein, und täglich spült die Flut neuen Sand um den Kiel.

1 In der Broschüre: und <219> Wenden wir uns ab von diesem Raub der Zeit. Es gibt schönere Dinge, die wir betrachten können. Man wird uns dies Wrack nicht zeigen wollen und sagen, das sei allein ein seehaltend Schiff, während in einem andern Hafen eine ganze Flotte stolzer Fregatten liegt, bereit ins hohe Meer zu stechen. Unser Heil, unsere Zukunft liegt anderswo. Hegel ist der Mann, der eine neue Ära des Bewußtseins erschloß, indem er die alte vollendete. Es ist eigentümlich, daß dieser gerade jetzt von zwei Seiten angefeindet wird, von seinem Vorgänger Schelling und seinem jüngsten Nachfolger Feuerbach. Wenn dieser letztere Hegeln vorwirft, er stecke noch tief im Alten, so sollte er bedenken, daß das Bewußtsein über das Alte gerade schon das Neue ist, daß ein Altes eben dadurch der Geschichte anheimfällt, daß es vollkommen zum Bewußtsein gebracht wird. So ist Hegel allerdings das Neue als Altes, das Alte als Neues. Und so ist Feuerbachs Kritik des Christentums eine notwendige Ergänzung zu der durch Hegel begründeten spekulativen Religionslehre. Diese hat in Strauß ihren Gipfel erreicht, das Dogma löst sich durch seine eigne Geschichte objektiv in den philosophischen Gedanken auf. Zu gleicher Zeit reduziert Feuerbach die religiösen Bestimmungen auf subjektive menschliche Verhältnisse und hebt dadurch die Resultate Strauß' nicht etwa auf, sondern macht erst recht die Probe darauf; wie denn auch beide zu demselben Resultate kommen, daß das Geheimnis der Theologie die Anthropologie sei.

Ein neuer Morgen ist angebrochen, ein weltgeschichtlicher Morgen, wie jener, da aus der Dämmerung des Orients das lichte, freie, hellenische Bewußtsein sich losrang. Die Sonne ist emporgestiegen, der von allen Bergesgipfeln Opferfeuer entgegenlachten, deren Kunft von allen Warten heller Hörnerklang verkündete, auf deren Licht die bange Menschheit harrte. Von langem Schlummer sind wir erwacht, der Alp, der auf unserer Brust lag, ist entflohen, wir reiben uns die Augen und sehen erstaunt um uns. Alles hat sich verändert. Die Welt, die uns so fremd war, die Natur, deren verborgene Mächte uns wie Gespenster schreckten, wie verwandt, wie heimisch sind sie uns nun! Die Welt, die uns als ein Gefängnis erschien, zeigt sich nun in ihrer wahren Gestalt, als ein herrlicher Königspalast, darin wir alle aus- und eingehen, Arme und Reiche, Hohe und Niedere. Die Natur schließt sich auf vor uns und ruft uns zu: Fliehet doch nicht vor mir, ich bin ja nicht verworfen, nicht abgefallen von der Wahrheit, kommt und sehet, es ist euer innerstes, eigenstes Wesen, das auch mir Lebensfülle und Jugendschönheit gibt! Der Himmel ist zur Erde herniedergekommen, seine Schätze liegen verstreut wie die Steine am Wege, wer nach ihnen verlangt, braucht sie nur aufzuheben. Alle Zerrissenheit, alle Angst, alle <220> Spaltung ist verschwunden. Die Welt ist wieder ein Ganzes, selbständig und frei; sie hat die Tore ihres dumpfen Klosters gesprengt, das Bußhemd abgeworfen und den freien, reinen Äther zur Wohnung erwählt. Sie braucht sich nicht mehr zu rechtfertigen vor dem Unverstand, der sie nicht erfassen konnte; ihre Pracht und Herrlichkeit, ihre Fülle, ihre Kraft, ihr Leben ist ihre Rechtfertigung. Wohl hatte einer recht, als er vor achtzehnhundert Jahren ahnte, daß die Welt, der Kosmos, ihn dereinst verdrängen werde, und seinen Jüngern gebot, der Welt abzusagen.

Und das liebste Kind der Natur, der Mensch, als freier Mann nach den langen Kämpfen des Jünglingsalters, nach der langen Entfremdung zur Mutter zurückkehrend, sie schirmend gegen alle Phantome der im Kampfe erschlagenen Feinde, hat auch die Trennung von sich selber, die Spaltung in der eignen Brust überwunden. Nach undenklich langem Ringen und Streben ist der lichte Tag des Selbstbewußtseins über ihm aufgegangen. Frei und stark, auf sich vertrauend und stolz, steht er da, denn er hat den Kampf der Kämpfe gekämpft, er hat sich selbst überwunden und die Krone der Freiheit sich aufs Haupt gedrückt. Es ist ihm alles offenbar geworden und nichts war stark genug, sich gegen ihn zu verschließen. Jetzt erst geht ihm das wahre Leben auf. Wohin er früher in dunkler Ahnung strebte, das erreicht er jetzt mit vollem, freiem Willen. Was außer ihm, in nebelnder Ferne zu hegen schien- findet er in sich als sein eigen Fleisch und Blut. Er achtet es nicht, daß er es teuer erkauft, mit seinem bestem Herzblut erkauft hat, denn die Krone war des Blutes wert; die lange Zeit des Werbens ist ihm nicht verloren, denn die hohe, herrliche Braut, die er in die Kammer führt, ist ihm dadurch nur desto teurer geworden; das Kleinod, das Heiligtum, das er gefunden hat nach langem Suchen, war manchen Irrweg wert. Und diese Krone, diese Braut, dies Heiligtum ist das Selbstbewußtsein der Menschheit, der neue Gral, um dessen Thron sich die Völker jauchzend versammeln und der alle, die sich ihm hingeben, zu Königenmacht, daß alle Herrlichkeit und Macht, alles Reich und Gewalt, alle Schönheit und Fülle dieser Welt zu ihren Füßen liegen und zu ihrer Verherrlichung sich opfern muß. Das ist unser Beruf, daß wir dieses GralsTempeleisen werden, für ihn das Schwert um die Lenden gürten und unserLeben fröhlich einsetzen in den letzten, heiligen Krieg, dem das tausendjährige Reich der Freiheit folgen wird. Und das ist die Macht der Idee, daßjeder, der sie erkannt hat, nicht aufhören kann, von ihrer Herrlichkeit zu reden und ihre Allgewalt zu verkündigen, daß er heiter und guten Mutsalles andre wegwirft, wenn sie es heischt, daß er Leib und Leben, Gut und Blut opfert, wenn nur sie, nur sie durchgesetzt wird. Wer sie einmal

<221> geschaut hat, wem sie einmal im stillen nächtlichen Kämmerlein in all ihrem Glänze erschienen ist, der kann nicht von ihr lassen, der muß ihr folgen, wohin sie ihn führt und wär' es in den Tod. Denn er weiß von ihrer Kraft, daß sie stärker ist als alles im Himmel und auf Erden, daß sie sich durchschlägt gegen alle Feinde, die sich ihr entgegensetzen. Und dieser Glaube an die Allmacht der Idee, an den Sieg der ewigen Wahrheit, diese feste Zuversicht, daß sie nimmermehr wanken und weichen kann und wenn die ganze Welt sich gegen sie empörte, das ist die wahre Religion eines jeden echten Philosophen, das ist die Basis der wahren positiven Philosophie, der Philosophie der Weltgeschichte. Diese ist die höchste Offenbarung, die des Menschen an den Menschen, in der alle Negation der Kritik positiv ist. Dieses Drängen und Stürmen der Völker und Heroen, über dem die Idee in ewigem Frieden schwebt und endlich herniedersteigt mitten in das Getreibe und seine innerste, lebendigste, selbstbewußte Seele wird, das ist die Quelle alles Heils und aller Erlösung; das ist das Reich, in dem jeder von uns an seinem Ort zu wirken und zu handeln hat. Die Idee, das Selbst- bewußtsein der Menschheit ist jener wunderbare Phönix, der aus dem Kostbarsten, was es auf der Welt gibt, sich den Scheiterhaufen baut und verjüngt aus den Flammen, die eine alte Zeit vernichten, emporsteigt.

So laßt uns denn unser Teuerstes und Liebstes, alles was uns heilig und groß war, ehe wir frei wurden, diesem Phönix auf den Scheiterhaufen tragen! Laßt uns keine Liebe, keinen Gewinn, keinen Reichtum für zu hoch halten, als daß wir ihn nicht der Idee freudig opfern sollten - sie wird es uns alles vergelten tausendfach! Laßt uns kämpfen und bluten, dem Feinde unverzagt ins grimmige Auge schauen und ausharren bis ans Ende! Seht ihr, unsre Fahnen wehen von den Bergesgipfeln herab? Seht ihr die Schwerter unsrer Genossen blinken, die Helmbüsche flattern? Sie kommen, sie kommen, aus allen Tälern, von allen Höhen strömen sie uns zu, mit Gesang und Hörnerschall; der Tag der großen Entscheidung, der Völkerschlacht, naht heran, und der Sieg muß unser sein!

Geschrieben Ende 1841/Anfang 1842.

Erschienen als Broschüre im März 1842.

<225> Schelling, der Philosoph in Christo, oder die Verklärung der Weltweisheit zur Gottesweisheit

Für gläubige Christen, denen der philosophische Sprachgebrauch unbekannt ist

"Also auch wird Freude sein im Himmel über einen Sünder, der Buße tut, vor neunundneunzig Gerechten, die der Buße nicht bedürfen." (Luk. 15,7.)

Dieses Wort des Herrn mag einem wohl einfallen, wenn man von Schelling reden will; denn an ihm sind Wunder der göttlichen Gnade sichtbar- lich geschehen, auf daß der Name des Herrn erhöhet werde. Denn er hat sich seiner erbarmt, wie er einst über Paulum sich erbarmte; welcher auch, ehe er bekehret war, hinging und zerstörete die Gemeinen und schnaubte mit Drohen und Morden wider die Jünger des Herrn. Da er aber gen Damaskus fuhr, umleuchtete ihn plötzlich ein Licht, und er fiel auf sein Angesicht; der Herr aber redete zu ihm und zog ihn zu sich, also daß er gläubig ward zu derselbigen Stunde, ließ sich taufen und predigte den Namen des Herrn allen Völkern und ward ein auserwähltes Rüstzeug vor dem Herrn. So auch hat die Gnade des Heilandes über Schelling ihre Hand gehalten, und als die Zeit gekommen war, ging ihm ein großes Licht auf. Denn wer hätte es jemals nach menschlicher Einsicht vorhersagen können, daß der Mann, der um den Anfang dieses Jahrhunderts mit seinem damaligen Freunde, dem berüchtigten Hegel, den Grund zu jener schnöden Weltweisheit legte, die jetzt nicht mehr im Finstern schleicht, sondern deren Pfeile am Mittag verderben - daß dieser Mann dermaleinst noch sein Kreuz auf sich nehmen und Christo nachfolgen werde? Aber so ist es gekommen. Der die Herzen der Menschen lenkt wie Wasserbäche, hatte auch ihn nach seiner Gnade auserwählet und harrete nur der rechten Stunde, um ihn zu sich zu ziehen. Und jetzt hat er es getan, hat ihn erleuchtet und zu einem seiner Streiter gegen den Unglauben und die Gottlosigkeit gemacht. Es ist kein Zweifel mehr; er selbst ruft es vom Katheder herab den Gläubigen zu: Kommet und sehet, und preiset die Gnade, die der Herr an mir getan hat! Ja, der Hüter in Israel schläft noch schlummert nicht, der alte <226> Gott lebt noch, allen Spöttern zum Trotz, und tut noch Zeichen und Wunder für alle, die da sehen wollen. Sie machen ein Getöse, die Gottlosen, und sprechen in ihrem Herzen, es ist kein Gott, aber der im Himmel wohnet, lachet ihrer, und der Herr spottet ihrer. Er hat über sie triumphiert, solange die Welt steht, und wird über sie triumphieren in alle Ewigkeit. Er hat mit starkem Arm sein Regiment gehalten und aller Orten sich Werkzeuge erweckt zur Verherrlichung seines Namens. Und jetzt wieder hat er glänzend triumphiert über die Philosophen, die ihm allezeit ein Greuel waren, indem er den besten und tüchtigsten, den eigentlichen Stifter ihrer Lehre, aus ihrer Mitte herausgehoben und zu seinem Knecht gemacht hat. Denn daß Schelling früher selbst recht jämmerlich tief in diesem sogenannten Pantheismus, in dieser Vergötterung der Welt und seiner selbst, dringesteckt hat, das ist aus seinen frühern Büchern sonnenklar. Er sah nur noch nicht recht alles in seinem Zusammenhange und wußte nicht recht, wohin dieser Weg führen werde. Möge er es dem Herrn danken, daß Er ihn von diesem Wege genommen hat und auf den schmalen Weg geführt, der zum Himmel geht, und dadurch an ihm seine Macht aufs hellste bewiesen, allen Feinden des Glaubens gegenüber. Jetzt können sie nicht mehr sagen: Wo ist euer Gott? Was tut er? Wo treibt er sich herum? Warum tut er keine Wunder mehr? Hier ist er ja, in ihre eigne Schar fährt sein Arm hernieder wie der Blitz und macht Feuer aus Wasser, weiß aus schwarz, Gerechte aus Ungerechten. Wer kann hier noch leugnen, daß das Gottes Finger ist?

Aber das ist nicht alles. Der Herr hat uns durch Schellings Berufung noch einen zweiten Triumph über die Gottlosen und Lästerer bereitet. Er hat gerade Schelling auserkoren, weil dieser, mit der Weisheit dieser Welt vertraut, am besten geeignet war, die stolzen hochmütigen Philosophen zu widerlegen, und hat diesen dadurch in seiner unermeßlichen Gnade und Liebe einen Weg eröffnet, wieder zu ihm zu kommen. Kann man mehr von ihm verlangen? Denen, die ihm fluchen, die gegen sein Dasein wüten, die seine tollsten, rasendsten, verstocktesten Feinde sind, denen bietet er, statt sie von der Erde zu vertilgen und in den tiefsten Schlund der Hölle zu stürzen, denen bietet er immer aufs neue die rettende Hand, um sie aus dem Abgrund des Verderbens, in dem sie liegen, heraufzuziehen an das Licht; ja, die Gnade des Herrn ist so weit die Himmel reichen von Aufgang zum Niedergang, und seine Barmherzigkeit will kein Ende nehmen. Wer könnte einer solchen Langmut und Liebe widerstehen? Aber ihre Herzen sind so verstockt und in Sünden verhärtet, daß sie auch jetzt noch die Hand zurückstoßen, die sie retten will; so verblendet sind sie von den Lüsten <227> dieser Welt und dem eignen Hochmutsteufel. Sie graben sich löchrige Brunnen und verschmähen den Quell des Lebens, der im Blute Christi fließt. Sie verstopfen ihre Ohren gegen das Heil, das von oben kommt, sie haben Lust an dem, was dem Herrn übel gefällt. Ihr Wesen haben sie kein Hehl und rühmen ihre Sünde, wie die zu Sodom, und verbergen sie nicht. Wehe ihrer Seele, denn damit bringen sie sich selbst in alles Unglück. (Jes. 3,9.) Aber dennoch hat der Herr nicht abgelassen, sie zu sich einzuladen, auf daß sie keine Entschuldigung haben. Er hat ihnen durch Schelling gezeigt, wie schwach und nichtig die menschliche Vernunft ist. Wenn sie sich jetzt nicht bekehren, so ist es allein ihre Schuld, und sie können nicht sagen, daß sie das Evangelium nicht gekannt haben.

Weil nun aber der Herr so Großes getan hat und der ganzen Christenheit ein so trostreiches Zeichen gegeben hat, daß er ihr nahe ist und sie nicht verlassen will in der Not und den Kämpfen dieser Welt, so muß es jedem Gläubigen am Herzen liegen, diese frohe Botschaft seinen Mitchristen zu verkündigen. Und weil nun Schelling sein Bekenntnis von Christo hier in Gestalt von Vorlesungen abgelegt hat, so ist dies einesteils nur wenigen bekannt geworden, andernteils aber auch in einer so schwierigen philosophischen Kunstsprache abgefaßt, daß es nur denen, die sich mit der Weltweisheit längere Zeit beschäftigt haben, verständlich ist; drittenteils ist aber auch vieles für die Philosophen und anderes für die Gläubigen berechnet, so daß der einfältige Christ Mühe haben würde, sich hier durchzufinden. Deshalb hat der Verfasser dieser Zeilen es für nicht ganz überflüssig gehalten, allen denen, so nicht Zeit noch Lust haben, sich in das unfruchtbare Studium der Weltweisheit einzulassen, dennoch aber wohl Lust hätten zu wissen, was denn eigentlich an dem berühmten Schelling sei, dieses mit kurzen, einfältigen Worten, und um im Weinberge des Herrn nicht müßig zu stehn, darzulegen. Der Herr möge seinen Segen dazu geben, daß es gedeihe zu Nutz und Frommen seines Reiches.

Es muß aber vorher noch bemerkt werden, daß Schelling, bei allen seinen Verdiensten um das wahre Christentum, dennoch seine alte, verkehrte Weisheit nicht ganz loswerden kann. Es sind noch mancherlei Ansichten, die glauben machen, er könne den Hochmut der eignen Vernunft dennoch nicht so ganz unterdrücken, und als scheue er sich noch etwas vor der Welt, seine gänzliche Umkehr mit aller Freudigkeit und Dank gegen Christum zu bekennen. Wir wollen ihm das nicht zu hoch anrechnen; wer die Gnade bei ihm so herrlich zum Durchbruch brachte, der wird auch diese Flecken von ihm abwaschen; wer das Werk begann, wird es auch vollführen. Der mutige Streiter für die Wahrheit aber, von dem wir <228> sprechen, möge dieses Pfahls im Fleisch gedenken, wenn der Hochmuts- teufel über ihn kommt und ihn versuchet. Er möge allen Stolz auf seine ehemalige Philosophie, die doch nur gottlose Kinder geboren hat, von sich tun und nur stolz sein auf den, der ihn aus freier, unermeßlicher Gnade aus diesem Verderben gerettet hat.

Das erste, was Schelling hier auf dem Katheder tat, war, daß er geradezu und mit offner Stirne gegen die Philosophie losging und ihren Boden, die Vernunft, unter den Füßen wegzog. Mit den schlagendsten, aus ihren eignen Rüstkammern genommenen Gründen bewies er ihnen, daß die natürliche Vernunft nicht fähig sei, auch nur das Dasein eines Grashalms zu beweisen; daß sie mit allen ihren Demonstrationen, Gründen und Schlüssen keinen Hund vom Ofen lockt und gar nicht zum Göttlichen hinauf kann, weil sie in ihrer Plumpheit immer auf dem Erdboden liegenbleibt. Das haben wir nun zwar längst gewußt, aber so schön und deutlich war es den verstockten Philosophen noch nicht gesagt worden. Dies hat er in einem ganzen langen System der sogenannten negativen Philosophie getan, worin er ihnen sonnenklar vor die Augen führt, daß ihre Vernunft nur Mögliches erkennen kann, aber nichts Wirkliches, am allerwenigsten Gott und die Geheimnisse des Christentums. Diese Mühe, die er sich mit einem so unfruchtbaren Gegenstande, mit den Luftgebilden der Weltweisheit gegeben hat, ist um des Reichcs Gottes willen sehr dankenswert. Denn solange diese Philosophen noch auf ihre Vernunft pochen konnten, war mit ihnen nichts anzufangen, jetzt aber, da sie auch von ihrem Standpunkte aus überführt worden sind, daß ihre Vernunft ganz und gar untauglich zur Erkenntnis des Wahren ist und nur leere, hohle Hirngespinste zutage fördert, die gar nicht das Recht haben zu existieren, so gehört schon ein verstocktes und in Sünden grau gewordenes Haupt dazu, um in der heidnischen Lehre zu verharren, und es ist wohl möglich, daß unter dem Beistande der göttlichen Gnade sich einer oder der andre von seinem bösen Wandel bekehre. Es ist sehr richtig und muß immer wiederholt werden, daß die verfinsterte Vernunft des Menschen ganz und gar untüchtig ist und des Ruhmes mangelt, den sie vor Gott haben sollte, denn das ist das Hauptbollwerk der Ungläubigen, daß ihre Vernunft ihnen andre Dinge sagt als das Wort Gottes. Es ist aber ein Frevel gegen den Allerhöchsten, ihn, den Feind aller Sünde, mit der durch die Sünde befleckten und verblendeten Vernunft erkennen zu wollen, ja, diese allen Lüsten dieser Welt, allen Versuchungen des Satans hingegebene Vernunft über Gott selbst zu setzen, und das tun die Weltweisen doch, indem sie Gottes Wort mit dieser ihrer verworfenen Vernunft kritisieren, was ihnen nicht gefällt, herauswerfen <229> nicht allein die Heiligkeit der Bibel, sondern das Dasein Gottes selbst mit frevlerischen Händen antasten und leugnen, um sich selbst an seiner Statt zum Gott zu machen. Das sind die natürlichen Folgen davon, daß die Vernunft, wie weiland jene Metze in den Bluttagen der Französischen Revolution, auf den Thron Gottes erhoben wird und sich unterfängt, die Maßregeln des allmächtigen Herrn der Welt zu kritisieren. Hier ist es, wo geheilt werden muß, nicht an der Oberfläche, sondern an der Wurzel des Übels. Flickt man auch einen neuen Lappen auf ein altes Kleid?1 Wie stimmt Christus mit Belial? Es ist nicht möglich, es ist eine Lästerung, wenn man den Erlösungstod des Herrn, die Auferstehung und Himmelfahrt mit der natürlichen Vernunft begreifen will. Darum gehe man mit Schelling kräftig zu Werke und werfe die Vernunft aus dem Christentum hinaus ins Heidentum, denn dahin gehört sie, da kann sie sich gegen Gott auflehnen und die Welt mit ihren Lüsten und Begierden, der wir abgesagt haben, für göttlich halten, alle Sünden und Laster, Greuel der Völlerei und Unzucht als Tugenden und Gottesdienst beschönigen, und den Selbstmord eines Cato, die Unkeuschheit einer Lais und Aspasia, den Verwandtenmord eines Brutus, den Stoizismus und die Christenverfolgungswut eines Markus Aurelius als Muster der Menschheit aufstellen. Dann steht sie dem Christentum doch offen entgegen und jeder weiß, woran er mit ihr ist. Aber es ist eine Hauptlist des Widersachers gewesen, sie ins Christentum hineinzuschmuggeln, wo sie dann saubre Hurkinder herausgeboren hat, als da sind: Pelagianismus, Sozinianismustl06], Rationalismus und spekulative Theologie. Gott aber, was töricht ist vor der Welt, das hat er erwählet, auf daß er die Weisen zuschanden mache (1 Kor. 1,27); darum vernimmt der natürliche Mensch nichts vom Geiste Gottes, es ist ihm eine Torheit und muß geistlich gerichtet sein (1 Kor. 2,14).

So ist es ein wahrhaft christliches Bestreben, wenn Schelling in der reinen Vernunftwissenschaft, welche eben die negative Philosophie ist, die Vernunft, statt ihr irgendeine Überhebung zu gestatten, recht tief erniedrigt und demütigt, daß sie zur Erkenntnis ihrer Schwäche und Sündlichkeit komme und sich bußfertig der Gnade zuwende, denn nur diese kann sie heiligen, erleuchten und wiedergebären, daß sie tüchtig werde zur Erkenntnis Gottes. Die Vernunft zu kreuzigen ist schwerer und deshalb mehr, denn das Fleisch zu kreuzigen. Dieses liegt doch unter dem Gewissen, welches auch schon den Heiden zur Zähmung ihrer Lüste und zum innern Richter über ihre Sünden gegeben ist; die Vernunft aber stellt sich über

1 Vgl. vorl. Band, S.442 <230> dasselbe und verträgt sich sogar ganz gut mit ihm, und es ist nur dem Christen gegeben, sie unter das sanfte Joch des Glaubens zu beugen. Das aber fordert die Schrift von uns, und da gelten keine Einwendungen oder Ausflüchte: entweder gib deine Vernunft unter den Glauben gefangen oder geh hinüber zur Linken, zu den Böcken (nennen sich doch die ärgsten jener Selbstvergötterer wie zum Spott: die linke Seite), da bist du an deiner Stelle!

Hierdurch hat sich Schelling nun den Boden frei gemacht. All die Überbleibsel des Heidentums, die in unsrer Zeit wieder hervorgeholt werden und für neue Wahrheit gelten sollen, alle die verzerrten Ausgeburten der unkeuschen, lüsternen Vernunft sind beseitigt, und seine Zuhörer sind jetzt fähig, die Milch des Evangeliums in sich aufzunehmen. Das ist der rechte Weg. Die Heiden waren bei ihren weltlichen Wollüsten und Begierden zu fassen; aber unsre Philosophen stellen sich wenigstens heutzutage noch so, als wollten sie die christliche Moral noch anerkennen. Darum, wenn die Apostel bei den Heiden ein bußfertiges, reuiges, zerschlagenes und zerknirschtes Herz forderten, so muß von den hochmütigen ^^eltweisen dieser Zeit eine bußfertige, demütige, zerschlagene Vernunft gefordert werden, ehe sie fähig sind, die Gnade des Evangeliums zu genießen. So konnte Schelling denn auch erst jetzt seinen ehemaligen Genossen in der Gottlosigkeit, den verrufenen Hegel, recht beurteilen. Denn dieser Hegel hatte einen solchen Hochmut in der Vernunft, daß er sie geradezu für Gott erklärte, als er sah, daß er mit ihr zu einem andern wahren, über dem Menschen stehenden Gott nicht kommen konnte. Darum erklärte Schelling denn auch offen, er wolle mit diesem Menschen und seiner Lehre nichts mehr zu schaffen haben und kümmerte sich weiter auch nicht um ihn.

Nachdem nun die Vernunft sich gedemütigt hat und den Willen zeigt, das Heil anzunehmen, kann sie nun wieder erhöhet und vom Geist der Wahrheit erleuchtet werden. Dies geschieht in der positiven Philosophie, wo sie durch freies, d.h. erleuchtetes Denken mit Hülfe der göttlichen Offenbarung zu den Gnadengaben des Christentums zugelassen wird. Jetzt, nun ihr das Verständnis der höheren Welt aufgeschlossen ist, sieht sie auf einmal den ganzen wunderbaren Zusammenhang in der Geschichte des Reiches Gottes ein, und was ihr früher unbegreiflich war, ist jetzt klar und begreiflich, als wenn es gar nicht anders sein könnte. Denn die Augen, die der Herr erleuchtet, sind erst wahre Augen und sehend; wo aber die Finsternis herrscht und die Lüste und Begierden dieser Welt ihr Wesen treiben, da kann keiner etwas sehen. Diese Gnadenwirkung spricht Schelling darin aus, daß er sagt, diese Philosophie sei nur für die Wollenden <231> und Klugen und finde ihre Bewährung in der Offenbarung. Wer also an diese nicht glaubt, für den ist auch die Philosophie nicht. Mit andern Worten, diese Sache ist eigentlich keine rechte Philosophie, sondern dieser Name ist nur um der Weltweisen willen gewählt, wie geschrieben steht: Seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben (Matth. 10,16); im übrigen aber ist es ein rechtes und wirkliches Christentum, wie sich uns bald zeigen wird. Schelling hat die gute alte Zeit wieder heraufgeführt, wo die Vernunft sich unter den Glauben gefangen gibt und die Weltweisheit, indem sie sich als Magd der Theologie, der Gottesweisheit unterwirft, zur Gottesweisheit verklärt wird. Denn wer sich selbst erhöhet, der wird erniedriget, und wer sich selbst erniedriget, der wird erhöhet (Matth. 23,12).

Auf diesem Wege des erleuchteten Denkens kommt der teure Mann, von dem wir reden, denn auch sogleich zur wahren Grundlehre alles Christentums, nämlich der Dreieinigkeit Gottes. Es kann dem gottesfürchtigen Leser nicht zugemutet werden, diesen Weg mitzumachen, denn er weiß und glaubet ja, daß dieser Weg nur zur Wahrheit führen kann; es ist dies nur für die Ungläubigen gesagt worden, um ihnen zu zeigen, wie sie zur Wahrheit kommen können und wie sehr ihre Vernunft gereinigt und geheiligt werden muß, um die Erlösung in Christo Jesu erkennen und fassen zu können. Darum wollen wir diese Dinge, die für die Erkenntnis des Heils bei den Gläubigen doch keinen Wert haben, übergehen. Schelling beschreibt nun nach der Schrift, wie Gott die Welt aus Nichts geschaffen und der Mensch, vom Satan in Gestalt der Schlange verführt, seinen ersten Wandel verloren habe und dem Fürsten der Finsternis verfallen sei. Dadurch habe er die ganze Welt von Gott losgerissen und in die Gewalt des Satans gebracht. Alle Kräfte, die früher durch die göttliche Einheit zusammengehalten waren, seien jetzt auseinandergefallen und in wilde Feindschaft geraten, so daß der Satan recht mit Lust in der Welt hausen könne. Man muß sich nur durch die philosophische Ausdrucksweise unserer Gottesgelehrten nicht verblenden lassen. Die Weltweisen in unsrer gottlosen Zeit verstehen die einfache, von Gott selbst eingegebene Sprache der Heiligen Schrift nicht mehr; es muß ihnen auf ihre Weise beigebracht werden, bis sie wieder reif werden zum Verständnis der Bibel, wie geschrieben stehet: Ich preise dich, Vater und Herr [des] Himmels und der Erde, daß du es den Weisen und Klugen verborgen hast und hast es den Unmündigen offenbaret (Matth. 11,25). Darum sagt Schelling für die Engel, die ihr Fürstentum nicht behalten haben, sondern verließen ihre Behausung (Judä 6), für den Teufel und seine gottlosen Scharen: kosmische Potenzen, was soviel heißt wie Fürsten dieser Welt. Jetzt natürlich kann <232> Gott an der Welt keinen Gefallen mehr haben. Er stößt sie nach seiner Gerechtigkeit von sich, und wo er in ihr wirkt, tut er es in seinem Zorn und ohne seinen vollen freien Willen. Aber der ewige Erbarmer kann nicht von ihr lassen; das Wort, durch welches alle Dinge gemacht sind und ohne dasselbige ist nichts gemacht, das gemacht ist (Joh. 1,3), der eingeborne Sohn Gottes bleibt mit seiner unermeßlichen Liebe und Gnade bei der armen, verstoßenen Welt. Sein Leidensstand beginnt mit dem Sündenfall und nicht erst mit seiner Menschwerdung unter Merodes, denn mit dem Sündenfall ist er ganz aus der Menschheit verdrängt, in der er mehr noch als der Vater lebte. Ja, indem er sich zwischen den zürnenden Gott und die gefallene Welt, die jener vernichten wollte, hinstellte, auf ihre Seite trat, trennte er sich vom Vater und war so gewissermaßen mitschuldig und konnte auf die göttliche Herrlichkeit keinen Anspruch machen, solange der Vater nicht versöhnt war. Dies große Werk der Versöhnung, den Kampf mit dem Fürsten dieser Welt, begann er nun in dieser nicht göttlichen und nicht menschlichen Gestalt, in dieser Trennung vom Vater, die sein Leiden und seinen Schmerz ausmacht. Daß diese Deutung in der Heiligen Schrift begründet ist, zeigt das 53. Kapitel des Propheten Jesaias aufs deutlichste, wo von einem gegenwärtigen, nicht zukünftigen Leiden die Rede ist. Dieser große Streit beginnt nun im Judentum und im Heidentum. Wie der Herr sich das Judentum unterwirft, zeigt die Geschichte des Volkes Israel im Alten Testament, und die herrlichen Führungen, durch die der Herr sein Volk geleitet hat, sind den Christen wohlbekannt. Aber im Heidentum? War nicht gerade der Teufel der Gott der Heiden? Wir wollen versuchen, dies so klar wie möglich zu beantworten, ohne von den Aussprüchen der Heiligen Schrift abzuweichen.

Es hat wohl jeder bereits gehört, daß auch unter den Heiden, in den sibyllinischen Büchern und sonstwo Weissagungen auf Christum waren. Hier zeigt sich also schon, daß sie nicht ganz so gottverlassen waren, als man gewöhnlich meint, denn diese Weissagungen sind göttlichen Ursprungs. Nun aber ist es damit nicht getan. Warum sollte der Herr in seiner Barmherzigkeit sie so ganz in der Irre gehen und in die Krallen des Teufels fallen lassen? Läßt er doch regnen über Gute und Böse und die Sonne scheinen über Gerechte und Ungerechte! Ja, wenn die Heiden so ganz ohne Gottes Schutz und Leitung in der Gewalt des bösen Feindes gewesen wären, würden ihre Sünden da nicht größer und unerhörter sein, als sie wirklich waren? Würden dann nicht alle die schändlichen Wollüste und unnatürlichen Begierden, die fleischlichen und andern Sünden, Mord, Ehebruch, Hurerei, Dieberei, Schalksauge, Unkeuschheit nicht so laut gen <233> Himmel geschrieen haben* daß Gott sie hätte ohne Zaudern vertilgen müssen? Ja, würden sie sich nicht selbst einander erschlagen und aufgefressen haben? Hieraus folgt schon, daß Gott sich auch der Heiden erbarmt und ihnen einiges Licht von oben gegeben haben muß; und dies besteht darin, daß sie allmählich und ohne daß sie es merkten durch alle Stufen des Götzendienstes zur Anbetung des wahren Christus geführt wurden, ohne aber daß sie wußten, ihr Gott und der der Christen sei derselbe, und der im Heidentum verborgen gewesen, sei nun im Christentum offenbaret worden. Diejenigen nun, welche dies nicht erkannten, als ihnen das Evangelium gepredigt war, beteten nun nicht mehr den verborgenen Christus an, weil sie den geoffenbarten verfolgten, sondern ihr Gott war nun der Feind Christi, der Teufel. Das ist ein großes Verdienst von Schelling, daß er der erste ist, der sich daran gibt, die Führungen Gottes unter den Heiden aufzusuchen und so der Liebe Christi zu den sündigen Menschen ein neues Lob bereitet.

Nachdem nun die Juden mit Bewußtsein und die Heiden ohne es zu wissen und in falscher Gestalt zur Erkenntnis des wahren Gottes gebracht, als die stolzen Paläste des Griechentums zerfallen waren und die eiserne Hand des römischen Kaisers auf der ganzen Welt lag, da war die Zeit er- füllet, und Gott sandte seinen Sohn, auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Dies geschah folgendermaßen. Indem Christus sich das Heidentum unterworfen hatte, war er der Gott desselben, aber nicht der wahre Gott, das konnte er ohne den Vater nicht sein. So hatte er dem Teufel die Welt abgerungen und konnte mit ihr machen, was er wollte; er konnte sie für sich behalten und ihre Herrschaft in dieser göttlichen Gestalt allein führen; aber er tat dies aus freiem Gehorsam nicht, sondern übergab sie seinem Vater, indem er die göttliche Gestalt ablegte und Mensch wurde. Welcher, ob er wohl in göttlicher Gestalt war, hielt er es nicht für einen Raub, Gott gleich sein, sondern [entj- äußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an und ward gleichwie ein anderer Mensch und an Gebärden wie ein Mensch erfunden. Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuz (Phil. 2, 6-8). Es sind noch eine Menge Stellen in der Heiligen Schrift, die diese Auslegung für die richtige erklären und beweisen; auch kann man nach dieser Weise alles ganz einfältiglich und wörtlich nehmen, ohne viel Ausflüchte und Gelehrsamkeit nötig zu haben.

Das ist eben das Große an dem Gehorsam Christi, daß der Heiland die ganze Welt für sich besitzen und sich vom Vater lossagen konnte, und daß er dies nicht wollte, sondern seinem Vater die dem Teufel abgestrittene Welt zu Füßen legte und den Tod erlitt zur Versöhnung für viele. <234> Hier sehen wir auch, was die Versuchungsgeschichte Christi bedeutet. Hätte es nicht in Jesu freier Wahl gestanden, sich dem Vater zu unterwerfen oder nicht, so hätte der Teufel ihn gar nicht versuchen können, denn er mußte ja wissen, daß es doch vergeblich sein werde. Also ist die obige Auslegung Schellings gewiß richtig.

Daß also Christus wahrer Gott sei, haben wir gehört und jetzt geht unser Gewährsmann zur zweiten Natur desselben, der menschlichen, über. Auch er ist des festen Glaubens, daß Christus wahrlich und wahrhaftiger Mensch gewesen ist und nicht, wie viele Ketzer meinen, bloß eine Erscheinung oder der Geist Gottes, der sich auf einen bereits existierenden Menschen herabgelassen habe.

Indem Christus die Welt gegen Gott vertrat, sich für sie verbürgte, trat er außer Gott heraus und ihm gegenüber. Solange also die Welt nicht wieder mit Gott versöhnt war, war Christus nicht Gott, sondern in einem Mittelzustande, der durch die Besiegung des Heidentums zur göttlichen Gestalt wurde, aber selbst der wahre göttliche Zustand nicht war. Um in diesen sich wieder zu versetzen, mußte Christus seinem Vater die Welt übergeben, die er dem Teufel abgerungen hatte, mußte die göttliche Gestalt ablegen und sich selbst demütig dem Vater unterwerfen, um die Strafe für die Missetat der Welt auf sich zu nehmen. Diese Demut zeigte er, indem er Mensch wurde, vom Weibe geboren, und gehorsam war bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuz. Alle Reinigung und Opfer hatten Gott nicht versöhnen können und waren bloß die Vorspiele des einen großen Opfers gewesen, in welchem nicht nur das Böse vertilgt, sondern auch der Zorn Gottes versöhnt wurde. Dieser konnte nur durch die größte, freiwilligste, demütigste Unterwerfung versöhnt werden, und das konnte nur der Sohn, nicht aber der Mensch, den die Furcht und Qual des Gewissens, der dräuende Zorn Gottes zur Unterwerfung zwang. Jetzt konnte Christus auch die Menschen vor Gott vertreten, da er durch die Anbetung, die sie ihm, ohne es zu wissen, zollten, ihr Herr, ihr Verteidiger geworden war. Um nun wirklich an des Menschen Statt die diesem zukommende Strafe zu tragen, ward er Mensch; der Entschluß zur Menschwerdung ist ein Wunder der göttlichen Gesinnung. So wurde der im Anfange bei Gott, ja Gott selbst, und nach dem Sündenfall in der "göttlichen Gestalt" war, jetzt in Bethlehem als Mensch geboren, und zwar aus dem heiligen Geist von der Maria, ohne Zutun einiges Mannes.

Wer hätte das zu hoffen gewagt, daß im Jahr 1842 ein Philosoph, ja, der Stifter der neuen Lästerschule, so erfreulich umkehren werde und sich so freudig zu den Hauptlehren des Christentums bekennen? Das, woran <235> der Zweifel sich immer zuerst machte, was die Halbchristen von jeher verstoßen haben, und das dennoch der Eckstein des christlichen Glaubens ist, die Geburt Christi aus der Maria ohne Zutun des Mannes, daß Schelling auch dies als seine Uberzeugung ausgesprochen hat, ist eines der erfreulichsten Zeichen der Zeit, und der hochbegnadigte Mann, der den Mut dazu hatte, hat Anspruch auf den Dank eines jeden Gläubigen. Wer erkennt aber nicht hier die Hand des Herrn in dieser wunderbaren, herrlichen Fügung? Wer sieht nicht, daß er hier seiner Kirche ein Zeichen gibt, daß Er sie nicht verlassen hat und ihrer bei Tag und Nacht gedenkt?

Über den Tod des Herrn spricht sich Schelling auf eine ebenso wahrhaft christliche und erbauliche Weise aus. Er sei von Anbeginn der Welt im Rate der Wächter beschlossen gewesen und ein Opfer, das die göttliche Gesinnung geheischt habe. Gott sei auch gegen den Satan gerecht und habe ihm so sehr sein Recht angedeihen lassen, daß er seinen eigenen Sohn in den Tod dahingegeben, auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben, damit der Teufel nur ja nicht den mindesten Grund habe zu sagen, er sei durch die größere Macht Gottes auf ungerechte Weise gestürzt worden. Es ist die Majestät und Herrlichkeit des Herrn selbst, die auch den leisesten Schein eines solchen Fleckens nicht duldet. Darum mußte Christus Mensch werden und die Missetat der gottverlassenen Menschheit auf sich nehmen und am Kreuze den Tod leiden, auf daß durch eines Tod viele lebendig würden. Darum mußte der Herr in seiner Gnade und Barmherzigkeit sich dahingehen für uns, sich für die Sünder beim Vater verbürgen und unsere Schuld bezahlen, daß wir wieder Zutritt haben zum Thron der Gnade. Und zwar sind die anderen Menschen auch dem Tode samt und sonders verfallen, aber keiner ist so gestorben wie der Herr, hat einen solchen Erlösungstod erlitten wie Jesus Christus. Und so ist auch diese Krone des Glaubens, die Reinigung von den Sünden im Blüte Christi, wieder einmal wunderbarlich aus den Krallen des alten Drachen, welcher jetzt in Gestalt der Weltweisheit und des leidigen Zeitgeistes umgeht, gerettet worden, und aufs neue hat der Herr die köstliche Verheißung bewährt, daß die Pforten der Hölle seine Kirche nicht überwältigen sollen. Weiter sagt Schelling von Christo sehr schön: Dieser Tod ist ein so großes Wunder, daß wir gar nicht wagen würden, es zu glauben, wenn wir es nicht so gewiß wüßten. Bei seinem Tode war die ganze Menschheit vertreten: Juden und Heiden waren gegenwärtig, und sie waren die beiden Seiten des ganzen Menschengeschlechts. Das Prinzip der Heiden, wie Christus es durch seinen Kampf mit dem Satan im Heidentum geworden war, mußte den Tod der Heiden, den Kreuzestod, sterben. Die <236> Ausspannung am Kreuze ist nur die Lösung der langen Spannung, in der er sich unter den Heiden befunden hatte, d. h. die außergöttliche Stellung des Herrn löste sich auf, und er wurde durch den Tod wieder Eines mit Gott, wie geschrieben steht: Er ist aus der Angst und dem Gericht genommen, wer will seines Lebens Länge ausreden? Denn er ist aus dem Lande der Lebendigen weggerissen, da er um die Missetat meines Volkes geplaget war (Jes. 53,8).

Von der Auferstehung des Herrn sagt aber Schelling, sie sei der Beweis, daß Christus seine Menschheit nicht zum Schein angenommen habe, sondern ernstlich und für immer Mensch geworden sei, und daß Gott die menschliche Gestalt und das menschliche Wesen wieder zu Gnaden angenommen habe, und zwar nicht allein die Menschheit in Christo, sondern überhaupt alle Menschheit, deren Vertreter Christus nur gewesen. Denn nicht die einzelne Sünde sei Gott so mißfällig, daß er die Menschheit darum habe verlassen müssen, sondern das Schlimmste sei der ganze, sündige, dem Bösen verkaufte Zustand des ganzen Menschengeschlechts, und daher hat Gott sein Mißfallen am Menschen, schon ehe er gesündigt, so daß es vor Gott schon gleichsam eine Sünde war, ein Mensch zu sein. Daher konnte kein guter, Gott wohlgefälliger Wille, daher keine einzige gute, vor Gott gerechte Tat auf der Welt sich finden, ehe Christus gestorben war, und daher können auch jetzt nur die Gläubigen gute Werke tun und guten Willen haben. Durch die Auferstehung des Herrn aber ist der menschliche Zustand wieder vor Gott gerechtfertigt und von Gott als entsündigter anerkannt, und so ist die Rechtfertigung durch die Auferstehung erst vollendet. So ist Christus nun gen Himmel aufgehoben worden und sitzet zur Rechten Gottes des Vaters, als wahrer Mensch und wahrer Gott, die Menschheit vor dem Vater vertretend.

Die Auferstehung ist uns ferner ein Beweis für die Unsterblichkeit unserer eigenen Seele und die Auferstehung des Fleisches. Auch dies erkennt Schelling an und setzt hinzu, daß, wenn in diesem Leben das Fleisch über den Geist herrsche, ein zweites folgen müsse, wo der Geist das Fleisch überwältigt habe und zuletzt eine Ausgleichung beider Seiten notwendig sei. Dies stimmt ganz mit der Lehre der Schrift, denn der letzte Zustand nach der Auferstehung und dem jüngsten Gericht, nach der Verklärung des Leibes, ist nichts anderes als das, was Schelling das Gleichgewicht zwischen Seele und Leib nennt. Für den Zustand der Unbuß- fertigen und Verdammten, die in Unglauben, Herzenshärtigkeit und Sünden dahingefahren sind, spricht Schelling auch eine Vermutung aus. Er hält den zweiten, ewigen Tod für ein ewiges Sterben, ohne je zum wirklichen <237> Tode kommen zu können. Darüber zu grübeln, möchte wohl unterlassen und es dem Herrn anheimgestellt werden können, wie er seine Verächter und Lästerer züchtigen und peinigen will.

Endlich aber legt der teure Schelling folgendes köstliche Zeugnis von der Auferstehung unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi ab: Diese Auferstehung ist ein Blitz der innern Geschichte in die äußere. Wer solche Tatsachen wegnimmt, dem bleibt die Geschichte des Reiches Gottes nur eine Reihe von äußerlichen, zufälligen Begebenheiten ohne allen göttlichen Inhalt, ohne das Transzendente (was über die Vernunft geht), welches erst eigentliche Geschichte ist. Ohne sie ist die Geschichte nur eine äußerliche Gedächtnissache, nie eine wahre, ganze Kenntnis der Begebenheiten. - Das ist ein schönes und christliches Wort, dagegen die Redereien der Weltweisen von Gott in der Geschichte und Entwickelung des Gattungsbewußt- seins eitel Unflat und Lästerung sind. Denn wenn diese hochmütigen Jugendverführer ihren Gott in der Geschichte aller menschlichen Sünden und Verbrechen haben, wo bleibt der Gott außerhalb dieser Sünden. Diese Spötter wollen nicht einsehen, daß die ganze Weltgeschichte ein Vorüberdrängen von allerlei Ungerechtigkeit, Bosheit, Mord, Ehebruch, Hurerei, Dieberei, Lästerung, Frevel, Zorn und Wut und Trunkenheit ist, die unfehlbar sich selbst in die Hölle stürzen würden und die ganze Welt mit, wenn man nicht überall Gottes rettende Hand sähe, die dem Übel wehrt und steuert; und diese schändliche Lasterbühne ist ihr Himmel, ihre ganze Unsterblichkeit, das haben sie selbst offen gesagt. Aber das sind die säubern Folgen davon, daß man alle göttlichen Wirkungen aus der Geschichte herauswirft. Gott rächt sich dadurch an ihnen, daß er ihnen sein wahres Wesen verschließt und sie sich einen Gott machen läßt, der noch weniger als ein tauber Götze von Holz und Stroh, der ein vages Luftgebilde, ein sogenannter Weltgeist und Geist der Geschichte ist. Was bei einer solchen Betrachtung der Geschichte, deren Hauptanstifter der bei allen guten Christen übel berufene Hegel ist, herauskommt, haben wir gesehen; halten wir also das Bild der Geschichte dagegen, welches ein Mann Gottes, wie Schelling, entwirft.

Unter den Zwölfen, sagt Schelling, welche den Herrn immer umgaben und von ihm zu Aposteln bestellt wurden, waren es vornehmlich drei, die er bei jeder Gelegenheit vor den andern begnadigte, Petrus, Jakobus und Johannes. In diesen Dreien sind die Vorbilder der ganzen christlichen Kirche gegeben, wenn wir für den früher für den Namen Christi getöteten Jakobus, den ungefähr zu derselben Zeit bekehrten Paulus als Nachfolger annehmen. Petrus, Paulus und Johannes sind die Herrscher über drei <238> verschiedene Zeiträume der christlichen Kirche, wie im Alten Testament Moses, Elias und Johannes der Täufer die drei Vertreter dreier Zeiträume waren. Moses war der Gesetzgeber, durch welchen der Herr den Grund legte; Elias der feurige Geist, der das träge, abgefallene Volk wieder zum Leben und zur Tätigkeit brachte; Johannes der Täufer der Vollender, der das Alte Testament ins Neue hinüberführt. So auch war für die neutestamentliche Kirche Petrus der Moses, der Grundleger, durch welchen das jüdische Wesen der damaligen Zeit in der christlichen Kirche vertreten wurde; Paulus der treibende, feurige Elias, der die Gläubigen nicht lau werden und einschlummern ließ und das Wesen des Heidentums, Bildung, Gelehrsamkeit und Weltweisheit - sofern sie sich unter den Glauben gefangen gab - vertrat; Johannes aber wird wiederum der Vollender, der auf die Zukunft Hinweisende sein, denn die der Herr liebt, denen gibt er das Geschäft des Vollendens. So schrieb denn auch Johannes, schon zu seinen Lebzeiten auf die Zukunft hinweisend, die Offenbarung. Die Kirche des Apostels Petrus ist nun die katholische, deren zeremonieller Gottesdienst, so wie ihre Lehre von den guten Werken dem jüdischen Gesetze entspricht; und es läßt sich nicht leugnen, daß das Wort des Herrn: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen, und die Pforten der Holle sollen sie nicht überwältigen, auf die von ihm gestiftete Kirche geht. Wie er den Herrn dreimal verleugnete, so läßt sich auch nachweisen, daß die römische Kirche den Herrn dreimal verleugnet hat. Zuerst, als sie selbst nach der weltlichen Herrschaft strebte, sodann, als sie der weltlichen Gewalt zu ihren Zwecken sich zu bedienen wußte, und endlich, als sie der weltlichen Gewalt sich als Mittel zu ihren Zwecken hergab. Die zweite Kirche des Apostels Paulus nun ist die protestantische, in welcher die Gelehrsamkeit und alle gottselige Weisheit, also das Wesen der aus dem Heidentum herübergekommenen Christen vorherrschend ist, und in welcher, statt des Feststehenden, Bleibenden der katholischen Kirche, nun das Treibende, Parteien machende Leben der in viele Sekten zerfallenden evangelischen Kirche eintritt. Wer weiß, ob das Dichten und Trachten dieser heidnischen Christen dem Reiche Gottes nicht am Ende förderlicher ist als das der jüdischen Christen!

Aber keine dieser beiden Parteien ist die wahre, letzte Kirche des Herrn, sondern dies wird erst die sein, die von Petri Grund durch Paulum zu Johannes durchdringt und so die letzten Zeiten vorbereitet. Diese letzte Kirche ist die Kirche der Liebe, wie Johannes der Bote der Liebe war, die Vollendung der Kirche, zu deren Zeiten der auf das Ende geweissagte große Abfall sein wird, und sodann das jüngste Gericht. Es sind allen <239> Aposteln viele Kirchen gebaut worden, aber verhältnismäßig sehr wenige dem heiligen Johannes. Hätte ich eine Kirche zu bauen, so würde ich sie ihm widmen; einst aber wird eine Kirche gebauet werden allen drei Aposteln, und diese wird die letzte, das wahre christliche Pantheon sein.

Dies sind die Worte, mit denen der erste wahrhaft christliche Philosoph seine Vorlesungen beschloß, und so wären wir ihm bis zum Ende gefolgt. Der Verfasser dieser Zeilen glaubt hinlänglich gezeigt zu haben, welch ein auserwähltes Rüstzeug der Herr seiner Kirche in diesem werten Manne er- wecket hat. Das ist der Mann, welcher die Heiden der jetzigen Welt vertreiben wird, die da ihr Wesen treiben unter vielfältiger Gestalt, als Weltleute, als Junges Deutschland, als Philosophen und wie sie sich sonst nennen mögen. Wahrlich, wenn man in den Saal kam, in welchem Schelling seine Vorlesungen hielt, und hörte diese Leute über den Auserwählten unter den Weltweisen spötteln und witzeln, so mußte man des Apostels Pauli gedenken, als er zu Athen predigte. Es ist geradeso, als wiederholte sich die Geschichte, wie sie Apostelgesch. 17,16ff. erzählet ist, wo die Worte also lauten:

"Da aber Paulus zu Athen ihrer wartete, ergrimmete sein Geist in ihm, da er sah die Stadt so gar abgöttisch. Und er redete zwar zu den Juden und Gottesfürchtigen in der Schule, auch auf dem Markt alle Tage zu denen, so sich herzufanden. Etliche aber der Epikureer und Stoiker Philosophen zankten mit ihm. Und etliche sprachen: Was will dieser Lotterbube sagen? Etliche aber: Es siehet, als wollte er neue Götter verkündigen. Das machte, er hatte das Evangelium von Jesu und von der Auferstehung ihnen verkündiget."

Wohl mochte auch Schelling hier zu Berlin ergrimmen, da er sähe die Stadt so gar abgöttisch. Denn wo wird mehr Abgötterei getrieben mit irdischen Dingen, mit dem Mammon und der Ehre dieser Welt, mit dem eignen lieben Ich, und der wahre Gott mehr beiseite gesetzt als gerade hier? Wo ist das Weltleben mit seiner Üppigkeit, seinem Luxus und seiner hohlen, eitlen Pracht, mit seinen glänzenden Lastern und übertünchten Sünden auf eine höhere Stufe gediehen als gerade hier? Haben eure Gelehrten, eure seichten und unchristlichen Schriftsteller euch nicht schmeicheln wollen, wenn sie eure Stadt so häufig mit Athen verglichen? 0 , welche bittere Wahrheit haben sie euch gesagt! Jawohl, Athen voll heidnischer, stolzer Bildung und Zivilisation, die euch eben die Augen verblendet gegen die einfache Wahrheit des Evangeliums, Athen voll Glanz und Schein und irdischer Herrlichkeit, voll Wohllebens und bequemen Schlendrians, der sich dehnt und gähnt auf weichen Lotterbettlein, und dem das Wort vom <240> Kreuz viel zu langweilig und die Buße viel zu anstrengend ist, Athen voll üppigen wilden Rausches und Sinnentaumels, in dem die laute Stimme des Gewissens überschrieen und übertäubt, die innere Unruhe und Pein mit glänzender Hülle bedeckt wird! Jawohl, Athen voll hochmütiger Weltweisen, die sich um Sein und Nichts und andre schale Dinge den Kopf zerbrechen und mit Gott und Welt längst fertig sind, die aber das Wort von der Demütigung und Armut im Geiste als eine Torheit und eine Kuriosität aus vergangenen Zeiten verlachen; Athen voll gründlicher Gelehrter, die alle Arten Infusionstierchen und alle Kapitel des römischen Rechts auswendig wissen und darüber das ewige Heil, welches ist der Seelen Seligkeit, vergessen! Da mag auch wohl ein Schelling ergrimmet sein wie einst Paulus, als er in eine solche Stadt trat. Und als er herkam, da sprachen die Weltweisen, wie vorzeiten die weiland Epikureer und Stoiker zu Athen: Was will dieser Lotterbube sagen? Sie sprachen schon schlecht von ihm, ehe er seinen Mund aufgetan hatte, sie schmähten ihn, ehe er noch ihre Stadt betreten hatte. Doch sehen wir, wie die Heilige Schrift uns weiter berichtet: "Sie nahmen ihn aber und führeten ihn auf den Richtplatz und sprachen: Können wir auch erfahren, was das für eine neue Lehre sei, die du lehrest? Denn du bringest etwas Neues vor unsre Ohren; so wollten wir gerne hören, was das sei? Die Athener aber alle, auch die Ausländer und Gäste, waren gerichtet auf nichts anderes, denn etwas Neues zu sagen und zu hören."

Nun, sind das nicht die Berliner, wie sie leiben und leben? Sind nicht auch sie nur gerichtet darauf, etwas Neues zu hören und zu sehen? Da gehet einmal hin in eure Kaffeehäuser und Konditoreien und sehet, wie die neuen Athener hinter den Zeitungen herlaufen, während die Bibel zu Hause bestaubt daliegt, und kein Mensch schlägt sie auf; hört, wenn sie zusammenkommen, ob ihr Gruß anders ist als: Was gibt's Neues? Nichts Neues? Immer etwas Neues, immer etwas noch nicht Dagewesenes, sonst langweilen sie sich zu Tode mit all ihrer Bildung, ihrer Pracht und ihren Genüssen. Wer gilt ihnen für liebenswürdig, interessant und beachtenswert? Der am erleuchtetsten ist vom heiligen Geist? Nein, der, der immer die meisten Neuigkeiten zu erzählen weiß. Was kümmert sie am meisten? Ob sich ein Sünder bekehrt hat, worüber sich doch die Engel Gottes freuen? Nein, was über Nacht für Skandalgeschichten vorgefallen sind, was in der "Leipziger Allgemeinen Zeitung" aus Berlin berichtet ist! Vor allen ist das Otterngezücht der Politiker und Kannegießer aber das schlimmste und am meisten auf Neuigkeiten versessene. Diese Heuchler mischen sich aufs vorlauteste in die Regierung, statt dem Könige zu lassen, was des Königs <241> ist, und kümmern sich um ihrer unsterblichen Seelen Heil keinen Augenblick; den Splitter im Auge der Regierung wollen sie ausziehen, und den Balken in ihrem eignen glaubenslosen, für Christi Liebe blinden Auge wollen sie nicht bemerken. Diese sind ganz besonders wie weiland die Athener, die sich auch den ganzen Tag auf dem Markte umhertrieben und Neuigkeiten aufspürten und die alte Wahrheit dagegen unangerührt im Schranke liegen haben. Was wollten sie von Schelling anders, als etwas Neues hören, und wie rümpften sie ihre Nasen, als er ihnen nur das alte Evangelium brachte! Wie wenige waren ihrer, die nicht stets nach neuen Dingen trachteten, sondern von Schelling nur die alte Wahrheit, das Wort von der Erlösung durch Christum Jesum, verlangten! –

Und so ist es mit der ganzen Geschichte, wie dort bei Paulus, so hier bei Schelling. Sie hörten seine Predigt mit kritischen Gesichtern an, lächelten hier und da vornehm, schüttelten den Kopf, sahen sich selbst vielsagend und dann Schelling mitleidig an, und da sie höreten die Auferstehung von den Toten, da hatten sie es ihren Spott (Apostelgesch. 17,32). Nur wenige hingen ihm an. Denn wie in Athen ist es noch heute: die Auferstehung von den Toten ist ihr Hauptärgernis. Die meisten sind ehrlich genug, von gar keiner Unsterblichkeit etwas wissen zu wollen; die Minderzahl gibt eine sehr ungewisse, schwankende, neblige Unsterblichkeit der Seele zu, aber den Leib läßt sie auf ewig vermodern, und sie sind alle darin gleich, daß sie die wirkliche, entschiedene und unverhohlene Auferstehung des Fleisches verspotten und für ein Ding der Unmöglichkeit halten, als wenn nicht geschrieben stände: Bei Gott ist kein Ding unmöglich.

Es bleibt uns aber noch eine andre Bemerkung übrig, wenn wir auf die dem gläubigen Leser dargelegte Geschichte der Kirche Christi, wie sie vorbildlich in den drei Aposteln Petrus, Paulus und Johannes uns vorgestellt ist, zurückkommen. Es folgt daraus, daß es höchst unrecht und sündlich gegen die Anordnung Gottes selbst ist, wenn wir, wie so manche noch heutzutage tun, die katholische Kirche gegen die unsrige verachten und herabsetzen wollten. Denn sie ist ebensogut wie die protestantische im göttlichen Ratschluß vorherbestimmt, und wir können gar manches von ihr lernen. Die katholische Kirche hat noch die alte apostolische Kirchenzucht, welche bei uns ganz verlorengegangen ist. Wir wissen aus der Schrift, daß die Apostel und die Gemeinden Ungläubige, Irrlehrer und Sünder, die der Gemeinde zum Ärgernis waren, ausstießen aus der Gemeinschaft des heiligen Geistes. Spricht nicht Paulus 1 Kor. 5, 3-5: Ich zwar, als der ich mit dem Leibe nicht da bin, doch mit dem Geist gegenwärtig, habe schon als gegenwärtig beschlossen über den, der solches also getan hat: In dem <242> Namen unsres Herrn Jesu Christi, in eurer Versammlung mit meinem Geist und mit der Kraft unsres Herrn Jesu Christi: Ihn zu übergeben dem Satan zum Verderben des Fleisches, auf daß der Geist selig werde am Tage unsres Herrn Jesu. Hat nicht Christus gesagt zu Petro: Und ich will dir des Himmelreichs Schlüssel geben. Alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel los sein (Matth. 16, 19). Sprach er nicht nach der Auferstehung zu allen Jüngern: Welchem ihr die Sünden er- lasset, dem sind sie erlassen, welchem ihr sie behaltet, dem sind sie behalten? (Ev. Joh. 20, 23.) Solche Stellen der Heiligen Schrift gehen auf eine kräftige Kirchenzucht, wie sie in der apostolischen Kirche blühte und bei den Katholiken noch besteht, und wenn die apostolische Kirche unser Vorbild und die Heilige Schrift unsre Richtschnur ist, so müssen auch wir jene alte Einrichtung wieder in Geltung zu bringen trachten, und bei der Wut, mit welcher der böse Feind heutzutage die Kirche des Herrn verfolgt und angreift, mögen wir wohl uns vorsehen, nicht nur innerlich mit Glauben und Hoffnung, sondern auch äußerlich durch Befestigung der Gemeinschaft im Geist und Ausstoßung der falschen Propheten gerüstet zu sein. Der Wolf darf nicht unter die Herde kommen, ohne wieder heraus- getrieben zu werden. Auch ist ferner die Ehelosigkeit der katholischen Priester nicht ganz zu verwerfen. Es steht geschrieben Matth. 19, 10- 12: Da sprachen die jünger zu ihm: Stehet die Sache eines Mannes mit seinem Weibe also, so ist es nicht gut, ehelich werden. Er sprach aber zu ihnen: Das Wort fasset nicht jedermann, sondern denen es gegeben ist. Denn es sind etliche verschnitten, die sind aus Mutterleibe also geboren; und sind etliche verschnitten, die von Menschen verschnitten sind und sind etliche verschnitten, die sich selbst verschnitten haben um des Himmelreichs willen. Wer es fassen mag, der fasse es. Sodann handelt 1 Kor. 7 von Anfang bis zu Ende von den Vorzügen des ehelosen Standes gegen den Ehestand, und ich will daraus nur einige Stellen anführen: V. 1.2. Es ist dem Menschen gut, daß er kein Weib berühre, aber um der Hurerei willen habe ein jeglicher sein eigen Weib und eine jegliche habe ihren eigenen Mann. V. 8. Ich sage zwar den Ledigen und Witwen: Es ist ihnen gut, wenn sie auch bleiben wie ich. V. 27. Bist du aber los vom Weibe, so suche kein Weib. V.32.33. Wer ledig ist, der sorget, was dem Herrn angehöret, wie er dem Herrn gefalle; wer aber freiet, der sorget, was der Welt angehöret, wie er dem Weibe gefalle. V. 38, ff. Endlich, welcher verheiratet, der tut wohl, welcher aber nicht verheiratet, der tut besser. Ein Weib ist gebunden an das Gesetz, solange ihr Mann lebet; so aber ihr Mann entschläft, ist sie frei,

<243> sich zu verheiraten, welchen sie will; allein, daß es in dem Herrn geschehe. Seliger ist sie aber, wo sie also bleibet, nach meiner Meinung. Ich halte aber, ich habe auch den Geist Gottes. - Diese Aussprüche sind doch klar genug, und es ist schwer zu begreifen, wie bei solchen Vorschriften der ehelose Stand unter den Protestanten so sehr in Verruf kommen konnte. So sehen wir also, daß die katholische Kirche in manchen Stücken der Heiligen Schrift nähersteht als wir, und wir keine Ursach haben, sie zu verachten. Im Gegenteil stehen unsre Brüder in der katholischen Kirche, so sie gläubig und gottesfürchtig sind, uns näher als die abgefallenen und un christlichen Protestanten, und es ist an der Zeit, daß wir die Johannes- Kirche vorzubereiten anfangen, indem wir uns mit den Katholiken vereinigen gegen die gemeinsamen Feinde, welche das ganze Christentum bedrohen. Es ist nicht mehr Zeit, sich über die Unterschiede der einzelnen Bekenntnisse zu streiten, wir müssen das dem Herrn überlassen, nachdem wir Menschen es in dreihundert Jahren nicht haben ins klare bringen können, wir müssen wachen und beten und gerüstet sein alle Zeit, umgürtet die Lenden mit Wahrheit und angezogen den Krebs der Gerechtigkeit und an Beinen gestiefelt, als fertig zu treiben das Evangelium des Friedens; vor allen Dingen aber müssen wir ergreifen den Schild des Glaubens, mit welchem wir auslöschen können alle feu[rigen] Pfeile des Bösewichts, und nehmen den Helm des Heils und das Schwert des Geistes, welches ist das Wort Gottes (Epheser 6, 14-17). Denn die Zeit ist schlimm, und der Feind gehet um wie ein brüllender Löwe und suchet, welchen er verschlinge (1. Petri 5, 8). Und wenn der Verfasser seine demütige Meinung äußern darf, wo so manche gottselige und erleuchtete Männer reden könnten, so ist er der Ansicht, daß die Kirche Johannis und mit ihr die letzten Tage vor der Tür sind. Wer hat den Ereignissen der letzten Jahre im Hinblick auf den Herrn zugesehen, ohne zu merken, daß große Dinge im Anzüge sind, und die Hand des Herrn in den Begebenheiten der Könige und Länder waltet! Seit der greulichen französischen Revolution ist ein ganz neuer, teuflischer Geist in einen großen Teil der Menschheit gefahren, und die Gottlosigkeit erhebt ihr freches Haupt so unverschämt und hoffärtig, daß man denken muß, es gingen jetzt die Weissagungen der Schrift in Erfüllung. Wir wollen aber einmal sehen, was die Schrift über die Gottlosigkeit der letzten Zeiten sagt. Der Herr Jesus sagt Matth. 24, 11-14: Und es werden sich viele falsche Propheten erheben und werden viele verführen, und dieweil die Ungerechtigkeit wird überhandnehmen, wird die Liebe in vielen erkalten. Wer aber beharret bis an das Ende, der wird selig. Und es wird geprediget werden das Evangelium vom Reich in der ganzen <244> Welt zu einem Zeugnis über alle Völker, und dann wird das Ende kommen. Und V. 24: Es werden falsche Christi und falsche Propheten aufstehen und große Zeichen und Wunder tun, daß verführet würden in den Irrtum, wo es möglich wäre, auch die Auserwählten. Und Paulus sagt, 2.Thess. 2, 3 ff.: Es wird geoffenbaret werden der Mensch der Sünde und das Kind des Verderbens, der da ist ein Widerwärtiger und sich überhebt über alles, das Gott oder Gottesdienst heißt; nach der Wirkung des Satans, mit allerlei lügenhaftigen Kräften und Zeichen und Wundern und mit allerlei Verführung zur Ungerechtigkeit unter denen, die verloren werden, dafür, daß sie die Liebe zur Wahrheit nicht haben angenommen, daß sie selig würden. Darum wird ihnen Gott kräftige Irrtümer senden, daß sie glauben der Lüge; auf daß gerichtet werden alle, die der Wahrheit nicht glauben, sondern haben Lust an der Ungerechtigkeit. Und 1. Tim. 4, 1: Der Geist aber sagt deutlich, daß in den letzten Zeiten werden etliche vom Glauben abtreten und anhangen den verführerischen Geistern und Lehren der Teufel.

Ist das nicht, als sähen der Herr und Paulus unsere Zeit vor Augen wie u iinrl lpKt) Dpr aücrpmpinp AWall vnm Hnttpc mrA größer, die Gottlosigkeit und Lästerung wird täglich frecher, wie Petrus sagt, 2. Petri 3, 3: Und wisset, daß in den letzten Tagen kommen werden Spötter, die nach ihren eigenen Lüsten wandeln. Alle Feinde Gottes tun sich jetzt zusammen und fallen die Gläubigen mit allen möglichen Waffen an; die Gleichgültigen, welche der Lust dieser Welt frönen und denen das Wort vom Kreuz zu langweilig war, vereinigen sich jetzt, vom Gewissen gestachelt, mit den atheistischen Weltweisen und wollen durch deren Lehre den Wurm im Innern einschläfern; diese auf der andern Seite leugnen mit offner Stirn alles, was nicht mit Augen zu sehen ist, Gott und alles Leben nach dem Tode, und da versteht es sich von selbst, daß ihnen diese Welt das Höchste ist, diese Welt mit ihren fleischlichen Genüssen, mit Fressen, Saufen und Huren. Das sind die schlimmsten Heiden, die sich selbst verhärtet und halsstarrig gemacht haben gegen das Evangelium, und von denen der Herr sagt, daß es dem Lande der Sodomer und Go- morrher erträglicher gehen werde am jüngsten Gericht denn ihnen. Es ist nicht mehr eine Gleichgültigkeit und Kälte gegen den Herrn, nein, es ist offene, erklärte Feindschaft, und anstatt aller Sekten und Parteien haben wir jetzt nur zwei: Christen und Antichristen. Wer aber Augen hat zu sehen, der sehe und verblende sie nicht; denn es ist jetzt nicht Zeit zu schlummern und Ausflüchte zu machen; wo die Zeichen der Zeit so klar sprechen, da gilt es acht auf sie zu haben und zu forschen in den Worten der Weissagung, die uns nicht umsonst gegeben ist. Wir sehen die falschen <245> Propheten mitten unter uns, und ist ihnen gegeben, ein Mund zu reden große Dinge und Lästerung, und sie tun ihren Mund auf gegen Gott zur Lästerung, zu lästern seinen Namen und seine Hütte und die im Himmel wohnen. Und ist ihnen gegeben zu streiten mit den Heiligen und (so will es fast scheinen) sie zu überwinden Off. Joh. 13,5-7. Alle Scham und Scheu und Ehrfurcht ist aus ihnen verschwunden, und die scheußlichen Spöttereien eines Voltaire sind ein Kinderspiel gegen den gräßlichen Ernst und die überlegte Lästerung dieser Verführer. Sie ziehen umher in Deutschland und wollen sich überall einschleichen, sie predigen ihre satanischen Lehren auf den Märkten und tragen das Panier des Teufels von einer Stadt zur andern, die arme Jugend hinter sich herlockend, um sie in den tiefsten Schlund der Hölle und des Todes zu stürzen. Die Versuchung hat auf eine unerhörte Weise überhandgenommen, und daß der Herr sie so zuläßt, kann nicht ohne besondere Absicht sein. Soll es denn auch von uns heißen: Ihr Heuchler, des Himmels Gestalt könnt ihr beurteilen, könnt ihr denn nicht auch die Zeichen dieser Zeit beurteilen? Matth. 16, 3. Nein, wir müssen unsere Augen auf tun und um uns schauen; die Zeit ist wichtig, und es gilt zu wachen und zu beten, auf daß wir nicht in Anfechtung fallen und der Herr, welcher kommen wird wie ein Dieb in der Nacht, uns nicht schlafend finde. Es werden große Trübsal und Anfechtung über uns kommen, aber der Herr wird uns nicht verlassen, denn er hat gesagt: Offenb. Joh. 3, 5: Wer überwindet, der soll mit weißen Kleidern angetan werden, und ich werde seinen Namen nicht austilgen aus dem Buche des Lebens und will seinen Namen bekennen vor meinem Vater und seinen Engeln. Und V. 11: Siehe, ich komme bald. Halte, was du hast, auf daß niemand deine Krone nehme! Amen.

Geschrieben Anfang 1842.

Erschienen als Broschüre Anfang Mai 1842.