Wolfram Pfreundschuh (13.12.2013)

Arbeit am Wahnsinn - Emanzipationsversuche gegen die herrschende Rationalität

Vernünftige Menschen machen keinen Unsinn, sagt man, und behauptet damit eine stillschweigende Übereinkunft von Sinn und Vernunft. Ein vernünftiger Mensch sei mündig, meint Immanuel Kant, weil er selbstverantwortlich für sein Handeln wäre, also ein erwachsener Bürger seiner Zeit und Gesellschaft sei, in welcher der mündige Mensch als ein nützliches Mitglied zählt, das ihren Gemeinsinn befördert, indem es seinen Eigensinn an diesem bemisst. Vernunft ist eben vor allem praktisch, weil sie Unnützes vom Nützlichen unterscheiden kann. Und wer das kann, ist ja auch zweifellos loyal mit einer Gesellschaft, in welcher der Nutzen das Maß aller Dinge, ihr wirklicher Wert ist, der im Geld seine höchste und allgemeinste und abstrakteste Form hat. Eltern ermahnen deshalb ihre Kinder zur Vernunft und das bürgerliche Recht beruft sich auf sie in höchster Instanz. Wer sich als freie Persönlichkeit verwirklichen will, wer ein sinnvolles Leben führen will, der müsse für diese Gesellschaft nützlich sein, Geld verdienen und damit sein Glück schmieden. Geld erscheint von daher als die Grundlage einer glücklichen Existenz, weil es im Allgemeinen immer nützlich ist.

Und in der Tat. Geld hat eine Logik, die sich in dieser Welt noch immer durchsetzt. Seine Vernunft ist allseitig und daher auch vielseitig verwendbar, denn nützlich kann alles sein, einmal eben für dies und dann auch für das Gegenteil. In der Allgemeinheit ist diese Vernunft im Grunde völlig gleichgültig gegen den Sinn ihrer Wirklichkeit. Und das macht die herrschende Rationalität aus ↓(0). Es erscheint natürlich, dass ein Leben sinnvoll ist, das sich alles leisten kann, was ihm nützt. Doch es setzt voraus, dass etwas vernutzt wurde, das Sinn gebildet hat. Geld vermittelt beides. Es betreibt eine Vertauschung von Sinn und Nutzen und täuscht eine Einheit vor - gerade wo der Gegensatz offensichtlich wird. Denn Nutzen hat nur Sinn, wenn er nicht zugleich in sein Gegenteil umschlägt, wenn er also nicht nur dem Geldbesitzer nützt. Man weiß eben, dass Geld vor allem den Sinn auflöst, der ihm nützlich ist, weil es dessen Substanz aufbraucht, weil es eben keinen Sinn macht, sondern ihn nur ausnutzt. Auch wenn sie sich in Geldverhältnissen entwickelt, so ist Kultur immer auch durch Geld bedroht - gerade weil sie nicht nützlich sein kann, weil sie Sinn hat und Sinn macht, auch wenn sie in Geldwerten vernutzt wird. Geld ist ihr Tourist, vor dem man sich schützen muss, um seine Kultur zu wahren. So muss das Bedrohte selbst in seinem Nutzen vorgestellt werden, um damit Geld zu erwerben. Der Geldanleger muss daher immer einen Sinn vortäuschen, der eine gute Nutzung verspricht. Es ist das Image, das im Grunde unbezahlbar ist und für das inzwischen viele große Projekte mit pompösen Design inszeniert werden. Kultur wird dabei als Sinnstifterin hergenommen, die der Wirtschaft, der Welt der Nutzbarkeiten, das Leben einhauchen soll, das ihr bei der Geldverwertung abgeht.

Ein gutes Beispiel ist die Hamburger Gartenbauausstellung, wofür erst mal 3.000 Bäume gefällt wurden, um eine kulturwissenschaftlich sterilisierte Pflanzenzusammenstellung aufzuführen. Hamburg will ja die "Umwelthauptstadt" sein und trägt seit 2011 auch den Titel einer „European Green Capital“. Den Wald gibt es nun nicht mehr, wohl aber ein Horel namens "Hotel Wälderhaus", das fernab von jeglicher Bewaldung auf dem Gelände dieser Ausstellung gleich neben dem S-Bahnhof errichtet wurde. Und da drinnen ist alles aus Holz, - soll heißen: Natur pur. Holz war da eben auch billig, als die Bäume gefällt waren. In jedem Zimmer ist einer der abgesägten Bäume an die Wand geschraubt, die der Ausstellung weichen mussten. Nachdem ihr Leben getötet worden war, dient es jetzt der Dekoration. In den Baderäumen dieses Hotels liegen für jeden Gast vier Badetücher und ebenso viele verschiedene Plastikflaschen mit Duschlotionen aus, die nach einmaliger Benutzung weggeworfen werden. Und auf jeder steht: "Bitte schalten sie die Dusche aus, während sie sich einseifen - der Umwelt zuliebe!". Die Einseiferei mit der Umwelt läuft inzwischen auf allen Kanälen, ist einträglich und erspart Kosten. Energiekosten heißt das dann natürlich, so, als ob die Energiepreise der Natur geschuldet wären.

Dergleichen Beispiele gibt es überzählig und sie haben immer die selbe Logik. Der Tod lebt in der bloßen Installation von Leben fort, wo das Leben seinen Sinn verloren hat. Und der Sinn lebt fort, indem er seinem Tod entgeht, sich in einer gewähnten Welt bestätigt und bestärkt, die keinen wirklichen Sinn mehr haben kann, weil sie ihn nur noch repräsentiert, veranstaltet und für sich verwesentlicht. In der Vermengung von Ökonomie und Ökologie verselbständigt sich ein Nutzen, dessen Sinn man nur wähnen kann und der - wie hier im Beispiel - nicht die Natur als seine Natur gestalten kann, weil er seine Natur als ökologisches Prinzip ökonomisiert, sie also in diesem Sinn vernutzt. Es ist offensichtlich, dass die verantwortlichen Menschen und Institutionen keine Empfindung mehr für das Leben haben können, das sie installieren wollen. Wie sollte das auch gehen? Es ist die simple Logik einer Verkehrung von Ursprung und Wirklichkeit: Was einem Grund zur Folge sich entwickelt, kann nicht zum Träger für ihren Grund werden, kann ihn nicht wirklich begründen. Das aufgehobene Leben kann nicht durch seinen Tod belebt werden. Der Widersinn wird wahnsinnig. Seine Logik besteht in seiner Selbstaufzehrung, in der Verwertung seines Untergangs, im Management seiner Krisen durch die Potenzierung der Nichtigkeit, aus der sie entstehen. Der Substanzverlust des Lebens perpetuiert sich in der Dekoration seiner Aufhebung. Und es schwindet die Kraft seiner Erneuerung. Jede Krisenlösung wird damit zur Ursache der nächsten Krise. Das erscheint als Kulturzerstörung, doch es ist die Zerstörung einer ganzen Gesellschaft, die ihren Sinn vernutzen muss, weil sie ihren Reichtum einem allgemeinen Nutzen, nämlich der Beliebigkeit der Geldverwertung überantwortet hat.

Für die Menschen lässt sich als Schlussfolgerung hieraus ziehen, was Karl Marx in einem Ausspruch zusammengefasst hat: "Das Leben mag sterben. Doch der Tod darf nicht leben." Es ist eine Selbstaufhebung die entsteht, wenn von etwas abgesehen wird, das grundlegend ist. Es ist eine Abstraktion, die sich über ihren wirklichen Grund erhebt und sich gegen ihn wendet.

1. In ihrem Prinzip folgt Vernunft immer der Logik des abstrakt Allgemeinen

Geld ist nicht nur ein allgemeines Tauschmittel, sondern das Maß der Existenz in einer Waren produzierenden Gesellschaft. Wer es auf den Nutzen von Geld absieht, bemisst die Wirklichkeit seines Lebens durch einen geldweren Nutzen und sieht zwangsläufig von dem Sinn ab, den er für sich und für andere hat. Es ist die Verkörperung einer Abstraktion. Hegel schrieb für seine Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie:

"Abstraktionen in der Wirklichkeit geltend machen, heißt Wirklichkeit zerstören." (Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III, Werke Bd. 20, S. 331)

Dinge sind wirkliche Gegenstände, in denen der Sinn von Menschen, ihre innere und äußer Natur gegenwärtig ist. Zerstörte Wirklichkeit ist ein Unding, eine unwirklich bestimmte Wirklichkeit, in der ihre Inhalte sich nicht in ihrer adäquaten Form gestalten und entfalten können, weil ihre Form eine Abstraktion verwirklicht. Darin machen sich die Wirkungen eines sich selbst entzogenen Lebens allgemein, durch das sich ein aufgehobenes Leben vergegenständlicht. Was sich durch diese Formbestimmung verwirklicht ist eine Realabstraktion, in welcher das Tote das Lebendige bestimmt, das Wesentliche wesenlos erscheint und jede Erscheinung verwesentlicht wird. Wo das Abstrakte selbst allgemeine Wirkung hat, das Leben von einer abstrakten Allgemeinheit bestimmt wird, da wirkt seine Substanz negativ. Indem es dem allgemeinen Zweck einer Abstraktion, dem Nutzen des Geldes folgt, betreibt es durch seine Form im Allgemeinen die Nichtung dessen, was sich darin inhaltlich im Einzelnen bildet und entwickelt. Sein Wesen erscheint als das, was es nicht ist und seine Erscheinung besteht daher im Widerspruch zu seinem Wesen als verwesentliches Ereignis. Jede darin begründete Beziehung ist die Elementarform eines allgemein isolierten Daseins, existiert für sich in einer relativen Allgemeinheit, und wird letztlich dadurch bestimmt, das es sich nur gesellschaftliche Geltung verschaffen kann, wo es von sich absieht. Es muss sich immer wieder von dem trennen, was ihm zu eigen, und muss das haben, was ihm fremd ist.

Die Logik der Trennung eines wesentlichen Zusammenhangs

Und das ist die Logik einer Gesellschaft, in welcher die Abtrennungen allgemein herrschen, der vereinzelte Einzelne seine Entfremdung über seine gesellschaftlichen Verhältnisse erfährt und seine Gesellschaft ihm wie eine fremde Macht erscheint. So wie er sich von dem trennen muss, was ihn verbindet, trennt sich jeder auch vom anderen Menschen und muss um seine isolierte Existenz kämpfen, gegen andere konkurrieren, um als Privatwesen gesellschaftlich existieren zu können. Weil diese Arbeitsteilung damit seine Entfremdung ausmacht, weil nicht die wirkliche Arbeit den wirklichen Bedürfnissen der Menschen nützt und darin ihren Sinn findet und bewährt, bestimmt abstrakt menschliche Arbeit für einen Warenmarkt seine gesellschaftlichen Beziehungen, wie sie überhaupt das Leben der Menschen bestimmt. Das Wesentliche erscheint nicht dort, wo es gebildet wird. Nützliche Arbeit erscheint als das Gegenteil von dem, was sie ist, auf dem Markt ihrer Produkte in der Relation ihrer Austauschbarkeit gleichgültig gegen sich und in ihrer gesellschaftlichen Beziehung gleichgeltend, als geldwertige Arbeit, deren Nutzen durch ihren Tauschwert vergesellschaftet wird. So wird jeder konkrete Nutzen, jeder Gebrauchswert zur Erscheinungsform seines Gegenteils, seinem gesellschaftlichen Wert auf dem Markt. Der Sinn, den der Nutzen hat, erscheint von seinem Wert beherrscht, für den Menschen unsinnig wo er ihn veräußert, und nützlich, wo er ihn erstehen kann. Er betreibt sein Unwesen in einer Geldform, die dadurch zur allgemeinen Lebensbedingung der Menschen geworden ist. Vergangene Arbeit, die sich darin vergegenwärtigt, wird in der Gegenwart mächtig, wird zur Macht einer Marktwirtschaft, die sich in dieser Form als Form ihres allgemeinen Reichtums durchsetzt, wodurch die tote Arbeit als Kapital die lebendige Arbeit bestimmt.

Die vernichtende Wirkung dieses Widerspruchs hat Karl Marx in seiner Kritik der politischen Ökonomie, besonders in seinen Büchern zum Kapital ausgeführt. Er zeigt darin, wie der wirtschaftliche Nutzen einer abstrakt bestimmten Produktion, sich in eine Macht verkehrt, die ihren Wert in einer Allgemeinform, in der Geldform veräußert, durch welche die Verhältnisse der Menschen durch das Verhältnis ihrer Sachen bestimmt werden. Die Macht abstrakt menschlicher Arbeit befördert nicht ihr Leben, sie saugt es auf, indem sie dessen Sinn immer einfältiger macht, menschliche Sinne durch einen einzigen Sinn, durch den Sinn des Habens ↓(1) bestimmt. Darin vereint sich die Logik einer Entwicklung, in welcher die Trennung von Sinn und Nutzen sich in einer gesellschaftlich Formation des Privateigentums aufhebt: Nur was man für sich hat, kann Sinn haben. Aber es setzt voraus, dass es gesellschaftlich entwickelt und produziert ist und als nützlich gilt, einen Gebrauchswert hat, den man auf dem Markt vorfinden und dorthin auch abführen kann↓(2).

Die Vernunft der Selbstverwertung

"Herrschaft und Benutzung ist ein Begriff" - schrieb Marx (in Marx-Engels-Werke Bd.1, S. 339) - , der sich dann menschlich entwickeln kann, wo Nutzen Sinn macht, wo also das Produkt nützlicher Arbeit auf den Menschen zurückkommt, weil es seinen Sinn in seiner Wirklichkeit darstellt, sein Leben als gesellschaftliches Leben bewahrheitet. Das aber setzt eine Produktionsweise und Gesellschaftsform voraus, durch die etwas Nützliches entsteht, das die Naturmacht der Menschen in seiner Sinnlichkeit offenbart, ihre Subjektivität objektiv bewährt, ihre Lebensäußerung auch gegenständlich am Leben hält, weil und sofern sie dessen Sinn im wirklichen Verhältnis ihrer Tätigkeiten veräußern. Getrennt hiervon, also für sich als bloßer Gebrauchswert einer Ware genommen, ist der darin isolierte Nutzen nur das Medium eines ihm äußerlichen Zwecks, einer Eigenlogik, die seiner sinnlichen Isolation entspricht. Diese Logik des verselbständigten, des abstrakten Nutzens ist der Kern der herrschenden Rationalität. Es ist die Vernunft einer Sache, die alles zur Sache macht, zu einer Sache, deren Sinn sich entwertet, während sie verwertet wird. Überall, wo etwas verwertet wird, besteht ihr Sinn nur noch im Nutzen einer an und für sich toten Existenform, die ihren Wert bewahrt, sei es als Marktwert einer Ware, als Wert von Grund und Boden oder als Selbstwert, den Menschen aus der Selbstverwertung ihrer Kultur gewinnen. In der Marktwirtschaft, im öffentlichen Raum und auch in den Beziehungen zwischen den Menschen entstehen hierdurch Verhältnisse, worin deren Nutzen wertvoll für das allgemeine und zur Macht gegen das einzelne Dasein sein muss.

Die Objekt-Objekt-Verhältnisse im Zwischenmenschlichen

Das verschafft ihrer Produktion vielerlei Unsinn. Die Rationalität der Nutzbarkeiten für das Verwertungsinteresse erzeugt Armut, wo Reichtum geschaffen wird, weil ihr Sinn verarmen muss, um ihrer abstrakten Bewertung nutzbar zu sein, um einen Wert darzustellen, der von ihr getrennt ist und von ihr zwangsläufig absehen muss, weil sie sich nicht im Verhältnis der Menschen begründen kann sondern nur im Verhältnis ihrer Sachen die für sich in ihrer isolierten Nützlichkeit auf den Märkten zur Realisierung eines Geldwerts dargeboten werden. Die Arbeit der Menschen, die durch Technologie immer weniger werden müsste, erweitert durch solche Wertvergegenständlichung nicht ihren Lebensstandard und ihre Freizeit, sondern zerteilt auch die Menschen in nützliche und unnützige Beziehungen zu ihrer Gesellschaft, treibt Menschen ins Abseits, in Randexistenzen der Arbeitslosigkeit. Und die Vermehrung der Menschheit auf dem Globus befördert daher auch nicht die Arbeit und Ernährung auf der Welt durch immer ausgedehntere Gesellschaftsräume, sondern sie verengt ihren Lebensraum und erscheint als Überbevölkerung, weil und sofern sie nicht in den Verwertungsprozess eingegliedert werden können, der vor allem Mehrwert zu produzieren hat. Und der besteht nur in der Geldform allgemein und macht alles arm, was wesentlich Reichtum ist, weil darin alles vernutzt ist, was sich als Wert veräußern lässt, was subjektiv schon bestimmt ist, objektiv einen Wert außer sich zu bilden und zu haben. Die Existenzform der Menschen, die durch die Geldform bestimmt ist, verleiht jeder Lebensäußerung in ihrer Verallgemeinerung die Macht einer Objektivität, die sich gegen ihr Subjektsein errichtet. Sie erzeugt ihre Entfremdung und zwingt sie selbst zu einer Existenz als Objekt eines Verhältnisses, das ihre Subjektivität aufbraucht. Solange ein Mensch dieses Objektsein nicht wirklich aus sich heraussetzen, es nicht kritisieren kann, kann er sich auch nur durch dieses, nur als Objekt verhalten und existiert unter objektivierten Menschen in Objekt-Objekt-Beziehungen, die ihre Subjektivität aufzehren, sich wechselseitig ihr Leben einverleiben, um als Objekte einer ihnen fremden Welt leben zu können.

2. Bürgerliche Rationalität ist die Herrschaft der Nützlichkeit über ihren Sinn

Wo der Nutzen eines Menschenlebens objektiv ist, verliert sein Leben an Sinn. Nicht weil er nützlich für andere wäre, sondern weil er durch seine Verwendbarkeit gesellschaftlich nützlich ist, von der er abgetrennt existiert, wird alles, was für ihn Sinn macht und Sinn hat, privatisiert. Jeder Mensch findet in seiner Kultur zwar einen gesellschaftlichen Reichtum in unendlich vielen Sinngestalten vor, erfährt jedoch seine Gesellschaftlichkeit vor allem in der Beschränkung seiner Verfügbarkeiten. Bürgerliche Rationalität besteht aus der Unendlichkeit eines Verfügungsbedarfs, der die Märkte in Wert hält, für die Individuen aber die einzig mögliche Aufhebung einer Mangelempfindungen darstellt, durch die sie sich unbedarft erscheint. Und diese Empfindungen nehmen in dem Maß zu, wie ihr Leben ihnen immer sinnentleerter erscheint. Die Egozentrik des bürgerlichen Individuum entfaltet sich daher mit dem Geldvermögen, das auf den Märkten umläuft. Es lässt jeden um sich selbst besorgt sein und besorgt jedem zugleich das Bedürfnis, möglichst alles zu haben. Das macht dann auch die freie Entfaltung der Privatperson aus, die nichts anderes tut, als sie tun muss in einer Welt der Nichtigkeiten, um zu sein, was sonst nirgendwo sein kann.

Die Trennung von Gefühl und Selbstgefühl

Wie in der Ökonomie, so verschafft solche Rationalität in den Verhältnissen und Lebensräumen der Menschen Schneisen an Leblosigkeit, wie sie sich aus ihrer Objektbestimmtheit ergibt: im privaten und öffentlichen Raum, in der Kommune und in den zwischenmenschlichen Beziehungen. Sobald sich die Menschen in der Vernunft dieser Verhältnisse einrichten, sich hiermit arrangieren, um ihr Leben mit einem Sinn auszustatten, der hierfür nützlich ist, stellen sie ihr Leben unter einen Zweck, der subjektiv nicht sein kann und deshalb objektiv sein muss. Sie können darin ja nur fühlen, was sie sein sollen, was ihr Leben durch ihren Lebensraum an Fülle erfahren kann. Ihre Selbstgefühle werden objektiv und ihr Sinn für sich wird dadurch beherrscht, dass sie sich fühlen, wie sie sich darin auch empfinden. Ihre Selbstwahrnehmung wird selbst durch ihr Objektsein bestimmt, wiewohl ihre Gefühle nur subjektiv sein können. Aber als objektiv bestimmte Gefühle verkehrt sich ihre Substanz und so werden sie zugleich zu objektiven Gefühlen, weil sie durch solche Lebensgründe von ihren Empfindungen bewahrheitet werden, indem sie das fühlen, was ihr Lebensraum ihnen bietet worin sie verkehren. Das macht eben ihre Gemeinschaft aus, durch die sie von ihrer Gesellschaft nicht nur getrennt sind, sondern sich auch selbst abscheiden. Indem Gefühle und Empfindungen darin vereint erscheinen, wird ihr Gegensatz ausgeschlossen, wird der Gegenstand der Wahrnehmung selbst zu ihrem Subjekt, wird alles Objektive unmittelbar subjektiv. Die Wahrnehmung wird hierdurch selbst widersinnig, nimmt nicht wahr, was sie wahrhat und nimmt sich wahr, wie sie sich fühlt. Sie dreht sich um sich selbst, indem sie sich in ihren Gefühlen selbst entzweit: sich in ihrer Individualität absolut fühlt, wie sie gesellschaftlich nicht sein kann. In ihren Gefühlen wird das Selbsgefühl über diese Wahrnehmung mächtig. Sie muss sich beherrschen, um sich selbst wahr zu machen, um ihnen adäquat zu leben. Durch diese Selbstentfremdung wird ihre Selbstwahrnehmung ohnmächtig, ihr Selbstbewusstsein minderwertig. Ihr wirkliches Streben richtet sich darauf, Selbstwert aus der Nichtigkeit ihrer Selbstwahrnehmung zu schaffen.

Selbstentfremdung der Wahrnehmung im Erleben

Die Kehrseite dieser Entfremdung ist die notgedrungene Vereinigung, die Einigkeit im Leiblichen, die zur Selbstverwertung genutzt wird, um in solchen Verhältnissen zu überleben. Sie ist das erste und somit auch das Letzte, was die Menschen ganz allgemein verbindet: ihre leibliche Anwesenheit im bloßen Menschsein ↓(4). Was sie in ihrer Existenz durch die Konkurrenz um ihre objektive Nützlichkeit an Leben verlieren, das gewinnen sie durch die kulturelle Ausstattung ihrer Lebensräume in ihren zwischenmenschlichen Verhältnissen. Das Grundgefühl einer allgemeinen Symbiose vereint die Menschen kulturell, wo sie sich zugleich existenziell behaupten und abgrenzen und abstoßen müssen. Ihre Existenz kann hierdurch selbst ein Lebensgefühl verschaffen, worin ihre Selbstbehauptung sich in ihren Selbstgefühlen vergemeinschaftet, die Lebensbedingungen ihrer Arbeit als ihre Kultur erscheint und der Gegensatz ihrer existenziellen Ängste symbiotisch vergemeinschaftet, zur Gemeinkultur wird. Solange sie hierbei gesellschaftlich nicht herausfallen, solange sie diese Kultur als Vereinigungsmedium akzeptieren und als Event erleben, soweit es eben einen Unterhaltungswert hat, können sie irgendwie überall dabei sein, wo sie nichts zu sagen, aber viel zum Reden haben, z.B. in den Medien und Arenen mitkämpfen, mitspielen, mitkochen, mittanzen. Jeder Mensch kann sein eigener Darsteller werden, wenn der die Veranstaltung als solche akzeptiert. Das veranstaltete Leben kann dann immerhin als Erlebnis, das Leben im Erleben erscheinen.

Kultur wird hierdurch selbst zu einer Vereinigung, zu einer Gemeinschaft, die ihre eigenen Grundlagen pervertiert, zu einer Masse, welche die Menschen beherrscht, indem sie ihre Sinne vernutzt. Man kann mit ihr alles antreiben, was aus sich heraus nicht mehr folgen würde. Man kann die Menschen folgsam machen, sobald sie in ihrer Gemeinschaft ihren Sinn auflösen. Was aber die einen eint, drängt die anderen aus solcher Kultur ab, schließt sie aus ins kulturelle Abseits, wertet sie ab, weil das Abgesonderte immer auch sonderbar ist. Kultur wird daher wie von selbst zum Medium einer Volkserziehung, die niemand als Zuchtmittel wahrnimmt, weil er sie für sich auch braucht, er sie nötig hat und sie ihm von daher auch nutzt. Wo sonst gäbe es noch gesellschaftliches Leben?

Das veranstaltete Leben und die Erdrückung seiner Wahrheit (Depression)

In solcher Kultur steckt das Maß und Mittel der Selbstwahrnehmung. Die Wahrnehmung hat sich nur noch selbst wahr, weil sie ihren wirklichen Gegenstand außer sich verloren hat. Sie erdrückt sich durch ihre eigene Wahrheit, durch ihre wirklich gewordene und damit wirksame Selbstentfremdung. Depression ist die häufigste psychische Störung, die heute diagnostiziert wird. Und sie ist nichts anderes als die Auflösung von Empfindungen eines Lebens, das von fremden Gefühlen, vom Selbstgefühl der Entfremdung beherrscht wird. Wo die Grundlagen aufgelöst sind, kann sich auch nichts mehr bilden. Im Gegenteil: Weil es sich nicht bildet, verstärkt sich der Druck, dass es sein muss, dass es durch etwas ersetzt wird, das den Anschein von Leben hat, das lebendig sein soll, um Leblosigkeit zu kaschieren, Totes, das dadurch lebt, dass es totes belebt↓(3).

Seit der Totalisierung der Geldverhältnisse auf den Finanzmärkten hat sich auch die gesellschaftliche Not ihrer Kultur totalisiert, die Vernutzung ihrer sinnlichen Präsenz vollendet. Die existenziell wahrnehmbaren Gegensätze waren qualitativ nicht mehr zu erkennen, ihre Lebensbedingungen delokalisiert, weit weg und doch hautnah. Konflikte in dieser Welt konnten kaum noch sachlich und gegenständlich ausgetragen werden, weil das Gegenspiel unmöglich, jedes Handeln und auch die Gesellschaft selbst ohne Alternative erscheinen konnte. Die Vernutzung der Menschen fand immer mehr in ihnen selbst statt. Nicht nur die Zwangseinweisungen in die Psychiatrie, auch der Anteil der Krankschreibungen wegen Psychischer Störung hat sich seit der Jahrhundertwende mehr als verdoppelt. Jede zweite Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und Frühverrentung wird mit psychischen Störungen begründet und stellt den größten Anteil der Arbeitsausfälle dar, obwohl derartige Krankschreibungen hohe Risiken in Bezug auf den weiteren Lebensverlauf in sich bergen. Immer mehr Menschen gehen trotz somatischer Erkrankung noch zur Arbeit. Aber psychisches Leiden lässt sich nicht so einfach wegstecken, schon gar nicht, weil das Etikett, nicht "normal" zu sein, nicht normal zu funktionieren, sehr finale Wirkung auf ihre "Wiederverwertbarkeit" haben kann. Wo die "Normalen" gerade wegen der Angst um ihren Arbeitsplatz noch funktional bleiben und nicht allgemein auffallen, können die anderen nichts mehr verstecken. ↓(5).

Psychische Störungen im Maß ihrer gesellschaftlichen Krisen

Doch gerade in dieser Trennung scheint überdeutlich durch, dass psychisches Leiden von seiner Körperwelt, von Raum und Zeit seiner gesellschaftlichen Verhältnisse und Bedingungen bestimmt ist. Die Menschen sind nicht nur belastet durch den existenziellen Druck, durch die Rationalität und die Rationalisierungen ihrer Arbeitsverhältnisse, in denen sie durch die gesellschaftliche Form ihrer Lebensproduktion und ihres Selbsterhalts stehen. Sie sind in ihrem ganzen Selbstgefühl als Mensch belastet von der chronischen Androhung, jederzeit durch Arbeitslosigkeit, durch Disfunktionalitäten der Arbeitswelt und durch die Gewalt einer ökonomisierten Kultur aus den gewöhnlichen sozialen Beziehungen der Gesellschaft ganz herauszufallen und in eine Bodenlosigkeit abzustürzen, in welcher ihre ganzen Lebensperspektiven und zwischenmenschlichen Beziehungen zugrunde gehen, sich ihre Isolation bis zur Ausweglosigkeit totalisieren kann ↓(6). Bedroht durch die Macht und Krisenhaftigkeit der kapitalistischen Gesellschaft ist nicht nur der Mensch in seiner Beziehung auf die Lebensproduktion als arbeitender Mensch. Es ist der ganze Mensch als lebender Mensch, der hiervon betroffen ist. Dieser Mensch ist nicht nur durch seinen Arbeitslohn und nicht nur durch seinen Stoffwechsel gesellschaftlich. Auch seine Sinne verwirklichen gänzlich die gesellschaftlichen Sinne seiner Kultur ↓(7). Sein zwischenmenschliches, persönliches, familiäres, kommunales und sonst wie kulturelles Dasein wird zur gesellschaftlichen Wertbildung vernutzt und im Maßstab dieser Vernutzung seiner sinnlichen Lebenssubstanz beraubt. Das Leiden am Sinn dieses Lebens ist daher substanziell und unmittelbar gesellschaftliches Leiden, auch wenn es sich meist nur sehr privat darstellt und vermittelt.

3. Ein Dasein zwischen Wahrnehmen und Wahrhaben

Kultur ist die menschliche Form der Natur, der gegenständlich existierende Lebenszusammenhang von Geist, Gestaltungskraft, Erfindungsreichtum, Liebe und Sinn, den die Menschen entwickelt und ihren Produkten gegeben haben und geben und als solchen auch pflegen, sich darin verhalten und miteinander umgehen. Sie nehmen sich darin als Menschen wahr, wie sie sich darin auch als Menschen wahrhaben. Sie fühlen sich eben so, wie sie ihre Kultur auch empfinden. Gefühle entwickeln sich aus einem Zusammenhang von Empfindungen, aus unmittelbaren sinnlichen Wahrnehmungen, in denen sie wahrhaben, was deren Gegenstände in ihrer Wahrnehmung auch wahrmachen. Auf dem Gefühl für ihren Gegenstand gründen die Fähigkeiten von Menschen, sich äußern und ihn bilden zu können.

Der erste Gegenstand für den Menschen ist der Mensch, der so da ist, wie er selbst auch gegenständlich ist, wie er also sein Leben produziert, seine Tätigkeit leiden kann und seine Lebensäußerung auch seine Leidenschaft ausmacht. Er findet in natürlichen Gegenständen seine gegenständliche Verwirklichung und seine Wirklichkeit ist hiervon ununterschieden ↓(8). Von daher stellen sich in seinen Gefühlen auch deren Widersprüche dar. Und der Kapitalismus beruht vor allem auf dem Widerspruch von Mensch und Sache, eben darauf, dass ihre Lebensverhältnisse ihnen "nicht als unmittelbar gesellschaftliche Verhältnisse der Personen in ihren Arbeiten selbst [erscheinen], sondern vielmehr als sachliche Verhältnisse der Personen und gesellschaftliche Verhältnisse der Sachen" (siehe Warenfetischismus). Deren Wert beherrscht alles Leben der Menschen. "Mit der Verwertung der Sachenwelt nimmt die Entwertung der Menschenwelt in direktem Verhältnis zu" (schreibt Marx in MEW 40, S. 511). Von daher leidet das Selbstbewusstsein der Menschen unter der Bedingung ihrer Verwertbarkeit an seinem permanenten Selbstverlust. Und wo kein Selbstbewusstsein entstehen kann, muss Selbstwert herrschen - nicht, weil der Selbstwert Ersatz dafür wäre, sondern weil er Identität verschafft, wo sie nicht sein kann. Er verschafft sich Gefühle durch andere, um als Selbstgefühl Selbstwert zu erfahren. Selbstgefühle können aber nur unter der Bedingung Identität stiften, dass sie einen Lebensraum begründen, in welchem die Empfindungen zwischen den Menschen selbst durch ihre Gefühle bestimmt werden, selbst also durch das bestimmt sind, was Menschen darin nicht wirklich sein müssen, wohl aber durch ihr Dasein als Mensch in diesem Raum sein können: Eine Gemeinschaft symbiotischer Selbstbehauptung, die sich selbst Schutzraum und Heim, Wohnstätte eines zwiespältigen und an sich selbst zweifelnden Lebens ist ↓(9).

Es erscheint geborgen, wo es sich verbergen kann und es erscheint geglückt, wo ihm Geldbesitz als Mittel seiner Geborgenheit geboten ist. Meist verschafft sich einen solchen Lebensbunker die Kleinfamilie, in der die Natur der Generationen ein Lebensglück stiftet, das alle Empfindungen in einem gemeinschaftlichen Selbstgefühl bindet, solange also dieses als Sinn für sich und füreinander existieren kann, solange die Menschen sich selbst als das wahrhaben, was sie durch einander wahrnehmen und worin ihre gesellschaftlich gebrochene Lebendigkeit sich in ihrer Lebensgemeinschaft eint. Und es eint sich in der Natur dieser Verhältnisse dann auch, was sich aus der Unnatur ihrer Gesellschaft ergibt und unausweichlich ist: Die Sorge um das Gattungsleben, die Erzeugung, Erziehung und Bildung der nachfolgenden Generationen ↓(10).

Was gesellschaftlich sich nicht wirklich bilden und nicht existieren kann, weil es gesellschaftlich nur in seiner Verkehrung, in der Egozentrik bürgerlicher Persönlichkeiten existieren kann, betreibt im Privaten ein Verhältnis, worin das Ausgeschlossene verkehrt, indem es zum Leben und zur Welt bringt, was für die Welt von großem Nutzen sein wird, sobald sie dessen habhaft wird. Das Gattungsleben erscheint in der Form einer familiären Gemeinschaft als das ganz große Glück in der ganz kleinen Welt einer monströsen Wirklichkeit, in der Lebensenge einer Kleinfamilie ↓(11), worin ein ungeheuerlicher Aufwand betrieben und geleistet werden muss, um im Kleinen wirklich außerordentlich Großes zu bewältigen. Doch gerade dadurch ist den Menschen ein Verhältnis auferlegt, in dem im einzelnen glücklich sein oder Glück bringen soll, was gesellschaftlich nicht wirklich wahr sein kann: Ein unmittelbar menschliches Leben. Und dieses ist wesentlich von einer gesellschaftlichen Lebensaufgabe bestimmt, die das Verhältnis des Lebens vor allem zwischen Pflicht und Schuld bewegt.

Es ist eine gewaltige Leistung, eine Familie zu erhalten, Kinder zu erziehen und das Verhältnis der Generationen und Geschlechter als privat heraus gesetztes Leben zu formatieren und als ausschließliche Lebensform durchzuhalten. Es ist eine übergroße gesellschaftliche Aufgabe, die da eine kleine Gemeinschaft zu bewältigen hat. Familie ist im Grunde unwirtschaftlich, von daher ohne wirklichen Nutzen für sich, aber voller Sinn. Sie vollzieht ganz lebenspraktisch den Widerspruch von Sinn und Nutzen und macht ihn für sich fest als Familiensinn.

Darin soll alles lebendig gehalten werden, was kein gesellschaftliches, kein gegenständliches Leben haben kann Seine Erneuerung unterstellt zwar gesellschaftliche Verhältnisse, die solange auch privaten Ausgleich vermitteln, soweit die Gesellschaftsformen der Kultur hierein greifen können. Familie funktioniert eben nur in Abhängigkeit von ihrer gesellschaftlichen Substanz, ihrer gesellschaftlichen Verhältnissen, eben durch eine Kultur, in welcher die Bräuche und Sitten am Gebrauch der Güter des Lebens orientiert sind. Und die unterstellt eine Aufgeschlossenheit, die sie zugleich ausschließen muss, um sich als Privatraum und Lebensburg zu erhalten und zu festigen ↓(12). Familie entwickelt von daher eine eigene Rationalität, welche die Sinnesgestaltungen des Lebens jenseits seiner gegenständlichen Welt interpretieren und ausgleichen muss. Ihre Glücksverheißungen erweisen sich hierin als Selbstzweck, denn sie verlangen zu ihrer Verwirklichung eine Lebenswelt, die es in Wahrheit in der Familie nicht wirklich geben kann. Was hier spontan sich ereignet ist zugleich objektiv bestimmt, um überhaupt subjektiv erscheinen zu können. Es ist eine Veranstaltung, eine Verabredung der familiären Subjekte, durch die ihre Familie für eine bestimmte Zeitdauer funktioniert, solange sie gelingt ↓(13).

Die gesellschaftliche Rolle der Eltern hat sich vollständig in ihren Kindern aufgehoben, denn sie leben vor allem durch das Glück, das sie durch diese erfahren. Es ist das Entsagen einer jeglichen Kritik an dieser Gesellschaftsform, die durch öffentliche Güte in heimlicher Geborgenheit durch kindliche Eltern ersetzt wird, die sich vor allem durch ihre Kinder lieben. Ihr Größenwahn ist ihr Pochen auf eine Zukunft, die keine mehr sein kann, und ist zugleich ihr Beharren auf eine Gegenwart, die nur noch ihnen von Nutzen ist. Ihre Rationalität verweigert sich dem Gegenstand ihres Daseins. Ihr Sein erscheint selbst als das Dasein von Personen, die ihren Sinn durch sich selbst schon haben müssen, bevor sie ihre Verhältnisse überhaupt erkennen können. Und ihre Wahrnehmung ist bloße Selbstwahrnehmung, mit der sie - hiergegen gleichgültig - ihr Leben begründen und zu meistern haben. Die Gesellschaft selbst erscheint jetzt unmittelbar als Kumpanei voraussetzungslos sich verhaltender Persönlichkeiten, die ihr Glück zu schmieden haben und an ihrem Unglück nur noch selbst Schuld sein können. Wie soll da "aus einem unglücklichen Bewusstsein ein Bewusstsein seines Unglücks werden" (Marx) können?

Als Ganzes ist die bürgerliche Kleinfamilie eine gewaltige Täuschung, die Vertauschung des Menschseins mit den Personifikationen von Menschen als Natursubjekte einer familiären Gemeinschaft, die Gemeinde von Psychen, die sich als Menschen geben, beurteilen und aburteilen und von daher notwendig viele Schwierigkeiten haben, in die Welt der Menschen zu finden. Die Familie ist eine Welt individueller Persönlichkeiten, die sich auf einen Sinn füreinander, einen Familiensinn einigen, durch den sie eine Rolle des Lebens bekommen, die sie nicht nur spielen, sondern auch wirklich sind, an und für sich zu sein haben, auch wenn sie es nicht wirklich sein können. Als Mann und als Frau, als Eltern und als Kinder verwirklichen sie in ihrem privaten Lebensraum ein wesentlich gesellschaftliches Leben, das durch die Bedingungen dieses Raumes als persönliche Wirklichkeit erscheint, als Selbstverwirklichung ganz eigentlicher Personen, die sich aneinander aufrichten und auch durch einander zerfallen können. In Wahrheit verwirklichen sie dabei nur subjektiv, was sie füreinander objektiv sein müssen. Während die Eltern meinen können, sie erzeugen die Lebensinhalte ihrer Kinder, füllen sie durch ihr Dasein in der Familie nur aus, was sie für ihre Kinder als objektive Lebensbasis sind, - dies natürlich nicht, ohne selbst subjektiv da zu sein. Doch sie sind nicht als wirkliche Subjekte ihres Lebens da, sondern als subjektive Objekte eines Lebensverhältnisses, das nur im einzelnen von ihnen bestimmt werden kann, während es im Allgemeinen nur den Formbestimmungen einer Gesellschaft folgt, die auf dem Widerspruch von gesellschaftlicher Produktion des Lebens und privater Aneignung der Lebensäußerungen gründet. Von daher herrschen auch in der Familie Objekt-Objekt-Beziehungen vor, in denen sich die Beteiligten subjektiv einfinden müssen, um darin objektiv leben zu können. Im Grunde ist das ein Lebensverhältnis, dem das Leben unterworfen, also an sich ein unmögliches Leben ist ↓(14).

4. Der Wahnsinn eines unmöglichen Lebens

Die Grundlage der gesellschaftlichen Reproduktion, das Gattungsverhältnis der Menschen, existiert in der bürgerlichen Gesellschaft vor allem als Lebensverhältnis durch Geldbesitz., der auch die Lebenszellen seiner Reproduktion ernähren muss. Innerhalb der bürgerlichen Familie besteht sie in Treu und Glauben an die Vernunft der bürgerlichen Gesellschaft, in Schuld und Sühne zwischen Lebenspflicht und Zukunftshoffnung, und als Glück und Versagen einer Menschliebe, die als Eigenliebe existiert. Dem entspricht die bürgerliche Kultur und die Kulturbürger pflegen ihre Verhältnisse durch die Dramatisierung ihrer Güte und Schönheit, Körper und Seele, Persönlichkeit und Edelmut. Soweit die Menschen diese Lebensverhältnisse bruchlos nützen, weil diese ihnen innerhalb ihres Besitzstands nützlich sind, spalten sie sich ab von denen, die darin keinen Sinn mehr finden können, weil dieser ihnen beständig entzogen wird. Während die einen sich zum Wächter über diese Verhältnisse errichten, zu Spießbürgern des Geldbesitzes werden, fallen die anderen aus solcher Gesellschaft heraus, weil sie das leben müssen, was keinen Geldwert haben kann, weil ihre Lebenszeit und Lebenskraft vollständig davon bestimmt ist, was sie zum Geldverdienen erbringen müssen. Für die einen wird die Kultur zu einer Macht der Gefühle, für die anderen zur Ohnmacht ihrer Empfindungen. Aber Sinn kann nur haben, was Menschen auch wirklich empfinden, wo sie also das finden, was ihnen wirklich entspricht, wo ihr gegenständliches Leben ihrem organischen Leben zukommt, ihr Organismus gegenständlich, ihre Individualität wirklich gesellschaftlich ist. Die Klassenverhältnisse der Gesellschaft existieren daher auch subjektiv in den Verhältnissen der Wahrnehmung und Selbstwahrnehmung. Dies wird von den bürgerlichen Wissenschaften und Medien im Großen und Ganzen kassiert und durch Glücksverheißung einer absurden Rationalität der Psyche, als der Privatnutzen einer allgemeinen Lovestory instrumentalisiert. Besonders in den Medien der Kultur hat sich diese kulturbürgerliche Szene schon totalisiert und veräußert von dort ihr totes Liebesglück in den Romanzen ihrer Häuslichkeit, ihre Selbstgerechtigkeit in den fast täglich erneuerten Fernsehkrimis und ihre kultivierte Habgier nach einem Glück von Liebesversprechen im Kampf gegen die Monster der Wirklichkeit.

Das im Privaten geborgene Leben, wie es als familiäres Gattungsleben der Generationen sich verhält, ist objektiv, wo es subjektiv erscheint. Als objektive Lebensbedingung ihrer Kinder sind die Eltern subjektiv gänzlich dazu bestimmt, das Glück ihrer Kinder als das Lebensglück ihrer Familie wahr zu machen. Als Persönlichkeiten dieses Verhältnisses müssen sie alles tun, um darin gegenwärtig zu sein, und sie finden ihre Kinder als ihren wahren, weil von Natur aus unmittelbaren Lebensinhalt, worin sie sich vergegenwärtigen können und dies auch müssen, um in ihrer Gegenwart zu sein. Ihre Pflicht ist zugleich ihre Wonne, ihre Ohnmacht ihr Verhängnis ↓(15). Der Gemeinsinn dieser kleinen Gemeinschaft in einer Welt verhängnisvoller Lebensverheißungen, der Familiensinn, stellt einen familiären Selbstwert dar, der sich in jedem so niederschlägt, wie er darin einbezogen ist. Die Selbstentfremdung der Eltern stellt sich in der Selbstwahrnehmung ihrer Kinder daher als ihr eigenes Versagen dar. Deren Selbstlosigkeit nehmen sie als Mangel ihres Daseins in sich auf. Mangels wirklicher Erfahrungen können sie die Schwierigkeiten ihrer familiären Verhältnisse nur schuldhaft erleben. Was sie durch das Verhältnis ihrer Familie wahrhaben, können sie nur als ihr Dasein wahrnehmen, alles Glück und Unglück als ihren Lebensinhalt erfahren. Was sie darin für sich bilden, bevor sie ihr eigene Leben verwirklichen können, ist voller Angst um die Möglichkeiten ihres Lebens und voller Pflichtgefühle gegen eine Welt, in der ihre Vergangenheit ihren Zukunftschancen immer schon soweit entspricht, dass sie austragen müssen, was ihnen schon vorbedingt war, seien es die Schulden, die sie schon mit ihrer Geburt als Staatsverschuldung und Rentenpflicht haben, oder sei es durch den Mangel ihres kleinen Lebensraums, dem sie entwachsen müssen.

Sie haften deshalb nicht nur für ihre Eltern und für die Schulden, die von Staats wegen auf ihnen lasten; sie haften auch für die Absonderlichkeiten und Verrücktheiten, die in diesem Lebensraum auftreten, vor allem für deren Zerwürfnisse, denen sie mit ihrem ganzen Leben entgegentreten, weil sie das Loch fürchten, in das sie fallen können, wenn ihre Familie zerbricht. Von daher lauschen sie auf die psychischen Verhältnisse, die darin kulminieren und werden ihnen hörig, werden zu Spezialisten eines Arrangement, für das sie leben, d.h. an dessen Stelle sie ihr Leben einsetzen, um sich in dem so arrangierten Gemeinsinn ihrer Lebensgründe, ihrem Familiensinn verhalten zu können. Aber es ist innerhalb dieses Verhältnisses ein Unsinn, dessen unmögliches Leben, dieses Loch im Leben der Menschen durch sich selbst zu füllen ↓(16).

In der symbiotischen Beziehung der Familien, in denen ihre Gemeinschaft vor allem durch Selbstbehauptung lebt, setzt sich dieser Lebenszusammenhang in der Selbstbildung durch ihre erzieherische Beziehungen durch ↓(17). Es ist der Zusammenhang gütiger Menschen, die auch mal durchgreifen können, wenn es eben sein muss. Doch der Grund des Durchgriffs und die Substanz ihrer Symbiose bleibt ihnen hierbei fremd. Gesellschaft begründet und vermittelt sich hier hinter dem Rücken der Familienmitglieder, ist ihre Lebensbedingung und ihre Lebensnotwendigkeit, ohne dass deren Not anwesend ist. Weil sich darin nur die Menschen selbst Objekte ihrer Verhältnisse sind kann darin auch nur die Notwendigkeit der Selbstbehauptung vernünftig sein.

Die familiäre Psyche ist selbstlos und verlangt doch die volle Gegenwart eines jeden einzelnen. Sie ist symbiotisch und verlangt doch die Äußerung eines jeden in absoluter Selbstbehauptung, das unmittelbare Menschsein als familiäre Persönlichkeit. In der Symbiose sind sich die Menschen gemein, die sich als Personen zugleich voneinander abstoßen müssen, um mit sich eins zu sein. Das aber lässt ein wirkliches Selbstbewusstsein nicht zu. Innerhalb der Familie ist es bloßes Flickwerk, scheinbar autonom und doch in allem gemein, - eben das Produkt einer Selbstwahrnehmung durch Einverleibung von allem, die als sich selbst nur behauptetes Selbstbewusstsein schon in sich widersinnig sein muss.

5. Der ausgeschlossene Sinn oder der "Kampf der Kulturen"

"Ein geflickter Strumpf mag besser sein, als einer mit Loch" sagt Hegel. Und er fügt hinzu: "Nicht so das Selbstbewusstsein". Denn hier hat das Loch einen Eigensinn, in welchem sich Selbstbewusstsein aufhebt. Es ist der Sinn, der in einem Verhältnis nicht sein kann, worin wahrgehabt wird, was nicht wahrnehmbar ist. Was einem familiären Verhältnis vorausgesetzt ist, was aus seiner Wirklichkeit heraus bedrohlich ist, muss in ihr aufgehoben sein, muss in Liebe aufgelöst oder in ihre Gemeinschaft versenkt werden. Doch es wirkt durch die Bemühung fort, die solche Aufhebung nötig hat und ihren Sinn objektiv bestimmt ↓(18). Familie kann nur funktionieren, wo genügend Geld vorhanden ist, wo genügend da ist, um sich Beständigkeit und Kinder zu leisten, wo sie sich als Wohn- und Lebensraum eben zur Gewohnheit machen lässt, sich in die Verhältnisse einbürgern kann. Und Geld kann man nur verdienen, wo es hinreichenden Wert darstellt, wo die Kapitalwirtschaft sich in Wert hält und die Menschen darin die Zukunft ihrer Existenz erhoffen. Der Glaube an diese Zukunft eint die bürgerliche Kultur mit der Kapitalverwertung, macht ihr Selbstbewusstsein in ihrem Glauben selbstbewusst und macht den Glauben hieran zu ihrem Maß, das Moral und Sitte, Erziehung und Anpassung an die Gegebenheiten bestimmt. Letztlich vergemeinschaftet sich darin alles, was keine gegenwärtige Wirklichkeit, alles, auf dessen Verwirklichung man setzt wie in der großen Lotterie des Glaubens, das die Finanzkapitalisten zu Pastoren der Gutgläubigkeit werden lässt und die Pastoren zum Weltbürger der guten Hoffnung auf die ewige Verwertbarkeit von allem und jeden macht.

In der Wirklichkeit ist alles gleichzeitig und wirkt selbst durch einander, Individuum und Gesellschaft, Familie und Kultur, Erziehung und Bildung usw.. In der Zwischenmenschlichkeit dieser Verhältnisse vermengen sich die Individualgeschichten im guten Glauben mit ihrer gesellschaftlichen Wirklichkeit, werden ihre Erlebensweisen zu Selbstgefühlen, ihre Beziehungsvielfalt zur Selbstwahrnehmung und ihre Abhängigkeit zur Hörigkeit an höhere Welten, an eine höhere Wahrheit. Und wo in diesen Beziehungen die Gefühle zu einer Macht werden, schließen sie den Sinn aus, den sie von ihren Empfindungen her haben. Es sind sehr artige Gefühle, die an die Güte ihrer Art, an ihren Gemeinsinn glauben und nur noch Fremdes fürchten und ihre sittliche und moralische Norm zu einer kulturellen Formation entwickelt. Der sogenannte "Kampf der Kulturen" ist nichts anderes als der Kampf der Gefühle, die um ihr sittliches Zentrum bangen, weil sie nur darin den Fortbestand ihres Glaubens erkennen können.

Was sich als sogenannte psychische Störung aus dem heraus entwickelt, ist eine Verselbständigung von Empfindungen oder Gefühlen oder beides in einem, die sich aus der isolierten Entwicklung in solchen Verhältnissen ergeben, also darin begründet sind, dass es ein isoliertes, also ausschließliches gesellschaftliches Lebensverhältnis in symbiotischer Selbstbehauptung gibt, welches die Selbstwahrnehmung bestimmt. Diese lässt sich mit den Wahrnehmungen von anderen Menschen in anderen zwischenmenschlichen Beziehungen nicht so ohne weiteres vereinen, weil sie aus einer abgetrennten und ausschließlichen Wirklichkeit zwischenmenschlicher Verhältnisse stammt, sich aber nur darin verwirklichen kann. Was die Menschen füreinander sind und tun, was sie voneinander wahrhaben, was sie sein müssen, um zwischenmenschlich sein zu können, entzieht sich ihrer Selbstwahrnehmung und bestimmt die Absichten ihrer Psyche. Die wirkt sozusagen hintersinnig und tritt wie eine eigenständige Kraft in der Wahrnehmung auf, Sie entstellt die Verhältnisse, die sie wahrhat, weil sie diese auch nur ausschließlich und ausgeschlossen erfahren, sich also auch nur eigensinnig hierauf beziehen kann. Sie schleicht sich durch die Verhältnisse ein, die sie nötig hat oder überfällt auch schlagartig Menschen, in denen das Loch ihrer Wahrnehmung sich eröffnet. Sie verfallen in Angstzustände und Depressionen oder entwickeln Zwangsrituale , um ihre Angst zu meistern oder auch ihre Wahrnehmung selbst zu beherrschen, sie durch Stimmen oder Halluzinationen zu täuschen, um ihr zu entziehen, was sie wahrhat, um ihr die Beziehungen zu sich und anderen zu bewahren, die sie in ihrer Ausschließlichkeit absolut nötig hat, solange sie diese nicht durchbrechen kann.

Angstzustände, Depressionen, Zwangsverhalten und Wahnzustände können schon in der Familie auftreten, sind aber wesentlich aus dem Lebensgehalt zwischenmenschlicher Verhältnisse überhaupt begründet, in welchem sich Empfindungen isoliert haben weil sie ausgeschlossen wurden durch eine Kultur der Vernutzungen und Selbstentfremdung, die konsumiert und abtötet, wovon sie lebt. Unmittelbar stellen sich in solchen Zuständen lediglich die Empfindungen und Gefühle in der Form dar, worin die Selbstwahrnehmung in ihrer Verkehrung durch ihren Ausschluss bestimmt ist. Ausgeschlossene Gefühle machen sich dann in den Empfindungen geltend, die ihre Gewissheit verlieren. Die Ungewissheiten und Verletzlichkeiten ihrer Lebensverengung werden zur Phobie vor Höhen, Tiefen, Schlangen Insekten usw. Identitätslosigkeit entwickelt Panikzustände und Selbstverstümmelung, und eine Selbstvernichtung wird zum Verfolgungswahn, Selbstentfremdung zu Halluzinationen, die sie überwinden und anderes mehr. Je nach der vorherrschenden, also bestimmenden Wahrnehmungsform in diesen Verhältnissen werden psychische Störungen in der Selbstwahrnehmung von dem, was die Menschen darin wahr haben, unterschiedlich begründet. Wo ausgeschlossene Gefühle die Empfindungen beherrschen, treten sie in Angstzuständen und Depressionen auf und werden oft auch in Suchtverhalten aufgelöst. Beherrschen ausgeschlossene Empfindungen die Gefühle, so treten sie als Zwangsrituale oder Zwangshandlungen in Erscheinung und werden oft autistische Züge bekommen. Kreisen Empfindungen um ihre Gefühle, die sich selbst bedingen, so treten Wahrnehmungen auf, die der Gesamtheit ihrer sinnlichen Gegenwärtigkeit, der Tätigkeit der Sinnesorgane selbst widersprechen und wahnsinnig machen, weil sie nur noch wähnen können, was wahr sein soll, das nicht wahr sein kann.

6. Gehemmtes Leben ist widersprüchliches Leben, ein Leben, das sich von sich selbst ausschließt

In den Wahrnehmungszuständen, die psychische Störungen darstellen, verhalten sich ausgeschlossene Gefühle zu ihrer Empfindung, welche die Wahrnehmung unmittelbar ausmacht und sich ihr zugleich verschließt, und dadurch zu einem Zustand geworden ist. Subjektiv zirkuliert darin ein ausschließliches Verhältnis zu sich selbst, das objektiv durch zwischenmenschliche Verhältnisse entstanden ist, in welchen die Subjekte sich nicht nur objektiv verhalten, sondern durch ihre Lebensräume objektiven Bestimmtheiten unterworfen sind, die sie durchsetzen müssen. Meist sind das zunächst die bürgerlichen Familien und Erziehungseinrichtungen, später sind es aber auch die zwischenmenschliche Kulturen und Institutionen selbst, in denen sich ihre Subjektivität nicht nur objektiv mitteilt, sondern selbst als Objekt einer Gemeinschaft und der diese repräsentierenden Personen existenziell fungiert. Leben das sich einem objektiven Subjekt beugen muss, erleidet sich als selbst als Objekt seiner Wahrnehmung, seiner objektiv bestimmten Selbstwahrnehmung. Es vergegenwärtigt sich in einer unerträglichen Selbstwahrnehmung in der es sich gegen sich selbst wendet, um sich seine Beziehungen darin erträglich zu machen. In sich hat es den darin objektiv ausgeschlossenen Sinn dieser Verhältnisse wahr, der sich als Lebenshemmung vergegenwärtigt, die in einer sich selbst verschlossenen inneren Wirklichkeit fortbesteht.

Wer unerträglich leidet, wird sich zunächst einmal Linderung erhoffen, um überhaupt wieder Kraft zu finden. Es ist aber zynisch, bei einer Hilfe gegen die Gründe seiner Not und die Notwendigkeiten einer Psyche vorzugehen, die sich selbst bekämpft. Es ist zynisch, die "armen Kranken" wieder zur Vernunft zu bringen, ihren Verstand zu instrumentalisieren, auf die Machbarkeit nützlicher Beziehungen zu verweisen, um sie in die Vernunft dieser Verhältnisse zurückzurufen und damit ihr Leiden unsinnig zu machen, ihren Sinn für sich zu zerstören. Sie wären dann der Selbstgerechtigkeit vollständig unterworfen, durch die sie sinnlich längst ausgeschlossen sind. Es geht vielmehr darum, diese zu kritisieren, ihre Absurdität und Moral zu begreifen, die gerade dort ausschließlich gelten will, wo sie in Zweifel steht. Psychische Störungen stehen im Begriff eines kulturellen Versagens. Und die davon subjekiv erfassten Menschen müssen daher auch ihre Selbstveränderung als gesellschaftliche Veränderung begreifen. Auch wenn ihre Zustände rein innerlich erscheinen, so sind Psychische Störungen dennoch so sinnlich und existenziell, wie die Lebensverhältnisse selbst, in denen sie enstehen und sich erhalten, und können auch nur deshalb im Sinn der Wahrnehmung wirksam sein. Sie sind nicht einfach durch bloße Einsicht und Empathie aufzulösen; ihre Selbstwahrnehmung enthält den Widersinn der Wahrheit ihres Lebens und verlangt deshalb nach einer Veränderung der Lebensweise und der Lebensverhältnisse, die widersinnig sind. Nicht nur weil die betroffenen Menschen eine wirkliche Sinnesgeschichte hinter sich haben, nicht nur, weil ihre Individualität daran leidet, sondern weil diese sich ebenso sinnlich in der Gegenwart ihrer Gesellschaft vollzieht, können sie sich nur in der Kritik dieser Verhältnisse auch wirklich vergegenwärtigen.

Weil die Gegenwart in ihren wirklichen Verhältnissen selbst geschichtlich ist, in denen sie sich entwickelt und zugleich reproduziert, weil sie selbst gesellschaftliche Geschichte hat und bewirkt, enthält jede Selbstveränderung auch die Kraft einer gesellschaftlichen Veränderung. Jeder Schritt, den einzelne Menschen hierbei gehen, ist ein Schritt für die ganze Menschheit, weil der Widersinn in ihrem Leben ein gesellschaftlicher Widersinn ist. Man mag ihn betäuben und lindern. Er kann letztlich nur in einer gesellschaftlichen Geschichte wirklich aufgehoben werden, die immer auch Verwirklichung von der Geschichte der Gesellschaft ist. Solange die Ausschließlichkeit der Selbstwahrnehmung nicht auch wirklich überwunden werden kann, solange der Hintersinn ihrer Absichten und Nöte nicht aus der Selbstwahrnehmung herausgesetzt und damit in ihrer Kritik gelebt wird, kann sich das nicht ändern. Selbstveränderung ist mit dieser Kritik immer auch der Beginn einer Gesellschaftsveränderung, weil das hierin tätige Selbstbewusstsein immer auch gesellschaftliches Bewusstsein ist.

Kritik verlangt Auseinandersetzung mit dem Kritisierten, das damit zu einem Gegenstand, zu etwas Äußerem wird. Nicht die Lebensäußerungen selbst, sondern deren Gegenständlichkeit verbindet und verbündet Menschen, die daran gebunden sind, die ihr Leben dadurch annehmen, dass sie dessen Formationen und Negationen überwinden, sich vergegenwärtigen, indem sie das Unglück ihre Lebens zu ihrem Gegenstand machen. Das Glück kann man nicht schmieden, aber das unglückliche Bewusstsein wird durch die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte und der Verhältnisse, in denen die Menschen leben, zu einer überwältigenden Kraft, wenn darin wahr gemacht werden kann, was bislang der Wahrnehmung entzogen, in ihr aber wohl wahr gehabt war. Aus diesem Grund kann diese Auseinandersetzung nicht wirklich nur in der Reflexion verlaufen, sondern verlangt geradezu nach Menschen die sich darin über ihr gesellschaftliches Leben verständigen und in einem gesellschaftlichen Verstand ihres Lebens sich wirklich einig werden können. Der wird dann auch zwangsläufig zum Inhalt ihrer Beziehungen und Verhältnisse, wenn er gegen die Formbestimmungen dieses Lebens, gegen die Mächte der Selbstentfremdung ankämpft.

In den 70ger Jahren hatten wir dieses z.B. in einer Münchner Gruppierung versucht, die wir den "Therapeutischen Club" nannten. Da in dieser Zeit Selbsthilfegruppen noch äußerst rar waren, der Bedarf nach Hilfe überhaupt aber sehr groß war, bekamen wir hierfür sogar Zuschüsse vom Bezirk Oberbayern und konnten durch das Diakonische Werk eine Psychologenstelle und eine Stelle für einen Sozialarbeiter und eine Schreibkraft finanziert bekommen. Die Löhne wurden auf 5 weitere Betreuerinnen und Betreuer aufgeteilt, sodass de facto 7 Menschen auch existenziell verbunden waren, um mit etwa 30 Menschen aus den diversesten Einrichtungen und Verhältnissen an einer Kritik der herrschenden Psychotherapie zu arbeiten. Diese Finanzierung bestand bis etwa 1982, wurde dann schlagartig abgebrochen, als wir aufgefordert wurden, uns in einen Sozialpsychiatrischen Dienst zu verwandeln und damit auch die Psychiatrie als unsere Supervisoreninstitution anzuerkennen. Das war für eine antipsychiatrische Einrichtung natürlich unmöglich. Es hatte sich bis dahin aber bereits aus seinen Mitgliedern eine Redaktionsgruppe gebildet, die den "Türspalt", eine der ersten Anti-Psychiatriezeitungen herausgeben und bis 1986 verbreiten konnte. Diese Zeitung beschrieb die Notwendigkeit einer Antipsychiatrischen Bewegung und begleitete auch ähnliche Gruppierungen wie z.B. die Irrenoffensive Berlin und deren Einsatz für das Berliner Weglaufhaus.

In diesem "Club" fanden Menschen zusammen, die aus der Psychiatrie kamen oder dort entlaufen waren oder Studenten, die ihre Wohnsilos nicht mehr ertrugen und Menschen, die ihren Beruf, oft auch ihren Sozialberuf nicht mehr aushielten, um ein Verhältnis zu ihrer Lebenslage, zu sich, zu einander und zu ihrem Leben in dieser Gesellschaft zu finden. Dabei sollten theoretische Überlegungen und praktische Beziehungen ineinander gehen, weil einerseits ohne theoretische Reflexion Unwahrnehmbares und die Zusammenhänge seiner Verkehrung in der Selbstwahrnehmung nicht aufgedeckt oder entdeckt werden kann und dies andererseits sich nur als wahr erweisen und als Inhalt einer Kritik wirksam werden kann, wenn es Erkenntnisse ermöglicht, die eine neue Geschichte aus den Geschichten der Vergangenheit eröffnen. Die Auseinandersetzungen fanden sowohl in einzelnen Verhältnissen und Betreuungen als auch in Gesprächsgruppen und Wohngemeinschaften statt, die ganz aus der Thematisierung ihres Gegenstands bestimmt waren. Es zeigte sich, dass diese Vergegenständlichung selbst in sprachlicher Form schon für viele Menschen befreiend war, wenn sie auf der Ebene kommuniziert wurde, in der sie diese auch erfahren hatten. Die Theorie ergab Aufschluss über den Ausschluss von sinnlicher Erfahrung und ermöglichte weiterführende Gedanken, die auch weit über diesen Club hinausreichten. Es war kein Ort, wo Heilung versprochen wurde, wohl aber ein Ort der Befreiung aus vielen zirkulären Liebes- und Leidensbeziehungen, wie sie im bürgerlichen Dasein und Bewusstsein Gang und Gebe sind und die sich unmittelbar auch manzipieren können, wenn sie sich aus ihrer Isolation heraus entwickeln.

Was man Heilung nennen mag, ergab sich vielfach wie von selbst als "Nebenwirkung", woran sich zeigt, dass Heilung als Hauptwirkung meist den Verhältnissen und ihrer Medikation entspricht, die durch inhaltlich arbeitende Selbstorganisationen mehr oder weniger überflüssig werden können. Ich habe darüber mit einem Beispiel in einem Text aus dem Jahre 1979 mit dem Titel "Arbeit am Wahnsinn" berichtet. Wesentlich für diese Form der Betreuung von psychischen Störungen war auch der inhaltlich bewusste Bezug auf die Gesellschaft selbst, der einem reinen Nothelfer im Grunde gleichgültig wäre. Aber gerade in dieser Gleichgültigkeit bewahrt sich das bürgerliche Bewusstsein in seinem immanenten Interesse, die Nöte dieser Gesellschaft als beiläufig und peripher darzustellen. Es ist vor allem kleinbürgerlich ↓(19) und schon selbst durch die Wahrheit der psychischen Not kritisiert. Von daher ist die Emanzipation aus dieser zugleich auch die Emanzipation des bürgerlichen Bewusstseins zu einem gesellschaftlichen Bewusstsein, zu einem Bewusstsein über die Gesellschaft, in der wir leben, Wissen um das Unglück, das die herrschenden Verhältnisse des Geldes mit sich bringen. Es bleibt nun die Frage, wie sich dieses Bewusstsein im Verhältnis zu dieser Gesellschaft auswirkt.

7. Die Kritik der herrschenden Vernunft verlangt nach der Subversion der Geldverhältnisse

Eigentlich ist es ganz leicht, Verhältnisse zu kritisieren, die unnütz geworden sind. Es gibt zahllose Initiativen, die sich um die Verbesserungen des Nutzens, um bessere Lebensmittel, bessere Arbeitsbedingungen, bessere Erziehung usw. bemühen. Was nützlich ist, das wird sich früher oder später auch fügen. Ein Gebrauchsgut, das sich nicht gebrauchen lässt, ein Lohn, von dem ein Mensch nicht leben kann, eine Geldanlage, die Geld entwertet usw. wird sich nicht lange halten lassen. Anders ist das mit dem Glauben an eine Lebensform, der auf der Täuschung beruht, dass etwas einen Sinn habe, der einfach noch nicht verwirklicht sei, der also nur durch eine Zukunft begründet erscheinen soll. Er ist vertauscht mit einer Vorstellung, einer bloßen Hoffnung, die herrscht, wo es keine Basis gibt, auf der sie sich widerlegen und als sinnlos erweisen lässt. Die Kritik der Religion zum Beispiel, welche jedes Übel in den Zusammenhang einer göttlichen Vernunft stellt, ist absolut nötig, um die Auflösung von Sinn überhaupt erkennen zu können und zu analysieren. Und so auch die Kritik einer Psychologie, die jeden zwischenmenschlichen Konflikt zu einem Liebesproblem der Menschen macht und in ihre Lovestory zurückweist, um die darin wirksame Menschenliebe auf ihre isolierte Existenzform zurückzuweisen und darauf zu reduzieren und zu fixieren. Der gesellschaftliche Inhalt wird damit in seine Isolation zurückbefördert. Ohne einen Durchbruch seines Wesens durch diese Existenzformen wird sich daran nichts ändern, weil sie selbst schon jeglichen Beweis ausschließt, dass deren Inhalt nach einer wirklichen Veränderung verlangt. Und schon im partiellen Durchbruch der bürgerlichen Existenzform, der schon durch sie selbst dadurch betrieben wird, dass sie ihre eigenen Krisen produziert, scheint der Inhalt durch, der dort am Leben ist. Er selbst beweist schon durch sich selbst, dass das Lebensglück, das ihre Kultur vorstellt, sich nicht bewahrheiten kann, weil es nur seine Vorstellungen vorstellt. Und wo die Vorstellung bezweifelbar wird entsteht erst das wirkliche Verlangen nach einer gesellschaftlichen Wirklichkeit der Menschen, das neue Wege seiner Verwirklichung sucht.

Dies ist die Bedingung dafür, dass sich die herrschenden Existenzformen überhaupt angreifen lassen. Und die werden durch diese Formen auch schon selbst Not-wendig im wahrsten Sinne des Wortes, weil darin ein Leben im Ausschluss bestimmt ist, das sich nicht ausschließlich leben lässt. Kapitalistische Krisen gründen auf der Produktivkraft der Arbeitsmittel, die durch ihr Wirtschaftswachstum das Wertwachstum bedrängen, indem sie die Produkte wertloser machen als es die Produktionsbedingungen der Geldverwertung ertragen können. Ähnlich beruhen psychischen Krisen auf der Differenzierung menschlicher Sinne, welche die Selbstverwertung der bloßen Selbstgefühle isolierter Menschen blamieren, mit denen sich die kulturbürgerliche Szene ausstattet, ausstellt und prominent zu machen sucht. Der lebendige Gehalt ddieser Krisen muss nur den Boden und den Raum bekommen, auf dem er sich gesellschaftlich wahr machen kann, um auch die Formen der politischen Kultur infrage zu stellen, die ja letztlich eine Formation der politischen Ökonomie dieser Gesellschaft ist. Sie stehen in einer tiefen inneren Beziehung zu ihrer Gesellschaft und können von daher auch keiner Randgruppe vorbehalten sein, nicht nur eine Szene unter vielen aussondern. Es liegt in ihrer Natur, dass solche Krisen gesellschaftlich sind, weil sie gesellschaftlichen Sinn darstellen und eben auch nur deshalb an ihrer Isolation verzweifeln können. Umgekehrt hat auch diese Gesellschaft es nötig, nicht nur äußerlich in ihren Existenzformationen kritisiert zu werden, sondern auch in ihren wesentlichen Lebensgrundlagen, in der Sinnlichkeit ihrer Lebensgründe, die im Nutzen ihrer Produkte und Kulturen entäußert sind.

Gerade dies macht heute eine sehr wesentliche Gesellschaftsveränderung möglich. Noch nie waren die Möglichkeiten der Menschen durch den Umfang ihrer Lebens- und Kommunikationsmittel so ausgedehnt und verbreitet wie heute. Die gesellschaftlichen Entwicklungen der Technik und Naturwissenschaft sind unaufhaltsam. Sie selbst sprengen schon die Möglichkeiten dieser Gesellschaftsform. Diese hemmt ihre Entwicklung, betreibt ihren Anachronismus, indem sie ihren Sinn zerstört. Aber alle menschliche Geschichte läuft im Grunde darauf hinaus, dass sie das Leben der Menschen substanziell bereichert, erweitert und differenziert. Sie wird insgesamt aber durch die Wertform, durch die Macht des Geldes als ihre selbsterzeugte Lebensbedingung in der bürgerlichen Gesellschaft beschränkt. Und sie wird teilweise durch deren Krisen auch wieder aufgebraucht, durch eine Verschuldungswirtschaft (siehe Schuldgeldsystem), welche ihre Wohnstätten zerstört, ihre Lebensmittel ruiniert, ihre Arbeitsverhältnisse diktiert und den Lebensreichtum ihrer Freizeit durch unbezahlte Arbeit für eine tote Welt der globalen Finanzmacht kassiert, die dabei ist, die bürgerliche Gesellschaft in einen Feudalkapitalismus zu verwandeln.

Dumm, wer nur auf diese Macht stiert - und dumm, wer glaubt, dass ein "gerecht verteiltes Geld" daran dauerhaft etwas ändern würde. Geld kann nicht gerecht sein, weil der Mensch, der es hat und es verausgaben kann, ein anderer ist, als der, der sich verausgaben muss, um es zu erdienen. Dass man um Geld immer nur streiten kann, dass man darum konkurrieren und sich behaupten muss, um der Konkurrenz nicht zu erleigen, und dass man ihm immer unterlegen sein wird, weil es alle Verhältnisse der Menschen in Wertverhältnisse entstellt, muss als herrschende Logik begriffen sein, auch wenn man ihr noch mehr oder weniger folgen muss. Darin steckt der Keim ihrer Überwindung. Nur wo sich diese herrschende Vernunft unterwandern lässt, wo ihre Subversion gelingt, kann eine wirkliche Veränderung der Gesellschaft der Versachlichung zu einer Gesellschaft der Menschen entstehen. Doch diese verlangt auch nach Organisation, wodurch ihre Bestrebungen zu einer gesellschaftlichen Macht zusammengeführt werden, in welcher die Menschen subjektiv werden, als Gestalter ihres Lebens auch wirklich politisch auftreten können.

In diesem Sinne können Selbstorganisationen so nötig sein wie Gewerkschaften und sich auch durch politische Betriebsformationen, z.B. Genossenschaften ergänzen. Im Unterschied zu rein formellen Organisationsstrukturen, die auf sehr allgemeiner Ebene begründet sind, stellen sie ungeachtet dieser Form aber vor allem die inhaltlichen Beziehungen dar, die jenen leicht abgehen können, die sich nur um die Aneignung herrschender Formen bemühen. Sie sind keine Alternative zur Welt. Aber sie taugen als Basislager zur Bekämpfung der kapitalistischen Formationen. Sie können allerdings auch zu Sekten eines Widerstands werden, wenn sie sich durch sich selbst begründen, wenn sie ihre Identität durch sich schon zu haben glauben, ihre Wahrheit zu ihrem politischen Label machen. Wenn sie sich nur in ihrer vermeintlichen Autonomie verallgemeinern, um der herrschenden Allgemeinheit einfach nur zu entgehen, werden sie immer nur ein objektives Subjekt gründen, das ihrer Selbstbezogenheit einen Gemeinsinn verleiht wie in einer bürgerlichen Familie. Alternativen zu dieser Welt und Gesellschaft kann es nicht wirklich geben, ohne dass diese selbst geändert wird. Widerstand kann eine wirkliche Veränderung nur bewirken, wo er neue Wege für seinen gesellschaftlichen Inhalt frei macht, der längst schon in den Organismen dieser Gesellschaft, in ihren Lebensverhältnissen existiert, auch ohne dass er schon deren Wirklichkeit ausmacht.

Dieser Inhalt ist das gesellschaftliche Verhältnis von Lebenskreisläufen, die in ihrer Einheit als Kultur einer ökonomischen Politik existieren können, wenn sie nicht durch die isolierten Verhältnisse von Privatheiten abgeschottet sind. Ihre Grundform ist die Kommune als Lebensgemeinschaft und als lokale Produktionsform, als städtische und ländliche Kommune und als regionales kleines oder als landesweit großes Verhältnis der Kommunen, das in der Lage sein muss, alle Lebensinteressen aufeinander zu beziehen, zu entwickeln, zu vernetzen und auch zu organisieren. Ich denke, dass dies durch ein internationales Netzwerk möglich ist und durch eine Internationale Kommunalwirtschaft sich weltweit ausdehnen lässt, wo immer die alten und längst überkommenen Gesellschaftsformen des Privateigentums zu überwinden sind. Das wird vielleicht und wahrscheinlich Jahrzehnte dauern und viele Auseinandersetzungen und Kämpfe und Formveränderungen im Kleinen wie im Großen nötig haben. Und es verlangt eine beständige Subversion des Geldverhältnisses, welches derzeit die allgemeine und internationale Form des Privateigentums ist.

↑(0) Mit Vernunft sucht man nach Lösungen eines Problems, indem man einen Mangel auflöst oder Schaden abwendet, am besten beides zugleich. Die Rationalisierungen der Industrie verbessern deren Produktivität. Sie verbessern damit die Wirtschaftlichkeit eines Unternehmens, weil es damit Kosten einspart und besser und schneller für einen Markt produziert, auf welchem der Durchsatz vernünftig ist, die kürzeste Zeit des Absatzes der Produkte. Von der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes ist ihre Verwertung ebenso abhängig ist, wie von der Masse der Gebrauchswerte, der nützlichen Dinge, die darauf angeboten werden, denn die bestimmen den Preis, das Wertmaß ihrer Konkurrenz, also das, was als ihr Wert überhaupt realisierbar ist.

Vor allem die Zeitdauer der Produktion und Zirkulation der Waren und des Geldes ist bestimmend für die Verwertung des eingesetzten Kapitals. Zeitbeschleunigung und Vergrößerung der zirkulierenden Masse lösen daher auch immer wieder die Krisen auf, die solche Wirtschaft mit sich bringt. Die Verwertungskrisen beschleunigen daher auch die Produktionszyklen und weiten die Masse der Produktion durch intensivierte Angebote und Erweiterung der Märkte bei kurzer Verweildauer der Produkte auf dem Markt aus. Das erscheint dann als die wesentliche Stellschraube der Marktwirtschaft, die sich in der Hektik der Vermarktung intensiviert, um die nächste Krise, Überproduktion und Arbeitslosigkeit zu entwickeln, die dann wieder mit Beschleunigung und Vermassung der Angebote aufgelöst werden muss. Es ist das Prinzip der marktwirtschaftlichen Vernunft, die permanent an ihrem eigenen Produkt, an ihrer Produktivität scheitert. Es zwingt sie permanent, die menschliche Arbeit besser zu verwerten, um sich in der Konkurrenz ihrer Fortschritte zu halten. Und es gilt daher als wirtschaftlich, die Anzahl der arbeitenden Menschen zu reduzieren, die durch ihre Technologie ersetzt werden können. Ihre Vernunft ist die des Geldes und ihr Nutzen ist der des Geldbesitzers.

Genau das Gegenteil tritt für die Menschen ein, die davon abhängig sind, denn die zunehmende Produktivität der kapitalisierbaren Technologie entwertet die Arbeitskraft der Menschen, weil sie deren Wertanteil pro Produkt schwinden lässt. Und sie entwertet damit zugleich das Geld, mit dem die Menschen auf die Märkte kommen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, denn um werthaltig zu sein, kann die Produktmasse der realen Ökonomie längst nicht mehr nicht ausreichen. Schließlich sind es reine Rechtstitel des Privateigentums, also Mieten, Steuern und Gebühren, die Geldwert aus den Löhnen abschöpfen, also Mehrwert ohne sachliches Produkt einnehmen. Die chronische gewordene Spirale der Geldverwertung verengt das Leben der Menschen, totalisiert ihre Funktionalität für eine Wirtschaft, deren Nutzen für die Menschen keinen Sinn mehr macht. Im Gegenteil: Der gesellschaftliche Mensch verarmt in dem Maß, in welchem der Geldbesitzer sich bereichert. Nicht nur in seinem Einkommen, sondern in seinem ganzen sinnlichen Menschsein, das hierfür ausgebeutet wird, wird er in seinem natürlichen wie gesellschaftlichen Dasein reduziert auf seine Funktion als Teil einer gigantischen Technologie und Verbraucher einer gigantischen Überproduktivität. Es wäre sinnvoll, die Produktion an seinen Bedürfnissen zu bemessen und seine Arbeitszeit auf ein der Produktivität entsprechendes Quantum zu reduzieren. Aber das Wertwachstum ist die Vernunft und der sinnentleerte Machtfaktor eines Wirtschaftswachstums und damit das oberste Prinzip der gegenwärtigen Gesellschaftsform, das ihre Lebenssubstanz reduziert, indem sie menschliche Lebenszeit für eine unsinnige Produktionsweise verschwendet und die jeden Sinn denaturiert, indem es ihn für Arbeit und Konsum vernutzt.

Die Ausbeutung der Natur zieht mit der Ausbeutung der Menschen gleichauf. Die Umweltzerstörung ist eine Folge hieraus, weil es gleichgültig geworden ist, von welcher Substanz solches Wachstum zehren kann. Deshalb erscheint es inzwischen eben auch höchst vernünftig, die Verwertungskrisen der Kapitalwirtschaft durch Investitionen in die Ökologie aufzulösen. Um sie zu verwerten, kann man sich dann auch mal als Naturschützer aufführen. In der Trennung von ihrer Natur wird Ökologie inzwischen ganz allgemein schon als Alternative zum Naturverbrauch hingestellt, weil die Vernutzung der Natur immer wieder neue Antriebe aus ihren eigenen Ausscheidungen erfährt, weil sich hierdurch ihre Verwertung erweitert. Und dazu ist die Wahrnehmung der Klimakatastrophe eben auch nützlich, denn es kann alles dem Klimawandel dienen, was vor allem Geld einbringt und damit die Naturausbeute ökonomisiert, ihre Ausbeutung damit aber weiter verschärft. Der Verkauf von Verschmutzungsrechten ist das eine, die Investitionen in neue Energieproduktionen das andere. Heraus kommt immer vor allem ein Wertwachstum, das die Preise der Ressourcen in die Höhe treibt, die Ausbeutungsverhältnisse verschärft und die Menschen davon immer abhängiger macht. Ihre Naturressourcen werden selbst zum Wertmaß, weil deren Ausbeutung die Konkurrenz der Weltmärkte beflügelt. Ein neuer "Great New Deal" ist das Label, mit dem dann auch den Finanzkapitalisten und deren Manager ein Leuchten über ihre öden Gemüter huscht.

So argumentiert nun auch die Politik mit der Vernunft eines allgemeinen Nutzens. Und da ist sie sich immer schon mit den Interessen des Allgemeinnutzens des Geldes, mit der politischen Ökonomie des Kapitals einig. Auch der Staat weiß damit umzugehen. Der mündige Bürger wird daher selbst zum Mittel des Verwertungsprinzips, ihr Humankapital, indem sein politischer Repräsentant als politisches Subjekt einer hohen Vernunft auftritt, die kulturnotwendig erscheinen will.

↑(1) Marx belegt und beweist die Entfremdung der Menschen von ihrem Produkt, zeigt, wie der Sinn der Menschen durch einen von ihnen abgetrennten Nutzen die nützliche Verwertung einer abstrakten Allgemeinheit betreibt und wie die Verwertung des Geldes nur noch zur Geldvermehrung kommt, wie das Wirtschaftswachstum, die Entwicklung der Produktivkräfte, für ein immer unsinniger werdendes Wertwachstum aufgebraucht wird :

"Das Privateigentum hat uns so dumm und einseitig gemacht, daß ein Gegenstand erst der unsrige ist, wenn wir ihn haben, also als Kapital für uns existiert oder von uns unmittelbar besessen, gegessen, getrunken, an unsrem Leib getragen, von uns bewohnt etc., kurz, gebraucht wird. Obwohl das Privateigentum alle diese unmittelbaren Verwirklichungen des Besitzes selbst wieder nur als Lebensmittel faßt und das Leben, zu dessen Mittel sie dienen, ist das Leben des Privateigentums, Arbeit und Kapitalisierung. An die Stelle aller physischen und geistigen Sinne ist daher die einfache Entfremdung aller dieser Sinne, der Sinn des Habens getreten. Auf diese absolute Armut mußte das menschliche Wesen reduziert werden, damit es seinen inneren Reichtum aus sich herausgebäre.“ (MEW 40 S. 540).

↑(2) Es hindert sie die Ideologie der Aufklärung daran, ihre Geschichte menschlich zu begründen; es hindert sie die Ideologie einer Vernunft der Sache, einer Versachlichung des menschlichen Lebens, daran, ihre Sache als Produkt ihres Lebens menschlich zu begreifen und zu verwirklichen. Ohne die Kritik solcher Vernunft, die ihr Bewusstsein von ihrem wirklichen Leben trennt und entstellt, bleiben sie zur Anpassung an die herrschende Logik der Verwertung zum Nutzen der Geldvermehrung verpflichtet.

↑(3) Im öffentlichen Leben zeigt sich der desaströse Zirkelschluss einer Gesellschaft, die sich nur durch die Verwertung ihrer Produkte für Geld und Kapital entwickelt und einem Großteil der Menschen vor allem Unsicherheit und Armut beschert. Und diese ist inzwischen bei der Verwertung von Eigentumstitel schon soweit fortgeschritten, dass sie auch ihre kulturellen Grundlagen selbst schon zerstört. So werden z.B. ganze Stadtteile, die durch das Leben der Einwohner, durch Märkte, Künstler und Architektur noch anziehend sind, durch Gentrifizierung und Mieterhöhungen abgetötet und einer Pseudourbanität überlassen, die zunehmend entvölkert ist.

In solcher Kultur steckt das Maß und Mittel einer erzieherischen Beziehung, die Gewalt einer symbiotischen Selbstbehauptung, die Staat und Kirche wieder auf Form bringen kann, wo sie längst versagt haben. Es ist das Medium einer Nützlichkeit, die nicht mehr für die Menschen ist und zugleich das Mittel einer Selbstverwertung hergibt, die eine sinnliche Macht für den Einzelnen verkörpert, die kein wirkliches Leben mehr haben kann, immerhin aber Selbstwert durch seinen Edelmut verschaffen kann. Während hierdurch die Ökonomie kulturalisiert wird, wird die Kultur ökonomisiert. In einer derart kultivierten Ökonomie hat alles, was sie begründet, keinen Sinn mehr, weil jeder Sinn kulturell überantwortet und überformt ist. Nichts kann für den Gottesglauben nützlicher sein als ein Papst, der sich selbst antikapitalistisch aufführt, indem er an die Gottesliebe gemahnt. Nichts kann für das Kapital nützlicher sein, als weltweite Handelsabkommen, in denen die Armen einbezogen sind, weil sie der Mehrwertbildung zur ihrer letztendlichen Plünderung verfügbar gemacht werden und die herrschenden Preise der Arbeit herabsetzen. Und nichts kann für den Staat nützlicher sein, als eine Finanzmarktkritik, die an seine soziale Regulationsfähigkeit, an seinen Sozialismus glaubt. Wir kennen das alles schon aus den Zeiten des Nationalsozialismus und den Zeiten danach.

↑(4) Die Kultur einer symbiotischen Selbstbehauptung ist die Grundlage des Wahnsinn, wie er bislang eher in der kleinbürgerlichen Familie anzutreffen war. Inzwischen ist er in die Bereiche der Gesellschaft vorgedrungen, wo das Geld herrscht, wo also das im Erleben einen Sinn findet, den es selbst nicht mehr wirklich leben kann. In der Eventkultur hat alles einen Sinn, was ihre Sinnlosigkeit zu übertölpeln versteht, was der Täuschung über einen gesellschaftlichen Zusammenhang dienlich ist, den es in Wirklichkeit gar nicht gibt, der aber in jeder Öffentlichkeit hartnäckig behauptet wird. In den Arenen der Massenveranstaltungen können die Menschen ja immerhin wieder ein Gefühl für sich selbst finden, auch wenn es keine Empfindung mehr zur Grundlage hat; sie können in ihren Medien eine Liebe finden, die keinen wirklichen Menschen mehr nötig hat; und sie können miteinander verkehren, indem sie sich einfach nur nützlich für ihren Verkehr erweisen.

Und so wird auch das Gefühl einer weitschweifigen Sinnlosigkeit selbst zu einem gigantischen Geschäft. Denn der Grund ist: "Geld macht sinnlich". Nirgendwo sind die Gagen höher als für die Matadoren der Massenbegeisterung in den Arenen des Sports, der Musik, der Unterhaltung oder auch für die Talkmaster, die das Ganze wieder auf einzelne Prominenzen herunter brechen. Wo das menschliche Leben nur noch als Humankapital gesellschaftlich wahrgenommen wird, findet es Anreize in einer Massenkultur, worin jeder Einzelne sich selbst allgemein behauptet fühlen können soll. Er kämpft mit den Vorbildern seiner Sportveranstaltungen auf den Bildschirmen, fühlt mit den Schönheiten der Werbung, sinniert mit den Journalien der öffentlichen Meinung und weiß immer, was das Beste und zugleich Günstigste ist, - nicht einfach nur für ihn! Nein für uns alle.

In den Verhältnissen der Spekulation, die immer allgemeiner bestimmend werden und deren Wetten die in absurde Verschuldungsspiralen treiben, die ihre Substanzen schon verspielt haben, kann niemand mehr wirklich wissen, kann sich niemand gewiss in dem sein, was aus seinem Tun und Lassen folgt, wovon und wofür er wirklich lebt. Es bleibt alles beim bloßen Ereignis. Darin werden die Menschen zu Gespielen in einer Gesellschaft, die nicht mehr nur vaterlos ist, sondern auch die Mutter aufgegeben hat. Hatte der Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich in seinem sozialpsychologischen Buch "Die vaterlose Gesellschaft" aus dem Jahre 1963 noch beklagt, dass es der Jugend an männlichen Vorbildern fehle, so dass sie sich weder an ihnen abarbeiten könne, noch durch sie vor der Welt geschützt werde, um darin eine Weg für ihr Leben finden zu können. So muss man heute feststellen, dass auch die Mutter zur Kumpanin eines Lebens geworden, das sich ihrer Liebe entziehen muss, um überhaupt stattzufinden.

↑(5) Vor allem daran macht sich die ebenso zynische wie populäre Problematisierung fest, dass "psychische Störungen" heute einen ernst zu nehmenden volkswirtschaftlichen Ausfall darstellen. Die Kosten für den Ausfall betriebswirtschaftlicher Funktionalität gelten daher auch als Unkosten für irrationale Ausfälle, die als kulturelle und zwischenmenschliche Störungen aus dem gewöhnlichen Betriebsablauf der Wirtschaft abgezogen und den sozialen Unkosten zugerechnet werden. Auf der anderen Seite steht damit die Rationalität einer Wirtschaftsweise unberührt , die gänzlich getrennt hiervon belassen bleiben soll

Wer es schafft, dabei zu bleiben, leidet unter der Last der Ansprüche, die höchst individualisierte Glücksverheißungen mit sich bringen. Denn auch diese funktionieren nicht mehr so wirklich, weil die Lebenszeiten und Lebensräume die Lebensbasis jeder Glücksvorstellung immer wieder durchtrennen und die isolierten Lebensbeziehungen verengen. Schnell tritt Lebensangst auf, wenn Lebensverhältnisse durch wirtschaftliche und kulturelle Macht bestimmt sind, die für den vereinzelten Menschen in knallharten Konsequenzen aus der Ungewissheit ihrer Existenz jederzeit durchbrechen können. Die bürgerliche Gesellschaft hat sich schleichend zur bedrohlichen Formation einer staatsautoritären Betriebswirtschaft entwickelt, die wie jedes Unternehmen unter den Schulden ihres Investments zu leiden hat, Schulden, die ihrer ganz simplen Marktlage entspringen, wo diese keine Erträge mehr bringt, und denen zu einer wirtschaftlichen und kulturellen Macht verhelfen, die ihre Profite durch Schuldverschreibungen "gewinnbringend" anlegen können. Und Gewinn bringend ist jedes Wertwachstum, das durch die Verwertung von Geld als Kapital gezogen wird. Meist hat das mit Wirtschaftswachstum nichts mehr zu tun, das eine Verbesserung der Wirtschaftsweise bedeuten würde. Nein, weil der Kapitalismus immer unwirtschaftlicher wird, weil seine eigentliche Wirtschaftlichkeit, die Automation der Arbeit, den Verwertungsinteressen des Geldes inzwischen im Allgemeinen entgegensteht, verstärkt sich der Druck auf die Existenz der immer unproduktiver arbeitenden Menschen, indem immer weniger reale Produkte die Lebenshaltung bestimmen, stattdessen immer mehr Eigentumstitel den Arbeitslöhnen ihren Wert entziehen. Selbst der Niedergang der Realwirtschaft ist zum Finanzierungsproblem seiner Gebühren geworden. In den gewöhnlichen bürgerlichen Administrationen herrscht demzufolge auch ein zunehmender Schuldendruck durch Austeritätspolitik, zunehmend durch den internationalen Druck der Finanzwirtschaft auf die Verschuldungspolitik der Nationalstaaten. Er greift tief in die Lebensbereiche der Menschen, in ihre Arbeit- und Lebensformen und Subsistenz. Und weil reale Wirtschaft immer weniger prosperiert, ihre Krise immer chronischer wird, scheitern auch immer mehr Menschen an ihren individuellen Lebensvorstellungen und Sinnstiftungen. .

↑(6) Für den arbeitslosen Menschen ist das Bedrückendste die Ausgeschlossenheit vom gesellschaftlichen Leben. Es ist seine Demütigung als Mensch, in einer reichen Gesellschaft nur noch vegetieren zu können. Er fühlt sich unnütz, weil die herrschende Vernunft die Rationalität der Nützlichkeit ist. Er fühlt sich ohnmächtig, weil die einzig existente Macht in solcher Gesellschaft das Geld ist, das er nicht mehr erdienen kann. Er fühlt sich unterworfen, weil hier die Selbstbehauptung eine notwendige Fähigkeit im Konkurrieren der Verkäufer ihrer Kraft ist. Soll er oder sie deshalb unterwürfig und machtlos bleiben, nur weil die Vernunft dieser Ökonomie ihn seiner Einkommensquelle enthoben hat?

Arbeitslosigkeit ist im Grunde eine irrsinnige Situation: Eine Gesellschaft, die genug Arbeit hat, weil es immer genug Bedürfnisse nach deren Produkte gibt, ist nicht in der Lage, diese Arbeit so aufzuteilen, dass alle Menschen in gleicher Weise arbeiten, wie sie durch deren Produkte leben können. Noch irrsinniger wird das, wenn man hinzunimmt, dass mit der verfügbaren oder auch noch zu entwickelnden Technologie nur ein Bruchteil der Arbeit nötig wäre, die heute unser ganzes Leben bestimmt. Arbeit wird immer weniger und Arbeitslosigkeit könnte völlig neue Lebensziele einer Gesellschaft eröffnen, in der die Menschen frei für ihre Verhältnisse sind, sich durch ihre Tätigkeiten und Kreationen aufeinander beziehen, um darin nicht nur ihren Selbsterhalt zu sichern, sondern auch ihren Reichtum zu teilen und mitzuteilen. In solchen Verhältnissen beziehen sich die Menschen als Menschen nicht zwischen ihrem Menschsein, nicht einfach zwischenmenschlich, sondern gegenständlich. Sie sind selbst füreinander Gegenstand so, wie sie ihre Gegenstände aufeinander beziehen, wie ihre Arbeit und ihre Zusammenwirken Sinn hat und Sinn macht. Kultur und Nutzen würde darin zusammenkommen.

Dagegen erscheint heute die Arbeit als bloßer Arbeitsplatz an irgendeinem Ort der Arbeit schon dadurch erstrebenswert, dass er einen Menschen besser existieren lässt als einen Arbeitslosen. Aber arbeitslos sind nicht nur die Arbeitslosen. Arbeitslos ist im Grunde jeder Geldbesitzer in dem Maß, wie er "sein Geld arbeiten lässt", wie man so schön sagt. Er erhält sich in diesem Maßstab nur durch die produktive Anwendung seines Geldes, soweit es in die Produktion investiert wird, oder durch den Geldumlauf selbst, soweit sein Geld in Schuldverschreibungen zirkuliert und Mehrwert abschöpft oder wenn er durch Wetten auf dem Aktienmarkt Geld gewinnt. Geld mag immer nützlich sein, solange man damit alles erstehen kann, was man braucht. Aber es ist um so sinnloser, wie es nicht mehr den Gebrauch finanziert, sondern sich im Glauben an eine wundersame Geldvermehrung mal dahin, mal dorthin verflüchtigt und immer auf der Jagd nach Anwender und Gläubiger ist. Es ist der Realität entzogen: Fiktives Kapital.

Aber seine Fiktionen wirken dennoch in dieser Wirklichkeit, nicht nur als Glaube, sondern als Loch in der Wahrnehmung der Wirklichkeit, als Ungewissheit ihrer Lebenszusammenhänge, als Kluft zwischen dem, was den Menschen im einzelnen gewiss sein kann und dem was ihr gesellschaftliches Wechselwirken zur Folge hat. Ihr Empfinden geht in ihrem Fühlen nicht ungebrochen auf. Empfindung und Gefühl bleiben solange und soweit voneinander getrennt, wie sich die einzelnen Wahrnehmungen in ihren Gefühlszusammenhängen nicht ergänzen und bewähren können. Und das hat gewaltige Auswirkungen auf ihre kulturellen Verhältnisse, die sich ihren ökonomischen soweit entziehen, wie Sinn und Nützlichkeit ihrer Lebensproduktion auseinanderfallen. Ihre zwischenmenschlichen Beziehungen bestehen aus Entwicklungen, die sie selbst nicht in der Hand haben und sich bestenfalls als Glücksritter ihrer Glücksschmieden bewähren können. Bei ihrer Glückssuche ziehen sie sich in einem Moment symbiotisch an und stoßen sich in einem anderen aus bloßer Selbstbehauptung ab, um in ihrer Selbstwahrnehmung nicht unter zu gehen. Zwischen Fixation und Expansion lässt sich keine Wahrheit finden und so kann auch keine Empfindung in ihren Gefühlen wahr werden, kein Gefühl von ihr überprüft werden. Ein Leben in dieser Ungewissheit ist vielfältig gespalten und voller Angst und Macht, ist ein Leben, das in sich selbst gebrochen bleibt, solange es seinen wirklichen Gegenstand nicht erkennen kann.

↑(7) Nutzen erweist sich immer wieder objektiv als Herrschaft und wer das nutzen kann wird zum Subjekt des Verhältnisses. Menschen werden somit auch in ihren zwischenmenschlichen Verhältnissen in diesen absurden Widerspruch versetzt, in welchem als Objekt nützlich ist, wer etwas bewirkt und Subjekt sein kann, wer sich dies einzuverleiben versteht. Im Einzelnen sind sich die Menschen ja nach ihrer Beziehungswelt wechselnde Objekte, die nur in ihrer Selbstbezogenheit zu sich kommen können, in der alleine sie sich als Subjekt fühlen, soweit ihnen die anderen bloßes Objekt sind, vielleicht sogar durch Lebensverträge als Objekt wechselseitig zugesichert sind. Diese Kultur entspricht ganz der Marktwirtschaft, worin der Mensch nur in seiner Vereinzelung als Konsument Subjekt sein kann, soweit er das Allgemeingut Geld besitzt, aber allgemein Objekt ist, wo er Geld verdienen muss. Geld als allgemeines Tauschmittel bestimmt sein Subjektsein als Konsument. Allgemein ist Konsum dann also ein subjektives Objektsein, weil ein Bedürfnis ohne Lebensgestalt, ohne Kreation und Arbeit nur einverleiben kann was es vorfindet, also von der herrschenden Objektivität lebt, die es verzehrt. Was durch die Formbestimmungen der Wirtschaft sich als Widerspruch von gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung vollzieht, ereignet sich in der Kultur als Widerspruch menschlicher Subjektivität und ihrer öffentlichen Wahrnehmung, ihrer Ästhetik, ihrem Design.

↑(8) Marx schreibt in den sogenannten "Pariser Manuskripten":

"Erst in der Natur ist sich der Mensch selbst Gegenstand, wie auch er sich gegenständliche Natur ist.
Der erste Gegenstand des Menschen – der Mensch – ist Natur, Sinnlichkeit, und die besondern menschlichen Wesenskräfte, wie sie nur in natürlichen Gegenständen ihre gegenständliche Verwirklichung, können nur in der Wissenschaft des Naturwesens überhaupt ihre Selbsterkenntnis finden. Das Element des Denkens selbst, das Element der Lebensäußerung, des Gedankens, die Sprache ist sinnlicher Natur." (MEW 40, S. 544).

↑(9) Solche Kultur entfaltet sich nicht parallel und also unabhängig von der Wirtschaft. Im Gegenteil, sie folgt unmittelbar aus ihrer Verkehrung, aus dem Fetisch einer verkehrten Welt. Während in der Wirtschaft das Einzelne unmittelbar ist, das allgemein gesellschaftlich abstrakt vermittelt wird, ist in dieser Kultur das Allgemeine unmittelbar öffentlich, während sich die abstrakte Vermittlung in der Wahrnehmung der einzelnen Menschen selbst zuträgt. Die Menschen nehmen nicht mehr das wahr, was sie haben. Sie haben sich wahr als das, was sie durch andere von sich wahrnehmen. Alleine ihre Selbstgefühl bestimmt ihre Identität, in welcher ihre Empfindungen und Gefühle aufgespalten sind.

↑(10) Es entwickelt sich die Selbstwahrnehmung in einem Gegensatz von privater und öffentlicher Kultur. Aus der Enge der zwischenmenschlichen Fixierungen, der Kleinfamilien und Beziehungskisten, führt eine Kultur, welche Angst dadurch bewältigt, dass sie über Menschen und Ereignisse verfügt, welche dazu taugen, das heißt: nützlich sind, über die Innenwelt der festen Gewohnheiten und Rituale, der Erziehung und Verschulung, der Verbildungen und Ängste durch Anreize und Erlebenswelten hinweg zu kommen, in der die Menschen ganz unter sich sind, wenn sie außer sich geraten, außer sich vor Erregung und Faszination. Im Reiz solcher Welten kann Hören und Sinnen vergehen, indem nur erhört wird, was übersinnliche Wirkung hat: Space statt Raum, Hast statt Zeit, Masse statt Einsamkeit, Erleben statt Leben, Freiheit statt Notwendigkeit und so weiter. Und es erklärt sich hieraus, warum die Älteren trotz aller Jugendlichkeit, mit der sie sich allzu gerne identifizieren, von den Jüngeren entfernen. Die Generationen müssen sich zwangsläufig diese Gegensätze ihrer Welten teilen. Im Ganzen müssen sie das Gattungsleben ihrer Gesellschaft als Gesellschaft ihrer Sitten, Szenen und Gepflogenheiten, als Kultur ihrer zwischenmenschlichen Beziehungen in ein Verhältnis setzen, worin sich die Gegensätze vereinen lassen. Die Jugend sucht den Kontrast zu dem, was ihr nicht von selbst erschlossen ist, weil es nicht wirklich da ist, aber nach den Gegebenheiten und Vorgaben der Bildung und Erziehung da sein soll. Sie sucht hiergegen eine Wahrheit ganz für sich. Das Alter beschwört dagegen immer wieder die Ordnung, durch die versichert sein soll, dass ihre Welt ganz das bleibt, was nicht ganz sein kann: Ein Widerspruch in sich. Und so wie im Lebensablauf treten die Pole dieses Widerspruchs in jedem Lebensmoment als Widerspruch der Selbstwahrnehmung in dieser Kultur auf. Es sind die Pole einer Beziehung, die zu einem ganzen Weltverständnis ziehen soll, worin das einzelne Lebensverständnis in seiner Besonderheit keinen Platz hat.

↑(11) Familie ist das Zusammenleben der Generationen in einem Personenhaushalt. Sie erscheint zunächst als die natürliche Form gesellschaftlicher Reproduktion und Selbsterneuerung. z.B. bäuerliche Familie oder 19. Jhd. Von daher erscheint sie als Ursprung des Lebens und als Zuhause, als Schutzrum, in welchem Leben geboren und geborgen wird. Aber Natur ist nicht gesellschaftlslos und Gesellschaft ist immer auch natürlich. Die gesellschaftliche Form wird überall, wo Form bestimmend wird, auch zur Bestimmung ihrer Natur.

↑(12) In ihrer Geborgenheit hebt sich der Widerstreit von Sinn und Wirklichkeit in den Menschen selbst auf und hat sinnliche Wirkung auf die Selbstgefühle der Menschen. In der Lebensgeborgenheit familiärer Persönlichkeiten, in ihrer Lebensburg, wird ihr Sinn von dem bestimmt, was der Erhaltung dieser Geborgenheit nützt. Sie werden selbst zum Erzeuger ihrer eigenen Kultur, meist als Wohnkultur, in welcher Menschen das zu sein scheinen, was sie aus sich machen. Von daher schulden sie sich auch das, was sie darin werden sollen. Sie sind sich in ihrem Lebensraum zugleich Leib und Seele ihres Lebens und einverleiben sich wechselseitig den Nutzen ihrer Gemeinschaftlichkeit. Ihre Lebensschuld wird zur Maßgabe ihrer Lebenspflichten und treibt jede Selbstwahrnehmung dazu, sich als das behaupten zu müssen, was sie durch ihre Vergemeinschaftung sogleich auch verliert. Die Macht dieser Einverleibungsverhältnisse treibt sie in die Enge, wo die Ohnmacht mächtig wird, und sie zerstört ihre Wahrheit, wo die Macht zur Ohnmacht treibt.

Die Wirklichkeit der erzieherische Beziehung ihrer Herkunftsfamilie hinterlässt ihre Spuren in der Sinnbildung, die als eigenständige Gefühlsbeziehungen in den Selbstgefühlen der Menschen auch über ihren aktuellen Beziehungsrahmen hinaus bestimmend bleiben. Es sind nicht bloße Erinnerungsbilder - wie Sigmund Freud meinte -, welche diese psychischen Bestimmungen leiten, sondern wirkliche sinnliche Verhältnisse in den Gefühlen der Menschen, die sich aus der Vernunft ihrer Herkunftsfamilie als Gefühlsgedächtnis zur Psyche gestaltet haben und sich der gegenwärtigen Wahrnehmung in ihrer Verarbeitungslogik entgegenstellen können, wenn sie einen kulturellen Gegensatz von Familie und Welt reproduzieren, - dies alleine schon deshalb, weil die Zeiten und Verhältnisse sich ändern oder geändert haben.

Die Egozentrik der bürgerlichen Persönlichkeit identifiziert sich in ihrer Kultur als Kulturbürger und behauptet sich darin als unmittelbar autarker Mensch, als Naturmensch der Kultur, als ein in seiner Besonderheit allgemein natürlich und voraussetzungsloses Individuum, das seine Gesellschaft schon durch sich verwirklicht. Dieser erscheint sich selbst schon als autopoitisches Wesen, das Gesellschaft nur relativ zu sich selbst wahrnimmt und sich selbst hierdurch als Allgemeinwesen verstehen kann, dessen einziger Mangel darin besteht, dass seine unwirkliche Identität und Selbstgerechtigkeit in ihr nicht richtig verwirklicht ist, dass sie ihm also nicht wirklich entspricht. Die gesellschaftliche Entfremdung des gesellschaftlichen Menschen im Kapitalismus erscheint so auf den Kopf gestellt, dass Gesellschaft zum Objekt einer gewaltigen Selbstentfremdung wird, die sich politisch zu leugnen versteht.

↑(13) Die Partikularisierungen der zwischenmenschlichen Beziehungen in ihren isolierten Lebensburgen stehen meist im Widerspruch zu den Lebensinteressen des Glücks, das Liebe verspricht und begeistert. Jenseits der Menschenliebe wird sie leicht zu einem Liebesbunker, dessen Verhältnisse nur mehr verdunkeln, was sie eigentlich anstreben. Und Menschenliebe wird auf der anderen Seite zum Schlachtruf von Religionen, die kollektivistische Lebensverhältnisse anstreben, die einen "Geist in geistlosen Verhältnissen" konstruieren, der schon in seinen Grundlagen ein Ungeist für die Menschen ist, die Idylle einer Gemeinschaft, die es auf Erden nicht wirklich geben kann, solange die Menschen sich nicht wirklich gesellschaftlich zueinander verhalten können, solange das Diktat ihrer Lebensbemessung, die Verwertbarkeit ihre Lebens und ihrer Natur, ihnen alle Verbindungen enteignet und zerteilt, die sie zugleich immer wieder errichten und zugleich zerstören. Die Teilung der Arbeit stellt sich als Zerteilung ihres Lebens dar, das im Flickwerk bürgerlichen Formationen zusammengehalten wird, bis es an seinen inneren Konflikten scheitert.

↑(14) Die bürgerliche Familie ist eine ungeheuerliche Anmaßung gegen das Menschsein selbst, gegen die gesellschaftliche Selbsterzeugung des Menschen. In ihr sind die Personen absolut für sich bestimmt, zwischenmenschliche Persönlichkeiten, die durch sich selbst willkürlich bestimmt erscheinen, aber in Wahrheit absolut bestimmend sind. Das ist eine schlechte Voraussetzung für ein Glück, das durch sie entstehen können soll, zumal die ganze Existenz darum herum als Unglück erscheint, als fremde Welt, deren Macht beständig in die Familie hinein bricht. und worauf sich die Personen befähigen, in ihren Fähigkeiten zurichten müssen. Ihr unmittelbar subjektives Leben ist damit zugleich auch unmittelbar objektiv; ihre Selbstbezogenheit zugleich Selbstlosigkeit. Die Kleinfamilie ist zu eng, um wirkliche Fähigkeiten beizubringen und beizuholen, und zugleich zu klein, um die Widersprüche ihrer eigenen Szene aufzuheben. Es machen sich die Gegensätze als gegensinnige Persönlichkeiten darin wahr, die sich nur durcheinander behaupten können, indem sie ausschließlich füreinander da sind, um sich als das wahrzunehmen, was sie durcheinander von sich wahr haben. Es ist der Kreislauf einer unendlichen Selbstbeziehung, eine Lebensform der Egozentrik, die sich als Mensch fühlt, wo Menschen nicht für sich Mensch sein können, weil sie sich als Mensch fremd sind. Es ist die subjektive Lebensform einer Entfremdung, die Wirklichkeit einer gelebten Selbstentfremdung.

↑(15) Die Vernunft der Familie zeigt sich daher an einem gänzlich anderen sozialen Ort in dem wirklichen und also auch wirksamen Widerspruch ihrer Beziehungsverhältnisse zwischen Sorge und Glück, Angst und Bereicherung, - oder substanziell gesprochen: zwischen Sinn und Nutzen eines zwischenmenschlichen Lebensverhältnisses, das sich aus dem Eigennutzen persönlicher Selbstverwirklichung heraus gegen die öffentliche Formen der gesellschaftlichen Lebensverhältnisse abgrenzt und abschirmt, indem sie diese verabsolutiert. Die subjektiven Verarbeitungsweisen der Wahrnehmung, also der Erkenntnisprozess ist davon bestimmt und kann auch dann Folgen haben, wo die eigenen Beziehungen in der Welt, zum Beispiel in den Liebesbeziehungen, in Bildungs- oder Berufskonflikten wahrgemacht werden und in den psychischen Absichten und unbewussten Handlungen bestimmend werden. Es ist der in seiner Entwicklung ausgeschlossene Sinn, der darin hervortritt. Es ist ein Sinn, der das Unverwirklichbare des erzieherischen Verhältnisses in sich birgt, die Ausschließlichkeit einer Beherrschung und Verschmelzung in einem, der Symbiose einer herrschenden Einverleibung von Menschen, die als subjektive Objekte eines äußerst beschränkten Lebensverhältnisses zur Welt gekommen sind. Er ist entweder durch die Entstellungen und Verstellungen der Empfindung selbst bestimmt, die eigene Gefühle bedrängen, oder er ist durch das Selbstgefühl bestimmt, das darin wahr wird und sich die eigenen Sinne mehr oder weniger ganz unterwirft.

↑(16) Dies entspricht ja auch den Lebenszusammenhängen der Bürger, soweit die durch Geldbesitz bestimmt sind und daher als Kulturbürger auftreten können. Nicht die Unwirklichkeit des Geldes, sondern die im Allgemeinen noch unverwirklichte Selbstwahrnehmung bestimmen sein politisches Streben. Die Geschichte der Individuen, ihre Bildungsphase in erzieherischen Beziehungen verlaufen ja auch zwischen Symbiose und Selbstbehauptung, sowohl in in ihren Familien als auch in den kulturellen Szenen der Jugend- und Erwachsenenkulturen bzw. -subkulturen. Und dem entsprechend differenzieren sich auch ihre Selbstwahrnehmungen. Es ist die Logik eines verallgemeinerten Körpers, der sich als Einzelwesen behaupten muss, um als Gemeinwesen vermittelt zu sein. Das Resultat solcher Erziehung ist eine Unterwerfung unter ein Gemeinwesen, das persönlich erscheint, wie immer es auch ein wirkliches Mittel für sie sein könnte. Der Widersinn dieser Entwicklung bricht besonders beim Entwachsen aus der Familie auf, wo ein Mensch in seinen Fähigkeiten, eine Persönlichkeit darzustellen, bewertet wird und zugleich nur körperlich interessant sein kann. Man nennt das Pubertät und spricht von geschlechtlicher Reifung. Doch es ist vor allem das gesellschaftlich werden einer personifizierten Subjektform eines objektiven Wahns, der in Masse aufgelöst wird, im Selbsterleben als Massemensch in den Jugendkulturen oder Kulturszenen, worin die familiäre Bestimmungsmacht im Fanatismus eines allgemeinen Erlebens persönlicher Selbstdarstellung zumindest überwunden wird, wenn sie im Körperfetischismus einer Kultur aufgeht, in welcher jeder einzelne in dem überwertig wird, was er an Persönlichkeit darstellen und sich darin auch behaupten kann. Die Symbiose der Masse erscheint dann wie eine Vollendung familiärer Wirklichkeit, und deren Selbstbehauptung als eine übermenschliche Macht der Psyche. Der durch Massengefühle einverleibte Körper bleibt aber abstrakt, auch wenn er die Selbstwahrnehmung vollkommen beherrscht und durch Selbstbehauptungen ausgestellt wird.

↑(17) In einer solchen erzieherische Beziehung muss jede Selbstbehauptung misslingen, gerade wo sie sich in Symbiosen zu verfestigen sucht. Gezogen und erzogen wird ja an allen Ecken und Enden. Das bekommen vor allem die Jungen zu spüren. Da ist die öffentliche Moral, die Sitte, die Schule, und schließlich die Ausbildung als Vorbereitung auf eine Subordination im Großen und Ganzen und einer Konkurrenz von jedem gegen jeden. Und dass das Ganze nicht gelingen kann, das merken die Alten. Ihr Leben wird unnütz und ihr Alter zur Last, das doch soviel von dem zu erzählen hätte, was die Jugend noch nicht kennt. Erziehung macht ohnmächtig gerade dort, wo sie ermächtigen soll, wo sie mitzuteilen hätte, was Wege und Irrwege sind und was Glück und Unglück bedeuten kann. Aber weil das Ganze nur durch seinen Nutzen ganz bestimmt ist, kann solcher Sinn nicht wirklich vermittelt werden. "Jeder muss halt seine eigenen Erfahrungen machen", sagt man dann. Doch die Erfahrungen wiederholen sich im Großen und Ganzen fast unverändert schon weit über 100 Jahre.

↑(18) Ein Mensch kann nicht Teil sein, nicht teilweise leben, nicht als Teil einer kosmischen Ganzheit, noch als Teil einer übermenschlichen Kultur. Er kann auch nicht als Einzelwesen schon allgemein wirklich sein, allgemeines Subjekt einzelner Bedürfnisse und Aufwände. Seine Wirklichkeit ist ganz trivial. Er ist vollständig da mit Haut und Haar, mit Geist und Sinn, als Individuum, das immer schon gesellschaftlich ist und dort auf die Welt kommt, wo es geboren wird

↑(19) "Der Kleinbürger ist ... zusammengesetzt aus einem Einerseits und Andererseits ... Er ist der lebendige Widerspruch. .... Wissenschaftlicher Scharlatanismus und politische Anpassung sind von solchem Standpunkt unzertrennlich. Es bleibt nur noch ein treibendes Motiv, die Eitelkeit des Subjekts ..." (Karl Marx, Über Proudhon, MEW 16, 31f).