Dr. Horst Müller

Sozialwirtschaft als Alternative zur Kapitalwirtschaft

Die Frage nach der konkreten Alternative

Die Diskussion um die ökonomischen und gesellschaftlichen Krisen unserer Zeit bewegt sich fast vollständig in den eindimensionalen Begriffen der herrschenden Wirtschaftsweise. In die Köpfe eingebrannte Denkfiguren suggerieren, daß den Problemen nur durch eine Modernisierung der Kapitalwirtschaft abgeholfen werden kann. Dem Notgeschrei und der Propaganda der Modernisierung weiß auch die Opposition nichts Überschreitendes entgegenzusetzen. Gewerkschaftliche, sozialdemokratische oder auch ökologische Korrekturvorschläge können nicht darüber hinwegtäuschen, daß man keine wirkliche Alternative kennt.

So lähmt die gesellschaftlichen Bewegungskräfte ein tiefgreifender Mangel an konkreter Utopie: Die Kapitalwirtschaft hat sich global durchgesetzt, das Terrain planwirtschaftlicher Experimente wurde gründlich geräumt. Die kritische Gesellschaftstheorie verweist zwar noch auf Defizite und Risiken der gesellschaftlichen Entwicklung, aber nicht auf konkrete Alternativen. Dabei werden kaum mehr ökonomische Basisfragen aufgeworfen. Die marxistische Kritik der politischen Ökonomie schließlich ist in einer negativen Krisen- und Weltmarkttheorie erstarrt.

Der Ausbruch aus dem eindimensionalen Denken, die Überschreitung der utopielosen Negationen verlangt außerordentliche theoretische Anstrengungen. Die entscheidende Frage lautet: Gibt es die reale Tendenz und Möglichkeit einer neuen Wirtschaftsweise und gesellschaftlichen Selbstorganisation und wie kann diese konkrete Alternative theoretisch gefaßt werden? In dieser Arbeitsperspektive entstand die hier vorgestellte Theorie der Sozialwirtschaft. Ihr Erkenntnisinteresse liegt jenseits des entfremdeten Formelkrams und menschenverachtenden Zynismus einer Wirtschaftswissenschaft, in der Börsenspekulation als prämiierungswürdiger Ausdruck menschlicher Vernunft gilt.

Konstruktionsfehler der Kapitalwirtschaft

Die Krise der kapitalistischen Industriezivilisation beruht nicht auf immanenten Modernisierungsrückständen und ist nicht durch irgendwelche äußere Systembedingungen der herrschenden Wirtschaftsweise verursacht. Es handelt sich auch keineswegs um Probleme, die durch eine Umschichtung ökonomischer Ressourcen gelöst werden könnten. Die Schwierigkeiten verweisen vielmehr auf ein systemimmanentes Unvermögen der modernen Kapitalwirtschaft, auf der Produktivitätsstufe automatischer Systeme mit ihrem warenwirtschaftlichen Overflow verwertungsökonomisch fertig zu werden.

Dieser Mangel äußert sich in widersprüchlichen Phänomenen: Wir sehen einen sich überschlagenden, teilweise an Zwangsernährung erinnernden Konsumismus, eine überschäumende Nonsensproduktion und technizistische Wucherungen, eine ungeheure Verschwendung in hypertrophen Subventions- und Investitionsabenteuern wie schnellen Brütern und Magnetschwebebahnen, während zugleich massenhaft Produktionskapazitäten sowie Arbeitsvermögen brachliegen und sich soziale Mißstände häufen.

Trotz aller gegenteiliger Versprechungen und Beschwörungen ist bei unvereingenommener Betrachtung klar, daß das warenproduzierende System innerhalb der Zwingfesseln seiner Reproduktionskreise, der Domäne seiner spezifischen ökonomischen Rationalität, überhaupt nie mehr eine ausreichende Beschäftigung bieten kann: Kapitalwirtschaftiches Wachstum auf dem erreichten Produktivitätsniveau bedeutet nicht mehr Beschäftigung, sondern tendenziell noch weniger Arbeitsmöglichkeiten.

Mit Blick auf die Gesamttätigkeit der Gesellschaft muß noch ein anderer Aspekt hervorgehoben werden: Das warenproduzierende System verlangt, um den offenkundigen Problemdruck zu mildern, auch noch alle anderen notwendigen und nützlichen Tätigkeiten außerhalb seiner Domäne auf ein niedrigstmögliches Niveau zu reduzieren. Solche Tätigkeiten, die der gesellschaftliche Lebensprozeß und im Grunde auch die Wirtschaft selbst zunehmend als Basis- und Rahmenleistung benötigt, fasse ich unter dem Begriff 'sozialwirtschaftliche Dienste' zusammen. Damit soll der wesentliche Unterschied gegenüber der im Kern industriewirtschaftlichen Warenproduktion unterstrichen werden. Der gemeinte Teil der gesellschaftlichen Gesamtarbeit schließt beispielsweise Tätigkeiten der Erziehung und Bildung ein, die allgemeingesellschaftlichen Verwaltungsangelegenheiten, die Reproduktion der Infrastrukturen aller Bereiche des modernen Stadt- und Alltagslebens und nicht zuletzt immense sozialproduktive Funktionen in den Bereichen Soziales, Gesundheit und Umwelt.

Hinter den verwirrenden Phänomenen eines defizitären und destruktiven Wachstumsprogramms kann der entscheidende Konstruktionsfehler der Kapitalwirtschaft erahnt werden: Sie ist durch ihr borniertes ökonomisches Kalkül gezwungen, materiellen Reichtum auf die Bahnen eines warenwirtschaftlichen Produktivismus und Konsumismus, einer selbstzweckhaften akkumulativen Investition sowie auf das Spielfeld eines globalen Monopoly zu lenken. Zugleich ist sie aber nicht fähig, die tatsächlich überreichlich verfügbaren ökonomischen Potentiale zur Unterhaltung von gesellschaftlich nützlichen Tätigkeiten jedweder Art einzusetzen, um auf diese Weise Beschäftigung, Wohlfahrt und Ökologie zu fördern, inhumane Arbeitsformen abzubauen und letztlich überhaupt die Arbeitszeit für alle zu reduzieren.

Stattdessen werden gesellschaftlich angeforderte und nützliche Tätigkeiten jedweder Art, die sich in der monomanen Systemperspektive nicht positiv funktionalisieren lassen, als Sozialballast definiert, auf das Notwendigste reduziert oder überhaupt nur als unbezahlter Freiwilligen- oder auch Pflichtdienst zugelassen. Das heißt aber nichts anderes, als daß die ihnen als notwendiger Bestandteil im System der gesellschaftlichen Arbeit innewohnende wertschöpfende Kraft in der wirkmächtigen Systemperspektive aberkannt oder ins Gegenteil umgedeutet wird, so als ob eine horrende Warenproduktion die einzig wahre Produktion darstellte, der gegenüber sozialwirtschaftliche Tätigkeit nur als negativer Sozialkostenfaktor in Betracht kommen könnte: Ein wissenschaftlicher Dogmatismus und eine verbreitete Ideologie, die als historischer Irrtum der mitttelalterlichen Kirchenlehre in nichts nachstehen.

Angesichts des realen destruktiven Produktivismus und einer verschleierten, ungeheuren arbeitsökonomischen Repression der Kapitalwirtschaft zeigt sich der lächerliche und menschenverachtende Charakter jener Wissenschaft, deren Quintessenz in der Anbetung von Wachstumsraten besteht. Was sind die entsprechenden Prognosen sogenannter Weiser anderes als Rituale von Regenmachern? Für die ernsthafte Forschung stellt sich demgegenüber die eigentliche Frage unserer Zeit: Kann es eine Reproduktionsordnung jenseits der waren- und kapitalwirtschaftlichen Monokultur geben, welche die Emanzipation jener anderen Arten der Tätigkeit fördert?

Der wirtschaftliche Prozeß sollte doch so organisiert sein, daß das gesamte gesellschaftliche Arbeitsvermögen mit den überreichlich vorhandenen Produktionsmitteln zusammenkommt, um eine befriedigende gesellschaftliche Güter- und Lebensproduktion ohne die Krämpfe und Krisen der Kapitalwirtschaft zu gewährleisten.

Erst anhand einer positiven Alternative kann dem herrschenden ökonomischen Mystizismus wirksam begegnet werden. So gilt es also nun mit höchster Priorität die grundlegenden Formbildungen und Gesetzmäßigkeiten einer möglichen zukünftigen, höheren Ökonomik zu erforschen.

Die Modellierung des Problems durch Karl Marx

Die Frage nach der Grundfiguration und inneren Funktionsweise der modernen Wirtschaft führt zurück auf den Forschungsansatz von Karl Marx. Er modellierte einen gesamtgesellschaftlichen Prozeß der industriellen Warenproduktion mit zwei Abteilungen, der Abteilung für Produktionsmittel und der Abteilung für Konsumtionsmittel. Indem er die wesentlichen Erscheinungen dieses Szenarios fixierte, konnte er die Schlußfolgerungen seiner Wertlehre, bezüglich des Verwertungsmechanismus der Kapitalwirtschaft und für die heute offenbaren geschichtlichen Hauptentwicklungstendenzen der ganzen Wirtschafts- und Sozialform ziehen.

Die kapitalistische Wirtschaftsweise stellt sich bei dieser Betrachtung keineswegs als höchstentwickeltes und letztgültiges System der gesellschaftlichen Arbeit dar. Sie beruht vielmehr auf einem spezifischen Arrangement der Reproduktionselemente, dessen Gesamtform als objektive Sinnimplikation ein bestimmtes ökonomisches Kalkül enthält. Was wir ökonomische Rationalität nennen, was sich in den Weisen der wirtschaftlichen Rechnungslegung niederschlägt, ist der bewußte Ausdruck dieses Kalküls.

Die Kernpunkte dieses Kalküls sind bis auf den heutigen Tag wenig verstanden worden: Da in der wachsenden Kapitalwirtschaft der produktive Profit über Investitionen dem Kapitalstock zugeschlagen wird, absorbiert das System die mit der Erzielung dieses Profits verbundene Produktivkraftsteigerung, vereinfacht gesprochen: Der Profit verschwindet, betrachtet man nur diese Phase des Wirtschaftsstromes. Um über die erweiterte Kapitalbasis hinaus immer wieder einen entsprechenden Mehrproduktwert zu erzielen, sehen sich daher die in den Prozeß eingespannten Kapitalwirte gezwungen, in der anderen Phase eine Steigerung der Waren- und Wertproduktivität des Arbeitsprozesses herbeizuführen, um welchen Preis auch immer: Obwohl die Gesellschaft insgesamt auf diese Weise ständig ihren materiellen Reichtum steigert, zwingt die auf die Verwertung abstrakter Werte programmierte Kapitalwirtschaft den arbeitenden Menschen damit erstens eine nie enden wollende Sisyphusarbeit auf. Zweitens steuert sie die gesellschaftlich-geschichtliche Entwicklung, nach der inzwischen hinter uns liegenden zivilisatorischen Aufstiegs- und Hochflugzeit, in ein ökonomisches, ökologisches und soziales Desaster.

Der historischen ökonomischen Rationalität der Kapitalwirtschaft liegt ein Krebskalkül zugrunde, das die ökonomische Tätigkeit der Gesellschaft zwanghaft und schrankenlos auf eine warenwirtschaftliche Akkumulation und Expansion programmiert. Im organischen Leben stellt die auf enthemmtes Wachstum programmierte Krebszelle eine ähnliche, schleichend destruktive Erscheinung dar: Nichts ist daher heute verfehlter, als in Wachstumsraten der Kapitalwirtschaft einen positiven Ausdruck wirtschaftlicher Tätigkeit zu sehen: Die Produktion überflüssiger Konsumfetische, ja die an sich völlig unnötige Produktion von Müll und Krankheit und deren anschließende Weiterbehandlung in einer menschen- und umweltfeindlichen Entsorgungswirtschaft oder Gesundheitsindustrie werden hier noch als Erfolg ausgewiesen und gefeiert, während Millionen Menschen ausrangiert, gesellschaftliche Netze gesprengt und die Naturgrundlagen zerstört werden.

Die zwingende Wirkmacht des Krebskalküls liegt der kapitalwirtschaftlichen Wachstums- und Zivilisationsbewegung der zurückliegenden Geschichte zugrunde. Durch den immer neu einsetzenden Hubzwang der Verwertung wird dabei das Fundament der gesellschaftlich notwendigen Grundreproduktion zwar ausgeweitet, aber immer wieder unter Druck gesetzt, so daß die Erwerbseinkommen und die Alters- und Sozialversorgung nie sicher sind. Im Zuge der fortschreitenden Akkumulation verschiebt sich die Proportion zwischen lebendiger und in konstantem Kapital geronnener Arbeit ständig bis hin zu dem Umschlagspunkt, an dem weitere Investitionen nicht mehr, sondern tendenziell noch weniger Arbeit erfordern. In der Folge wird die binnenwirtschaftliche Massenkaufkraft als Tauschzentrum des Kapitalverwertungsprozesses unterminiert und die durchschnittliche Verwertungsrate von der Schwindsucht befallen: Die symptomatische Klage der einzelnen Kapitalwirte über untragbare Lohn- und Sozialkosten erhebt sich und die Pleitegeier beginnen zu kreisen.

An diesem inzwischen überschrittenen Umschlags- und Krisenpunkt gibt es nicht nur eine industrielle Reservearmee, sondern eine schlechthin für das System überflüssige Bevölkerung. Ein anderes, sekundäres Krankheitssymptom ist die immens ansteigene öffentliche Verschuldung. Die Kapitalwirtschaft lähmt so Millionen gesellschaftliche Glieder und ist doch zugleich zur Erfindung immer neuer Methoden der Vernichtung ökonomischer Substanz und zu erneuten Produktionssteigerungen gezwungen, um in der Gesamtbilanz immer wieder wenigstens noch eine marginale Verwertungsrate ausweisen zu können. Diese produktive Destruktion reicht von der Wegwerfproduktion bei Haushaltsartikeln über unnütze und schädliche Großinvestitionen bis zur technologischen und militärischen Hochrüstung durch Waffensysteme und Weltraumstationen, deren Teleskope sich auf die irdischen Debakel eines kapitalökonomischen Wachstumswahns und auf das darunter begrabene menschliche Elend richten.

Kein Zweifel mehr: In historischer Sichtweise ist die bestehende Produktionsweise in ihr epochales Finalstadium eingetreten. Sie hat aber zugleich einen außerordentlichen und äußersten Spielraum in der Globalität gewonnen: Die überschießende Warenproduktion zwingt in den internationalen Austausch und läßt die Krebsökonomie rund um den Globus metastasieren. Eine überwältigende Massenproduktivität und damit verquickte Medienspektakel erheben deren Erzeugnisse in den Rang von neuen Göttern, der industriewirtschaftliche Lebensstandard verwandelt sich in ein irdisches Heilsversprechen, während hinter den Kulissen und rings um das Theater eine schleichende Erosion um sich greift:

Im Verwertungszwangskalkül der kapitalwirtschaftlichen Produktion gelten die Menschen, die Erde und die Zukunft buchstäblich für Nichts - sie werden von einem goldspeienden Moloch vernutzt, entstellt und wenn es sein muß auch vernichtet. So droht die herrschende ökonomische Praxis den blauen Planeten noch im Laufe des kommenden Jahrhunderts zu ruinieren.

Praxisformanalyse und Wertgesetz der Sozialwirtschaft

Alle Kritik bleibt letztlich hilflos und kann nicht bis zum Kern vordringen, wenn keine neue Praxisperspektive aufgewiesen werden kann. Ist nach dem Scheitern der planwirtschaftlichen Experimente noch auf eine andere Wirtschaftsweise zu hoffen? Kann es eine solche aus der Sicht strenger ökonomischer und gesellschaftlicher Praxisanalyse überhaupt geben? Die gesuchte konkrete Alternative wird hier Sozialwirtschaft genannt. Diese setzt auf dem erreichten Niveau der materiellen Produktivkräfte auf: Es gibt die industrielle Warenproduktion, die durch eine Symbiose aus Maschinerie und Informatik, Wissenschaft, Fachintelligenz und Management ein höchstes Produktivitätsniveau aufweist. Auf diesem Niveau erfordert eine gesteigerte Produktion eher weniger, aber nicht mehr Arbeitseinsatz. Zugleich ist nur noch ein deutlich reduzierter Teil des gesellschaftlichen Arbeitsvermögens mit industriewirtschaftlicher Warenproduktion und damit verbundenen Dienstleistungen beschäftigt.

Weiterhin betätigt sich auf der inzwischen erreichten Entwicklungsstufe, noch auf dem Boden der alten Wirtschaftweise, ein tendenziell immer größerer Teil des gesellschaftlichen Arbeitsvermögens in sozialwirtschaftlichen Bereichen. Dazu gehören Aufgaben der Erziehung, Bildung und Ausbildung, der öffentlichen Verwaltung und Rechtspflege, die Aufrechterhaltung der Infrastrukturen des wirtschaftlichen und alltäglichen Lebens, z.B. Energieversorgung, Städtebau, Verkehrswesen und Kommunikationsmedien, auch die Kulturpflege, die Organisation der Wohlfahrt, das Gesundheitswesen und die Altenpflege. Aber auch Wissenschaft, Forschung und Entwicklung in gesellschaftlichem Auftrag sind hinzuzurechnen. Selbst landwirtschaftliche oder industrielle Produktionen können als unmittelbarer Bestandteil einer sozialwirtschaftlichen Ökonomik betrieben werden, beispielsweise zur Sicherung einer gesellschaftlichen Grundproduktion oder Entwicklung einer Schlüsseltechnologie.

Was hier das Sozialwirtschaftliche genannt wird, ist zwar ursprünglich verankert in der spezifischen Naturalform gesellschaftlicher Tätigkeiten oder ihrer Ergebnisse: Das Produkt der Erziehungs-, Bildungs- oder Gesundheitsarbeit ist der erzogene, gebildete oder gesunde Mensch in seinem individuellen Wohl- und gesellschaftlichen Mitsein. Bei diesem Resultat handelt es sich von vornherein ebensowenig um eine akkumulationsfähige Ware wie bei wissenschaftlichem oder technologischem Wissen an sich. Aber das Sozialwirtschaftliche ist nicht an Naturalformen gebunden. Wir sehen das beispielhaft an der Möglichkeit, Kindertagesstätten, Universitäten, Krankenhäuser oder die Müllabfuhr in gemeinwirtschaftlichen Formen oder auch rein kapitalwirtschaftlich zu führen: Die Phänomene des wirtschaftlichen Lebens changieren und irritieren. Es kommt entscheidend darauf an, das Sozialwirtschaftliche als eine in seinem Wesen heute noch keineswegs begriffene oder gar ins allgemeine Bewußtsein gerückte, spezifische historische Formbestimmtheit des Ökonomischen zu begreifen. Diese wächst bereits heran und kann in eine geschichtlich neue, höhere Produktionsweise überleiten:

Die Genesis des Sozialwirtschaftlichen liegt in der Tendenz zum Anwachsen und zur Ausformung von Bereichen der gesellschaftlichen Produktion und Leistung, die nicht unmittelbar in das System der industriellen Warenproduktion eingebunden sind oder es vermitteln, wie etwa auch entsprechende wirtschaftsnahe Dienstleistungen, sondern sich diesem System in anderer Weise anlagern und schließlich gegenübersetzen. Genauer: Die Genesis liegt in der immanenten Polbildung mit einer Sphäre der industriellen Warenwirtschaft samt darauf bezogener Dienstleistungen einerseits und einer Sphäre sozialwirtschaftlicher Dienste einschließlich der Produktion und Reproduktion der gesellschaftlichen Infrastrukturen andererseits, die zueinander in eine ökonomisch notwendige Wechselbeziehung treten. Für den gesamtökonomischen Vollzugszusammenhang spielt dabei der Zusammenschluß über einen gesamtgesellschaftlich organisierter Werttransfer die entscheidende Rolle. Wie vordem die ständige Akkumulation ist jetzt das Anwachsen dieses Werttransfers, damit einhergehend auch der Staatsverschuldung, ein Tendenzgesetz der späten Kapitalwirtschaft und findet seinen unmittelbaren Ausdruck in der bedeutenden Rolle, die der moderne Staat als Steuer-, Haushalts- und Finanzinstitut spielt.

Um das Wesen der Sozialwirtschaft als ökonomische Form begreiflicher zu machen, soll die Methode der szenischen Praxisformanalyse am Reproduktionsmodell der Sozialwirtschaft mit ihren zwei neuartigen Abteilungen angewendet werden. Ich möchte in äußerster Verknappung ein Gedankenexperiment vorschlagen, welches den entscheidenden Punkt verdeutlichen kann.

Stellen wir uns eine Gesellschaft vor, die sogar nur noch 10 Prozent des Arbeitsvermögens in der industriewirtschaftlichen Warenproduktion benötigt, während 90 Prozent im Bereich sozialwirtschaftlicher Dienste beschäftigt sein sollen. Die 10 Prozent arbeiten mit einem automatischen Produktionsaggregat, das seinen eigenen Verschleiß ersetzt und insofern aus der weiteren wertökonomischen Betrachtung ausgeblendet werden kann. Diese Abteilung erzeugt darüber hinaus in zwei Portionen die für die Beschäftigten beider Bereiche notwendigen Konsumwaren. Zwecks Reduktion auf den Problemkern soll in dieser theoretischen Versuchsanordnung zunächst angenommen werden, für die sozialwirtschaftlichen Tätigkeiten in der zweiten Abteilung würden keine besonderen Produktionsmittel benötigt. So sollen also die dortigen 90 Prozent der Arbeitenden beliebige, für gesellschaftlich notwendig und nützlich geltende Dienste verrichten.

In Bezug auf dieses Arrangement stellt sich nun die Rätselfrage: Wie können beide Abteilungen in eine dauerhafte gesellschaftliche Reproduktionsbeziehung eintreten, d.h. ihre Leistungen korrekt zu Arbeitswerten tauschen bzw. verrechnen, aus ihren Einkommen den Lebensunterhalt bestreiten und ohne Defizite bilanzieren, wenn doch auf der einen Seite eine permanent erzeugte Wertmasse von 10 und auf der anderen Seite eine Wertmasse von 90 steht?

Das mit dieser Versuchsanordnung gestellte Problem ist mit keinem herkömmlichen theoretischen Ansatz lösbar. Genau genommen drückt die Szenerie das auch real zunächst unlösbare Dilemma aus, in das die kapitalwirtschaftliche Entwicklung tendenziell führt: Innere Umschichtungen im Reproduktionsgefüge zeigen in die angenommene Richtung und führen zu einem in seinem wahren Grund zunächst verborgenen gesamtwirtschaftlichen Ungleichgewicht. In diesem Ungleichgewicht prallen Prozeßautomatisierung und Überproduktion auf der einen Seite mit Massenarbeitslosigkeit und sozialer Mangelwirtschaft zusammen. Der Staat versucht die zunehmenden Lücken in der ökonomischen Gesamtbilanz durch immer höhere Verschuldung zu überbrücken. Das potentielle sozialwirtschaftliche Arbeitsvermögen oder die potentielle gesellschaftlich freie Zeit, d.h. die auf dem erreichten Produktivitätsniveau mögliche Zeit für freie Tätigkeit und Muße des Einzelnen, erscheinen in der Form der Millionenarbeitslosigkeit.

Gibt es aber eine andere Auflösung der vorhandenen realen Antinomien? Die theoretische und praktische Lösung des gestellten, so einfach anmutenden Problems sprengt die kapitalwirtschaftliche Dogmatik bedeutet die Geburt einer neuen Ökonomik:

Die Lösung des im Gedankenexperiment sichtbar gemachten Problems beginnt mit der zunächst befremdlichen Annahme, daß das Arbeitswertprodukt in der Sphäre der Warenwirtschaft nicht 10, sondern aus einem verborgenen Grund 100 beträgt. Die fehlende Wertgröße kommt zum Vorschein, wenn dieser Wirtschaftsabteilung von einer dazu befugten gesamtgesellschaftlichen Vertretungskörperschaft eine Abgabe auferlegt wird, nennen wir sie eine Sozialwertsteuer. Den Maßstab für die Höhe dieser Abgabe soll die gleichzeitig im Bereich der sozialwirtschaftlichen Dienste verausgabte Arbeit liefern: In diesem Fall 90. Mit der so erhobenen Wertabgabe können dann, vermittelt durch entsprechende gesellschaftliche Organe, über deren Finanzhaushalte und Wirtschaftspläne, die Tätigkeiten im anderen Reproduktionssektor der sozialwirtschaftlichen Dienste voll finanziert werden. Das Einkommen der dort Tätigen entspricht bei der angenommenen gesellschaftlichen Gesamtkalkulation der von ihnen verausgabten, wertsetzenden Arbeit. Sie können mit diesem Einkommen ihren Unterhalt voll bestreiten und tun dies, indem sie Konsumwaren kaufen. Gleichzeitig fließt damit aber jene Wertmasse in Geldform an die industrielle Warenwirtschaft zurück, die diese für ihre zunächst widerwillig entrichtete Sozialwertsteuer benötigte. Die erste Abteilung wird so durch die Höhe der Sozialabgaben an sich nicht beeinträchtigt: Der gesellschaftlich notwendige Wertransfer erscheint ihr praktisch wie ein durchlaufender Posten. Allen Gesellschaftsmitgliedern könnte aber die Aneignung sozialwirtschaftlicher Leistungen, wie heute der Schulbesuch oder die Autobahnbenutzung, im Prinzip umsonst beziehungsweise gegen eine Schutz- und Sozialgebühr gewährt werden.

Die der skizzierten Praxisform zugrunde liegende ökonomische Gesetzmäßigkeit kann als 'Wertgesetz der sozialwirtschaftlichen Reproduktion' formuliert werden: In der neuen Wirtschaftsweise tritt der im Bereich sozialwirtschaftlicher Dienste durch die Verausgabung von Arbeit erzeugte Wert - durch einen hinter dem Rücken der Produzenten versteckten Prozeß - primär im warenwirtschaftlichen Bereich zutage. Er bildet dort zunächst eine verborgene, latente Größe, die den dort hergestellten Waren gleichsam unsichbar anklebt. Diese muß durch eine gesellschaftliche Veranschlagung zur Erscheinung gebracht werden. Die in der Warenproduktion zu erhebende Sozialwertsteuer erhöht erst den sichtbaren Kostpreis der warenwirtschaftlichen Produktion auf das Niveau ihres eigentlichen, in dieser ökonomischen Gesamtprozeßordnung mit innerer Notwendigkeit geltenden gesellschaftlichen Werts. Mit der Umwandlung des entsprechenden Anteils davon in Einkommen der sozialwirtschaftlichen Dienste kommt diese Reproduktionsordnung zu gesicherter Beschäftigung und ungebrochener, zwangloser Entwicklungsfähigkeit, ohne daß in der gesellschaftlichen Wertbilanz systembedingte Ungleichgewichte und Brüche auftreten.

Der neue Reproduktionstyp erfordert zwingend die Dazwischenkunft einer gesamtgesellschaftlichen Erhebungs- und Vermittlungsinstanz: Ein wirtschaftlicher Verkehr in der Form eines direkten, einfachen Warenaustausches zwischen den beiden Reproduktionsabteilungen wäre nicht nur wegen der völligen Disproportionalität von Angebot und Nachfrage unmöglich. Selbst unter Voraussetzung einer diesbezüglichen Proportionalität bliebe die Tatsache, daß die Resultate der sozialwirtschaftlichen Dienste ihrem Wesen nach überhaupt keine Waren sind und es daher auch schwerlich praktikabel wäre, sie als solche zu behandeln. Beispielsweise wäre es ebenso unmöglich, die Dienstleistung der kommunalen Selbstverwaltung als marktfähige Ware zu behandeln, wie es sach- und sinnwidrig bleibt, Hochschulen oder Pflegeheime in der Form von Aktiengesellschaften zu betreiben. Daher ist es also sozialwirtschaftlich vernünftig und rationell, entsprechende Vertretungs-, Gebiets- und Vollzugsorgane der Wirtschaftsgesellschaft auf allen Ebenen und in allen Bereichen aufzubauen, damit diese den geschöpften Sozialwert möglichst sinn- und planvoll zur Finanzierung sozialwirtschaftlicher Dienste zurückvermitteln. Deren ökonomische Organisationsform kann dabei ein ganzes Spektrum umfassen, das sich von einer öffentlichen Wirtschaftsverwaltung über kommunale Instanzen und gemeinwirtschaftliche Unternehmungen bis hin zu Körperschaften, Genossenschaften, Zweckverbänden, Vereinen und Stiftungen erstreckt.

In der skizzierten Wirtschaftsform drückt ökonomischer Wert, seinem objektiven Sinn nach und ohne die alte kapitalwirtschaftliche Verklausulierung, gesellschaftliche Arbeitszeit aus. Das neue Arrangement der Reproduktionskreise setzt zugleich ein neues ökonomisches Kalkül jenseits des kapitalwirtschaftlichen Raub- und Krebskalküls in Kraft. Die Zielfunktion der neuen Wirtschaftweise liegt nämlich nicht mehr in einer Erhaltung und Akkumulation von 'toten' Kapitalwerten. Sie liegt in der Expansion 'lebendiger' sozialwirtschaftlicher Dienste und gleichzeitig möglichen allgemeinen Verminderung der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit. Auf der anderen Seite können 'tote Werte' mit jeder Produktivitätssteigerung abgewertet werden, ohne daß dies die Investition beeinträchtigen muß oder negative betriebliche Bilanzen zur Folge hat. Infolgedessen werden sich selbstverständlich neue Modalitäten einer Wertstellungs- und Wirtschaftlichkeitsrechnung ergeben. Letztlich kann sich im neuen Arrangement an die Stelle des unsichtbar treibenden Mehrwertkalküls der Kapitalwirtschaft ein Ersparniskalkül setzen, eine Logik des effektiven und sparsamen Wirtsschaftens. Diese verbindet sich mit der offenbaren Notwendigkeit, über den Einsatz ökonomischer Potentiale gesellschaftlich verantwortlich zu disponieren.

Die skizzierte Reproduktionsordnung konstituiert so einen historisch neuen und überlegenen Ökonomietyp, dem ein anderes Wertgesetz und eine andere ökonomische Rationalität innewohnt. In der einfachen äußeren Anschauung stellt sich diese Wirtschaftsweise als Mischtyp dar: Die weiter durch Marktmechanismen mitvermittelte industrielle Warenproduktion ist in einen Mantel sozialwirtschaftlicher Dienste eingehüllt, während der notwendige Werttransfer zwischen beiden Bereichen, insbesondere die Wertzuweisungen für die einzelnen Bereiche der sozialwirtschaftlichen Dienste, von entsprechenden gesellschaftlichen Organen besorgt wird.

Exkurs: Von der negativen Kritik zur konkreten Alternative

Die durch Marx ausgelöste Revolution auf dem Gebiet der politischen Ökonomie kam so zustande: Ein ziemlich einfaches Reproduktionsmodell mit zwei Abteilungen vor Augen stellte er sich die Frage, was in diesem ökonomisch kommunizierenden System warenproduzierender Betriebseinheiten 'Wert' überhaupt ausdrückt und wie ein 'Mehrwert' entstehen kann, wenn im Rahmen eines Äquivalententausches alle Warenprodukte zu ihren Werten getauscht werden. Die Kritik der politischen Ökonomie hob an mit der an sich ungeheuer einfachen Erkenntnis, daß 'Wert' in letzter Instanz Arbeitszeit ausdrückt, daß es eine seltsame Art konstanter Werte gibt und daß eine Ware Arbeitskraft existiert, die mehr Wert produziert als sie kostet.

Die Rätselfrage mit Blick auf das vorgestellte Reproduktionsmodell mit den Abteilungen der industriewirtschaftlichen Warenproduktion und der sozialwirtschaftlichen Dienste lautet: Wie kann in einem solchen System auf der Grundlage des Ansatzes von Arbeitswerten gesellschaftlich produziert, ausgetauscht, konsumiert und letztlich ausgeglichen bilanziert werden, wenn die unmittelbaren Arbeitswertproduktionen der beiden Hauptabteilungen, in Verlängerung einer historisch realen Tendenz, völlig disproportionell sind.

Es handelt sich in beiden Fällen forschungsmethodisch um eine szenische Praxisformanalyse, deren Urahn Quesnays Tableau Economique ist. Heute kann die entsprechende Rekonstruktion des Marxschen Modells im übrigen die wesentlichsten Schlußfolgerungen seiner Wert- und Kapitallehre bestätigen: Sowenig ein Hund weiß, warum sein Schwanz wedelt, sowenig weiß allerdings die herrschende Wirtschaftswissenschaft über 100 Jahre nach Karl Marx, warum das System der Kapitalwirtschaft in einem Desaster von relativer Überproduktion, Massenarbeitslosigkeit, Staatsverschuldung, Umweltzerstörung, Verwertungskrisen und Wirtschaftskriegen ausläuft.

Allerdings hat die im Kern zunächst treffende klassische Kritik und Prognose unsere geschichtlich aktuelle Situation und damit auch den eröffneten Zukunftshorizont nicht erreicht:

Erstens hatte die kapitalistische Warenproduktion in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts keineswegs den entscheidenden Umschlagspunkt der Warenproduktivität erreicht. Zweitens waren die sozialwirtschaftlichen Dienste noch weitgehend unentfaltet und erschienen daher nur als kapitalwirtschaftlich unproduktive Randtätigkeiten. Die Berücksichtigung beider Aspekte zwingt uns heute zu einer Reformierung des Reproduktionsmodells und fordert eine neue szenische Praxisformanalyse heraus. Es wird von da klar, warum die über den klassischen Kanon nie wirklich hinausgekommene Kritik der politischen Ökonomie in einer negativen Krisen- und Revolutionstheorie kulminierte, aber zu keiner definitiven Theorie einer sozialistischen Ökonomik oder gesellschaftlichen Transformation kommen konnte.

Wir erkennen an diesem Punkt auch, warum die modernen Debatten über eine Politische Ökonomie des Sozialismus oder die Diskussionen über Marktwirtschaft und Planwirtschaft zu keinem rechten Ergebnis führten. Die realen Tendenzen und die neue Praxisform wurden dabei als solche nicht treffend fixiert oder die wertanalytische Fragestellung war ganz einfach unzureichend. Überhaupt blieb ein Grundmangel an konstitutions- und erkenntnistheoretischen, forschungsmethodischen Zurüstungen für ein 'Begreifen der Praxis', das über die Rekonstruktion der überlieferten Kapitaltheorie hinausführen konnte: Das Ufer der immer wieder erhofften konkrete Alternative ist ohne eine entschiedene, bis an die Wurzeln gehende konkret-utopische Wende der kritischen Theorie nicht zu erreichen!

Praktischer Realismus des Ansatzes

Die Sozialwirtschaft, deren Konstitutionsprinzip zunächst nur auf der abstraktesten Stufe, in einem Gedankenexperiment und auf den ersten Blick vielleicht so unscheinbar wie Edisons Glühfaden aufleuchtete, ist nicht als eine bloße Forderung an die Zukunft zu verstehen. Die Theorie liefert vielmehr den Ariadnefaden in einem Labyrinth ökonomischer Phänomene, unter deren Decke die Sozialwirtschaft eine bereits vorhandene, wirkmächtige 'Realität in Latenz' darstellt. Kapitalwirtschaft und Sozialwirtschaft sind dementsprechend zwei gleichzeitig in Vollzug gesetzte Praxisperspektiven, von denen allerdings die eine noch dominiert und das Sagen über die andere hat. Aber sozialwirtschaftliche Dienste existieren bereits und machen einen Großteil der gesellschaftlichen Tätigkeit und des wirtschaftlichen Lebens aus. Wenn die offizielle Staats- und Sozialquote bei uns etwa mit 35 Prozent angegeben wird, so ist der implizite oder potentielle sozialwirtschaftliche Anteil mit Sicherheit bedeutend höher anzusetzen.

Zum sozialwirtschaftlichen Bereich sind ja keineswegs nur unmittelbar sozialpflegerische Tätigkeiten zu rechnen, sondern die Gesamtreproduktion aller wesentlichen gesellschaftlichen Infrastrukturen einschließlich ihrer warenwirtschaftlichen Vorleistungen. Man mag an die Bereiche Erziehung, Bildung und Ausbildung, Wissenschaft und Forschung, Wirtschaftsförderung und Arbeitsverwaltung, Staats- und Kommunalverwaltung, Energie und Umwelt, Städtebau und Landschaftspflege, Verkehr und Medien, Sport und Freizeit, Kultur, Wohlfahrts- und Gesundheitswesen sowie Altenversorgung denken. Die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ist ebenso Teil einer sozialwirtschaftlichen Ökonomik wie die Besorgung des zur äußeren Sicherheit Notwendigen, ferner gesamtgesellschaftliche Leistungen für internationale Institutionen oder auf dem Gebiet der internationalen Freundschaft oder Hilfe.

Die heute vorhandene, umfangreiche öffentliche Finanzierung oder Subvention solcher sozialwirtschaftlicher Dienste ist im Grunde sozialwirtschaftlicher Transfer, die gesamte Tätigkeit innerhalb dieser Strukturen ist im Grunde sozialwirtschaftliche Tätigkeit, ohne daß die gegebene Reproduktionsordnung dies aber definitiv zur Geltung kommen läßt oder gar die darin liegende sprengende Tendenz befördert. Die stattdessen praktizierte Politik der knappen öffentlichen Kassen und Verschlankung des Staates, der Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen, des Abbaus kultureller und sozialer Angebote, ist daher Ausdruck eines geschichtlich rückwärtsgewandten Kampfes der Kapitalwirtschaft gegen die fällige Emanzipation der sozialwirtschaftlichen Dienste. Diese Politik führt in ein noch größeres ökonomisches Desaster, weil das alte kapitalwirtschaftliche Arrangement der gesellschaftlichen Reproduktion dysfunktional geworden ist.

Auf der anderen Seite ist etwa in der Abwehr der kapitalwirtschaftlichen Angriffe auf die sozialwirtschaftlichen Basisfunktionen, in den Forderungen nach öffentlichen Investitions- und Beschäftigungsprogrammen, nach allgemeiner Arbeitszeitverkürzung, sozialer Grundsicherung usw. eine sozialwirtschaftiche Tendenz erkennbar. Wenn etwa die Bundesanstalt für Arbeit berechnet hat, daß sich die Auflage eines großen Beschäftigungsprogrammes aus Steuermitteln zu einem erheblichen Teil im Endeffekt selbst finanziert, so steckt hinter diesem 'von selbst finanziert' das Geheimnis des neuen Wertgesetzes, das sich unter der Decke der Kapitalwirtschaft bereits geltend macht.

Die Theorie der Sozialwirtschaft besagt, daß das Gespenst einer zu hohen Staats- und Sozialquote nur einem ideologischen Horrorvideo der Kapitalwirtschaft entspringt. Die gesamtgesellschaftliche Transferquote ist an sich kein Indikator für Bürokratisierung und Verschwendung, sondern drückt, bei richtiger Verwendung für sozialwirtschaftliche Dienste anstatt für kapitalwirtschaftliche Technomanie und Hyperproduktion, die wirkliche, tendenziell steigende Bedeutung dieses Bereichs für Beschäftigung und Wohlfahrt aus.

Die unaufhaltsam wachsende Staatsverschuldung ist demgegenüber ein Ausdruck der Tatsache, daß die zum Gelingen der gesellschaftlichen Reproduktion und Wirtschaftsbilanzierung eigentlich notwendige Erhebung der Sozialwertabgabe im warenwirtschaftlichen Bereich, unter Mißachtung innerer ökonomischer Gesetzlichkeiten und aus falscher Rücksicht auf die global agierende Kapitalwirtschaft, nicht ausreichend erhoben oder nicht richtig für Sozialinvestitionen verwendet wird. Zugleich ist es natürlich aus sozialwirtschaftlicher Sicht unsinnig, die aus dem Transfer zu finanzierenden sozialwirtschaftlichen Leistungen steuerlich so wie die industriewirtschaftliche Warenproduktion zu behandeln: Das undurchsichtig wuchernde kapitalwirtschafltiche Steuer-, Finanz- und Subventionswesen ist ein Ausdruck für verzweifelte geldwirtschaftliche Steuerungs- und Ausgleichungsversuche auf der Grundlage einer nicht mehr intakten Reproduktionsgrundordnung.

Die zumeist sich erhebende Frage: Wer soll die sozialwirtschaftlichen Dienste finanzieren? ist also durch die Theorie der Sozialwirtschaft beantwortet: Die im Bereich der Warenwirtschaft zu erhebende Transferquote entspricht einer wirklich vorhandenen Wertgröße, die auf Grundlage der kapitalwirtschaftlichen Wirtschaftsrechnung nicht oder falsch gemessen wird. Die Sozialwertsteuer mißt oder bewertet erst diesen Wert, und ist in diesem Sinne kein Negativum. Der bewertete und zugleich abgezogene Wert fließt dem industriewirtschaftlichen Bereich über die Nachfrage der sozialwirtschaftlichen Dienste wieder zu.

Wenn der gesamtökonomische Kreislauf so organisiert wird, kann sich praktisch die Eingangsthese bestätigen, daß wir im Grunde nicht an ökonomischen Mangelzuständen leiden. Wir leiden unter der historisch überlebten, zunehmend dysfunktionalen Reproduktionsanordnung der Kapitalwirtschaft und unter deren Krebskalkül. Der Ausweg liegt in einem sozialwirtschaftlichen Umbau der gesellschaftlichen Reproduktionskreise, innerhalb derer die industrielle Warenproduktion zwar durchaus einen bedeutenden Raum einnimmt, nur eben auch einen neuen Ort besetzt und im wirtschaftlichen Gesamtgefüge eine neue Rolle spielt. Dieser Umbau muß steuer-, haushalts- und finanzpolitisch untermauert werden und Hand in Hand gehen mit einer entsprechenden Restrukturierung und Implementierung von ökonomisch handlungsfähigen gesellschaftlichen Organen, von der betrieblichen und kommunalen bis zur gesamtgesellschaftlichen Ebene.

Implosion der Produktivkräfte und Wiedergeburt des Gesellschaftlichen

Unabweisbar stellt sich nun ein Kardinalproblem, das mit gutem Grund und mit Absicht erst an dieser Stelle der Gedankenentwicklung behandelt wird: Wie soll das alles angesichts der weltweiten ökonomischen Verflechtungen realisierbar sein? Zunächst wurde ein rein nationalökonomisches Reproduktionsszenario und ein darauf aufsetzendes Konzept des wirtschaftsgesellschaftlichen Umbaus vorgeführt. Ist diese Perspektive nun nicht angesichts der global agierenden Kapitalwirtschaft völlig obsolet? Wie soll man sich ferner zu der Politik einer supranationalen Integration in Europa verhalten? Auch diesbezüglich verlangt und ermöglicht die Theorie der Sozialwirtschaft ein völliges Umdenken.

Die Globalität der Kapitalwirtschaft ist keine unaufhebbare naturgeschichtliche Tendenz. Sie ist auch keine Pioniertat der Zivilisierung. Sie ist in Wahrheit das Resultat eines Überkochens der Kapitalwirtschaft auf der eigenen überhitzten Platte. Dieses Überkochen ist determiniert einerseits durch eine tendenzielle binnenwirtschaftliche Überproduktion im Mißverhältnis zur kapitalwirtschaftlich induzierten Nachfrage, andererseits durch den Druck und den Trieb, die zusätzlichen Verwertungsmöglichkeiten des internationalen Austauschs und der Auslandsinvestition für das gesellschaftlich überschießende Produkt zu nutzen. Die moderne Weltwirtschaft beruht daher letztlich auf einer ökonomischen Zwangshandlung, fundiert im Krebskalkül der kapitalwirtschaftlichen Produktionsweise. Dieser Zwangscharakter und die Entartungserscheinungen der Verwertungsökonomie prägen die Strategien des wirtschaftlichen Wachstums, der wirtschaftlichen Entwicklung und die Weltmarktbeziehungen von heute: Staat und Politik, die diesen Ungeist aus der Flasche gelassen haben, befinden sich heute im Würgegriff ökonomischer Zwänge und internationaler Mächte und sehen dem Verschleiß der Naturgrundlagen und der Verwüstung der Zukunft durch die entfesselte Kapitalwirtschaft mehr oder weniger ohnmächtig zu.

Um die Problematik dieser Entwicklung bloßzulegen, muß der Blick nur wenig nach nach vorne gerichtet werden. In Zukunft werden noch mehr höherentwickelte Kapitalwirtschaften aus der Not der binnenwirtschaftlichen realtiven Überproduktion auf den Weltmarkt und in die Auslandsinvestition drängen, mit Waren und Projekten, die aber bereits anderwärts im Überfluß vorhanden sind und ebenso gezwungenermaßen in den Konkurrenzkampf eingebracht werden. So werden in der wirtschaftsgeschichtlich vor uns liegenden Entwicklungsphase die Probleme einer im Betriebssystem falsch programmierten, historisch überlebten Produktionsweise auch auf dem Weltmarkt zunehmend aufbrechen und von dort als Überproduktions-, Handels- und Finanzkrisen auf die einzelnen Gesellschaftsverbände zurückschlagen. Die im Nachhinein dann zu erwartenden faulen Sprüche der Wirtschaftstheoretiker und Wirtschaftspolitiker, man habe doch seine Hausaufgaben gemacht und die Krisen würden unglücklicherweise von äußeren Märkten und Mächten verursacht, ließen sich schon heute paraphieren.

In diesem Zusammenhang ist zusätzlich auf die Tatsache verweisen, daß die weltweite Ausbreitung und Intensivierung einer durch ihr Krebskalkül per se natur- und umweltzerstörerischen Wirtschaftsweise unsere Welt in immer neue Katastrophen führt und in der Spanne nur eines weiteren Menschenlebens nachhaltig ruinieren wird. Aber kein krisentheoretisches oder ökologisches Katastrophenszenario, so real die Bedrohungen auch sein mögen, kein Aufschrei im Namen der Menschlichkeit führt aus einer objektiv zunächst gegebenen Ratlosigkeit und Handlungsunfähigkeit heraus.

Es ist allerhöchste Zeit zu begreifen, daß die Globalisierung der Kapitalwirtschaft ein historisch im Grunde bereits überholtes Unternehmen darstellt: Die Entwicklung der Produktivkraft, die uns Produktionsaggregate auf der Grundlage moderner Informatik und Technologie beschert hat, versetzt letztlich immer mehr Gesellschaften in die Lage, ihren entsprechenden materiellen Grundbedarf selbst zu decken. Ihnen ist damit der materielle Spielraum für eine mögliche sozialwirtschaftliche Transformation gegeben.

Diese Tendenz bedeutet eine historische Umkehr in der Entwicklungsrichtung der Produktivkräfte. Seit etwa zwei Jahrhunderten erlebte die Menschheit eine kapitalwirtschaftliche Explosion der Produktivkräfte, die nunmehr den Raum der Weltökonomie im wesentlichen ausgefüllt hat und an natürliche und systemische Grenzen stößt. Nun beginnt ein sich nach innen richtender Entwicklungsschub, der dort bis auf die untersten Ebenen einen Zuwachs produktiver Kräfte erzeugt: Das in den modernen Informationsmedien steckende Potential ist dafür ein aktuelles Beispiel. Diese Implosion unterminiert zunehmend die Zentralisationen, die Globalisierung, den Supranationalismus und leitet eine Übergangsepoche ein.

Der sich nach innen richtende Entwicklungsschub der Produktivkräfte schlägt durch bis auf die lokale Ebene, auf die einzelbetrieblichen Produktionsorgane. Beispiele sind die sich vielfach überlegen zeigenden kleineren, hochtechnisierten Bertriebsformen, dezentralisierte Unternehmensorganisationen, die Ansätze zur Entwicklung regionaler Wirtschaftskreisläufe. Letzten Endes werden vielfache Ansätze und neue Möglichkeiten einer vernünftigen wirtschaftsgesellschaftlichen Selbstorganisation zutage treten, die in einem schreienden Widerspruch zu den Absurditäten und Destruktionsakten des sogenannten freien Welthandels und der auf dieser Basis global agierenden Kapitalwirtschaft stehen. Die Entwicklung drängt so dazu, im eigenen wirtschaftsgesellschaftlichen Umkreis einen sozialwirtschaftlichen Umbau anzugehen.

Zur Politik der sozialwirtschaftlichen Transformation

Die globale Implosion der Produktivkräfte kommt letztlich der geforderten inneren Politik einer sozialwirtschaftlichen Transformation entgegen. Die Prognose lautet, daß sich im Zuge dieser Entwicklung in den kommenden Jahrzehnten zunehmend nationalstaatlich organisierte Wirtschaftsgesellschaften als eigentliche Akteure moderner Gesellschaftlichkeit erweisen. Diese werden aus wohlverstandenem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Interesse die Tendenz zur Supranationalität und zur Globalisierung zu brechen suchen. Die Forderung nach gesetzlicher Verankerung einer 35-Stunden-Woche ist dergestalt ein sozialwirtschaftliches Anliegen, zunächst nur aus der Not geboren. Nach und nach wird auch die Erkenntnis wachsen, daß derartige innere Reformen nicht ohne außenwirtschaftliche Regulierungen machbar sind, die im völligen Gegensatz zu jener stupiden Freibeuterideologie stehen, der zufolge die Weltwirtschaft nur als Tanzboden für Kapitalmächte bestehen könnte.

In dem Maße, in dem die Emanzipation der sozialwirtschaftlichen Dienste fortschreitet und deren reales wirtschaftliches Gewicht wächst, in dem die regionalen und binnenwirtschaftlichen Kreisläufe der sozialwirtschaftlich ummantelten industriellen Warenproduktion sich schließen und die Wirtschaft unter gesellschaftlicher Verantwortung und Kontrolle voranschreitet, könnten tatsächlich Exportabhängigkeiten zurückgenommen werden bzw. kann ein internationaler Austausch auf der Grundlage gegenseitigen Vorteils stattfinden. Die unmittelbare Forderung nach praktischer Emanzipation der sozialwirtschaftlichen Dienste mündet so letztlich in eine Politik der sozialwirtschaftlichen Transformation und der wirtschaftsgesellschaftlichen Konsolidierung.

Wer im Gegensatz zu dieser Kursbestimmung weiter auf eine vermeintliche Regenerations- und Modernisierungsfähigkeit der Kapitalwirtschaft setzt, wer darauf setzt, daß nur mehr sogenanntes 'Wachstum' zur Schaffung von neuen Arbeitsplätzen führt, daß 'die Wirtschaft vom Export lebt', wird sich übermorgen vor einem Millionenheer von Arbeitslosen als Sozialbankrotteur wiederfinden, und zwar mit höchster Wahrscheinlichkeit in einer von der Krebsökonomie und ihren monströsen Ausgeburten gründlich dehumanisierten und deformierten Welt.

Und lautet beispielsweise ein anderes Credo der Kapitalwirtschaft, daß die supranationale Integration in einem europäischen Block dem Fortschritt dient, so sagt die Theorie der Sozialwirtschaft demgegenüber, daß das Europa der Konzerne ein geschichtlicher Rückschritt ist. Dieser wird lediglich dazu führen, daß sich das bekannte Krisenszenario der Kapitalwirtschaft auf erweiterter Bühne mit noch mehr Dramatik wiederholt.

So steht also hinter der aktuellen Auseinandersetzung zwischen Sozialstaat und sozialwirtschaftlichen Diensten einerseits, einem harten Kern der industriellen Kapitalwirtschaft und deren supranationaler Lobby andererseits in Wahrheit eine Auseinandersetzung zwischen zwei möglichen geschichtlichen Entwicklungspfaden der Zivilisation. In dieser Situation gibt es ohne ein konkreteres Bewußtsein über die real mögliche Alternative aber weder die Freiheit der Entscheidung noch ist überhaupt eine bessere Zukunft zu gewinnen.

 

* Quelle (vergriffen):

Müller, Horst: Sozialwirtschaft als Alternative zur Kapitalwirtschaft, in: VorSchein. Hefte der Ernst Bloch Assoziation. Heft 1 / 1998 im 13. Jahrgang.