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Wolfram Pfreundschuh (10.07.09)

Von der Volksherrschaft des Kapitals
zur demokratischen Erwirtschaftung des gesellschaftlichen Reichtums

Teil 4 : Wie solidarisch kann solidarische Ökonomie sein?

Die Prognosen für den Haushalt und besonders für den Sozialhaushalt sind denkbar schlecht, aber die Schuldenaufnahme für die Wirtschaft scheint gar kein Problem mehr im Bewusstsein der Staatsvertreter zu sein. Immerhin hat sich das Geschäft der Banken indes weiter ausgeweitet denn je. Ihre Profite haben sich erheblich vergrößert, weil sie sich am niedrigen Leitzins wunderbar bereichern können. Ist ja auch klar, man muss ja vorsorgen. Nach wie vor fließen die Kredite nicht in die Arbeit, sondern in den Kapitalmarkt. Ist alles wie gehabt. Und die Defizite zahlt eh der Steuerzahler. Er ist der alleinige Risikoträger – erst mal für die nächsten 20 Jahre, in denen alles auf Aufschwung spekuliert ist. Ja und dann ... na irgendwann wird er ja wieder da sein, der Gute.

Die Verwirrungen haben System. Das Kapital kann nicht an seinen Platz in den Betrieben zurückkehren, weil es die Betriebswirtschaft im nötigen Umfang gar nicht mehr gibt, die ihre Erträge im notwendigen Ausmaß durch Produktion erwirtschaftet. Arbeit lohnt sich für viele Betriebe nicht mehr – groteskerweise gerade, weil sie zu billig geworden ist, weil die Produktivität zu stark, allein seit 1970 um das Dreifach angewachsen ist (siehe ISW-Report Nr. 77 S. 11: seit 1890 ist die Produktivität in Deutschland um 1.800 % gestiegen). Es fehlt der Absatz auch auf Dauer, denn die Produktivität wird nicht zurückgehen. Durch Arbeit entsteht sehr viel weniger Kapital als durch Geldeinkünfte aus Rechtstitel. Das war vor der Krise schon so und das bleibt es auch während ihr und danach. Indes verschieben sich die Pole des Kapitals weltweit. Die USA verlieren ihre Führungsrolle und die ehemaligen Drittweltländer China und Indien drängen weit vor. Es sind die Länder, deren Kapital noch real haushalten muss, weil es dort um wirkliches Wirtschaftswachstum geht, um Nutzung der Produktivität für das Kapital. Dort entwickelt sich Kapitalismus  aus einer Ausbeutungsrate heraus, die in den ehemals wirtschaftsstarken Ländern nicht mehr möglich ist, weil hier die Absatzkrisen dagegen stehen. Dort gibt es die Krisen nicht, soweit die Produkte noch hierher verschleudert werden können. Der Kapitalismus ist weltweit grotesk geworden. Neue transnationale Konzerne, die ihr Kapital aus Erdöl und Hungerlohn und Kriegswirtschaft in Saudi-Arabien, Indien und China gewonnen haben, kaufen inzwischen Gelände in Europa auf und bedienen die Vergnügungsindustrie.

Armut ist das Problem von immer mehr Menschen, während Geld sich in immer weniger Händen anhäuft und der Gesellschaft entzogen wird. Von da her entsteht Stagnation, gesellschaftliche  Entfremdung, Naturzerstörung, Überfluss auf der einen Seite und Überdruss auf der anderen. Aber dennoch ist Kapitalismus im Wesentlichen nicht einfach das Problem der Ungerechtigkeit, dass die einen zu viel und die anderen zu wenig haben, sondern vor allem die Tücke, dass die einen sich dadurch bereichern, dass sie die Not der Selbsterhaltung der anderen ausnutzen und beständig produzieren und vertiefen.

Die Not der Selbsterhaltung der Menschen beruht nur darauf, dass sie von ihrem wirklichen gesellschaftlichen Zusammenhang, von ihrer Lebensproduktion getrennt existieren und durch ihren Lohn nur die Lebensmittel erstehen können, die zu ihrer privaten Reproduktion nötig sind. Hierdurch sind sie abhängig von einem Produktionsprozess geworden, der sich gegen sie entwickelt und ihre gesellschaftlichen Beziehungen kommandiert. Sie müssen für das Kapital arbeiten, das ihnen ihren gesellschaftlichen Bezug entzieht, weil Geld ihre einzige wirkliche gesellschaftliche Beziehung ist und weil sie schlicht Geld für ihren Lebensunterhalt brauchen. Nach den Interessen und Notwendigkeiten des Kapitals entwickelt sich die Welt, weil und so lange es die Lebensbedingungen der Menschen durch sein Geld bestimmt.

Das war das Thema der letzten Sendung und das ist längst auch das Thema für viele Menschen, die darüber diskutieren und nachdenken, wie man dem entgegen arbeiten kann. Die Diskussion ist überschrieben mit dem Begriff „Solidarische Ökonomie“, einem Begriff, der zunächst nur ausdrücken soll, dass eine Ökonomie, in der die Menschen einander in ihrer Arbeit und Lebenshaltung bestärken, sich zwangsläufig gegen den Kapitalismus richtet. Um diese Diskussionen soll es heute gehen, also darum, inwieweit und auch wie weit dem Kapitalismus schon dadurch entgegen getreten wird, dass die Menschen zu ihrer Versorgung und Entwicklung solidarische Verhältnisse  einfordern und eingehen.

Dass gesellschaftliche Solidarität die Menschen wirklich weiterbringt ist nicht ganz so selbstverständlich, wie es zunächst scheinen mag, war doch die bürgerliche Gesellschaft selbst schon als eine solidarische Gesellschaftsform gegründet worden. Der Kapitalismus feiert sich doch selbst immer wieder als Partnerschaft, als Arbeits- und Sozialpartnerschaft. Was hatte den Kapitalismus nur dazu bestimmt, die bürgerliche Gesellschaft dazu gebracht, sich gegen die Menschen zu richten, ihr Leben über ihre ökonomischen Beziehungen zu kommandieren und Wirtschaft als eine Art Diktatur des Sachzwangs zu betreiben? Ist da etwas falsch gelaufen oder übersehen worden? Und was war mit den bisherigen Solidaritätsbewegungen, der Genossenschaftsbewegung der 20ger und 50ger Jahre oder der alternativen Bewegung der 70ger und 80ger Jahre? Ein einfacher Anspruch auf Solidarität, eine solidarische Aktivität reicht offensichtlich nicht aus, um eine menschliche Gesellschaft herzustellen. Wie sollte sie dann in der Lage sein, eine unmenschliche Gesellschaft zu überwinden? Und die Frage bleibt: Was dann? Was macht diesen Begriff aus und was könnte sich durch Solidarität entwickeln?

Was ist Solidarische  Ökonomie?

In Wikipedia wurde der Begriff folgendermaßen umschrieben:

„Solidarische Ökonomie ist ein Sammelbegriff für Formen des Wirtschaftens, die sich an sozialen, demokratischen oder ökologischen Zielsetzungen orientieren. Vor allem in Europa und Lateinamerika existieren Modelle und Konzepte der Beschäftigung, in denen Arbeit auf der Grundlage von solidarischer Ökonomie organisiert werden soll. Auch in Deutschland existieren Projekte, die solidarische Ökonomie praktizieren. Unter der Bezeichnung solidarische Ökonomie fallen differente theoretische und praktische Ansätze, die folgende Ziele gemeinsam haben:

  .    kritische Grundhaltung gegenüber neoliberalen wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Ansätzen

  .    positive Bezugnahme auf den Begriff der Solidarität

  .    Rückbindung einer auf sich selbst bezogenen Ökonomie an soziale und ökologische Zusammenhänge.

Zu den Projekten solidarischer Ökonomie zählen beispielsweise selbstverwaltete Betriebe, alternative Tausch-, Umsonst- und Handelsnetzwerke, alternativer Wohnungsunternehmen und zunehmend soziale Unternehmen.

Es sind verschiedene neue soziale Bewegungen entstanden. Dort engagieren sich Menschen gegen die Folgen des globalisierten Kapitalismus, gegen Ausgrenzung, Marginalisierung, Prekarisierung, Arbeitslosigkeit und Armut. Sie schließen sich kooperativ zusammen und versuchen den Aufbau ‚einer anderen Ökonomie’.“

Was das alles konkret heißen kann, hat sich auf dem letzten Kongress der Solidarischen Ökonomie in Wien vom 20. bis 22. Februar in 99 Veranstaltungen gezeigt. Da kamen alle zu Wort, die in diesem Sinne nachdachten oder bereits tätig waren: Aktivistinnen und Aktivisten, Forscher, Künstler, sozial Engagierte und theoretisch Interessierte. Die Themen betrafen alles, was bisher in linken Gruppierungen zusammengetragen worden war: Gesellschaftliches Eigentum, die Genderproblematik, Arbeitskollektive, Genossenschaften für Wohnungen, Konsum und Reproduktion,  landwirtschaftliche Initiativen der Ernährungssouveränität (La Via Campesino) und ganz praktische Selbstversorgungseinrichtungen wie   Umsonstläden, Arbeitsbörsen und Self-Magagement (Ich-AG). Auch arbeitskontrollierte Produktionen in Lateinamerika und Spanien, Regionalwährungen und Wissensplattformen wurden diskutiert.

Es ist unmöglich, all diese Ansätze hier zu besprechen. Aber ich will doch einige nach typischen Kriterien sortiert herausgreifen, die immerhin zeigen können, was durch Solidarität durchaus auch schon unter den bestehenden Bedingungen an Verbesserung erbracht werden kann im Vergleich zu den Einrichtungen, die ausschließlich auf Kapital und Konkurrenz begründet sind – alleine schon dadurch, dass Denk- und Aktionsformen genutzt werden, die sich nicht der ausschließlichen Privatheit des Verwertungsinteresses unterwerfen. Daran lässt sich vielleicht ermessen, was die Bruchstellen der herrschenden Gesellschaftsform sind. Ich will  aber damit nicht behaupten, dass es sich schon um Keimformen einer anderen Gesellschaft oder gar um Alternativen zum Kapitalismus handeln würde. Es lässt sich immerhin an einfachen Formen kollektiver Aktionen im Arbeiten, Wohnen und der Bildung zeigen, wie unwirtschaftlich der Kapitalismus inzwischen selbst funktioniert.

Schon die Isolationszellen bürgerlicher Existenz, die Separation von allgemein genutztem Raum oder Vorrat oder Ressource zeigt, wie teuer schon die Trennung ist, die Aufspaltung der Nahrungsmittelbeschaffung in konkurrierenden Märkten, die Werbung, Lagerung und Vernichtung für überschüssige Produkte, die Zergliederung und Modularisierung der Arbeits- und Bildungsinhalte, die Apartheit der Karrieren und Ersatzbefriedigungen und anderes mehr. Solidarische Ökonomie greift diese Problematik auf und sucht Alternativen.

Ich habe die Diskussion auf vier Gesichtpunkte runtergebrochen, nach welchen solidarisches Wirtschaften zumindest vorteilhafter für das Zusammenleben der Menschen ist als die herrschenden Gewohnheiten der Privatexistenz:

1. Ökonomische Vorteile durch Solidarität bieten z.B. Wohnungsgenossenschaften, Reproduktionsgenossenschaften , Genossenschaftsbanken , bzw. Banken für Mikrokredite (Zeitbanken), Kochgesellschaften (Cohousing), Wissensplattformen, Foodcoop oder auch die Tafeln, an welchen verfallende Lebensmittel verteilt werden. Hier wird offenbar, dass die solidarische Organisation alltäglicher Notwendigkeiten eine Synergie erbringt, die sich von selbst rechnet. Und die Menschen, die rechnen müssen, können sich darin sinnvoll verbinden und verbünden.

Es wird hierbei allerdings eine gesellschaftliche Funktion durch persönliches Engagement, durch unbezahlte Arbeit ersetzt. Die Armutsgrenze kann gesenkt und unsichtbarer gemacht werden und der Staat gewinnt durch Ersparnis Geld, das ihm für Finanzierungen der Kapitalwirtschaft verfügbar ist. Und darauf muss er ja spekulieren. Außerdem schläfern Vorteile auch ein. Wer sie genießt, lässt sich leichter zufrieden stellen und integriert sich eher in Lebensverhältnisse, die weiterhin auf Ausbeutung und Verwertung beruhen.

Man sieht: Innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft ist jeder Vorteil in der Bewirtschaftung zugleich ein politischer Nachteil in der Geldeinteilung.

2. Sinnvollere  Produktivität durch Solidarität erstreben Initiativen zu einer Ernährungssouveränität (wie z.B. La Via Campesina), zu einer genossenschaftlichen Energiewirtschaft, selbstverwaltete Betriebe, Mietshaussyndikate oder eine lizenzfreie Software-Comunity, die sich auch als Gesellschaftsmodell, als so genannte Peer-to-Peer–Produktion verstehen will.  Die Arbeit wird hier selbst unmittelbar als Ort solidarischer Lebensgestaltung genommen, als wirtschaftliche Lebenseinheit, die allerdings bedingungslos verstanden wird. Arbeit ist daher aus den arbeitenden Personen heraus begründet und wird ohne Rückbeziehung auf die politische Realität einer Gesellschaft oder sogar als Ersatz derselben aufgefasst. Der oder die Arbeitende ist zugleich im Kreis der Konsumenten eingebunden, lebt in der Welt der Konsumenten und ist gern gesehen, weil er oder sie dort nützlich ist und darin eine eigene Rolle hat.

Das verschafft sicherlich für eine bestimmte Zeit eine besondere Genugtuung,  und das ist wohl auch der Grund für die Mehrleistung, die hier meist umsonst aufgebracht wird. Sobald solche Arbeitsbeziehungen aber in wirkliche gesellschaftliche Verhältnisse  von Produktion und Konsumtion übergehen, lässt sich auch diese Nützlichkeit  nach wie vor nur durch Angebot und Nachfrage bestätigen und wird von daher auch wieder Gegenstand des Gütertauschs mit all seinen logischen Implikationen werden. Schon Wikipedia beweist, dass sich durch Nutzinteressen wie von selbst Nutzerverfügung herausstellt, welche die Schranken der Nutzbarkeit bestimmen muss. Genauso erging es auch vielen ursprünglich selbstorganisierten Betrieben und Landwirtschaften. Solidarität wurde zur Beschwörungsformel für „Freiarbeit“ - und das meint 'unbezahlte Arbeit'.

Und in den meisten selbstverwalteten Betrieben hat sich irgendwann wohl oder übel die betriebswirtschaftliche Kalkulation durchsetzen müssen, die dann mehr oder weniger stringent auch wieder die Produktivität bestimmte. Was an gesellschaftlichen Bedingungen nicht vorhanden war, z.B. Ausbildung, Versicherung, Vorleistung usw., das musste meist unreflektiert und ganz nebenbei beigetragen werden. Auch hier entstanden Unterschiede zwischen den alten und den neuen daran Beteiligten, dann eben nur auf quasi familiärer Ebene. Und wer da nicht reinpasste, der hatte einen großen Graben zu überwinden, isoliert wie eh und jeh.

In einer solidarischen Ökonomie entsteht zwar sinnvolle Produktivität, verliert sich aber dort in einer politisch undurchsichtigen Vermittlung von Produzenten und Konsumenten. Kurzum: Solidarische Produktivität ist ein schöner Schein von hohem Nutzwert, der immerhin neue Verbindungen und Möglichkeiten des freien, aber also auch unverbindlichen Nutzens schafft. Und sie verlangt viel „Freiarbeit“, um diesen Nutzen zu erhalten. Von daher ist sie unter den bestehenden Lebensbedingungen auch eine Form von Selbstausbeutung.

3. Soziale Beziehungen durch Solidarität entstehen z.B. durch die gemeinsame Befassung mit einem kritischen Nahrungs- und Kulturkonsum, durch die Kommunebewegung, Theater gegen Unterdrückung oder durch Schenkökonomie. Die persönlichen Betroffenheiten werden auf diese Weise vergemeinschaftet und ermöglichen ein vertiefendes Verständnis in die persönliche Lebenslage der Menschen und verhelfen zu persönlicher Emanzipation, die in die gesellschaftlichen Beziehungen hineingreift. Von daher können solche Veranstaltungen  einer gesellschaftlichen Veränderung förderlich assoziiert sein, diese aber niemals ersetzen.

4. Gemeinschaftsökonomie durch Solidarität zu erreichen versuchen Initiativen für Regionalwährung,  Komplementärwährungen (Arbeitswertscheine), Arbeitsbörsen, Innovationen der Infrastrukturen. Es geht hier um den Ausgleich von Ungerechtigkeiten des kapitalistischen Systems durch die Bildung einer an sozialer Gerechtigkeit orientierten Gemeinschaft. Der Grundgedanke ist, dass die Bewertung von Besitz durch eigene Arbeitsbeiträge zu ermitteln ist und sich hieraus eine dementsprechende Güterverteilung, also eine gerechte menschliche Gemeinschaft ergeben könne. Eine Art Mitgliedschaft in dieser Gemeinschaft ermögliche einen Sozialausgleich durch offene Bewertungssysteme der Beitragsleistungen in Form von Arbeit oder Geld.

Eine Gemeinschaft begründet sich nicht als menschliches Lebensverhältnis, sondern durch einen Zweck, in welchem Menschen zusammentreffen. An diesem lässt sich alles bewerten, was sie in dem so bestimmten Verein tun und treiben. Im Unterschied zu solidarischen Gemeinschaften geht es in einem gesellschaftlichen Lebensverhältnis aber um die Stellung der Menschen zu ihren Lebensbedingungen. Es ist der Umgang mit ihrer Geschichte, das Verhältnis zu ihrer Natur, ihrem Verhältnis zur Arbeit, zu ihrer Kultur, ihrem Reichtum und ihrer Selbsterhaltung.  Die gesellschaftliche Vermittlung ist hier das Ausdrucksmittel dieser Verhältnisse,  Geld z.B. der Wertausdruck eines Reichtums, der auf einer Arbeitsteilung beruht, welche Wertausdruck einer Klassengesellschaft ist, weil sie die Menschen in Geldbesitzer und Abhängige spaltet. Auf all dies reflektiert die Gemeinschaftsökonomie nicht.

Solange Menschen aber arbeiten müssen, nur um Geld zu verdienen, solange ihre Arbeit also ihrer Ohnmacht gegenüber dem Geldbesitz geschuldet ist, kann ein Sozialausgleich durch Geldanteile nur über dieses Verhältnis hinwegtäuschen. Sozial gemeinte Währungssysteme  können gesellschaftlichen Reichtum unter dieser Bedingung gar nicht richtig verteilen. Der Geldbesitz selbst ist ungerecht, weil er unrichtig ist, weil er sich eben aus der Abhängigkeit von Geld speist und Geld, das als Zahlungsmittel auftritt, zum Medium einer eigenständigen Abstraktionsmacht bestimmt.

 

Die unterschätze Integrationskraft des Kapitalismus

Die Solidarische Ökonomie hat viele Konzepte, die richtige Gedanken für den Überwindungsprozess der kapitalistischen Gesellschaft enthalten. Vieles davon wird auf dem Weg in eine demokratische Wirtschaft gut sein. Aber sie ist noch nicht auf diesem Weg, solange sie die Wirtschaftsform der gesellschaftlichen Arbeit nicht auch gesellschaftlich angreift, solange sie sich also nicht politisch zur herrschenden Wirtschaft verhält.

Was aus alternativen Projekten unter kapitalistischen Bedingungen  werden kann, hat man schon zur Genüge erfahren: Kaum gelingt der alternative Lebensraum und hat die Aufbaukräfte absorbiert, da wird er schon zu einer Nische, worin politischer Widerstand durch die Kameradie einer vergemeinschafteten Privatwirtschaft ersetzt wird. Der nette Weg in eine alternative Ökonomie kann die Kritik der politischen Ökonomie nicht ersetzen, wie auch die Gemeinschaft keine wirkliche Gesellschaft sein kann. Er ist lediglich der Versuch, eine verbesserte Ausgangslage zu finden, wie man überall im Kapitalismus immer auch Alternativen finden oder erfinden kann. Aber die Kritik der politischen Ökonomie ist die Kritik einer politischen Grundbedingung der bürgerlichen Lebensverhältnisse, die Kritik des Rechts auf Auspressung der Besitzlosen, die Kritik des Privatbesitzes, also der privaten Verfügung über gesellschaftlich gebildetes Eigentum. Und Gesellschaft besteht aus weit mehr als aus den Mitgliedern einer Genossenschaft oder eines alternativen Unternehmens oder einer organisierten Arbeiterschaft. Gesellschaft ist nicht eine Ansammlung von Menschen an einem Zweck, sondern weit mehr als die bloße Summe ihrer Teile.

Es ist nichts daran auszusetzen, wenn jemand seine eigene Lage verbessern will, noch dazu, wenn er oder sie sich dabei auf andere Menschen in prekären Lebenslagen bezieht. Doch ein Anspruch auf Solidarität lässt sich daraus nicht ableiten. Es ist wohl auch das Ausgangsproblem bei der Konstruktion einer solidarischen Ökonomie, dass der Kapitalismus einerseits nicht durch Solidarität per se angegriffen ist, andererseits aber nur angreifbar wird, wenn der Widerstand aus der Kultur einer menschlichen Verbundenheit heraus erfolgt.

Doch Armut erzeugt Isolation, Identitätsstörung, Neid und Hass und anderes, was sich von jeder gesellschaftlichen  Beziehung eher entfernt als sich darauf zurück zu beziehen oder gar besinnen zu können. Das größte Problem der Armut ist, dass die gesellschaftlichen Bedrängnisse in ihrer ganzen Stringenz erfahren werden, nicht aber Gesellschaft als Grundlage ihrer Wirklichkeit. Der Arme erkennt sich lediglich als gesellschaftliches Objekt, nicht als ebensolches Subjekt. Das unterscheidet vor allem den Billiglöhner und Arbeitslosen von den noch in die durchschnittliche Preislage eingegliederten Arbeiter und Angestellte. Aber das Proletariat wird zunehmend arbeitslos oder zum Zeitarbeiter.

Ein solidarisches Wirtschaften als solches ist für die Betroffenen nicht sonderlich verlockend, solange sie Wirtschaft nur mit Gelderwerb gleichsetzen können. Der Kapitalismus schafft sich seine treuesten Anhänger gerade bei denen, die sich durch ihr soziales Elend am meisten von ihm erhoffen: bei den Besitzlosen, deren Not oft die Kraft zu einem Widerstand übersteigt, deren Not ihm die Grundlage für seine Glücksversprechungen ist und deren Unwissen und Ungewissheit ihm zur Ausbeutung ihrer Lebenslage dient. Im sozialen Elend herrscht das Gegenteil von Solidarität: Der Existenzkampf bis aufs Messer und zugleich das Buhlen um jeden Euro, der Neid auf die Macht der Herrschenden, das Gefühl, nichts mehr wert zu sein.

Von daher geht hier der Widerstand leicht in die falsche Richtung, gegen die noch Schwächeren, in denen man seine eigenes Elend richtig hassen und sich darin selbst unbetreffbar machen kann, gegen die Menschen anderer Herkunft, anderer Hautfarbe, die weniger Existenzrecht haben sollen als der in seiner Existenz permanent Bedrohte. Rassismus und Verachtung sind verschmolzen mit einem Antikapitalismus, der nur noch als Nationalismus und Reaktion auftritt, als Veredelung des eigenen Elends, als Gewalt eines absurden Selbstwerts. Um dem Kapitalismus etwas entgegen zu setzen, das die Probleme der Armut aufgreift und doch nicht reaktionär ist, muss man sich deshalb auf eine Art Umgang mit Armut einlassen, eine Art Armutsverwaltung zum Ausgang nehmen und Perspektiven schaffen für ein Leben jenseits der Selbstverleugnung.

Hierfür sind die Gedanken zu einer solidarischen Ökonomie durchaus wichtig, wenn sie nicht in einer gehoben Linke verbleiben. Wenn auch nur Teile davon realisierbar sind, so schaffen die doch Erleichterungen gegen den Frust in isolierten Lebensräumen und von daher auch ein Minimum an Freiheit für den Kopf, für neue Verbindungen und neue Gedanken. Auch die bloße Erfahrung von Solidarität hilft aus den zirkulären Selbstwahrnehmungen des Elends heraus und macht reaktionäres Bewusstsein unnötig. Es ist dann immerhin so etwas ähnliches wie „Rock gegen Rechts“.

Aber das ökonomische Prinzip, das die Gedanken zu einer solidarischen Ökonomie enthalten, ist wirtschaftlich desillusionierend. Innerhalb des Kapitalismus erbringen solidarische Einrichtungen  außer ihren guten Erfahrungen vor allem Ersparnisse in der Sozialvorsorge, wenn sie nicht mit der Aufstockung der Sozialleistungen verbunden sind. Sie würden die Sozialmisere verewigen und variable Kapitalanteile mindern, die sich das produzierende Kapital einfach einsparen kann. Es würde sich als Öl, nicht als Sand im Getriebe der Kapitalverwertung erweisen und die großen Probleme verschärfen, während es die kleinen mindert. Sie werden teilweise sicher bald als staatstragendes Prinzip ähnlich aufgegriffen wie es längst in den USA der Fall ist. Dort laufen „Wohltätigkeitsprogramme“, die  aus Werbemittel getragen werden und wozu Bürger und Unternehmen auch verpflichtet sind. Einiges an Solidaritätsstiftung wie zum Beispiel die berühmt gewordenen „Tafeln für die Armen“ ließe sich darin auch unterbringen.

 

Alternative Ökonomie, das ist "neue Arbeit und neue Kultur".

Einige Vorstellungen von solidarischer Ökonomie beruhen auf Überlegungen des Sozialphilosophen Frithjof Bergmann, der allerdings weniger auf Solidarität und Ökonomie denn auf neue Arbeit mit neuer Technologie abgezielt hatte. Die moderne Techniken ermöglichten es, dass die Arbeit neu aufzuteilen sei, auf ein Drittel Erwerbsarbeit wie bisher, ein Drittel Selbstversorgung, z.B. auch durch nachbarschaftliche Kooperation, und ein Drittel persönlich bedeutsame Arbeit. New-Work hieß das neue Markenzeichen, das allerdings davon abhängig war, wieweit das Kapital bereit war, Lohnarbeit beträchtlich zu mindern.

Bergmann meint, dass sich das schon aus der Wirtschaft als solche ergebe. Er greift die Unwirtschaftlichkeit der anachronistischen Arbeitsformen richtig auf, schließt hieraus aber nicht auf die Wertform der Arbeit sondern auf neue inhaltliche Änderungen des Arbeitsprozesses. Da ja auch das Kapital Arbeit einsparen will, ist er sich dabei auf eigensinnige Art einig mit den Überlegungen, die man sich auch im Management der Arbeit macht, wenn man von den Gründen absieht, die hierfür bestimmend sind.

In seinem neuesten Buch „Neue Arbeit, neue Kultur“ schreibt er:

„Es ist eine Tatsache, dass die Fabriken, wie wir sie heute kennen, auf geradezu absurde Weise ineffizient sind - innovativere und ideenreichere Ingenieure werden das jederzeit bestätigen, und sie meinen dabei keine Kleinigkeiten. Nein, sie meinen damit die grundlegendere, sozusagen "archetypische" Tatsache, dass wir immer noch kilometerlange Fließbänder haben und entlang dieser Fließbänder Hunderte von einzelnen Robotern, die im Grunde nur eine einzige, eng begrenzte Funktion erfüllen. Für viele Ingenieure erscheint dies heute plump und offensichtlich überholt. Die Planung kleiner Produktionswerkstätten wird also nicht nur von der Neuen Arbeit vorgeschlagen.“
(Bergmann, Frithjof : Neue Arbeit, neue Kultur, Arbor-Verlag, Würzburg)

Dieser Trend zeichnet sich längst auch in den Großkonzernen und den staatlichen Empfehlungen zu so genannten Ich-AGs ab, wodurch man die Arbeitslosigkeit zu mindern und die Sozialkasse zu entlasten versucht. Auch große Unternehmen haben erkannt, wie vorteilhaft es sein kann, "klein" zu sein, Produktion und Dienstleistungen auszulagern und von Spezialisten übernehmen zu lassen. Renault baut in Rumänien ein Auto, das alle westlichen Standards erfüllt und nur 5000 Euro kostet. Bei der Produktion setzt man nur wenige Roboter ein: Man konzentriert sich auf das Wesentliche, vereinfacht die Produktionsschritte und kombiniert die handwerklichen Fähigkeiten der Arbeitskräfte mit flexiblen High-Tech-Verfahren. So kann man sich den Veränderungen von Märkten schneller anpassen, in Kundennähe produzieren und sorgt für die Beschleunigung der Auftragslage.

Nach Ansicht von Bergmann ist die Zeit der Riesenunternehmen vorbei und damit wird er Recht haben. Allerdings wissen die das auch selbst. Längst ist die Umstrukturierung im Gang, die Frithjof Bergmann, als Ausweg aus der Repression, als neue Arbeitskultur anpreist. Es müsste ja einfach "nur" die Verwertung der Lohnarbeit reduziert werden. Klar doch! Aber da Bergmann einen revolutionären Prozess zur Überwindung des Lohnarbeitssystems ablehnt, soll die Veränderung so nach und nach erfolgen durch Menschen, die sich an dem orientieren, was sie "wirklich, wirklich" wollen. In so genannten Zentren für Neue Arbeit sollen Menschen durch Coaching herausbekommen, welche Arbeit sie wirklich tun wollen, "wirklich, wirklich" meint er. Die Industrie muss das nur einsehen und ihr Kapital hierauf einstellen. Es sei ja auch sowieso angesagt. So jedenfalls versteht er die Entwicklung, wenn er meint:

Ein Aspekt, der für die "alten" Industrien besonders schmerzlich, für die "neuen" Industrien jedoch besonders viel versprechend ist. Er besteht, kurz gesagt, darin, dass die machtvollen sich gegenwärtig entwickelnden Technologien ganz eindeutig auf der Seite der "neuen" Unternehmen sind, während sie genauso eindeutig die "alten" und großen Unternehmen benachteiligen. Was sind die drei modernen Erscheinungsformen der Technologie mit der größten Signalwirkung für Modernität? Viele würden wohl darin übereinstimmen, dass es das Internet, das Mobiltelefon und der Laptop sind. Wenn wir auch nur einen Augenblick nachdenken, so wird sofort deutlich, dass alle drei dezentrale Strukturen fördern.“

In der Tat! Es hat sich was getan im Industriebereich. Manufaktur, Kaftaufwand und persönliche Fähigkeiten verschwanden hinter dem maschinellen Spezialisten, dem Roboter. Zentrale Strukturen waren für die Produktion unergiebig geworden, dezentrale Strukturen ermöglichten die Nutzbarmachung freier, und daher billiger Potenziale, wenn sie nur effektiv vernetzt wurden. Es entstanden mobile Fabriken, die sich per Baukastensystem aus vielen Einzelelementen zusammenstecken und ebenso schnell ab- wie aufbauen lassen können. In verschiedenen Größen und je nach Bedarf an verschiedenen Orten. Mit "Plug and Produce" können damit Unternehmen sich rascher als bisher an Veränderungen im Markt anpassen, preiswerter produzieren und eine kostengünstige Logistik zum Kunden realisieren.

Auch hat die kapitalistische Überproduktion das ihre getan, um die Absatzwerbung zu befördern und einen neuen Nutzen zu bieten, den Kunden in ihre Comunity zu binden und mit ihren Trends auf dem Laufband ihrer Produktion zu halten. Doch alles, was hier als „neue Arbeit“ und „neue Kultur“ beschrieben wird ist das, was der Kapitalismus selbst als Erneuerung nötig hat. Nicht alternativ denkende Programmierer haben das Internet erfunden und betreiben es, sondern Spezialisten aus der US-Army und der Werbeindustrie, die inzwischen eigene Abteilungen für das Internet entwickelt hat. Immer waren es Notwendigkeiten der Gesellschaft und daher nichts anderes, was den Aufwand begründen konnte, der dafür nötig war. Es war die Verbesserung der Kommunikation, welche die Armee erforderte, die Konkurrenz auf den Absatzmärkten, die das Kapital an der Verfeinerung und Entwicklung der Bedürfnisse ihrer Kunden interessiert hatte und die Kostenkalkulation der Arbeit, die neue Technologien realisieren musste. Der Kapitalismus hatte also schon immer die Inhalte neuer Entwicklungen erzeugt, die durch seine Wertform nur beschränkt wurden, weil das Kapital einzig und allein auf die Wertschöpfung spekulierte, also auf das, was der Fortschritt an Wertwachstu brachte. Er war schon immer der Erfinder von neuen Wegen zur Realisierung seiner Zwecke und längst der Produzent eines Fortschritts, den er immer zugleich durch sein Verwertungsinteresse einschränken, auf das Resultat seiner Spekulation reduzieren musste, um damit existieren zu können. Er war und ist sein eigener Totengräber, der nur deshalb noch nicht selbst gestorben ist, weil immer noch und immer mehr Menschen für ihn sterben müssen.

Es geht nicht um alternative Inhalte in der kapitalistischen Produktion. Diese ergeben sich immer, wo Menschen die Inhalte ihrer Arbeit und ihrer Bedürfnisse bestimmen, bevor sie vom Kapital aufgegriffen werden. Es geht darum, dass sie daran genau an der Stelle gehindert werden, wo sie selbst etwas davon für ihr Leben haben könnten, wenn das damit erwirtschaftete Mehrprodukt nicht in einen Risikomarkt verscherbelt und verspekuliert werden würde, sondern der Entwicklung von Individuum und Gesellschaft gleichermaßen zugute käme. Und es war gerade die Arbeitszeit und der Arbeitslohn, um den es bei alledem geht, weil der Produzent nur Wert beibrachte, wenn er als Konsument auch wertmäßig hergerichtet werden kann. Es geht deshalb nicht um eine weitere Verbesserung des kapitalistischen Produktionsverhältnisses, sondern um die Überwindung seiner Form, der Formbestimmung des ganzen kapitalistischen Lebensverhältnisses - um die Aufhebung seiner Wertform.

 

Politische Ökonomie ist keine Wirtschaftsform sondern Politik

Die Gedanken der Solidarischen Ökonomie stehen bewusst im Widerspruch zum Solidaritätsverständnis der Gewerkschaften. Traditionell setzen die Arbeitsleute auf das Potenzial ihrer Arbeitskraft, um mehr Lohn und kürzere Arbeitszeiten zu erzielen. Durch Streik, mit dem sie drohen können, sind immer wieder Verbesserungen ihrer finanziellen Lage und Zeitbelastung zu erreichen, die so lange anhalten, wie das Kapital auf ihre Arbeitskraft angewiesen ist. Doch haben sich die Reallöhne dabei seit mindestens 3 Jahrzehnte nicht verbessert, die Arbeitszeit wurde wieder verlängert und die Arbeitslosigkeit ist permanent gestiegen.

Die Lage insgesamt hat sich beträchtlich verschlimmert. Mit den Fortschritten der Automation und dem Weltmarkt der Arbeitskräfte wird die Abhängigkeit des Kapitals von der konkreten Arbeitskraft immer geringer. Auch die Gewerkschaften müssen daher umdenken und vor allem erkennen, dass es nicht mehr nur um einzelne materielle Errungenschaften gehen kann, dass das Kapital letztlich mit ihnen machen kann, was es will. Und das will es auch und wird es immer wollen.

Das Ende des Klassenkampfs hat sich bereits auf eine perfide Weise ergeben: Das Kapital beutet nicht nur die Arbeit aller Länder aus, sondern auch den Steuerzahler im eigenen Land. Durch uneinbringliche Staatsverschuldung macht es seine Bürger für alle Zukunft pflichtschuldig, zum Bürgen seiner Kapitalwirtschaft, dessen Abhängiger er in aller Regel als Arbeitskraft ist. Das ist der Teufelskreis von Verschuldung und Pflichtschuldigkeit. Solange der besteht, wird sich der Kapitalismus als Feudalkapitalismus fortbestimmen, die Bürgerinnen und Bürger zu Leibeigene durch ihre Geburt in der Region einer nationalen Hoheitsmacht, von der ein großer Anteil ihrer Lebenskraft aufgezehrt wird. Und dies geschieht nicht in einem Land, sondern international. Mit der Aufhebung des Klassenkampfs sind die Klassen nicht untergegangen. Sie bestehen durch dasselbe Feudalverhältnis fort, durch welches der Klassenkampf unmöglich geworden ist, indem sich die Ausbeutung verallgemeinert hat, zum Feudalverhältnis von Staat und Steuerzahler geworden ist.

Klassenkampf ist aber auch gar nicht mehr nötig und schon gar nicht nötig ist eine Arbeitsmacht, ein Arbeiter- und Bauernstaat oder eine Diktatur des Proletariats. Nötig ist, was auch möglich ist: Der politische Kampf gegen die Formbestimmungen des Kapitals, gegen Privatrecht und Spekulation und vor allem die generelle Verweigerung gegen die Machtstrukturen des kapitalistischen Systems. Die Lebensgrundlagen werden für die Menschen allgemein knapper. Um so nötiger der Widerstand, der Generalstreik und die politische Durchsetzung einer demokratischen Erwirtschaftung des gesellschaftlichen Reichtums. Möglich ist eine Widerstandskultur, die sich gegen die ganze Kapitalkultur stellt und sie zugleich durchsetzt mit den Lebensinhalten der Menschen, denen sie nicht mehr gewachsen ist.

Der Kampf gegen die Rechtsformen der kapitalistischen Ökonomie muss von allen Menschen geführt werden und wird nur dann gewerkschaftlich organisierte Arbeiter und Angestellte, Randständige, Arbeitslose und Ausgegliederte, Künstler und Selbständige vereinen, wenn er kulturell verstanden wird, wenn allgemein begriffen ist, dass alle Momente des Kapitalismus  das Fortbestehen von Mensch und Natur bedrohen. Nicht neue Arbeitsformen müssen hierfür erfunden werden, sondern die gesellschaftliche Gestaltung der alten muss endlich durch Menschen hergestellt werden, die über ihre Produkte, über deren Produktion und deren Gebrauch verfügen wollen; nicht neue politische  Organisationen müssen geschaffen werden, sondern die bestehenden Organisationsformen der Kommunen und Länder müssen für eine Politik genutzt werden, die nicht abstrakte Macht repräsentiert, sondern aus den Notwendigkeiten der Bevölkerung delegiert ist.

In diesem Sinn greifen viele Vorstellung von einer Solidarischen Wirtschaft durchaus in die Grundlagen einer Widerstandskultur, besonders da, wo sie selbst kulturell aktiv sind wie z.B. als „Theater der Unterdrückten“, Ressourcenkritik, Entmonetarisierung,  Wissensproduktion, Vernetzungsforum, Gemeinwesenentwicklung und Kooperation und anderes. Aber im Sinn einer Widerstandskultur werden sie nur dann wirklich zur Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse beitragen, wenn sie zur Verweigerung gegen die aktuelle Formation des Feudalkapitalismus und zur Erneuerung der Lebensverhältnisse der Menschen verhelfen. Es wird eine reine Gemeinwirtschaft nicht das Ziel solcher Veränderung sein können, weil diese einen äußerlichen Zweck hat und lediglich eine Reduktion von Wirtschaft auf ihre Reproduktion ist. Es müssen alle vorhandenen Chancen zu einem wirklichen gesellschaftlichen Verhältnis der Menschen, wie es schon in den bestehenden Verhältnissen vorhanden ist, genutzt werden, indem die Gesellschaft der Menschen sich politisch über ihre wahren Inhalte klar wird und ihnen eine ihnen entsprechende Form gibt.

Ein großes Missverständnis  sehe ich in den Diskussionen um Solidarische Wirtschaft in einen Begriff von Emanzipation, worin persönliche Emanzipation mit der Befreiung der Gesellschaft vom Kapitalismus gleichgesetzt wird. Eine Gesellschaft kann man nicht vom Kapitalismus befreien, weil sie selbst kein Subjekt sein kann. Und eine emanzipierte Person kann nur ein bürgerliches Subjekt meinen, das seine Selbstverwirklichung vollendet, das also sein Selbst und seine Selbstbezogenheit unbeschränkt umsetzen kann. Eine Gesellschaft freier Egozentriker ist so solidarisch, wie die Bürger eben auch sind. Ein jeder dient dem anderen, um sich selbst zu dienen. Die gesellschaftliche Veränderung muss aber dahin gehen, dass die Menschen als Individuen gesellschaftlich werden, dass sie sich über ihr gesellschaftliches Werden in ihrer Individualität  und über ihre gesellschaftliche Kraft als Individuum bewusst sind. Das verlangt die Erkenntnis einer Identität persönlicher und gesellschaftlicher Lebensinhalte, die in der bürgerlichen Gesellschaft in einer Form existieren, worin das Private und das Gesellschaftliche geradezu vertauscht sind.  Das erscheint dann so, als ob jeder Mensch wie ein Nichts auf die Welt  kommt und dann damit beginnen muss, sich seine Persönlichkeit zurecht zu stricken und das Spiel zu erlernen, worin er „seines Glückes Schmied“ sein soll.

Doch er selbst ist schon ein gesellschaftliches Produkt und hat daher von vornherein gesellschaftliche Substanz, nicht nur durch seine Zeugung oder Geburtsstätte, sondern auch durch den vorhandenen Reichtum, in den er geboren ist. Er hat von vorn herein alle Rechte hierauf, das Recht auf Bildung, auf Wohnung, Kultur und Existenz. Wenn dies alles schon durch Geldeinkommen bestimmt und beschränkt wird, so ist das eine menschliche Demütigung, die unerträglich ist. Und wenn Kapital und Staat zukünftige Generationen schon vor ihrer Geburt verschuldet, so ist das eine Ungeheuerlichkeit von Gewalt gegen zukünftiges Leben, eine kulturelle Katastrophe.

Gesellschaft ist die Lebensform der Menschen und an ihrer Form kann man erkennen, wieweit die Menschen überhaupt mit sich und ihrer Sache gekommen sind. Was als Sachzwang erscheint ist daher lediglich das Unvermögen der Menschen, ihre Sache als die ihre zu erzeugen. Dies zu erreichen muss der Sinn menschlicher Emanzipation sein. Und genau das ist es, was die politischen Repräsentanten der repräsentativen Demokratie gar nicht wissen können, weil sie nur die Zwänge des Kapitals und die Existenznotwendigkeiten  der Bürger vor Augen haben.

Gesellschaft ist kein Gemeinwesen sondern der geschichtliche Zustand des menschlichen Reichtums, also das, was die Menschen in ihrer Geschichte zustande gebracht haben und woraus sie ihre weitere Geschichte bestimmen. Die Grundprobleme der Menschheit, ihre Arterhaltung und Fortentwicklung, ihre Kultur als ihre Beziehung zu ihrer Natur, ihre Reproduktion  und Produktion müssen eine Form bekommen, die bisher noch nicht erreicht wurde, wiewohl alle Substanzen hierfür vorliegen.  Das Gemeinwesen lässt sich nur als Gesellschaftsform so begreifen, dass es die Inhalte der Geschichte adäquat darstellen kann. Obwohl das konkrete Gemeinwesen, die Kommune, der Ausgangspunkt praktischer Veränderungen sein muss, können die Potenzen der Geschichte nur richtig aufgenommen werden, wenn sie international begriffen wird, als internationale Kommune der Menschheit.