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Wolfram Pfreundschuh (14.08.09)

Von der Volksherrschaft des Kapitals
zur demokratischen Erwirtschaftung des gesellschaftlichen Reichtums

Teil 5 : Über das Menschenrecht auf eine menschliche Gesellschaft

Unsere Sendung heute soll über das Menschenrecht auf eine menschliche Gesellschaft gehen. Das klingt vielleicht für manchen erstmal sonderbar, ist doch Gesellschaft immer schon menschlich und ein Appell auf ein Menschenrecht hierzu demnach überflüssig oder sogar falsch. Das könnte ja auch die Frage nach der Menschlichkeit dieser Gesellschaft als ein bloßes Rechtsproblem hinstellen und sie eher in die Nische einer Menschrechtskonvention (EGMR ) verschieben bzw. dort belassen, als dass die politischen Auseinandersetzungen damit weitergebracht werden könnten.

Das Thema Menschenrecht soll aber heute keine Rechtsfrage im herkömmlichen Sinn sein, sondern eine viel umfänglichere Fragestellung eröffnen, wie sie sich in meinem letzten Beitrag im Juli ergeben hatte. Darin war festgestellt worden, dass eine Wirtschaft nur dann Menschen ausbeuten kann, wenn sie auch das Recht hierfür hat, wenn also eine Gesellschaft ein Aneignungsrecht bestimmt, das über das wirkliche Vermögen des Eigentums hinausgreift, nämlich das Recht auf Privateigentum an gesellschaftlich hergestelltem Vermögen. Was gesellschaftlich erzeugt wird, sollte nicht privat angeeignet werden können. Das bürgerliche Recht aber setzt das Eigentumsrecht abstrakt identisch, das Eigentum an Produktionsmitteln, die über den Arbeitsprozess verfügen und gesellschaftliche Entwicklung bestimmen, ebenso, wie der Besitz an Lebensmittel, die lediglich zur Reproduktion verhelfen und überlebensnotwendig für jedes Individuum sind. Es identifiziert den Besitz an überschüssigem Geldvermögen mit jedem Besitz, also auch mit dem bloßen Besitz an Arbeitsvermögen. Eigentum selbst wäre dabei nicht das Problem, stellt es begrifflich doch nur die objektive Seinsweise menschlicher Eigentümlichkeiten dar, also das, was Menschen für ihr Leben erzeugt haben und erzeugen: menschlichen Reichtum. Eigentum  stellt aber nicht nur Reichtum, sondern auch Abhängigkeit und deren Überwindung dar. Gesellschaftliche Entwicklung setzt voraus, dass die Menschen einer Gesellschaft überhaupt überleben können. Indem ein Eigentum ein anderes bedingt, weil es gesellschaftliche Wirkung gegen dieses als bloß einzelnes Vermögen hat, macht es das gesellschaftlich wirksame Privateigentum zum Erpressungsmittel gegen  die Existenz von Menschen. So wird die private Macht eines gesellschaftliche wirksamen Vermögens zum Produzenten gesellschaftlicher Ohnmacht privat abhängiger Existenzen. Dies ist die Grundlage des Kapitalismus und der Grund, warum der gesellschaftliche Reichtum nicht darin aufgeht, den Menschen zu dienen, sondern umgekehrt dazu führt, dass sie ihm dienstbar sein müssen.

Offenkundig ist, dass die Menschen schon wenn sie geboren werden, mit der Verpflichtung zur Welt kommen, Schuld gegenüber Staat, Kapital und Geschichte auf sich zu nehmen, dass sie erstmal dazu verpflichtet sind, sich ausschließlich dafür zu bilden, was das Kapital an Fähigkeiten nötig hat, sich für die Kriege zur Verfügung zu halten, die von seinem Staat geführt wurden und werden und schließlich zudem die Schulden abzutragen, die der Staat zum Zeitpunkt seiner Geburt hat (derzeit sind es bereits über 20.000 Euro pro Neugeborenen, also der Wert einer kompletten Betriebsgründung, die schon mal entzogen wird, bevor es selbständig werden könnte).

Diesen Pflichten steht kein Recht entgegen, das die Menschen befähigen würde, Kriege, Schulden und bürgerliche Privatexistenz zu verhindern, also so zu leben, wie es ihrer Natur entspricht. Ein Mensch wird nicht in den Reichtum einer schon lange produzierenden Gesellschaft geboren, nicht mit ihren geschichtlich entstandenen Sein versorgt, aus dem sich auch Pflichten zu dessen Erhalt und Entfaltung begründen ließen; nicht in Frieden gelassen, um sich in menschlichen Beziehungen und seiner gesellschaftlichen Natur entsprechend frei einzulassen. Ein Mensch wird in dieser Gesellschaft nicht in einer Existenz gesichert, in welcher er das sein kann, was er auch tut und erbringt; er wird gesellschaftlich erpresst, seine Existenz zu sichern, indem er sich gesellschaftlich mächtigem Vermögen unterwirft. Er wird verpflichtet, für einen Reichtum zu leben, den nur sehr wenige nutzen können und als Staatsbürger Schulden zu machen, die er nicht zu vertreten hat, und an Kriegen beteiligt zu sein, die ihm zuwider sind.

In der bürgerlichen Gesellschaft ist alles verkehrt herum. Was als ihr wesentliches Anliegen seit Immanuel Kant postuliert ist, nämlich die Selbstverantwortung des Menschen zu ermöglichen, steht in ihrer Wirklichkeit kopf. Wie kann das sein? Und warum kann man dagegen nicht einfach innerhalb dieser Gesellschaft aufstehen und vor Gericht treten und sie der Verkehrtheit beschuldigen, sie, den Staat, das Kapital und das Militär?

Gesellschaft ist eben kein Subjekt, sondern ein Lebensverhältnis. Und Leben ist immer stofflich, besteht aus Stoffwechsel, Bedürfnissen, Aufwendungen hierfür und also auch auf Arbeit und Produktionsmittel und der Form des Reichtums, in welchem die Produkte existieren. Auf dieser Grundlage haben sich alle Gesellschaftsformen ergeben. Die bürgerliche Gesellschaft beruht auf dem privaten Besitz von gesellschaftlichem Vermögen.

 

Arbeit und Eigentum

Der grundlegende Widerspruch der bürgerlichen Gesellschaft war von Karl Marx vor über 150 Jahren als der Widerspruch von gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung begriffen worden. Doch was heißt dies eigentlich? Behauptet nicht gerade das bürgerliche Recht, dass es diesen Widerspruch nicht gibt? Es selbst will ja alle Menschen gleichstellen. Es selbst vertritt das Persönlichkeitsrecht und die persönliche Freiheit des Menschen an sich.

Das bürgerliche Recht ist eben auch nur das Recht der Bürger. Und das beruht auf Privateigentum. Auf der Basis des Privateigentums sind ja die Menschen auch tatsächlich frei, solange sie es haben und mit denen gleich, die es haben. Gleichheit, Freiheit und Verbundenheit gilt für alle Menschen, die Dinge haben, die sie veräußern können und mit dem, was sie dafür bekommen, auch Dinge erstehen, die sie haben wollen. Was also ist dieser private Besitz, der in der Lage ist, die Menschen in gegensinnige Klassen zu spalten, von denen die eine der anderen unterworfen wird?

Zunächst ist Privateigentum das Besitzen von Dingen, die ein Vermögen darstellen, die also nicht unmittelbar für den Lebenskreislauf, für die Reproduktion eines Individuums nötig sind, sondern darüber hinaus eine Bereicherung darstellen. Sie sind also eine Form des Reichtums der Menschen, ein Stück davon, und sind als dieses im Besitz von Menschen oder werden als Warenbesitz auf dem Markt gehandelt. Privat allerdings bedeutet, dass sie in einer hiervon eigentümlich abgetrennten Form existieren, dass sie diesem Reichtum entzogen sind, während sie ihn verkörpern, dass sie der ausschließlichen Nutzung für private Verfügung dienen, gleich, wie sie entstanden sein mögen. Das haben die Römer schon mit dem lateinischen Begriff  privat verbunden: Er meint einen Entzug aus dem, woher etwas entsprungen ist. Marx hatte das auf die Form bezogen, worin sie erscheinen. Er schrieb:

"Der Reichtum der Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht, erscheint als eine ungeheure Warensammlung.“ (MEW 23, S. 49)

Die Produktion der Dinge ist eben weitgehend gesellschaftlich, selbst wenn sie in der Nische eines Wohnzimmers geschieht. Alles, was die Geschichte der menschlichen Gesellschaft bisher gebracht hatte, geht darin ein: Die Werkzeuge, mit denen das Produkt entstehen kann, das Wissen um die Naturstoffe, die Kenntnis der Sache und ihrer Fertigung. Meist ist es auch der Raum und die Organisation der Arbeit, das Zusammentreffen der Menschen und anderes mehr. Die gesellschaftliche Arbeitsteilung hat ja erst die hohe Produktivität der bürgerlichen Gesellschaft ermöglicht  und das Ineinandergreifen der Arbeitsteile und ihrer Entstehungsprozeduren macht die Dinge zu dem, was sie für den Menschen dann sind, der sie besitzt.

Aber dies spielt auf dem Markt keine Rolle. Dort versteht man sich frei von den Notwendigkeiten der Produktion. Dort tauscht man die einen Produkte gegen die anderen, denn dort zirkulieren sie als Waren und werden gegen andere Waren, ganz allgemein gegen Geld getauscht. Geld ist die Gesellschaftsform des allgemeinen Privatbesitzes. Wesentlich ist es kein Arbeitsprodukt, sondern ein Mittel, solche Produkte zu besitzen. Man muss es einfach haben, um Dinge zu erstehen, und wer es nicht hat, muss sich durch sein Tun für andere nützlich erweisen, um es für seine Arbeit zu erhalten. So hat die Arbeit des einen Wert für den Geldbesitzer und dessen Geld hat Wert im Austausch zu dessen Arbeit zu bieten. Eigentlich simpel. Aber was soll daran widersprüchlich sein?

Der Widerspruch des Geldes

Es ist das Mittel selbst: Geld stellt zum einen den Wert dar, den ein Ding hat, also eine verausgabte Menge an Arbeit, die durchschnittlich in den Produkten steckt und wodurch sie in eine gesellschaftliche Beziehung zur durchschnittlichen Verausgabung von Arbeit versetzt werden. Zum andern stellt es den Preis einer Ware dar, der sich aus dem Bedarf an ihr bestimmt, sich also dadurch bestimmt, wieweit ihr Wert realisierbar ist. Geld stellt den Wert eines Produkts vor, wie man ihn sich im Tauschakt selbst vorstellt, und es realisiert einen Wert, was hierbei einzubringen ist, durch den Preis, der bezahlt wird. Es ist also das, was Wert darstellt und zugleich das, was sich an Wert im Preis realisieren lässt, also mal weniger, mal mehr als ihr Wert einbringt. Es ist ebenso ideell wie reell, Maß der Werte, wie auch Maßstab der Preise in einem. Und ist der Bedarf mangels Angebot groß, so gehen die Preise oft weit über ihren Wert hinaus, und ist er gering oder sind zu viele Waren auf dem Markt, dann wird auch unter Wert verkauft. Die im Geld dargestellte Wertgröße und der Preise als Wertmaß befinden sich in einer ständigen Oszillation um den Wert, wodurch der Maßstab des Wertverhältnisses sich zwischen Himmel und Erde bewegen kann. Die unmittelbare Preisbestimmung bei Angebot und Nachfrage kann sich daher auch einmal von der Wertgröße vollkommen frei machen, um ein andermal wieder schlagartig sogar unter ihren Wert zu fallen.

„Ein Ding kann ... formell einen Preis haben, ohne einen Wert zu haben. Der Preisausdruck wird hier imaginär wie gewisse Größen der Mathematik. Andrerseits kann auch die imaginäre Preisform, wie z.B. der Preis des unkultivierten Bodens, der keinen Wert hat, weil keine menschliche Arbeit in ihm vergegenständlicht ist, ein wirkliches Wertverhältnis oder von ihm abgeleitete Beziehung verbergen.“ (MEW 23, S. 117)

Im Verhältnis von Angebot und Nachfrage ist gleichgültig, wie viel Aufwand die Herstellung eines Produkts gekostet hat. In der Nachfrage herrscht eben nicht der Vergleich unterschiedlicher Werte, sondern das Bedürfnis und das Vermögen, eine Sache zu erstehen oder zu nutzen, also auch die politische Macht der Bewertung, der Privatbesitz an Geld. Man bemerkt das z.B. an den Mieten, die in München weit über die Hälfte des durchschnittlichen Monatslohns hinausgehen. Hier herrscht eben große Nachfrage. Und wer hat, dem wird gegeben. Der Wert eines Hauses ist hier etwa nach 15 Jahren amortisiert, d.h. durch Einnahmen oder Mietersparnis ausgeglichen. Aber ist ein Mensch erst mal Hausbesitzer, so ist er auch vom Geld besessen: Er nimmt, was er kriegen kann, ob innerhalb der 15 Jahre Amortisationszeit oder darüber hinaus. Er kann eben immer das nehmen, was er kriegt. Und er kriegt, was den Preis seines Privatbesitzes ausmacht: Nämlich das, was die Leute noch bezahlen können, um am Vermögen einer Wohnung gesellschaftlich teilzuhaben. Und das hängt eben davon ab, was sie dort durch ihre Arbeit verdienen können, wo sie wohnen müssen, um das zu verdienen, was sie zahlen können. Der Preis ihrer Wohnung ist also nicht durch den Wert eines Hauses bestimmt, sondern durch den Mietzins, der dort durch die gesellschaftlich bestimmte Lage des Hauses zu bekommen ist.

Das Privateigentum selbst kann seinen Wert nach seiner Produktion nicht mehr vergrößern. Es vergrößert sich aber durch die Preise, die es kriegen kann. Es wird also in dem Maße zur Bestimmungsmacht des Besitzenden über die Besitzlosen, wie diese gezwungen sind, ihren Lohn in Lebensmitteln und Miete und dergleichen umzusetzen. Was sie zu ihrer Reproduktion verdienen, kann also zu einem Zeitpunkt ein günstiges Wertverhältnis für sie haben, dann aber zu einem schlechteren werden, wenn der Wohnungseigentümer seine Miete erhöhen kann. Und dann geschieht etwas, was unmittelbar nicht zu begreifen ist: Ab dann reduziert sich der Wert ihrer Arbeit um den Betrag, zu dem der Mietzins gewachsen ist. Obwohl ihr Lohn und ihre Arbeitszeit erst mal gleich bleiben, müssen sie - volkswirtschaftlich betrachtet - über das hinaus arbeiten, was sie bisher verdient haben, weil ihre Arbeit weniger Wert hat. Das Haus, in dem sie wohnen, ist keinen Deut mehr Wert als zuvor, der Mietpreis aber hat den Wert der Arbeit gedrückt. Der Wertanteil ihres Lohns hat sich gegen ihr Vermögen verschoben.

Man kann es auch am Arbeitsprozess selbst festmachen, dass die Menschen um die Wertgröße mehr arbeiten müssen, die durch die gesellschaftlich bedingte Macht des Privateigentums in den Preisen für den Lebensunterhalt abverlangt werden, dass sie also um das Arbeitsquantum ausgebeutet werden, das den Preis einer Ware, eines Hauses, eines Verkehrsmittels, einer Energiezufuhr usw. über seinen Wert hinaus kostet. Wer Besitz hat, kann durch dessen Verwertung existieren, und wer besitzlos ist, muss arbeiten, um leben zu können – und nur der erzeugt den Wert, den andere zu ihrer privaten Verwertung überlassen bekommen. Der Preis, welchen Geld bezahlen kann, wirkt auf den Wert, den es hat, zurück, ohne dass sich der Wert der Produkte verändert, die damit erstanden wurden oder werden. Das Geld vereint durch die Preisbildung eine doppelte Beziehung auf den Wert der Produkte. Doch nur die Arbeit kann die Basis der Wertbildung sein, denn nur sie enthält die Beziehung zum Produkt und den Bedürfnissen danach.

Das Kapital nutzt dies zur Verwertung der Arbeitskraft. Durch die doppelte Bestimmung des Geldes sind die Menschen gezwungen, über das hinaus zu arbeiten, was ihre Arbeit an Wert für sie erzeugt, weil der Preis ihrer Produkte Mehrwert erheischt, der allein das Kapital entwickelt. Sie sind gezwungen, mehr zu erwirtschaften, als sie verbrauchen, also einen Mehrwert zu schaffen, der weit über das reale Mehrprodukt hinausreicht. Und dieser Mehrwert ist das Glück der Besitzer und die Macht gegen die Lohnabhängigen, solange er realisiert werden kann. Zugleich ist er das Unding des Kapitalismus, der solchen Mehrwert einerseits zur Vergrößerung seiner Macht und Stabilität nutzt, um die Verwertungsbedingungen bestimmen zu können, andererseits aber auch immer wieder seine Wirtschaftskrisen hat, wenn die Menschen nicht mehr genug verdienen, um seine Produkte auch abkaufen zu können. Der Kapitalismus funktioniert in seinen Aufschwungphasen, soweit sich seine Investitionen lohnen, und er stürzt in tiefe Krisen, wenn seine Werte sich auf Dauer nicht mehr realisieren lassen und die Produktion stagniert.

Man sieht: Auf Dauer erweist sich die private Aneignung einer gesellschaftlichen Produktion als ein perpetuierlicher Wahnsinn. Er produziert Lebens- und Denkgewohnheiten, die sich nur aus der Hoffnung auf eine unendliche Mehrwertproduktion begründen und er erzeugt den Irrsinn einer unendlichen Penetranz des alles durchdringenden Verwertungsprinzips, das mit seinem Wachstum immer zugleich Zerstörung für die Menschen mit sich bringt, Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen, ihrer Arbeit, ihrer Natur, ihrer Werte und ihrer Existenz. Nur dadurch, dass der Glaube an die Unendlichkeit des Wertwachstums aufrechterhalten wird, werden sie darüber hinweggetäuscht, dass nur sie es sind, die den Verwertungsmüll zu tragen haben. Sie müssen nicht nur für die gesellschaftlichen Grundlagen ihrer Existenz, für Miete, Energiekosten, Steuern, Gesundheitsvorsorge usw. arbeiten. Sie haben auch die Werte zu erzeugen, die das Kapital vernichten muss, wenn es sie nicht mehr realisieren kann. Die Menschen arbeiten im Kapitalismus immer gegen sich selbst, verfestigen die Strukturen, durch die sie beherrscht werden und vergrößern mit dem Mehrwert einzig die Macht der Besitzenden, also ihre eigene Ohnmacht. Übrig bleiben schließlich auch noch die Schulden des Staates, Staatsverschuldung, welche die Wertvernichtungen der kapitalistischen Krise auszugleichen hat und damit das System wieder über die nächste Runde hebt. Und es ist diese „Schuld“, wofür die Menschen erneut arbeiten müssen, um dieselben Werte ein zweites Mal durch ihre Arbeit zu erzeugen, durch welche die Staatsschulden dann auch bezahlt werden müssen. Man kann das fortsetzen und vertiefen. Und dafür plädieren natürlich die hierdurch existieren: Politiker, Banker, Manager und Geldbesitzer.

Wert begründet sich nur durch Arbeit und dadurch, dass sie durch Geld bezahlt wird. Die Herstellung von Technologie, Kommunikations- und Produktionsmittel kostet zwar Arbeit. Aber im Vergleich zu ihrer gesellschaftlichen Wirkung relativ wenig. Ein Automat, der zudem Arbeit reduziert, stellt die Verwertung von Arbeit potenziell in Frage. Je größere Fortschritte die technologische Entwicklung und Automation der Produktions- und Kommunikationsmittel usw. mit sich bringt, desto mehr entfernt sich Kapital vom Arbeits- und Verwertungsprozess im ursprünglichen Sinn und lebt zunehmend allein von seiner Marktbeherrschung, von seiner Macht, Preise zu erzielen, die weit über ihren Wert bestimmt sind, und jeden, der in seinen Verwertungsbann – z.B. als Lizenznehmer – eintritt, in die Pflicht zu einer verwertbaren Arbeit zwingt. Die realen Produkte zählen hierbei immer weniger, um so mehr dagegen die Gebühren und Mieten und Lizenzen usw. Das Kapital wird zu einem Markt beherrschenden Lehnsherrn, der zwar keine persönliche Macht ausübt, aber doch über nahezu jede Existenz nahezu vollständig verfügen kann, indem es immer ausschließlicher die Preise bestimmt – gleich, ob es als einzelnes Monopolkapital auftritt oder als allgemein bestimmte Branche. Es steht auf jedem Fall auf der mächtigen Seite.

Der Kapitalismus des Warentauschs, wo Geld noch eine widersprüchliche Beziehung in der Vermittlung von Arbeit und Produkt eingeht, also der Kapitalismus der bürgerlichen Gesellschaft, ist im Untergang begriffen. Die bürgerliche Gesellschaft erübrigt sich von selbst, weil die Produktion ihrer Produktivität selbst widerspricht, immer weniger produktiv arbeitende Menschen brauchen kann, und zugleich immer mehr Produkte immer billiger verkaufen muss. Die Nischen der Wertschwankungen sind ausgeschöpft. Geld stellt immer weniger Wert, aber immer mehr Preis dar, ohne teuer werden zu können. Das ist die Expansionsmöglichkeit und zugleich das Dilemma des Kapitals in der Globalisierung. Noch gleicht  es dies im Welthandel und durch eine hohe Ausbeutungsrate z.B. in China aus. Für die Geldbesitzer ergibt sich auf Dauer aber eine Überlebensfrage ihrer Verwertungschancen, die sie der ganzen Menschheit weiterreichen wollen.

 

Am Ende der bürgerlichen Gesellschaft

Die Entwicklung der Technologie hat gewaltige Fortschritte für die Menschen gebracht, ihre Arbeit automatisiert und den Aufwand an Zeit und Kraft erheblich reduziert. Doch unter kaptalistischen Bedingungen wird hierdurch nicht weniger gearbeitet und das Produktionsverhältnis erleichtert, sondern vor allem der Verwertungszwang immer stringender, denn weniger menschliche Arbeit reduziert auch den Wert des Kapitals, und so muss sich dieses immer mehr auf die Macht seiner Preisbestimmung zurückziehen, also die Abhängigkeit  der Menschen vom Geld für sich zu nutzen. Es entwickelt sich immer mehr durch Rechtstitel auf Lizenzen und Mieten und Rohstoffe, als durch reelle Produkte. Was Marx noch als Widerspruch von Produktivkraft und Produktionsverhältnissen analysiert hatte, löst sich derzeit dahin auf, dass sich die Lebensverhältnisse selbst unmittelbar nur noch aus der privaten Verfügung über die gesellschaftliche Produktivkraft bestimmen, aus der unmittelbaren Verfügungsmacht der Geldbesitzer über die Arbeits- und Lebensverhältnisse auf diesen Globus – in welcher Form dies auch sein mag. Kapital muss sich nicht mehr innerhalb der Produktionsverhältnisse produktiv bewähren; es bestimmt sie unmittelbar zu dem Wert, den sie ihm erbringen. Der Wert des Geldes begründet sich zwar nach wie vor aus der menschlichen Arbeit; doch die ist vergleichsweise gering geworden im Verhältnis zu ihren Produkten. Der Preis des Geldes als Kapital ist zu über 90 % fiktiv. Schuldverpflichtungen nehmen überhand und lassen sich immer schwerer decken. Ob daher Geld als Miete oder für eine Sache oder aus Hypotheken- und Kreditzinsen oder als Lizenzgebühr oder aus Devisenhandel eingenommen wird, ist gleichgültig, solange der Kapitalverkehr dabei an potenzieller Wertmasse, also an Marktpotenz gewinnt. Im Aktienhandel kann jeder Preis gelten, solange er sich durch Wirtschaftswerte der diversen Kapitalgesellschaften bestimmen lässt. Und bestimmt werden sie durch den Handel mit Erwartungen, die - wie das Kapital selbst - sich heute auf dies, morgen auf jenes Ereignis beziehen. Der Aktienhandel ist inzwischen schon abhängig von der Rechenkapazität der damit betrauten Computer, also ob sie noch 4.000 oder schon 8.000 Kaufentscheidungen pro Sekunde bewältigen können – das ist der derzeitige Stand. Was sich dabei durchgesetzt hat und auch noch weiter durchsetzen wird, ist die fortschreitende Ablösung des Geldverkehrs aus dem Güterhandel durch die Schaffung nachhaltiger Verpflichtungsverhältnisse, die zunehmend auf die bloße Staatsbürgschaft und also auf den Staatsbürger greifen. Aber auch die Privatrechte auf Lizenzen oder Werbe- und Nutzungsgebühren werden immer bedeutungsvoller, das Recht der Menschen auf Selbstbestimmung immer zynischer verunmöglicht.

Was da vor unseren Augen gerade entsteht, das ist keine Kapitalwirtschaft mehr; es ist Kapitalherrschaft total, Feudalkapitalismus. Hiergegen gibt es keine Verbesserung des Lebensstandards mehr, keine Erfolg versprechenden Lohnkämpfe und Arbeitszeitreduzierung, die auch nachhaltige Verbesserung für den größeren Teil der Menschheit darstellen würden. Das Kapital diktiert nicht mehr nur die Verwertungsbedingungen, es diktiert die unmittelbare Ausbeutung von Leben, Kultur und Natur schlechthin. Deshalb ist es wichtig, die Illusion von einer Wiederkunft der sogenannten „sozialen Marktwirtschaft“ im grünen Look - also eine Wirtschaft mit hohem sozialen Standard und sauberer Energiewirtschaft - endlich aufzugeben, weil dergleichen wie jede Neuerung für Kapitalinteressen nur kurzfristige Produktionsserweiterung verschafft und nur für den dauerhaft verfügbar ist, der bereit ist, hierfür auch dauerhafte Finanzmittel einzusetzen, um die Preise der Energiekosten auch dauerhaft zu bestimmen. Das ist weder sozial noch natürlich. Man muss sich darüber Klarheit verschaffen, was die hauptsächliche Tendenz des Kapitals in Zukunft sein wird: Die vollständige Bestimmung des Geldverkehrs überhaupt, um damit das Faustpfand zu beherrschen, von dem die Existenz der Menschen auf diesem Planeten immer vollständiger abhängig sein wird – nicht weil sie Geld zum Tausch ihrer Güter benötigen, sondern damit sie Güter für den Weltmarkt des Kapitals zu den Preisen zu produzieren, die das Kapital nötig hat.

Auch wenn sich heute das Kapital über den ganzen Globus bewegt, so ist die lokale Produktion nach wie vor die Grundlage der Kapitalbildung. Nur steht es selbst in keiner wirklichen Beziehung hierzu. Es kassiert seinen Profit an jeder möglichen Stelle der Welt und nutzt vor allem seine Flüchtigkeit zur Gewinnmaximierung, ist heute hier und morgen da, und erzeugt damit einen Preisdruck auf die Arbeit, der ihm Mehrwert verschafft, wo immer es auftritt und rechtzeitig wieder verschwindet. Das Kapital hat den Preisdruck internationalisiert. Fast nirgendwo mehr ist es wirklich greifbar. Es existiert als blindwütige Selbstbeziehung einer Fiktion, die alles zu beherrschen sucht, was der Wertauspressung dient. Und es nutzt den erpressten Mehrwert zu seiner Machtabsicherung, indem es ihn vor allem in den Himmel des Kapital- und Aktienmarkt entzieht – solange eben, bis der Himmel wieder zusammenstürzt und das höllische Spiel von vorne beginnt.

Es scheint für die bisherige Opposition gegen den Kapitalismus erst mal finster auszusehen: Gewerkschaftliche Kämpfe stellen sich in ihren Konsequenzen zunehmend als Demonstrationen von Ohnmacht heraus, kritische Theorie ist wirkungslos, auch kritische Medien erweisen sich letztlich als Medien der Selbstdarstellung eines Systems, das sich über jeden Einwand hinaus in seiner sachlichen Notwendigkeit nur bestärkt sehen  kann, solange nicht die Grundfrage dieses Systems gestellt wird: Wozu besteht es überhaupt, wenn nicht für den bloßen Geldbesitz? Und: Was soll das dann für eine Gesellschaft sein? Mit Geld, scheint jeder reich, weil er mal meinen kann, er hätte alle gesellschaftliche Beziehungen in der Tasche. Und doch hat im Handumdrehen die Geldgesellschaft vor allem ihn in der Tasche.

Der Kampf um den Preis der Arbeitskraft ist zum Hohn geworden. Billiglohn und Teilzeitarbeit sind dessen reale Schranken. Die Arbeitszeit wird mehr oder weniger offen als Wochenarbeitszeit oder Lebensarbeitszeit verlängert, obwohl die Arbeit immer weniger wird. Es geht eben überhaupt nicht mehr um Güterproduktion, sondern um die Auspressung von Wert und Verbilligung der Arbeit und Renten. Die Wertbildung geschieht vor allem durch Verpflichtung, durch die Produktion von Abhängigkeit und Schuld. Sie hat keine andere Geschichte, als die einer leeren Wertförmigkeit, die sich auch von den Bedürfnissen der Menschen entfernt, die Zurichtung eines gesellschaftslosen Strebens betreibt, zu einem Verwertungstrieb auf jeder Ebene des Lebens wird, zu einem Trieb, der sich alles einverleibt, alles reduziert, was ihn befördert, und zugleich die isolierte Individualität dadurch befriedet, dass sie diese mit Ereignissen und Erlebnissen und Genüssen voll stopft, ihr Leben auf ihren Konsum reduziert. Tittytainment nennen das die Entwicklungsstrategen des Kapitals. Und wo Entwicklung nur durch Reduktion betrieben wird, wird Geschichte im Sinne einer Fortbildung unmöglich. Sie wird zur Geschichte einer inhaltlichen Stagnation und Rückbildung, Rückbesinnung auf ursprüngliche Substanzen, Selbstveredelung gegen die Schmach einer sinnlosen Welt. Die Sinnentleerung der Arbeit entleert auch die menschlichen Beziehungen, erzeugt Reizkulturen und Depressionen. Der Lebenszusammenhang der Menschen wird zur bloßen Gegnerschaft, zum wechselseitigen Ausschluss im Überlebenskampf. Der noch nicht Ausgeschlossene wird zum Gegner des Ausgeschlossenen, der Arbeitslose zum Zerrbild seiner Zukunftsangst, zum Schreckensbild der noch Integrierten. Das Kapital beherrscht die Menschen bis in ihre Seele hinein, ihre Verhältnisse, ihre Kulturen, ihre zwischenmenschlichen Beziehungen.

Es gibt kein Proletariat mehr als die Klasse, welche das Kapital an seiner Produktionsstätte in der Industrie durch seine Arbeit erzeugt, es sei denn in der Form von chinesischen Handlangern oder asiatischen Wanderarbeitern. Das Proletariat hat keinen Ort mehr, an dem es zusammenkommt und eigene Wirklichkeit findet. Es existiert zunehmend in vollständig enteigneten und isolierten Individuen, die so arm sind, dass ihre fast ausschließliche Sorge nur noch dem Erhalt ihrer Familie gelten kann.

Aber das Kapital produziert kollektive Armut. Es erzeugt vor allem den Gegensatz von Armut und Reichtum – von Menschen, Nationen und Schichten, die sich weiterhin durch Besitz und Besitzlosigkeit unterscheiden. In diesem Verhältnis vollzieht sich auch heute noch Klassenkampf und Kapitalproduktion, denn der Reichtum entsteht nach wie vor durch die Produktion von Armut. Die Besitzlosigkeit vermehrt sich weltweit in dem Maße, wie sich das Kapital weltweit vermehrt, auch wenn die Armen nicht mehr unmittelbar die Produzenten ihrer Ohnmacht sind. Es ist alleine die Dichotomie der Verfügung über die Geschichte, welche alle Gesellschaft und Länder in ihren Beziehungen spaltet. Und das werden die Besitzenden niemals ändern. Es geht daher um den Aufstand der Besitzlosen. Und das sind zunehmend die meisten Menschen der kapitalistischen Gesellschaft. Diese aber hat sich längst zur Weltgesellschaft des Kapitals vervollständigt.

 

Das Ende des Privateigentums

Kommen wir also zurück auf die Frage, woher das Recht und die Macht kommt, dass sich die Menschen dieser Gesellschaftsform beugen müssen. Die Antwort ist auf dieser theoretischen Ebene einfach: Durch das Recht auf Privateigentum und die Macht des allgemeinen Privateigentums Geld. Es ist eine Macht, welche gesellschaftliche  Wirkung dadurch hat,  dass sie dem Kapital zu privaten Verfügung steht und die Ohnmacht der Vielen erzeugt, welche sich ihr fügen müssen.

Nun lassen wir mal alle bisherige Realitäten außer Acht und stellen uns ganz naiv alles mal umgekehrt vor: Nehmen wir an, alles wäre nur soviel wert, was es an Aufwand kostet. Die Mieten müssten dann extrem fallen. Ebenso die Energiepreise. Das Lizenzrecht wäre de facto aufgehoben, nachdem der Erfinder für seinen Aufwand entlohnt ist; der Landwirtschaft erginge es wieder sehr viel besser, weil sie ihrem Aufwand entsprechend belohnt würde und die Arbeiter würden am Mehrprodukt teilhaben, weil ihr Produkt ihren wirklichen Aufwand entlohnen müsste. Gesellschaftliches Wachstum wäre nichts anderes, als das Wachstum menschlicher Produktivität und dem entsprechenden Lebensstandard.

Nun ist diese Vorstellung von aufwandgerechter Entlohnung eigentlich schon ziemlich alt und hat sich im Genossenschaftsgedanken und in ähnlichen Projekten wie z.B. Regionalgeld, Arbeitsbörsen usw. auch schon oft umgesetzt. Aber er blieb darin beschränkt, dass Geld weiterhin als Maßstab der Preise fungierte und Gesellschaft in dieser Form lediglich zu einer Art Arbeitsgemeinschaft zur Aufwandsbeteiligung begriffen war, zu einem engen Pflichtverhältnis von Geben und Nehmen – Gesellschaft jedenfalls bei weitem nicht als wirkliche Form menschlicher Lebensgestaltung entwickelt werden konnte.

Aber Gesellschaft ist keine Arbeitsgemeinschaft, sondern Bedingung und Resultat der menschlichen Geschichte. Von daher unterstellen wir es als natürliches Recht eines jeden Menschen, an dieser Geschichte teilzunehmen, das Überlieferte überlassen zu bekommen um das Zukünfte hieraus gestalten zu können. Ich hatte in der letzten Sendung vorgeschlagen, dies als Menschenrecht aufzufassen, als Recht, das mit jedem Menschen als Gedankenform seiner geschichtlichen Existenz geboren wird. Eine solche Form - als Grundrecht begriffen – hätte wesentlich weitreichendere Konsequenzen, die alle Bedingungen der kapitalistischen Gesellschaft aufheben - besonders die privatrechtliche Verwertung von Bodenschätzen, Grundeigentum, Kulturgütern und Technologie. Dieses Recht stellt die wesentlichen menschlichen Beziehungen von Arbeit und Kultur, von Aufwand und Bedürfnis, von Leben, Wohnen und Haben, gegen die geldwertigen Marktbedingungen, die das Kapital wie eine Naturverpflichtung existenzieller Sachgewalt gegen die Menschen zu verfestigen sucht. Nicht mehr der Privatbesitz, wie er sich als Machtverhältnis von Angebot und Nachfrage zynisch äußert, würde den Preis der Dinge bestimmen, sondern der bloße Aufwand, welche die Herstellung der Produkte bedeutet. Es wäre zumindest eine Bedingung dafür, dass Gesellschaft als Lebensform menschlichen Zusammenwirkens funktionieren kann.

 

Das Recht auf gesellschaftliches Eigentum

Der weltweite Sachzwang des Kapitals vermittelt sich heute vor allem durch die Geldabhängigkeit , durch welche die Menschen so strikt wie möglich gezwungen sind, sich zu verpflichten und auspressen zu lassen. Deshalb müssen sie sich in ihren konkreten Lebensverhältnissen dort diesem Druck entgegenstellen, wo er auf sie trifft. Die menschliche Emanzipation beginnt mit der Erkenntnis, dass die Menschen ihre Gesellschaft als Grundlage ihrer Geschichte nötig haben und dass sie daher selbst bestimmen müssen, wie sie sich gesellschaftlich zu ihrer Existenz verhalten. Gesellschaft entsteht nicht durch Geld und Kapital. Umgekehrt: Sie ist die Lebensform, die Geld nur mehr als verschwindendes Moment nutzen kann. Deshalb ist es wichtig, den ganzen Sachverhalt auch wirklich umzukehren. Das beginnt z.B. mit der Erkenntnis, dass alle Staatsschulden menschenrechtswidrig sind, dass die herrschende Staatsform der repräsentativen Demokratie selbst ein Unding ist, weil sie nur die Notwendigkeiten des Geldes vertreten kann und dass es noch gar keine wirkliche Demokratie gibt. Eine wirkliche Demokratie beginnt erst dort, wo nicht der Sachzwang der Verwertung bestimmend ist, das Wertwachstum, sondern eine Wirtschaft, die ihren Namen verdient. Wirtschaft besteht aus der größtmöglichen Effizienz der Arbeit, die durch Minimalisierung des Arbeitsaufwandes erzielt wird. Sie kann nur den Zweck haben, dass die Menschen immer weniger arbeiten müssen für einen immer besseren Lebensstandard. Das ist nur möglich, wo Demokratie über die Wirtschaft bestimmt, wenn das Bestimmungsverhältnis der Menschen sich auf ihre Arbeit und ihre Bedürfnisse bezieht. Eine konkrete lokale Demokratie ist der Ursprung einer ökonomischen Demokratie, weil nur konkrete Beziehung zwischen Arbeit und Bedürfnis wirkliche Geschichte bildet. Dies macht menschliche Geschichte wieder möglich, wenn sie sich überregional und weltweit ausbreiten und beziehen kann. Es fängt die neue Gesellschaft im kleinen an, während die Gesellschaft im Großen zusammenbricht. Und es entsteht hier die Logik, die letztlich in einer demokratischen Weltgesellschaft aufgehen muss, nämlich dann, wenn es keine Region mehr gibt, die durch die abstrakte Macht des Aktien- und Geldmarkts und des Devisenhandels enteignet wird.

Deshalb nehmen wir jetzt die Vorstellung hinzu, es sei gesetzlich verboten, aus privatem Besitz eine ökonomische Macht zur Preisbildung abzuleiten. Das würde alles bisherige auf den Kopf stellen: Individuelle Macht könnte nur soweit reichen, wie individueller Aufwand erfolgreich ist und gesellschaftliche Macht nur soweit, wie sie in der Lage ist, die Individuen zu stützen und fortzubilden. Die Reproduktion der Individuen wäre zugleich die Reproduktion der Gesellschaft und ihres Lebensstandards, und das Mehrprodukt der Individuen wäre zugleich gesellschaftlicher Fortschritt, Fortschritt an Produktivität, Produkten, Kultur – also Lebensstandard. Hieraus würde sich ein ganz neues gesellschaftliches und ökonomisches Verhältnis ergeben, ein Verhältnis, worin Politik sich mit Ökonomie ständig konkret auseinandersetzen müsste und keiner von beiden dominieren könnte: Die Menschen müssten sich über die ökonomischen Grundlagen ihres Lebensstandards ebenso auseinandersetzen, wie über die politischen Ziele ihrer Existenz und deren Fortentwicklung, also auch darüber, was sie dafür tun müssen, um so zu existieren, wie sie existieren wollen.

Jedem Menschen müssten die gleichen Grundsicherheiten gegeben werden, wie diese auch von jedem durch Reden und Tun mitbestimmt werden. Die politische Form der Gesellschaft und ihre ökonomischen Grundlagen würden einander bedingen, Kapitalwirtschaft sich zumindest in den so bestimmten Regionen unsinnig werden. Doch das verlangt einiges mehr, vor allem deshalb, weil wir ein gesellschaftlich funktionales Gemeinwesen unterstellen müssen, das in der Lage ist, auch ökonomische Grundlagen abzusichern. Das würde vor allem eine politisch bewusste Produktion verlangen, eine Produktion, die weder ausschließlich durch das Interesse eines Gemeinwesens noch ausschließlich durch das Interesse der Individuen bestimmt wird, weder planwirtschaftlich, noch marktwirtschaftlich funktioniert, sondern beides permanent vermittelt und beides zugleich auf andere Gemeinwesen bezieht.

Vertragswirtschaft

Man sollte dieses Konzept Vertragswirtschaft nennen, denn es beruht auf der Verträglichkeit der Menschen in der Beziehung auf ihre Produkte und ihrer Lebensform, auch wenn sie sich beständig hierüber streiten sollten. Es beruht darauf, dass politisch klar umschriebene Regionen, als wirtschaftliche Lebensräume aufzufassen sind, die sich darum kümmern, dass die Menschen in ihrem Gebiet nach dem Lebensstandard leben können, der darin politisch beschlossen und ökonomisch möglich ist. Alle Menschen erhalten darin eine Grundsicherung als Anteilsschein an diesem Lebensstandard und gehen mit ihrer Gemeinde ein vertragliches Arbeitsverhältnis ein, das insgesamt diese Grundsicherung möglich macht. Dieses Verhältnis berücksichtigt nicht nur Arbeitsvermögen sondern auch Arbeitsunvermögen, bezieht sich also insgesamt auf die ganze Existenz. Wie die Menschen innerhalb dieser Regionen zueinander bestimmt sind, so müssten auch die Regionen zueinander bestimmte Lieferverträge eingehen, die ihren Lebensstandard vervollständigen und erweitern und Ausgleich bei Unterschieden schaffen.

Alle Regionen der Welt ließen sich in einem Netzwerk von Vertragsverhältnissen aufeinander beziehen, deren Zweck ist, die verschiedensten Güter im vertraglich bestimmten Güterausgleich zur wechselseitigen Bereicherung herzustellen und einzuführen. Geld wäre dann nur noch ein politisch bestimmtes Wertmaß, das aus den Möglichkeiten der Regionen resultiert und nicht aus der Nachfrage als solche, und dem jede Rückbeziehung auf das Maßgebende verwehrt ist. Was das eine Land im Überfluss hat, kann das andere brauchen – und umgekehrt. Und wo Unterentwicklung herrscht, kann nichts zum Billigpreis abgezockt werden, weil nach der obigen Rechtsbedingung jede andere Region nur dann etwas davon hat, wenn sie auch zur Entwicklung beiträgt. Es handelt sich also um ein Prinzip der wechselseitigen Bereicherung, das dann in Kraft treten kann, wenn private Bereicherung verboten und geahndet wird. Dazu braucht es keine Großtaten und auch keinen Staat als Großagent des allgemeinen Privateigentums Geld, auch keine Arbeiterklasse, die dort ein besonderes Sagen hätte; es bräuchte nur eine klare Zellenstruktur, worin Wirtschaft zwischen dem einzelnen und dem allgemeinen Entwicklungsprozess einer Gesellschaft verträglich gestaltet und auf andere Wirtschaft entsprechend bezogen werden kann. Und das wäre nicht nur im kleinen möglich, sondern überall, wo wirtschaftliche Beziehungen möglich sind, wo also Menschen oder Kommunen einander ergänzen können, wo menschliche und wirtschaftliche Beziehungen eine identische Wirklichkeit haben. Es wäre so etwas wie eine internationale Kommunalwirtschaft.

 

Die kommunale Weltgesellschaft

Die Menschen, die nur als Humankapital zählen, solange sie noch als potenzielle Wertproduzenten gelten, können sich nach wie vor an dem Ort, wo sie selbst leben, entziehen und selbst Bedingungen stellen. Und jeder konkrete Ort ist zugleich weltweit ein konkreter Ort. Die konkrete Lebensbedingung der Menschen im Allgemeinen ist eine regional begründeten Ökonomie mit regionalen politischen Organisationsformen. Aus den konkreten Bestimmungen ihres Lebensbedarfs und damit aus ihrer Arbeit erübrigt sich abstrakte Macht, erübrigt sich Geld als allgemeines Privateigentum, das durch Unterwerfung erworben werden muss, nur um überhaupt leben zu können. Dem Kapital wäre weltweit die Möglichkeit seiner Fortbestimmung entzogen, wenn es aus den konkreten Lebensverhältnissen ausgegrenzt werden kann und statt dessen unmittelbar menschliche Verhältnisse – sowohl in der Selbsterhaltung, als auch in der gesellschaftlichen Entwicklung - möglich werden. - Doch hierzu ist kommunales Eigentum nötig.

Menschliche Beziehungen sind wechselseitig. Gesellschaft ist das wechselseitige Wirken der Menschen, menschliche Wirklichkeit. Die Gesellschaften der Existenzkämpfe müssen endlich durch Gesellschaften abgelöst werden, in denen die Menschen sich wirklich ergänzen, in denen sich gesellschaftliche Macht als Macht gegen die Ohnmacht von Menschen darstellt. Vertragswirtschaft ist Ergänzungswirtschaft. Und Ergänzung tut not. Doch wie kann es geschehen, dass Geld seine Funktion als allgemeines Privateigentum verliert bzw. selbst nur noch ein gesellschaftlich gültiges Maß einer Beziehung von Aufwand und Entlohnung ist? Es ist einfach und in Wirklichkeit doch recht schwer: Verträge müssen ein Maß für die darin formulierte Ergänzung enthalten, eine politische Wertbestimmung, welche die Menschen und Regionen aushandeln und über bestimmte Laufzeiten einhalten, solange, bis neue Ergänzungsbedürfnisse anstehen. Der Aufwand muss gegeneinander zugleich mit dem Vermögen der Betreibung dieses Aufwands verrechenbar, quantifizierbar sein. Das grundlegende Vertragsverhältnis ist ja immer das zwischen dem einzelnen Menschen und seiner regionalpolitischen Formation. In der Diskussion dieser Verträge entsteht eine konkrete politische Auseinandersetzung, die man Demokratie nennen kann.

Das verlangt einige Änderungen der bisherigen Gepflogenheiten, besonders auch des Verständnisses von Demokratie, Politik und Ökonomie. Es verlangt auch, dass alle Menschen nicht aus einem Mangel bestimmt leben und arbeiten und also erpressbar sind, sondern dass sie ihre Grundsicherung aus dem Reichtum an Produkten und Produktionsmittel in ihrer Gesellschaft geschichtlich vorfinden und sie hieraus auch im Maß ihrer eigene  Beiträge an der gesellschaftlichen Entwicklung mitwirken können. Hierfür gibt es ja auch bereits viele Modelle. Und um deren Diskussion soll es weiterhin gehen.