Kulturkritik-Sendung vom 11. 04. 2008 auf Radio Lora


Sind Organisationsformen einer Widerstandskultur nötig?

Zeitdauer: 60 Minuten - Datenumfang ca. 50 MB

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Als Artikel verfügbar ab ca. 20.4.08

Sind Organisationsformen einer Widerstandskultur nötig?

Wir haben in den bisherigen Sendungen schon viele Phänomene der derzeit laufenden Krisen des Kapitalismus und seiner Kultur behandelt, so dass es immer nötiger geworden ist, über die Möglichkeiten des Widerstands hiergegen zu diskutieren. Wir hatten hier auch schon mit einigen Menschen zum „runden Tisch einer Widerstandskultur“ eingeladen und darüber diskutiert, was eine solche Kultur sein müsste. Die Auseinandersetzung hierüber ist nicht einfach und kann auch nicht von heut auf morgen abgeschlossen werden. Die Aktionen gegen den G8-Gipfel, gegen die Gesetzgebungskampagnen der Regierungen und gegen die Verschärfungen der Lohnentwertungen haben Mut gemacht. Immerhin verlaufen die Konflikte inzwischen an vielen Orten und viele Positionen und Ziele finden sich schon zusammen. Denn nichts ist wichtiger, als einen Zusammenhang in diesem Widerstand zu finden. Alle vereinzelten Ideen und Ansätze verflüchtigen sich, finden sie nicht Brennpunkte, in welchem sich der Widerstand treffen kann. Deren Zusammenführung kann daher nicht einfach durch eine Massenbewegung Sinn machen, sondern dadurch, dass viele Menschen das Wesen dieser Krisen begriffen haben und nicht damit zufrieden sind, heute aus dem einen Desaster sich herauszuwinden, um morgen in das nächste verfangen zu sein. Wenn es heute höhere Löhne und morgen schon eine Geldentwertung gibt, so ändert sich gar nichts. Auch wenn Arbeitsplätze dadurch frei werden, dass Billiglöhne grassieren, kann dies keine Bewältigung einer Krise der Arbeitsabhängigen sein. Die Überwindung der kapitalistischen Krisen kann nur alsAufhebungsprozesses ihrer Gründe Sinn machen. Ihr Ziel kann also nicht einfach die Veränderung ihrer Geldformen sein, sondern muss im wirklichen Leben der Menschen ankommen.

Einige politische Gruppen bemühen sich darum. Und ich will heute damit beginnen, ihre Inhalte und Bewegungen vorzustellen. Denn nicht mit schönen Lebensvorstellungen , nicht durch Ideen für eine bessere Welt, kann man diesen Krisen und ihrer Gewalt wirklich entgegentreten, sondern durch Rückbesinnung auf die eigene Kraft und der da heraus möglichen Umsetzung der eigenen Lebensnotwendigkeiten und Ziele in der Entgegnung auf die herrschenden Gewalten.

Diese kennen wir ja schon zur Genüge. Das allgemeinste Argument, mit welchem nicht nur eine Fortentwicklung sozialer Erungenschaften beschränkt wird, sondern diese selbst zurückgenommen werden trotz beständig wachsender Profite und Kapitalmassen, ist der Geldmangel des Staates, die ungeheuerliche Staatsverschuldung von ca. 1,5 Billionen Euro, die auch unter normalen Umständen sowieso nicht rückzahlbar ist. Diese Summe kennzeichnet lediglich den Betrag, der den Kapitalanwendungen als gesellschaftliche Unkosten nicht in Rechnung gestellt wurde. Aber mit der Notwendigkeit der Schuldentilgung und der Kostenvermeidung im Sozialbereich sollen Krisen überwunden werden, welche angeblich die Wirtschaft schlechthin hätte. Auch in den einzelnen Abteilungen der ähnlich politisierten Wirtschaft tritt als Sparzwang auf, was lediglich immer absurdere Verwertungsinteressen und Verwertungsmacht darstellt: Billiglöhne, Mehrarbeit, Erzeugung prekärer Lebenslagen, Zerstörung von Lebenszielen und Reduktion von Entfaltungspotenzialen wie Bildung, Gesundheit, Natur und Umwelt und Unversehrtheit des Lebens. Es wundert nicht, dass Gewalt auf der Straße, in den Schulen und Familien und auch in der Politik stetig zunimmt. Die Hoffnung, dass der Kapitalismus seine eigenen Krisen noch so bewältigen kann, dass die Menschen auch wirklich etwas davon haben, hat sich weitgehend als Illusion erwiesen.

Die Logik der kapitalistischen Verwertungsmacht wird immer durchsichtiger und das Wertwachstum beweist längst selbst, dass es keine Vermehrung des menschlichen Reichtums an Lebensvielfalt erbringt, sondern lediglich vermehrte Kapitalmacht und Plünderung der Lebenssubstanzen. Es besteht heute zum weitaus größten Teil aus bloßer Spekulation, aus dem Verschuldungswahnsinn eines unsinnigen Kreditiersystems auf dem Kapital- und Aktienmarkt, der auf Wertsteigerung durch höhere Auspressungsraten der vorhandenen Produktivkräfte setzt, auf eine Auspressung, die dem realen Vermögen der gesellschaftlichen Verhältnisse und der Natur nicht mehr entsprechen kann. Und es setzt teuflische Interessen an Krieg und Vernichtung frei, nur um die Ressourcen des Überlebens seiner Zerstörungsmacht auf seiner Seite zu haben.

Dagegen anzugehen und zu kämpfen ist unbedingt nötig. Aber alle vereinzelten Kämpfe hiergegen, gegen Krieg, Ausbeutung und Plünderung, die Streiks und Blockaden, die Kampagnen gegen die Brutalisierung der Arbeitswelt und gegen die Knebelung der Bürger durch neue Gesetzgebungen bleiben lediglich auf die Folgen der Krisen fixiert, auch wenn sie einige Erfolge feiern können. Solange die Menschen sich nicht wirklich gegen den Kapitalismus als solchen, gegen dieses globale Verwertungssystem im Ganzen emanzipieren und ihm eine neue Gesellschaft der Menschen, eine Gesellschaftsform ohne Verwertung und Ausbeutung von Mensch und Natur entgegensetzen, wird sich an diesen Verhältnissen nichts mehr wesentlich verändern. Das Kapital wird vielleicht noch ein paar Ehrenrunden drehen, ein paar Quentchen Umweltschutz vorzeigen und auch ein paar Arbeitsplätze mehr und schließlich alles bezwingen, was sich nicht mehr von ihm und seinem Staat bestimmen lässt. Daher will ich die Gruppierungen, die dies erkannt haben, auf ihre Begründungen und Zielvorstellungen hin befragen.

Ich will heute mit einer Gruppe beginnen, die sich auf die Geschichte und Tradition des antikapitalistischen Widerstands beruft, auf die marxistische Internationale: Der Revolutionäre Sozialistische Bund der IV. Internationalen, kurz RSB.

Die Geschichte der Internationalen ist nicht immer marxistisch gewesen und hatte viele Fehler aufgezeigt und zum furchtbarsten überhaupt geführt, zum Stalinismus. Wer daran anknüpft, kann sich davor nicht verschließen und muss viel bewältigen, korrigieren und auf einen neuen Kern bringen, der zugleich das übernimmt, was in der bisherigen Geschichte richtig war. Das macht diese Gruppe besonders interessant. Die Internationale insgesamt war zum einen eine Geschichte der Arbeiterbewegung, zum anderen eine Geschichte des Kampfes um das politische Gemeinwesen, um eine Gesellschaftsform, welche die Menschen als Subjekte ihre Gemeinwesens bestärkt und die ihnen adäquaten Strukturen sucht.

Die 1. Internationale war noch eine vorwiegend kommunal orientierte Bewegung mit der Programmatik des kommunistischen Manifestes. An ihr waren auch Marx und Engels beteiligt. Aber schon hier waren im Streit zwischen Marx und Bakunin grundlegende Probleme bei der Überwindung der alten Gesellschaft offenkundig geworden: Welche Organisationsformen sind nötig? Wie verhält man sich zur Staatsbürokratie? Geht es um die bloße Aneignung der Staatsmacht und deren Verwendung für die Klasse des Proletariats? Oder geht es um unmittelbare Selbstbestimmung, um eine unmittelbar neue Gesellschaft aus dem menschlichen Potenzial der alten? Geht es um eine Diktatur des Proletariats oder um die Anarchie einer gesellschaftlichen Bedürfnisentfaltung?

Die 1. Internationale war an diesem Streit, aber auch an den Personifikationen desselben gescheitert. Immerhin veranlasste dies Marx, vor allem die Position zu einer sogenannten Diktatur des Proletariats neu zu überdenken und dies in seinem Text zu den französischen Bürgerkriegen zu veröffentlichen. Dennoch kam Ferdinand Lasalle, sein Widersacher im Streit um das Gothaer Programm, dem Gründungsprogramm der SPD, in der 2. Internationalen zum Zug. Diese wurde hierdurch zu einer reinen Arbeiterbewegung, in welcher die Gründer der Gewerkschaftsbewegung und der Sozialdemokraten sich durchsetzen und – ganz im Widerspruch zu Marx – die „Arbeit als Quelle allen Reichtums“ feiern und verherrlichten. Gesellschaft sollte das Subjekt der Arbeit und nicht des menschlichen Reichtums sein. Das hatte Folgen bis in die Russische Revolution und gereichte dem Deutschen Faschismus auch zur Begründung eines sozialistischen Anspruchs, mit dem er die SPD in die Ecke trieb. Heute besteht diese Ausrichtung noch als internationale Vereinigung der Sozialdemokraten fort, als sozialistische Internationale.

Die 3. Internationale war wesentlich vom Leninismus getragen und breitete eine Gesellschaftsform aus, in welcher eine Staatsbürokratie als Diktatur des Proletariats ausgerufen und der „Arbeiter- und Bauernstaat“ zum ideologischen Konstrukt desselben wurde. Lenin war es vor allem um die Übernahme der Staatsmacht gegangen, mit der er die Entwicklung eines Kapitalismus in Folge des russischen Feudalsystems verhindern wollte. In der Stalinistischen Epoche, worin dieser sogenannte Arbeiterstaat mit seiner Parteienbürokratie zu einem politischen Terrorinstrument auf die Spitze getrieben wurde und sich schließlich auch alle kulturelle Bereiche unterwarf und kulturschaffende Intellektuelle systematisch verfolgte, stellte sich der sowjetische Volkskommisar (Minister für Kriegswesen, Ernährung, Transport, Verlagswesen) Leo Trotzki der sowjetischen Parteilinie des Marxismus-Leninismus entgegen. Zu Lenins Zeiten selbst noch bedeutender Parteifunktionär und Minister, eigentlich dessen designierter Nachfolger und immer schon ein Gegner von Stalin, wurde er nach Lenins Tod an den Rand des Machtgefüges gedrängt. Er benannte er jetzt Stalin offen als den Totengräber der Revolution und gründete 1938 die 4. Internationale mit der Begründung: „Man kann nicht länger mit Stalin, Manuilski, Losowski und Co. in ein und derselben 'Internationale' bleiben“. Er kritisierte den Stalinismus als totalitäre Staatsbürokratie, der er eine permanente Revolution entgegenstellte. Dies besagte im Wesentlichen, dass die Revolution in rückständigen Ländern eine bürgerlich-demokratische und eine proletarische Phase ohne Unterbrechung durchlaufen müsse, dass dies zum erfolgreichen sozialistischen Aufbau der Sieg der Revolution wenigstens in den fortgeschrittensten Ländern notwendig wäre, und dass sich schließlich auch in Arbeiterstaaten politische, kulturelle und wirtschaftliche Revolutionen vollziehen könnten und müssten, um zum Sozialismus überzugehen.

In Deutschland arbeiteten die Trotzkisten vor allem im Widerstand gegen den Faschismus. Peter Berens beschrieb dies in seiner historischen Analyse folgendermaßen: „Ende 1934 begannen die in Zellen untergliederten TrotzkistInnen nach Diskussionen über Widerstandspotentiale und -taktiken gegen den Nationalsozialismus gezielt in Betrieben, kirchlichen Kreisen und jüdischen Verbänden zu arbeiten. Ab Ende 1935 gelang es der Gestapo, viele AktivistInnen der IKD Rhein-Ruhr zu verhaften und die Arbeit des Bezirkes weitgehend zu zerschlagen, was mit einer zu strengen Zentralisierung der Untergrundstrukturen zusammenhing. ... In der Freiheit übernahmen oft die Frauen den aktiven Part in der Aufrechterhaltung des Widerstandes und der Verbindungen zum Exil. Während des Zweiten Weltkriegs wurde ein erheblicher Teil der deutschen TrotzkistInnen in KZs ermordet oder sie kamen in Strafbataillonen ums Leben.“

Der RSB strebt eine selbstverwaltete sozialistische Demokratie an. Auf seiner Website beschreibt er dies wie folgt:

„Der Revolutionär Sozialistische Bund (RSB) ist Teil der 1938 gegründeten IV. Internationalen. Sie ist in über 50 Ländern aktiv und hält grundlegende Probleme der Welt, Krieg, Umweltzerstörung, Arbeitslosigkeit, Verarmung und Hunger- im Rahmen der kapitalistischen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung nicht für lösbar. Sie strebt eine selbstverwaltete sozialistische Demokratie an, die die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen beendet. Deshalb fördert der RSB alle Bemühungen, aktiv und gemeinsam mit anderen politischen Strömungen für die sozialen Errungenschaften, demokratische Rechte und wirtschaftlichen Interessen insbesondere der arbeitenden Klasse einzutreten. Er unterstützt den Kampf gegen Rassismus, Frauenunterdrückung und jede Art von Diskriminierung. Er setzt sich für den Erhalt der Umwelt ein. Er fordert die politische, rechtliche und soziale Gleichstellung aller in der Bundesrepublik lebenden Menschen und die völlige Gleichstellung der Geschlechter. Ziel des RSB ist es, das Vertrauen der Menschen in ihre eigene Kraft zur radikalen Veränderung zu stärken. Der Schwerpunkt seiner Aktivitäten liegt in den außerparlamentarischen Kämpfen.“ Dem Selbstversständnis des RSB wollten Eckhard Thiel und ich in einem Gespräch mit Christiaan Boissevain nachgehen – nicht, um für den RSB zu werben, sondern um die Diskussion, die hierzu möglich ist, anzuregen. Hört also selbst, was da besprochen wurde:

Fragen im Interview mit Christiaan Boissevain

Frage: In der Broschüre „Warum wir den Sozialismus wollen“ beschreibt der RSB (Revolutionärer Sozialistischer Bund/IV. Internationale) sehr schön und ausführlich die Vorstellungen von einer sozialistischen Gesellschaft – eigentlich die Beschreibung einer Gesellschaft, von der viele Menschen träumen. Christiaan, warum versucht ihr nicht, ein solches Verständnis in bestehende Gruppen einzubringen und zu diskutieren (z.B. Attac), um dort Ziele mit zu bestimmen. Warum eine eigene Gruppierung, wo es doch schon so viele gibt?

Frage: Es findet sich unter Euren Zielen bedürfnisorientierte Ökonomie und Basisdemokratie. Dies wird ja z.B. auch von den kooperativen Alternativmodellen einer Solidarökonomie und weiten Kreisen der Alternativbewegung gewollt. Die versuchen es innerhalb dieser Gesellschaft zu entwickeln, weil sie davon ausgehen, dass sich die auf diesem Weg auflösen lässt. Was macht den Begriff „Revolutionär“ in eurem Selbstverständnis aus?

Frage: Wo seht ihr das Subjekt einer revolutionären Auseinandersetzung? Ist es immer noch das Industrieproletariat, zielt ihr noch auf einen sozialistischen Staat, auf eine „Diktatur des Proletariats“?

Frage: Gibt es für euch wesentliche Orte, wo revolutionäre Auseinandersetzungen laufen müssen (z.B. Straße, Betrieb, Kommunen, Kultur, Parlamente)?

Frage: Worum geht es überhaupt einer revolutionären Organisation? Um Parteiaufbau, Avantgarde einer neuen Staatsgewalt, Subversion in den Betrieben, Kaderschmiede, Bildung von Funktionären?



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