"Vor dem Hintergrund des Eichmann-Prozesses und der »Verbrechen, die niemand für möglich gehalten hätte«, denkt Hannah Arendt 1965 in einer New Yorker Vorlesung über Fragen der Ethik und vor allem über das Böse nach. Eine Ethik »nach Auschwitz« kann, so Arendt, nur auf dem Denken und Erinnern gründen. Denn die größten Verbrecher sind, so sagt sie, diejenigen, die beides verweigern." (Aus der Werbung für "Über das Böse: Eine Vorlesung zu Fragen der Ethik – Der Fluch der Gleichgültigkeit") "Der Antisemitismus ist ... nichts anderes als eine Reaktion mittelalterlicher, untergehender Gesellschaftsschichten gegen die moderne Gesellschaft, die wesentlich aus Kapitalisten und Lohnarbeitern besteht, und dient daher nur reaktionären Zwecken unter scheinbar sozialistischem Deckmantel; er ist eine Abart des feudalen Sozialismus, und damit können wir nichts zu schaffen haben. Ist er in einem Lande möglich, so ist das ein Beweis, dass dort noch nicht genug Kapital existiert. Kapital und Lohnarbeit sind heute untrennbar. Je stärker das Kapital, desto stärker auch die Lohnarbeiterklasse, desto näher also das Ende der Kapitalistenherrschaft. Uns Deutschen, wozu ich auch die Wiener rechne, wünsche ich also recht flotte Entwicklung der kapitalistischen Wirtschaft, keineswegs deren Versumpfen im Stillstand. Dazu kommt, dass der Antisemitismus die ganze Sachlage verfälscht. Er kennt nicht einmal die Juden, die er niederschreit. Sonst würde er wissen, dass hier in England und in Amerika, dank den osteuropäischen Antisemiten, und in der Türkei (d. h. Palästina), dank der spanischen Inquisition, es Tausende und aber Tausende jüdischer Proletarier gibt; und zwar sind diese jüdischen Arbeiter die am schlimmsten ausgebeuteten und die allerelendesten. Wir haben hier in England in den letzten zwölf Monaten drei Streiks jüdischer Arbeiter gehabt, und da sollen wir Antisemitismus treiben als Kampf gegen das Kapital?" (Friedrich Engels MEW22, S. 50f) Antisemitismus entwickelt sich gegen eine Selbstverachtung, die sich ein Subjekt der Verächtlichkeit sucht und in den Metaphern mythologischer Bilder aus Kultur und Religion findet, wodurch sich der Selbstverlust im Selbstgefühl von Zwischenmenschen umkehren lässt. Antisemitismus ist daher im Unterschied zum Rassismus nicht nur eine Haltung gegen Menschen, die andere Natur, Kultur oder Religion verkörpern, sondern ein prinzipieller Kulturalismus, der systematisierte Hass auf eine bestimmte Kultur, der sich unmittelbar aus einem sittlichen Bedrohungsgefühl begründet. Er ist ein kulturalisierter Antikapitalismus, der von einer kleinbürgerlichen Ursprungssehnsucht gegen die Gewalten des fiktiven Kapitals (siehe auch Feudalkapitalismus) getrieben ist, ein Kulturrasssismus, der sich hiergegen als übernatürliches sittliches Subjekt aufführt und sich durch dessen mythologische kulturelle Identität eine übermenschliche politische Größe verleiht. Von daher begründet sich seine ungemeine politische Explosivität, die den Faschisten und Nationalsozialisten eine willkürliche Kulturmacht verleiht, die sich nicht nur gegen andere Kulturen richtet, sondern auch gegen die Kultur der Bevölkerung der eigenen Nation, die auf die Sittlichkeit eines Kulturstaats eingeschworen wird, die dann auch staatsrechtlich ein quasi feudalistisches Rechtsverhältnis legitimiert, die sich aus einer Kulturalisierung der gewöhnlichen Bevölkerung ergibt und sich im Begriff eines gemeinsinnigen Volkes formuliert, der sich niemals bewähren, wohl aber aus der Negation kulturstaatlicher Mangelerscheinungen übermenschlich begründen kann. Das Volk als übermenschliche Bestimmung kann massenpsychologisch nichts anderes sein als die Ausgrenzung von allem, was sich seiner durch Selbstfdefinition empfundenen kulturellen Wesenheit entzieht. An dem identifiziert sich der Neid und Hass aller bislang unterdrückten wirklichen Regungen und die davon getriebenen Erregungen konzentrieren sich nun auf die "Feinde des Volkes" - ganz besonders auf die Juden, die in ihrer Religion ein höheres Recht auf ihr gelobtes Land formuliert finden. Man könnte sagen, dass dies den Neid auf eine heile Welt hervorruft, die ganz offensichtlich in einem Nationalstaat politisch bedrängt ist und mit zunehmenden sozialen Krisen untergehen muss. Antisemitismus beinhaltet immer schon die Unterstellung, dass die Kultur der eigenen Nation durch eine fremde Macht sittlich bedroht sei, die in einem "jüdischen Volk" und seinem Glauben verschworen ist. Dieses Volk strebe nach einer monetären Beherrschung der Welt, welche dem "redlichen Streben der anderen Völker" nach Selbsterhalt dadurch gefährlich werde, dass Juden ihr Ziel durch Infiltration zu erreichen suchten. Dieses Vorurteil entstand in der Geschichte wohl daher, dass die Juden über lange Zeit als "Volk ohne Land" galten und sich aus dem "Heiligen Land" vertrieben sahen. Wer "Volk und Land" als Nation begriffen haben will, der fürchtet natürlich eine "freie Volksbewegung", als welche ihm dann das Judentum gilt. Weil dieses also keine eigene Nation hätte, in nationalistischer Logik diese aber nötig habe, könne es sich nur parasitär in die Nationalpolitik (siehe Politik) einschleichen, die nationalen Interessen paralysieren und durch Geheimbünde und weltpolitische Verschwörungen einen immensen Machtapparat hinter sich bringen. Der Antisemitismus ist daher ein aus dem Nationalismus begründeter Rassismus, der den eigenen Staat als Kulturstaat ansieht und als solchen auch in der Bekämpfung des Judentums sowohl begründet wie auch verteidigt. Es wird hierbei zugleich unterstellt, dass jüdische Kultur und Religion unmittelbar politisch sei, weil sich jüdische Politik als Gottes Gebot für ein "auserwähltes Volk" verkünde, dass also ihr Glaube unmittelbar politischer Wille sei, der sich "gegen den nationalen Willen des deutschen Volkes" richte. Das aber ist gerade die Idee des deutschen Nationalismus von einer deutschen Nation, worin der Staat selbst übermenschliche Funktion haben soll. Mit der Projektion auf die Juden lässt sich der nationale Wille in eine machtpolitische Notwendigkeit stellen. Der Nationalist braucht die Juden als negativen Grund, als Feindesmacht eines Willens, der ihn bedroht. Also musste ihnen unterstellt werden, sie würden die Nation mit feindlichem Willen untergraben und würden das somit von ihnen gesonderte "deutsche Volk" durch hinterhältige Einflussnahmen von den eigenen nötigen Zielen abbringen. Vom Geistigen her ist der Antisemitismus eine Konfrontation mit einem Antichristen, der sich dem Erlösungsglauben widersetzt, mit einer Gottlosigkeit, die Gott nicht nur ignoriert, sondern Gottes Werk verrät: der überhistorische Judas. Die Bekämpfung des Antichristen ist nicht nur grundlegend für den christlichen Glauben, sondern überhaupt eine kulturelle Sehnsucht, welche die eigene Zerbrochenheit in einen Heilsgedanken wendet, der sich aus dem Jenseits hiervon, aus dem Heil begründet und sich gegen das Diesseits als grassierendes Unheil wendet. Indem der Christ an die Erlösung durch das Leiden am Kreuz glaubt, ist er nicht nur religiös, sondern zugleich auch Kulturbürger einer Heilsbewegung gegen die Realität von Juden, die dadurch inkorporierte Antichristen sind, dass es für sie keine Wahrheit auf dieser Welt geben kann. Der Heilsgläubige, der die Erlösung schon in seinem Glauben hat, ist demgegenüber geistig ohnmächtig, denn im Christusglaube, an den Gottmenschen, der die Wahrheit und das Leben sein will, fühlt er sich schon wirklich befreit - "wer an ihn glaubt, der wird leben in Ewigkeit". Was den Christen zur Anbetung des Kreuzes treibt, ihn zum selbstlosen Objekt seines Glaubens macht, das gilt dem Juden als irdische Notwendigkeit des Geistes, einer Heimsuchung, die durch Gott begründet ist. Sie kann nur in der Erkenntnis seiner Allmacht und Weisheit aufgehen. Die Lehre der Gebote Gottes ist hier eine unmittelbare Selbstverständlichkeit. Hiergegen erscheint der Glaube an die Erlösung durch das Leiden wie ein Kinderglaube, der sich auf keine Verpflichtung der Wahrheit einlassen will, weil er das unaufgelöste Rätsel des Geistes nicht in sich aufnehmen kann, lieber das Falsche lebt, als sich selbst erkennen zu müssen. Solcher Glaube ist für den Christen natürlich Verrat am Christentum – den Judasmord entnimmt man dem Neue Testament als Glaubensbotschaft der Heilsverleugnung. Die Angst vor einer Intelligenz, die über dem Leiden steht, die Angst, dass es keine himmlische Erlösung darin gibt, ist der tiefste kulturelle Anlass des Antisemitismus. Wo der Christ die Allmacht des Leidens im Diesseits verkündet, da hat der jüdische Glaube für ihn tatsächlich einen geistigen Allmachtsanspruch, der sich ihm in der Theologie vom auserwählten Volk entgegenstellt. Aber genau dies ist eben auch die einzig mögliche Negation des christlichen Glaubens, der in der Allmacht des Leidens die paradiesische Einfalt der Erlösung als Brennpunkt seiner Selbstgerechtigkeit schon erlebt, in der er schließlich durch Gott aufgehen will. Von daher ist der Antisemitismus auch eine Errungenschaft des Christentums, mit der es seinen Selbstzweifel bekämpft. Antisemitismus hat im Lauf der Geschichte die verschiedensten Ausdrucksformen und Gründe gehabt. In allen Facetten war er die Zeichnung eines Bilds vom "jüdischen Hinterhalt", der die Parteinahme zu einer ohne dies unerträglichen Gegenwart verlange. Von daher tritt er auch heute noch immer wieder in gesellschaftlichen Krisenzeiten auf, um eine geschichtliche Rückwendung hinter die Grundlagen des Kapitalismus zu evozieren. Er ist also immer ein Angriff auf die moderne Gesellschaft und "dient nur reaktionären Zwecken" (Engels). Er artikuliert implizit eine Ursprungssehnsucht nach Feudalstrukturen, dem Rückgriff auf Bodenständigkeit und Leibeigenschaft. Von daher ist es auch verfehlt, ihn unmittelbar als Erscheinungsform des Kapitalismus anzusehen, wie dies z.B. Moishe Postone mit einer Herleitung aus dem Warenfetischismus versucht hat. Ob es überhaupt ein "Volk" der Juden gibt, sei dahin gestellt; - bevor der nationalsozialistische Antisemitismus öffentlich wurde, hatte man Juden nicht in einem ethnischen Sinn gesondert wahrgenommen, jedenfalls nicht als eigenständiges Volk oder "Volk im Volke", eher als kulturelle Sonderlinge oder als Religion, die sich am Christentum versündigt habe. Durch den Antisemitismus wurden sie in einer ganz bestimmten Weise, wie sie für die nationale Identität ist, erst erzeugt. Die Juden, eigentlich nur Zugehörige einer bestimmten Glaubens- und Kulturgemeinschaft und entsprechender Lebenshaltung, wurden hierin erst als eine ethnische Ganzheit bestimmt, die einen völkischen Charakter habe. Dies ist faktisch nicht mal wahr, denn semitisch sind weit mehr Menschen, z.B. auch die Palästinenser oder Iraker, als es Juden sind. Aber mit rassistischen Naturbestimmungen wurden dem Judentum auch biologische Merkmale zugewiesen, die es zu einer Volksrasse machen, das durch sich schon die aufgelisteten jüdischen Charaktermerkmale genetisch enthalte. Dies trug zur Begründung der ungeheuerlichsten Massenvernichtung der Menschheitsgeschichte bei, welche sich zur "Säuberungsaktion des deutschen Bluts" industrialisierte. Dem Juden (siehe Judentum) werden alle Eigenschaften zugewiesen, welche das Nationalgefühl stören, was also dem gegenüber als fremde Macht erscheint, als Verschwörung gegen die nationale Identität. Hier spielte auch ein dumpfer Klassenhass mit hinein, da Juden einen großen Anteil am deutschen Bildungsbürgertum darstellten. Rechte Kulturkritik tat das ihre, den "Untergang des Abendlandes" (Oswald Spengler) mit dem Judentum in Verbindung zu bringen. Indem nationale Identität hieraus zu einer notwendigen Reaktion gegen Entfremdung gekehrt war, wurde das Jüdische zum Inbegriff aller durch Hinterhalt und Entfremdungsmacht eingebrachten Identitätslosigkeit. Damit wurde die Notwendigkeit einer eigenen Gewaltsamkeit als Selbstschutz begründet, welche die inneren Widersprüche der eigenen Gesellschaft zu einem offenen Gegensatz gegensinniger Völker, zu einem Gewaltverhältnis gegen Fremdkultur totalisierte. Es handelt sich hier um einen politischen Nominalismus, der einem nationalpolitischen Willen dient. Dieser ist vor allem dazu nötig, um das eigene Volk kulturell zu disziplinieren, um aus einem bürgerlichen Staat einen Kulturstaat zu machen, dessen Staatskultur als Träger einer Nationalkultur, einer Kultur des Nationalismus dienen soll. Antisemitismus wendet sich also nicht gegen Semiten, sondern beruht auf einer Verdichtung der nationalen und kulturellen Störungen zur Begründung durch eine fremde Identität, durch ein fremdes Subjekt. Hieraus soll sich nationale Identitätsfindung gegen das fiktive Subjekt entwickeln, indem diesem alle Eigenschaften zugeordnet werden, welche die ungeheuerlichen Gewalten konspirativer fremder Kräfte zusammenfassen. Juden gelten darin als Synonym für eine wohlhabende, hinterhältige und intelligente Fremdherrschaft, die über ein an sich gutes und friedliches und redliches Volk hereingebrochen und an dessen Aufzehrung interessiert sei. Darin scheint das wuchernde und zinstragende Kapital als personifizierte und zugleich jenseitige Charaktermaske, die sich aus naturalisierten Bestimmungen heraus (Rasse, Religion) gegen das ganze, an und für sich in sich geschlossene "Volk" wendet. Den Juden wird aufgrund ihrer Geschichte zugetraut, dass sie mit allen Methoden der Hintergehung und Unterwanderung und als Gruppierung einer in sich festen zielgerichteten, aber international umtreibenden Bewegung, daran interessiert seien, das Volk zu zu irritieren, zu zersetzen und von seinen völkischen Interessen abzubringen, die zu Interessen einer arischen Rasse naturalisiert worden waren. Die Juden werden so zu einem monströsen Subjekt, dem praktisch alles angelastet wird, was dem völkischen Glauben zuwider ist. Weil das Judentum eine hochintelligente Kulturgemeinschaft ist, die sich in keine nationale Kultur integrieren lässt und von daher in Zeiten der nationalen Identitätssucht, dem kulturellen Identitätsstreben eines Nationalstaats (siehe auch Kulturstaat) notwendig zuwider ist und die Aversionen gegen Intelligenz, die in solchen Zeiten vorherrschen, einlöst, wird ihm von den Nationalisten die Subjektivität des Staatsfeindes an sich angelastet. Auch weil diese Kulturgemeinschaft zeitweise die Funktionen des Geld- und Kapitalhändlers eingenommen hatte oder einnehmen musste, weil ihm andere Rollen nicht erlaubt worden waren, weil sie in ihren Glaubensgrundlagen den Geld- und Kapitalhandel gutheißt und weil es international verbreitet und relativ einflußreich ist, wurde ihr die die Sinnbildlichkeit des Kapitalismus ideologisch, politisch und kulturästhetisch (siehe ästhetischer Wille) entgegengehalten. Diese Projektion gegen die Juden soll "volksschädigende" Interessen als Kulturschaden handhabbar machen, ohne dass die eigene Kultur und Wirklichkeit selbst hinterfragt oder in Zweifel gezogen werden müsste. Antisemitismus hat also seine Wurzeln in einem Nationalismus, der die Figurationen des Fremden und Bösen sucht, die zugleich wirklich fremde Mächte im eigenen Land, besonders Kapital und Kulturbeherrschung, personifizieren sollen, um die nationalen Störungen vermittelst ihrer Figuration zu liquidieren. Jeder vierte Deutsche ist heute schon wieder antisemitisch eingestellt. Schon wieder wird vorgegriffen, ohne irgendeine Grundlage abgeurteilt, Schuldige gesucht, Rasse behauptet. Der wirkliche Niedergang des Geistes beginnt immer mit dem Anwachsen des Antisemitismus. Es zeigt sich darin zuerst, dass er einer Zerstörung erlegen ist, die nicht begriffen ist, um schließlich einer Vernichtungslogik zu folgen, die das eigene Volk aufrichten soll. Dies wird schließlich auch zu seiner primäre Bedeutung für die Nationalpolitik, die den äußeren Feind nötig hat, um das politische Unvermögen des bürgerlichen Staates zu kaschieren, der in antisemitischen Zeiten selbst an seinem Ende ist (siehe Staatsbankrott). Der Antisemitismus radikalisiert sich also besonders in Krisenzeiten und betreibt einen Rückzug ins Vertraute, in das "Eingemachte" und gegen das Internationale, das als Ursache der Krise wahrgenommen wird (siehe hierzu auch Negativverwertung). Allgemein setzt sich darin das scheinbar überschaubare Eigene gegen die vermeintliche Intrige des Judentums, der vermeintlichen Verschwörung des raffinierten Schacher-Intellekts, der Personifikation des Internationalismus des Kapitals. Anstelle von Verstand und Bewusstsein zu der darin vermeinten Wirklichkeit entwickelt sich Hass und Pogrom, wenn das Monster des "ewigen Jude" beschworen wird. Der Grund dafür, dass Zerstörungsprozesse nicht begriffen werden sollen, liegt in einer Ausweglosigkeit des Zeitgefühls, seiner politischen Selbstdarstellung und dem wirklichen Kulturverlust gesellschaftlicher Beziehungen (siehe Vernichtungslogik). Der Druck des Verfalls in einer isolierten Welterfahrung bestimmt die Abgrenzung von jeglichem Wissen über Vermittlung und Vermitteltheit. Gewiss bleibt alleine das Selbstgefühl, das im Seelischen immer seinen Ausweg als eine Ursprungssehnsucht entwickeln kann: Die Seelengemeinschaft gegen jegliche fremde Kraft, die Volksseele. Diese wendet sich als ästhetischer Wille gegen fremd erscheinende Gesellschaft und begründet sich in einem politischen Nominalismus. So entsteht eigene Identität durch die Identifizierung des Anderen, der als das Fremde schlechthin genommen und zum Synonym von Entfremdung wird. Vor allem wird so das "Volk" zu einer Gesellschaft über aller Gesellschaft, gesellschaftliche Geborgenheit dessen, was alles andere entbirgt, Wahrheit des Seins gegen die Oberflächlichkeit des Seienden (siehe Heidegger). Aber der rein geistige, kulturelle, psychologische oder ideologische Kern des Antisemitismus macht seine staatspolitische Verwendung nicht aus; sie kam lediglich den wirtschaftlichen Interessen des Staates in Zeiten des Staatsbankrotts entgegen. Er muss sich dann Wert aus den Ressourcen seiner Bevölkerung beschaffen, aus ihrem Besitz und ihrer Arbeitskraft, und hierfür ist die Kampagne gegen Juden opportun und schließlich die Judenverfolgung auch rational, zumal damit zwei gegensinnige Formen des Besitzstandes zu seinem Vorteil gegeneinander ausgespielt werden konnten: Die Aneignung des bestehenden Besitzes erforderte ein Prinzip der Entrechtung der Bürger und um dies zu erreichen musste das Recht eines Großteils der Bevölkerung als Naturrecht hervorgekehrt werden, als Natur der Volksgerechtigkeit. Es musste hierfür das Bürgertum in seiner Idealität als Besitzstand selbst zum Staatsfeind gemacht werden, um der arbeitenden Bevölkerung des Recht auf Enteignung stellvertretend für sie geläufig zu machen - und ein bedeutender Teil des gebildeten Bürgertums stellten die Juden dar. Deshalb hatte sich auch der Nationalsozialismus durchaus als Kritik am Bürgertum ausgeben können und ihre Vernichtungslogik am "Volksfeind" festgemacht, zugleich damit das ganze Volk zu einem Körper hiergegen gemacht, zur reinen Rasse des Herrenmenschen, zu einem Volkskörper der Arbeit, um es an die Enteignung durch die Staatsgewalt zu gewöhnen. Es hat sich inzwischen auch erwiesen, dass die Judenvernichtung unmittelbar dieser Logik folgte. Es waren für den nationalsozialistischen Staat die ideologischen Gründe für den Antisemitismus von untergeordneter Bedeutung; sie wurden lediglich zu gegebenem Zeitpunkt genutzt. Für den faschistischen Staat stand tatsächlich die Arisierung des jüdischen Eigentums im Vordergrund - und die Juden hatten einen hohen Anteil von Privatbesitz im Land. Es wurden ihnen beträchtliche Werte enteignet. Die Nutzung völkischer Aversionen und deren Hochzüchtung stand in einem klaren politischen Kalkül, wodurch der Staatsbankrott der kriegsführenden Nation verschleiert werden sollte, und die Judenvernichtung war eine finale Zeugenvernichtung. Tatsächlich konnte es auf diese Weise dem Rest der Bevölkerung noch relativ lange relativ gut gehen. Deren Zustimmung erfüllte also ebenso wirtschaftliche Interessen, wenn auch eher aus einem Erfolgsgefühl des nationalsozialistischen Bewusstseins heraus. Jeder Rassismus beruht auf einer bestimmten Zuordnung von Eigenarten, Eigenheiten oder Eigenschaften zu einem nominellen Wesen (siehe Nominalismus). Dabei erfüllt die Zusammenstellung und Zuordnung dessen, was als Eigen gilt, keine wissenschaftliche oder einfach wirkliche Beweisführung, sondern einen Zweck, wie er sich aus den Absichten der politischen Kultur ergibt. Die Beobachtungen, die hierbei aufgegriffen werden, können beliebig sein oder auch überzufällig, wesentlich werden sie nur durch die Absicht, mit der sie zusammengeführt werden und nur dadurch zu einem Begriff (war z.B. die Zuordnung der Schotten zu Geiz vielleicht eine Eigenart, die sich - wenn überhaupt - aus karger Landwirtschaft o.ä. erklärt hätte, wird sie so zu einer Wesensart, als die sie für bestimmte Absichten Verwendung findet). Politische Kultur findet über solche Synthetisierungen im politischen Nominalismus ihre Ideologie zu allem, was ihr fremd ist und gründet, bestätigt und festigt darin ihren Glauben an sich selbst, wenn die Seele der Kultur in Zweifel gerät (siehe Volksseele). Wo Kultur wirklich in Not ist, wird dieser Glaube zu einer kulturellen Identität durch die Herabsetzung aller anderen Kultur als Unwirklichkeit, als Glaube der anderen. Rassismus ist eine nominalistische Glaubensidentität, der es gleichgültig ist, was sie wirklich meint. Aber was auf sie wirkt, das glaubt sie als vollkommenen Gegensatz zu wissen. So wird alles in seinem Sinn eins, weil es zur Allgemeinheit des Meinens in einer Gesinnung wird. Ihr Stoff ist der Gegner, der Fremde, der Ausländer, der Andersartige, weil er für alles objektiv zu stehen hat, was subjektiv bedrohlich erscheint, wenn das Heim verlassen wird, das Unheimliche, die abstrakte Bedrohlichkeit als bedrohliche Abstraktheit des Weltgeschehens: Die Konkurrenzangst um den Arbeitsplatz, Raub und Plünderung des Eigentums, die Kriminalität, Untergang von dem Gewohnten, von Sicherheiten durch Werte, Kultur und Abendland, oder schließlich vor den finsteren Hintergründigkeiten des Geld- und Zinswuchers, die Angst um die Welt überhaupt oder die vor dem schwarzen Mann ... Es ist die Enge der Befremdung in der Entfremdung. Antisemitismus enthält daher als eine Form des Rassismus zunächst auch den Glauben, dass Entfremdung durch die Ermächtigung der Eigenheit gegen das Fremde überwunden sei. Dieser Glaube wendet sich als hohe Form der Selbstbezogenheit implizit (oder explizit) gegen jeden anderen Glauben, besonders gegen den Glauben an einen Gott als Inbegriff einer - wenn auch abstrakten - Menschenliebe, in welcher alles Eigene aufbewahrt begriffen sein will. Er ist für sich die Grundlage einer eigenschaftslosen Verschwörung gegen das Böse, welches das schlechthin Uneigene und alleine dadurch bedrohlich sei, dass es Kraft gegen das Eigentum habe. Was dem bürgerlichen Bewusstsein als Widerspruch zwischen Besitz und Eigentum inne ist, wird im Bösen als Gegner des Guten aufgelöst. Das erzeugt den guten Bürger mit der Selbstgerechtigkeit des Glaubenskriegers - und er benötigt den jüdischen Glauben hierfür, um ihn als Synonym seiner Wirklichkeit zu handhaben: Der Jude als Inbegriff des Kapitals. Ihm ist hierdurch jede Bestimmtheit seiner Welt und Geschichte in einem Begriff negiert, der sein ganzes Nichtsein umfassen, seine Selbstentfremdung vollständig aufheben soll. So wird ihm vor allem Bewusstsein unnötig, wird die Vorstellung von solcher Gegnerschaft zu seinem Glück, weil sie dazu taugt, sein Unglück, seine Erfolglosigkeit, sein Elend und seine Schwächung zu erklären und seine Feigheit in Machtanspruch zu kehren. So "lichtet" sich sein "Sein" (frei nach Heidegger) und "Wahrheit" wird, was ohne dies nur Täuschung bliebe. Antisemitismus ist der Glaube an eine Wahrheit, welche die Selbsttäuschung des Bürgertums als positive Lebensvorstellung des Guten und Schönen in der Abgrenzung vom Bösen einer ihm fremden Glaubenswirklichkeit zu einer Lebenswirklichkeit seiner Gewohnheiten entäußert und hierdurch ihm die Freiheit des Selbstgefühls gibt, die ihm den Rückzug aus seiner Welt und seiner Wirklichkeit ermöglicht. Er kann daher nur danach streben, absolut mächtig zu werden, und wird hierfür an alles appellieren, was seine Welt zu einer mächtigen Glaubenswelt machen kann: Volksgemeinschaft, Volksseele und Volkskörper. Solcher Glaube muss absolut sein und besteht daher in der reinen Verneinung als Interesse an Ausgrenzung und Absonderung von Menschen aufgrund ihrer Art und Weise des Lebens, ihrer religiösen und kulturellen Andersartigkeit. Der Charakter der eigenen Verschworenheit gegen fremden Glauben und Ritus wird mit der Theorie entwickelt, dass dem fremden Glauben eine Verschwörung zu innerst wäre (siehe Judenverschwörung). In dieser doppelten Negation wird Glaube zur positiven Notwendigkeit einer Wirklichkeit, die nur in der Vernichtung des fremden Glaubens sich vollziehen kann. Das ist politischer Wille in höchster und reinster Form, in welcher alles verschwunden ist, was an wirtschaftlichen, seelischen, ideologischen oder theologischen Beziehungen vorausgegangen sein mag. Alleine die Hervorkehrung des Verschwunden könnte sich ihm widersetzen. Doch wenn die Verleugnung der eigenen Verschwörungstheorie nicht als notwendige Lüge der politischen Kultur aufgedeckt wird, so ist Antisemitismus nicht mehr als Glaubenskult kritisierbar, weder in der Verhöhnung noch in der Auseinandersetzung: Der verschworene Glaube gründet auf der Antiverschwörung und hat keine andere Wahrheit als sich selbst. Vor allem dies macht ihn gefährlich, gibt er sich damit doch sogleich als objektives Weltverständnis und tritt dann wie selbstverständlich in der Welt auch ausschließlich als politisches Angebot auf - nicht als religiöses oder psychologisches oder kulturelles, das als solches leicht kritisierbar wäre. So ist Antisemitismus eine grassierende Lüge, die keinerlei Wahrheit enthält, weil ihre Wahrheit selbst die Verleugnung ihrer Bezogenheit ist. Selbst das, womit sie sich füllt (die jüdischen Eigenarten und Gepflogenheiten, z.B. der Schacher, Lebensgewandtheit, Intellektualität) sind Resultate des eigenen Verhaltens als Gläubiger gegen Andersgläubige, Resultate der Ausgrenzung von Juden als Andersgläubige. Dem Antisemitismus geht ein Gefühl der Bedrohung durch jüdische Kultur voraus - eigentlich nur überhaupt ein Gefühl der Bedrohung, das nach Wirklichkeit sucht und sie im jüdischen Glauben und Ritus zumindest als Antiwirklichkeit zu finden glaubt im Gefühl für das Unheimliche, das Böse. Tatsächlich geht es hierbei um die eigene Kultur, die sich an ihre Grenze, an ihren Nullpunkt gebracht hat, an die Regression ihrer Sinnlosigkeit und die ihre Widersprüche nur noch als bloße und allgemeine Identitätslosigkeit wahr hat. Weil dies als ein Prozess der Verwahrlosung empfunden wird, muss hiergegen ein grausames Exempel von Reinheit, Recht und Ordnung statuiert werden. Der Niedergang der eigenen Kultur ist eigentlich immer ein Niedergang des sozialen, also letztlich des wirtschaftlichen Lebens. Rassismus überhaupt ist eine Reaktion auf die inneren Widersprüche, der bürgerlichen Kultur, die in Zeiten der wirtschaftlichen Krise meist ein paralytisches Stadium erreichen. Indem der "Untergang des Abendlandes" (Spengler) beschworen wird, wird an den Retter und Erlöser appelliert (siehe Untergangstheorien): Es geht um alles. Und diese Allgemeinheit gibt ihm jede Macht, die eine Bevölkerung zu geben bereit ist (s.a. Wählermeinung). Der Faschismus ist die ideale Antwort des Bürgertums auf seine eigene Gesellschaftsform, wenn es ohne Bewusstsein seiner Widersprüchlichkeit und der darin keimenden geschichtlichen Umwälzung seiner gesellschaftlicher Wirklichkeit (s.a. Revolution), d.h. ohne Seinsgewissheit an ihrem Ende angelangt ist. Rassismus und Antisemitismus sind sowohl die ideologischen, psychologischen, kulturellen wie überhaupt politisch wirksamen Instrumente zur Herstellung einer wahrhaft bürgerlichen Identität als Staatskultur: Wohlstand für alle durch Ausmerzung der Unanständigen. Der Antisemitismus ist erst einmal die Verkehrung einer Sorge um die eigene Kultur. Dass sie gegen Juden gerichtet wird, entspringt unmittelbar einem reaktionären Denken, einer konservierenden Selbstvergewisserung, welche das Vertraute zur Substanz des Vertrauens macht, das Gewohnte zum Ursprung der Gewohnheiten (siehe Ursprungssehnsucht). Gesellschaftlich entsteht so ein Nationalismus, der mangels Selbstbestimmung vor allem von Feindbildern lebt. Wo es um Kulturbedrohung geht, greift die nationalistische Kulturrestauration zur Selbstermächtigung und rückt von da her auch alle kulturellen Affinitäten in das Zentrum seiner Selbstbegründung und Legitimation. Die besonders stabile Kultur des Judentums, die sich in nationaler Unabhängigkeit ausgebreitet hat, erscheint dem NationalistInnen gefährlich, ihre hohe internationale Bindekraft erscheint besonders in Zeiten des nationalen Zerfalls bedrohlich. Daher wird ihr von NationalistInnen eine mythologische Macht, die unbestimmte Dämonie einer internationalen Verschwörung, zugesprochen, welche die Kräfte der Finsternis, das Böse des internationalen Kapitalismus gegen die nationale Kultur, als Grund ihres Zerfalls wissen wollen. Die Juden waren vom 2. bis zum 20. Jahrhundert vorwiegend ein Volk ohne Land, das aber in den Asylen und Gettos seine eigene Kultur für sich streng verbindlich auch im Alltag sichtbar lebt und dabei einen Zusammenhalt bezeugt, der eine wichtige Stütze jenseits nationaler Kulturen ist und daher besonders jene irritiert, die diesen Zusammenhalt nur in der Macht des Staates kennen wollen. Vom Standpunkt der nationalen Kultur erscheint der Jude immer als ein Sonderling, ungewöhnlich und wesentlich unverständlich. Sein Verhalten beim Beten, seine Auffassungen von Liebe und Sexualität, seine Reinlichkeitsvorstellungen (siehe auch Ästhetik) bis hin zur Beschneidung und den damit verbundenen Lebensvorstellungen, könnten die Neugier der Christenmenschen beflügeln, wenn sie keinen Grund hätten, das Sonderbare zum Absonderlichen und zur Absonderung zu treiben. Was in den Alltäglichkeiten der eigenen Kultur noch bloße Bildlichkeit, Klischee von Sozialcharakteren ist und bei allen Kulturereignissen in bestimmter Art und Weise integriert oder desintegriert wird, wird in Zeiten der Krise, in welcher das Böse zum Maßstab der Erkenntnis wird, zur Radikalisierung der Absonderung des Sonderlings, zum Judenhass. Das Judentum stellt international also ganz besonders deutlich den Gegensatz von Kultur und Staat vor, auch wenn es inzwischen durch Israel zugleich eine nationale Einheit hat. Aber gerade als internationaler Asylant erscheint es als Bedrohung für jene, die einen Kulturstaat entstehen sehen wollen. Deshalb werden dir Juden von den herrschenden Ideologien auch aktiv als Stachel im eigenen Volk aufgebaut. Besonders in den Krisenzeiten der Volkswirtschaft, in den Zeiten also, wo der Staat die Kultur zur Krisendisziplinierung braucht und daher als Kulturstaat seine ökonomische Zerwürfnisse verschleiern will, wird der Antisemitismus zu einem Staatsappell an die Reinheit der Volkskultur. Die Juden gelten hiernach als eine die eigene Kultur zersetzende Fremdkultur, als hinterhältiger Kulturfeind, dessen Abwehr oder Vernichtung die Abwendung aller Krisen durch die Heilung von einer "Volkskrankheit" behaupten wollte. Antisemitismus ist die Umkehrung eines kulturellen Heilsgedankens, der davon lebt, dass mit den Juden das Unheil der eigenen Kultur begründet und daher mit ihrer Vertreibung auch abgewendet sei. Die "Judenfrage" taucht jedesmal aus dem Dunkel der politischen Positionen auf, wenn die bürgerliche Politik in ihren eigenen Fragen keine Antwort hat, wenn also die politische Ökonomie mit ihrem Latein am Ende ist und die Kritik der politischen Ökonomie diese Fragen nicht aufzugreifen und zu wenden wusste. Abstrahiert von ihrem Gegenstand, der wirklichen Gesellschaftsform und ihrer Probleme, reduziert sich dann bürgerliche Politik auf die Wahrnehmung der sozialen Problematik, die als Erscheinungsform der ökonomischen Krise des Kapitals auch als Kulturform der Gesellschaft angesehen und so unmittelbarer Gegenstand von Politik wird. Diese benutzt den Appell und die Macht sittlicher und ästhetischer Notwendigkeiten zum Systemerhalt und bezieht sich daher selbst auf reine Gesinnung, welche dann als kultivierte Hochform des politischen Bewusstseins aufgespielt wird. Bei Verlust aller politischen Wirklichkeit ist die "Judenfrage" der schlechte Rückstand untergegangener politischer Handlungsfähigkeit. Von da her offenbart sie den abstrakten Kern politischer Selbstverständigung: Den Glauben an den Willen, der die Welt bestimmt. Und da muss ein Wille, der auf Glauben gründet, zur Gefahr werden. Inhaltlich keimt die "Judenfrage" in dem Vorwurf, dass Politik zum Opfer religiöser Radikalität geworden sei, dass sich die Gestalten der Wirklichkeit (Kapital, Krise usw.) als Masken eines bösen Interesses erklären lassen sollen, das mit wirklicher Macht nicht mehr zu bändigen sei. Solche Interpretationen entsprechen zum einen einer paralysierten ökonomischen Realität und kehren diese in ein Vernichtungsinteresse einer fremden bösen Kultur gegen die absterbenden Lebenskräfte der guten um. Überleben bedeutet somit einfach: Vernichtung des Bösen. Der Übergriff auf das fremde Leben greift daher weit in die Subjektivität jüdischer Gebräuche und Riten und Glaubenssätze, weil er eine besondere Subjektivierung des Andersseins erzielen will (siehe Fremdenfeindlichkeit). Der jüdische Glaube, besonders der Anspruch auf das Gelobte Land, bietet hierfür leichte Angriffsfläche, besonders auch in der Differenz zum christlichen Glauben: Juden kennen keine Gotteskindschaft, keine Erlösung von der Erbsünde und keine Frohbotschaft der Gottesliebe und leiden daher auch nicht an den vielfältigen Schuldgefühlen gegenüber dem schmerzensreichen Gottessohn. Sie leben eine erkennende Religion, die sich auf Gottes Liebe vorbereitet und ihm ihre Tagesriten widmen, die sich deutlich von christlicher Frömmigkeit abheben und ganz im Gegensatz hierzu sich auf der wirklichen Tat begründen. Ihre prinzipielle Nähe zu Gott und seinem Gericht macht sie unempfindlicher gegenüber irdischen Pflichten und von daher auch weniger beeinflussbar. Da mag Neid aufkommen. Aber auch jenseits theologischer Sichtweise erscheint die jüdische Kultur vom Standpunkt des Nationalismus her freier als andere Kulturen. Besonders, weil sich die Nationalkulturen aus abendländischer Tradition (Christentum) schon immer gegen die Juden gewendet haben und an seiner Desintegration interessiert waren (z.B. Verweigerung der Zunftzugehörigkeit), hat sich das Judentum umgekehrt auch nicht in eine Nationalkultur integrieren lassen. So erschienen Juden als Vertreter des Antinationalen . Die Nationalsozialisten brauchten diesen Gegner, um ihre Nation unter Druck zu setzen und Gesinnungsgleichheit zu erzeugen. Zu diesem Zweck wurden Juden unerbittlich verfolgt und in kalt berechneter Grausamkeit vernichtet (siehe Holocaust). Die Politik vollzieht dabei allerdings nicht vorwiegend die Gelüste von verrückten oder sadistischen Politikern und vollstreckt auch nicht einfach nur antisemitische Theorie, sondern nutzt den Antisemitismus vor allem in kaltem Kalkül zur Restauration des deutschen Kapitalismus (siehe Nationalsozialismus). Dem Judentum wird zwar schon vom Christentum im neuen Testament der "Verrat am Gottessohn" durch Judas vorgeworfen, dies aber wird nur darin kulturkämpferisch wirksam, dass dem Judentum überhaupt ein bestimmtes Verhältnis zum Geld als Grund des Verrates vorgehalten wird: Dem Schacher um Zins und Judaslohn, mit welchem das Herz des Christen ebenso sich bedroht fühlt, wie die Bedrohung durch den Sachzwang des Geldbesitzes und der Geldentwertung für jeden fleißigen Bürger real ist. Seit dem späten Mittelalter, in welchem die Juden aus der handwerklichen Arbeit von den Christen verdrängt wurden, blieb ihnen die Rolle des Händlers und Gläubigers, der das tun durfte, was Christen verboten war: Für den Geldverleih Zinsen einzufordern. Die erste Phase des Kapitalismus kann somit kulturell als Säkularisierung des Judentums angesehen werden, bei dem der "brave Christenmensch" zwar sehr auf den Händler und Geldverleiher angewiesen war, aber dessen gesellschaftliche Realität und Notwendigkeit geleugnet wissen wollte. Dies spielt bis heute in das Bild des Juden hinein, besonders dann, wenn der Kapitalismus seine Barbarei offenbaren muss: Der Jude wird zum Kulturbild des Kapitalisten hergenommen, dessen Machenschaften als ein dubioses Weltverschwörungssystem mit hochgradiger Fantasie entfaltet wird. Dieser Selbstbetrug am eigenen Leben befriedet den Klassenkampf. Alle gesellschaftlichen Unterschiede zwischen den Lohnabhängigen und der Finanzwirtschaft werden so zum Klischee von religiösen Rassentypologien, in denen die wirtschaftlichen Gegensätze zu einem ungeheuerlichen Kulturgegensatz manifest gemacht werden (vergl. auch Kulturkampf). Darin kann das Kapital seine wirkliche Rolle ebenso verstecken, wie der Lohnabhängige seine Lebensunzufriedenheit. Soweit sich der Staat in einer ökonomischen Krise zum Kulturstaat entwickelt (siehe Faschismus), wird ihm dies zur Grundlage seines Wählerpotentials, dessen Meinungsbildung von Populisten ganz gezielt in den Antisemitismus getrieben wird. Einzigartig für Deutschland bleibt, dass die Vernichtung der Juden nicht nur als Kulturkampf betrieben, sondern im industriellen Maßstab durchorganisiert und vollzogen wurde, beispiellos für alle Formen der Judenverfolgung (siehe Holocaust). Der Gebrauch und der Nutzen von kulturkämpferischen Positionen hat sich schon oft, besonders auch nach der mit Huntington begründeten "Achse des Bösen" nachhaltig in den Golfkriegen und den Machtinteressen der irdischen Weltenlenker zur Genüge offenbart. Und es hat sich erwiesen, dass weder das Christentum noch der Islamismus noch das Judentum die Kriege tatsächlich begründen, sondern vorgeschobene Legitimationen für die rechte Kriegsmoral sind. Der Antisemitismus ist eine Kriegsmoral, die sich im Lebensalltag begründen soll, um den weltlichen Kampf zur Erlösung von weltlichen Problemen zu begründen. Tatsächlich begründet diese Moral sich aber nicht aus dem Getöse und der Theatralik der staatlichen Propaganda, sondern aus dem Wähnen des praktischen Bewusstseins, das seine Lösung nicht im Wissen von Seiendem findet und daher nach der Reinheit vor den geistigen Störungen durch fremde Geistesströme sucht. Schließlich liegen inzwischen auch Kriegsbegründungen durch Anti-Antisemiten vor (siehe Antideutsche). Und: Wer ist wem fremd und wodurch mächtig? Um welchen Krieg geht es hier? Ein großes Problem bei der Kritik des Antisemitismus ist die Beibehaltung der politischen Unterscheidung von den Juden als eine von Nationalisten abgegrenzte Menschengruppe, die auch dann noch eingegrenzt bleibt, wenn sie prosemitisch fortbesteht und sich damit als politisch-religiöse Unterscheidung (im Unterschied z.B. zu Sintis, Homosexuellen oder Kommunisten) bewahrt. Man setzt das Hitler’sche Prinzip "Hausmaus zu Hausmaus" praktisch fort, wenn die Ausgrenzung des politischen Begriffs des Jüdischen nicht selbst in Frage gestellt wird. Die politische Abtrennung eines "jüdischen Wesens" von anderen unterschiedlichen Lebenshaltungen besondert weiterhin eine Glaubenshaltung als ein Politikum, das sie nicht sein kann. Dies ist schon ein Dilemma des Holocaust-Mahnmals in Berlin, das es nötig macht, jeder anderen Gruppe der Verfolgten einzeln und getrennt zu gedenken, anstatt das menschenverachtende und industrialisierte Tötungsprinzip der Nationalsozialisten überhaupt ins Gedächtnis zu rufen. War gerade die Abtrennung der Opfer vom "Volk" ein grundlegendes Verfahren der NS-Rassenideologie, so kann es nur überwunden werden in der Unmöglichkeit einer Rückbeziehung solcher Unterscheidung. Und wenn hieraus gar ein Philosemitismus wird, wird auf eine sehr fatale Weise eine reaktionäre Denkstruktur fortgesetzt bis dahin, dass die jüdische Religion hierdurch zu einer Art Heilslehre verkommt, um derentwillen auch Kriegsbegründungen wieder möglich werden. Dadurch, dass Antisemitismus sowohl politisch, als auch psychologisch zu gebrauchen ist, ist auch der Antisemitismusvorwurf zu einem politpsychologischen Werkzeug geworden. Die scheinbar gegen den Antisemitismus gerichteten Vorwürfe der "Antideutschen" geraten daher auch leicht zu einer abstrusen Begriffsinflation, welche dem Judentum eher schadet, als dass sie ihm nutzt (vergl. hierzu Franz Schandel "Das Pfeiffer-Dossier"). Noch weniger ist solcher Anti-Antisemitismus dazu geeignet, die im Antisemitismus versteckten Kultursignale aufzugreifen und gegen ihren wirklichen Grund zu halten: Dem Lebensverhältnis im Geldbesitz (siehe auch Dienstleistungsgesellschaft) | ![]() |