"Was ich neu tat, war 1. nachzuweisen, daß die Existenz der Klassen bloß an bestimmte historische Entwicklungsphasen der Produktion gebunden ist; 2. daß der Klassenkampf notwendig zur Diktatur des Proletariats führt; 3. daß diese Diktatur selbst nur den Übergang zur Aufhebung aller Klassen und zu einer klassenlosen Gesellschaft bildet." (MEW 28, S. 508) Es ist sinnfällig, dass jede Gesellschaft sich durch die Aneignung und Verarbeitung von natürlichen Ressourcen bildet und erhält, ganz gleich, ob dies durch Bevorratung oder durch politische oder militärische Gewalt sicher gestellt wird. Die bisherigen Gesellschaften überstanden ihre existenzielle Notwendigkeiten – die Wesensnöte ihrer Natur – durch die allgemeinen Verhältnisse ihrer gesellschaftlichen Gewalt. Von da her muss man sagen: der Kapitalismus ist im Wesentlichen kein Produkt einer wirtschaftlichen Arbeit, sondern vor allem das politisches Monstrum einer im Allgemeinen vereinzelten Existenz eines für sich selbst abstrakt gewordenen Lebens in der burgherrlichen Gesellschaft – der Existenz einer dem lebendigen Sinn der Menschen entfremdeten Arbeit (siehe bürgerliche Kultur). Im Kapitalismus verwirklicht sich der Widerspruch der Geldform zwischen Zahlungsmittel und Kaufmittel (siehe Wertform) als Klasengegensatz zwischen Lohnarbeit un Kapital, der sich im Gegensatz vom Wert der menschlichen Reproduktion (Lebensstandard) einerseits und dem produzierten Mehrwerts des Kapitaals andererseits vollzieht, sich im Klassenkampf zwischen den Arbeitsleuten und der Macht des überschüssig Sinnproduzierten Werts (Mehrwert) im alltäglichen Verhältnis auf den Warenmärkten verwirklicht. Was die Arbeiter im Warentausch zu ihrer Reproduktion an Zahlungsmitteln des von ihnen geschaffenen Geldwerts ausgeben kann nicht zugleich sich in daa Anwachssn des Geldwerts der Kapitalbesiizer (siehe Geldbesitz) realisieren. Das Wertwachstum eird vom Wirtschafswachstum abgespalten, weil die Profitrate die Mehrwertrate auf Dauer nicht adäquat realisieren kann. Ihr allgemeiner Geldwert würde inflationieren (siehe fall der Profitrate) wenn er nicht in den Finanzmarkt abwandern und sich durch den Kredithandel einer eigenständige Wertrealisation vollziehen kann. Weil ihr Lohn nicht hinreicht, den Überfluss der Geldverwertung, die sich hierduch gestaltende Überproduktion an Waren abzukaufen entsteht immer wieder ein Fall der Profitrate (siehe ökonomische Krise), worin sich die gesellschaftliche Entwicklung der menschlichen Lebenszusammenhänge aufzehrt. "Der letzte Grund aller wirklichen Krisen bleibt immer die Armut und Konsumtionsbeschränkung der Massen gegenüber dem Trieb der kapitalistischen Produktion, die Produktivkräfte so zu entwickeln, als ob nur die absolute Konsumtionsfähigkeit der Gesellschaft ihre Grenze bilde." (Karl Marx, MEW, Bd. 25, S. 501). Das Proletariat war im lateinischen Wortsinn der ausgegrenzte und beherrschte Teil der Bevölkerung, der direkt der gesellschaftlichen Macht des Staates und seiner Optimaten (Oligarchen) unterworfen war, weil diese im Besitz der politischen Verfügungsgewalt waren. Aus ihrer existenziellen Not heraus waren sie gezwungen, den politisch Mächtigen zu liefern, was diese für nötig befanden. Die Marx'sche Analyse hette die Existenz der Besitzenden und ihrer Verfügungsmacht über die Ohnmächtigen kritisch dargestellt. Es war die Beschreibung der existenziellen Klassen des Kapitalismus, die sich aus dem Widerspruch der Geldform zwischen Zahlungsmittel für Gebrauchswerte einerseits und Kaufmittel der verfügbaren Geldmenge als Geldbesitz andererseits ableitet. Darin entwickelte sich zwangsläufig auf der einen Seite die Lohnarbeit der gesellschaftlichen Objekte, auf der anderen das Kapital der gesellschaftlichen Subjekte. Da nach seiner Analyse der allgemeinen Wertform das Kaufmittel als Subjekt des Warentauschs letztlich durch die Formbestimmung der Arbeit die allgemeine menschliche Selbstentfremdung einer gesellschaftlichen Ohnmacht, ihre gesellschaftliche Substanz (siehe auch Ressource) der Lebensproduktion aufzehrt, kann Marx mit Recht behaupten, dass er den Klassengegensatz von Kapital und Arbeit als Klassenverhältnis einer Geld produzierenden Gesellschaft nachgewiesen hat. Er hat damit bewiesen, dass durch die Diktatur des Kapitals dessen Objekt, der sich existenziell erhaltende Mensch als Arbeiterklasse das menschliche Potenzial der Existenz in einer kapitalisierten Arbeit ist, das sich als dessen Gegenpart verhalten muss, um seine Existenz in seinem Existenzwert zu bewahren. Das Diktat über die Arbeit wird daher notwendig zur gesellschaftlichen Form einer Not wendenden Arbeitermacht, die sich nur als diese erkennen und begreifen muss, um den Enteigner seiner Lebensproduktion, den Ausbeuter seiner Arbeit – das Kapital – zu enteignen und dadurch die verkehrten Verhältnisse einer kapitalisierten, einer sich selbst fremden Lebensproduktion, einer Produktion der Entfremdung der Menschen von sich, von ihrem Produkt und von ihrer Gesellschaft umzukehren. Was aber im allgemeinen Verständnis des 19.Jahrhundeerts lediglich – wenn überhaupt – nur die Vorstellung einer Utopie darstellen konnte, wurde in der Redewendung von einer "Diktatur des Proletariats" durch den politischen Avantgardismus der Arbeiterbewegung von ihrer realen Grundlage abgelöst und zur Ideologie einer politischen Programmatik. Nach Wolfgang Leonhard erlangte diese Redewendung als ein »wahrscheinlich 1837 von Auguste Blanqui« geprägter Begriff »erst durch K. Marx und F. Engels seine politische Bedeutung«. Aber durch Lenins Rezeption der marxistischen Klassiker und schließlich durch den gewöhnlichen Gebrauch dieser Redeweise, wurde sie populistisch mißbraucht, indem die "Abschaffung der Klassen" in einen rein politischen Aktionismus gewendet wurde. Der geriet schließlich folgerichtig durch den Stalinismus zu einer Staatsdoktrin gegen die "Staatsdiktaturen des Kapitals", die schließlich eine Ära des nurmehr politischen Diktats poststalinistischer Staatsparteien eine "sozialistischen Macht des Arbeiter- und Bauernstaats" begründete. Der Eurokommunismus brach mit der "vierten Internationalen" in den 1970er Jahren unter heftigen Auseinandersetzungen mit der Redeweise von der "Diktatur des Proletariats", die offensichtlich lediglich zu einer Umkehrung einer verselbständigten politischen Macht der Klassen führte und deren wirkliche Aufhebung verhinderte. Was von Lenin noch als Formation einer "Übergangsgesellschaft" über einen sozialistischen Staat gedacht war, endete schließlich in der Formation eines Staatskapitalismus (siehe hierzu auch Linksfaschismus). Das "Missverständnis" war allerdings längst schon durch Lassalle zur Begründung einer Sozialdemokratischen Partei angelegt: "Zwischen der kapitalistischen und der kommunistischen Gesellschaft liegt die Periode der revolutionären Umwandlung der einen in die andre. Der entspricht auch eine politische Übergangsperiode, deren Staat nichts andres sein kann als die revolutionäre Diktatur des Proletariats.(Karl Marx 1875, "Randglossen zum Programm der deutschen Arbeiterpartei", Seite 28) "Worauf beruht eine teilweise, eine nur politische Revolution? Darauf, daß ein Teil der bürgerlichen Gesellschaft sich emanzipiert und zur allgemeinen Herrschaft gelangt, darauf, daß eine bestimmte Klasse von ihrer besonderen Situation aus die allgemeine Emanzipation der Gesellschaft unternimmt. Diese Klasse befreit die ganze Gesellschaft, aber nur unter der Voraussetzung, daß die ganze Gesellschaft sich in der Situation dieser Klasse befindet, also z.B. Geld und Bildung besitzt oder beliebig erwerben kann. Keine Klasse der bürgerlichen Gesellschaft kann diese Rolle spielen, ohne ein Moment des Enthusiasmus in sich und in der Masse hervorzurufen, ein Moment, worin sie mit der Gesellschaft im allgemeinen fraternisiert und zusammenfließt, mit ihr verwechselt und als deren allgemeiner Repräsentant empfunden und anerkannt wird, ein Moment, worin ihre Ansprüche und Rechte in Wahrheit die Rechte und Ansprüche der Gesellschaft selbst sind, worin sie wirklich der soziale Kopf und das soziale Herz ist. Nur im Namen der allgemeinen Rechte der Gesellschaft kann eine besondere Klasse sich die allgemeine Herrschaft vindizieren. Zur Erstürmung dieser emanzipatorischen Stellung und damit zur politischen Ausbeutung aller Sphären der Gesellschaft im Interesse der eigenen Sphäre reichen revolutionäre Energie und geistiges Selbstgefühl allein nicht aus. Damit die Revolution eines Volkes und die Emanzipation einer besonderen Klasse der bürgerlichen Gesellschaft zusammenfallen, damit ein Stand für den Stand der ganzen Gesellschaft gelte, dazu müssen umgekehrt alle Mängel der Gesellschaft in einer anderen Klasse konzentriert, dazu muß ein bestimmter Stand der Stand des allgemeinen Anstoßes, die Inkorporation der allgemeinen Schranke sein, dazu muß eine besondre soziale Sphäre für das notorische Verbrechen der ganzen Sozietät gelten, so daß die Befreiung von dieser Sphäre als die allgemeine Selbstbefreiung erscheint. Damit ein Stand par excellence der Stand der Befreiung, dazu muß umgekehrt ein anderer Stand der offenbare Stand der Unterjochung sein." (MEW 1, S. 388) Marx polemisiert in diesem Text gegen die "nur politische Revolution", gegen die Anmaßung, dass eine politische Klasse durch ihren politischen Willen selbst schon die Vorstellung von eine neuen Gesellschaft einlösen könnte, indem sie die gute Seite der Gesellschaft an die Macht bringt. Es ist eine absurde Utopie zu glauben, dass sich eine Gesellschaft in eine gute und eine böse Hälfte aufspalten ließe, wovon die eine "das notorische Verbrechen der ganzen Sozietät" betreibt und die andere das Potenzial zur "Befreiung von dieser Sphäre als die allgemeine Selbstbefreiung erscheint". Doch genau so wurde der oben stehende Passus gelesen und zu einem völkischen Wesen gemacht, wozu Marx die Pervertierung solcher politischen Einseitigkeit darstellen wollte. Er findet darin die epische Verfassung der Deutschen als Politik des Gemüts (siehe hierzu Realsozialismus), den bescheidenen Egoismus eines solchen Klassenstandpunkts bestärkt und in die Diktatur eines proletarischen Staats (siehe hierzu Linksfaschismus) zu wenden hätte. Er schreibt weiter: "Den Hauptstock der deutschen Moral und Ehrlichkeit, nicht nur der Individuen, sondern auch der Klassen, bildet vielmehr jener bescheidene Egoismus, welcher seine Beschränktheit geltend macht und gegen sich geltend machen läßt. Das Verhältnis der verschiedenen Sphären der deutschen Gesellschaft ist daher nicht dramatisch, sondern episch. Jede derselben beginnt sich zu empfinden und neben die andern mit ihren besondern Ansprüchen sich hinzulagern, nicht sobald sie gedrückt wird, sondern sobald ohne ihr Zutun die Zeitverhältnisse eine gesellige Unterlage schaffen, auf die sie ihrerseits Druck ausüben kann. Sogar das moralische Selbstgefühl der deutschen Mittelklasse beruht nur auf dem Bewußtsein, die allgemeine Repräsentantin von der philisterhaften Mittelmäßigkeit aller übrigen Klassen zu sein. Es sind daher nicht nur die deutschen Könige, die mal-à-propos 'zur Unzeit' auf den Thron gelangen, es ist jede Sphäre der bürgerlichen Gesellschaft, die ihre Niederlage erlebt, bevor sie ihren Sieg gefeiert, ihre eigene Schranke entwickelt, bevor sie die ihr gegenüberstehende Schranke überwunden, ihr engherziges Wesen geltend macht, bevor sie ihr großmütiges Wesen geltend machen konnte, so daß selbst die Gelegenheit einer großen Rolle immer vorüber ist, bevor sie vorhanden war, so daß jede Klasse, sobald sie den Kampf mit der über ihr stehenden Klasse beginnt, in den Kampf mit der unter ihr stehenden verwickelt ist." (MEW 1, S. 389) Einer der folgenschwersten Fehler der Widerstandsbewegungen (siehe auch Widerstandskultur) im 19. und 20. Jahrhundert war daher auch der Begriff der "Diktatur des Proletariats". Er war als Kampfbegriff der Arbeiterbewegung schon virulent, bevor ihn auch Marx und Engels aufgenommen hatten. Er sollte in der Konfrontaion zur Diktatur des Kapitals dieser die Diktatur der Arbeit entgegenhalten, um einen geschichtlichen Aufhebungprozess von Diktatur überhaupt in einer geschichtlichen Dimension zu beschreiben, die zu einer klassenlosen Gesellschaft, zu einer Gesellschaft ohne Klassenkampf führen soll. Doch damit war die gesellschaftliche Veränderung nur negativ bestimmt und die Emergenz der neuen Gesellschaft, ihre qualitative Erneuerung unbestimmt, eigentlich sogar verunmöglicht, indem der Mehrwert schaffende Industriearbeiter zum Idol der "befreiten Arbeit" wurde, die lediglich aus seiner Produktivkraft bestehen kann und Produktivität als das ausschließliche Ziel dieser "neuen Gesellschaft" gelten konnte. Das aber machte diese Gesellschaft geradezu abhängig von ihrer bloßen Produktion und verhinderte ihre Beziehug auf menschliche Bedürfnisse, welche die Subjektivität einer jeden Arbeit ausmachen. Dies konnte nicht ohne eine ideologische Gewalt gelingen. Der Diktatur des Proletariats musste als Kampfbegriff der Arbeiterklasse eine geschichtsnotwendige Übergangsgesellschaft untergeschoben werden, um den Kampf um die Produktivkraft jenseits der Bedürfnisse zum Ende zu bringen. Revolution wurde damit lediglich auf politische Kampfformationen reduziert, auf "Mittel der Befreiung", deren Zweckerfüllung erst in einer jenseitigen Zet aufgehen sollte. Daran beteiligten sich allerdings auch marxistische Argumentationen: "Da das Proletariat während der Periode des Kampfs zum Umsturz der alten Gesellschaft noch auf der Basis der alten Gesellschaft agiert und daher auch noch in politischen Formen sich bewegt, die ihr mehr oder minder angehören, hat es seine schließliche Konstitution noch nicht erreicht während dieser Kampfperiode und wendet Mittel zur Befreiung an, die nach der Befreiung wegfallen."(MEW 18, S. 636) Die Schlussfolgerug hieraus formuliert Marx auch noch 1875 in der "Kritik des Gothaer Programms": "Zwischen der kapitalistischen und der kommunistischen Gesellschaft liegt die Periode der revolutionären Umwandlung der einen in die andere. Der entspricht auch eine politische Übergangsperiode, deren Staat nichts anderes sein kann als die revolutionäre Diktatur des Proletariats." (MEW 19, S. 28) Aber eine Diktatur ist eine politische Form, die nur über einen Staat gesichert sein kann. Es ist daher ein unmöglicher, ein fehlerhafter Schluss, nach welchem der Staat durch eine revolutionäre Diktatur ersetzt werden müsse, die selbst nur Staat sein kann, um einer "Übergangsperiode" zu dienen, die durch proletarische Staatsgewalt zur kommunistischen Gesellschaft führen würde. Eine proletarische Staatsdiktatur ist ein Widersinn in sich: Stellt das Proletariat als "Masse der Lohnarbeit" (Engels) wirklich den überwiegenden Teil der Bevölkerung dar, so handelt es sich in dieser "Übergangsgesellschaft" nicht um eine Diktatur, sondern um eine Form von Demokratie, die sich allerdings von der repräsentativen Demokratie des Kapitalismus wesentlich darin unterscheidet, dass sie sich gegen die politische Macht des Kapitals stellt, der gesellschaftlichen Formation eines aufgeschatzten Privateigentums, die zwangsläufig die Arbeit per Lohndiktat beherrschen muss, um Mehrwert zu produzieren. Der Begriff einer Dikatur bringt eine völlig absurde Dimension ein: die Verewigung objektiver Machtbestimmung, die Verewigung von Fremdbestimmung die sich dann als "Gewalt der Arbeit" formieren muss. Das steht ganz im Widerspruch zum Marxschen Emanzipationsbegriff und ist daher ein immanenter Widerspruch seiner Aussagen. Den hat Thomas Meyer schon 1973 ausführlich als Widerspruch zwischen der philosophischen und politischen Argumentation bei Marx beschrieben, in der Marx von einem "philosophierten Proletariat" ausgehend sich an das wirkliche Proletariat gewendet habe: "Marx' Argumentation zugunsten der universellen Mission einer partikulären Klasse ... ist weder ökonomisch noch eigentlich historisch motiviert oder begründet. Sie ist im Grunde ein spekulativ-kategoriales Begriffsspiel. Sie lebt von der Logik der exzessiven Interpretation eines begrifflichen konstruierten Alles-oder-Nichts-Spiels, das empirisch gehaltlos ist. Das Argument erklärt sich daher nicht so sehr von seinem Gehalt her, sondern im Hinblick auf seinen Zweck der Entkräftung der geschilderten Argumente, die einer positiven Fassung der Arbeiterexklusivismusthese im Wege stehe. Welche Qualitäten sind es, die das Gelingen der Universalität des Proletariats verbürgen sollen? Das Leiden dieser Klasse ist universell, an ihr wird das Unrecht schlechthin verübt und das Proletariat ist ein Stand außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft. Aus diesen, sämtlich nur metaphorisch sinnvoll zu interpretierenden spekulativen Attributen leitet Marx den Schluß her, daß eine solche Klasse sich nicht befreien könne, ohne "alle übrigen Sphären der Gesellschaft zu emanzipieren". Dies ist in Anbetracht des Gehalts der Prämissen weder ein logisch zwingender noch ein empirisch plausibler Schluß. Denn es wäre z.B. ebensogut der andere Schluß möglich gewesen, daß dem Proletariat schon mit einer Graduellen Minderung seiner Leiden wesentlich geholfen sei, da es jetzt universell leide; daß ihm sein Recht oder größeres Recht eingeräumt werden müsse, da jetzt das Unrecht schlechthin (?) an ihm verübt werde; und daß es endlich in die Gesellschaft integriert werden müsse, da es jetzt noch außerhalb steht." (Thomas Meyer 1973: "Der Zwiespalt in der Marx'schen Emanzipationstheorie - Studie zur Rolle des proletarischen Subjekts", S. 80 f)) Aber die Folgen aus diesem Wortspiel sind gravierend: "Sein viel weiterreichender Schluß basiert auf einem semantischen Spiel mit dem Wort "völlig". Da der Proletarier der "völlige" Verlust des Menschen sei, könne er sich auch lediglich durch eine "völlige Wiedergewinnung des Menschen" selbst gewinnen. Der von Marx postulierte Umschlag aus "völliger" Entmenschlichung in "völlige" Gewinnung des Menschen kann hinsichtlich seines sozialphilosophischen Gehalts nur als ein "hiatus irrationalis" gedeutet werden. Marx läßt sich bei dieser Konstruktion denn auch im wesentlichen vom argumentationsstrategischen Zweck seiner Darlegung leiten. Es wird nämlich deutlich, daß Marx alles darauf ankommt, eine Argumentationsbasis zu finden, auf welcher die positiven Implikationen der Argumentationsfigur eines "philosophischen Proletariats" gegen die vorgebrachten Bedingungen seiner Unmöglichkeit gerettet werden können. Wenn vorerst auch nur als spekulative Behauptung, so scheint doch mit dem Universalitätsargument die Möglichkeit nähergerückt, den Gedanken einer arbeiterexklusiven Revolution zu konstruieren, der nicht mehr Resultat einer defekten, weil kurzsichtigen Philosophie, sondern Schlußfolgerung aus einer bündigen Argumentation ist. Gerade weil es im Zuge der Herstellung der Bedingungen der Möglichkeit eines philosophiegerechten Proletariats entwickelt wird, gewinnt das spekulativ-kategoriale Argument vor dem Hintergrund des Standes der zeitgenössischen Diskussion des Problems seinen spezifischen Sinn." (ebenda S. 81) Es ist das Problem des "Dialektischen Materialismus", den Engels aus dem Historischen Materialismus von Karl Marx gemacht hatte und dessen Widerspruch zwischen Subjekt und Objekt der Klassenkämpfe sich hier auftut, der die Klassen selbst zu Objekten einer geschichtlichen Notwendigkeit macht und sie damit zum Träger einer geschichtlichen Aufgabe personifiziert. Aus diesem Geschichtsobjektivismus resultiert die Vorstellung einer "Diktatur des Proletariats", wodurch in der industriellen Arbeiterschaft der fortschrittliche Mensch verstanden wurde, der vom Kapital ln seiner gesellschaftlichen Bildung gehindert werde. Nicht die Aufhebung einer anachronistischen Form gegen die schon entwickelten gesellschaftlichen Inhalte, der Produktivität und Sensibilität des modernen Menschen, die Realisierung seiner Beziehung von Arbeit und Bedürfnis, sondern die politische Eroberung der gesellschaftlichen Macht der Arbeit wird damit als geschichtlich notwendige Emanzipation verstanden. Solcher Geschichtsobjektivismus brachte die Positionierung eines geschichtlichen Subjekts der Macht mit sich, das aus der Arbeit zum Diktat bestimmt ist, das also aus einer Notwendigkeit, die selbst von eden Bedürfnissen der Menschen ausgeht, getrennt zu verstehen wäre, quasi als Naturnotwendigkeit einer objektiven Macht, die als objektives Sollen des Stoffwechsels der Menschen mit ihrer Natur, die dann mit einem naturhaften Stoffwechsel des Menschen überhaupt gleichgesetzt wäre. Es wäre demnach das Bedürfnis nicht als bestimmender Inhalt der Arbeit und Natur der Menschen begriffen, sondern die Arbeit als schlichte Notwendigkeit, die keine Freiheit kennt. Dies entsprach aber eher dem Verstand der Aufklärung als der des historischen Materialismus von Marx. Da dieses Verständnis allerdings innerhalb der politischen Diskussionen der Arbeiterbewegung auch von Marx verwendet worden war, führte es in der gesamten Marx-Rezeption der Arbeiterbewegung zu eklatanten Missverständnissen. Was darin gemeint war als Entgegnung zur "Diktatur des Kapitals", welche als politischer Zweck einer geselschaftlichen Revolution skandiert wurde, als notwendig konträre Position im Klassenkampf des 19. Jahrhunderts, welche in der Konfrontation zum Kapital als Bestimmungsmacht der Arbeit aufgehen sollte, als ursprüngliche Macht der Produktion innerhalb des Klassenverhältnisses, wurde damit selbst zu einer übergeschichtlichen und übernatürlichen Bestimmung, die sich über jedes menschliche Bedürfnis stellte. Anstelle von diesem Inhalt der Arbeit wurde damit ihre Form innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft als Klasse der Negation des Kapitals fixiert und damit eine dem Kapitalismus immanente Gewalt selbst zu einem Subjekt der Transformation bestimmt, das seine eigene Kraft bewahrheitet und darin zur Aufhebung des Klassenkampfs zu einer Gesellschaft treibt , in der kein Diktat herrschen könne und also auch kein Klassenkampf mehr sein müsse. Das war als Formuleirung einer objektiven Geschichtsdialektik gemeint, die aussagen sollte, dass die Herausarbeitung des Proletariats als wirkliche Bestimmungsmacht der Geschichte in der Negation des Kapitals auch die Negation der Negation, also die Aufhebung der Diktatur des Proletariats und damit des Klassenkampfs überhaupt verwirklicht wird. Der Prozess der Konfrontation der Diktaturen konnte also nichts anderes besagen, als dass darin Diktaturen untergehen, weshalb das Proletariat im Kampf der Klassen seine bestimmende Macht artikulieren muss - allerdings nicht, um an die Macht zu kommen, sondern um den Entstehungakt der klassenlosen Gesellschaft selbst zu formulieren. Aber auch Marxens Formulierungen waren zeitweise sehr von den Redewendungen seiner Zeit bestimmt, so dass es auch vorkommt, dass er den Begriff des französischen Sozialisten Auguste Blanqui von der "Diktatur des Proletariats" - z.B. in den Randglossen zum Gothaer Programms - als Kampf- und Agitationsbegriff verwendet hatte. Gemeint war damit nicht die Position eines Begriffs übergeschichtlicher Geschichtsbestimmung, sondern eine geschichtliche Notwendigkeit, das Bürgertum mit seinen Besitzständen in Ökonomie, Kultur und Staat zu entmachten, um die darin beschränkten und beherrschten gesellschaftlichen Beziehungen auch gesellschaftlich und international zu verwirklichen. In dem Sinne ist diese Redewendung zu verstehen, wie Marx im "Kommunistischen Manifest" geschrieben hatte: "Mögen die herrschenden Klassen vor einer kommunistischen Revolution zittern. Die Proletarier haben nichts in ihr zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen. Proletarier aller Länder, vereinigt euch!" (MEW 4, S. 493) Ohne das Verständnis von dialektischer Formulierung hatte dies allerdings - besonder bei Lenin und Stalin - zu dem Missverständnis geführt, dass eine Diktatur des Proletarialts tatsächlich anzustreben sei, als müsse eine selbständige geschichtliche Epoche als Negation der vorausgehenden, der Diktatur des Kapitals, sich auch wirklich ereignen. Dies jedoch ist schon vom Verständnis der Dialektik her völllig unsinnig: Sie kann sich immer nur auf das Ganze einer Epoche beziehen, nicht Geschichtsepochen hintereinander definieren. Solche "Dialektik" wäre ein Unding, ein Geschichtsdeterminismus, der nicht geschichtliches Denken zuließe, sondern einen Begriff behaupten würde, welcher selbst Geschichte zu bestimmen hätte - ganz im Widerspruch zum historischen Materialismius, wonach sich der Begriff nur als notweniges Ganzes einer Geschichte und als Begreifen, als begriffenes Wissen, als Bewusstsein ihrer Veränderung herausstellen kann, nicht aber als übergeschichtliche Notwendigkeit eines dialektischen Materialismus, aus welchem heraus sich Geschichte zu begründen hätte. Aber aus der Gleichsetzung von dialektischen und historischem Materialismus heraus war Geschichte tatsächlich deterministisch verstanden worden, als es in der russischen Revolution mit diesen Begriff zusammen mit den "ewigen Wahrheiten des Marxismus-Leninismus" ging und die Arbeiterklasse in der Form einer Führungspartei als Avantgarde der gesellschaftlichen Entwicklung begriffen wurde - fatal, was den Marxismus als Bewusstsein menschlicher Emanzipation betrifft. Es war das geistige Begräbnis einer Bewegung, die sich gegen die Herrschaft des Bürgertums gewendet hatte, nicht gegen ein Feudalsystem, wie es der russische Zarismus war. Eine Klasse kann weder zur Bestimmung der Geschichte zu einer klassenlosen Gesellschaft taugen, noch als Moment dieser Geschichte mehr sein als ein Relikt der alten Gesellschaft. Aber sie kann dem Inhalt nach die Momente einer neuen Gesellschaft in sich tragen, welche in der Lage ist, die Formen der alten zu sprengen - so wie auch die Technologie auf der Seite des Kapitals rein sachlich auch Moment seiner Überwindung ist. Bei Marx war kein Geschichtsobjektivismus angelegt, als er in der Verwendung des Begriffs "Diktatur des Proletariats" formuliert hatte, dass das Proletatiat die Kraft in sich trägt, die Fesseln der alten Gesellschaft zu sprengen. Bei Marx war dies als Moment der Revolution, als objektive Notwendigkeit aufgenommen, - als Teil eines geschichtlichen Prozesses, in welchem sich Bourgeoisie und Proletariat gegenüberstehen, sozusagen als dialektische Antithese in der Bildung einer sozialistischen Gesellschaft, die sich "objektiv" zu einer klassenlosen Gesellschaft entwickeln müsse. Eine subjektive Wendung hin zu einem Faschismus, eine Logik der schlechten Negation, war ihm nicht denkbar, eine Verherrlichung des Todes, welche die Faschisten zum Teil als subjektiven Antrieb hatten, kam bei Marx lediglich als Barbarei, als Ungeschichte. Mit einer Blindheit vor der Geschichte negativer Subjektivität war auch die Linke, die sich auf Marx bezog, geschlagen. Nur so konnte die Geschichtsauffassung sich halten, dass das Leben in jeder Form weitergeht, auch wenn es "vorläufig" über eine Gewalt des arbeitenden Subjekts sein müsse, bis dieses selbst zur Gesellschaft geworden, zur kommunistischen Gesellschaft. Und dieses sei nach den Grundlagen des Marxismus nun mal das Proletariat. Es gibt auch keinen objektiven Grund, warum sich aus einer Diktatur, welche zugleich als politische Form einer entwickelten Industrie gedacht ist, eine Menschwerdung der Gesellschaft (Kommunismus) ergeben soll. Wäre behauptet, dass das Proletariat in der sozialistischen Gesellschaft Mensch im Unterschied zum nicht arbeitenden Menschen ist, wozu dann Diktatur? Wäre behauptet, dass die Diktatur das politische Streben der Menschwerdung enthielte, dem die Menschen durch Politik folgen sollten, wozu dann die Kritik der politischen Ökonomie? Der Begriff der Diktatur zergeht im Widerspruch von politischer und ökonomischer Emanzipation, von Staat und Avantgarde, von Partei und Ganzes. Wäre die Politik nur die Bekämpfung der überkommenen Gesellschaftsform, so wäre keine Diktatur nötig, sondern die Entfaltung der neuern Gesellschaft; wäre die Politik nötig als Konstitution einer neuen Ökonomie, so wäre sie nicht Emanzipation, sondern Diktat der Zukunft gegen die Gegenwart (also Herrschaft des Todes und nicht Verwirklichung des Lebens). Der Bogen, den revolutionäre Dialektik beschreiben will, ist in einem Widersinn überspannt. Das hatte einige Folgen: a) Der Begriff einer gesellschaftlichen Schicht wurde zum Klassenbegriff. Proletariat bezog sich ursprünglich auf Armut. Über die Logik des Kapitals ist Armut zwar ein Phänomen des Reichtums an Kapital und Mehrprodukt in der bürgerlichen Gesellschaft, aber nicht mit dem arbeitenden Subjekts identisch. Dieses besteht aus allen Momenten der Arbeit, die in alle gesellschaftlichen Bereiche und Schichten streuen, nicht nur in Kopf- und Handarbeit. Das Subjekt der Gesellschaft konnte daher niemals aus der Armut in der Aneignung des Reichtums entstehen, sondern in der freien Vergesellschaftung der Arbeit, die zugleich eine Vergesellschaftung des Reichtums sein muss. Diese Logik des Kapitalismus hat Marx ja auch hinreichend bewiesen und den den Untergang der bürgerlichen Gesellschaft selbst als Moment der Subjektwerdung des Menschen aufgefasst, wie er ihr das auch als Resultat der bürgerlichen Revolution zugegeben hatte. Revolution ist dabei nicht das Zusichkommen einer Klasse, sondern qualitatives Moment der Gesellschaftsgeschichte des Menschen, die identisch ist mit der Geschichte seiner Subjektwerdung, der "Bildungsgeschichte seiner Sinne" (Marx). b) Die Logik der Ökonomie einer Klassengesellschaft machte diese Klasse, die ja an sich nur auch als Klassengegner Klasse ist, zum Moment einer Menschwerdung, zur Dialektik eines neuen Ganzen, das sich nur die ihm abholden Mittel aneignen müsse, um dies schon zu erfüllen. So sollte Menschwerdung Aneignung von Mitteln sein - ein Widersinn in sich. Der darin versteckte "Neid auf das Bestehende", den Marx an den Sozialisten seiner Zeit schon konstatierte, sollte damit Bestandteil von revolutionärem Bewusstsein sein. Das aber ist reaktionär. c) Revolution als Akt einer objektiv nötigen Aneignung von Mitteln kann niemals Dialektik ausmachen, da Mittel immer nur Moment von Vermittlung sind und bleiben, bis die Vermittlung selbst subjektiv aufgehoben wird, abstrakte Arbeit sich in konkreter Arbeit auch wirklich aufhebt. Dialektik kann nur erschließen, wonach Gegenwärtiges strebt, nicht was aus der Zukunft in Folge werden kann - etwa: Bürgerliche Gesellschaft - Sozialistische gesellschaft - Komunistische Gesellschaft. Das ist Geschichtsobjektivismus. Nur soweit Kommunismus gegenwärtig ist, kann er auch wirklich werden, - nicht aber über die Brücke eines dubiosen Sozialismus, der sich erst mal den bürgerlichen Staat zu eigen macht und ihn totalisieren muss, um die Partei der Armut, die proletarische Partei, gegend das Ganze der Gesellschaft zu wenden. Dies heißt aber auch nicht, dass die verschwindenden, weil unnötig werdenden Formen der bürgerlichen Gesellschaft schlagartig und gewaltsam beseitigt werden müssten, sondern dass die Inhalte des Kommunismus in der bürgerlichen Gesellschaft gegen das Kapital als überflüssige Form gewendet werden können, nicht unbedingt (also ohne fremden Grund) mit Gewalt, wenn das Siechtum des Kapitals seine Überflüssigkeit in seinen Krisen selbst vorführt. Allerdings müssen darin die komunistichen Inhalte auch sichtbar gemacht und gesellschaftlich in Form gebracht werden. Eine politische Partei (SPD, PDS o.ä.) kann dies ebenso wenig, wie Parlamentarismus überhaupt. Er oder sie kann bestenfalls hilfreich sein, wenn sie in diesem Bewusstein judikativ, exekutiv und legistaltiv tätig ist und sich gegen ihr Dasein als politische Klasse wendet. |
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