Der Gaul Es läute>t beim Professor Stein. Die Köchin rupft die Hühner. Die Minna geht: „Wer kann das sein? - Ein Gaul steht vor der Türe." Die Minna wirft die Türe zu. Die Köchin kommt: „Was gibts denn?" Das Fräulein kommt im Morgenschuh. Es kommt die ganze Familie. „Ich bin, verzeihn Sie," spricht der Gaul, "der Gaul vom Tischler Bartels. Ich brachte Ihnen dazumaul die Tür- und Fensterrahmen!" Die vierzehn Leute samt dem Mops, sie stehn, als ob sie träumten. Das kleinste Kind tut einen Hops, die andern stehn wie Bäume. Der Gaul, da keiner ihn versteht, schnalzt bloß mal mit der Zunge, dann kehrt er still sich ab und geht die Treppe wieder hinunter. Die dreizehn schaun auf ihren Herrn, ob er nicht sprechen möchte. „Das war", spricht der Professor Stein, „ein unerhörtes Erlebnis! . . ." Christian Morgenstern (1871 - 1914) Ein Erlebnis ist isoliert wahrgenommenes Leben, das sich aus einem verselbständigten Erleben von gesellschaftlichen Beziehungen in entsprechenden Lebensverhältnissen herausgesezt und für sich fixiert hat, in seiner Ausschließlichkeit eingeschlossen ist, indem es für sich genommen als Form eines reinen Lebens erscheint. Objektiv sind Erlebnisse Erfahrungen bloßer Ereignisse einer mehr oder weniger bestimmten bzw. zufällig scheinenden Geschichte (siehe hierzu auch historischer Materialismus). Darin teilen sich die Menschen nicht nur ihre Wahrnehmungen, sondern vor allem auch die Inhalte ihrer zwischenmenschlichen Beziehungen, die Reize ihrer wechselseitigen Selbstwahrnehmung mit. Das auf diese Weise produzierte Erleben ist eine vergemeinschaftete reflektive Form der Wahrnehmung (siehe auch Stimmung). Durch das Er-Leben, worin sich Leben allerdings nur monadisch vermittelt, reduziert es sich auf die Art und Weise wie es sich ereignet. Weil es in dieser Form so objektiv wie subjektiv ist (siehe auch Konsum), kann es sich durch Erleben nicht entwickeln. Durch die Erlebnisse in ihren zwischenmenschlichen Beziehungen teilen sich die Menschen die Reize ihres Lebens mit. Erleben ist daher eine nur reflektive Form des Lebens: eines Er-Leben, worin sich Leben so vermittelt wie es sich ereignet. Durch die Erlebnisse in ihren zwischenmenschlichen Beziehungen teilen sich die Menschen die Reize ihres Lebens mit – einmal subjektiv durch ihre Empathie und zugleich objektiv als Gemeinschaft in Gefühlen (siehe auch Massengefühl). Erleben kann von da her lediglich seine Bedingtheit nur durch seine Lebensumstände besondern oder bestärken und von daher als ein abgesondertes Leben in seinen zwischenmenschlichen Verhältnissen totalisieren (siehe auch heile Welt). Denn im Erleben kann nur wahr sein, was man vom Reiz des Erlebens spürt und in seinem zwischenmenschlichen Material empfindet. Durch die im Reiz aufgehobene Regung, durch die Unterschiedslosigkeit seiner in ihrer Erregung vernutzten Empfindungen wird die Wahrnehmung gleichgültig gegen ihre Geschichte, Denn sie erinnert nicht, wie sie enstanden ist, weil nur wahrgenommen wird, was "ins Auge fällt", was einfach nur zufällt, wie es aus fremden Gründen erzeugt wird und daher als Ganzes nur zufällig, "irgendwie" als gegeben erscheint. Erleben hat zwar Ursachen. Ihre Wirkung besteht aber aus den bloßen Ereignissen einer ungegenständlichen Wahrnehmung. Es ist lediglich der Eindruck ihrer Wirkung (siehe auch Reiz), die verbleibt eine Wahrnehmung mit Folgen für für das reine Selbstgefühl, das die Inhalte seiner Empfindungen außer sich lassen kann und daher nur sich selbst ohne Grund außer sich weiß. Es ist lediglich die Selbstwahrnehmung einer abstrakten Selbstgewissheit, die hierbei belebt wird. Und die ist die Wirkung einer nur reizvollen ohne einen bestimmten Gegenstand, wird also nur für sich und durch sich für wahr genommen, auch wenn dabei Leben als etwas ganz anderes wahrgehabt wird. Nur mit der Wahrnehmung der eigenen Produkte finden die Menschen ihr Leben als ihre Wahrheit so, wie sie darin ihr Leben empfinden als etwas, das für sie da ist. Da gibt es keine zweifelhafte Wahrnehmungen der Menschen, die darin ihr Leben geäußert haben. Wo das Erleben zu einer eigenständigen Form der Wahrnehmung geworden ist (siehe auch Verselbständigung), wird das Erlebnis zur Bestimmung ihrer Inhalte. Darin konzentrieren sich viele Empfindungen zu einem Gefühl, wie es sich aus dem Erleben von Ereignissens ergibt, durch welche das Leben als Lebensform bestimmend wird. Erlebnisse sind von da her Formen von Wahrnehmungen, deren Inhalt körperlich wie geistig die Gefühl von Menschen bestimmt. Mit der Art ihrer Zurichtung der auslösenden Ereignisse können daher auch bestimmte Gefühle hergerichtet werden, die ganz objektive Inhalte vermitteln (siehe auch Eventkultur). Durch derart objektiv bestimmte Gefühle findet hierbei eine passive Sinnbildung statt, die durch das Zusammenströmen verschiedenster Eindrücke auf die Wahrnehmung Gefühle erzeugt, die ihre Empfindungen bedrängen und zu einem Wahrnehmungshintergrund gestalten, der sich nicht aus einer gegenständlichn Wahrnehmung, sondern aus dem bildet, was dem Ereignis und der Gegenwart eines wahrnehmenden Menschen zu eigen ist. Was darin lebt, wird zu einer Gewohnheit der Wahrnehmung, zu einem Selbstgefühl, das sich von seien Empfindungen abgetrennt hat. Es ist das passive Leben, das in den Menschen je nach Einfall einfällt und einfühlt und sie füllt, vielleicht als reizvolles Ereignis in Erinnerung bleibt, - gerade so isoliert, wie es aufgetreten war. Es beeindruckt die Wahrnehmung im Ganzen und verändert sie dem entsprechend auch, weil darin die einfachsten Tätigkeiten in ihrem Zusammenhang nicht empfunden werden, sondern zu Gefühlen zusammengebracht werden, wie sie sich aus den Eindrücken der Ereignisse ergeben und sich auch durch sie und ihre Anordnung bestimmen lassen (siehe auch Liturgie, Ritual). Ein Vorgang, der zum Erlebnis gebracht wird, verlässt seine objektive Herkunft und wird zu einem subjektiven Gehalt der Wahrnehmung. Waren zum Beispiel zuvor die Menschen vielleicht durch Einkaufssituationen noch gelangweilt, so wird der "Erlebnispark" oder der "Erlebnismarkt" zu einem Anreiz, der ihre Aufmerksamkeit und Wahrnehmung einfangen kann und die Langeweile der formalen Verhältnisse, wo sie selbst substanzlos geworden sind, vertreibt und sie von außen her belebt, animiert. Ein Erlebnis ist ein Ereignis, das belebend wirkt, - besonders wenn die Selbstwahrnehmung Leben nötig hat, sich relativ leblos wahr hat. Wenn dieses ohne eine wirkliche Beziehung ist entsteht ein Geltungsstreben, das durch Erlebnisse Selbstgefühle für seinen ästhetischen Willen nötig hat. Es ist der Eindruck, den hierdurch Leben auf Menschen macht, sie anregt, also durch das Erleben einen Reiz in ihren Empfindungen und Gefühlen wahrnehmen lässt. Leben lässt sich aber nur in seiner Geschichte begreifen. Im Erlebnis erfährt man Ereignisse als Momente für sich so, wie sich das bloße Erleben zur Belebung der eigenen Regsamkeit eignet, hierfür nützlich ist. Wie Erlebnisse für sich zu vestehen sind, wie sie also der Verstand auffassen kann oder will, hängt davon ab, wieweit sie ihre Lebenssubstanz in ihrer isolierten Ereignishaftigkeit noch mitteilen. Als bloßes Lebensereignis hinterlässt es wie jede Art von Ereignissen eine Folge von Beziehungslosigkeiten. Geschichte entsteht in ihrem Sinnzusammenhang, im Verhältnis von Grund und Folge. Ereignisse mögen zwar verursacht sein, stehen in ihrer Wirkung aber für sich. Sie sind Geschehnisse, wie sie aus sich heraus auftreten, wie sie sich zueignen oder zutragen, als ob sie ihre Geschichte, ihre Herkunft und Hinwendung durch ihr bloßes Existieren überwältigen könnten. Sie sind gerade so, wie sie sich das Leben von Gelegenheiten zu eigen machen, wie es zugefallen, zufällig aufgetreten ist - als isoliertes Leben, wie es eben unverbunden erscheint, weil es aus keiner bestimmten Beziehung ergangen war, nicht aus einer wirklichen Beziehung begründet zu sein scheint. Ein Erlebnis ist ein verselbständigtes Moment des Lebens, ist damit der Gehalt des Erlebens, also das, was hiervon substantiviert ist. Es ist daher eine Reflexion des Erlebens, worin Leben als einzelnes Ereignis wahrgenommen wird. Es ist die einzelne Wahrnehmungsform in einem bestimmten Lebenszusammenhang, wie sie in ihrer Vereinzelung im Gedächtnis verbleiben kann. Darin ist Leben für sich genommen in seiner isolierten einzelnen Gestalt, in welcher es für sich selbst ausgeschlossen, entäußert ist. Das Erleben ist das vom Leben herausgesetzte Wahrnehmen eines Lebensereignises, dessen Sinn alleine im Moment steckt, ohne Grund und Folge, ohne Geschichte und Erkenntnis, ganz für sich als etwas, das die Selbstwahrnehmung belebt. Darin zeigt sich die passive Form eines widerscheinenden Lebens, die noch als Moment der Wahrnehmung. vom Leben zehrt und es auch auszehrt, konsumiert. Im Erlebnis fließen Ereignisse zusammen, die aus ihrer Geschichte herausgenommen sind, noch ganz in der Erlebensweise lebendig geworden sind durch das Leben, das sie reflektieren und das sie als ihr Produkt vorgeben können, weil es vorgegeben ist: Es ist die Affirmation der Lebensform als solche (siehe Lebensraum), die im Erlebnis ihre Güte erfährt. Im Erlebnis wird Leben selbst gegenständlich und greifbar - wenn auch oft unbegreifbar. Das Erlebnis ist ein Augenblick des Lebens in seiner Leidensform, also passiv: Leben, wie es als Moment für sich wahrgenommen und für die Wahrnehmung als Ereignis der Selbstwahrnehmung genommen wird, soweit es dem Selbsterleben entspricht. Aktiv wird solches Erleben als Überlebensform in der Erzeugung eines stellvertretenden Lebens, worin Ereignisse zur Bühne des Lebens werden, auf der die Menschen ihre Rollen spielen, um sich am Leben zu erhalten. Sie stellen sich als Stellvertreter ihres Lebens dar, für ein Leben, wie es für sie lebenswert erscheint und was in den Ereignissen der Kultur als Erfahrung erwünscht und also als Erlebensform für zwischenmenschliche Verhältnisse der Selbsterfahrung entwickelt wird. Das macht zunächst auch die einfachste Ereignisproduktion aus, z.B. ein Spaziergang in der "freien Natur". Es besteht kein Zweifel, dass der ein Erlebnis ist und er muss auch hieraus nicht anders erwogen werden. Und doch setzt er schon die Abtrennung von Natur voraus, die durch ihn quasi überbrückt wird, das im Zusammenhang Verlorene zumindest wieder für die Wahrnehmung gewonnen wird. Das Glück des Erlebnisses steckt in der Restauration von Entzweiung, im Wiederfinden des Ausgeschlossenen, wenn auch in einer selbständigen Form. Jeder Erlebnispark will das ebenso herbeiführen, allerding mit dem Unterschied, dass hierin alle Ereignisse nicht gebildet, sondern inszeniert werden. Hier wird Leben schon nach seinem Erlebniswert bemessen und für eine bestimmte Kulturauffassung hergerichtet (siehe Event-Kultur). Eine Erlebniskultur macht Lebensereignisse zu Gegenständen des Kulturkonsums und entleibt darin die Ereignisse von ihrem Sinn, den sie ihrer Herkunft nach als Einfälle von Menschen haben. Als Eventkultur, als Kultur der Ereignisproduktion verschafft sie bürgerliche Kultur über Bühne und Medien die Erlebnisse, die ihnen eine Identität ihrer Wahrnehmung als Selbstwahrnehmung übermittelt. Von daher ist die ganze Politik dieser Kultur darauf ausgerichtet, Erlebniswerte zu verschaffen, welche Identität stiften, wo vom wirklichen Leben der Menschen her keine mehr sein kann. Solche Politik vollzieht sich aber meist nicht durch politische Formationen (siehe Propaganda), sondern in den Absichten der Menschen selbst. Das macht die Verfänglichkeit der bürgerlichen Kultur aus und ihre reaktionäre Substanz, sobald sie populistisch in den Dienst des Staats gerät (siehe Kulturstaat). |
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