"Ist es zu verwundern, daß, wenn man nach und nach alles fallen läßt, was die Individualität eines Hauses ausmacht, wenn man von den Baustoffen absieht, woraus es besteht, von der Form, die es auszeichnet, man schließlich nur noch einen Körper vor sich hat; daß, wenn man von den Umrissen dieses Körpers absieht, man schließlich nur einen Raum hat; daß, wenn man endlich von den Dimensionen dieses Raumes abstrahiert, man zum Schluß nichts mehr übrig hat als die Quantität an sich, die logische Kategorie der Quantität? Wenn wir solchermaßen konsequent abstrahieren, von jedem Subjekt, von allen seinen belebten oder unbelebten angeblichen Akzidenzien, Menschen oder Dingen, so haben wir ein Recht zu sagen, daß man in letzter Abstraktion nur noch die logischen Kategorien als Substanz übrig behält... Daß alles, was existiert, daß alles, was auf der Erde und im Wasser lebt, durch Abstraktionen auf eine logische Kategorie zurückgeführt werden kann, daß man auf diese Art die besagte wirkliche Welt ersäufen kann in der Welt der Abstraktionen, der Welt der logischen Kategorien - wen wundert das? " (Marx, MEW 4 , S. 127) Eine Abstraktion sieht von den verschiedenen konkreten Inhalten einer Beziehung ab, sei es in Gedanken (siehe z.B. Ideologie) oder in der Wirklichkeit. Sie reduziert ihren Gegenstand auf das, was als leere Form ihrer Substanz nur in ihrer interpretation übrig bleibt, wenn ihr Inhalt nicht für wahr genommen wird - im Gedanken z.B. als bloße Idee, in Wirklichkeit z.B. als bloße Tätigkeit. Für eine Gedankenabstraktion stellt ihre Abstraktion die Kraft ihrer Idee als Abstraktionskraft des Verstandes dar, die zugleich von dem absieht (siehe auch Absicht) was ihre Wirkung ausmacht. Darin zeigt sich dann auch das subjektives Unvermögen des abstrakten Denkens als konkrete Regung gegen sein konkretes Dasein, das sich in einer anwachsenden Erregung ausdrückt. Darin verkörpert sich ihre Wahrheit in dem Maß, wodurch sie genichtet wird, in dem Maß, worin es seine Abstraktionshöhe nicht mehr bewältigt werden kann, in dem sie also in der Allgemeinheit ihres Gedankens ihre Wirklichkeit verliert, sich gegen sie verselbständigt (siehe hierzu auch Ideologiekritik). Nicht jede gedankliche Abstraktion ist eine Gedankenabstraktion, auch wenn sie sich logisch im Allgemeinen jenseits der konkreten Bestimmungen bewegt. Mit einer Abstraktion wird von etwas abgesehen, womit das Abstrakte zu einer praktischen Kategorie wird - z.B. um etwas zu sortieren oder einzuordnen. Bei einer Gedankenabstraktion wird dies ausschließlich, also zu einer idealen Bestimmung, durch welche in der Wahrnehmung von einem Gegenstand etwas - z.B. durch eine Ideologie - ausgeschlossen wird, das wahrgehabt, aber in seiner wirklichen Beziehung nicht für wahr genommen wird. "Allein auch wenn ich wissenschaftlich etc. tätig bin, eine Tätigkeit, die ich selten in unmittelbarer Gemeinschaft mit andern ausführen kann, so bin ich gesellschaftlich, weil als Mensch tätig. Nicht nur das Material meiner Tätigkeit ist mir - wie selbst die Sprache, in der der Denker tätig ist - als gesellschaftliches Produkt gegeben, mein eignes Dasein ist gesellschaftliche Tätigkeit; darum das, was ich aus mir mache, ich aus mir für die Gesellschaft mache und mit dem Bewußtsein meiner als eines gesellschaftlichen Wesens. Es ist vor allem zu vermeiden, die "Gesellschaft" wieder als Abstraktion dem Individuum gegenüber zu fixieren. Das Individuum ist das gesellschaftliche Wesen. Seine Lebensäußerung - erscheine sie auch nicht in der unmittelbaren Form einer gemeinschaftlichen, mit andern zugleich vollbrachten Lebensäußerung - ist daher eine Äußerung und Bestätigung des gesellschaftlichen Lebens." " (MEW 40, Seite 538) Schon in der Überwindung jeder Einzelheit ist eine gedankliche Verbindung nötig, die sich vom Konkreten abhebt. So sind abstrakte Selbstvergewisserungen, wie sie in der Philosophie vorkommen (z.B. Begriffe des Denkens wie Sein, Bewusstsein, Logik usw.) keine Gedankenabstraktionen, sondern abstrakte Begriffe des Denkens selbst, das seine Erkenntnisse in ihrer Form mehr oder weniger ideal beschreibt (siehe hierzu auch Hermeneuischer Zirkel). "Es ist ... unmöglich, von einer Abstraktion zu dem Gegenteil der Abstraktion zu kommen, wenn ich die Abstraktion nicht aufgebe. Der spekulative Philosoph gibt daher die Abstraktion der "Frucht" wieder auf, aber er gibt sie auf eine spekulative, mystische Weise auf, nämlich mit dem Schein, als ob er sie nicht aufgebe." (Marx, MEW 2, S. 60) Jede Handlung steht in der Wirklichkeit des praktischen Lebens. Von daher verlangt sie auch deren Erkenntnis, um sie zu begreifen, um so zu handeln, wie sich ein Ziel, der subjektive Wille zur Herstellung eines Produkts oder einer Veränderung realisieren lässt. Für das reine Vorstellen genügt aber schon die bloße Interpretation, eine Absicht zu dem was sein soll. Darin tritt die Notwendigkeit des Handelns nicht im Begreifen der mannigfaltigen Beziehungen seiner Zusammenhänge auf, wird nicht aus ihrer Analyse gewonnnen, sondern als objektiver Wille fixiert, dass etwas sein soll oder sein muss, weil es nicht so sein darf, wie es ist. Gesucht wird seine Aufhebung in der Verwirklichung einer Absehung von seinen wirklichen Notwendigkeiten. Gesucht wird deren idelle Überwundenheit, eine Idee, die ganz für sich genommen einen Zweck ausmacht, der zu einem ausschließlichen Ziel wird, das sich aus einer gedanklichen Idealisierung ergibt und von daher Ideologie ist. Eine Gedankenabstraktion ist ein Bezug auf die Wirklichkeit in der Absehung von ihren Wirkungen. Sie ist eine Vorstellung von ihr, worin ihre Form als Idee von sich, als gedanklicher Zweck bestimmt ist, dessen Begriffe keine wirkliche Substanz haben. Ihre unwirkliche Logik ist die Grundlage von Ideologie, worin Wirklichkeit in ihrer Abstraktion bestätigt und bezweckt ist. Die Ideologien der bürgerlichen Gesellschaft, vor allem Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit haben durchaus ihre Entsprechung in deren Form: Sehen die Menschen von den Notwendigkeiten des Besitzerwerbs ab, so können sie sich darin wirklich gleich und frei und gerecht verstehen, denn die Formen ihrer Existenz auf den Warenmärkten macht sie wirklich persönlich als Warenbesitzer frei in ihrer Beziehungslosigkeit, gleich im Vergleich ihrer Güter und gerecht in der Richtigkeit des Durchschnitts ihrer Wertverhältnisse (siehe abstrakt menschliche Arbeit). Eine Gedankenabstraktion ist die gedankliche Seite einer Realabstraktion, ist also nicht ohne diese denkbar. Erst die Analyse des Verhältnisses von beidem beweist die Gedankenabstraktion als ideellen Ausdruck der Realabstraktionen ihres Wertseins. Von daher ist die Gedankenabstraktion die Gedankenlosigkeit der Menschen zum real Abstrakten Dasein ihres Lebens, ihre Entsprechung mit ihren Sachverhältnissen und ist von da her die Grundlage für ihre Unterwerfung unter ihre existenziellen Gewalten (siehe praktisches Bewusstsein). | ![]() |