"Ist die Konstruktion der Zukunft und das Fertigwerden für alle Zeiten nicht unsere Sache, so ist es desto gewisser, was wir gegenwärtig zu vollbringen haben, ich meine die rücksichtslose Kritik alles Bestehenden, rücksichtslos sowohl in dem Sinne, daß die Kritik sich nicht vor ihren Resultaten fürchtet und ebensowenig vor dem Konflikt mit den vorhandenen Mächten." (Marx, Briefe aus den Deutsch-Französischen Jahrbüchern, MEW 1, 344) Ein Mangel an Gegenwärtigkeit entsteht in einer Wirklichkeit, die sich nur in ihrer Interpretation vergegenwärtigen kann, die also zugleich unwirklich - weil abstrakt - ist. In einer unwirklichen Gegenwart ist das abwesend, was sie bestimmt, was das Bestimmte gleichgültig in seiner bloßen Stimmung erscheinen lässt. Vergegenwärtigung scheint daher selbst auch natürlich und selbstverständlich, wo sie keine Kraft verlangt, sich wie selbstverständlich auch gegenständlich macht, also das Dasein einer gegenständlichen Beziehung ist. Wo Gegenwärtigkeit Aufwand bedeutet, da sind Anlässe wirksam, die Energie binden, weil sie fremd bestimmt sind, weil die Überwindung des Fremden Gegenwart nimmt, Entgegenwärtigung betreibt. In den zur Gewohnheit gewordenen Ereignissen des Lebensalltags, im bloß gewöhnlichen Erleben, verliert jede zwischenmenschliche Beziehung an Gegenwärtigkeit, wo sie nur noch aus dieser Form des Lebens schöpft, sich darin selbst verlebt. Sie verliert den Sinn, den Menschen für Menschen haben und fortbilden können (siehe Sinnbildung) und bezieht ihre Inhalte zunehmend aus der bloßen Anwesenheit von Menschen. Diese verbleibt dann als eine äußerliche Position, als Umstand des gewöhnlichen Lebens. Gegenwärtigkeit ist erzeugte Gegenwart eigener Gewissheit, sich gewährende Gegenwart der Selbstgewissheit. Für bestimmte Ereignisse erscheint dies schon objektiv notwendig (z.B. Vorstellungsgespräch), um Abgründe zwischen Welten mit der Vergegenwärtigung beider Interessen zu überbrücken. Subjektiv notwendig ist dies, wenn Beziehungen nicht das sind, als was sie erscheinen, wenn sie wesentlich anders sind, bzw. ein doppeltes Wesen haben. Dann verlangt es eine Selbstvergegenwärtigung., um eigene Wahrheit zu haben und um überhaupt wahrnehmbar zu sein. Dies aber verlangt, von jeder Selbstwahrnehmung frei zu sein, für sich so zu sein, wie man sich auch wirklich auf andere bezieht, sie nicht als Bedingung für sich nötig hat, sondern als Gegenüber. In der Gegenwärtigkeit bildet sich Gegenwart ohne irgendwelche Anwesenheiten und Bedingungen. Im Unterschied zur Gegenwart ist Gegenwärtigkeit eine Eigenschaft des Ereignisses selbst, wird als Reflexion seiner Gegenwart nur hinzugefügt, insofern es selbst für sich keine Gegenwart hat oder haben kann. Eine Geschichte der Gegenwart ist etwas gänzlich anderes als eine vergegenwärtigte Geschichte: In einem Fall reflektiert Gegenwart die Geschichte, im anderen Geschichte die Gegenwart. Es ist hauptsächlich das Produkt des Gedächtnisses, das in der Lage ist, Geschichte zu vergegenwärtigen. Wo diese sich mit ihren Bedingungen verliert, symbiotisch wird, verliert sie sich und wird zu einer ungegenwärtigen, mystischen und manchmal unheimlichen Geschichte (siehe auch Unbewusstes). "Wir sind hier und wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut!" (Parole der Fridays for Future) | ![]() |