Die meisten psychologischen und philosophischen Theorien gehen von einer im Menschen unmittelbar wirksamen Natur aus, die eine quasi ontische Voraussetzung schon des individuellen Menschseins wäre, seine überhistorische und asoziale Grundkonstante als unmittelbar verwirklichte Naturempfindung in den Geschlechtern selbst, als Tätigkeit ihrer selbständigen Geschlechtseigenschaften, welche einen Trieb durch sich selbst bestimmen würden. So wird das Verlangen der Menschen nach einander zu einem individuellen Geschlechtswesen der verschiedenen Geschlechtseigenschaften verkehrt. Dies kehrt die klassische Psychoanalyse besonders hervor, die sogar den Grundkonflikt jeder einzelnen Persönlichkeit darin begründet sehen will, dass sie ein Triebschicksal durchmacht (Ödipuskomplex), durch welches ihre wesentlich geschlechtliche Natur sozialisiert wird und hierdurch ein mehr oder weniger sublimiertes Kulturwesen entsteht. Doch was soll diese Natur jenseits der menschlichen Gesellschaft und Kultur sein? Oder umgekehrt: Was soll eine menschliche Gesellschaft ohne Natur sein? Können wir begreifen, was wir ohne Nahrung wären - oder ohne Kleidung, ohne Geschlecht? Unsere Frage selbst schon setzt unsere gesellschaftliche Natur voraus, denn die Antwort, dass wir ohne Nahrung Hunger hätten, ohne Geschlecht keine Nachkommen oder ohne Kleidung keinen passenden Wärmehaushalt desavouiert die Frage; sie ist durch alles Menschsein durch menschliches Tätigsein und Leiden selbst schon aufgehoben, sinnlos. Alles menschliche Sein ist schon unmittelbar gesellschaftlich Sein, menschliche Natur als Natur einer menschlichen Gesellschaft. Gerade wo dies umgekehrt verstanden wird, wird die Verkehrung des Menschen zur Unnatur einer Gesellschaft assoziiert, die ihrer Barbarei in den menschlichen Organen freien Lauf lässt: Ihr Sinn und Körper wird zum Mittel der absoluten Individualisierung der den Menschen entfremdeten Verhältnisse - wenn auch mit dem Zusatz, dass er sie lebenspraktisch im Nachhinein in seiner "Kultivation" überwinden könne. Gerade dies letztre enthält das ungeheuerliche Gewaltpotential, das zur Not auch "aktiviert" wird, weil es die Kehrseite der "wilden Natur" des Menschen sei (siehe die Anwendung von Nietzsches Naturursprünglichkeit von Mensch und Gesellschaft und Rasse und Trieb durch die Nationalsozialisten oder auch die Dienstbarkeiten, welche die Philosophie Sloterdijks für die neuen Weltordnungspläne enthält). Gesellschaft selbst ist schon das Dasein von Hunger, Geschlecht, Kultur usw. und den Prozessen, in denen die Menschen hierin sind. Indem die Menschen ihrenm Reichtum gesellschaftlich erzeugen, verwirklichen sie ihre Natur und erzeugen ihre natürliche Geschichte - wie immer hiervon auch die Form (siehe Formbestimmung) sein mag. Man kann vielerlei hiervon abstrahieren (wie Mann, Frau, Geschlechtstrieb, Nahrungstrieb, Zuivilisation usw.). Es bleibt die Gedankenabstraktion eines Gattungsbegriffs, der das Ganze seiner Wirklichkeit systematisch verkennt. |
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