""Der reale Humanismus hat in Deutschland keinen gefährlicheren Feind als den Spiritualismus oder den spekulativen Idealismus, der an die Stelle des wirklichen individuellen Menschen das "Selbstbewußtsein oder den "Geist" setzt und mit dem Evangelisten lehrt: "Der Geist ist es, der da lebendig macht, das Fleisch ist kein Nütze." Es versteht sich, daß dieser fleischlose Geist nur in seiner Einbildung Geist hat." (Marx in der Vorrede zur "Heiligen Familie" in MEW 2, S.7) Humanismus ist eine philosophische Haltung, wonach das Erkenntnisinteresse der Wissenschaften und aller Kritik und auch ihrer Anwendung in der Rechtsprechung (siehe Recht) durch ein allgemeines Menschenrecht begründet sein müsse. Ursprünglich war diese Haltung religiös aus einer Schöpfungsgeschichte bezogen worden, die den Menschen als Ebenbild Gottes als irdisches Gefäß eines Übermenschen und dessen Verwirklichung in der menschlichen Geschichte, als Evolutionsgeschichte der Menschheit verstanden wurde. Mit dem kategorischen Imperativ eines naturwissenschaftlichen Wahrheitsverständnisses wurde dies von Karl Marx zur religionskritischen Grundhaltung des historischen Materialismus umgekehrt, wonach "der Mensch das höchste Wesen für den Menschen" (Marx) und das Begreifen der Menschheitsgeschichte hieraus kategorisch bezogen wird (siehe hierzu aber auch dialektischer Materialismus). Von Friedrich Nietzsche und später auch von Martin Heidegger wurde jeglicher Humanismus als "Entstellung" der Wahrheit der Geschichte verstanden und entsprechend als Ausdruck eines "Anthropozentrismus" begriffen, zu einem überhistorisches Menschenbild erklärt, durch das sich die Menschen zum Wesen einer höherer Antropozentrismus überhöhen, die ihre "wahren Triebe" und ihre Natur verleugnen würden. Dieser Antihumanismus und der daraus resultierende Zynismus wurde zur wesentlichen Grundlage faschistischer Ideologien . Realer Humanismus hat kein Menschenbild (siehe auch menschliche Identität), keine Religion nötig und auch keine esoterische Sicht auf sich als Geheimwesen des Menschseins. Realer Humanismus stellt nicht "das menschliche Wesen" vor, sondern die Not des menschlichen Wesens, das in seiner Wirklichkeit zu einer Wesenslosigkeit gezwungen ist, das durch reale Widersprüche in Not geraten ist (siehe Dialektik), und in seiner Wesensnot bedrängt, gegen sich selbst bezwungen wird (siehe Entfremdung). Humanismus tritt als radikale Position auf, mit dem "kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist" (Karl Marx): "Radikal sein ist die Sache an der Wurzel fassen. Die Wurzel für den Menschen ist aber der Mensch selbst. Der evidente Beweis für den Radikalismus der deutschen Theorie, also für ihre praktische Energie, ist ihr Ausgang von der entschiedenen positiven Aufhebung der Religion. Die Kritik der Religion endet mit der Lehre, daß der Mensch das höchste Wesen für den Menschen sei, also mit dem kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist." (Karl Marx, »Deutsch-Französische Jahrbücher«, MEW 1, Seite 385) Humanismus ist die Kritik der Entfremdung des Menschen vom Menschen, des Menschen von seiner Arbeit und des Menschen von seiner Gesellschaft. Humanismus ist die Kritik jeglicher Interpretation des abstrakten Menschseins - und damit der Religion überhaupt: "Die Religion ist die allgemeine Theorie dieser Welt, ihr enzyklopädisches Kompendium, ihre Logik in populärer Form, ihr spiritualistischer Point-d'honneur [Ehrenpunkt], ihr Enthusiasmus, ihre moralische Sanktion, ihre feierliche Ergänzung, ihr allgemeiner Trost- und Rechtfertigungsgrund. Sie ist die phantastische Verwirklichung des menschlichen Wesens, weil das menschliche Wesen keine wahre Wirklichkeit besitzt. Der Kampf gegen die Religion ist also mittelbar der Kampf gegen jene Welt, deren geistiges Aroma die Religion ist." (MEW 1, Seite 378) Von einigen Kulturtheoretikern (z.B. Friedrich Nietzsche, Martin Heidegger, Peter Sloterdijk, Michel Foucault) wird der Humanismus als Reflex eines Anthropozentrismus, als Komplize einer Selbsttäuschung des Menschen über sein wirkliches Leben interpretiert. Leicht wird Humanismus hierdurch gegen ein Gütesiegel beliebiger Selbstbeziehung vertauscht, zum Standard einer individuellen Autonomie (siehe hierzu Autopoiesis), die sich aus sich selbst heraus allgemein behaupten, sich durch eine humanitär formulierte allgemeine Selbstbehauptung als Verallgemeinerung seiner selbst, als persönlicher Souverän durchsetzen will. Das kleidet sich gerne antiautoritär und bezieht sich dabei doch nur im Umkehrschluss auf die schlichte Autorität der Gegebenheiten, bleibt als ihr Gegenteil in Wirklichkeit an sie gebunden. "Je besser du dich der Macht unterwirfst, die über dich gesetzt ist, umso souveräner wirst du sein. Der Humanismus ist die Gesamtheit der Erfindungen, die um diese unterworfenen Souveränitäten herum aufgebaut worden ist: die Seele (souverän gegenüber dem Leib, Gott unterworfen), das Gewissen (frei im Bereich des Urteils, der Ordnung der Wahrheit unterworfen), das Individuum (souveräner Inhaber seiner Rechte, den Gesetzen der Natur oder den Regeln der Gesellschaft unterworfen)." (Michel Foucault: Von der Subversion des Wissens, München 1974, S.114) Souverän kann aber nur ein mächtiger Mensch sein und hat auch Macht nötig, um dies zu bleiben. Es ist der Begriff einer politischen Macht, die sich von ihren Lebensbedingungen absetzen kann. Die wirkliche Ohnmacht der Menschen als gesellschaftliche Wesen, als Produzenten ihres gesellschaftlichen Lebens, bleibt unbenommen. Hiergegen stellt sich Marx auf die Seite des gesellschaftlichen Menschen in einer menschlichen Gesellschaft und nennt dies Kommunismus: "Der Kommunismus als positive Aufhebung des Privateigentums als menschlicher Selbstentfremdung und darum als wirkliche Aneignung des menschlichen Wesens durch und für den Menschen; darum als vollständige, bewußt und innerhalb des ganzen Reichtums der bisherigen Entwicklung gewordne Rückkehr des Menschen für sich als eines gesellschaftlichen, d. h. menschlichen Menschen. Dieser Kommunismus ist als vollendeter Naturalismus = Humanismus, als vollendeter Humanismus = Naturalismus, er ist die wahrhafte Auflösung des Widerstreites zwischen dem Menschen mit der Natur und mit dem Menschen, die wahre Auflösung des Streits zwischen Existenz und Wesen, zwischen Vergegenständlichung und Selbstbestätigung, zwischen Freiheit und Notwendigkeit, zwischen Individuum und Gattung." (MEW 40, Seite 536) Wichtig ist auch darauf hinzuweisen, dass Humanismus als Ideologie eine sublime Anpassung an die Verhältnisse verlangt, wo sie deren Inhumanität nicht begriffen hat oder auch nicht begreifen will: "Die Romantiker gehören unserer Epoche an, in der die Bourgeoisie sich im direkten Gegensatz mit dem Proletariat befindet, wo das Elend in ebenso großem Übermaß anwächst wie der Reichtum. Die Ökonomen spielen sich alsdann als blasierte Fatalisten auf und werfen von der Höhe ihres Standpunktes einen stolzen Blick der Verachtung auf die menschlichen Maschinen, die den Reichtum erzeugen. Sie wiederholen alle von ihren Vorläufern gegebenen Ausführungen, aber die Indifferenz, die bei jenen Naivetät war, wird bei ihnen Koketterie. Kommt alsdann die humanitäre Schule, welche sich die schlechte Seite der heutigen Produktionsverhältnisse zu Herzen nimmt. Diese sucht, um ihr Gewissen zu beruhigen, die wirklichen Kontraste, so gut es eben geht, zu bemänteln; sie beklagt aufrichtig die Not des Proletariats, die zügellose Konkurrenz der Bourgeois unter sich; sie rät den Arbeitern, mäßig zu sein, fleißig zu arbeiten und wenig Kinder zu zeugen; sie empfiehlt den Bourgeois Überlegung in ihrem Produktionseifer. Die ganze Theorie dieser Schule besteht in endlosen Unterscheidungen zwischen Theorie und Praxis, zwischen den Prinzipien und den Resultaten, zwischen der Idee und der Anwendung, zwischen dem Inhalt und der Form, zwischen dem Wesen und der Wirklichkeit, zwischen dem Recht und der Tatsache, zwischen der guten und schlechten Seite. Die philanthropische Schule ist die vervollkommte humanitäre Schule. Sie leugnet die Notwendigkeit des Gegensatzes, sie will aus allen Menschen Bourgeois machen; sie will die Theorie verwirklichen, soweit dieselbe sich von der Praxis unterscheidet und den Antagonismus nicht einschließt. Selbstverständlich ist es in der Theorie leicht, von den Widersprüchen zu abstrahieren, auf die man auf jedem Schritt in der Wirklichkeit stößt. Diese Theorie würde alsdann die idealisierte Wirklichkeit werden. Die Philanthropen wollen also die Kategorien erhalten, welche der Ausdruck der bürgerlichen Verhältnisse sind, ohne den Widerspruch, der ihr Wesen ausmacht und der von ihnen unzertrennlich ist. Sie bilden sich ein, ernsthaft die bürgerliche Praxis zu bekämpfen, und sie sind mehr Bourgeois als die anderen." (K. Marx, Elend der Philosophie, MEW 4, 142f.) | ![]() |