"Je größer, je ausgebildeter also die gesellschaftliche Macht erscheint innerhalb des Privateigentumsverhältnisses, um so egoistischer, gesellschaftsloser, seinem eignen Wesen entfremdeter wird der Mensch." Karl Marx in Ökonomisch-philosophische Manuskripte (1844) (Marx-Engels-Werke Bd.40, S. 454) Der Mensch hat zwar ein natürliches Wesen, er ist aber kein Naturwesen, kein Wesen der Natur, an welchem die Menschen ihre Individualität ausbilden oder das sich zu einer menschlichen Gesellschaft verallgemeinern könnte. Ein Individuum setzt immer schon Gesellschaft voraus, weil es den Menschen nicht als Individuum geben kann (siehe auch Evolution), weil ihm der Reichtum der bisherigen Geschichte als Lebensbedingung seiner Naturmächtigkeit vorausgesetzt ist. In einer Gesellschaft, in welcher jeder einzelne Mensch durch ein abstrakt allgemeines Subjekt bestimmt ist, kann er nur sich adäquat existieren, wenn er in seiner Selbstbezogenheit an das Mittel kommt, das ihm das abstrakt Allgemeie seiner Gesellschaft vermittelt: Geld. Individualismus ist eine Ideologie, die nicht jedem Individuum im Verhältnis zu seiner Gesellschaft zukommt, sondern nur dem bloßen Geldbesitz hieraus bestimmter Individuen, durch den sie sich voraussetzungslos erscheinen können. Im Unterschied zum Kollektivismus ist der Individualismus die Ideologie des vereinzelten, des isolierten Menschseins des für sich genommenen Menschen, der sich voraussetzungslos und also notwendig egoistisch als wesentliches Element einer menschlichen Identität versteht, das sich also als Elementarform einer Gesellschaft verallgemeinert verstehen will, in der alle vor allem für sich Mensch wären, wenn es eben eine gesellschaftliches Individualwesen voraussetzungslos jenseits seiner Gesellschaft geben könnte. Doch dieses "Wesen" kann immer nur die verallgemeinerte Isolation eines Menschen sein: Das gegen andere bestimmte Subjekt, das bürgerliche Subjekt der Konkurrenz für sich bestimmter Menschen, die sich im allgemeinen ebenso ausschließen und ausschließlich verstehen, wie sie sich auch selbst voneinander ausschließen und dennoch jeder dem anderen dienen muss um sich selbst zu dienen zu können. Individualismus ist die Gedankenabstraktion einer Bedienung des alllgemeinen Menschseins, des abstrakt allgemeinen Menschen, wie er vor allem in Dienstleistungsgesellschaften auch wirklich allgemein existieren kann, soweit sein Geldbesitz hierfür hinreicht, aus dem er seine Geltung als Mensch, seine menschliche Identität in der Gleichgültigkeit gegen andere Menschen bezieht. Wo sich jedes Individuum immer schon durch seine Arbeit gesellschaftlich verwirklicht hat, wird es durch die Ideologie des Individualismus als ausschließliches Objekt seiner Austauschbarkeit, seines Tauschwerts bestätigt, indem es hierbei sich als das besondere Individuum im Dasein einer originellen Vereinzelung verstehen kann. "Die Arbeit, die sich im Tauschwert darstellt, ist vorausgesetzt als Arbeit des vereinzelten Einzelnen. Gesellschaftlich wird sie dadurch, daß sie die Form ihres unmittelbaren Gegenteils, die Form der abstrakten Allgemeinheit annimmt." (MEW 13,S.20) Die Individuen stehen immer in einem Verhältnis zu ihrer Gesellschaft und sind ohne diese nicht zu begreifen. Individualismus ist die Ideologie des Individualmenschen, der sich selbst nicht mehr im Verhältnis zu seiner Gesellschaft versteht, sondern sich selbst unmittelbar als Grund für diese sieht, Gesellschaft also als Folge seiner Individualität aus dem Hier und Jetzt heraus wahrhaben will, indem er sie ausschließlich als Gegenstand seiner Egozentrik wahrnimmt. Individualismus ist die Ideologie der privaten Persönlichkeit, indem sie in jedem Individuum einen voraussetzungslosen Menschen behauptet und damit jede Geschichte und Bedingung leugnet, die im Leben eines jeden Menschen sich in seiner gesellschaftlichen Bildung und der Ausbildung seiner Eigenschaften und Fähigkeiten darstellt, - der Geschichte der menschlichen Sinne und ihrer gesellschaftlichen Formbestimmung, wie sie im Einzelnen wie auch im Allgemeinen sich durch die ganze Geschichte hindurch vermittelt. Sie ist zwar in jedem Menschen als das "Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse" (Marx), als das "Ganze seiner Weltgeschichte" (Heinrich Heine) gegenwärtig, aber nicht umgekehrt durch ihn geworden. Subjekt und Objekt der Geschichte kann nicht für sich ein Ganzes sein und schließt jede objektive Subjektivität aus. Individualisten vertrauen auf die unsichtbaren Kräfte ihrer Persönlichkeit, auf die unsichtbare Hand ihres Zusammenwirkens, das sich auch ohne gesellschaftliche Form von selbst sinnvoll herausstellen wird. Der Verlust oder der Niedergang einer Gesellschaft ist somit undenkbar. Mit der Behauptung eines allgemeinen Menschseins durch die Summe einzelner Menschen, durch ihre allgemeine Einzelheit, sieht eine solche Ideologie im Wesentlichen gerade von der Sinnbildung der Menschen durch die Geschichte ihrer gesellschaftlichen Verhältnisse ab und reduziert diese auf die persönliche Geschichte ihrer unmittelbar zwischenmenschlichen Verhältnisse, in denen sich jeder Mensch, so vereinzelt, wie er sich unter vereinzelten Einzelnen auch nur erkennen kann: in seiner Zwischenmenschlichkeit schlechthin als allgemeiner Mensch, also als abstrakt allgemeines Subjekt, durch die er sich als Subjekt seiner Selbstverwirklichung allgemein behauptet. In dieser Selbstverwirklichung steht die Ideologie einer solchen Individualität gegen den Selbstzweifel, der sich darin zugleich entwickelt, die Lebensangst, die ihr zugrunde liegt und in der sich die gesellschaftliche Abwesenheit, die gesellschaftliche Verwesung regt. Zweifellos ist jedes Individuum der menschlichen Gesellschaft ein Mensch; aber das Gattungswesen Mensch ist deshalb nicht selbst schon durch das Individuum. Es besteht durch die gesellschaftliche Existenz der Menschen in ihrem Zusammenwirken als Individuen, dessen Synergie sich als Gesellschaft durch ihre Naturmacht erweist und also sich immer in einem Verhältnis von Individuum und Gesellschaft darstellt. Wo sich das Individuum selbst als unmittelbares gesellschaftliches Wesen verwirklicht sehen will, erzeugt es für sich zugleich das Gefühl eines Selbstverlustes, weil es sich gerade von dem ausgeschlossen erkennen muss, wodurch es sich begründet, seine Selbstbildung, die Bildung seines Selbstwerts also misslingt. Diese Ideologie besteht zugleich aber auch gerade in der Absicht, den Menschen getrennt von seinem gesellschaftlichen Lebenszusammenhang zu totalisieren, die "Freiheit der privaten Persönlichkeit" zur menschlichen Freiheit schlechthin zu erklären und ihn damit den faktischen Notwendigkeiten seines gesellschaftlichen Verhältnisses auszuliefern. Sie ist bestrebt, die Formbestimmungen ihrer Gesellschaft dadurch zu verabsolutieren, dass sie Emanzipation von Menschen, die sich hiergegen richten, in die Vereinzelung von Befreiungsversuchen zu treiben und damit auch zu tilgen. Es ist die blinde Basis eines Herrschaftsprinzips, das ein ganzes dem Menschen entfremdetes und gegen ihn mächtiges System dadurch erhält, dass es jedes Teil als Ganzes, das Einzelne zur Allgemeinheit erklärt. "Teile und herrsche" war ursprünglich die politische Formulierung des Herrschaftsprinzips von Despoten. In einer Gesellschaft, worin der Entwicklungsstand der Produktivkräfte und deren Produktionsform einen hohen Verbrauch der Produkte, also einen mächtigen Konsum mit vielen Käufern nötig hat, ist der Individualismus zur Grundlage der Gesetzgebung geworden. Weil in dieser Form der Geldbesitz den ganzen Zusammenhang ausmacht, der im Geldbeutel der Käufer herrscht, wird die ihn besitzende Person zum Weltenbürger erklärt und zugleich in ihre Selbstbeschränktheit verwiesen. Aus diesem Grund bestrebt diese Ideologie die Individualisierung, die Abtrennung und Bestätigung der Ganzheit eines in sich isolierten Menschseins, die Veredelung des "vereinzelten Einzelnen". Dies meint die ins Individuelle abstrahierte Vorstellung vom Menschen, der in seinem einzelnen Dasein, seinem Sein als vereinzelter Mensch eine "menschliche Identität" habe. Ihm wird eine Freiheit der Verfügung über das eigene Leben zugesprochen, die real überhaupt nur eine Verkehrung des bürgerlichen Idividuums in seiner absoluten Gebundenheit an Geld darstellt, seine vollständige Unterwerfung unter den Gelderwerb mystifiziert. Tatsächlich ist das bürgerliche Subjekt im Individualismus adäquat reflektiert. Es ist damit in seiner Zielsetzung beschrieben, sich selbst als allgemeiner Mensch jenseits seiner Lebensbedingung frei zu verstehen, sich selbst voraussetzungslos als Persönlichkeit des Menschseins schlechthin, als sich abgelöst von jeder Notwendigkeit frei entfaltende Persönlichkeit zu begreifen. Es ist die Begrifflichkeit des aufgeklärten Bürgers, der sich als mündiges, als kritisches Subjekt (siehe hierzu auch Kritische Psychologie) dieser Welt der Warenmärkte zumindest solange verstehen kann, solange er sich in ihr nicht wirklich erzeugen und erhalten, sich nicht verkaufen muss, um sein zu können, in der Gunst von reichhaltigen Angeboten an Waren steht und über gute Einkommensmöglichkeiten an Geld verfügt. Es ist die Ideologie des Kleinbürgertums, das sich vorwiegend aus seinem Geldbesitz begründet und also die auf das Individuum reduzierte Beziehung gesellschaftlicher Zusammenhänge repräsentiert, wie sie real durch Geldbesitz möglich ist (siehe hierzu auch Systemtheorie). Von daher ist Individualismus eine Ideologie des Geldes privater Verfügungsgewalt über jedweden Nutzen, dessen soziale Macht dadurch angeeignet wird, dass man sich in die Mechanismen der Gunst von Nutzbarkeiten, Funktionen oder Menschen effektiv und optimal eingliedert. Das macht den Kollektivismus der Funktionalität von Günstlingen aus, die sich zugleich der Ideologie des politischen Kollektivismus, der Abstraktion vom menschlichen Subjekt, dessen Reduktion auf einen gesellschaftlich nützlichen Menschen, entgegenstellt, eben jener anderen Ideologie des Kleinbürgertums, das zwischen beiden Extremen sein Leben begründet sieht, mal unter der Bedingung von Überschüssen von Angeboten, mal in der Existenznot seiner Lebenskrisen, die aus den Lebensbedingung des Geldes heraus sowohl existenziell (kollektiv) wie auch persönlich (individuell) erscheinen. "Der Kleinbürger ist ... zusammengesetzt aus ein Einerseits und Andererseits ... Er ist der lebendige Widerspruch. .... Wissenschaftlicher Scharlatanismus und politische Anpassung sind von solchem Standpunkt unzertrennlich. Es bleibt nur noch ein treibendes Motiv, die Eitelkeit des Subjekts ..." (Karl Marx, MEW 16, 31f).
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