"Die universal entwickelten Individuen, deren gesellschaftliche Verhältnisse als ihre eigenen, gemeinschaftlichen Beziehungen auch ihrer eigenen gemeinschaftlichen Kontrolle unterworfen sind, sind kein Produkt der Natur, sondern der Geschichte. Der Grad und die Universalität der Entwicklung der Vermögen, worin diese Individualität möglich wird, setzt eben die Produktion auf der Basis der Tauschwerte voraus, die mit der Allgemeinheit die Entfremdung des Individuums von sich und von anderen, aber auch die Allgemeinheit und Allseitigkeit seiner Beziehungen und Fähigkeiten erst produziert." (K. Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, MEW 42, S. 80) Weil es nur durch andere individuell sein kann, setzt ein Individuum immer schon Gesellschaft voraus. Weil es also den Menschen nicht als Individuum geben kann (siehe auch Evolution), ist er immer schon Teil eines Gattungswesens. Den Menschen gibt es daher nicht als durch sich selbst begründetes, als autopoietisches Einzelwesen (siehe hierzu Systemtheorie). Menschen leben immer schon in Verhältnissen, sind sich selbst schon Gegenstand ihres Lebens – in zwischenmenschlichen Verhältnissen zudem auch dessen Material. In jedem Individuum steckt das "Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse" (Marx, 6. Feuerbachthese), substanziell wie im Ganzen der gesellschaftlichen Verhältnisse, der Inhalte ihrer Beziehungen in ihrer Allgemeinheit, die zugleich in der Form ihrer Existenz ihre einzelne Natur hat und darin ihre natürliche Intelligenz so verwirklicht, wie sie sich auch als Intelligenz der gesellschaftlichen Wirklichkeit darstellt. Das ist wohl der Grund, wodurch sie als ein genzer Lebenszusammenhang erscheint, wiewohl die Individuen darin sich nur als Konkurrenten begegnen können. "Die Gesellschaft, wie sie für die Nationalökonomen erscheint, ist die bürgerliche Gesellschaft, worin jedes Individuum ein Ganzes von Bedürfnissen ist, und es nur für den anderen, wie der andere nur für es da ist, insofern sie sich wechselseitig zum Mittel werden." (MEW 40, S.557) In der Beziehung der Individuen drückt sich Gesellschaft ebenso aus, wie die Individuen sie durch ihr Empfinden und Handeln auch begründen und aus ihren Lebensbedingungen neue Lebensmöglichkeiten zu schaffen. Im Verhältnis der Mengen und Inhalte der Stoffe ihrer Beziehungen ist die Gesellschaft wie auch ihre Individualität als ein qualitatives wie quantitatives Verhältnis zu gestalten und durch ihre Arbeit zu vergegenständlichen, in eine objektive Form zu bringen. Die Darstellung des Individuums in der Gesellschaft ist die Darstellung der Gegenständlichkeit einer Gesellschaft im Leben der Individuem. "Allein auch wenn ich wissenschaftlich etc. tätig bin, eine Tätigkeit, die ich selten in unmittelbarer Gemeinschaft mit andern ausführen kann, so bin ich gesellschaftlich, weil als Mensch tätig. Nicht nur das Material meiner Tätigkeit ist mir - wie selbst die Sprache, in der der Denker tätig ist - als gesellschaftliches Produkt gegeben, mein eignes Dasein ist gesellschaftliche Tätigkeit; darum das, was ich aus mir mache, ich aus mir für die Gesellschaft mache und mit dem Bewußtsein meiner als eines gesellschaftlichen Wesens. Es ist vor allem zu vermeiden, die "Gesellschaft" wieder als Abstraktion dem Individuum gegenüber zu fixieren. Das Individuum ist das gesellschaftliche Wesen. Seine Lebensäußerung - erscheine sie auch nicht in der unmittelbaren Form einer gemeinschaftlichen, mit andern zugleich vollbrachten Lebensäußerung - ist daher eine Äußerung und Bestätigung des gesellschaftlichen Lebens." (MEW 40, "Philosophisch - Ökonomische Manuskripte", S. 538) Auch wenn die Beziehung zwischen Individuum und Gesellschaft abstrakt ist, wenn die Teile im Ganzen nicht aufgehen und das Ganze die Teile nicht bezieht, so ist doch dem Inhalt nach kein Unterschied zwischen beiden. Diese Identität ist nicht unbedingt wahrnehmbar, aber sie wird immer wahrgehabt, wenn sie an unterschiedlichem Ort auftritt: sei es als Bedürfnis oder Arbeit, als Kultur oder Natur, Familie oder Staat. Wo Gesellschaften ineinandergreifen, (z.B. als Dienstleistungsgesellschaft, die vom Import fremder Arbeit lebt), da sind auch die Individuen durcheinander ergriffen von dem Zusammenhang, in dem sie sind und den sie wahrhaben. Die gesellschaftliche Bestimmung ist zugleich individuelle Bestimmung und die Bestimmtheit der Individuen stelt sich auch als bestimmte Gesellschaft dar. Jedes Individuum ist dem Inhalt nach daher auch im bestimmten Verhältnis zur gesellschaftlichen Veränderung fähig, wie auch jede Gesellschaftänderung jedes Individuum ergreift. Die Emanzipation des Individuums kann daher nicht von der Emanzipation der Gesellschaft getrennt werden (siehe hierzu auch Individualismus). Denn es ist gerade ihre gleichgültige Bezogenheit in der bürgerlichen Gesellschaft, die ihren Wert ausmacht und der zugleich ihre abstrakte Verbundenheit als abstrakt Allgemeines ihrer Gesellschaftsform vermittelt. "Die wechselseitige und allseitige Abhängigkeit der gegeneinander gleichgültigen Individuen bildet ihren gesellschaftlichen Zusammenhang." (MEW 42, Seite 92). In Wahrheit ist die Emanzipation in der kapitalistischen Gesellschaft die Emanzipation von der Isolation, welche die bürgerliche Arbeitsteilung den Menschen auferlegt, die Emanzipation aus der Beschränktheit des Privateigentums, das im Geldbesitz zugleich als Macht gegen andere auftritt: "Je größer, je ausgebildeter also die gesellschaftliche Macht erscheint innerhalb des Privateigentumsverhältnisses, um so egoistischer, gesellschaftsloser, seinem eignen Wesen entfremdeter wird der Mensch." Karl Marx in Ökonomisch-philosophische Manuskripte (1844) (Marx-Engels-Werke Bd.40, S. 454) Die Gesellschaftsform des Geldes ist die Allgemeinform isolierter Beziehungen, in denen die Individuen sich als das erscheinen, was sie sind: als Besitzer von Sachen, in denen ihre versachlichte Beziehung gesellschaftlich bestimmend ist, weil die allgemeine Privatform der Arbeit sie zu dem macht, was sie existieren lässt: Besitzer von Privateigentum, das im Ausschluss von seiner gesellschaftlichen Substanz angeeignet ist und den Menschen praktisch enteignet wird. "Den letzteren erscheinen daher die gesellschaftlichen Beziehungen ihrer Privatarbeiten als das, was sie sind, d.h. nicht als unmittelbar gesellschaftliche Verhältnisse der Personen in ihren Arbeiten selbst, sondern vielmehr als sachliche Verhältnisse der Personen und gesellschaftliche Verhältnisse der Sachen." (MEW 23, 87) | ![]() |