"Sonntags in der kleinen Stadt (Franz Josef Degenhardt) Wo Gefühle von ihren Empfindungen getrennt auftreten, entleeren sie sich mit dem "Lauf der Zeit" und werden als Gefühle der Leere unerträglich. Und wenn dieser Zustand zu lange dauert, dann entsteht schon aus der Langeweile heraus vielerlei Unsinn, - besonders durch die Wahrnehmung, die nichts anderes mehr als sich selbst wahrhat und sich deshalb als eine ewige Wahrheit erscheint. Die Selbstwahrnehmung hat ihr Echo im Nichts, macht sich selbst nichtig und lässt Zwecke und Werte entstehen (siehe hierzu Selbstwert), die überhaupt nur aus einer vernichteten Gegenwärtigkeit entstehen (siehe hierzu auch hermeneutischer Zirkel). In der bürgerlichen Gesellschaft der Nachkriegszeit war es noch das so genannte "Wirtschaftswunder", der Wohlstand der Bevölkerung durch den Marshallplan der USA, die Beschleunigung des weltweiten Warenumsatzes, die sie aus dem Phlegma der "Weltordnung" des Faschismus herausgerissen hatte und ihrer Selbstwahrnehmung noch gar nicht gewachsen sein konnte. Erst im Übergang zur Konsumgesellschaft, haben sich die zwischenmenschlichen Verhältnisse der Selbstverwertung allgemein durchgesetzt und aus der anfänglichen Konsumkultur eine Eventkultur herausgebildet, in der Langeweile schon wirtschaftlich verwertbar geworden war und dadurch aufgehoben wurde. Es braucht nur noch eine kurze Weile, wo sich die Ereignisse überstürzen und sich schon in ihrem Eindruck auf die Menschen übereilen. Kurzweilig ist das Erlebnis in seinen Reizen, die eine Eventkultur durch ihre Ereignisproduktion vermittelt und jeden einverleiben lässt (siehe auch Scheinwelt), was für ihn keinen Sinn haben muss, ihn aber durch einen Sinn außer sich von seiner Lebensangst befreit. Es ist der Kulturkonsum das Mittel, sich in sinnentleerten Lebensverhältnissen durch Ereignisse zu unterhalten und sich durch Erlebnisse zu beleben. Die Ereignisproduktion ist eine gesellschaftliche Funktion der Kulturindustrie, die auch als Kommunikationsindustrie immer mehr auch in zwischenmenschlichen Verhältnissen benötigt wird. Wo sich aber keine Ereignisse mehr ergeben, entsteht für die Menschen, deren Selbstwahrnehmung hierauf gründet, eine Langeweile, die durch ihre Leere oft erregt wird, wenn und weil das bloße Erleben von Ereignissen zu ihrem wesentlichen Inhalt geworden war. In dieser Erregung stellt sich eine Wahrnehmung von Nichts dar, also eine genichtete Wahrnehmung, die nach Erlebnissen hungert, weil sie sich durch keine Erkenntnisse unterhalten kann. Dieses Nichts der Selbstwahrnehmung ist der Antrieb der Eventkultur mit ihrer Ereignisproduktion und dem Hype der kulturellen Prominenz, den sie auslöst. Von daher kann man sagen, dass die Kulturelite von der Langeweile einer Kultur lebt, die substanziell abwesend ist und nicht mehr erkennen lassen kann, was ihren Sinn ausmacht (siehe auch abstrakt menschlicher Sinn). Darin nichts regt sich in nichts, weil nichts mehr wirklich befriedigt werden kann und deshalb ihre Erregtheit befriedet werden muss (siehe auch Scheinwelt). Die Langeweile ist der Zirkelschluss eines sich selbst verloren gegangenen Lebens, eines Lebens von und mit Abstraktionen, das sich durch seine Ideologien, seine Ideale schon selbst verneint und sich gerade durch seine Idealisiesrungen dort vernichtet, wo es sich durch diese antreibt, wo es verwest, weil es nur noch seinen Tod lebt. Das war auch schon in der Philosophiekritik von Marx Thema, als er Hegel als dem absoluten Philosophen schlechthin nachgewiesen hat, dass er durch seinen Idealismus, durch seine absolute Idee des Lebens sein eigenes Denken durch seine Abstraktionen auflöst, die diese Idee zu betreiben hat und mit denen sie auch ideologisch betrieben wird: "Die absolute Idee, die abstrakte Idee, welche nach ihrer Einheit mit sich betrachtet Anschauen ist" (Hegels Encyclopädie, 3te Ausgabe, p.222 [§ 244]), welche (l.c.) "in der absoluten Wahrheit ihrer selbst sich entschließt, das Moment ihrer Besonderheit oder des ersten Bestimmens und Andersseins, die unmittelbare Idee, als ihren Widerschein, sich als Natur frei aus sich zu entlassen" (l.c.), diese ganze, so sonderbar und barock sich gebarende Idee, welche den Hegelianern ungeheure Kopfschmerzen verursacht hat, ist durchaus nichts anders als die Abstraktion, i.e. der abstrakte Denker, die, durch Erfahrung gewitzigt und über ihre Wahrheit aufgeklärt, sich unter mancherlei – falschen und selbst noch abstrakten – Bedingungen dazu entschließt, sich aufzugeben und ihr Anderssein, das Besondere, Bestimmte an die Stelle ihres Beisichseins, Nichtsseins, ihnen Allgemeinheit und ihnen Unbestimmtheit zu setzen, die Natur, die sie nun als Abstraktion, als Gedankending in sich verbarg, frei aus sich zu entlassen, d.h. die Abstraktion zu verlassen und sich einmal die von ihr freie Natur anzusehn. Die abstrakte Idee, die unmittelbar Anschauen wird, ist durchaus nichts andres als das abstrakte Denken, das sich aufgibt und zur Anschauung entschließt. Diesen ganze Übergang den Logik in die Naturphilosophie ist nichts andres als den – dem abstrakten Denker so schwer zu bewerkstelligende und daher so abenteuerlich von ihm beschriebne Übergang aus dem Abstrahieren in das Anschauen. Das mystische Gefühl, was den Philosophen aus dem abstrakten Denken in das Anschauen treibt, ist die Langweile, die Sehnsucht nach einem Inhalt." (MEW 40, S. 585f)
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