"Das gesellschaftliche Leben ist wesentlich praktisch. Alle Mysterien, welche die Theorie zum Mystizismus verleiten, finden ihre rationelle Lösung in der menschlichen Praxis und im Begreifen dieser Praxis." (Karl Marx, 8 These über Feuerbach MEW 3, S. 533) Mystifikation ist eine Verschleierung, Verdunklung eines Zusammenhangs durch einen hermeneutischen Zirkel, Dämonisierung eines Verhältnisses durch eine abergläubische Beziehung. Darin wird ein abwesendes Wesen zum Subjekt der Wahrnehmung (siehe auch Wahn), die nurmehr zur Form eines Geheimnisses wird. Indem etwas mit Geheimnissen (Mysterium) umgarnt und gespenstisch wird oder in quasi religiöse Bedeutungen (Mysterien) vermittelt ist (siehe auch Grauen), tritt es als eine entheimlichte, eine unheimliche Macht auf, wodurch die Wahrnehmung beengt ist (siehe Angst). Wo die Einzelheiten durch eine Formbestimmung von ihren wirklichen Zusammenhängen isoliert sind, wird ihre Wirklichkeit geheimnisvoll und auch gerne mit einer Mythologie interpretiert, die für die Menschen zu einem Fetisch werden kann (siehe z.B. Warenfetischismus). Von daher ist Mystifikation eine Entstellung einfacher Wahrheiten hin zu einer Mythenbildung durch ihre Verallgemeinerung zur Mythologisierung ihrer Vereinzelung, - oft verbunden in einer eigenen, sublimen Wesensbehauptung einer veräußerlichten Dialektik (siehe hierzu auch Strukturalismus). In ihrer mystifizierten Form ward die Dialektik deutsche Methode, weil sie das Bestehende zu verklären schien. In ihrer rationellen Gestalt ist sie dem Bürgertum und seinen doktrinären Wortführern ein Ärgernis und ein Gräuel, weil sie in dem positiven Verständnis des Bestehenden zugleich auch das Verständnis seiner Negation, seines notwendigen Untergangs einschließt, jede gewordene Form im Flusse der Bewegung, also auch nach ihrer vergänglichen Seite auffasst, sich durch nichts imponieren lässt, ihrem Wesen nach kritisch und revolutionär ist." (K. Marx, Kapital I, MEW 23, 27f.) Wo die Zusammenhänge des Lebens in isolierte Ereignisse aufgesplittert und für den Menschen fremd und ungewiss erscheinen, wo sie mit ungeahnten Kräften wirken und dies keinen Verstand findet, sie unverstanden bleiben, da verbleiben sie geheimnisvoll als Unwesen einer Mystifikation, als Geheimnisse ihrer Wirkungsweise, die ihre Selbstwahrnehmung bestimmt. So werden sie zu Mythen ihrer Natur, zu Dämonen, zu Geistern oder auch Gespenster, zu Übermenschen, Götter und Heilsbringer (Heilige). Umgekehrt wird auch aus einem Verstand, der Angst macht weil er als Macht einer übernatürlichen Existenz begriffen gelten soll (siehe hierzu Religion) zum Vermittler der damit einhergehenden Selbstentfremdung. Weil sich die Menschen, die sich ihrer selbst ungewiss und also fremd verblieben sind (siehe Selbstentfremdung), zum Maßstab einer abstrakt menschlichen Lebenspflicht, einer Verpflichtung machen, die in der Lebenswirklichkeit der Menschen in ihren zwischenmenschlichen Verhältnissen einen abstrakten Sinn hierfür herausbildet, dem sich die Menschen unterwerfen, wenn sich die geheimnisvoll verbliebenen Zusammenhänge ihres Lebens zu einem übersinnlichen Bild eines ästhetischen Willens entwickeln (siehe auch Bidungsbürger). Im Maß der Ausschließlichkeit seiner Beziehungen versammeln sich dessen gefühlte Inhalte in der Vorstellung einer verallgemeinerten Einzelheit des Überlebens oder auch des Untergangs. Je nachdem, wie sich der Wille in der Stellung seiner Nichtigkeit Lebensbegründet kann er als Vorstellung eines Heils oder eines Unheils auf die Existenz der Menschen beziehen, und sich als Vorstellung eines Glücks oder eines Unglücks entwirklichter Menschen, zu einem Fetisch ihrer verschlossenen, weil ausschließlichen Wirklichkeit werden, dem sie eine allgemeine Geltung zuweisen (siehe auch Geld). Mystifikation ist zum einen eine verkehrte Reflexion die nicht in der Lage ist, den Widersinn eines Verhältnisses im tautologischen Verhalten seiner Subjekte zu bezweifeln, sich nicht aus diesem Verhältnis durch Kritik seiner Austauschbarkeit und entsprechendem Handeln herauszusetzen. In der Täuschung verbleibt die Beliebigkeit eines in seiner Selbstwahrnehmung verspiegelten Bewusstseins, das unfähig ist, verkehrte Verhältnisse zu erkennen, weil es sich mit ihnen im Kreis bewegt. Kritikllos muss es den Widersinn seines Daseins als Form für sich in sich selbst einnehmen und verausgaben. In ihrem hierdurch fixierten Bewusstsein verdoppeln die Menschen diese Form als Ideologie und Religion, die ihre Bedürfnisse selbst verkehrt. Von daher verkehren sie deren eigentümliche Form zu einem wesentlichen Inhalt, dem sie als Objekte ihrer vertauschten Subjektivität unterworfen bleiben. So hat es Marx am Warenfetischismus illustriert: "Das Geheimnisvolle der Warenform besteht also einfach darin, dass sie dem Menschen die gesellschaftlichen Charaktere ihrer eigenen Arbeit als gegenständliche Charaktere der Arbeitsprodukte selbst, als gesellschaftliche Natureigenschaften dieser Dinge zurückspiegelt, daher auch das gesellschaftliche Verhältnis der Produzenten zur Gesamtarbeit als ein außer ihnen existierendes gesellschaftliches Verhältnis von Gegenständen." (MEW 23, 86) Die Möglichkeiten, einen Verhalt oder Zusammenhang zu entstellen, liegen in der Vermengung gegensinniger Inhalte, die ideell verdichtet und in ihrer Entzweiung gleichgültig gemacht werden. So ist schon im Möglichkeitsdenken das Mittel angelegt, eine Gegensinnigkeit zum Subjekt einer Geschichte zu machen, die überhaupt durch ihre Abstraktion vorangetrieben wird. Das gelingt als Ideologie, in welcher deren in Ziel als Grund für ihre Vorstellungen so wirksam gemacht werden, dass sich darin die Wirklichkeit gedanklich, also in einer Gedankenabstraktion auflösen lässt. Diese wirkt darin als ideal, das von seiner Wirklichkeit enthoben ist und hierdurch als Gegenposition gegen sie absolut auftreten kann. So wird z.B. Freiheit von ihren inneren Notwendigkeiten abgetrennt, oder Gleichheit ohne Unterschiedenheit, Solidarität ohne Konkurrenz zu einem Entwicklungsmaßstab, der von den wirklichen Bedingungen absieht, denen durch Idealitäten ihre Wahrheit einfach implizit abgesprochen und selbst zum Inhalt einer Erneuerung gemacht wird. Was in den Bedingungen selbst schon als Verkehrung menschlicher Verhältnisse existiert, wird unumkehrbar, wenn das Bewusstsein solcher Ideologie verfällt. Ganz allgemein ist Mystifikation die Täuschung durch den Doppelcharakter eines Gegenstands, der als widersinnige Einheit (siehe Widerspruch) fungiert. Darin erscheint das Verhältnis seiner Lebensbedingungen verkehrt, soweit es als Bedingung der Wahrnehmung (siehe Wahrheit) geduldet und somit dessen Erkenntnis abgewendet wird. Ein Doppelcharakter ist zwar als die bloße Erscheinung einer gleichförmigen Bestimmtheit auch wirklich da, in seinem Dasein aber eine Mystifikation, weil er in der Dopplung seiner Funktion von seinem Gehalt abstrahiert und seine Herkunft verheimlicht und daher unheimliche Wirkungen hat, eine Mythologisierung darstellt. Darin verbirgt sich eine Eigenschaft in einer ihr fremden Eigenheit, die im Grunde zweierlei in einem wahrhat, einen Doppelcharakter reflektiert. Darin erscheint ein Wesen widersinnig und hierdurch wesentlich abwesend, auch wenn es der Form nach körperlich da ist. (siehe Dasein) So kritisiert Marx an Hegel vor allem, dass dieser verkehrte Verhältnisse dadurch mystifiziert, dass er ihnen eine abstrakt vorgestellte Substanz verleiht, weil er deren reale Abstraktion nicht begreifen will und sie somit affirniert, auch wenn er sie als nur beschränkte Erscheinungsform des "objektiven Geistes" kritisiert. In seiner Kritik an der Hegel'schen Rechtsphilosophie schreibt Marx zu dessen Staatsbegriff: "Der »Staatszweck« und die »Staatsgewalten« werden mystifiziert, indem sie als »Daseinsweisen« der »Substanz« dargestellt und getrennt von ihrem wirklichen Dasein, dem »sich wissenden und wollenden Geist, dem gebildeten Geist« erscheinen. Als Formverwandlung der Erkenntnis erwirkt Mystifikation ein Verhältnis der Menschen zu sich, das ihrer Lebenslage entspricht, das sich also an ihre Umstände gewöhnt. Mystifikationen haben nur Bestand, wo sie Vorteile bieten, da sie für sich genommen als Unsinn erkennbar wären. Aber in diesem Nutzen der Gewohnheit fixiert sich eine Gewissheit, die keine sein kann, eine leibhaftige Ungewissheit wie ein Fetisch, der selbst schon eine Wahrheit verspricht, die in einer ihrm veräußerlichten Wirklichkeit, einer darin wirklich aufgehobenen verallgemeinerten Vorstellung, also dem in der Wirklichkeit vorgestellten Zusammenhang entspricht (siehe Warenfetischismus). |
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