"Alle Soziologen vor und nach der Jahrhundertwende mußten sich mit den theoretischen und methodologischen Vorschlägen von Karl Marx auseinandersetzen. Vereinfacht ausgedrückt waren es zwei Problemkomplexe, mit denen sie konfrontiert waren. Einmal beschäftigte sie die Suche nach anderen als den ökonomisch-materialistischen Gründen für die Veränderungen der Gesellschaften und den sozialen Ungleichheiten in ihnen. Dies war nicht nur für die soziologischen Analysen und Erklärungen der gesellschaftlichen Verhältnisse wichtig, sondern auch für die Lösung des zweiten Problems, das Marx mit seiner Behauptung, daß das Sein das Bewußtsein bestimme, den (Sozial)Wissenschaften beschert hatte. Wie konnte man eigentlich noch ideologiefrei denken, unabhängig Marx' Wirkung von den gesellschaftlichen – im Marxschen Sinne unabhängig von den ökonomischen – Verhältnissen?" (Korte, Hermann: Einführung in die Geschichte der Soziologie. Verlag für Sozialwissenschaften, 2006, S. 55.) Subjektivität ist die Gesaamtheit, das Ganze eines subjektiven Seins im Dasein der Menschen als Subjekte ihrer persönlichen Wahrheit in einem an und für sich unwahren Verhältnis ihrer Empfindungen und Gefühle (siehe Teilung der Wahrnehmung). Während sich die Empfindungen in ihrer Stimmung zu einer subjektiven Objektivität vergemeinschaften vergesellschaften sich die Gefühle in der Stimmung eines objektiven Subjektivismus. Das sich diese Teilung der Wahrnehmung aus der Teilung der Arbeit fortentwickelt hat, war der marxistischen Diskussion mit deren Entwicklung über die Existenzverwertung des Imperialisms entgangen. So blieben deren Auswirkungen auf die bürgerliche Kultur weitgehend unbedacht. Deren Analyse war vorwiegend in einem soziologisches Interesse verblieben, wodurch eine von ihren ökonomischen Bedingungen abgetrennte Sphäre des gesellschaftlichen "Überbaus" zu einem Gegenstand der Wissenschaften, namentlich der bürgerlichen Wissenschaft wurde. Dessen Herleitung war damit schon strukturell unterstelt und daher auch im Wesentlichen nur strukturalistisch zu erklären. Es begann mit einem platten Vorwurf gegen den Marxismus, der die mataphysischen Phänomene des Bewusstseins als eine notwendige Mystifikation der bürgerlichen Lebensverhältnisse (siehe auch Warenfetischismus, Kapitalfetischismus) seziert hatte. Der marxistische Objektivismus, wie er durch Engels und Nachfolger zu einem Dialektischen Materialismus enwickelt worden war, lieferte das Material eines ungeheuerlihen Missverständnisses. Und da fanden die Soziologen einen bequenen Einstieg, um ihrer Wissenschaft einen eigenständigen Boden zu bereiten, indem sie neben dem "Homo oekonomicus" ein eigenständiges Subjekt hervorbrachten, den "Homo sociologicus" (Ralf Dahrendorf): "Nicht die materiellen oder natürlichen (im Sinne von 'materieller Natur', wie etwa die naturräumliche Umgebung einer Gesellschaft, sowie im Sinne 'immaterieller Natur', z.B. Naturgesetze) Bedingungen bestimmen Gesellschaft und den Verlauf ihrer Entwicklung, sondern die geistigen Bedingungen des Subjekts bzw. der Kultur. Es liegt somit eine eindeutige Grenzziehung vor, und zwar zwischen der sozialen oder geistigen und der materiellen Ebene einer Gesellschaft sowie zwischen einer Gesellschaft und der Natur. Wenn der 'Geist' die Gesellschaft formt, dann folgt daraus die Ausklammerung der materiellen Ebene von Gesellschaft sowie ihrer materiellen Bedingungen, die die Natur liefert." (Lutz, Juliana: Der Naturbegriff und das Gesellschaft-Natur-Verhältnis in der frühen Soziologie. Hrsg.: Interuniversitäres Institut für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung (IFF), Abteilung Soziale Ökologie, 1998, S. 35) Nun hatte Marx zwar nie behauptet, dass der Mensch an sich ein ökonomisches Wesen sei, sondern ganz im Gegenteil die "Kritik der politischen Ökonomie" ihm dazu verhelfen müsse, sich als ein sinnliches und leidenschaftliches gesellschaftliches Wesen zu bejahen. Doch seine in allen seinen Schriften implizierte Kulturkritik wurde im Eifer einer neuen, einer neoliberal bedachten Wissenschaftlichkeit gerne übergangen und schließlich mit einer Absage an seine Klassentheorie versehen. Dem pflichteten dann schließlich auch die modernen Kulturkritiker des gesllschaftlichen "Überbaus" bei, die sich dadurch beliebig und von keiner Wissenschaft mehr beschränkt mit ihrer Gesellschafts- und Subjektkritik eine kritische Bedeutung zuwiesen. So auch Theodor Wiesengrund Adorno, der damit die neuhegelianische Methode seiner negativen Dialektik anpreisen konnte, indem er in das bürgerliche Subjekt ein "autonomes" Subjekt einfädelte, das dem "Schaden" entgehen könne, den ihm der Kapitalismus zumutet (siehe hierzu auch Selbstveredelung): "Der Klassenkampf alten Stils, im Sinn des Marxistischen Manifests, ist, einem Wort von Brecht zufolge, virtuell unsichtbar geworden. Seine Unsichtbarkeit selber ist nicht zu trennen von den Strukturproblemen. Tatsächlich sind die Manifestationen des Klassenverhältnisses in weitem Maß in den Funktionszusammenhang der Gesellschaft eingebaut worden, ja als Teil ihres Funktionierens bestimmt. Das allerdings ist insofern kein Novum, als die GeseIlschaft sich nicht nur trotz des Klassenverhältnisses am Leben erhielt, sondern durch es hindurch. Die Entwicklung war teleologisch in der objektiven Doppelstellung des Proletariats zur bürgerlichen Gesellschaft präformiert. Einerseits waren die Proletarier in der Periode, die Marx und Engels vor Augen stand, Objekte der Ausbeutung, nicht autonome Subjekte des gesellschaftlichen Gesamtprozesses. Sie existierten außerhalb des Begriffs einer Gesellschaft, die eine von Freien und Mündigen sein wollte." (Th.W.Adorno Gesammelte Schriften bd. 8, Suhrkamp 1972, S. 183) Und ganz unbefangen wurde damit die bürgerliche Kultur zu einem überhistorischen Subjekt verewigt, das überhaupt nur durch Kritik beständig sein könne. Der Subjektivismus, den das neoliberale Bewusstsein nötig hat, konnte dann schließlich auch von Luhmann u.a. verwissenschaftlicht werden, indem die Funktionalität des Ganzen als subjektive Notwendikeit für alle verklärt wurde. Die Systemtheorien brachten auf den Markt der Meinungen und Positionen, was inzwischen auch schon vom Strukturalismus von linken und rechten Erkenntnisintressen vorgegeben war. Der allgemeine Nutzen wurde zu einer Objektivität der Funktionalität schlechthin, die in ihrer Kybernetik zum Entscheidungskriterium der Systemtheorien wurde, weil er nach strukturlogischer Auffassung eben einem jeden Bedürfnis zum Frieden in irgendeiner Art verhelfe (siehe Befriedigung) und soziologisch schon vor aller Erfahrung zu einer gesellschaftlichen Befriedung verhelfe (siehe Neoliberalismus). Und das wurde schließlich auch zum Selbstverständnis der Soziologie, die ja nichts anderes betreiben sollte, als eben die Reibungslosigkeit einer zerriebenen Gesellschaft herzustellen. Deshalb geriet sie schließlich zur wesentlichen Wissenschaft eines Feudalkapitalismus, der seine Gründe nicht mehr realwirtschaftlich, sondern nur noch in einem Schuldverhältnis außer sich (siehe auch Schuldgeldsystem), in den Klassen von Schuldner und Gläubiger betreiben kann.
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